Gewidmet
meinem unvergesslichen Freunde,
dem kühnen, treuen, edlen Vorkämpfer des Proletariats,
Wilhelm Wolff.
Geb. zu Tarnau, 21. Juni 1809. Gest. im Exil zu Manchester
9. Mai 1864.
Das Werk, dessen ersten Band ich dem Publikum übergebe,
bildet die Fortsetzung meiner 1859 veröffentlichten Schrift:
„Zur Kritik der politischen Oekonomie“. Die lange
Pause zwischen Anfang und Fortsetzung ist einer langjährigen
Krankheit geschuldet, die meine Arbeit wieder und wieder unter-
brach.
Der Inhalt jener früheren Schrift ist resümirt im ersten
Kapitel dieses Bandes. Es geschah diess nicht nur des Zusam-
menhangs und der Vollständigkeit wegen. Die Darstellung ist
verbessert. Soweit es der Sachverhalt irgendwie erlaubte, sind
viele früher nur angedeutete Punkte hier weiter entwickelt, wäh-
rend umgekehrt dort ausführlich Entwickeltes hier nur ange-
deutet wird. Die Abschnitte über die Geschichte der
Werth- und Geldtheorie fallen jetzt natürlich ganz weg.
Jedoch findet der Leser der früheren Schrift in den Noten zum
ersten Kapitel neue Quellen zur Geschichte jener Theorie er-
öffnet.
Aller Anfang ist schwer, gilt in jeder Wissenschaft. Das
Verständniss des ersten Kapitels, namentlich des Abschnitts,
der die Analyse der Waare enthält, wird daher die meiste
Schwierigkeit machen. Was nun näher die Analyse der
Werthsubstanz und der Werthgrösse betrifft, so habe ich
sie möglichst popularisirt1). Anders mit der Analyse der Werth-
form. Sie ist schwerverständlich, weil die Dialektik viel schär-
fer ist als in der ersten Darstellung. Ich rathe daher dem
nicht durchaus in dialektisches Denken eingewohnten Leser,
den Abschnitt von p. 15 (Zeile 19 von oben) bis Ende p. 34
ganz zu überschlagen, und statt dessen den dem Buch zu-
gefügten Anhang: „Die Werthform“ zu lesen. Dort wird
versucht, die Sache so einfach und selbst so schulmeisterlich dar-
zustellen, als ihre wissenschaftliche Fassung erlaubt. Nach Be-
endigung des Anhangs kann der Leser dann im Text wieder fort-
fahren mit p. 35.
Die Werthform, deren fertige Gestalt die Geldform,
ist sehr inhaltslos und einfach. Dennoch hat der Menschengeist
sie seit mehr als 2000 Jahren vergeblich zu ergründen gesucht,
während andrerseits die Analyse viel inhaltsvollerer und kompli-
cirterer Formen wenigstens annähernd gelang. Warum? Weil
der ausgebildete Körper leichter zu studiren ist als die Körper-
zelle. Bei der Analyse der ökonomischen Formen kann ausser-
dem weder das Mikroskop dienen, noch chemische Reagentien.
Die Abstraktionskraft muss beide ersetzen. Für die bürgerliche
Gesellschaft ist aber die Waarenform des Arbeitsprodukts oder
die Werthform der Waare die ökonomische Zellen-
form. Dem Ungebildeten scheint sich ihre Analyse in blossen
Spitzfindigkeiten herumzutreiben. Es handelt sich dabei
in der That um Spitzfindigkeiten, aber nur so wie es sich
in der mikrologischen Anatomie darum handelt.
Mit Ausnahme des Abschnitts über die Werthform wird
man daher diess Buch nicht wegen Schwerverständlichkeit ankla-
gen können. Ich unterstelle natürlich Leser, die etwas Neues
lernen, also auch selbst denken wollen.
Der Physiker beobachtet Naturprozesse entweder dort, wo
sie in der prägnantesten Form und von störenden Einflüssen min-
dest getrübt erscheinen, oder, wo möglich, macht er Experimente
unter Bedingungen, welche den reinen Vorgang des Prozesses
sichern. Was ich in diesem Werk zu erforschen habe, ist die
kapitalistische Produktionsweise und die ihr ent-
sprechenden Produktions- und Verkehrsverhältnisse.
Ihre klassische Stätte ist bis jetzt England. Diess der Grund,
warum es zur Hauptillustration meiner theoretischen Entwicklung
dient. Sollte jedoch der deutsche Leser pharisäisch die Achseln
zucken über die Zustände der englischen Industrie- und Acker-
bauarbeiter, oder sich optimistisch dabei beruhigen, dass in
Deutschland die Sachen noch lange nicht so schlimm stehn, so
muss ich ihm zurufen: De te fabula narratur!
An und für sich handelt es sich nicht um den höheren oder
niedrigeren Entwicklungsgrad der gesellschaftlichen Antagonis-
men, welche aus den Naturgesetzen der kapitalistischen Produk-
tion entspringen. Es handelt sich um diese Gesetze selbst,
um diese mit eherner Nothwendigkeit wirkenden und sich durch-
setzenden Tendenzen. Das industriell entwickeltere Land
zeigt dem minder entwickelten nur das Bild der eignen Zukunft!
Aber abgesehn hiervon. Wo die kapitalistische Produktion
völlig bei uns eingebürgert ist, z. B. in den eigentlichen Fabri-
ken, sind die Zustände viel schlechter als in England, weil
das Gegengewicht der Fabrikgesetze fehlt. In allen andren
Sphären quält uns, gleich dem ganzen übrigen kontinentalen
Westeuropa, nicht nur die Entwicklung der kapitalistischen Pro-
duktion, sondern auch der Mangel ihrer Entwicklung. Neben
den modernen Nothständen drückt uns eine ganze Reihe vererbter
Nothstände, entspringend aus der Fortvegetation alterthümlicher,
überlebter Produktionsweisen mit ihrem Gefolg von zeitwidri-
gen gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen. Wir leiden
nicht nur von den Lebenden, sondern auch von den Todten. Le
mort saisit le vif!
Im Vergleich zur englischen ist die sociale Statistik Deutsch-
lands und des übrigen kontinentalen Westeuropa’s elend. Den-
noch lüftet sie den Schleier grade genug, um hinter demselben
ein Medusenhaupt ahnen zu lassen. Wir würden vor unsren
eignen Zuständen erschrecken, wenn unsre Regierungen
und Parlamente, wie in England, periodische Untersuchungskom-
missionen über die ökonomischen Verhältnisse bestallten, wenn
diese Kommissionen mit derselben Machtvollkommenheit, wie in
England, zur Erforschung der Wahrheit ausgerüstet würden,
wenn es gelänge, zu diesem Behuf ebenso sachverständige, un-
parteiische und rücksichtslose Männer zu finden, wie die Fabrik-
inspektoren Englands sind, seine ärztlichen Berichterstatter über
„Public Health“ (Oeffentliche Gesundheit), seine Untersuchungs-
kommissäre über die Exploitation der Weiber und Kinder, über
Wohnungs- und Nahrungszustände u. s. w. Perseus brauchte
eine Nebelkappe zur Verfolgung von Ungeheuern. Wir ziehen
die Nebelkappe tief über Aug’ und Ohr, um die Existenz der Un-
geheuer wegläugnen zu können.
Man muss sich nicht darüber täuschen. Wie der amerikani-
sche Unabhängigkeitskrieg des 18. Jahrhunderts die Sturmglocke
für die europäische Mittelklasse läutete, so der amerikanische
Bürgerkrieg des 19. Jahrhunderts für die europäische Arbeiter-
klasse. In England ist der Umwälzungsprozess mit Händen greif-
bar. Auf einem gewissen Höhepunkt muss er auf den Kontinent
rückschlagen. Dort wird er sich in brutaleren oder humaneren
Formen bewegen, je nach dem Entwicklungsgrad der Arbeiter-
klasse selbst. Von höheren Motiven abgesehn, gebietet also den
jetzt herrschenden Klassen ihr eigenstes Interesse die Wegräu-
mung aller gesetzlich kontrolirbaren Hindernisse, welche die
Entwicklung der Arbeiterklasse hemmen. Ich habe desswegen
u. a. der Geschichte, dem Inhalt und den Resultaten der eng-
lischen Fabrikgesetzgebung einen so ausführlichen Platz in die-
sem Bande eingeräumt. Eine Nation soll und kann von der an-
deren lernen. Auch wenn eine Gesellschaft dem Naturgesetz
ihrer Bewegung auf die Spur gekommen ist, — und es ist
der letzte Endzweck dieses Werks das ökonomi-
sche Bewegungsgesetz der modernen Gesellschaft
zu enthüllen — kann sie naturgemässe Entwicklungsphasen
weder überspringen, noch wegdekretiren. Aber sie kann die
Geburtswehen abkürzen und mildern.
Zur Vermeidung möglicher Missverständnisse ein Wort. Die
Gestalten von Kapitalist und Grundeigenthümer zeichne ich kei-
neswegs in rosigem Licht. Aber es handelt sich hier um die
Personen nur, soweit sie die Personifikation ökono-
mischer Kategorien sind, Träger von bestimmten
Klassenverhältnissen und Interessen. Weniger als
jeder andre kann mein Standpunkt, der die Entwicklung der
ökonomischen Gesellschaftsformation als einen na-
turgeschichtlichen Prozess auffasst, den Einzelnen ver-
antwortlich machen für Verhältnisse, deren Geschöpf er social
bleibt, so sehr er sich auch subjektiv über sie erheben mag.
Auf dem Gebiet der politischen Oekonomie begegnet die
freie wissenschaftliche Forschung nicht nur demselben
Feinde, wie auf allen anderen Gebieten. Die eigenthümliche
Natur des Stoffes, den sie behandelt, ruft wider sie die heftigsten,
kleinlichsten und gehässigsten Leidenschaften der menschlichen
Brust, die Furien des Privatinteresses, auf den Kampfplatz. Die eng-
lische Hochkirche z. B. verzeiht eher den Angriff auf 30 von ihren
39 Glaubensartikeln als auf ihres Geldeinkommens. Heut-
zutage ist der Atheismus selbst eine culpa levis, verglichen mit
der Kritik überlieferter Eigenthumsverhältnisse. Jedoch ist hier
ein Fortschritt unverkennbar. Ich verweise z. B. auf das in den
letzten Wochen veröffentlichte Blaubuch: „Correspondence
with Her Majesty’s Missions Abroad, regarding In-
dustrial Questions and Trade’s Unions.“ Die auswär-
tigen Vertreter der englischen Krone sprechen es hier mit dürren
Worten aus, dass in Deutschland, Frankreich, kurz allen Kultur-
staaten des europäischen Kontinents, eine Umwandlung der be-
stehenden Verhältnisse von Kapital und Arbeit ebenso fühlbar und
ebenso unvermeidlich ist als in England. Gleichzeitig erklärte
jenseits des transatlantischen Oceans Herr Wade, Vicepräsident
der Vereinigten Staaten von Nordamerika, in öffentlichen Mee-
tings: Nach Beseitigung der Sklaverei trete die Umwandlung der
Kapital- und Grundeigenthumsverhältnisse auf die Tagesordnung!
Es sind diess Zeichen der Zeit, die sich nicht verstecken lassen
durch Purpurmäntel oder schwarze Kutten. Sie bedeuten nicht,
dass morgen Wunder geschehn werden. Sie zeigen, wie selbst
in den herrschenden Klassen die Ahnung aufdämmert, dass die
jetzige Gesellschaft kein fester Krystall, sondern ein umwand-
lungsfähiger und beständig im Prozess der Umwandlung begrif-
fener Organismus ist.
Der zweite Band dieser Schrift wird den Cirkula-
tionsprozess des Kapitals (Buch II) und die Gestal-
tungen des Gesammtprozesses (Buch III), der ab-
schliessende dritte Band (Buch IV) die Geschichte der
Theorie behandeln.
Jedes Urtheil wissenschaftlicher Kritik ist mir willkommen.
Gegenüber den Vorurtheilen der s. g. öffentlichen Mei-
nung, der ich nie Koncessionen gemacht habe, gilt mir nach
wie vor der Wahlspruch des grossen Florentiners:
Segui il tuo corso, e lascia dir le genti!
London, 25. Juli 1867.
Karl Marx.
Der Reichthum der Gesellschaften, in welchen kapitalistische Pro-
duktionsweise herrscht, erscheint als eine „ungeheure Waarensammlung“1),
die einzelne Waare als seine Elementarform. Unsere Untersuchung
beginnt daher mit der Analyse der Waare.
Die Waare ist zunächst ein äusserer Gegenstand, ein Ding, das durch
seine Eigenschaften menschliche Bedürfnisse irgend einer Art befriedigt.
Die Natur dieser Bedürfnisse, ob sie z. B. dem Magen oder der Phantasie
entspringen, ändert nichts an der Sache2). Es handelt sich hier auch
nicht darum, wie die Sache das menschliche Bedürfniss befriedigt, ob un-
mittelbar als Lebensmittel, d. h. als Gegenstand des Genusses, oder auf
einem Umweg, als Produktionsmittel.
Jedes nützliche Ding, wie Eisen, Papier u. s. w., ist unter doppeltem
Gesichtspunkt zu betrachten, nach Qualität und Quantität. Jedes
solche Ding ist ein Ganzes vieler Eigenschaften und kann daher nach ver-
schiedenen Seiten nützlich sein. Diese verschiedenen Seiten und daher
die mannigfachen Gebrauchsweisen der Dinge zu entdecken, ist geschicht-
liche That3). So ist die Findung gesellschaftlicher Masse für die Quan-
tität der nützlichen Dinge. Die Verschiedenheit der Waarenmasse ent-
springt theils aus der verschiedenen Natur der zu messenden Gegenstände,
theils aus Convention.
Die Nützlichkeit eines Dings für das menschliche Leben macht es
zum Gebrauchswerth4). Abkürzend nennen wir das nützliche Ding
selbst oder den Waarenkörper, wie Eisen, Weizen, Diamant u. s. w.,
Gebrauchswerth, Gut, Artikel. Bei Betrachtung der Gebrauchs-
werthe wird stets quantitative Bestimmtheit vorausgesetzt, wie Dutzend
Uhren, Elle Leinwand, Tonne Eisen u. s. w. Die Gebrauchswerthe der
Waaren liefern das Material einer eignen Disciplin, der Waaren-
kunde5). Der Gebrauchswerth verwirklicht sich nur im Gebrauch oder
der Consumtion. Gebrauchswerthe bilden den stofflichen Inhalt
des Reichthums, welches immer seine gesellschaftliche Form
sei. In der von uns zu betrachtenden Gesellschaftsform bilden sie zu-
gleich die stofflichen Träger des — Tauschwerths.
Der Tauschwerth erscheint zunächst als das quantitative Ver-
hältniss, die Proportion, worin sich Gebrauchswerthe einer Art gegen
Gebrauchswerthe anderer Art austauschen6), ein Verhältniss, das bestän-
dig mit Zeit und Ort wechselt. Der Tauschwerth scheint daher etwas
Zufälliges und rein Relatives, ein der Waare innerlicher, immanenter
Tauschwerth (valeur intrinsèque) also eine contradictio in adjecto 7).
Betrachten wir die Sache näher.
Eine einzelne Waare, ein Quarter Weizen z. B. tauscht sich in den
verschiedensten Proportionen mit andern Artikeln aus. Dennoch
bleibt sein Tauschwerth unverändert, ob in x Stiefelwichse, y Seide,
z Gold u. s. w. ausgedrückt. Er muss also von diesen seinen verschiede-
nen Ausdrucksweisen unterscheidbar sein.
Nehmen wir ferner zwei Waaren, z. B. Weizen und Eisen. Welches
immer ihr Austauschverhältniss, es ist stets darstellbar in einer Gleichung,
worin ein gegebenes Quantum Weizen irgend einem Quantum Eisen gleich-
gesetzt wird, z. B. 1 Quarter Weizen = a Ctr. Eisen. Was besagt
diese Gleichung? Dass derselbe Werth in zwei verschiednen
Dingen, in 1 Qrtr. Weizen und ebenfalls in a Ctr. Eisen existirt. Beide
sind also gleich einem Dritten, das an und für sich weder das eine, noch
das andere ist. Jedes der beiden, soweit es Tauschwerth, muss also, un-
abhängig von dem andern, auf diess Dritte reducirbar sein.
Ein einfaches geometrisches Beispiel veranschauliche diess. Um den
Flächeninhalt aller gradlinigen Figuren zu bestimmen und zu vergleichen,
löst man sie in Dreiecke auf. Das Dreieck selbst reducirt man auf einen
von seiner sichtbaren Figur ganz verschiednen Ausdruck — das halbe
Produkt seiner Grundlinie mit seiner Höhe. Ebenso sind die Tauschwerthe
der Waaren zu reduciren auf ein Gemeinsames, wovon sie ein Mehr
oder Minder darstellen.
Dass die Substanz des Tauschwerths ein von der physisch-handgreif-
lichen Existenz der Waare oder ihrem Dasein als Gebrauchswerth
„The value of a thing
Is just as much as it will bring.“
durchaus Verschiednes und Unabhängiges, zeigt ihr Austauschverhältniss
auf den ersten Blick. Es ist charakterisirt eben durch die Abstraktion
vom Gebrauchswerth. Dem Tauschwerth nach betrachtet ist näm-
lich eine Waare grade so gut als jede andre, wenn sie nur in richtiger
Proportion vorhanden ist8).
Unabhängig von ihrem Austauschverhältniss oder von der Form,
worin sie als Tausch-Werthe erscheinen, sind die Waaren daher
zunächst als Werthe schlechthin zu betrachten9).
Als Gebrauchsgegenstände oder Güter sind die Waaren körperlich
verschiedne Dinge. Ihr Werth sein bildet dagegen ihre Einheit.
Diese Einheit entspringt nicht aus der Natur, sondern aus der Gesellschaft.
Die gemeinsame gesellschaftliche Substanz, die sich in
verschiednen Gebrauchswerthen nur verschieden darstellt, ist — die
Arbeit.
Als Werthe sind die Waaren nichts als krystallisirte Arbeit.
Die Masseinheit der Arbeit selbst ist die einfache Durchschnitts-
arbeit, deren Charakter zwar in verschiednen Ländern und Kultur-
epochen wechselt, aber in einer vorhandnen Gesellschaft gegeben ist.
Komplicirtere Arbeit gilt nur als potenzirte oder vielmehr multipli-
cirte einfache Arbeit, so dass z. B. ein kleineres Quantum komplicirter
Arbeit gleich einem grösseren Quantum einfacher Arbeit. Wie diese
Reduktion geregelt wird, ist hier gleichgültig. Dass sie beständig vor-
geht, zeigt die Erfahrung. Eine Waare mag das Produkt der komplicirte-
sten Arbeit sein. Ihr Werth setzt sie dem Produkt einfacher Arbeit
gleich und stellt daher selbst nur ein bestimmtes Quantum einfacher Ar-
beit dar.
Ein Gebrauchswerth oder Gut hat also nur einen Werth, weil
Arbeit in ihm vergegenständlicht oder materialisirt ist.
Wie nun die Grösse seines Werthes messen? Durch das Quantum der
in ihm enthaltenen „werthbildenden Substanz“, der Arbeit. Die Quan-
tität der Arbeit selbst misst sich an ihrer Zeitdauer und die Arbeits-
zeit besitzt wieder ihren Massstab an bestimmten Zeittheilen,
wie Stunde, Tag u. s. w.
Es könnte scheinen, dass wenn der Werth einer Waare durch das
während ihrer Produktion verausgabte Arbeitsquantum bestimmt ist, je
fauler oder ungeschickter ein Mann, desto werthvoller seine Waare, weil er
desto mehr Arbeitszeit zu ihrer Verfertigung braucht. Aber nur die
gesellschaftlich nothwendige Arbeitszeit zählt als werth-
bildend. Gesellschaftlich nothwendige Arbeitszeit ist Arbeitszeit, erheischt
um irgend einen Gebrauchswerth mit den vorhandnen gesellschaftlich - nor-
malen Produktionsbedingungen und dem gesellschaftlichen Durchschnitts-
grad von Geschick und Intensivität der Arbeit herzustellen. Nach der
Einführung des Dampfwebstuhls in England z. B. genügte vielleicht halb
so viel Arbeit als vorher, um ein gegebenes Quantum Garn in Gewebe zu
verwandeln. Der englische Handweber brauchte zu dieser Verwandlung
in der That nach wie vor dieselbe Arbeitszeit, aber das Produkt seiner
individuellen Arbeitsstunde stellte jetzt nur noch eine halbe gesell-
schaftliche Arbeitsstunde dar und fiel daher auf die Hälfte seines früheren
Werths.
Es ist also nur das Quantum gesellschaftlich nothwen-
diger Arbeit oder die zur Herstellung eines Gebrauchs-
werths gesellschaftlich nothwendige Arbeitszeit, welche
seine Werthgrösse bestimmt. Die einzelne Waare gilt hier überhaupt
als Durchschnittsexemplar ihrer Art10). Waaren, worin gleich grosse
Arbeitsquanta enthalten sind, oder die in derselben Arbeitszeit
hergestellt werden können, haben daher dieselbe Werthgrösse.
Der Werth einer Waare verhält sich zum Werth jeder andern Waare, wie
die zur Produktion der einen nothwendige Arbeitszeit zu der für die Pro-
duktion der andern nothwendigen Arbeitszeit. „Als Werthe sind alle
Waaren nur bestimmte Masse festgeronnener Arbeitszeit“11).
Die Werthgrösse einer Waare bliebe daher constant, wäre die
zu ihrer Produktion erheischte Arbeitszeit constant. Letztere wech-
selt aber mit jedem Wechsel in der Produktivkraft der Arbeit.
Die Produktivkraft der Arbeit ist durch mannigfache Umstände be-
stimmt, unter andern durch den Durchschnittsgrad des Geschickes der
Arbeiter, die Entwicklungsstufe der Wissenschaft und ihrer technolo-
gischen Anwendbarkeit, die gesellschaftliche Combination des Pro-
duktionsprozesses, den Umfang und die Wirkungsfähigkeit der Pro-
duktionsmittel, und durch Naturverhältnisse. Dasselbe Quantum
Arbeit stellt sich z. B. mit günstiger Jahreszeit in 8 Bushel Weizen
dar, mit ungünstiger in nur 4. Dasselbe Quantum Arbeit liefert mehr
Metalle in reichhaltigen, als in armen Minen u. s. w. Diamanten kommen
selten in der Erdrinde vor und ihre Findung kostet daher im Durch-
schnitt viel Arbeitszeit. Folglich stellen sie in wenig Volumen viel Ar-
beit dar. Jacob bezweifelt, dass Gold jemals seinen vollen Werth be-
zahlt hat. Noch mehr gilt diess vom Diamant. Nach Eschwege
hatte 1823 die achtzigjährige Gesammtausbeute der brasilischen Diamant-
gruben noch nicht den Werth des 1½jährigen Durchschnittsprodukts der
brasilischen Zucker- oder Kaffeepflanzungen erreicht. Mit reichhaltigeren
Gruben würde dasselbe Arbeitsquantum sich in mehr Diamanten darstel-
len und ihr Werth sinken. Gelingt es mit wenig Arbeit Kohle in Dia-
mant zu verwandeln, so kann sein Werth unter den von Ziegelsteinen fal-
len. Allgemein: Je grösser die Produktivkraft der Arbeit, desto kleiner
die zur Herstellung eines Artikels erheischte Arbeitszeit, desto kleiner die
in ihm krystallisirte Arbeitsmasse, desto kleiner sein Werth. Umgekehrt,
je kleiner die Produktivkraft der Arbeit, desto grösser die zur Herstellung
eines Artikels nothwendige Arbeitszeit, desto grösser sein Werth. Die
Werthgrösse einer Waare wechselt also direkt wie das Quan-
tum und umgekehrt wie die Produktivkraft der sich in ihr ver-
wirklichenden Arbeit.
Wir kennen jetzt die Substanz des Werths. Es ist die Arbeit.
Wir kennen sein Grössenmass. Es ist die Arbeitszeit. Seine
Form, die den Werth eben zum Tausch-Werth stempelt, bleibt zu
analysiren. Vorher jedoch sind die bereits gefundenen Bestimmungen
etwas näher zu entwickeln.
Ein Ding kann Gebrauchswerth sein, ohne Tauschwerth
zu sein. Es ist diess der Fall, wenn sein Dasein für den Menschen nicht
durch Arbeit vermittelt ist. So Luft, jungfräulicher Boden, natürliche
Wiesen, wildwachsendes Holz u. s. w. Ein Ding kann nützlich und Pro-
dukt menschlicher Arbeit sein, ohne Waare zu sein. Wer durch sein
Produkt sein eignes Bedürfniss befriedigt, schafft zwar Gebrauchs-
werth, aber nicht Waare. Um Waare zu produciren, muss er nicht
nur Gebrauchswerth produciren, sondern Gebrauchswerth für
andre, gesellschaftlichen Gebrauchswerth. Endlich kann
kein Ding Werth sein, ohne Gebrauchsgegenstand zu sein. Ist es nutz-
los, so ist auch die in ihm enthaltene Arbeit nutzlos, zählt nicht als Arbeit
und bildet daher keinen Werth.
Ursprünglich erschien uns die Waare als ein Zwieschläch-
tiges, Gebrauchswerth und Tauschwerth. Näher betrachtet wird sich
zeigen, dass auch die in der Waare enthaltene Arbeit zwie-
schlächtig ist. Dieser Punkt, der von mir zuerst kritisch entwickelt
wurde12), ist der Springpunkt, um den sich das Verständniss der po-
litischen Oekonomie dreht.
Nehmen wir zwei Waaren, etwa einen Rock und 10 Ellen Leinwand.
Der erstere habe den zweifachen Werth der letzteren, so dass wenn
10 Ellen Leinwand = W, der Rock = 2 W.
Der Rock ist ein Gebrauchswerth, der ein besondres Bedürfniss be-
friedigt. Um ihn hervorzubringen, bedarf es einer bestimmten Art
zweckmässig produktiver Thätigkeit. Sie ist bestimmt nach
Zweck, Operationsweise, Gegenstand, Mitteln und Resultat. Die Arbeit,
deren Nützlichkeit sich so im Gebrauchswerth ihres Produkts oder darin
darstellt, dass ihr Produkt ein Gebrauchswerth ist, heisse hier der Verein-
fachung halber kurzweg nützliche Arbeit. Unter diesem Gesichts-
punkt ist sie stets betrachtet in Bezug auf den Nutzeffekt, dessen
Hervorbringung sie bezweckt.
Wie Rock und Leinwand qualitativ verschiedne Gebrauchs-
werthe, so sind die ihr Dasein vermittelnden Arbeiten qualitativ
verschieden — Schneiderarbeit und Weberei. Wären jene
Dinge nicht qualitativ verschiedne Gebrauchswerthe und daher Produkte
qualitativ verschiedner nützlicher Arbeiten, so könnten sie sich über-
haupt nicht als Waaren gegenübertreten. Rock tauscht sich nicht aus
gegen Rock, derselbe Gebrauchswerth nicht gegen denselben Gebrauchswerth.
In der Gesammtheit der verschiedenartigen Gebrauchswerthe oder
Waarenkörper erscheint eine Gesammtheit eben so mannigfaltiger, nach
Gattung, Art, Familie, Unterart, Varietät verschiedner nützlicher Arbeiten
— eine gesellschaftliche Theilung der Arbeit. Sie ist Exi-
stenzbedingung der Waarenproduktion, obgleich Waarenproduktion nicht
umgekehrt Existenzbedingung gesellschaftlicher Arbeitstheilung. In der
altindischen Gemeinde ist die Arbeit gesellschaftlich getheilt, ohne dass die
Produkte zu Waaren werden. Oder, ein näher liegendes Beispiel,
in jeder Fabrik ist die Arbeit systematisch getheilt, aber diese Theilung
nicht dadurch vermittelt, dass die Arbeiter ihre individuellen Pro-
dukte austauschen. Nur Produkte selbstständiger und von einander
unabhängiger Privatarbeiten treten einander als Waaren
gegenüber.
Man hat also gesehn : In dem Gebrauchswerth jeder Waare steckt
eine bestimmte zweckmässig produktive Thätigkeit oder nützliche Arbeit.
Gebrauchswerthe können sich nicht als Waaren gegenübertreten, wenn
nicht qualitativ verschiedne nützliche Arbeiten in ihnen stecken. In einer
Gesellschaft, deren Produkte allgemein die Form der Waare anneh-
men, d. h. in einer Gesellschaft von Waarenproducenten, entwickelt sich
dieser qualitative Unterschied der nützlichen Arbeiten, welche unabhängig
von einander als Privatgeschäfte selbstständiger Producenten betrieben
werden, zu einem vielgliedrigen System, zu einer gesellschaftlichen Thei-
lung der Arbeit.
Dem Rock ist es übrigens gleichgültig, ob er vom Schneider oder
vom Kunden des Schneiders getragen wird. In beiden Fällen wirkt er als
Gebrauchswerth. Ebensowenig ist das Verhältniss zwischen dem Rock
und der ihn producirenden Arbeit an und für sich dadurch verändert, dass
die Schneiderarbeit eigne Profession wird, selbstständiges Glied der gesell-
schaftlichen Theilung der Arbeit. Wo ihn das Kleidungsbedürfniss zwang,
hat der Mensch Jahrtausende lang geschneidert, bevor aus einem Menschen
ein Schneider ward. Aber das Dasein von Rock, Leinwand, jedem nicht
von Natur vorhandnen Element des stofflichen Reichthums,
musste immer vermittelt sein durch eine spezielle, zweckmässig produktive
Thätigkeit, die besondere Naturstoffe besondern menschlichen Bedürfnissen
assimilirt. Als Bildnerin von Gebrauchswerthen, als nützliche Ar-
beit, ist die Arbeit daher von allen Gesellschaftsformen unabhängige
Existenzbedingung des Menschen, ewige Naturnothwendigkeit, um den
Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur, also das menschliche Leben zu
vermitteln.
Die Gebrauchswerthe Rock, Leinwand u. s. w., kurz die Waaren-
körper, sind Verbindungen von zwei Elementen, Naturstoff
und Arbeit. Zieht man die Gesammtsumme aller verschiedenen nützlichen
Arbeiten ab, die in Rock, Leinwand u. s. w. stecken, so bleibt stets ein
materielles Substrat zurück, das ohne Zuthun des Menschen von Natur vor-
handen ist. Der Mensch kann in seiner Produktion nur verfahren, wie die
Natur selbst, d. h. nur die Formen der Stoffe ändern13). Noch
mehr. In dieser Arbeit der Formung selbst wird er beständig unterstützt
von Naturkräften. Arbeit ist also nicht die einzige Quelle der
von ihr producirten Gebrauchswerthe, des stofflichen
Reichthums. Die Arbeit ist sein Vater, wie William Petty sagt,
und die Erde seine Mutter.
Gehn wir nun von der Waare, so weit sie Gebrauchsgegenstand, über
zum Waaren-Werth.
Nach unsrer Unterstellung hat der Rock den doppelten Werth der
Leinwand. Diess ist aber nur ein quantitativer Unterschied, der uns
zunächst noch nicht interessirt. Wir erinnern daher, dass wenn der
Werth eines Rockes doppelt so gross als der von 10 Ellen Leinwand,
20 Ellen Leinwand dieselbe Werthgrösse haben wie ein Rock.
Als Werthe sind Rock und Leinwand Dinge von gleicher Substanz,
objektive Ausdrücke gleichartiger Arbeit. Aber Schneider-
arbeit und Weberei sind qualitativ verschiedne Arbeiten. Es giebt
jedoch Gesellschaftszustände, worin derselbe Mensch abwechselnd
schneidert und webt, diese beiden verschiednen Arbeitsweisen daher nur
Modificationen der Arbeit desselben Individuums und
noch nicht besondre feste Functionen verschiedner Individuen sind, ganz
wie der Rock, den unser Schneider heute, und die Hosen, die er morgen
macht, nur Variationen derselben individuellen Arbeit voraussetzen. Der
Augenschein lehrt ferner, dass in unsrer kapitalistischen Gesellschaft, je
nach der wechselnden Richtung der Arbeitsnachfrage, eine gegebene
Portion menschlicher Arbeit abwechselnd in der Form von
Schneiderei oder in der Form von Weberei zugeführt wird. Dieser Form-
wechsel der Arbeit mag nicht ohne Friction abgehn, aber er muss gehn.
Sieht man ab von der Bestimmtheit der produktiven Thätigkeit und daher
vom nützlichen Charakter der Arbeit, so bleibt das an ihr, dass sie eine
Verausgabung menschlicher Arbeitskraft ist. Schneider-
arbeit und Weberei, obgleich qualitativ verschiedne produktive Thätig-
keiten, sind beide produktive Verausgabung von menschlichem Hirn,
Muskel, Nerv, Hand u. s. w., und in diesem Sinn beide menschliche
Arbeit. Es sind nur zwei verschiedne Formen, menschliche Arbeits-
kraft zu verausgaben. Allerdings muss die menschliche Arbeitskraft selbst
mehr oder minder entwickelt sein, um in dieser oder jener Form veraus-
gabt zu werden. Der Werth der Waaren aber stellt menschliche Arbeit
schlechthin dar, Verausgabung menschlicher Arbeitskraft über-
haupt. Wie nun in der bürgerlichen Gesellschaft ein General oder Ban-
quier eine grosse, der Mensch schlechthin dagegen eine sehr schäbige
Rolle spielt14), so steht es hier auch mit der menschlichen Arbeit.
Sie ist Verausgabung einfacher Arbeitskraft, die jeder gewöhnliche
Mensch, ohne besondere Entwicklung, in seinem leiblichen Organismus be-
sitzt. Die Arbeitskraft eines Bauernknechts gelte z. B. für einfache Ar-
beitskraft, ihre Verausgabung daher für einfache Arbeit oder mensch-
liche Arbeit ohne weitern Schnörkel, Schneiderarbeit dagegen für
Verausgabung höher entwickelter Arbeitskraft. Während sich der Arbeits-
tag des Bauernknechts daher etwa im Werthausdruck von ½ W, stellt
sich der Arbeitstag des Schneiders im Werthausdrucke von W dar15).
Dieser Unterschied ist jedoch nur quantitativ. Wenn der Rock das
Produkt eines Arbeitstags des Schneiders, hat er denselben Werth wie das
Produkt von 2 Arbeitstagen des Bauernknechts. So zählt aber die
Schneiderarbeit immer nur als multiplicirte Bauernarbeit. Die ver-
schiednen Proportionen, worin verschiedne Arbeitsarten auf einfache Ar-
beit als ihre Masseinheit reducirt sind, werden durch einen gesell-
schaftlichen Prozess hinter dem Rücken der Produzenten festgesetzt und
scheinen ihnen daher durch das Herkommen gegeben. Der Vereinfachung
halber gilt uns im Folgenden jede Art Arbeitskraft unmittelbar für ein-
fache Arbeitskraft, wodurch nur die Mühe der Reduktion erspart wird.
Wie also in den Werthen Rock und Leinwand von dem Unter-
schied ihrer Gebrauchswerthe abstrahirt ist, so in der Arbeit,
die diese Werthe darstellen, von dem Unterschied der nützlichen
Formen, worin sie das einemal Schneiderarbeit ist, das andremal
Weberei. Wie die Gebrauchswerthe Rock und Leinwand Ver-
bindungen zweckbestimmter, produktiver Thätigkeiten mit Tuch und
Garn sind, die Werthe Rock und Leinwand dagegen blosse gleich-
artige Arbeitsgallerten, so gilt auch die in diesen Werthen
enthaltene Arbeit nicht durch ihr produktives Verhalten zu Tuch und Garn,
sondern nur als Verausgabung menschlicher Arbeitskraft.
Bildungselemente der Gebrauchswerthe Rock und Leinwand sind
Schneiderarbeit und Weberei eben durch ihre verschiednen Qualitäten,
Substanz des Rockwerths und Leinwandwerths sind sie nur, soweit
von ihrer besondern Qualität abstrahirt wird und beide gleiche
Qualität besitzen, die Qualität menschlicher Arbeit.
Rock und Leinwand sind aber nicht nur Werthe überhaupt, son-
dern Werthe von bestimmter Grösse und nach unsrer Unterstellung
ist der Rock doppelt so viel werth, als 10 Ellen Leinwand. Woher diese
Verschiedenheit ihrer Werthgrössen? Daher dass die Leinwand nur
halb so viel Arbeit enthält, als der Rock, sodass zur Produktion des letz-
tern die Arbeitskraft während doppelt soviel Zeit verausgabt werden
muss, als zur Produktion der erstern.
Wenn also mit Bezug auf den Gebrauchswerth die in der
Waare enthaltne Arbeit nur qualitativ gilt, gilt sie mit Bezug auf die
Werthgrösse nur quantitativ, nachdem sie bereits auf menschliche
Arbeit ohne weitere Qualität reducirt ist. Dort handelt es sich um das
Wie und Was der Arbeit, hier um ihr Wie Viel, ihre Zeitdauer. Da die
Werthgrösse einer Waare nur das Quantum der in ihr enthaltnen Arbeit
misst, müssen Waaren in gewisser Proportion stets gleich grosse
Werthe sein.
Bleibt die Produktivkraft sage aller zur Produktion eines Rocks
erheischten nützlichen Arbeiten unverändert, so steigt die Werthgrösse der
Röcke mit ihrer eignen Quantität. Wenn 1 Rock x, stellen 2 Röcke 2 x
Arbeitstage dar u. s. w. Nimm aber an, die zur Produktion eines Rocks
nothwendige Arbeitszeit steige auf das Doppelte oder falle um die Hälfte.
Im ersten Fall hat ein Rock soviel Werth als vorher zwei Röcke, im letz-
tern Fall haben zwei Röcke nur so viel Werth, als vorher einer, obgleich
in beiden Fällen ein Rock nach wie vor dieselben Dienste leistet und die
in ihm enthaltne nützliche Arbeit nach wie vor von derselben Güte bleibt.
Aber das in seiner Produktion verausgabte Arbeits quantum hat sich
verändert.
Ein grössres Quantum Gebrauchswerth bildet an und für sich grös-
sern stofflichen Reichthum, zwei Röcke mehr als einer. Mit zwei
Röcken kann man zwei Menschen kleiden, mit einem Rock nur einen Men-
schen u. s. w. Dennoch kann der steigenden Masse des stofflichen Reich-
thums ein gleichzeitiger Fall seiner Werthgrösse entsprechen. Diese
gegensätzliche Bewegung entspringt aus der zwieschlächtigen Be-
stimmung der Arbeit. Produktivkraft ist natürlich stets Produktivkraft
nützlicher, konkreter Arbeit. Sie drückt in der That nur den Wirkungs-
grad zweckbestimmter produktiver Thätigkeit in gegebnem Zeitraum aus.
Die nützliche Arbeit wird daher reichere oder dürftigere Produktenquelle
im direkten Verhältniss zum Steigen oder Fallen ihrer Produktiv-
kraft. Dagegen trifft ein Wechsel der Produktivkraft die im Werth
dargestellte Arbeit an und für sich gar nicht. Da die Produktivkraft der
konkreten nützlichen Form der Arbeit angehört, kann sie natürlich die
Arbeit nicht mehr berühren, sobald von ihrer konkreten nützlichen Form
abstrahirt wird. Dieselbe Arbeit stellt sich daher in denselben Zeit-
räumen stets in derselben Werthgrösse dar, wie immer die Pro-
duktivkraft wechsle. Aber sie liefert in demselben Zeitraum ver-
schiedne Quanta Gebrauchswerthe, mehr wenn die Produktiv-
kraft steigt, weniger, wenn sie sinkt. Im erstern Fall kann es geschehn,
dass 2 Röcke weniger Arbeit enthalten als früher einer. Derselbe Wech-
sel der Produktivkraft, der die Fruchtbarkeit der Arbeit und daher die
Masse der von ihr gelieferten Gebrauchswerthe vermehrt, kann also die
Werthgrösse selbst der vermehrten Gesammtmasse vermindern,
wenn er nämlich die zu ihrer Produktion nothwendige Arbeitszeit ab-
kürzt. Ebenso umgekehrt.
Aus dem Bisherigen folgt, dass in der Waare zwar nicht zwei ver-
schiedene Sorten Arbeit stecken, wohl aber dieselbe Arbeit verschieden
und selbst entgegengesetzt bestimmt ist, je nachdem sie auf den Ge-
brauchswerth der Waare als ihr Produkt oder auf den Waaren-
Werth als ihren bloss gegenständlichen Ausdruck bezogen wird.
Wie die Waare vor allem Gebrauchsgegenstand sein muss, um Werth zu
sein, so muss die Arbeit vor allem nützliche Arbeit, zweckbestimmte pro-
duktive Thätigkeit sein, um als Verausgabung menschlicher
Arbeitskraft und daher als menschliche Arbeit schlechthin
zu zählen.
Da bisher nur noch Werthsubstanz und Werthgrösse bestimmt, wen-
den wir uns jetzt zur Analyse der Werthform.
Kehren wir zunächst wieder zurück zur ersten Erscheinungs-
form des Waarenwerths.
Wir nehmen zwei Quanta Waaren, die gleichviel Arbeitszeit
zu ihrer Produktion kosten, also gleiche Werthgrössen sind, und
wir haben 40 Ellen Leinwand = 2 Röcke, oder 40 Ellen Lein-
wand sind zwei Röcke werth. Wir sehn, dass der Werth der Lein-
wand in einem bestimmten Quantum von Röcken ausgedrückt ist. Der
Werth einer Waare, so dargestellt im Gebrauchswerth einer andern
Waare, heisst ihr relativer Werth.
Der relative Werth einer Waare kann wechseln, obgleich ihr Werth
constant bleibt. Umgekehrt kann ihr relativer Werth constant bleiben,
obgleich ihr Werth wechselt. Die Gleichung: 40 Ellen Leinwand
= 2 Röcke setzt nämlich voraus, dass beide Waaren gleich viel Arbeit
kosten. Mit jedem Wechsel in der Produktivkraft der sie hervorbringen-
den Arbeiten wechselt aber die zu ihrer Produktion nothwendige Arbeits-
zeit. Betrachten wir den Einfluss solcher Wechsel auf den relativen
Werth.
I. Der Werth der Leinwand wechsle, während der Rockwerth con-
stant bleibt. Verdoppelt sich die zur Produktion der Leinwand veraus-
gabte Arbeitszeit, etwa in Folge zunehmender Unfruchtbarkeit des flachs-
tragenden Bodens, so verdoppelt sich ihr Werth. Statt 40 Ellen Lein-
wand = 2 Röcke, hätten wir: 40 Ellen Leinwand = 4 Röcke,
da 2 Röcke jetzt nur halb so viel Arbeitszeit enthalten als 40 Ellen Lein-
wand. Nimmt dagegen die zur Produktion der Leinwand nothwendige
Arbeitszeit um die Hälfte ab, etwa in Folge verbesserter Webstühle, so
sinkt der Leinwandwerth um die Hälfte. Demgemäss jetzt: 40 Ellen
Leinwand = 1 Rock. Der relative Werth der Waare A, d. h.
ihr Werth ausgedrückt in der Waare B, steigt und fällt also direkt
wie der Werth der Waare A, bei gleichbleibendem Werth der
Waare B.
II. Der Werth der Leinwand bleibe constant, während der Rock-
werth wechsle. Verdoppelt sich unter diesen Umständen die zur Pro-
duktion des Rockes nothwendige Arbeitszeit, etwa in Folge ungünstiger
Wollschur, so haben wir statt 40 Ellen Leinwand = 2 Röcke jetzt: 40 El-
len Leinwand = 1 Rock. Fällt dagegen der Werth des Rocks um
die Hälfte, so 40 Ellen Leinwand = 4 Röcke. Bei gleichbleibendem
Werth der Waare A, fällt oder steigt daher ihr relativer, in der Waare
B ausgedrückter Werth im umgekehrten Verhältniss zum
Werthwechsel von B.
Vergleicht man die verschiedenen Fälle sub I und II, so ergiebt sich,
dass derselbe Wechsel des relativen Werths aus ganzent-
gegengesetzten Ursachen entspringen kann. So wird aus
40 Ellen Leinwand = 2 Röcke 1) die Gleichung 40 Ellen
Leinwand = 4 Röcke, entweder weil der Werth der Leinwand
sich verdoppelt oder der Werth der Röcke um die Hälfte fällt, und 2) die
Gleichung 40 Ellen Leinwand = 1 Rock, entweder weil der Werth
der Leinwand um die Hälfte sinkt oder der Werth des Rockes auf das
Doppelte steigt.
III. Die zur Produktion von Leinwand und Rock nothwendigen
Arbeitsquanta wechseln gleichzeitig, in derselben Richtung und derselben
Proportion. In diesem Falle nach wie vor 40 Ellen Leinwand =
2 Röcke, wie immer ihre Werthe verändert seien. Man entdeckt ihren
Werthwechsel, sobald man sie mit einer dritten Waare vergleicht, deren
Werth constant blieb. Stiegen oder fielen die Werthe aller Waaren gleich-
zeitig und in derselben Proportion, so blieben ihre relativen Werthe
unverändert. Ihren wirklichen Werthwechsel ersähe man daraus, dass in
derselben Arbeitszeit nun allgemein ein grösseres oder kleineres Waaren-
quantum als vorher geliefert würde.
IV. Die zur Produktion von Leinwand und Rock resp. nothwendigen
Arbeitszeiten, und daher ihre Werthe, mögen gleichzeitig in derselben
Richtung wechseln, aber in ungleichem Grad, oder in entgegengesetzter
Richtung u. s. w. Der Einfluss aller möglichen derartigen Combinatio-
nen auf den relativen Werth einer Waare ergiebt sich einfach durch An-
wendung der Fälle I., II. und III.
Wir haben eben untersucht, wie weit Wechsel in der relativen
Werthgrösse einer Waare, der Leinwand, einen Wechsel ihrer eignen
Werthgrösse wiederspiegelt, und überhaupt den relativen Werth
nur nach seiner quantitativen Seite betrachtet. Wir wenden uns
jetzt zu seiner Form. Wenn der relative Werth Darstellungsform
des Werths, ist der Ausdruck der Aequivalenz zweier Waaren, wie
x Waare A = y Waare B oder 20 Ellen Leinwand = 1 Rock, die ein-
fache Form desrelativen Werths.
I. Erste oder einfache Form des relativen Werths:
20 Ellen Leinwand = 1 Rock. (x Waare A = y Waare B.)
Diese Form ist etwas schwierig zu analysiren, weil sie einfach
ist16). Die in ihr enthaltenen unterschiedenen Bestimmungen sind ver-
hüllt, unentwickelt, abstrakt und daher nur durch einige Anstrengung der
Abstraktionskraft auseinander- und festzuhalten. So viel ergiebt sich
aber auf den ersten Blick, dass die Form dieselbe bleibt, ob 20 Ellen
Leinwand = 1 Rock oder 20 Ellen Leinwand = x Röcke17).
Leinwand kömmt auf die Welt in Gestalt eines Gebrauchswerths
oder nützlichen Dings. Ihre steifleinene Körperlichkeit oder Natural-
form ist daher nicht ihre Werthform, sondern deren grades Gegen-
theil. Ihr eignes Werthsein zeigt sie zunächst dadurch, dass sie sich
auf eine andre Waare, den Rock, als ihr Gleichesbezieht. Wäre
sie nicht selbst Werth, so könnte sie sich nicht auf den Rock als Werth,
als Ihresgleichen, beziehn. Qualitativ setzt sie sich den Rock
gleich, indem sie sich auf ihn bezieht als Vergegenständlichung
gleichartiger menschlicher Arbeit, d. h. ihrer eignen
Werthsubstanz, und sie setzt sich nur einen Rock gleich statt
x Röcke, weil sie nicht nur Werth überhaupt, sondern Werth von be-
stimmter Grösse ist, ein Rock aber grade soviel Arbeit enthält als
20 Ellen Leinwand. Durch diese Beziehung auf den Rock schlägt die
Leinwand verschiedne Fliegen mit einer Klappe. Indem sie die andre
Waare sich als Werth gleichsetzt, bezieht sie sich auf sich
selbst als Werth. Indem sie sich auf sich selbst als Werth be-
zieht, unterscheidet sie sich zugleich von sich selbst als Ge-
brauchswerth. Indem sie ihre Werthgrösse — und Werthgrösse
ist beides, Werth überhaupt und quantitativ gemessner Werth — im
Rocke ausdrückt, giebt sie ihrem Werthsein eine von ihrem un-
mittelbaren Dasein unterschiedne Werthform. Indem sie sich so als ein
in sich selbst Differenzirtes darstellt, stellt sie sich erst wirklich als
Waare dar — nützliches Ding, das zugleich Werth ist. Soweit die
Leinwand Gebrauchswerth, ist sie ein selbstständiges Ding. Ihr
Werth erscheint dagegen nur im Verhältniss zu andrer Waare,
dem Rocke z. B., ein Verhältniss, worin die Waarenart Rock ihr quali-
tativ gleichgesetzt wird und daher in bestimmter Quantität
gleichgilt, sie ersetzt, mit ihr austauschbar ist. Eigne, vom Gebrauchs-
werth unterschiedne Form erhält der Werth daher nur durch
seine Darstellung als Tauschwerth.
Der Ausdruck des Leinwandwerths im Rocke prägt dem Rocke
selbst eine neue Form auf. In der That, was besagt die Werthform
der Leinwand? Dass der Rock mit ihr austauschbar ist. Wie er geht
oder liegt, mit Haut und Haaren, in seiner Naturalform Rock be-
sitzt er jetzt die Form unmittelbarer Austauschbarkeit mit
andrer Waare, die Form eines austauschbaren Gebrauchswerths oder
Aequivalents. Die Bestimmung des Aequivalents enthält nicht nur,
dass eine Waare Werth überhaupt ist, sondern dass sie in ihrer ding-
lichen Gestalt, in ihrer Gebrauchsform, andrer Waare als Werth
gilt und daher unmittelbar als Tauschwerth für die andre Waare
da ist.
Als Werth besteht die Leinwand nur aus Arbeit, bildet eine durch-
sichtig krystallisirte Arbeitsgallerte. In der Wirklichkeit ist dieser Kry-
stall jedoch sehr trüb. Soweit Arbeit in ihm zu entdecken, und nicht
jeder Waarenkörper zeigt die Spur der Arbeit, ist es nicht unterschiedslose
menschliche Arbeit, sondern Weberei, Spinnerei u. s. w., die auch keines-
wegs seine einzige Substanz bilden, vielmehr mit Naturstoffen verquickt
sind. Um Leinwand als bloss dinglichen Ausdruck menschlicher Arbeit
festzuhalten, muss man von allem absehn, was sie wirklich zum Ding
macht. Gegenständlichkeit der menschlichen Arbeit, die selbst abstrakt
ist, ohne weitere Qualität und Inhalt, ist nothwendig abstrakte Gegen-
ständlichkeit, ein Gedankending. So wird das Flachsgewebe zum
Hirngespinnst. Aber Waaren sind Sachen. Was sie sind, müssen
sie sachlich sein oder in ihren eignen sachlichen Beziehungen zeigen. In
der Produktion der Leinwand ist ein bestimmtes Quantum menschlicher
Arbeitskraft verausgabt worden. Ihr Werth ist der bloss gegenständ-
liche Reflex der so verausgabten Arbeit, aber er reflektirt sich nicht
in ihrem Körper. Er offenbart sich, erhält sinnlichen Ausdruck
durch ihr Werthverhältniss zum Rock. Indem sie ihn als
Werth sich gleichsetzt, während sie sich zugleich als Ge-
brauchsgegenstand von ihm unterscheidet, wird der Rock
die Erscheinungsform des Leinwand-Werths im Gegensatz zum
Leinwand-Körper, ihre Werthform im Unterschied von ihrer Na-
turalform18).
In dem relativen Werthausdruck: 20 Ellen Leinwand = 1 Rock
oder x Leinwand ist y Rockwerth, gilt der Rock zwar nur als Werth
oder Arbeitsgallerte, aber eben dadurch gilt die Arbeitsgallerte als Rock,
der Rock als die Form, worin menschliche Arbeit gerinnt18a). Der Ge-
brauchswerth Rock wird nur zur Erscheinungsform des Leinwand-Werths,
weil sich die Leinwand auf das Rockmaterial als unmittelbare
Materiatur abstrakter menschlicher Arbeit bezieht, also
Arbeit gleicher Art wie die in ihr selbst vergegenständlichte. Der
Gegenstand Rock gilt ihr als sinnlich handgreifliche Gegenständlichkeit
gleichartiger menschlicher Arbeit, daher als Werth in Naturalform. Da
sie als Werth gleichen Wesens mit dem Rock ist, wird die Naturalform
Rock so zur Erscheinungsform ihres eignen Werths. Aber die im Ge-
brauchswerth Rock dargestellte Arbeit ist nicht menschliche Arbeit
schlechthin, sondern eine bestimmte, nützliche Arbeit, Schneiderarbeit.
Menschliche Arbeit schlechthin, Verausgabung menschlicher Arbeitskraft,
ist zwar jeder Bestimmung fähig, aber an und für sich unbestimmt. Ver-
wirklichen, vergegenständlichen kann sie sich nur, sobald die menschliche
Arbeitskraft in bestimmter Form verausgabt wird, als bestimmte
Arbeit, denn nur der bestimmten Arbeit steht ein Naturstoff gegen-
über, ein äusseres Material, worin sie sich vergegenständlicht. Bloss der
Hegel’sche „Begriff“ bringt es fertig, sich ohne äussern Stoff zu objek-
tiviren19).
Die Leinwand kann sich nicht auf den Rock als Werth oder incar-
nirte menschliche Arbeit beziehn, ohne sich auf Schneider-
arbeit als die unmittelbare Verwirklichungsform mensch-
licher Arbeit zu beziehen. Was jedoch die Leinwand am Gebrauchs-
werth Rock interessirt, ist weder seine wollne Behäbigkeit, noch sein zu-
geknöpftes Wesen, noch irgend eine andre nützliche Qualität, die ihn zum
Gebrauchswerth stempelt. Er dient ihr nur dazu, ihre Werthgegenständ-
lichkeit im Unterschied von ihrer steifleinenen Gebrauchsgegenständlichkeit
darzustellen. Sie hätte denselben Zweck erreicht, wenn sie ihren Werth
in Assa Fötida oder Poudrette oder Stiefelwichse ausgedrückt. Die
Schneiderarbeit gilt ihr daher ebenfalls nicht, sofern sie zweckmäs-
sig produktive Thätigkeit, nützliche Arbeit, sondern nur sofern sie als
bestimmte Arbeit Verwirklichungsform, Vergegenständ-
lichungsweise menschlicher Arbeit überhaupt ist. Drückte
die Leinwand ihren Werth statt im Rock in Stiefelwichse aus, so gälte ihr
auch statt Schneidern Wichsen als die unmittelbare Verwirklichungsform
abstrakter menschlicher Arbeit19a). Erscheinungsform des Werths oder
Aequivalent wird ein Gebrauchswerth oder Waarenkörper also nur da-
durch, dass sich eine andere Waare auf die in ihm enthaltne konkrete,
nützliche Arbeitsart als die unmittelbare Verwirklichungsform abstrakter
menschlicher Arbeit bezieht.
Wir stehn hier bei dem Springpunkt aller Schwierigkeiten, welche
das Verständniss der Werthform hindern. Es ist relativ leicht, den
Werth der Waare von ihrem Gebrauchswerth zu unterscheiden, oder die
den Gebrauchswerth formende Arbeit von derselben Arbeit, so weit sie
bloss als Verausgabung mensehlicher Arbeitskraft im Waarenwerth berech-
net wird. Betrachtet man Waare oder Arbeit in der einen Form, so
nicht in der andern und vice versa. Diese abstrakten Gegensätze fallen
von selbst auseinander und sind daher leicht auseinander zu halten. An-
ders mit der Werthform, die nur im Verhältniss von Waare zu Waare
existirt. Der Gebrauchswerth oder Waarenkörper spielt hier eine neue
Rolle. Er wird zur Erscheinungsform des Waarenwerths, also seines
eignen Gegentheils. Ebenso wird die im Gebrauchswerth enthaltene kon-
krete nützliche Arbeit zu ihrem eignen Gegentheil, zur blossen Verwirk-
lichungsform abstrakter menschlicher Arbeit. Statt auseinanderzufal-
len, reflektiren sich die gegensätzlichen Bestimmungen der Waare hier in
einander. So befremdlich diess auf ersten Blick, erweist es sich bei wei-
terem Nachdenken als nothwendig. Die Waare ist von Haus aus ein
zwieschlächtig Ding, Gebrauchswerth und Werth, Produkt nütz-
licher Arbeit und abstrakte Arbeitsgallerte. Um sich darzustellen als
das was sie ist, muss sie daher ihre Form verdoppeln. Die Form
eines Gebrauchswerths besitzt sie von Natur. Es ist ihre Naturalform.
Werthform erwirbt sie erst im Umgang mit andren Waaren. Aber ihre
Werthform muss selbst wieder gegenständliche Form sein. Die ein-
zigen gegenständlichen Formen der Waaren sind ihre Gebrauchsgestalten,
ihre Naturalformen. Da nun die Naturalform einer Waare, der Leinwand
z. B., das grade Gegentheil ihrer Werthform ist, muss sie eine andre
Naturalform, die Naturalform einer andern Waare zu ihrer
Werthform machen. Was sie nicht unmittelbar für sich selbst, kann
sie unmittelbar für andre Waare und daher auf einem Umweg für sich
selbst thun. Sie kann ihren Werth nicht in ihrem eignen Körper oder in
ihrem eignen Gebrauchswerth ausdrücken, aber sie kann sich auf einen
andern Gebrauchswerth oder Waarenkörper als unmittelbares Werthdasein
beziehn. Sie kann sich nicht zu der in ihr selbst, wohl aber zu der in
andrer Waarenart enthaltenen konkreten Arbeit als blosser Verwirklichungs-
form abstrakter menschlicher Arbeit verhalten. Sie braucht dazu nur die
andre Waare sich als Aequivalent gleichzusetzen. Der Gebrauchs-
werth einer Waare existirt überhaupt nur für eine andre Waare, soweit er
in dieser Weise zur Erscheinungsform ihres Werths dient. Betrachtet
man in dem einfachen relativen Werthausdrucke: x Waare A = y Waare
B nur das quantitative Verhältniss, so findet man auch nur die oben
entwickelten Gesetze über die Bewegung des relativen Werths, die alle
darauf beruhn, dass die Werthgrösse der Waaren durch die zu ihrer Pro-
duktion nothwendige Arbeitszeit bestimmt ist. Betrachtet man aber das
Werthverhältniss der beiden Waaren nach seiner qualitativen Seite,
so entdeckt man in jenem einfachen Werthausdruck das Geheimniss der
Werthform und daher, in nuce, des Geldes20).
Unsre Analyse hat gezeigt, dass der relative Werthausdruck
einer Waare zwei verschiedne Werthformen einschliesst.
Die Leinwand drückt ihren Werth und ihre bestimmte Werthgrösse
im Rock aus. Sie stellt ihren Werth dar im Werthverhältniss zu
einer andern Waare, daher als Tauschwerth. Andrerseits die andre
Waare, der Rock, worin sie ihren Werth relativ ausdrückt, erhält eben
dadurch die Form eines mit ihr unmittelbar austauschbaren Gebrauchs-
werths oder Aequivalents. Beide Formen, relative Werthform
der einen Waare, Aequivalentform der andern, sind Formen des
Tauschwerths. Beide sind in der That nur Momente, wechsel-
seitig durcheinander bedingte Bestimmungen, desselben relativen
Werthausdrucks, aber polarisch vertheilt auf die zwei gleichgesetzten
Waarenextreme.
Quantitative Bestimmtheit ist nicht in der Aequivalentform
einer Waare eingeschlossen. Das bestimmte Verhältniss z. B., worin
Rock Aequivalent von Leinwand ist, entspringt nicht aus seiner Aequiva-
lentform, der Form seiner unmittelbaren Austauschbarkeit
mit der Leinwand, sondern aus der Bestimmung der Werthgrösse durch
Arbeitszeit. Die Leinwand kann ihren eignen Werth nur in Röcken dar-
stellen, indem sie sich auf ein bestimmtes Rockquantum als gegebenes
Quantum krystallisirter menschlicher Arbeit bezieht. Aendert sich der
Rockwerth, so ändert sich auch diese Beziehung. Damit sich aber der
relative Werth der Leinwand ändere, muss er vorhanden sein, und er kann
nur gebildet werden bei gegebenem Rockwerth. Ob die Leinwand ihren
eignen Werth nun in 1, 2 oder x Röcken darstellt, hängt unter dieser
Voraussetzung ganz von der Werthgrösse einer Elle Leinwand und der
Ellenanzahl ab, deren Werth in Rockform dargestellt werden soll. Die
Werthgrösse einer Waare kann sich nur im Gebrauchswerth einer
andern Waare ausdrücken, als relativer Werth. Die Form eines
unmittelbar austauschbaren Gebrauchswerths oder Aequivalents erhält
eine Waare dagegen umgekehrt nur als das Material, worin der Werth
einer andern Waare ausgedrückt wird.
Diese Unterscheidung ist getrübt durch eine charakteristische Eigen-
thümlichkeit des relativen Werthausdrucks in seiner einfachen oder ersten
Form. Die Gleichung: 20 Ellen Leinwand = 1 Rock, oder
20 Ellen Leinwand sind einen Rock werth, schliesst nämlich offenbar die
identische Gleichung ein: 1 Rock = 20 Ellen Leinwand, oder
1 Rock ist 20 Ellen Leinwand werth. Der relative Werthausdruck der
Leinwand, worin der Rock als Aequivalent figurirt, enthält also rück-
bezüglich den relativen Werthausdruck des Rocks, worin die Leinwand
als Aequivalent figurirt.
Obgleich beide Bestimmungen der Werthform oder beide Dar-
stellungsweisen des Waarenwerths als Tauschwerth nur relativ
sind, scheinen beide nicht in demselben Grad relativ. Im relativen
Werth der Leinwand: 20 Ellen Leinwand = 1 Rock, ist der Tausch-
werth der Leinwand ausdrücklich als ihre Beziehung auf eine andre
Waare dargestellt. Der Rock seinerseits ist zwar auch nur Aequiva-
lent, so weit sich die Leinwand auf ihn als Erscheinungsform ihres eig-
nen Werths und daher mit ihr unmittelbar Austauschbares bezieht. Nur
innerhalb dieser Beziehung ist er Aequivalent. Aber er verhält sich
passiv. Er ergreift keine Initiative. Er findet sich in Beziehung, weil
sich auf ihn bezogen wird. Der Charakter, der ihm aus dem Verhältniss
mit der Leinwand erwächst, erscheint daher nicht als Resultat seiner Be-
ziehung, sondern ohne sein Zuthun vorhanden. Noch mehr. Die
bestimmte Art und Weise, wie sich die Leinwand auf ihn bezieht,
ist ganz dazu gemacht, es ihm „anzuthun“, wäre er auch noch so beschei-
den und keineswegs das Produkt eines „tailor run mad with pride“. Die
Leinwand bezieht sich nämlich auf den Rock als sinnlich existirende Ma-
teriatur der menschlichen Arbeit in abstracto und daher als vorhandnen
Werthkörper. Er ist diess nur, weil und sofern sich die Leinwand in
dieser bestimmten Weise auf ihn bezieht. Sein Aequivalentsein
ist so zu sagen nur eine Reflexionsbestimmung der Leinwand.
Aber es scheint grade umgekehrt. Einerseits giebt er sich selbst nicht
die Mühe sich zu beziehn. Andrerseits bezieht sich die Leinwand auf ihn,
nicht um ihn zu etwas zu machen, sondern weil er ohne sie etwas ist.
Das fertige Produkt der Beziehung der Leinwand auf den Rock, seine
Aequivalentform, seine Bestimmtheit als unmittelbar austauschbarer Ge-
brauchswerth, scheint ihm daher auch ausserhalb der Beziehung zur
Leinwand dinglich anzugehören, ganz wie etwa seine Eigenschaft
warm zu halten. In der ersten oder einfachen Form des relativen
Werths: 20 Ellen Leinwand = 1 Rock, ist dieser falsche Schein noch
nicht befestigt, weil sie unmittelbar auch das Gegentheil aussagt,
dass der Rock Aequivalent der Leinwand und dass jede der beiden Waa-
ren diese Bestimmtheit nur besitzt, weil und sofern die andre sie zu ihrem
relativen Werthausdruck macht21).
In der einfachen Form des relativen Werths oder dem Ausdrucke der
Aequivalenz zweier Waaren, ist die Form entwicklung des Werths für
beide Waaren gleichmässig, obgleich jedesmal in entgegenge-
setzter Richtung. Der relative Werthausdruck ist ferner mit
Bezug auf jede der beiden Waaren einheitlich, denn die Leinwand
stellt ihren Werth nur in einer Waare dar, dem Rocke und vice versa,
aber für beide Waaren ist dieser Werthausdruck doppelt, verschieden
für jede derselben. Endlich ist jede der beiden Waaren nur Aequiva-
lent für die andre einzelne Waarenart. also nur einzelnes Aequi-
valent.
Solche Gleichung, wie 20 Ellen Leinwand = 1 Rock, oder
zwanzig Ellen Leinwand sind einen Rock werth, drückt offenbar den
Werth der Waare nur ganz beschränkt und einseitig aus. Vergleiche ich
die Leinwand z. B., statt mit Röcken, mit andern Waaren, so erhalte ich
auch andre relative Werthausdrücke, andre Gleichungen,
wie 20 Ellen Leinwand = u Kaffee, 20 Ellen Leinwand = v Thee
u. s. w. Die Leinwand hat eben so viele verschiedne relative
Werthausdrücke, als es von ihr verschiedne Waaren giebt und die
Zahl ihrer relativen Werthausdrücke wächst beständig mit der Zahl neu
auftretender Waarenarten22).
Die erste Form 20 Ellen Leinwand = 1 Rock gab zwei
relative Ausdrücke für den Werth zweier Waaren. Diese zweite
Form giebt für den Werth derselben Waare die bunteste Mosaik
relativer Ausdrücke. Auch scheint weder für den Ausdruck der Werth-
grösse irgend etwas gewonnen, denn in 20 Ellen Leinwand = 1 Rock
ist die Werthgrösse der Leinwand, die ja in jedem Ausdrucke dieselbe
bleibt, eben so erschöpfend dargestellt als in 20 Ellen Leinwand = u Thee
u. s. w., noch für die Formbestimmung des Aequivalents, denn in
20 Ellen Leinwand = u Kaffee u. s. w., sind Kaffee u. s. w. nur ein-
zelne Aequivalente, ganz wie es der Rock war.
Dennoch birgt diese zweite Form eine wesentliche Fortentwicklung.
Es liegt darin nämlich nicht nur, dass die Leinwand ihren Werth zufällig
bald in Rücken ausdrückt, bald in Kaffee u. s. w., sondern dass sie ihn
sowohl in Röcken als in Kaffee u. s. w. ausdrückt, entweder in
dieser Waare oder jener oder der dritten u. s. w. Die Weiterbestim-
mung zeigt sich, sobald diese zweite oder entfaltete Form des rela-
tiven Werthausdrucks in ihrem Zusammenhang dargestellt
wird. Wir erhalten dann:
II. Zweite oder entfaltete Form des relativen Werths:
Zunächst bildet offenbar die erste Form das Grundelement der
zweiten, denn letztere besteht aus vielen einfachen relativen Werthaus-
drücken, wie 20 Ellen Leinwand = 1 Rock, 20 Ellen Leinwand =
u Kaffee u. s. w.
In der ersten Form: 20 Ellen Leinwand = 1 Rock kann es
zufällige Thatsache scheinen, dass diese zwei Waaren in diesem bestimm-
ten quantitativen Verhältnisse austauschbar sind. In der
zweiten Form leuchtet dagegen sofort ein von der zufälligen Erscheinung
wesentlich unterschiedner und sie bestimmender Hintergrund durch. Der
Werth der Leinwand bleibt gleich gross, ob in Rock oder Kaffee oder
Eisen u. s. w. dargestellt, in zahllos verschiednen Waaren, den verschie-
densten Besitzern angehörig. Das zufällige Verhältniss zweier individuel-
ler Waarenbesitzer fällt fort. Es wird offenbar, dass nicht der Austausch
die Werthgrösse der Waare, sondern umgekehrt die Werthgrösse der
Waare ihre Austauschverhältnisse regulirt.
In dem Ausdruck: 20 Ellen Leinwand = 1 Rock galt der
Rock als Erscheinungsform der in der Leinwand vergegenständlichten
Arbeit. So wurde die in der Leinwand enthaltene Arbeit der im Rock
enthaltnen gleichgesetzt und daher als gleichartige menschliche Arbeit
bestimmt. Indess trat diese Bestimmung nicht ausdrücklich hervor.
Unmittelbar setzt die erste Form die in der Leinwand enthaltne Arbeit
nur der Schneiderarbeit gleich. Anders die zweite Form. In der end-
losen, stets verlängerbaren Reihe ihrer relativen Werthausdrücke bezieht
sich die Leinwand auf alle möglichen Waarenkörper als blosse Erschei-
nungsformen der in ihr selbst enthaltenen Arbeit. Hier ist der Leinwand-
Werth daher erst wahrhaft dargestellt als Werth, d. h. Krystall
menschlicher Arbeit überhaupt.
Die zweite Form besteht aus einer Summe von lauter Gleichungen
der ersten Form. Jede dieser Gleichungen, wie 20 Ellen Leinwand
= 1 Rock schliesst aber auch die Rückbeziehung ein: 1 Rock = 20 El-
len Leinwand, wo der Rock seinen Werth in der Leinwand und
eben dadurch die Leinwand als Aequivalent darstellt. Da diess nun von
jedem der zahllosen relativen Werthausdrücke der Leinwand gilt,
erhalten wir:
III. Dritte, umgekehrte oder rückbezogene zweite
Form des relativen Werths:
Der relative Werthausdruck der Waaren kehrt hier zurück
in seiner ursprünglichen Gestalt: 1 Rock = 20 Ellen Leinwand. Jedoch
ist diese einfache Gleichung jetzt weiter entwickelt. Ursprünglich ent-
hielt sie nur, dass der Rockwerth durch seinen Ausdruck in einer an-
dern Waare eine vom Gebrauchswerth Rock oder dem Rock-
körper selbst unterschiedne und unabhängige Form er-
hält. Jetzt stellt dieselbe Form den Rock auch allen andern Waaren
gegenüber als Werth dar und ist daher seine allgemein gültige Werth-
form. Nicht nur der Rock, sondern Kaffee, Eisen, Weizen, kurz alle
andern Waaren drücken ihren Werth jetzt im Material Leinwand
aus. Alle stellen sich so einander als dieselbe Materiatur
menschlicher Arbeit dar. Sie sind nur noch quantitativ ver-
schieden, wesswegen 1 Rock, u Kaffee, x Eisen u. s. w., d. h. ver-
schiedne Quanta dieser verschiednen Dinge = 20 Ellen Leinwand,
gleich demselben Quantum vergegenständlichter menschlicher Arbeit.
Durch ihren gemeinschaftlichen Werthausdruck im Material Leinwand
unterscheiden sich also alle Waaren als Tauschwerthe von ihren
eignen Gebrauchswerthen und beziehn sich zugleich auf einander
als Werthgrössen, setzen sich qualitativ gleich und verglei-
chen sich quantitativ. Erst in diesem einheitlichen relativen
Werthausdruck erscheinen sie alle für einander als Werthe und erhält
ihr Werth daher erst seine entsprechende Erscheinungsform als
Tauschwerth. Im Unterschied zur entfalteten Form des rela-
tiven Werths (Form II), die den Werth einer Waare im Umkreis aller
andern Waaren darstellt, nennen wir diesen einheitlichen Werth-
ausdruck die allgemeine relative Werthform.
In der Form II: 20 Ellen Leinwand = 1 Rock oder = u Kaffee
oder = v Thee oder = x Eisen u. s. w., worin die Leinwand ihren
relativen Werthausdruck entfaltet, bezieht sie sich auf jede einzelne
Waare, Rock, Kaffee u. s. w. als ein besondres Aequivalent und
auf alle zusammen als den Umkreis ihrer besondern Aequivalent-
formen. Ihr gegenüber gilt keine einzelne Waarenart noch als Aequiva-
lent schlechthin, wie im einzelnen Aequivalent, sondern nur als be-
sondres Aequivalent, wovon das eine das andre ausschliesst. In der
Form III, welche die rückbezogene zweite Form und also in ihr einge-
schlossen ist, erscheint die Leinwand dagegen als die Gattungsform
des Aequivalents für alle andern Waaren. Es ist als ob neben und ausser
Löwen, Tigern, Hasen und allen andern wirklichen Thieren, die gruppirt
die verschiednen Geschlechter, Arten, Unterarten, Familien u. s. w. des
Thierreichs bilden, auch noch das Thier existirte, die individuelle Incar-
nation des ganzen Thierreichs. Ein solches Einzelne, das in sich selbst alle
wirklich vorhandenen Arten derselben Sache einbegreift, ist ein Allgemei-
nes, wie Thier, Gott u. s. w. Wie die Leinwand daher einzelnes
Aequivalent wurde, dadurch dass sich eine andre Waare auf sie als
Erscheinungsform des Werths bezog, so wird sie als allen Waaren gemein-
schaftliche Erscheinungsform des Werths das allgemeine Aequiva-
lent, allgemeiner Werthleib, allgemeine Materiatur der
abstrakten menschlichen Arbeit. Die in ihr materialisirte be-
sondre Arbeit gilt daher jetzt als allgemeine Verwirklichungs-
form der menschlichen Arbeit, als allgemeine Arbeit.
Bei der Darstellung des Werths der Waare A in der Waare B, wo-
durch die Waare B einzelnes Aequivalent wird, war es gleichgül-
tig, von welcher besondern Sorte die Waare B. Nur musste die Kör-
perlichkeit der Waare B andrer Art sein als die der Waare A, daher
auch Produkt andrer nützlicher Arbeit. Indem der Rock seinen
Werth in Leinwand darstellte, bezog er sich auf Leinwand als die ver-
wirklichte menschliche Arbeit, und eben dadurch auf Leine-
weberei als die Verwirklichungsform der menschlichen
Arbeit, aber die besondre Bestimmtheit, welche Leineweberei von
andern Arbeitsarten unterscheidet, war durchaus gleichgültig. Sie
musste nur andrer Art sein als die Schneiderarbeit und im übrigen eine
bestimmte Arbeitsart. Anders sobald die Leinwand allgemeines
Aequivalent wird. Dieser Gebrauchswerth in seiner besondern
Bestimmtheit, wodurch er Leinwand im Unterschied von allen andern
Waarenarten, Kaffee, Eisen u. s. w., wird jetzt die allgemeine Werthform
aller andern Waaren und daher allgemeines Aequivalent. Die
in ihm dargestellte besondre nützliche Arbeitsart gilt daher jetzt als
allgemeine Verwirklichungsform der menschlichen Ar-
beit, als allgemeine Arbeit, grade soweit sie Arbeit von besondrer
Bestimmtheit ist, Leineweberei im Unterschied nicht nur von Schnei-
derarbeit, sondern von Kaffeebau, Minenarbeit und allen andern Arbeits-
arten. Umgekehrt gelten alle andren Arbeitsarten, im relativen
Werthausdruck der Leinwand, des allgemeinen Aequivalents (Form
II), nur noch als besondre Verwirklichungsformen der mensch-
lichen Arbeit.
Als Werthe sind die Waaren Ausdrücke derselben Einheit,
der abstrakten menschlichen Arbeit. In der Form des Tauschwerths
erscheinen sie einander als Werthe und beziehn sich auf einander
als Werthe. Sie beziehn sich damit zugleich auf die abstrakte mensch-
liche Arbeit als ihre gemeinsame gesellschaftliche Substanz.
Ihr gesellschaftliches Verhältniss besteht ausschliesslich darin ein-
ander als nur quantitativ verschiedne, aber qualitativ gleiche und daher
durch einander ersetzbare und mit einander vertauschbare Ausdrücke dieser
ihrer gesellschaftlichen Substanz zu gelten. Als nützliches Ding besitzt
eine Waare gesellschaftliche Bestimmtheit, soweit sie Gebrauchswerth für
andre ausser ihrem Besitzer ist, also gesellschaftliche Bedürfnisse befrie-
digt. Aber gleichgültig, auf wessen Bedürfnisse ihre nützlichen Eigen-
schaften sie beziehn, sie wird durch dieselben immer nur auf mensch-
liche Bedürfnisse bezogener Gegenstand, nicht Waare für
andre Waaren. Nur was blosse Gebrauchsgegenstände in Waaren
verwandelt, kann sie als Waaren auf einander beziehn und daher in
gesellschaftlichen Rapport setzen. Es ist diess aber ihr Werth.
Die Form, worin sie sich als Werthe, als menschliche Arbeitsgallerte
gelten, ist daher ihre gesellschaftliche Form. Gesellschaft-
liche Form der Waare und Werthform oder Form der Aus-
tauschbarkeit sind also eins und dasselbe. Ist die Naturalform einer
Waare zugleich Werthform, so besitzt sie die Form unmittelbarer
Austauschbarkeit mit andern Waaren und daher unmittelbar
gesellschaftliche Form.
Die einfache relative Werthform (Form I) 1 Rock =
20 Ellen Leinwand unterscheidet sich von der allgemeinen relati-
ven Werthform 1 Rock = 20 Ellen Leinwand nur dadurch, dass
diese Gleichung jetzt ein Glied der Reihe bildet
Sie unterscheidet sich also in der That nur dadurch, dass die Leinwand
aus einem einzelnen zum allgemeinen Aequivalent fortent-
wickelt ist. Wenn also im einfachen relativen Werthausdrucke nicht
die Waare, die ihre Werthgrösse ausdrückt, sondern die Waare,
worin Werthgrösse ausgedrückt wird, die Form unmittelbarer
Austauschbarkeit, Aequivalentform, also unmittelbar gesell-
schaftliche Form erhält, so gilt dasselbe für den allgemeinen relativen
Werthausdruck. Aber in der einfachen relativen Werthform ist dieser
Unterschied nur noch formell und verschwindend. Wenn in 1 Rock =
20 Ellen Leinwand der Rock seinen Werth relativ, nämlich in Leinwand
ausdrückt und die Leinwand dadurch Aequivalentform erhält, so schliesst
dieselbe Gleichung unmittelbar die Rückbeziehung ein: 20 Ellen Lein-
wand = 1 Rock, worin der Rock die Aequivalentform erhält und der
Werth der Leinwand relativ ausgedrückt wird. Diese gleichmässige und
gegenseitige Entwicklung der Werthform beider Waaren als relativer
Werth und als Aequivalent findet jetzt nicht länger statt. Wird die all-
gemeine relative Werthform 1 Rock = 20 Ellen Leinwand, wo die Leinwand
allgemeines Aequivalent, umgekehrt in 20 Ellen Leinwand =
1 Rock, so wird der Rock dadurch nicht allgemeines Aequivalent für alle
andern Waaren, sondern nur ein besondres Aequivalent der Leinwand.
Allgemein ist die relative Werthform des Rocks nur, weil sie zugleich
die relative Werthform aller andern Waaren. Was vom Rock, gilt vom
Kaffee u. s. w. Es folgt daher, dass die allgemeine relative Werthform
der Waaren sie selbst von der allgemeinen Aequivalentform ausschliesst.
Umgekehrt ist eine Waare, wie Leinwand, sobald sie die allgemeine
Aequivalentform besitzt, von der allgemeinen relativen Werthform ausge-
schlossen. Die allgemeine, mit den andern Waaren einheitliche relativc
Werthform der Leinwand wäre: 20 Ellen Leinwand = 20 Ellen Lein-
wand. Diess ist aber eine Tautologie, welche die Werthgrösse dieser
in allgemeiner Aequivalentform und daher in stets austauschbarer Form
befindlichen Waare nicht ausdrückt. Vielmehr wird die entfaltete
relative Werthform: 20 Ellen Leinwand = 1 Rock oder = u Kaffee
oder = v Thee oder = u. s. w. jetzt zum specifischen relativen
Werthausdrucke des allgemeinen Aequivalents.
In dem allgemeinen relativen Werthausdruck der Waaren besitzt jede
Waare, Rock, Kaffee, Thee u. s. w. eine von ihrer Naturalform ver-
schiedne Werthform, nämlich die Form Leinwand. Und eben in dieser
Form beziehn sie sich auf einander als Austauschbare und in quantitativ
bestimmten Verhältnissen Austauschbare, denn wenn 1 Rock = 20 Ellen
Leinwand, u Kaffee = 20 Ellen Leinwand u. s. w., so ist auch 1 Rock
= u Kaffee u. s. w. Indem alle Waaren sich in einer und derselben
Waare als Werthgrössen bespiegeln, wiederspiegeln sie sich wechselseitig
als Werthgrössen. Aber die Naturalformen, die sie als Gebrauchsgegen-
stände besitzen, gelten ihnen wechselseitig nur auf diesem Umweg, also
nicht unmittelbar als Erscheinungsformen des Werths. Sowie sie unmittel-
bar sind, sind sie daher nicht unmittelbar austauschbar. Sie besitzen also
nicht die Form unmittelbarer Austauschbarkeit für einander
oder ihre gesellschaftlich gültige Form ist eine vermittelte.
Umgekehrt. Indem alle andern Waaren auf Leinwand als Erscheinungs-
form des Werths sich beziehen, wird die Naturalform der Leinwand die
Form ihrer unmittelbaren Austauschbarkeit mit allen Waa-
ren, daher unmittelbar ihre allgemein gesellschaftliche
Form.
Eine Waare erhält nur die allgemeine Aequivalentform,
weil und sofern sie allen andern Waaren zur Darstellung ihrer allge-
meinen relativen, daher nicht unmittelbaren Werthform dient.
Waaren müssen sich aber relative Werthform überhaupt geben, weil ihre
Naturalformen nur ihre Gebrauchswerthformen, und sie müssen sich ein-
heitliche, daher allgemeine relative Werthform geben, um sich alle als
Werthe, als gleichartige Gallerten menschlicher Arbeit auf einander zu
beziehen. Eine Waare befindet sich daher nur in der Form unmittel-
barer Austauschbarkeit mit allen andern Waaren und daher in unmittelbar
gesellschaftlicher Form, weil und sofern alle andern Waaren sich
nicht darin befinden, oder weil die Waare überhaupt sich von Haus aus
nicht in unmittelbar austauschbarer oder gesellschaftlicher Form befindet,
indem ihre unmittelbare Form die Form ihres Gebrauchswerths, nicht ihres
Werthes.
Man sieht es der Form allgemeiner unmittelbarer Aus-
tauschbarkeit in der That keineswegs an, dass sie eine gegensätz-
liche Waarenform ist, von der Form nicht unmittelbarer Austausch-
barkeit ebenso unzertrennlich, wie die Positivität eines Magnetpols von der
Negativität des andern. Man kann sich daher einbilden, man könne allen
Waaren zugleich den Stempel unmittelbarer Austauschbarkeit aufdrücken,
wie man sich auch einbilden kann, man könne alle Arbeiter zu Kapita-
listen machen. In der That aber sind allgemeine relative Werth-
form und allgemeine Aequivalentform die gegensätzlichen, sich
wechselweis voraussetzenden und wechselweis abstossenden Pole dersel-
ben gesellschaftlichen Form der Waaren23).
Als unmittelbar gesellschaftliche Materiatur der
Arbeit ist die Leinwand, das allgemeine Aequivalent, Materiatur
unmittelbar gesellschaftlicher Arbeit, während die andern
Waarenkörper, welche ihren Werth in Leinwand darstellen, Materiaturen
nicht unmittelbar gesellschaftlicher Arbeiten sind.
In der That sind alle Gebrauchswerthe nur Waaren, weil Produkte
von einander unabhängiger Privatarbeiten, Privatarbeiten,
die jedoch als besondere, wenn auch verselbständigte, Glieder des natur-
wüchsigen Systems der Theilung der Arbeit stofflich von einander
abhängen. Sie hängen so gesellschaftlich zusammen grade durch ihre
Verschiedenheit, ihre besondre Nützlichkeit. Eben dess-
wegen produciren sie qualitativ verschiedne Gebrauchswerthe. Wenn
nicht, so würden diese Gebrauchswerthe nicht zu Waaren für einander.
Andrerseits macht diese verschiedne nützliche Qualität Produkte noch
nicht zu Waaren. Producirt eine bäuerliche Familie für ihren eignen
Consum Rock und Leinwand und Weizen, so treten diese Dinge der Fa-
milie als verschiedne Produkte ihrer Familienarbeit gegenüber, aber nicht
sich selbst wechselseitig als Waaren. Wäre die Arbeit unmittelbar
gesellschaftliche, d. h. gemeinsame Arbeit, so erhielten die Pro-
dukte den unmittelbar gesellschaftlichen Charakter eines Gemeinprodukts
für ihre Producenten, aber nicht den Charakter von Waaren für einander.
Indess haben wir hier nicht weit zu suchen, worin die gesellschaftliche
Form der in den Waaren enthaltenen und von einander unabhängigen
Privatarbeiten besteht. Sie ergab sich bereits aus der Analyse der
Waare. Ihre gesellschaftliche Form ist ihre Beziehung auf einander als
gleiche Arbeit, also, da die Gleichheit toto coelo verschiedner
Arbeiten nur in einer Abstraktion von ihrer Ungleichheit be-
stehen kann, ihre Beziehung auf einander als menschliche Arbeit
überhaupt, Verausgabungen menschlicher Arbeitskraft,
was alle menschlichen Arbeiten, welches immer ihr Inhalt und ihre Opera-
tionsweise, in der That sind. In jeder gesellschaftlichen Arbeitsform
sind die Arbeiten der verschiednen Individuen auch als menschliche auf
einander bezogen, aber hier gilt diese Beziehung selbst als die
specifisch gesellschaftliche Form der Arbeiten. Nun besitzt
aber keine dieser Privatarbeiten in ihrer Naturalform diese specifisch ge-
sellschaftliche Form abstrakter menschlicher Arbeit, so wenig wie die
Waare in ihrer Naturalform die gesellschaftliche Form blosser Arbeits-
gallerte, oder des Werthes, besitzt. Dadurch aber dass die Naturalform
einer Waare, hier der Leinwand, allgemeine Aequivalentform wird, weil
sich alle andern Waaren auf dieselbe als Erscheinungsform ihres eignen
Werths beziehn, wird auch die Leinweberei zur allgemeinen Verwirk-
lichungsform abstrakter menschlicher Arbeit oder zu Arbeit in unmittelbar
gesellschaftlicher Form. Der Massstab der „Gesellschaftlichkeit“ muss
aus der Natur der jeder Produktionsweise eigenthümlichen Verhältnisse,
nicht aus ihr fremden Vorstellungen entlehnt werden. Wie vorhin gezeigt
ward, dass die Waare von Natur die unmittelbare Form allgemeiner Aus-
tauschbarkeit ausschliesst und die allgemeine Aequivalentform daher nur
gegensätzlich entwickeln kann, so gilt dasselbe für die in den Waaren
steckenden Privatarbeiten. Da sie nicht unmittelbar gesellschaft-
liche Arbeit sind, so ist erstens die gesellschaftliche Form eine
von den Naturalformen der wirklichen nützlichen Arbeiten unterschiedne,
ihnen fremde, und abstrakte Form, und zweitens erhalten alle Arten Pri-
vatarbeit ihren gesellschaftlichen Charakter nur gegensätzlich,
indem sie alle einer ausschliesslichen Art Privatarbeit, hier der Leinewebe-
rei, gleichgesetzt werden. Dadurch wird letztere die unmittelbare
und allgemeine Erscheinungsform abstrakter menschlicher Arbeit und so
Arbeit in unmittelbar gesellschaftlicher Form. Sie stellt sich daher auch
unmittelbar in einem gesellschaftlich geltenden und allgemein austausch-
baren Produkt dar.
Der Schein, als ob die Aequivalentform einer Waare aus ihrer eignen
dinglichen Natur entspringe, statt blosser Reflex der Beziehungen der an-
dern Waaren zu sein, befestigt sich mit der Fortbildung des einzelnen
Aequivalents zum allgemeinen, weil die gegensätzlichen Momente der
Werthform sich nicht mehr gleichmässig für die auf einander bezog-
nen Waaren entwickeln, weil die allgemeine Aequivalentform eine Waare
als etwas ganz apartes von allen andern Waaren scheidet und endlich weil
diese ihre Form in der That nicht mehr das Produkt der Beziehung irgend
einer einzelnen andern Waare ist.
Indess ist auf unserm jetzigen Standpunkt das allgemeine Aequiva-
lent noch keineswegs verknöchert. Wie wurde in der That die Leinwand
in das allgemeine Aequivalent verwandelt? Dadurch, dass sie ihren Werth
erst in einer einzelnen Waare (Form I), dann in allen andern Waaren der
Reihe nach relativ darstellte (Form II), und so rückbezüglich alle
andern Waaren in ihr ihre Werthe relativ darstellten (Form III). Der
einfache relative Werthausdruck war der Keim, woraus sich die allgemeine
Aequivalentform der Leinwand entwickelte. Innerhalb dieser Entwicklung
ändert sie die Rolle. Sie beginnt damit, ihre Werthgrösse in einer
andern Waare darzustellen und endet damit zum Material für den Werth-
ausdruck aller andern Waaren zu dienen. Was von der Leinwand, gilt
von jeder Waare. In ihrem entfalteten relativen Werthausdrucke (Form
II), der nur aus ihren vielen, einfachen Werthausdrücken besteht,
figurirt die Leinwand noch nicht als allgemeines Aequivalent. Vielmehr
bildet hier jeder andre Waarenkörper ihr Aequivalent, ist daher un-
mittelbar austauschbar mit ihr und kann also die Stelle mit ihr wechseln.
Wir erhalten daher schliesslich:
Form IV:
Aber jede dieser Gleichungen rückbezogen ergiebt Rock, Kaffee,
Thee u. s. w. als allgemeines Aequivalent, daher den Werthausdruck in
Rock, Kaffee, Thee u. s. w. als allgemeine relative Werthform aller andern
Waaren. Die allgemeine Aequivalentform kommt immer nur einer Waare
zu im Gegensatz zu allen andern Waaren; aber sie kommt jeder Waare
im Gegensatz zu allen andern zu. Stellt aber jede Waare ihre eigne Na-
turalform allen andern Waaren gegenüber als allgemeine Aequivalentform,
so schliessen alle Waaren alle von der allgemeinen Aequivalentform aus
und daher sich selbst von der gesellschaftlich gültigen Darstellung ihrer
Werthgrössen.
Man sieht: die Analyse der Waare ergiebt alle wesentlichen
Bestimmungen der Werthform und die Werthform selbst in ihren gegen-
sätzlichen Momenten, die allgemeine relative Werthform, die
allgemeine Aequivalentform, endlich die nie abschliessende
Reihe einfacher relativer Werthausdrücke, welche erst eine
Durchgangsphase in der Entwicklung der Werthform bildet, um schliess-
lich in die specifisch relative Werthform des allgemeinen
Aequivalents umzuschlagen. Aber die Analyse der Waare ergab diese
Formen als Waarenformen überhaupt, die also auch jeder Waare
zukommen, nur gegensätzlich, so dass wenn die Waare A sich in der
einen Formbestimmung befindet, die Waaren B, C u. s. w. ihr gegen-
über die andere annehmen. Das entscheidend Wichtige aber war den
inneren nothwendigen Zusammenhang zwischen Werthform, Werthsub-
stanz und Werthgrösse zu entdecken, d. h. ideell ausgedrückt, zu
beweisen, dass die Werthform aus dem Werthbegriff entspringt24).
Eine Waare scheint auf den ersten Blick ein selbstverständliches,
triviales Ding. Ihre Analyse ergiebt, dass sie ein sehr vertracktes Ding
ist, voller metaphysischer Spitzfindigkeit und theologischer Mucken. Als
blosser Gebrauchswerth ist sie ein sinnliches Ding, woran nichts My-
steriöses, ob ich sie nun unter dem Gesichtspunkt betrachte, dass ihre
Eigenschaften menschliche Bedürfnisse befriedigen oder dass sie erst als
Produkt menschlicher Arbeit diese Eigenschaften erhält. Es liegt ab-
solut nichts räthselhaftes darin, dass der Mensch durch seine Thätigkeit
die Formen der Naturstoffe in einer ihm nützlichen Weise verändert.
Die Form des Holzes z. B. wird verändert, wenn man aus ihm einen Tisch
macht. Nichtsdestoweniger bleibt der Tisch Holz, ein ordinäres sinn-
liches Ding. Aber sobald er als Waare auftritt, verwandelt er sich in
ein sinnlich übersinnliches Ding. Er steht nicht nur mit seinen Füssen
auf dem Boden, sondern er stellt sich allen andern Waaren gegenüber auf
den Kopf und entwickelt aus seinem Holzkopf Grillen, viel wunderlicher,
als wenn er aus freien Stücken zu tanzen begänne25).
Der mystische Charakter der Waare entspringt also nicht aus ihrem
Gebrauchswerth. Er entspringt ebensowenig aus den Werth bestimmun-
gen, für sich selbst betrachtet. Denn erstens, wie verschieden die nütz-
lichen Arbeiten oder produktiven Thätigkeiten sein mögen, es ist eine
physiologische Wahrheit, dass sie Funktionen eines specifisch
menschlichen Organismus im Unterschied von andern Organismen
sind, und dass jede solche Funktion, welches immer ihr Inhalt und ihre
Form, wesentlich Verausgabung von menschlichem Hirn, Nerv,
Muskel, Sinnesorgan u. s. w. ist. Was zweitens der Bestimmung der
Werthgrösse zu Grunde liegt, die Zeitdauer jener Verausgabung oder
die Quantität der Arbeit, so ist die Quantität sogar sinnfällig von der
Qualität der Arbeit unterscheidbar. In allen Zuständen musste die
Arbeitszeit, welche die Produktion der Lebensmittel kostet, den Men-
schen interessiren, obgleich nicht gleichmässig auf verschiednen Entwick-
lungsstufen. Endlich, sobald die Menschen in irgend einer Weise für ein-
ander arbeiten, erhält ihre Arbeit auch eine gesellschaftliche Form.
Nehmen wir den Robinson auf seiner Insel. Bescheiden, wie er von
Haus aus ist, hat er doch verschiedenartige Bedürfnisse zu befriedigen und
muss daher nützliche Arbeiten verschiedner Art verrichten,
Werkzeuge machen, Möbel fabriciren, Lama zähmen, fischen, jagen u. s. w.
Vom Beten u. dgl. sprechen wir hier nicht, da unser Robinson daran sein
Vergnügen findet und derartige Thätigkeit als Erholung betrachtet. Trotz
der Verschiedenheit seiner produktiven Funktionen weiss er, dass sie nur
verschiedne Bethätigungsformen desselben Robinson, also nur verschiedne
Weisen menschlicher Arbeit sind. Die Noth selbst zwingt ihn, seine
Zeit genau zwischen seinen verschiednen Funktionen zu vertheilen. Ob
die eine mehr, die andre weniger Raum in seiner Gesammtthätigkeit ein-
nimmt, hängt ab von der grössern oder geringern Schwierigkeit, die zur
Erzielung des bezweckten Nutzeffekts zu überwinden ist. Die Erfahrung
lehrt ihm das und unser Robinson, der Uhr, Hauptbuch, Tinte und Feder
aus dem Schiffbruch gerettet, beginnt als guter Engländer bald Buch über
sich selbst zu führen. Sein Inventarium enthält ein Verzeichniss der Ge-
brauchsgegenstände, die er besitzt, der verschiednen Verrichtungen,
die zu ihrer Produktion erheischt sind, endlich der Arbeitszeit, die
ihm bestimmte Quanta dieser verschiednen Produkte im Durchschnitt
kosten. Alle Beziehungen zwischen Robinson und den Dingen, die seinen
selbstgeschaffnen Reichthum bilden, sind hier so einfach und durchsichtig,
dass selbst Herr M. Wirth sie ohne besondre Geistesanstrengung verstehn
dürfte. Und dennoch sind darin alle wesentlichen Bestimmungen des
Werths enthalten.
Setzen wir nun an die Stelle Robinson’s einen Verein freier Menschen,
die mit gemeinschaftlichen Produktionsmitteln arbeiten und ihre vielen in-
dividuellen Arbeitskräfte selbstbewusst als eine gesellschaftliche Arbeits-
kraft verausgaben. Alle Bestimmungen von Robinson’s Arbeit wieder-
holen sich, nur gesellschaftlich, statt individuell. Ein wesent-
licher Unterschied tritt jedoch ein. Alle Produkte Robinson’s waren sein
ausschliesslich persönliches Produkt und daher unmittelbar Gebrauchs-
gegenstände für ihn. Das Gesammtprodukt des Vereins ist ein gesell-
schaftliches Produkt. Ein Theil dieses Produkts dient wieder als
Produktionsmittel. Er bleibt gesellschaftlich. Aber ein anderer Theil
wird als Lebensmittel von den Vereinsgliedern verzehrt. Er muss daher
unter sie vertheilt werden. Die Art dieser Vertheilung wird wech-
seln mit der besondern Art des gesellschaftlichen Produktionsorganismus
selbst und der entsprechenden geschichtlichen Entwicklungshöhe der Produ-
zenten. Nur zur Parallele mit der Waarenproduktion setzen wir voraus,
der Antheil jedes Produzenten an den Lebensmitteln sei bestimmt durch
seine Arbeitszeit. Die Arbeitszeit würde also eine doppelte Rolle
spielen. Ihre gesellschaftlich planmässige Vertheilung regelt die richtige
Proportion der verschiednen Arbeitsfunktionen zu den verschiednen Be-
dürfnissen. Andrerseits dient die Arbeitszeit zugleich als Mass des indi-
viduellen Antheils des Produzenten an der Gemeinarbeit und daher auch
an dem individuell verzehrbaren Theil des Gemeinprodukts. Die gesell-
schaftlichen Beziehungen der Menschen zu ihren Arbeiten und ihren Ar-
beitsprodukten blieben hier durchsichtig einfach, in der Produktion sowohl
als in der Distribution.
Woher also der räthselhafte Charakter des Arbeitsprodukts, sobald
es die Form der Waare annimmt?
Wenn die Menschen ihre Produkte auf einander als Werthe beziehn,
sofern diese Sachen für bloss sachliche Hüllen gleichartig mensch-
licher Arbeit gelten, so liegt darin zugleich umgekehrt, dass ihre ver-
schiednen Arbeiten nur als gleichartige menschliche Arbeit gelten in
sachlicher Hülle. Sie beziehn ihre verschiednen Arbeiten auf ein-
ander als menschliche Arbeit, indem sie ihre Produkte auf einander
als Werthe beziehn. Die persönliche Beziehung ist versteckt durch
die sachliche Form. Es steht daher dem Werth nicht auf der Stirn
geschrieben, was er ist. Um ihre Produkte auf einander als Waaren zu
beziehn, sind die Menschen gezwungen, ihre verschiednen Arbeiten abstrakt
menschlicher Arbeit gleichzusetzen. Sie wissen das nicht, aber sie thun
es, indem sie das materielle Ding auf die Abstraktion Werth reduciren.
Es ist diess eine naturwüchsige und daher bewusstlos instinktive Opera-
tion ihres Hirns, die aus der besondern Weise ihrer materiellen Produktion
und den Verhältnissen, worin diese Produktion sie versetzt, nothwendig
herauswächst. Erst ist ihr Verhältniss praktisch da. Zweitens aber,
weil sie Menschen sind, ist ihr Verhältniss als Verhältniss für
sie da. Die Art, wie es für sie da ist, oder sich in ihrem Hirn reflektirt,
entspringt aus der Natur des Verhältnisses selbst. Später suchen sie
durch die Wissenschaft hinter das Geheimniss ihres eignen gesellschaft-
lichen Produkts zu kommen, denn die Bestimmung eines Dings als Werth
ist ihr Produkt, so gut wie die Sprache. Was nun ferner die Werth-
grösse betrifft, so werden die unabhängig von einander betriebenen, aber,
weil Glieder der naturwüchsigen Theilung der Arbeit, allsei-
tig von einander abhängigen Privatarbeiten dadurch fortwährend auf ihr
gesellschaftlich proportionelles Mass reducirt, dass sich in den zufälligen
und stets schwankenden Austauschverhältnissen ihrer Pro-
dukte die zu deren Produktion gesellschaftlich nothwendige Arbeitszeit
als regelndes Naturgesetz gewaltsam durchsetzt, wie etwa das Gesetz
der Schwere, wenn einem das Haus über dem Kopf zusammenpurzelt26).
Die Bestimmung der Werthgrösse durch die Arbeitszeit ist daher unter
den erscheinenden Bewegungen der relativen Waarenwerthe verstecktes
Geheimniss. Die eigne gesellschaftliche Bewegung der Produzenten be-
sitzt für sie die Form einer Bewegung von Sachen, unter deren Controle
sie stehn, statt sie zu controliren. Was nun endlich die Werthform
betrifft, so ist es ja grade diese Form, welche die gesellschaftlichen Be-
ziehungen der Privatarbeiter und daher die gesellschaftlichen Bestimmt-
heiten der Privatarbeiten sachlich verschleiert, statt sie zu offen-
baren. Wenn ich sage, Rock, Stiefel u. s. w. beziehn sich auf Leinwand
als allgemeine Materiatur abstrakter menschlicher Arbeit, so springt die
Verrücktheit dieses Ausdrucks ins Auge. Aber wenn die Produzenten
von Rock, Stiefel u. s. w. diese Waaren auf die Leinwand als allgemei-
nes Aequivalent beziehn, erscheint ihnen die gesellschaftliche Bezie-
hung ihrer Privatarbeiten genau in dieser verrückten Form.
Derartige Formen bilden eben die Kategorien der bürgerlichen
Oekonomie. Es sind gesellschaftlich gültige, also objektive Gedan-
kenformen für Produktionsverhältnisse dieser historisch bestimm-
ten gesellschaftlichen Produktionsweise.
Die Privatproduzenten treten erst in gesellschaftlichen Contakt ver-
mittelst ihrer Privatprodukte, der Sachen. Die gesellschaftlichen Be-
ziehungen ihrer Arbeiten sind und erscheinen daher nicht als unmit-
telbar gesellschaftliche Verhältnisse der Personen in ihren Arbeiten, son-
dern als sachliche Verhältnisse der Personen oder gesellschaft-
liche Verhältnisse der Sachen. Die erste und allgemeinste Dar-
stellung der Sache als eines gesellschaftlichen Dings ist aber die
Verwandlung des Arbeitsprodukts in Waare.
Der Mysticismus der Waare entspringt also daraus, dass den Privat-
produzenten die gesellschaftlichen Bestimmungen ihrer Privat-
arbeiten als gesellschaftliche Naturbestimmtheiten der
Arbeitsprodukte, dass die gesellschaftlichen Produktions-
verhältnisse der Personen als gesellschaftliche Verhält-
nisse der Sachen zu einander und zu den Personen erscheinen. Die
Verhältnisse der Privatarbeiter zur gesellschaftlichen Gesammtarbeit ver-
gegenständlichen sich ihnen gegenüber und existiren daher für sie
in den Formen von Gegenständen. Für eine Gesellschaft von
Waarenproducenten, deren allgemein gesellschaftliches Produktionsver-
hältniss darin besteht, sich zu ihren Produkten als Waaren, also als
Werthen zu verhalten, und in dieser sachlichen Form ihre Privat-
arbeiten auf einander zu beziehn als gleiche menschliche Arbeit,
ist das Christenthum, mit seinem Kultus des abstrakten Menschen,
namentlich in seiner bürgerlichen Entwicklung, dem Protestantismus, Deis-
mus u. s. w., die entsprechendste Religionsform. In den altasiati-
schen, antiken u. s. w. Produktionsweisen spielt die Verwandlung des
Produkts in Waare, und daher das Dasein der Menschen als Waarenpro-
duzenten, eine untergeordnete Rolle, die jedoch um so bedeutender wird,
je mehr die Gemeinwesen in das Stadium ihres Untergangs treten. Eigent-
liche Handelsvölker existiren nur in den Intermundien der alten Welt, wie Epi-
kurs Götter, oder wie Juden in den Poren der polnischen Gesellschaft. Jene
alten gesellschaftlichen Produktionsorganismen sind ausserordentlich viel
einfacher und durchsichtiger als der bürgerliche, aber sie beruhen entweder
auf der Unreife des individuellen Menschen, der sich von der Nabelschnur
des natürlichen Gattungszusammenhangs mit Andern noch nicht losgerissen
hat, oder auf unmittelbaren Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnissen.
Sie sind bedingt durch eine niedrige Entwicklungsstufe der Produktivkräfte
der Arbeit und entsprechend befangene Verhältnisse der Menschen inner-
halb ihres materiellen Lebenserzeugungsprozesses, daher zu einander und
zur Natur. Diese wirkliche Befangenheit spiegelt sich ideell wieder in
den alten Natur- und Volksreligionen. Der religiöse Wiederschein
der wirklichen Welt kann nur verschwinden, sobald die Verhältnisse des
praktischen Werkeltagslebens den Menschen tagtäglich durchsichtig ver-
nünftige Beziehungen zu einander und zur Natur darstellen. Die Ver-
hältnisse können sich aber nur als das darstellen, was sie sind. Die Ge-
stalt des gesellschaftlichen Lebensprozesses, d. h. des materiellen Pro-
duktionsprozesses, streift nur ihren mystischen Nebelschleier ab, sobald
sie als Produkt frei vergesellschafteter Menschen unter deren bewusster
planmässiger Controle steht. Dazu ist jedoch eine materielle Grundlage
der Gesellschaft erheischt oder eine Reihe materieller Existenzbedingungen,
welche selbst wieder das naturwüchsige Produkt einer langen und qual-
vollen Entwicklungsgeschichte sind.
Die politische Oekonomie hat nun zwar, wenn auch unvollkommen27),
Werth und Werthgrösse analysirt. Sie hat niemals auch nur die Frage
gestellt, warum sich die Arbeit im Werth und das Mass der Arbeit
durch ihre Zeitdauer in der Werthgrösse darstellt? Formen, denen es
auf der Stirn geschrieben steht, dass sie einer Gesellschaftsformation an-
gehören, worin der Produktionsprozess die Menschen, der Mensch noch
nicht den Produktionsprozess bemeistert, gelten ihrem bürgerlichen Be-
wusstsein für eben so selbstverständliche Naturnothwendigkeit als die pro-
duktive Arbeit selbst. Vorbürgerliche Formen des gesellschaftlichen Pro-
duktionsorganismus werden daher von ihr behandelt, wie etwa von den
Kirchenvätern vorchristliche Religionen28).
Wie sehr ein Theil der Oekonomen von dem der Waarenwelt ankle-
benden Fetischismus oder dem gegenständlichen Schein der gesell-
schaftlichen Arbeitsbestimmungen getäuscht wird, beweist u. a. der
langweilig abgeschmackte Zank über die Rolle der Natur in der Bil-
dung des Tauschwerths. Da Tauschwerth eine bestimmte gesellschaft-
liche Manier ist, die auf ein Ding verwandte Arbeit auszudrücken, kann
er nicht mehr Naturstoff enthalten als etwa der Wechselkurs.
Als allgemeinste und unentwickeltste Form der bürgerlichen Pro-
duktion, welche desswegen auch schon in früheren Produktionsperioden
erscheint, obgleich nicht in derselben herrschenden, also charakteristischen
Weise, war die Waarenform noch relativ leicht zu durchschauen.
Aber konkretere Formen, wie das Kapital z. B.? Der Fetischismus der
klassischen Oekonomie wird hier handgreiflich.
Um jedoch nicht vorzugreifen, genüge hier noch ein Beispiel bezüg-
lich der Waarenform selbst. Man hat gesehn, dass in der Beziehung von
Waare auf Waare, z. B. von Stiefel auf Stiefelknecht, der Gebrauchswerth
des Stiefelknechts, also die Nützlichkeit seiner wirklichen dinglichen
Eigenschaften dem Stiefel durchaus gleichgültig ist. Nur als Erschei-
nungsform ihres eignen Werths interessirt die Stiefelwaare der Stiefel-
knecht. Könnten die Waaren also sprechen, so würden sie sagen, unser
Gebrauchswerth mag den Menschen interessiren. Er kömmt uns nicht
als Dingen zu. Was uns aber dinglich zukömmt, ist unser Werth.
Unser eigner Verkehr als Waarendinge beweist das. Wir beziehn uns
nur als Tauschwerthe auf einander. Man höre nun, wie der Oekonom aus
der Waarenseele heraus spricht: „Werth (Tauschwerth) ist Eigen-
schaft der Dinge, Reichthum (Gebrauchswerth) des Menschen. Werth
in diesem Sinn schliesst nothwendig Austausch ein, Reichthum nicht29).“
„Reichthum (Gebrauchswerth) ist ein Attribut des Menschen, Werth
ein Attribut der Waaren. Ein Mensch oder ein Gemeinwesen ist
reich; eine Perle oder Diamant ist werthvoll … Eine Perle oder
Diamant hat Werth als Perle oder Diamant30).“ Bisher hat
noch kein Chemiker Tauschwerth in Perle oder Diamant entdeckt. Unsere
Verfasser, die besondern Anspruch auf kritische Tiefe machen, finden aber,
dass der Gebrauchswerth der Sachen unabhängig von ihren sachlichen
Eigenschaften, dagegen ihr Tauschwerth ihnen als Sachen zukömmt.
Was sie hierin bestätigt, ist der sonderbare Umstand, dass der Gebrauchs-
werth der Dinge sich für den Menschen ohne Austausch realisirt,
also im unmittelbaren Verhältniss zwischen Ding und Mensch, ihr
Werth umgekehrt nur im Austausch, d. h. in einem gesell-
schaftlichen Prozess. Wer erinnert sich hier nicht des guten
Dogberry, der den Nachtwächter Seacoal belehrt: „Ein gut aussehender
Mann zu sein, ist eine Gabe der Umstände, aber Lesen und Schreiben
zu können, kömmt von Natur31)“.
Die Waare ist unmittelbare Einheit von Gebrauchs-
werth und Tauschwerth, also zweier Entgegengesetzten. Sie ist
daher ein unmittelbarer Widerspruch. Dieser Widerspruch muss
sich entwickeln, sobald sie nicht wie bisher analytisch bald unter dem
Gesichtspunkt des Gebrauchswerths, bald unter dem Gesichtspunkt des
Tauschwerths betrachtet, sondern als ein Ganzes wirklich auf andere
Waaren bezogen wird. Die wirkliche Beziehung der Waaren aufein-
ander ist aber ihr Austauschprozess.
Die Waaren können nicht selbst zu Markte gehn und sich nicht selbst
austauschen. Wir müssen uns also nach ihren Hütern umsehn, den
Waarenbesitzern. Die Waaren sind Dinge und daher widerstands-
los gegen den Menschen. Wenn sie nicht willig, kann er Gewalt brau-
chen, in andern Worten sie nehmen32). Um diese Dinge als Waaren auf
einander zu beziehn, müssen die Waarenhüter sich aufeinander als Per-
sonen beziehn, deren Willen ein Dasein in jenen Dingen hat, sodass
Jeder nur mit seinem Willen und dem Willen des andern, beide also nur
mit ihrem gemeinschaftlichen Willen sich die fremde Waare aneignen, in-
dem sie die eigne veräussern und die eigne veräussern, um sich die fremde
anzueignen. Sie müssen sich daher wechselseitig als Privateigen-
thümer anerkennen. Diess Rechtsverhältniss, dessen Form der
Vertrag ist, ob nun legal entwickelt oder nicht, ist nur das Willens-
verhältniss, worin sich das ökonomische Verhältniss wiederspiegelt.
Der Inhalt dieses Rechts- oder Willensverhältnisses ist durch
das ökonomische Verhältniss selbst gegeben33). Die Personen beziehn
sich hier nur auf einander, indem sie gewisse Sachen als Waaren auf
einander beziehn. Alle Bestimmungen dieser Beziehung sind also in der
Bestimmung der Sache als Waare enthalten. Der eine Mensch existirt
hier nur für den andern als Repräsentant von Waare und daher als Waa-
renbesitzer. Wir werden überhaupt im Fortgang der Entwicklung
finden, dass die ökonomischen Charaktermasken der Personen nur die Perso-
nifikationen der ökonomischen Verhältnisse sind, als deren Träger sie sich
gegenübertreten.
Was den Waarenbesitzer namentlich von der Waare unterscheidet,
ist der Umstand, dass ihr der Gebrauchswerth jeder andern Waare nur
als Erscheinungsform ihres eignen Werths gilt. Geborner Leveller und
Cyniker steht sie daher stets auf dem Sprung mit jeder andern Waare, sei
selbe auch ausgestattet mit mehr Unannehmlichkeiten als Maritorne, nicht
nur die Seele, sondern den Leib zu wechseln. Diesen der Waare man-
gelnden Sinn für das Konkrete des Waarenkörpers ergänzt der Waaren-
besitzer durch seine eignen fünf und mehr Sinne. Seine Waare hat für
ihn keinen unmittelbaren Gebrauchswerth. Sonst führte er sie nicht zu
Markt. Sie hat Gebrauchswerth für andre. Für ihn hat sie unmittel-
bar nur den Gebrauchswerth Träger von Tauschwerth und so
Tauschmittel zu sein34). Darum will er sie veräussern für Waare,
deren Gebrauchswerth ihm genüge thut. Alle Waaren sind Nicht-
Gebrauchswerthe für ihre Besitzer, Gebrauchswerthe
für ihre Nicht-Besitzer. Sie müssen also allseitig die Hände
wechseln. Aber dieser Händewechsel bildet ihren Austausch und ihr Aus-
tausch bezieht sie als Werthe auf einander und realisirt sie als Werthe.
Die Waaren müssen sich daher als Werthe realisiren, bevor sie
sich als Gebrauchswerthe realisiren können.
Andrerseits müssen sie sich als Gebrauchswerthe bewähren,
bevorsie sich als Werthe realisiren können. Denn die auf
sie verausgabte menschliche Arbeit zählt nur, soweit sie in nützlicher Form
verausgabt und zwar nützliche Arbeit für andre ist. Ob sie andern nütz-
lich, ihr Produkt daher fremde Bedürfnisse befriedigt, kann aber nur ihr
Austausch beweisen.
Jeder Waarenbesitzer will seine Waare nur veräussern gegen andre
Waare, deren Gebrauchswerth sein Bedürfniss befriedigt. Sofern ist der
Austausch für ihn nur individueller Prozess. Andrerseits will er
seine Waare als Werth realisiren, also in jeder ihm beliebigen andern
Waare von demselben Werth, ob seine eigne Waare nun für den
Besitzer der andern Waare Gebrauchswerth habe oder nicht. Sofern
ist der Austausch für ihn allgemein gesellschaftlicher Prozess.
Aber derselbe Prozess kann nicht gleichzeitig für alle Waarenbesitzer nur
individuell und zugleich nur allgemein gesellschaftlich sein.
Sehn wir näher zu, so gilt jedem Waarenbesitzer jede fremde Waare
als besondres Aequivalent seiner Waare, seine Waare daher als
allgemeines Aequivalent aller andern Waaren. Da aber alle
Waarenbesitzer dasselbe thun, ist keine Waare allgemeines Aequi-
valent und besitzen die Waaren daher auch keine allgemeine relative
Werthform, worin sie sich als Werthe gleichsetzen und als Werth-
grössen vergleichen. Sie stehn sich daher überhaupt nicht gegenüber
als Waaren, sondern nur als Produkte oder Gebrauchswerthe.
In ihrer Verlegenheit denken unsre Waarenbesitzer wie Faust. Im
Anfang war die That. Sie haben daher schon gehandelt, bevor sie ge-
dacht haben. Die Gesetze der Waarennatur bethätigen sich im Natur-
instinkt der Waarenbesitzer. Sie können ihre Waaren nur als Werthe und
darum nur als Waaren auf einander beziehn, indem sie dieselben gegen-
sätzlich auf irgend eine andre Waare als allgemeines Aequi-
valent beziehn. Das ergab die Analyse der Waare. Aber nur die
gesellschaftliche That kann eine bestimmte Waare zum allge-
meinen Aequivalent machen. Die gesellschaftliche Action aller
andern Waaren schliesst daher eine bestimmte Waare aus, worin sie
allseitig ihre Werthe darstellen. Dadurch wird die Naturalform dieser
Waare gesellschaftlich gültige Aequivalentform. Allgemeines Aequi-
valent zu sein wird durch den gesellschaftlichen Prozess zur speci-
fisch gesellschaftlichen Funktion der ausgeschlossenen
Waare. So wird sie — Geld. „Illi unum consilium habent et virtutem
et potestatem suam bestiae tradunt. Et ne quis possit emere aut vendere,
nisi qui habet characterem aut nomen bestiae, aut numerum nominis ejus.“
(Apocalypse.)
Der Geldkrystall ist nothwendiges Produkt des Austauschpro-
zesses der Waaren. Der immanente Widerspruch der Waare als unmit-
telbarer Einheit von Gebrauchswerth und Tauschwerth, als Produkt
nützlicher Privatarbeit, die ein nur vereinzeltes Glied eines natur-
wüchsigen Gesammtsystems der nützlichen Arbeiten oder der Theilung
der Arbeit bildet, und als unmittelbar gesellschaftliche Ma-
teriatur abstrakter menschlicher Arbeit — dieser Wider-
spruch ruht und rastet nicht, bis er sich zur Verdopplung der
Waare in Waare und Geld gestaltet hat. In demselben Masse da-
her, worin sich die Verwandlung der Arbeitsprodukte in Waaren,
vollzieht sich die Verwandlung von Waare in Geld35).
Der unmittelbare Produktenaustausch hat einerseits die
Form des einfachen relativen Werthausdrucks und hat sie andrerseits noch
nicht. Jene Form war: x Waare A = y Waare B. Die Form des un-
mittelbaren Produktenaustauschs ist: x Gebrauchsgegenstand A = y Ge-
brauchsgegenstand B36). Die Dinge A und B sind hier nicht Waaren
vor dem Austausch, sondern werden es erst durch denselben. Die erste
Weise, worin ein Gebrauchsgegenstand der Möglichkeit nach Tauschwerth
ist, ist sein Dasein als Nicht-Gebrauchswerth, als die unmittel-
baren Bedürfnisse seines Besitzers überschiessendes Quantum von Ge-
brauchswerth. Dinge sind an und für sich dem Menschen äusserlich und
daher veräusserlich. Damit diese Veräusserung wechselseitig,
brauchen Menschen nur stillschweigend als Privateigenthümer jener ver-
äusserlichen Dinge und eben dadurch als von einander unabhängige Per-
sonen einander gegenübertreten. Solch ein Verhältniss wechselseitiger
Fremdheit existirt jedoch nicht für die Glieder eines naturwüchsigen Ge-
meinwesens, habe es nun die Form einer patriarchalischen Familie, einer
altindischen Gemeinde, eines Inkastaates u. s. w. Der Waarenaustausch
beginnt, wo die Gemeinwesen enden, an den Punkten ihres Contakts mit
fremden Gemeinwesen oder Gliedern fremder Gemeinwesen. Sobald Dinge
aber einmal im auswärtigen, werden sie auch rückschlagend im innern Ge-
meinleben zu Waaren. Ihr quantitatives Austauschverhält-
niss ist zunächst ganz zufällig. Austauschbar sind sie durch den
Willensakt ihrer Besitzer sie wechselseitig zu veräussern. Sie erhal-
ten daher die Form Austauschbarer, bevor sie als Werthe entwickelt
sind. Indess setzt sich das Bedürfniss für fremde Gebrauchsgegenstände
allmälig fest. Die beständige Wiederholung des Austauschs macht ihn zu
einem regelmässigen gesellschaftlichen Prozess. Im Laufe der Zeit muss
daher wenigstens ein Theil der Arbeitsprodukte absichtlich zum Behuf
des Austauschs producirt werden. Von diesem Augenblick befestigt sich
einerseits die Scheidung zwischen der Nützlichkeit der Dinge für den un-
mittelbaren Bedarf und ihrer Nützlichkeit zum Austausch. Ihr Gebrauchs-
werth scheidet sich von ihrem Tauschwerthe. Andrerseits wird das quan-
titative Verhältniss, worin sie sich austauschen, von ihrer Produktion selbst
abhängig. Die Gewohnheit fixirt sie als Werthgrössen.
Im unmittelbaren Produktenaustausch ist jede Waare unmittelbar
Tauschmittel für ihren Besitzer, Aequivalent für ihren Nichtbesitzer, jedoch
nur so weit sie Gebrauchswerth für ihn. Der Tauschartikel erhält also
noch keine von seinem eignen Gebrauchswerth oder dem individuellen
Bedürfniss der Austauscher unabhängige Werthform. Die Nothwendig-
keit dieser Form entwickelt sich mit der wachsenden Anzahl und Mannig-
faltigkeit der in den Austauschprozess eintretenden Waaren. Die Aufgabe
entspringt gleichzeitig mit den Mitteln ihrer Lösung. Ein Verkehr, wel-
cher die Waarenbesitzer treibt, ihre eigenen Artikel mit verschiedenen
andern Artikeln auszutauschen und daher zu vergleichen, findet niemals
statt, ohne dass verschiedene Waaren von verschiedenen Waarenbesitzern
innerhalb ihres Verkehrs mit einer und derselben dritten Waaren-
art ausgetauscht und als Werthe verglichen werden. Solche dritte Waare,
indem sie Aequivalent für verschiedene andere Waaren wird, erhält
unmittelbar, wenn auch in engen Grenzen, allgemeine oder gesellschaft-
liche Aequivalentform. Diese allgemeine Aequivalentform entsteht und ver-
geht mit dem augenblicklichen gesellschaftlichen Contakt, der sie ins
Leben rief. Abwechselnd und flüchtig kommt sie dieser und jener Waare
zu. Mit der Entwicklung des Waarenaustauschs heftet sie sich aber aus-
schliesslich fest an besondere Waarenarten, oder krystallisirt zur
Geldform. An welcher Waarenart sie kleben bleibt, ist zunächst zu-
fällig. Jedoch entscheiden im Grossen und Ganzen zwei Umstände. Die
Geldform heftet sich entweder an die wichtigsten Eintauschartikel
aus der Fremde, welche in der That naturwüchsige Erscheinungsfor-
men des Tauschwerths der einheimischen Produkte sind. Oder an den
Gebrauchsgegenstand, welcher das Hauptelement des einheimischen ver-
äusserlichen Besitzthums bildet, wie Vieh z. B. Nomadenvölker ent-
wickeln zuerst die Geldform, weil all ihr Hab und Gut sich in beweg-
licher, daher unmittelbar veräusserlicher Form befindet, und weil ihre
Lebensweise sie beständig mit fremden Gemeinwesen in Contakt bringt,
daher zum Produktenaustausch sollicitirt. Die Menschen haben oft den
Menschen selbst in der Gestalt des Sklaven zum ursprünglichen Geldmate-
rial gemacht, aber niemals den Grund und Boden. Solche Idee
konnte nur in bereits ausgebildeter bürgerlicher Gesellschaft aufkommen.
Sie datirt vom letzten Drittheil des 17. Jahrhunderts und ihre Ausfüh-
rung, auf nationalem Massstab, wurde erst ein Jahrhundert später in der
bürgerlichen Revolution der Franzosen versucht.
In demselben Verhältniss, worin der Waarenaustausch seine nur
lokalen Bande sprengt, der Waarenwerth sich daher zur Materiatur
menschlicher Arbeit überhaupt ausweitet, geht die Geldform
auf Waaren über, die von Natur zur gesellschaftlichen Funktion eines all-
gemeinen Aequivalents taugen, auf die edlen Metalle.
Dass nun, „obgleich Gold und Silber nicht von Natur Geld, Geld
von Natur Gold und Silber ist“37), zeigt die Congruenz ihrer Natur-
eigenschaften mit seinen Funktionen38). Bisher kennen wir aber nur
die eine Funktion des Geldes, als Erscheinungsform des Waarenwerths
zu dienen oder als das Material, worin die Werthgrössen der Waaren
sich gesellschaftlich ausdrücken. Adäquate Erscheinungsform von Werth
oder Materiatur abstrakter und daher gleicher menschlicher Arbeit kann
nur eine Materie sein, deren sämmtliche Exemplare dieselbe gleichförmige
Qualität besitzen. Andrerseits, da der Unterschied der Werthgrössen
rein quantitativ ist, verschiedne Quanta geronnener Arbeitszeit aus-
drückt, muss die Geldwaare rein quantitativer Unterschiede fähig, also
nach Willkühr theilbar und aus ihren Theilen wieder zusammensetzbar
sein. Gold und Silber besitzen aber diese Eigenschaften von Natur.
Der Gebrauchswerth der Geldwaare verdoppelt sich. Neben
ihrem besondern Gebrauchswerth als Waare, wie Gold z. B. zum Aus-
stopfen hohler Zähne, Rohmaterial von Luxusartikeln u. s. w. dient, er-
hält sie einen formalen Gebrauchswerth, der aus ihren specifischen gesell-
schaftlichen Funktionen entspringt.
Da alle andern Waaren nur besondere Aequivalente des Geldes, das
Geld ihr allgemeines Aequivalent, verhalten sie sich als besondre
Waaren zum Geld als der allgemeinen Waare39).
Man hat gesehn, dass die Geldform nur der an einer Waare fest-
haftende Reflex der Beziehungen aller andern Waaren. Dass Geld
Waare ist40), ist also nur eine Entdeckung für den, der von seiner fer-
tigen Gestalt ausgeht, um sie hinterher zu analysiren. Der Austausch-
prozess giebt der Waare, die er in Geld verwandelt, nicht ihren Werth,
sondern ihre spezifische Werthform. Die Verwechslung beider Bestim-
mungen verleitete dazu, den Werth von Gold und Silber für imaginär
zu halten41). Weil Geld in bestimmten Funktionen durch blosse Zeichen
seiner selbst ersetzt werden kann, entsprang der andere Irrthum, es sei
ein blosses Zeichen. Andrerseits lag darin die Ahnung, dass die Geld-
form des Dings ihm selbst äusserlich und blosse Erscheinungsform
dahinter versteckter menschlicher Verhältnisse. In diesem Sinn wäre jede
Waare ein Zeichen, weil als Werth nur sachliche Hülle der auf sie
verausgabten menschlichen Arbeit42). Indem man aber die gesellschaft-
lichen Charaktere, welche Sachen oder die sachlichen Charaktere, welche
gesellschaftliche Bestimmungen der Arbeit auf Grundlage
einer bestimmten Produktionsweise erhalten, für blosse Zeichen, erklärt
man sie zugleich für willkührliches Reflexionsprodukt der Menschen. Es
war diess beliebte Aufklärungsmanier des 18. Jahrhunderts, um den räth-
selhaften Gestalten menschlicher Verhältnisse, deren Entstehungsprozess
es noch nicht entziffern konnte, vorläufig wenigstens den Schein der Fremd-
heit abzustreifen.
Es ward vorhin bemerkt, dass die Aequivalentform einer Waare die
quantitative Bestimmung ihrer Werthgrösse nicht einschliesst.
Weiss man, dass Gold Geld, daher mit allen andern Waaren unmittelbar
austauschbar ist, so weiss man desswegen nicht, wie viel z. B. 10 Pfund
Gold werth sind. Wie jede Waare kann das Geld seine eigne Werth-
grösse nur relativ in andern Waaren ausdrücken. Sein eigner Werth
ist bestimmt durch die zu seiner Produktion erheischte Arbeitszeit und
drückt sich in dem Quantum jeder andern Waare aus, worin gleichviel
Arbeitszeit geronnen ist43). Diese Festsetzung seiner relativen Werth-
grösse findet statt an seiner Produktionsquelle in unmittelbarem Tausch-
handel. Sobald es als Geld in den Austauschprozess eintritt, ist sein
Werth bereits gegeben. Wenn es schon in den letzten Decennien des
17. Jahrhunderts weit überschrittener Anfang der Geldanalyse, zu wissen,
dass Geld Waare ist, so aber auch nur der Anfang. Die Schwierigkeit
liegt nicht darin zu begreifen, dass Geld Waare, sondern wie, warum, wo-
durch Waare Geld ist44).
Wir sahen, wie schon in dem einfachsten Ausdruck des Tausch-
werths: x Waare A = y Waare B, das Ding, worin die Werthgrösse
eines andern Dings dargestellt wird, seine Aequivalentform unabhängig von
dieser Beziehung als gesellschaftliche Natureigenschaft zu besitzen
scheint. Wir verfolgten die Befestigung dieses falschen Scheins. Er ist
vollendet, sobald die allgemeine Aequivalentform mit der Naturalform einer
besondern Waarenart verwachsen oder zur Geldform krystallisirt ist.
Eine Waare scheint nicht erst Geld zu werden, weil die andern Waaren
allseitig ihre Werthe in ihr darstellen, sondern sie scheinen umgekehrt all-
gemein ihre Werthe in ihr darzustellen, weil sie Geldist. Die vermit-
telnde Bewegung verschwindet in ihrem eignen Resultat und lässt keine
Spur zurück. Ohne ihr Zuthun finden die Waaren ihre eigne Werthge-
stalt fertig vor als einen ausser und neben ihnen existirenden Waaren-
körper. Diese Dinge, Gold und Silber, wie sie aus den Eingeweiden der
Erde herauskommen, sind zugleich die unmittelbare Incarnation aller
menschlichen Arbeit. Daher die Magie des Geldes. Das bloss atomi-
stische Verhalten der Menschen in ihrem gesellschaftlichen Produk-
tionsprozess und daher die von ihrer Controle und ihrem bewussten indi-
viduellen Thun unabhängige, sachliche Gestalt ihrer eignen Produk-
tionsverhältnisse erscheinen zunächst darin, dass ihre Arbeitsprodukte all-
gemein die Waarenform annehmen. Das Räthsel des Geld-
fetischs ist daher nur das sichtbar gewordne, die Augen blendende
Räthsel des Waarenfetischs selbst.
Ich setze überall in dieser Schrift, der Vereinfachung halber, Gold
als die Geldwaare voraus.
Dadurch dass sich die Waaren in Gold ihren allgemeinen relativen
Werthausdruck geben, funktionirt das Gold ihnen gegenüber als Mass
der Werthe. Die Waaren werden nicht durch das Geld commensurabel.
Umgekehrt. Weil alle Waaren als Werthe vergegenständ-
lichte menschliche Arbeit, daher an und für sich commensurabel
sind, können sie sich alle in irgend einer dritten Waare messen und diese
dadurch in ihr gemeinschaftliches Werthmass oder Geld verwandeln. Geld
als Werthmass ist aber nothwendige Erscheinungsform des
immanenten Werthmasses der Waaren, der Arbeitszeit45).
Der einfache relative Werthausdruck der Waaren in
Geld — x Waare A = y Geldwaare — ist ihr Preis. In ihren Prei-
sen erscheinen die Waaren erstens als Werthe, qualitativ Gleiche,
Materiatur derselben Arbeit oder dieselbe Materiatur der
Arbeit, Gold, zweitens als quantitativ bestimmte Werthgrös-
sen, denn in der Proportion, worin sie gleich bestimmten Goldquanta,
sind sie einander gleich oder stellen gleiche Arbeitsquanta vor. Andrer-
seits wird der entfaltete relative Werthausdruck oder die end-
lose Reihe relativer Werthausdrücke zur spezifisch relativen
Werthform der Geldwaare. Diese Reihe ist aber jetzt schon ge-
geben in den Waarenpreisen. Man lese die Quotationen eines Preiscou-
rants rückwärts und man findet die Werthgrösse des Geldes in allen mög-
lichen Waaren dargestellt. Die Reihe hat auch neuen Sinn erhalten.
Das Gold, weil Geld, besitzt bereits in seiner Naturalform die allgemeine
Aequivalentform oder die Form allgemeiner unmittelbarer Austauschbar-
keit unabhängig von seinen relativen Werthausdrücken. Ihre Reihe stellt
jetzt daher zugleich, ausser seiner Werthgrösse, die entfaltete Welt des
stofflichen Reichthums oder der Gebrauchswerthe vor, worin es un-
mittelbar umsetzbar ist. Geld hat dagegen keinen Preis. Um an
dieser einheitlichen relativen Werthform der andern Waaren theilzu-
nehmen, müsste es auf sich selbst als sein eignes Aequivalent bezogen
werden.
Für die Bewegung der Waarenpreise gelten die früher gegebnen
Gesetze des einfachen relativen Werthausdrucks. Die Waarenpreise
können nur allgemein steigen, bei gleichbleibendem Geldwerth, wenn die
Waarenwerthe steigen, bei gleichbleibenden Waarenwerthen, wenn der
Geldwerth fällt. Umgekehrt. Die Waarenpreise können nur allge-
mein fallen, bei gleichbleibendem Geldwerth, wenn die Waarenwerthe
fallen, bei gleichbleibenden Waarenwerthen, wenn der Geldwerth steigt.
Es folgt daher keineswegs, dass steigender Geldwerth proportionelles Sin-
ken der Waarenpreise und fallender Geldwerth proportionelles Steigen der
Waarenpreise bedingt. Diess gilt nur für Waaren von unverändertem
Werth. Solche Waaren z. B., deren Werth gleichmässig und gleichzeitig
steigt mit dem Geldwerth, behalten dieselben Preise. Steigt ihr Werth
langsamer oder rascher als der Geldwerth, so wird der Fall oder das Stei-
gen ihrer Preise beschränkt durch die Differenz zwischen ihrer
Werthbewegung und der des Geldes u. s. w.
Die preisbestimmte Waare hat doppelte Form, reelle und
vorgestellte oder ideelle. Ihre wirkliche Gestalt ist die eines Ge-
brauchsgegenstandes, eines Produkts konkreter nützlicher Ar-
beit, z. B. Eisen. Ihre Werthgestalt, ihre Erscheinungsform als Mate-
riatur eines bestimmten Quantums gleichartiger menschlicher
Arbeit, ist ihr Preis, ein Quantum Gold. Aber Gold ist vom Eisen ver-
schiednes Ding und in seinem Preise bezieht das Eisen sich selbst
auf Gold als ein andres Ding, das jedoch ihm Werth-Gleiches ist.
Der Preis oder die Geldform der Waare existirt nur in dieser gleichsetzen-
den Beziehung, also so zu sagen nur in ihrem Kopfe, und ihr Besitzer
muss seine Zunge in ihren Kopf stecken oder ihr Papierzettel anhängen,
um ihren Preis für die Aussenwelt vorzustellen46). Die Form ihres
Werths ist daher vorgestellte, ideelle Geldform im Unterschied zur hand-
greiflich reellen Körperform ihres Gebrauchswerths. Da die Waaren so
ihre Werthe nur ideell im Geld ausdrücken, drücken sie dieselben auch in
nur vorgestelltem oder ideellem Geld aus. Mass der Werthe ist das
Geld daher nur als vorgestelltes ideelles Geld. Jeder Waaren-
besitzer weiss, dass er kein wirkliches Gold verbraucht, wenn er Waaren
in Gold schätzt oder dem Waarenwerth die Form des Waarenpreises
giebt. Obgleich nun das Geld als Werthmass nur ideell funktionirt,
hängt der Preis dennoch ganz vom reellen Geldmaterial ab. Denn
eine Waare, eine Tonne Eisen z. B., wird in ihrem Preise als Materiatur
eines bestimmten Quantums Arbeit auf bestimmtes Quantum Geldmaterial
als Materiatur desselben Quantums Arbeit bezogen, aber dasselbe
Quantum Arbeit materialisirt sich in ganz verschiednen Quanta Gold, Sil-
ber oder Kupfer. Der Werth einer Tonne Eisen erhält also ganz ver-
schiedne Preisausdrücke, je nachdem Gold, Silber oder Kupfer als Werth-
mass funktionirt.
Die preisbestimmten Waaren stellen sich alle dar in der Form:
a Waare A = x Gold; b Waare B = z Gold, c Waare C = y Gold u. s. w.,
wo a, b, c bestimmte Masse der Waarenarten A, B, C, x, z, y be-
stimmte Masse des Goldes. Die Waarenwerthe sind daher ver-
wandelt in vorgestellte Goldquanta von verschiedner Grösse,
also, trotz der wirren Buntheit der Waarenkörper, in gleichnamige
Grössen, Goldgrössen. Verschiedne Goldquanta, weil gleichnamige
Grössen, vergleichen und messen sich unter einander, indem sie auf ein
fixirtes Quantum Gold als ihre Masseinheit bezogen werden. Diese
Masseinheit selbst wird durch weitere Eintheilung in aliquote Theile zum
Massstab fortentwickelt. Solche Massstäbe besassen Gold, Silber, Kupfer
bereits in ihren Metallgewichten, bevor sie Geld wurden. Ihr vor-
gefundener metallischer Gewichtmassstab dient daher ursprünglich auch
stets in ihrer Geldfunktion.
Die Geldnamen der Metallgewichte trennen sich jedoch nach und
nach von ihren ursprünglichen Gewichtnamen aus verschiedenen
Gründen, darunter historisch entscheidend: 1) Einführung fremden
Geldes bei minder entwickelten Völkern, wie z. B. im alten Rom Silber-
und Goldmünzen zuerst als ausländische Waaren circulirten. Die Namen
dieses fremden Gelds sind von den einheimischen Gewichtnamen verschie-
den. 2) Mit der Entwicklung des Reichthums wird das minder edle Metall
durch das edlere aus der Funktion des Werthmasses verdrängt, Kupfer
durch Silber, Silber durch Gold, so sehr diese Reihenfolge aller poetischen
Chronologie widersprechen mag46a). Pfund war nun z. B. Geldname
für ein wirkliches Pfund Silber. Sobald Gold das Silber als Werthmass
verdrängt, hängt sich derselbe Name vielleicht an u. s. w. Pfund
Gold, je nach dem Werthverhältniss von Gold und Silber. Pfund als
Geldname und als gewöhnlicher Gewichtname des Goldes sind jetzt ge-
trennt. 3) Die Jahrhunderte lang fortgesetzte Geldfälschung der
Fürsten, welche vom ursprünglichen Gewicht der Geldmünzen in der
That nur den Namen zurückliess.
Diese historischen Prozesse machen die Trennung des Geldnamens
der Metallgewichte von ihrem gewöhnlichen Gewichtnamen zur Volksge-
wohnheit. Bei definitiver Reglung des Geldmassstabs, die einerseits rein
conventionell ist, andrerseits gesetzlicher Allgemeinheit und Zwangsgültig-
keit bedarf, versteht es sich zuletzt von selbst, dass die Staatsautorität
einen bestimmten Gewichttheil des edlen Metalls, z. B. eine Unze Gold, als
Gewichteinheit fixirt und diese abtheilt in aliquote Theile, denen sie belie-
bige legale Taufnamen beilegt, wie Pfund, Thaler u. s. w. Solcher ali-
quote Theil, der dann als die eigentliche Masseinheit des Geldes gilt, wird
weiter getheilt und untergetheilt in andre aliquote Theile, die ihrerseits
gesetzliche Taufnamen erhalten, wie Shilling, Penny u. s. w. Nach wie
vor bleiben bestimmte Metallgewichte Massstab des Metallgelds. Was sich
geändert, ist Eintheilung und Namengebung.
Die Waaren verwandeln Gold in das Mass der Werthe, indem
sie allseitig ihre Werthe in ihm ausdrücken. So erhalten ihre Werth-
grössen die Form der Preise oder vorgestellter Goldquanta.
Diese Verwandlung von Werth in Preis einmal vollbracht, wird es tech-
nisch nothwendig, das Mass der Werthe weiter zu bestimmen zum
Massstab der Preise. Beide Funktionen sind durchaus verschieden.
Als Massstab der Preise kann und muss ein bestimmtes Quantum Gold
fixirt werden, grade wie der Massstab andrer gleichnamiger Grössen.
Der Werthwechsel des Goldes ändert nichts am Werthverhältniss sei-
ner verschiednen Gewichttheile unter einander und die gesetzlich fixirten
Taufnamen dieser Theile ändern nichts an ihrem Gewicht. Der Massstab
der Preise misst aber nur verschiedne Quanta Gold an einem fixirten Gold-
quantum, nicht den Werth eines Goldquantums durch das Gewicht
des andern.
Der Werthwechsel des Goldes verhindert auch nicht seine Funk-
tion als Werthmass. Er trifft alle Waaren gleichzeitig, lässt also,
caeteris paribus, ihre wechselseitigen relativen Werthe unverändert,
obgleich sie sich nun alle in höheren oder niedrigeren Goldpreisen als zu-
vor ausdrücken.
Die Waaren stellen ihre Werthe jetzt nicht nur gleichnamig als
Gold, sondern in denselben gesellschaftlich gültigen Rechennamen des
Goldmassstabs, wie Pfd. St. s. d. u. s. w., dar. Das Geld dient als Rechen-
geld, so oft es gilt eine Sache als Werth und daher in Geldform zu fixiren.
Der Name einer Sache ist ihrer Natur ganz äusserlich und da-
her erlischt auch ihre Begriffsbestimmung in ihm. Ich weiss nichts vom
Menschen, wenn ich weiss, dass ein Mensch Jakobus heisst. Ebenso ver-
schwindet in den Geldnamen Pfund, Thaler, Frank, Dukat u. s. w.
jede Spur des Werthverhältnisses. Die Wirre über den Geheimsinn
dieser kabbalistischen Zeichen ist um so grösser als die Geldnamen zugleich
den Werth der Waaren und aliquote Theile eines Goldgewichts,
des Geldmassstabs, und das eine nur darstellen, weil das andre47).
Andrerseits ist es nothwendig, dass der Werth im Unterschied von den
bunten Körpern der Waaren sich zu dieser begriffslos sachlichen, aber
auch einfach gesellschaftlichen Form fortentwickle.
Der Preis ist der Geldname der in der Waare vergegenständlich-
ten Arbeitszeit. Die Aequivalenz der Waare und des Geldquantums,
dem ihr Preis sie gleichsetzt, ist daher eine Tautologie48), wie ja
überhaupt der relative Werthausdruck einer Waare stets der
Ausdruck der Aequivalenz zweier Waaren ist. Wenn aber der
Preis als Exponent der Werthgrösse der Waare Exponent ihres Austausch-
verhältnisses mit Geld ist, so folgt nicht umgekehrt, dass der Exponent
ihres Austauschverhältnisses mit Geld nothwendig der Expo-
nent ihrer Werthgrösse ist. Gesellschaftlich nothwendige Arbeitszeit
von gleicher Grösse stelle sich in 1 Quarter Weizen und in 2 Pfd. St.
(ungefähr ½ Unze Gold) dar. Die 2 Pfd. St. sind Geldausdrücke der
Werthgrösse des Quarter Weizen, oder sein Preis. Erlauben nun die
Umstände, ihn zu 3 Pfd. St., oder zwingen sie ihn zu 1 Pfd. St. zu notiren,
so sind 1 Pfd. St. und 3 Pfd. St. als Ausdrücke der Werthgrösse des
Weizens zu klein oder zu gross, aber sie sind dennoch Preise desselben,
denn erstens sind sie seine Werthform, Geld, und zweitens Exponente
seines Austauschverhältnisses mit Geld. Bei gleichbleibenden Produktions-
bedingungen oder gleichbleibender Produktivkraft der Arbeit muss nach
wie vor zur Reproduktion des Quarter Weizen gleich viel gesell-
schaftliche Arbeitszeit verausgabt werden. Dieser Umstand
hängt weder vom Willen des Weizenproduzenten noch der andern Waa-
renbesitzer ab. Die Werthgrösse der Waare drückt also ein nothwen-
diges, ihrem Bildungsprozess immanentes Verhältniss zur gesell-
schaftlichen Arbeitszeit aus. Mit der Verwandlung der Werthgrösse in
Preis erscheint diess nothwendige Verhältniss als Austauschverhältniss der
Waare mit einer andern ausser ihr existirenden Waare. Diese Form
kann aber ebensowohl die Werthgrösse der Waare als das zufällige Ver-
hältniss ausdrücken, worin sie unter gegebnen Umständen veräusserlich
ist. Die Möglichkeit quantitativer Incongruenz zwischen
Preis und Werthgrösse, oder der Abweichung des Preises von der Werth-
grösse, ist also in der Preisform selbst gegeben. Es ist diess kein
Mangel dieser Form, sondern macht sie umgekehrt zur adäquaten Form
einer Produktionsweise, worin sich die Regel nur als blindwirkendes
Durchschnittsgesetz der Regellosigkeit durchsetzen kann.
Die Preisform lässt jedoch nicht nur die Möglichkeit quanti-
tativer Incongruenz zwischen Werthgrösse und Preis, d. h. zwischen
der Werthgrösse und ihrem eignen Geldausdruck zu, sondern kann einen
qualitativen Widerspruch beherbergen, so dass der Preis überhaupt
aufhört, Werthausdruck zu sein, obgleich Geld nur die Werthform
der Waaren ist. Dinge, die an und für sich keine Waaren sind, z. B. Ge-
wissen, Ehre u. s. w., können ihren Besitzern gegen Geld veräusserlich
sein und so durch ihren Preis die Waarenform erhalten. Ein Ding
kann daher formell einen Preis haben, ohne einen Werth zu haben.
Der Preisausdruck wird hier imaginär, wie gewisse Grössen der Ma-
thematik oder das „unendliche Urtheil“ der Logik. Wo wir jedoch für
wesentliche Produktionsverhältnisse derartige imaginäre Preisform
finden, wie z. B. Preis des Grund und Bodens, obgleich der Boden,
weil keine menschliche Arbeit in ihm vergegenständlicht ist, auch keinen
Werth hat, wird die tiefere Analyse unter der imaginären Form stets ein
wirkliches Werthverhältniss oder von ihm abgeleitete Beziehung verbor-
gen finden.
Doch kehren wir zurück zum normalen Waarenpreis, der uns hier
allein noch bekannt ist. Der Preis ist die nurideelle Werthgestalt
der Waare. Er drückt also zugleich aus, dass sie noch nicht reelle
Werthgestalt besitzt oder dass ihre Naturalform nicht ihre allgemeine
Aequivalentform ist. Die ideelle Werthgestalt der Waare ist ferner
Preis, d. h. nur vorgestellte oder ideelle Goldgestalt. Er
drückt also aus, dass, um die Wirkung eines Tauschwerths oder allgemei-
nen Aequivalents auf andre Waaren auszuüben, sie ihren natürlichen Leib
abstreifen, sich aus nur vorgestelltem Gold in wirkliches Gold verwandeln
muss, obgleich diese Transsubstantiation ihr „saurer“ ankommen mag als
dem hegel’schen „Begriff“ der Uebergang aus der Nothwendigkeit in die
Freiheit oder einem Hummer das Sprengen seiner Schale, oder dem Kir-
chenvater Hieronymus das Abstreifen des alten Adam49). Neben ihrer
reellen Gestalt, Eisen z. B., kann die Waare im Preis ideelle Werth-
gestalt oder vorgestellte Goldgestalt besitzen, aber sie kann nicht zu-
gleich wirklich Eisen und wirklich Gold sein. Für ihre Preisgebung ge-
nügt es, vorgestelltes Gold ihr gleichzusetzen. Durch Gold ist sie
zu ersetzen, damit sie ihrem Besitzer den Dienst eines allgemeinen
Aequivalents leiste. Träte der Besitzer des Eisens z. B. dem Besitzer
einer weltlustigen Waare gegenüber, und verwiese ihn auf den Eisen-
preis, der Geldform sei, so würde der Weltlustige antworten, wie im
Himmel der heilige Petrus dem Dante, der ihm die Glaubensformeln
hergesagt:
„Assai bene è trascorsa
D’esta moneta già la lega e’l peso,
Ma dimmi se tu l’hai nella tua borsa.“
Die Preisform schliesst die Veräusserlichkeit der Waaren gegen
Geld und die Nothwendigkeit dieser Veräusserung ein. Die Preisbestim-
mung der Waaren hat andrerseits eine im Austauschprozess befindliche
Waare, das Gold, bereits zu Geld gemacht. Im ideellen Mass der
Werthe lauert daher das harte Geld.
Man sah, dass der Austauschprozess der Waaren widersprechende und
einander ausschliessende Beziehungen einschloss. Die Entwicklung der
Waare, die wir eben betrachtet, hebt diese Widersprüche nicht auf, aber
sie schafft die Form, worin sie sich bewegen können. Diess ist über-
haupt die Methode, wodurch sich wirkliche Widersprüche lösen. Es ist
z. B. ein Widerspruch, dass ein Körper beständig in einen andern fällt und
eben so beständig von ihm weg flieht. Die Ellipse ist eine der Bewe-
gungsformen, worin dieser Widerspruch sich eben so sehr verwirklicht
als löst.
Soweit der Austauschprozess der Waaren sie aus der Hand, worin sie
Nicht-Gebrauchswerthe, in die Hand überträgt, worin sie Ge-
brauchswerthe, ist er gesellschaftlicher Stoffwechsel.
Das Produkt einer nützlichen Arbeitsweise ersetzt das der andern. Ein-
mal angelangt zur Stelle, wo sie als Gebrauchswerth gilt, dient die Waare
als Gebrauchsgegenstand oder fällt in die Sphäre der Consumtion aus der
Sphäre des Waarenaustauschs. Letztre allein interessirt uns hier. Wir
haben also den ganzen Prozess nach der Formseite zu betrachten, also nur
den Formwechsel oder die Metamorphose der Waaren, welche
den gesellschaftlichen Stoffwechsel vermittelt.
Die durchaus mangelhafte Auffassung dieses Formwechsels, der Funk-
tionen des Geldes, der daraus entspringenden verschiednen Formbestimmt-
heiten, die das Geld aus seinen verschiednen Funktionen schöpft, ist, abge-
sehn von Unklarheit über den Werthbegriff selbst, dem Umstand geschul-
det, dass jeder Formwechsel einer Waare sich im Austausch zweier
Waaren, der Waare und der Geldwaare, darstellt. Hält man an diesem
stofflichen Moment, dem Austausch von Waare und Gold, allein fest,
so übersieht man grade, was man sehn soll, nämlich was sich mit der
Form zuträgt. Man übersieht, dass die Bestimmung des Goldes als Geld
bereits eine Formbestimmung ist, die ihm nicht als blosser Waare gehört,
dass die andern Waaren sich in ihren Preisen selbst auf das Gold als ihre
eigne Geldgestalt beziehn, und dass es seinerseits nur die allgemeine
unmittelbare Aequivalentform erhält, weil die Waaren überhaupt sich eine
allgemeine relative Werthform geben müssen.
Die Waaren gehn zunächst unvergoldet, unverzuckert, wie der Kamm
ihnen gewachsen ist, den Austauschprozess ein. Er produzirt die Ver-
dopplung der Waare in Waare und Geld, ein äusserer Gegen-
satz, worin sie ihren immanenten Gegensatz von Gebrauchswerth und
Tauschwerth darstellen. In diesem Gegensatz treten die Waaren als
Gebrauchswerthe dem Geld als Tauschwerth gegenüber. An-
drerseits sind beide Seiten des Gegensatzes Waaren, also Einheiten
von Gebrauchswerth und Werth. Aber diese Einheit von Unter-
schieden stellt sich auf jedem der beiden Pole umgekehrt dar und stellt
dadurch zugleich deren Wechselbeziehung dar. Die Waare ist reell
Gebrauchswerth, ihr Werthdasein erscheint nur ideell im Preis, der
sie auf das gegenüberstehende Gold als ihre reelle Werthgestalt
bezieht. Umgekehrt gilt das Goldmaterial nur als Werthmateriatur
Geld. Es ist reell daher all gemeines Aequivalent, Tausch-
werth. Sein Gebrauchswerth erscheint nur noch ideell in der
Reihe der relativen Werthausdrücke, worin es sich auf die gegenüber-
stehenden Waaren als den Umkreis seiner reellen Gebrauchs-
gestalten bezieht. Diese gegensätzlichen Formen der Waaren sind
die wirklichen Bewegungsformen ihres Austauschpro-
zesses.
Begleiten wir nun irgend einen Waarenbesitzer, unsern altbekannten
Leinweber z. B., zur Scene des Austauschprozesses, dem Waarenmarkt.
Seine Waare, 20 Ellen Leinwand, ist preisbestimmt. Ihr Preis ist
2 Pfd. St. Er tauscht sie aus gegen 2 Pfd. St., und, Mann von altem
Schrot und Korn, tauscht die 2 Pfd. St. wieder aus gegen eine Familien-
bibel vom selben Preis. Die Leinwand, für ihn nur Waare, Werthträger,
wird entäussert gegen Gold, ihre Werthgestalt, und aus dieser Gestalt rück-
veräussert gegen eine andere Waare, die Bibel, die aber als Gebrauchs-
gegenstand in’s Weberhaus wandern und dort Erbauungsbedürfnisse befrie-
digen soll. Der Austauschprozess der Waare vollzieht sich also in zwei
entgegengesetzten und einander ergänzenden Metamor-
phosen — Verwandlung der Waare in Geld und ihre Rück-
verwandlung aus Geld in Waare50). Die Momente der Waaren-
metamorphose sind zugleich Händel des Waarenbesitzers — Verkauf,
Austausch der Waare mit Geld, Kauf, Austausch des Gelds mit Waare,
und Einheit beider Akte: Verkaufen um zu kaufen.
Besieht sich der Leinweber nun das Endresultat des Handels, so be-
sitzt er Bibel statt Leinwand, statt seiner ursprünglichen Waare eine
andre vom selben Werth, aber verschiedner Nützlichkeit. In gleicher
Weise eignet er sich seine verschiednen Lebens- und Produktionsmittel
an. Von seinem Standpunkt vermittelt der ganze Prozess, die
Geldwerdung der Leinwand und die Waarenwerdung des Geldes, Verkauf
und Kauf, nur den Austausch seines Arbeitsprodukts mit fremdem Arbeits-
produkt, den Produktenaustausch.
Der Austauschprozess der Waare vollzieht sich also in folgendem
Formwechsel:
Waare — Geld — Waare.
W — G — W.
Nach ihrem stofflichen Inhalt ist die Bewegung W — W, Austausch
von Waare gegen Waare, Stoffwechsel der gesellschaftlichen Arbeit, in
dessen Resultat der Prozess selbst erlischt.
W — G. Erste Metamorphose der Waare oder Verkauf:
Das Ueberspringen des Waarenwerths aus dem Waarenleib in den Gold-
leib ist, wie ich es anderswo bezeichnet, der salto mortale der Waare.
Misslingt er, so ist zwar nicht die Waare geprellt, wohl aber der Waaren-
besitzer. Die gesellschaftliche Theilung der Arbeit macht seine Arbeit
ebenso einseitig als seine Bedürfnisse vielseitig. Eben desswegen dient
ihm sein Produkt nur als Tauschwerth, allgemeines Aequiva-
lent. Allgemeine, gesellschaftlich gültige Aequivalentform erhält es
aber nur im Geld und das Geld befindet sich in fremder Tasche. Um es
herauszuziehn, muss die Waare vor allem Gebrauchswerth für den
Geldbesitzer sein, die auf sie verausgabte Arbeit also in gesellschaftlich
nützlicher Form verausgabt sein oder sich als Glied der gesellschaft-
lichen Theilung der Arbeit bewähren. Aber die Theilung der
Arbeit ist ein naturwüchsiger Produktionsorganismus, dessen
Fäden hinter dem Rücken der Waarenproducenten gewebt wurden und
sich fortweben. Vielleicht ist die Waare Produkt einer neuen Arbeitsweise,
die ein neu aufgekommenes Bedürfniss zu befriedigen vorgiebt oder auf
eigne Faust ein Bedürfniss erst hervorrufen will. Gestern noch eine Funk-
tion unter den vielen Funktionen eines und desselben Waarenproducenten,
reisst sich eine besondre Arbeitsverrichtung heute vielleicht los von diesem
Zusammenhang, verselbstständigt sich und schickt eben desswegen ihr
Theilprodukt als selbstständige Waare zu Markt. Die Um-
stände mögen reif oder unreif sein für diesen Scheidungsprozess. Das
Produkt befriedigt heute ein gesellschaftliches Bedürfniss. Morgen wird
es vielleicht ganz oder theilweise von einer ähnlichen Produktenart aus
seinem Platze verdrängt. Ist auch die Arbeit, wie die unsres Leinwebers,
patentirtes Glied der gesellschaftlichen Arbeitstheilung, so ist damit noch
keineswegs der Gebrauchswerth grade seiner 20 Ellen Leinwand garan-
tirt. Wenn das gesellschaftliche Bedürfniss für Leinwand, und es hat sein
Mass, wie alles andre, bereits durch nebenbuhlerische Leinweber gesättigt
ist, wird das Produkt unsres Freundes überschüssig, überflüssig und damit
nutzlos. Einem geschenkten Gaul sieht man nicht ins Maul, aber er be-
schreitet nicht den Markt, um Präsente zu machen. Gesetzt aber der Ge-
brauchswerth seines Produkts bewähre sich und Geld werde daher ange-
zogen von der Waare. Aber nun fragt sich’s, wie viel Geld? Die Ant-
wort ist allerdings schon anticipirt im Preis der Waare, dem Exponenten
ihrer Werthgrösse. Wir sehn ab von etwaigen rein subjektiven Rechen-
fehlern des Waarenbesitzers, die auf dem Markt sofort objectiv corrigirt
werden. Er soll auf sein Produkt nur den gesellschaftlich nothwendigen
Durchschnitt von Arbeitszeit verausgabt haben. Der Preis der Waare ist
also nur Geldname des in ihr vergegenständlichten Quantums gesellschaft-
licher Arbeit. Aber ohne Erlaubniss und hinter dem Rücken unsres Lein-
webers geriethen die altverbürgten Produktionsbedingungen der Leinweberei
in Gährung. Was gestern zweifelsohne gesellschaftlich nothwendige Ar-
beitszeit zur Produktion einer Elle Leinwand war, hört heute auf es zu
sein, wie der Geldbesitzer eifrigst demonstrirt aus den Preisquotationen
verschiedner Nebenbuhler unsres Freundes. Zu seinem Unglück giebt’s
viele Weber auf der Welt. Gesetzt endlich jedes auf dem Markt vor-
handne Stück Leinwand enthalte nur gesellschaftlich nothwendige Arbeits-
zeit. Trotzdem kann die Gesammtsumme dieser Stücke überflüssig ver-
ausgabte Arbeitszeit enthalten. Vermag der Marktmagen das Gesammt-
quantum Leinwand, zum Normalpreis von 2 Sh. per Elle, nicht zu ab-
sorbiren, so beweist das, dass ein zu grosser Theil der gesellschaftlichen
Gesammtarbeitszeit in der Form der Leinweberei verausgabt wurde. Die
Wirkung ist dieselbe als hätte jeder einzelne Leinweber mehr als die ge-
sellschaftlich nothwendige Arbeitszeit auf sein individuelles Produkt ver-
wandt. Hier heisst’s: Mitgefangen, mitgehangen. Alle Leinwand auf
dem Markt gilt nur als ein Handelsartikel, jedes Stück nur als aliquoter
Theil. Und in der That ist der Werth jeder individuellen Elle ja auch
nur die Materiatur desselben gesellschaftlich bestimmten Quantums gleich-
artiger menschlicher Arbeit.
Man sieht, die Waare liebt das Geld, aber „the course of true love runs
never smooth.“ Ebenso naturwüchsig zufällig, wie die qualitative, ist
die quantitative Gliederung des gesellschaftlichen Produktionsorganis-
mus, der seine membra disjecta im System der Theilung der Arbeit dar-
stellt. Unsere Waarenbesitzer entdecken daher, dass dieselbe Theilung
der Arbeit, die sie zu unabhängigen Privatproducenten, den
gesellschaftlichen Produktionsprozess und ihre Verhältnisse in diesem Pro-
zess von ihnen selbst unabhängig macht, dass die Unabhängig-
keit der Personen von einander sich in einem System allseitiger sachlicher
Abhängigkeit ergänzt.
Die Theilung der Arbeit verwandelt das Arbeitsprodukt in Waare
und macht dadurch seine Verwandlung in Geld nothwendig. Sie macht
es zugleich zufällig, ob diese Transsubstantiation gelingt. Hier ist jedoch
das Phänomen rein zu betrachten, sein normaler Vorgang also vorauszu-
setzen. Wenn es übrigens überhaupt vorgeht, die Waare also nicht un-
verkäuflich ist, findet stets ihr Formwechsel statt, obgleich abnormal
in diesem Formwechsel Substanz — Werthgrösse — eingebüsst oder zuge-
setzt werden mag.
Dem einen Waarenbesitzer ersetzt Gold seine Waare und dem an-
dern Waare sein Gold. Das sinnfällige Phänomen ist der Hände-
oder Stellenwechsel von Waare und Gold, von 20 Ellen Leinwand
und 2 Pfd. St., d. h. ihr Austausch. Aber womit tauscht sich die
Waare aus? Mit ihrer eignen allgemeinen Werthgestalt. Und womit das
Gold? Mit einer besondern Gestalt seines Gebrauchswerths. Warum
tritt Gold der Leinwand als Geld gegenüber? Weil ihr Preis von
2 Pfd. St. oder ihr Geldname sie bereits auf Gold als Geld bezieht.
Die Entäusserung der ursprünglichen Waarenform vollzieht sich durch
die Veräusserung der Waare, d. h. in dem Augenblicke, wo ihr Ge-
brauchswerth das in ihrem Preis nur vorgestellte Gold wirklich anzieht.
Die Realisirung des Preises oder der nur ideellen Werthform der
Waare ist daher zugleich umgekehrt Realisirung des nur ideellen Ge-
brauchswerths des Geldes, die Verwandlung von Waare in Geld zugleich
Verwandlung von Geld in Waare. Der eine Prozess ist zweiseitiger
Prozess, vom Pol des Waarenbesitzers Verkauf, vom Gegenpol des
Geldbesitzers Kauf. Oder Verkauf ist Kauf, W — G zugleich
G — W51).
Wir kennen bisher kein andres ökonomisches Verhältniss der Men-
schen zu einander ausser dem von Waarenbesitzern, ein Verhältniss, worin
sie fremdes Arbeitsprodukt nur aneignen, indem sie eignes entfremden.
Einem Waarenbesitzer kann der andre daher nur als Geldbesitzer gegenüber-
treten, entweder weil sein Arbeitsprodukt von Natur die Geldform besitzt,
also Geldmaterial ist, Gold u. s. w., oder weil seine eigne Waare sich bereits
gehäutet und ihre ursprüngliche Gebrauchsform abgestreift hat. Um als Geld
zu funktioniren, muss das Gold natürlich an irgend einem Punkt in den Waaren-
markt eintreten. Dieser Punkt liegt an seiner Produktionsquelle, wo es sich
als unmittelbares Arbeitsprodukt mit anderm Arbeitsprodukt von demselben
Werth austauscht. Aber von diesem Augenblick funktionirt es nur als
wirkliches Geld, weil es beständig realisirter Waarenpreis ist52).
Abgesehn vom Austausch des Golds mit Waare an seiner Produktions-
quelle, ist das Gold in der Hand jedes Waarenbesitzers die entäusserte Ge-
stalt seiner veräusserten Waare, Produkt des Verkaufs oder der ersten
Waarenmetamorphose W — G53). Ideelles Geld oder Werth-
mass wurde das Gold, weil alle Waaren ihre Werthe in ihm massen und es so
vorstellungsweise zu ihrer entäusserten Gebrauchsgestalt oder Werth-
gestalt machten. Reelles Geld wird es, weil die Waaren durch ihre
allseitige Veräusserung es zu ihrer wirklich entäusserten oder verwandelten
Gebrauchsgestalt und daher zu ihrer wirklichen Werthgestalt machen.
In ihrer Werthgestalt streift die Waare jede Spur ihres naturwüchsigen
Gebrauchswerths und der besondern nützlichen Arbeit ab, welcher sie den
Ursprung verdankt, um sich in die gleichförmige gesellschaftliche Materiatur
unterschiedsloser menschlicher Arbeit zu verpuppen. Man sieht dem Geld
daher nicht an, welchen Schlags die in es verwandelte Waare. Eine sieht
in ihrer Geldform grade aus wie die andre. Geld mag daher Dreck sein,
obgleich Dreck nicht Geld ist. Wir wollen annehmen, dass die zwei
Goldfüchse, wogegen unser Leineweber seine Waare veräussert, die ver-
wandelte Gestalt eines Quarters Weizen sind. Der Verkauf der Leinwand,
W — G, ist zugleich ihr Kauf, G — W. Aber als Verkauf der
Leinwand beginnt dieser Prozess eine Bewegung, die mit seinem Gegen-
theil endet, mit dem Kauf der Bibel; als Kauf der Leinwand
endet er eine Bewegung, die mit seinem Gegentheil begann, mit dem
Verkauf des Weizens. W — G (Leinwand — Geld), die erste
Phase von W — G — W (Leinwand — Geld — Bibel), ist zugleich
G — W (Geld — Leinwand), die letzte Phase einer andern Bewegung
W — G — W (Weizen — Geld — Leinwand). Die erste Meta-
morphose einer Waare, ihre Verwandlung aus der Waarenform in
Geld, ist stets zugleich zweite entgegengesetzte Metamorphose
einer andern Waare, ihre Rückverwandlung aus der Geldform in
Waare54).
G — W. Zweite oder Schlussmetamorphose der
Waare. Kauf. — Weil die entäusserte Gestalt aller andern Waaren
oder das Produkt ihrer allgemeinen Veräusserung, ist Geld die absolut
veräusserliche Waare. Es liest alle Preise rückwärts und spiegelt
sich so in allen Waarenleibern als dem hingebenden Material seiner eignen
Waarenwerdung. Zugleich zeigen die Preise, die Liebesaugen, womit
ihm die Waaren winken, die Schranke seiner Verwandlungsfähig-
keit, nämlich seine eigne Quantität. Da die Waare in ihrer Geld-
werdung verschwindet, sieht man dem Geld nicht an, wie es in die Hände
seines Besitzers gelangt oder was in es verwandelt ist. Non olet, wessen
Ursprungs auch immer. Als entäusserte Gestalt steht es den
Waaren, ihm als der absolut veräusserlichen Waarengestalt
steht die Waarenwelt gegenüber55).
G — W, der Kauf ist zugleich Verkauf, W — G, die letzte Meta-
morphose einer Waare daher zugleich die erste Metamorphose einer andern
Waare. Für unsern Leinweber schliesst der Lebenslauf seiner Waare
mit der Bibel, worin er die 2 Pfd. St. rückverwandelt hat. Aber der ur-
sprüngliche Bibelbesitzer setzt die vom Leineweber gelösten 2 Pfd. St. in
Kornbranntwein um, G — W, die Schlussphase von W — G — W (Lein-
wand — Geld — Bibel) ist zugleich W — G, die erste Phase von W —
G — W (Bibel — Geld — Kornbranntwein). Da der Waarenproduzent
nur ein einseitiges Produkt liefert, verkauft er es oft in grösseren Mas-
sen, während seine vielseitigen Bedürfnisse ihn zwingen, den realisirten
Preis oder die gelöste Geldsumme beständig in zahlreiche Käufe zu zer-
splittern. Ein Verkauf mündet daher in viele Käufe verschiedner
Waaren. Die Schlussmetamorphose einer Waare bildet so eine Summe
von ersten Metamorphosen andrer Waaren.
Betrachten wir nun die Gesammtmetamorphose einer Waare,
z. B. der Leinwand, so sehn wir zunächst, dass sie aus zwei entgegenge-
setzten und einander ergänzenden Bewegungen besteht, W — G und G —
W. Die zwei entgegengesetzten Wandlungen vollziehn sich in zwei ent-
gegengesetzten gesellschaftlichen Prozessen des Waarenbesitzers und reflek-
tiren sich in zwei entgegengesetzten ökonomischen Charakteren dessel-
ben. Als Agent des Verkaufs wird er Verkäufer, als Agent des Kaufs
Käufer. Wie aber in jeder Wandlung der Waare ihre beiden Formen,
Waarenform und Geldform, gleichzeitig existiren, nur auf entgegengesetz-
ten Polen, so steht demselben Waarenbesitzer als Verkäufer ein andrer
Käufer und als Käufer ein andrer Verkäufer gegenüber. Wie dieselbe
Waare die zwei umgekehrten Wandlungen successiv durchläuft, aus Waare
Geld und aus Geld Waare wird, so wechselt derselbe Waarenbesitzer die
Rollen von Verkäufer und Käufer. Es sind diess also keine festen, son-
dern im Tauschprozess der Waaren beständig die Person wechselnden
Charaktere.
Die Gesammtmetamorphose einer Waare unterstellt, in ihrer einfach-
sten Form, vier Extreme und drei Personae dramatis. Erst
tritt der Waare das Geld als ihre entäusserte Gestalt gegenüber, die
jenseits, in fremder Tasche, sachlich harte Realität besitzt. So tritt dem
Waarenbesitzer ein Geldbesitzer gegenüber. Sobald die Waare nun in
Geld verwandelt, wird letztres zu ihrer verschwindenden Aequi-
valentform, deren Gebrauchswerth oder Inhalt diesseits in andern
Waarenkörpern existirt. Als Endpunkt der ersten Waarenwandlung ist
das Geld zugleich Ausgangspunkt der zweiten. So der Verkäufer im
ersten Act Käufer im zweiten, wo ihm ein dritter Waarenbesitzer als Ver-
käufer gegenübertritt56).
Die beiden umgekehrten Bewegungsphasen der Waarenmetamorphose
bilden einen Kreislauf: Waarenform, Abstreifung der Waarenform,
Rückkehr zur Waarenform. Allerdings ist die Waare selbst hier
gegensätzlich bestimmt, am Ausgangspunkt Nicht-Gebrauchswerth, am
Endpunkt Gebrauchswerth für ihren Besitzer, wie das Geld die Waare erst
als festen Werthkrystall darstellt, um hinterher als ihre blosse Aequiva-
lentform zu zerrinnen.
Die zwei Metamorphosen, die den Kreislauf einer Waare, bilden
zugleich die umgekehrten Theilmetamorphosen zweier andren Waa-
ren. Dieselbe Waare (Leinwand) eröffnet die Reihe ihrer eignen Meta-
morphosen und schliesst die Gesammtmetamorphose einer andern Waare
(des Weizens). Während ihrer ersten Wandlung, dem Verkauf, spielt
sie diese zwei Rollen in eigner Person. Als Goldchrysalide dagegen,
worin sie selbst den Weg alles Fleisches wandert, endet sie zugleich die
erste Metamorphose einer dritten Waare. Der Kreislauf, den die Meta-
morphosenreihe jeder Waare bildet, verschlingt sich also unentwirrbar
mit den Kreisläufen andrer Waaren. Der Gesammtprozess stellt sich dar
als Waarencirculation.
Die Waarencirculation ist nicht nur formell, sondern wesentlich vom
unmittelbaren Produktenaustausch unterschieden. Man werfe nur einen
Rückblick auf den Vorgang. Der Leineweber hat unbedingt Leinwand
mit Bibel vertauscht, eigne Waare mit fremder. Aber diess Phänomen
ist nur wahr für ihn. Der Bibelagent, der dem Kühlen Heisses vorzieht,
dachte nicht daran, Leinwand für Bibel einzutauschen, wie der Leineweber
nicht davon weiss, dass Weizen gegen seine Leinwand eingetauscht wor-
den ist u. s. w. Die Waare des B ersetzt die Waare des A, aber A und
B tauschen nicht wechselseitig ihre Waaren aus. Es kann in der
That vorkommen, dass A und B wechselweis von einander kaufen, aber
solche besondre Beziehung ist keineswegs durch die allgemeinen Verhält-
nisse der Waarencirculation bedingt. Einerseits sieht man hier, wie der
Waarenaustausch die individuellen und lokalen Schranken
des unmittelbaren Produktenaustauschs durchbricht und den Stoffwechsel
der menschlichen Arbeit entwickelt. Andrerseits entwickelt sich ein gan-
zer Kreis von den handelnden Personen uncontrolirbarer, gesellschaftlicher
Naturzusammenhänge. Der Weber kann nur Leinwand verkaufen, weil
der Bauer Weizen, Heisssporn nur die Bibel, weil der Weber Leinwand,
der Destillateur nur gebranntes Wasser, weil der andre das Wasser des
ewigen Lebens bereits verkauft hat u. s. w.
Der Circulationsprozess erlischt desswegen auch nicht, wie der un-
mittelbare Produktenaustausch, in dem Stellen - oder Händewechsel der
Gebrauchswerthe. Das Geld verschwindet nicht, weil es schliesslich aus
der Metamorphosenreihe einer Waare herausfällt. Es schlägt immer
nieder auf eine durch die Waaren geräumte Circulationsstelle. Z. B. in
der Gesammtmetamorphose der Leinwand: Leinwand — Geld —
Bibel fällt erst die Leinwand aus der Circulation, Geld tritt an ihre
Stelle, fällt dann die Bibel aus der Circulation, Geld tritt an ihre Stelle.
Der Ersatz von Waare durch Waare lässt zugleich an dritter Hand die
Geldwaare hängen. Die Circulation schwitzt beständig Geld aus.
Nichts kann alberner sein als das Dogma, die Waarencirculation be-
dinge ein nothwendiges Gleichgewicht der Verkäufe und Käufe, weil jeder
Verkauf Kauf und vice versa. Meint diess, dass die Zahl der wirklich
vollzognen Verkäufe gleich derselben Zahl von Käufen, so ist es platte
Tautologie. Aber es soll beweisen, dass der Verkäufer seinen eignen
Käufer zu Markt führt. Verkauf und Kauf sind ein identischer Act
als Wechselbeziehung zweier polarisch entgegengesetzter
Personen, des Waarenbesitzers und des Geldbesitzers. Sie bilden
zweipolarisch entgegengesetzte Akte als Handlungen dersel-
ben Person. Die Identität von Verkauf und Kauf schliesst daher ein,
dass die Waare nutzlos wird, wenn sie, in die alchymistische Retorte
der Circulation geworfen, nicht als Geld herauskommt, nicht vom Waa-
renbesitzer verkauft, also vom Geldbesitzer gekauft wird. Jene Identität
enthält ferner, dass der Prozess, wenn er gelingt, einen Ruhepunkt, einen
Lebensabschnitt der Waare bildet, der länger oder kürzer währen kann.
Da die erste Metamorphose der Waare zugleich Verkauf und Kauf,
ist dieser Theilprozess zugleich selbstständiger Prozess. Der Käufer hat
die Waare, der Verkäufer hat das Geld, d. h. eine Waare, die circula-
tionsfähige Form bewahrt, ob sie früher oder später wieder auf dem
Markt erscheine. Keiner kann verkaufen, ohne dass ein Andrer kauft.
Aber keiner braucht unmittelbar zu kaufen, weil er selbst verkauft hat.
Die Circulation sprengt die zeitlichen, örtlichen und individuellen Schran-
ken des Produktenaustauschs eben dadurch, dass sie die hier vorhandne
unmittelbare Identität zwischen dem Austausch des eignen und
dem Eintausch des fremden Arbeitsprodukts in den Gegensatz von
Verkauf und Kauf spaltet. Dass die selbstständig einander gegenüber-
tretenden Prozesse eine innere Einheit bilden, heisst eben so sehr,
dass ihre innere Einheit sich in äusseren Gegensätzen bewegt.
Geht die äusserliche Verselbstständigung der innerlich Unselbstständigen,
weil einander ergänzenden, bis zu einem gewissen Punkt fort, so macht
sich die Einheit gewaltsam geltend durch eine — Krise. Der der Waare
immanente Gegensatz von Gebrauchswerth und Tauschwerth, von Privat-
arbeit, die sich zugleich als unmittelbar gesellschaftliche Arbeit darstellen
muss, von besondrer konkreter Arbeit, die zugleich nur als abstrakt all-
gemeine Arbeit gilt, von Personificirung der Sache und Versachlichung der
Personen — dieser immanente Widerspruch erhält in den Gegensätzen der
Waarenmetamorphose seine entwickelten Bewegungsformen. Diese
Formen schliessen daher die Möglichkeit, aber auch nur die Möglich-
keit der Krisen ein. Die Entwicklung dieser Möglichkeit zur Wirklich-
keit erfordert einen ganzen Umkreis von Verhältnissen, die vom Standpunkt
der einfachen Waarencirculation noch gar nicht existiren57).
Als Vermittler der Waarencirculation erhält das Geld die Funktion
des Circulationsmittels.
Der Formwechsel, worin sich der Stoffwechsel der Arbeitsprodukte
vollzieht, W — G — W, bedingt, dass derselbe Werth als Waare
den Ausgangspunkt des Prozesses bildet und zu demselben Punkt zurück-
kehrt als Waare. Diese Bewegung der Waaren ist daher Kreis-
lauf. Andrerseits schliesst dieselbe Form den Kreislauf des Geldes aus.
Ihr Resultat ist beständige Entfernung des Geldes von seinem
Ausgangspunkt, nicht Rückkehr zu demselben. So lange der Verkäufer
die verwandelte Gestalt seiner Waare festhält, das Geld, befindet sich die
Waare im Stadium der ersten Metamorphose oder hat nur ihre erste Cir-
culationshälfte zurückgelegt. Ist der Prozess, Verkaufen um zu kau-
fen, vervollständigt, so ist auch das Geld wieder aus der Hand ihres
ursprünglichen Besitzers entfernt. Allerdings, wenn der Leinweber, nach-
dem er die Bibel gekauft, von neuem Leinwand verkauft, kehrt auch das
Geld in seine Hand zurück. Aber es kehrt nicht zurück durch den Circula-
tionsprozess der ersten 20 Ellen Leinwand. Er hat es vielmehr aus den
Händen des Leinwebers in die des Bibelverkäufers entfernt. Es kehrt nur
zurück durch die Erneuerung oder Wiederholung desselben Circula-
tionsprozesses für neue Waare, und endet hier wie dort mit demselben Re-
sultat. Die dem Geld durch die Waarencirculation unmittelbar ertheilte
Bewegungsform ist daher seine beständige Entfernung vom Ausgangspunkt,
sein Lauf aus der Hand eines Waarenbesitzers in die eines andern, oder
sein Umlauf (currency, cours de la monnaie).
Der Umlauf des Geldes zeigt beständige, eintönige Wiederholung
desselben Prozesses. Die Waare steht stets auf Seite des Verkäufers,
das Geld stets auf Seite des Käufers, als Kaufmittel. Es funktionirt
als Kaufmittel, indem es den Preis der Waare realisirt. Indem es
ihn realisirt, überträgt es die Waare aus der Hand des Verkäufers in die
des Känfers, während es sich gleichzeitig aus der Hand des Käufers in die
des Verkäufers entfernt, um denselben Prozess mit einer andern Waare zu
wiederholen. Dass diese einseitige Form der Geldbewegung aus der dop-
pelseitigen Formbewegung der Waare entspringt, ist verhüllt. Die Natur
der Waarencirculation selbst erzeugt den entgegengesetzten Schein. Die
erste Metamorphose der Waare ist nicht nur als Bewegung des Geldes,
sondern als ihre eigne Bewegung sichtbar, aber ihre zweite Metamorphose
ist nur als Bewegung des Geldes sichtbar. In ihrer ersten Circulations-
hälfte wechselt die Waare den Platz mit dem Geld. Damit fällt zugleich
ihre Gebrauchsgestalt aus der Circulation heraus, in die Consumtion58).
Ihre Werthgestalt oder Geldlarve tritt an ihre Stelle. Die zweite Circu-
lationshälfte durchläuft sie nicht mehr in ihrer eignen Naturalhaut, sondern
in ihrer Goldhaut. Die Continuität der Bewegung fällt damit ganz
auf die Seite des Geldes und dieselbe Bewegung, die für die Waare zwei
entgegengesetzte Prozesse einschliesst, schliesst als eigne Bewegung
des Geldes stets denselben Prozess ein, seinen Stellenwechsel mit stets
andrer Waare. Das Resultat der Waarencirculation, Ersatz von Waare
durch andre Waare, erscheint daher nicht durch ihren eignen Formwechsel
vermittelt, sondern durch die Funktion des Geldes als Circulations-
mittel, welches die an und für sich bewegungslosen Waaren circulirt,
sie aus der Hand, worin sie Nicht-Gebrauchswerthe, in die Hand überträgt,
worin sie Gebrauchswerthe, stets in entgegengesetzter Richtung zu seinem
eignen Lauf. Es entfernt die Waaren beständig aus der Circulations-
sphäre, indem es beständig an ihre Circulationsstelle tritt und sich damit
von seinem eignen Ausgangspunkt entfernt. Obgleich daher die Geldbe-
wegung nur Ausdruck der Waarencirculation, erscheint umgekehrt die
Waarencirculation nur als Resultat der Geldbewegung59).
Andrerseits kommt dem Geld nur die Funktion des Circulationsmittels
zu, weil es die verselbstständigte Werthgestalt der Waaren ist. Seine Be-
wegung als Circulationsmittel ist daher in der That nur ihre eigne Form-
bewegung. Diese muss sich daher auch sinnlich im Umlauf des Geldes
wiederspiegeln. Der doppelte Formwechsel der Waare spiegelt sich wie-
der im zweimaligen Stellenwechsel desselben Geldstücks,
wenn wir die Gesammtmetamorphose einer Waare, in der mehrmaligen
Wiederholung seines Stellenwechsels, wenn wir die Ver-
schlingung der zahllosen Metamorphosen in einander betrachten. Diesel-
ben Geldstücke kommen als entäusserte Gestalt der Waare in die
Hand des Verkäufers und verlassen sie als absolut veräusserliche
Gestalt der Waare. Das Geld wirkt in derselben Weise als Kauf-
mittel, jedesmal gegenüber andrer Waare, in beiden Prozessen. Aber ihr
innerer Zusammenhang, oder die doppelte Formbestimmtheit, die es in bei-
den Prozessen für dieselbe Waare hat, erscheint in der doppelten und
gegensätzlichen Bewegung, die denselben Geldstücken aufgedrückt wird.
Dieselben 2 Pfd. St., die beim Verkauf der Leinwand aus der Tasche
des Weizenbauers in die Tasche des Leinwebers einwandern, wandern von
ihr aus beim Kauf der Bibel. Es ist doppelter Stellenwechsel, und die
Leinwand oder ihren Repräsentanten als Centrum betrachtet, in entgegen-
gesetzter Richtung, positiver bei Einnahme des Geldes, negativer bei sei-
ner Ausgabe. Finden dagegen nur einseitige Waarenmetamorphosen
statt, blosse Verkäufe oder blosse Käufe, wie man will, so wechselt das-
selbe Geld auch nur einmal den Platz. Sein zweiter Stellenwechsel drückt
stets die zweite Metamorphose der Waare aus, ihre Rückverwandlung aus
Geld. Es versteht sich übrigens ganz von selbst, dass alles diess nur für
die hier betrachtete Form der einfachen Waarencirculation gilt.
Jede Waare, bei ihrem ersten Schritt in die Circulation, ihrem ersten
Formwechsel, fällt aus der Circulation heraus, während stets neue Waare
in sie eintritt. Das Geld dagegen als Circulationsmittel haust beständig
in der Circulationssphäre und treibt sich beständig in ihr um. Es ent-
steht also die Frage, wie viel Geld diese Sphäre beständig absorbirt.
In einem Lande geht jeden Tag gleichzeitig, daher räumlich neben
einander, eine ungeheure Anzahl einseitiger Waarenmetamorphosen vor, oder
eine zahllose Masse zersplitterter Verkäufe, welche die von einander unab-
hängigen Waarenbesitzer vollziehen. In ihren Preisen sind die Waaren
bereits bestimmten vorgestellten Geldquantis gleichgesetzt. Da nun die
hier betrachtete, unmittelbare Circulationsform Waare und Geld einander
stets leiblich gegenüberstellt, die eine auf den Pol des Verkaufs, das andre
auf den Gegenpol des Kaufs, ist die für den Circulationsprozess der Waaren-
welt erheischte Masse von Circulationsmitteln bereits durch die Preis-
summe der Waaren bestimmt. In der That stellt das Geld nur reell die
in der Preissumme der Waaren bereits ideell ausgedrückte Goldsumme
dar. Die Gleichheit dieser Summen versteht sich daher von selbst. Wir
wissen jedoch, dass bei gleichbleibenden Werthen der Waaren ihre Preise
mit dem Werthe des Goldes (des Geldmaterials) selbst wechseln, verhält-
nissmässig steigen, wenn er fällt, und fallen, wenn er steigt. Ob die Preis-
summe der Waaren so steige oder falle, die Masse des circulirenden Geldes
muss gleichmässig steigen oder fallen. Der Wechsel in der Masse der
Circulationsmittel entspringt hier allerdings aus dem Geld selbst, aber
nicht aus seiner Funktion als Circulationsmittel, son-
dern aus seiner Funktion als Werthmass. Der Preis der
Waaren wechselt erst umgekehrt wie der Werth des Geldes
und dann wechselt die Masse der Circulationsmittel direkt wie der Preis
der Waaren. Ganz dasselbe Phänomen würde sich ereignen, wenn z. B.
nicht der Werth des Goldes sänke, sondern Silber es als Werthmass er-
setzte, oder nicht der Werth des Silbers stiege, sondern Gold es aus der
Funktion des Werthmasses verdrängte. In dem einen Fall müsste mehr
Silber circuliren als vorher Gold, in dem andern weniger Gold als vorher
Silber. In beiden Fällen hätte sich der Werth des Geldmaterials
verändert, d. h. der Waare, die als Mass der Werthe funktionirt, da-
her der Preisausdruck der Waarenwerthe, daher die Masse des circuliren-
den Geldes, das zur Realisirung dieser Preise dient. Man hat gesehn,
dass die Circulationssphäre der Waaren ein Loch hat, wodurch Gold (Sil-
ber, kurz das Geldmaterial) in sie eintritt als Waare von gegebnem
Werth. Dieser Werth ist vorausgesetzt bei der Funktion des Geldes
als Werthmass, also bei der Preisbestimmung. Sinkt nun z. B. der Werth
des Werthmasses selbst, so erscheint diess zunächst im Preiswechsel der
Waaren, die unmittelbar an den Produktionsquellen der edlen Metalle mit
ihnen als Waaren ausgetauscht werden. Namentlich in minder entwickel-
ten Zuständen der bürgerlichen Gesellschaft wird ein grosser Theil der
andern Waaren noch längere Zeit in dem nun illusorisch gewordnen, ver-
alteten Werth des Werthmasses geschätzt werden. Indess inficirt eine
Waare die andre durch ihr relatives Werthverhältniss zu derselben, die
Gold- oder Silberpreise der Waaren gleichen sich allmählig aus in den
durch ihre Werthe selbst bestimmten Proportionen, bis schliesslich alle
Waarenwerthe dem neuen Werth des Geldmetalls entsprechend geschätzt
werden. Dieser Ausgleichungsprozess ist begleitet von dem fortwähren-
den Wachsthum der edlen Metalle, welche im Ersatz für die direkt mit
ihnen ausgetauschten Waaren einströmen. In demselben Mass daher,
worin die berichtigte Preisgebung der Waaren sich verallgemeinert, oder
ihre Werthe dem neuen, gesunkenen und bis zu einem gewissen Punkt
fortsinkenden Werth des Metalls gemäss geschätzt werden, ist auch bereits
seine zu ihrer Realisirung nothwendige Mehrmasse vorhanden. Einseitige
Beobachtung der Thatsachen, welche der Entdeckung der neuen Gold- und
Silberquellen folgten, verleitete im 17. und namentlich im 18. Jahrhun-
dert zum Trugschluss, die Waarenpreise seien gestiegen, weil mehr Gold
und Silber als Circulationsmittel funktionirten. Im Folgenden wird der
Werth des Goldes als gegeben vorausgesetzt, wie er in der That im
Augenblick der Preisschätzung gegeben ist.
Unter dieser Voraussetzung also ist die Masse der Circulationsmittel
durch die zu realisirende Preissumme der Waaren bestimmt. Setzen
wir nun ferner den Preis jeder Waarenart als gegeben voraus, so hängt
die Preissumme der Waaren offenbar von der in Circulation befind-
lichen Waarenmasse ab. Es gehört wenig Kopfbrechens dazu, um
zu begreifen, dass wenn 1 Quarter Weizen 2 Pfd. St., 100 Quarter 200
Pfd. St., 200 Quarter 400 Pfd. St. u. s. w. kosten, mit der Masse des
Weizens daher die Geldmasse wachsen muss, die beim Verkauf den Platz
mit ihm wechselt.
Die Waarenmasse als gegeben vorausgesetzt, fluthet die Masse
des circulirenden Geldes auf und ab mit den Preisschwankungen der
Waaren. Sie steigt und fällt, weil die Preissumme der Waaren in
Folge ihres Preiswechsels zu- oder abnimmt. Dazu ist keineswegs nöthig,
dass die Preise aller Waaren gleichzeitig steigen oder fallen. Die Preis-
steigerung einer gewissen Anzahl leitender Artikel in dem einen, oder ihre
Preissenkung in dem andern Fall, reicht hin, um die zu realisirende
Preissumme aller circulirenden Waaren zu erhöhn oder zu senken,
also auch mehr oder weniger Geld in Circulation zu setzen. Ob der Preis-
wechsel der Waaren wirkliche Werthwechsel wiederspiegelt oder blosse
Schwankungen der Marktpreise, die Wirkung auf die Masse der Circula-
tionsmittel bleibt dieselbe.
Es sei gegeben eine Anzahl zusammenhangsloser, gleichzeitiger und
daher räumlich neben einander fallender Verkäufe oder Theilmetamor-
phosen, z. B. von 2 Quarter Weizen, 20 Ellen Leinwand, 1 Bibel, 4 Gal-
lons Kornbranntwein. Wenn der Preis jedes Artikels 2 Pfd. St., die zu
realisirende Preissumme daher 8 Pfd. St., so muss eine Geldmasse von
8 Pfd. St. in die Circulation eingehn. Bilden dieselben Waaren dagegen
Glieder der uns bekannten Metamorphosenreihe: 1 Quarter Weizen —
2 Pfd. St. — 20 Ellen Leinwand — 2 Pfd. St. — 1 Bibel — 2 Pfd. St.
— 4 Gallons Kornbranntwein — 2 Pfd. St., so circuliren dieselben
2 Pfd. St. die verschiedenen Waaren der Reihe nach, indem sie deren
Preise der Reihe nach, also auch die Preissumme von 8 Pfd. St. realisiren,
um schliesslich in der Hand des Destillateurs auszuruhn. Sie vollbringen
vier Umläufe. Dieser wiederholte Stellenwechsel derselben Geldstücke
stellt den doppelten Formwechsel der Waare dar, ihre Bewegung durch
zwei entgegengesetzte Circulationsstadien und die Verschlingung der Meta-
morphosen verschiedner Waaren60). Die gegensätzlichen und einander
ergänzenden Phasen, wodurch dieser Prozess verläuft, können nicht räum-
lich neben einander fallen, sondern nur zeitlich auf einander folgen.
Zeitabschnitte bilden daher das Mass seiner Dauer, oder die Anzahl der
Umläufe derselben Geldstücke in gegebner Zeit misst die Geschwindig-
keit des Geldumlaufs. Der Circulationsprozess jener vier Waaren
dauere z. B. einen Tag. So ist die zu realisirende Preissumme: 8 Pfd. St.,
die Anzahl der Umläufe desselben Geldstücks während des Tags: 4 und
die Masse des circulirenden Geldes: 2 Pfd. St., oder für einen gegebnen
Zeitabschnitt des Circulationsprozesses: = Masse des als Circulations-
mittel funktionirenden Gel-
des. Dies Gesetz gilt allgemein.
Der Circulationsprozess eines Landes in einem gegebnen Zeitabschnitt um-
fasst zwar einerseits viele zersplitterte, gleichzeitige und räumlich neben
einander fallende Verkäufe (resp. Käufe) oder Theilmetamorphosen, worin
dieselben Geldstücke nur einmal die Stelle wechseln oder nur einen Um-
lauf vollziehn, andrerseits viele theils neben einander herlaufende, theils
sich in einander verschlingende mehr oder minder gliederreiche Metamor-
phosenreihen, worin dieselben Geldstücke mehr oder minder zahlreiche
Umläufe zurücklegen. Die Gesammtzahl der Umläufe aller in Circula-
tion befindlichen gleichnamigen Geldstücke ergiebt jedoch die
Durchschnittsanzahl der Umläufe des einzelnen Geldstücks oder die
Durchschnittsgeschwindigkeit des Geldumlaufs. Die Geldmasse, die bei
Beginn z. B. des täglichen Circulationsprozesses in ihn hineingeworfen
wird, ist natürlich bestimmt durch die Preissumme der gleichzeitig
und räumlich neben einander circulirenden Waaren. Aber inner-
halb des Prozesses wird ein Geldstück so zu sagen für das andre verant-
wortlich gemacht. Beschleunigt das eine seine Umlaufsgeschwindigkeit,
so erlahmt die des andern, oder es fliegt ganz aus der Circulationssphäre
heraus, da diese nur eine Goldmasse absorbiren kann, welche multiplicirt
mit der mittlern Umlaufsanzahl ihres einzelnen Elements gleich der zu
realisirenden Preissumme ist. Wächst daher die Anzahl der Umläufe der
Geldstücke, so nimmt ihre circulirende Masse ab. Nimmt die Anzahl
ihrer Umläufe ab, so wächst ihre Masse. Weil die Masse des Geldes, die
als Circulationsmittel funktioniren kann, bei gegebner Durchschnittsge-
schwindigkeit gegeben ist, hat man daher z. B. nur eine bestimmte
Quantität von Ein-Pfund-Noten in die Cirkulation hinein zu werfen, um
eben so viele Sovereigns hinaus zu werfen, ein allen Banken wohlbekanntes
Kunststück.
Wie im Geldumlauf überhaupt nur der Circulationsprozess der
Waaren erscheint, so in der Geschwindigkeit des Geldumlaufs die Ge-
schwindigkeit ihres Formwechsels, das continuirliche Ineinandergreifen der
Metamorphosenreihen, die Hast des Stoffwechsels, das rasche Verschwin-
den der Waaren aus der Circulationssphäre und ihr ebenso rascher Ersatz
durch neue Waaren. In der Geschwindigkeit des Geldumlaufs erscheint
also die flüssige Einheit der entgegengesetzten und sich ergänzen-
den Phasen, Verwandlung der Gebrauchsgestalt in Werthgestalt und Rück-
verwandlung der Werthgestalt in Gebrauchsgestalt, oder der beiden Pro-
zesse des Verkaufs und Kaufs. Umgekehrt erscheint in der Verlangsa-
mung des Geldumlaufs die Trennung und gegensätzliche Ver-
selbstständigung dieser Prozesse, die Stockung des Formwechsels
und daher des Stoffwechsels. Woher diese Stockung entspringt, ist na-
türlich der Circulation selbst nicht anzusehn. Sie zeigt nur das Phänomen
selbst. Der populären Anschauung, welche mit verlangsamtem Geldumlauf
das Geld minder häufig auf allen Punkten der Circulationsperipherie er-
scheinen und verschwinden sieht, liegt es nah das Phänomen aus mangeln-
der Quantität der Circulationsmittel zu deuten61).
Das Gesammtquantum des in jedem Zeitabschnitt als Circulations-
mittel functionirenden Geldes ist also bestimmt einerseits durch die Preis-
summe der circulirenden Waarenwelt, andrerseits durch den langsamern
oder raschern Fluss ihrer gegensätzlichen Circulationsprozesse, von dem
es abhängt, der wievielte Theil jener Preissumme durch dieselben
Geldstücke realisirt werden kann. Die Preissumme der Waaren hängt
aber ab sowohl von der Masse als den Preisen jeder Waarenart. Die
drei Faktoren der Preisbewegung, der circulirenden Waaren-
masse und endlich der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes
können aber in verschiedner Richtung und verschiednen Verhältnissen
wechseln, die zu realisirende Preissumme, daher die durch sie
bedingte Masse der Circulationsmittel, also sehr zahlreiche Com-
binationen untergehn. Wir zählen hier nur die in der Geschichte der
Waarenpreise wichtigsten auf.
Bei gleichbleibenden Waarenpreisen kann die Masse der
Circulationsmittel wachsen, weil die Masse der circulirenden Waaren zu-
nimmt oder die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes abnimmt, oder beides
zusammenwirkt. Die Masse der Circulationsmittel kann umgekehrt ab-
nehmen mit abnehmender Waarenmasse oder zunehmender Circulations-
geschwindigkeit.
Bei allgemein steigenden Waarenpreisen kann die Masse
der Circulationsmittel gleichbleiben, wenn die Masse der circulirenden
Waaren in demselben Verhältniss abnimmt, worin ihr Preis zunimmt, oder
die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes eben so rasch zunimmt als die
Preiserhöhung, während die cirkulirende Waarenmasse constant bleibt.
Die Masse der Circulationsmittel kann fallen, weil die Waarenmasse
rascher ab- oder die Umlaufsgeschwindigkeit rascher zunimmt als die
Preise.
Bei allgemein fallenden Waarenpreisen kann die Masse
der Circulationsmittel gleichbleiben, wenn die Waarenmasse in demselben
Verhältniss wächst, worin ihr Preis fällt, oder die Umlaufsgeschwindigkeit
des Geldes in demselben Verhältniss abnimmt wie die Preise. Sie kann
wachsen, wenn die Waarenmasse rascher wächst oder die Circulations-
geschwindigkeit rascher abnimmt als die Waarenpreise fallen.
Die Variationen der verschiedenen Faktoren können sich wechselsei-
tig compensiren, so dass ihrer beständigen Unstätigkeit zum Trotz die zu
realisirende Gesammtsumme der Waarenpreise constant bleibt, also auch
die circulirende Geldmasse. Man findet daher, namentlich bei Betrach-
tung etwas längerer Perioden, ein viel constanteres Durchschnitts-
niveau der in jedem Lande circulirenden Geldmasse und,
mit Ausnahme starker Perturbationen, die periodisch aus den Produktions-
und Handelskrisen, seltner aus einem Wechsel im Geldwerth selbst ent-
springen, viel geringere Abweichungen von diesem Durchschnittsniveau
als man nach dem Augenschein erwarten sollte.
Das Gesetz, dass die Quantität der Circulationsmittel bestimmt ist
durch die Preissumme der circulirenden Waaren und die Durchschnitts-
geschwindigkeit des Geldumlaufs62), kann auch so ausgedrückt werden,
dass bei gegebner Werthsumme der Waaren und gegebner Durchschnitts-
geschwindigkeit ihrer Metamorphosen, die Quantität des umlaufenden
Geldes oder des Geldmaterials von seinem eignen Werth abhängt.
Die Illusion, dass umgekehrt die Waarenpreise durch die Masse der Circu-
lationsmittel und letztre ihrerseits durch die Masse des in einem Lande
befindlichen Geldmaterials bestimmt werden63), wurzelt bei ihren ursprüng-
lichen Vertretern in der abgeschmackten Hypothese, dass Waaren ohne
Preis und Geld ohne Werth in den Circulationsprozess eingehn,
wo sich dann ein aliquoter Theil des Waarenbreis mit einem aliquoten
Theil des Metallbergs austausche64).
Aus der Funktion des Geldes als Circulationsmittel entspringt seine
Münzgestalt. Der in dem Preise oder Geldnamen der Waaren vorge-
stellte Gewichtstheil Gold muss ihnen in der Circulation als gleichnamiges
Goldstück oder Münze gegenübertreten. Wie die Feststellung des
Massstabs der Preise, fällt das Geschäft der Münzung dem Staat anheim.
In den verschiedenen Nationaluniformen, die Gold und Silber als Münzen
tragen, auf dem Weltmarkt aber wieder ausziehn, erscheint die Scheidung
zwischen den innern oder nationalen Sphären der Waarencirculation und
ihrer allgemeinen Weltmarktssphäre.
Goldmünze und Barrengold unterscheiden sich also von Haus aus nur
durch die Figur, und das Gold ist beständig aus einer Form in die andre
verwandelbar65). Der Weg aus der Münze ist aber zugleich der Gang
zum Schmelztiegel. Im Umlauf verschleissen nämlich die Goldmünzen,
die eine mehr, die andre weniger. Goldtitel und Goldsubstanz, Nominal-
gehalt und Realgehalt beginnen ihren Scheidungsprozess. Gleichnamige
Goldmünzen werden von ungleichem Werth, weil verschiednem Gewicht.
Das Gold als Circulationsmittel weicht ab vom Gold als Massstab der
Preise, und hört damit auch auf wirkliches Aequivalent der Waaren zu
sein, deren Preise es realisirt. Die Geschichte dieser Wirren bildet die
Münzgeschichte des Mittelalters und der Neuzeit bis ins 18. Jahrhundert.
Die naturwüchsige Tendenz des Cirkulationsprozesses, das Goldsein der
Münze in Goldschein oder die Münze in ein Symbol ihres officiellen Metall-
gehalts zu verwandeln, ist selbst anerkannt durch die modernsten Gesetze
über den Grad des Metallverlustes, der ein Goldstück kursunfähig macht
oder demonetisirt.
Wenn der Geldumlauf selbst den Realgehalt vom Nominalgehalt
der Münze scheidet, ihr Metalldasein von ihrem funktionellen Dasein,
so enthält er die Möglichkeit latent, das Metallgeld in seiner Münzfunktion
durch Marken aus andrem Material oder Symbole zu ersetzen. Die tech-
nischen Hindernisse der Münzung ganz diminutiver Gewichtstheile des
Goldes, resp. Silbers, und der Umstand, dass niedrigere Metalle ursprüng-
lich statt der edleren, Silber statt des Goldes, Kupfer statt des Silbers,
zum Werthmass dienen und daher als Geld circuliren im Augenblick, wo
das edlere Metall sie entthront, erklären historisch die Rolle von Silber-
und Kupfermarken als Substitute der Goldmünze. Sie ersetzen das Gold
in den Kreisen der Waarencirculation, worin die Münze am schnellsten
circulirt und sich daher am schnellsten abnutzt, d. h. wo Käufe und Ver-
käufe unaufhörlich im kleinsten Massstab erneuert werden. Um die Fest-
setzung dieser Trabanten an der Stelle des Goldes selbst zu verhindern,
werden gesetzlich die sehr niedrigen Proportionen bestimmt, worin sie
allein an Zahlungsstatt für Gold angenommen werden müssen. Die be-
sondern Kreise, worin die verschiednen Münzsorten umlaufen, laufen natür-
lich in einander. Die Scheidemünze erscheint neben dem Gold zur Zah-
lung von Bruchtheilen der kleinsten Goldmünze; das Gold tritt beständig
in die Detailcirculation ein, wird aber durch Auswechslung mit Scheide-
münze ebenso beständig herausgeworfen66).
Der Metallgehalt der Silber- oder Kupfermarken ist willkührlich durch
das Gesetz bestimmt. Im Umlauf verschleissen sie noch rascher als die
Goldmünze. Ihre Münzfunktion wird daher faktisch durchaus unabhängig
von ihrem Gewicht, d. h. von allem Werth. Das Münzdasein des Goldes
scheidet sich völlig von seiner Werthsubstanz. Relativ werthlose Dinge,
Papierzettel, können also an seiner Statt als Münze funktioniren. In
den metallischen Geldmarken ist der rein symbolische Charakter noch eini-
germassen versteckt. Im Papiergeld tritt er augenscheinlich hervor.
Man sieht: ce n’est que le premier pas qui coûte.
Es handelt sich hier nur von Staatspapiergeld mit Zwangs-
kurs. Es wächst unmittelbar aus der metallischen Circulation heraus.
Creditgeld unterstellt dagegen Verhältnisse, die uns vom Standpunkt
der einfachen Waarencirculation noch durchaus unbekannt sind. Im Vor-
beigehn sei jedoch bemerkt, dass, wie eigentliches Papiergeld aus der
Funktion des Geldes als Circulationsmittel entspringt, das Cre-
ditgeld in der Funktion des Geldes als Zahlungsmittel seine natur-
wüchsige Wurzel besitzt67).
Papierzettel, denen Geldnamen, wie 1 Pfd. St., 5 Pfd. St. u. s. w.
aufgedruckt sind, werden vom Staat äusserlich in den Circulationsprozess
hineingeworfen. Soweit sie wirklich an der Stelle der gleichnamigen
Goldsumme circuliren, spiegeln sich in ihrer Bewegung nur die Gesetze des
Geldumlaufs selbst wieder. Ein spezifisches Gesetz der Papiercirculation
kann nur aus ihrem Repräsentationsverhältniss zum Gold entspringen. Und
diess Gesetz ist einfach diess, dass die Ausgabe des Papiergelds auf die
Quantität zu beschränken ist, worin das von ihm symbolisch dargestellte
Gold (resp. Silber) wirklich circuliren müsste. Nun schwankt zwar das
Goldquantum, welches die Circulationssphäre absorbiren kann, beständig
über oder unter ein gewisses Durchschnittsniveau. Jedoch sinkt die
Mass des circulirenden Mediums in einem gegebnen Land nie unter ein
gewisses Minimum, das sich erfahrungsmässig feststellt. Dass diese
Minimalmasse fortwährend ihre Bestandtheile wechselt, d. h. aus stets an-
dern Goldstücken besteht, ändert natürlich nichts an ihrem Umfang und
ihrem constanten Umtrieb in der Circulationssphäre. Sie kann daher durch
Papiersymbole ersetzt werden. Werden dagegen heute alle Circulations-
kanäle zum vollen Grad ihrer Geldabsorptionsfähigkeit mit Papiergeld ge-
füllt, so können sie in Folge der Schwankungen der Waarencirculation
morgen übervoll sein. Alles Mass geht verloren. Ueberschreitet aber
das Papier sein Mass, d. h. die Quantität von Goldmünze gleicher Deno-
mination, welche circuliren könnte, so stellt es, von der Gefahr allgemeiner
Discreditirung abgesehn, innerhalb der Waarenwelt dennoch nur die durch
ihre immanenten Gesetze bestimmte, also auch allein repräsentirbare Gold-
quantität vor. Stellt die Papierzettelmasse z. B. je 2 Unzen Gold, statt
je 1 Unze dar, so werden ihre Geldnamen faktisch, sage etwa von 1 Pfd.
St. per ¼ Unze, zu Namen von ⅛ Unzen herabgesetzt. Die Wirkung
ist dieselbe, als wäre das Gold in seiner Funktion als Mass der Preise
verändert worden. Dieselben Werthe, die sich daher vorher im Preise von
1 Pfd. St., drücken sich jetzt im Preise von 2 Pfd. St. aus.
Das Papiergeld ist Goldzeichen oder Geldzeichen. Sein Ver-
hältniss zu den Waaren werthen besteht nur darin, dass sie ideell in den-
selben Goldquanta ausgedrückt sind, welche vom Papier symbolisch sinn-
lich dargestellt werden. Nur sofern das Papiergeld Goldquanta repräsen-
tirt, die, wie alle andern Waarenquanta, auch Werthquanta, ist es
Werthzeichen.
Es fragt sich schliesslich, warum das Gold durch blosse werthlose
Zeichen seiner selbst ersetzt werden kann? Es ist aber, wie man gesehn,
nur so ersetzbar, soweit es in seiner Funktion als Münze oder Circulations-
mittel isolirt oder verselbstständigt wird. Nun findet die Verselbststän-
digung dieser Funktion zwar nicht für die einzelnen Goldmünzen statt,
obgleich sie in dem Fortcirculiren verschlissener Goldstücke erscheint.
Blosse Münze oder Circulationsmittel sind die Goldstücke grade nur so
lang sie sich wirklich im Umlauf befinden. Was aber nicht für die ein-
zelne Goldmünze, gilt für die vom Papiergeld ersetzbare Minimalmasse
Gold. Sie haust beständig in der Circulationssphäre, funktionirt fortwäh-
rend als Circulationsmittel und existirt daher ausschliesslich als Träger
dieser Funktion. Ihre Bewegung stellt also nur das fortwährende Inein-
anderumschlagen der entgegengesetzten Prozesse der Waarenmetamor-
phose W — G — W dar, worin der Waare ihre Werthgestalt nur gegen-
übertritt, um sofort wieder zu verschwinden. Die selbstständige
Darstellung des Tauschwerths der Waare ist hier nur flüch-
tiges Moment. Sofort wird sie wieder durch andere Waare ersetzt. Da-
her genügt auch die bloss symbolische Existenz des Geldes in einem Pro-
zess, der es beständig aus einer Hand in die andre entfernt. Sein funk-
tionelles Dasein absorbirt so zu sagen sein materielles. Verschwindend
objektivirter Reflex der Waarenpreise funktionirt es nur noch als Zeichen
seiner selbst und kann daher auch durch Zeichen ersetzt werden68). Nur
bedarf das Zeichen des Geldes seiner eignen objektiv gesellschaft-
lichen Gültigkeit und diese erhält das Papiersymbol durch den
Zwangskurs. Nur innerhalb der von den Grenzen eines Gemeinwesens
umschriebnen oder innern Circulationssphäre gilt dieser Staatszwang, aber
auch nur hier geht das Geld völlig auf in seine Funktion als Circulations-
mittel oder Münze, und kann daher im Papiergeld eine von seiner Metall-
substanz äusserlich getrennte und bloss funktionelle Existenzweise er-
halten.
Die Waare, welche als Werthmass und daher auch, persönlich oder
durch Stellvertreter, als Circulationsmittel funktionirt, ist Geld.
Gold (resp. Silber) ist daher Geld. Als Geld funktionirt es, einerseits
wo es in seiner goldnen (resp. silbernen) Leiblichkeit erscheinen muss,
daher als Geldwaare, also weder bloss ideell, wie im Werthmass, noch
repräsentationsfähig, wie im Circulationsmittel; andrerseits, wo seine Funk-
tion, ob es selbe nun in eigner Person oder durch Stellvertreter vollziehe,
es als alleinige Werthgestalt oder allein adäquates Dasein
des Tauschwerths allen andern Waaren als blossen Gebrauchs-
werthen gegenüber fixirt.
Der continuirliche Kreislauf der zwei entgegengesetzten Waaren-
metamorphosen oder der flüssige Umschlag von Verkauf und Kauf er-
scheint im rastlosen Umlauf des Geldes oder seiner Funktion als per-
petuum mobile der Circulation. Es wird immobilisirt, oder verwandelt sich,
wie Boisguillebert sagt, aus meuble in immeuble, aus Münze
in Geld, sobald die Metamorphosenreihe unterbrochen, der Verkauf
nicht durch nachfolgenden Kauf ergänzt wird.
Mit der ersten Entwicklung der Waarencirculation selbst entwickelt
sich die Nothwendigkeit und die Leidenschaft, das Produkt der ersten
Metamorphose, die verwandelte Gestalt der Waare oder ihre Goldpuppe
festzuhalten69). Waare wird verkauft, nicht um Waare zu kaufen, son-
dern um Waarenform durch Geldform zu ersetzen. Aus blosser Vermitt-
lung des Stoffwechsels wird dieser Formwechsel zum Selbstzweck. Die
entäusserte Gestalt der Waare wird verhindert als ihre absolut ver-
äusserliche Gestalt oder nur verschwindende Geldform zu funktioniren.
Das Geld versteinert damit zum Schatz, und der Waarenverkäufer
wird Schatzbildner.
Grade in den Anfängen der Waarencirculation verwandelt sich nur
der Ueberschuss an Gebrauchswerthen in Geld. Gold und Silber werden so
von selbst zu gesellschaftlichen Ausdrücken des Ueberflusses oder des
Reichthums. Diese naive Form der Schatzbildung verewigt sich bei Völ-
kern, wo der traditionellen und auf Selbstbedarf gerichteten Produktions-
weise ein fest abgeschlossner Kreis von Bedürfnissen entspricht. So bei
den Asiaten, namentlich den Indern. Vanderlint, der die Waaren-
preise durch die Masse des in einem Land befindlichen Goldes und Silbers
bestimmt wähnt, fragt sich, warum die indischen Waaren so wohlfeil?
Antwort: Weil die Inder das Geld vergraben. Von 1602—1734, be-
merkt er, vergruben sie 150 Millionen Pfd. St. Silber, die ursprünglich von
Amerika nach Europa kamen70). Von 1856—1866, also in 10 Jahren,
exportirte England nach Indien und China (das nach China exportirte Me-
tall fliesst grossentheils wieder nach Indien) 120 Millionen Pfd. St. in
Silber, welches vorher gegen australisches Gold eingewechselt wurde.
Mit mehr entwickelter Waarenproduktion muss jeder Waarenpro-
ducent sich den nexus rerum, das „gesellschaftliche Faustpfand“ sichern71).
Seine Bedürfnisse erneuern sich unaufhörlich und gebieten unaufhörlichen
Kauf fremder Waare, während Produktion und Verkauf seiner eignen
Waare Zeit kosten und von Zufällen abhängen. Um zu kaufen, ohne zu
verkaufen, muss er vorher verkauft haben, ohne zu kaufen. Diese Ope-
ration, auf allgemeiner Stufenleiter ausgeführt, scheint sich selbst zu wider-
sprechen. An ihren Produktionsquellen jedoch tauschen sich die edlen
Metalle direkt mit andern Waaren aus. Es findet hier Verkauf (auf Seite
der Waarenbesitzer) ohne Kauf (auf Seite der Gold- und Silberbesitzer)
statt72). Und spätere Verkäufe ohne nachfolgende Käufe vermitteln bloss
die weitere Vertheilung der edlen Metalle unter alle Waarenbesitzer. So
entstehn auf allen Punkten des Verkehrs Gold- und Silberschätze vom
verschiedensten Umfang. Mit der Möglichkeit, die Waare als Tausch-
werth oder den Tauschwerth als Waare festzuhalten, erwacht die Goldgier.
Mit der Ausdehnung der Waarencirculation wächst die Macht des Geldes,
der stets schlagfertigen, absolut gesellschaftlichen Form des Reichthums.
„Gold ist ein wunderbares Ding! Wer dasselbe besitzt, ist Herr von
allem, was er wünscht. Durch Gold kann man sogar Seelen in das Para-
dies gelangen lassen.“ (Columbus, im Brief aus Jamaica, 1503). Da
dem Geld nicht anzusehn, was in es verwandelt ist, verwandelt sich alles,
Waare oder nicht, in Geld. Alles wird verkäuflich und kaufbar. Die
Circulation wird die grosse gesellschaftliche Retorte, worin alles hinein-
fliegt, um als Geldkrystall wieder herauszukommen. Dieser Alchymie wider-
stehen nicht einmal Heiligenknochen und noch viel weniger minder grobe
res sacrosanctae, extra commercium hominum73). Wie im Geld aller
qualitative Unterschied der Waaren ausgelöscht ist, löscht es seinerseits
als radikaler Leveller alle Unterschiede aus74). Das Geld ist aber selbst
Waare, ein äusserlich Ding, das Privateigenthum eines Jeden werden kann.
Die gesellschaftliche Macht wird so zur Privatmacht der Privatperson.
Die antike Gesellschaft denuncirt es daher als die Scheidemünze ihrer
ökonomischen und sittlichen Ordnung75). Die moderne Gesellschaft, die
„Gold! yellow, glittering precious gold!
Thus much of this, will make black white; foul, fair;
Wrong, right; base, noble; old, young; coward, valiant
. . . . . . . . . . What this, you gods! Why this
Will lug your priests and servants from your sides;
Pluck stout men’s pillows from below their heads.
This yellow slave
Will knit and break religions; bless the accurs’d;
Make the hoar leprosy ador’d; place thieves
And give them title, knee and approbation,
With senators of the bench; this is it,
That makes the wappen’d widow wed again
. . . . . . . . . . Come damned earth,
Thou common whore of mankind.“
(Shakespeare, Timon of Athens.)
„Οὐδὲν γὰϱ ἀνϑϱώποισιν οἷον ἄϱγυϱος
Καϰὸν νόμισμα ἔβλαστε· τοῦτο ϰαὶ πόλεις
Ποϱϑεῖ, τόδ᾽ἄνδϱας ἐξανίστησιν δόμων.
Τόδ᾽ ἐϰδιδάσϰει ϰαὶ παϱαλλάσσει φϱένας
Χϱηστὰς πϱὸς αἰσχϱὰ ἀνϑϱώποις ἔχειν,
Καὶ παντὸς ἔϱγου δυσσέβειαν εἰδέναι.“
(Sophocles, Antigone.)
schon in ihren Kinderjahren den Plutus an den Haaren aus den Eingewei-
den der Erde herauszieht76), begrüsst im Goldgral die glänzende Incarna-
tion ihres eigensten Lebensprinzips.
Die Waare als Gebrauchswerth befriedigt ein besondres Bedürfniss
und bildet ein besondres Element des stofflichen Reichthums. Aber der
Werth der Waare misst den Grad ihrer Attraktionskraft auf alle Ele-
mente des stofflichen Reichthums, daher den gesellschaftlichen
Reichthum ihres Besitzers. Dem barbarisch einfachen Waarenbesitzer,
selbst einem westeuropäischen Bauer, ist der Werth unzertrennlich von der
Werthform, Vermehrung des Gold- und Silberschatzes daher Werthver-
mehrung. Allerdings wechselt der Werth des Geldes, sei es in Folge sei-
nes eignen Werthwechsels, sei es des Werthwechsels der Waaren. Diess
verhindert aber einerseits nicht, dass 200 Unzen Gold nach wie vor mehr
Werth enthalten als 100, 300 mehr als 200 u. s. w., noch andrerseits
dass die metallne Naturalform dieses Dings die allgemeine Aequivalent-
form aller Waaren bleibt, die unmittelbar gesellschaftliche Incarnation
aller menschlichen Arbeit. Der Trieb der Schatzbildung ist von Natur
masslos. Qualitativ oder seiner Form nach ist das Geld schranken-
los, d. h. allgemeiner Repräsentant des stofflichen Reichthums, weil in
jede Waare unmittelbar umsetzbar. Aber zugleich ist jede wirkliche Geld-
summe quantitativ beschränkt, daher auch nur Kaufmittel von be-
schränkter Wirkung. Dieser Widerspruch zwischen der quantitativen
Schranke und der qualitativen Schrankenlosigkeit des Geldes treibt den
Schatzbildner stets zurück zur Sisyphusarbeit der Accumulation.
Es geht ihm wie dem Welteroberer, der mit jedem neuen Land nur eine
neue Grenze erobert.
Um das Gold als Geld festzuhalten und daher als Element der Schatz-
bildung, muss es verhindert werden zu circuliren oder als Kaufmittel
sich in Genussmittel aufzulösen. Der Schatzbildner opfert daher dem
Goldfetisch seine Fleischeslust. Er macht Ernst mit dem Evangelium
der Entsagung. Andrerseits kann er der Circulation nur in Geld entziehn,
was er ihr in Waare giebt. Je mehr er producirt, desto mehr kann er
verkaufen. Arbeitsamkeit, Sparsamkeit und Geiz bilden daher seine Kar-
dinaltugenden, viel verkaufen, wenig kaufen, die Summe seiner politi-
schen Oekonomie77).
Neben der unmittelbaren Form des Schatzes läuft seine ästheti-
sche Form, der Besitz von Gold- und Silberwaaren. Er wächst mit
dem Reichthum der bürgerlichen Gesellschaft. „Soyons riches ou parais-
sons riches.“ (Diderot.) Es bildet sich so theils ein stets ausgedehnterer
Markt für Gold und Silber, unabhängig von ihren Geldfunktionen, theils
eine latente Zufuhrquelle des Geldes, die namentlich in gesellschaftlichen
Sturmperioden fliesst.
Die Schatzbildung erfüllt verschiedne Funktionen in der Oekonomie
der metallischen Circulation. Die nächste Funktion entspringt aus den
Umlaufsbedingungen der Gold- oder Silbermünze. Man hat gesehn, wie
mit den beständigen Schwankungen der Waarencirculation in Umfang,
Preisen und Geschwindigkeit die Umlaufsmasse des Geldes rastlos ebbt
und fluthet. Sie muss also der Contraktion und Expansion fähig sein.
Bald muss Geld als Münze attrahirt, bald Münze als Geld repellirt werden.
Damit die wirklich umlaufende Geldmasse dem Sättigungsgrad der Circu-
lationssphäre stets entspreche, muss das in einem Lande befindliche Gold-
oder Silberquantum grösser sein als das in Münzfunktion begriffene. Diese
Bedingung wird erfüllt durch die Schatzform des Geldes. Die Schatz-
reservoirs dienen zugleich als Abfuhr- und Zufuhrkanäle des cirkuliren-
den Geldes, welches seine Umlaufskanäle daher nie überfüllt78).
In der bisher betrachteten unmittelbaren Form der Waarencirkulation
war dieselbe Werthgrösse stets doppelt vorhanden, Waare auf dem einen Pol,
Geld auf dem Gegenpol. Die Waarenbesitzer traten daher nur in Contakt als
Repräsentanten wechselseitig vorhandner Aequivalente. Mit der Entwicklung
der Waarencirkulation entwickeln sich jedoch Verhältnisse, wodurch die Ver-
äusserung der Waare von der Realisirung ihres Preises zeitlich getrennt
wird. Es genügt die einfachsten dieser Verhältnisse hier anzudeuten. Die
eine Waarenart erheischt längere, die andere kürzere Zeitdauer zu ihrer
Produktion. Die Produktion verschiedner Waaren ist an verschiedne
Jahreszeiten geknüpft. Die eine Waare wird auf ihrem Marktplatz gebo-
ren, die andre muss zu entferntem Markt reisen. Der eine Waarenbesitzer
kann daher als Verkäufer auftreten, bevor der andre als Käufer. Bei
steter Wiederkehr derselben Transactionen unter denselben Personen regeln
sich die Verkaufsbedingungen der Waaren nach ihren Produktionsbedin-
gungen. Der eine Waarenbesitzer verkauft vorhandne Waare, der andre
kauft als blosser Repräsentant von Geld oder als Repräsentant von künf-
tigem Gelde. Der Verkäufer wird Gläubiger, der Käufer Schuld-
ner. Da die Metamorphose der Waare oder die Entwicklung ihrer
Werthform sich hier verändert, erhält auch das Gold eine andre Funktion.
Es wird Zahlungsmittel79).
Der Charakter von Gläubiger oder Schuldner entspringt hier aus
der einfachen Waarencirkulation. Ihre Formveränderung drückt dem
Verkäufer und Käufer diese neuen Stempel auf. Zunächst also sind es
ebenso verschwindende und wechselweis von denselben Cirkulationsagenten
gespielte Rollen wie die von Verkäufer und Käufer. Jedoch sieht der
Gegensatz jetzt von Haus aus minder gemüthlich aus und ist grösserer
Krystallisation fähig80). Dieselben Charaktere können aber auch von
der Waarencirculation unabhängig auftreten. Der Klassenkampf der an-
tiken Welt z. B. bewegt sich hauptsächlich in der Form eines Kampfes
zwischen Gläubiger und Schuldner, und endet in Rom mit dem Untergang
des plebejischen Schuldners, der durch den Sklaven ersetzt wird. Im
Mittelalter endet der Kampf mit dem Untergang des feudalen Schuldners,
der seine politische Macht mit ihrer ökonomischen Basis einbüsst. Indess
spiegelt die Geldform — und das Verhältniss von Gläubiger und Schuld-
ner besitzt die Form eines Geldverhältnisses — hier nur den Antagonis-
mus tiefer liegender ökonomischer Lebensbedingungen wieder.
Kehren wir zur Sphäre der Waarencirculation zurück. Die gleich-
zeitige Erscheinung der Aequivalente Waare und Geld auf den beiden
Polen des Verkaufsprozesses hat aufgehört. Das Geld funktionirt jetzt
erstens als Werthmass in der Preisbestimmung der verkauften Waare.
Ihr kontraktlich festgesetzter Preis misst die Obligation des Käufers, d. h.
die Geldsumme, die er an bestimmtem Zeittermin schuldet. Es funktio-
nirt zweitens als ideelles Kaufmittel. Obgleich es nur im Geld-
versprechen des Käufers existirt, bewirkt es den Händewechsel der Waare.
Erst am fälligen Zahlungstermin tritt das Zahlungsmittel wirklich in Circu-
lation, d. h. geht aus der Hand des Käufers in die des Verkäufers über.
Das Circulationsmittel verwandelte sich in Schatz, weil der Circulations-
prozess mit der ersten Phase abbrach oder die verwandelte Gestalt der
Waare der Circulation entzogen wurde. Das Zahlungsmittel tritt in
die Circulation hinein, aber nachdem die Waare bereits aus ihr ausgetre-
ten ist. Das Geld vermittelt nicht mehr den Prozess. Es schliesst ihn
selbstständig ab, als absolutes Dasein des Tauschwerths oder allgemeine
Waare. Der Verkäufer verwandelte Waare in Geld, um ein Bedürfniss
durch das Geld zu befriedigen, der Schatzbildner, um die Waare in Geld-
form zu präserviren, der schuldige Käufer, um zahlen zu können. Zahlt
er nicht, so finden Zwangsverkäufe seiner Habe statt. Die Werthgestalt
der Waare, Geld, wird also jetzt zum Selbstzweck des Verkaufs
durch eine den Verhältnissen des Circulationsprozesses selbst entspringende,
gesellschaftliche Nothwendigkeit.
Der Käufer verwandelt Geld zurück in Waare, bevor er Waare in
Geld verwandelt hat, oder vollzieht die zweite Waarenmetamorphose vor
der ersten. Die Waare des Verkäufers circulirt, realisirt ihren Preis aber
nur in einem privatrechtlichen Titel auf Geld. Sie verwandelt sich in Ge-
brauchswerth, bevor sie sich in Geld verwandelt hat. Die Vollziehung
ihrer ersten Metamorphose folgt erst nachträglich.
In jedem bestimmten Zeitabschnitt des Circulationsprozesses reprä-
sentiren die fälligen Obligationen die Preissumme der Waaren, deren
Verkauf sie hervorrief. Die zur Realisirung dieser Preissumme nöthige
Geldmasse hängt zunächst ab von der Umlaufsgeschwindigkeit
der Zahlungsmittel. Sie ist bedingt durch zwei Umstände: die
Verkettung der Verhältnisse von Gläubiger und Schuldner, so dass A,
der Geld von seinem Schuldner B erhält, es an seinen Gläubiger C fort-
zahlt u. s. w. — und die Zeitlänge zwischen den verschiednen Zah-
lungsterminen. Die prozessirende Kette von Zahlungen oder nachträg-
lichen ersten Metamorphosen unterscheidet sich wesentlich von der früher
betrachteten Verschlingung der Metamorphosenreihen. Im Umlauf des
Circulationsmittels wird der Zusammenhang zwischen Verkäufern und Käu-
fern nicht nur ausgedrückt. Der Zusammenhang selbst entsteht erst
in und mit dem Geldumlauf. Dagegen drückt die Bewegung des Zah-
lungsmittels einen schon vor ihr fertig vorhandnen gesellschaftlichen Zu-
sammenhang aus.
Gleichzeitigkeit und Nebeneinander der Verkäufe beschränken den Er-
satz der Münzmasse durch Umlaufsgeschwindigkeit. Sie bilden umgekehrt
einen neuen Hebel in der Oekonomie der Zahlungsmittel. Mit der Con-
centration der Zahlungen an demselben Platz entwickeln sich naturwüch-
sig eigne Anstalten und Methoden ihrer Ausgleichung. So z. B. die vire-
ments im mittelaltrigen Lyon. Die Schuldforderungen von A an B, B an
C, C an A u. s. w. brauchen bloss confrontirt zu werden, um sich wech-
selseitig bis zu einem gewissen Belauf als positive und negative Grössen
aufzuheben. So bleibt nur eine Schuldbilanz zu saldiren. Je massen-
hafter die Concentration der Zahlungen, desto kleiner relativ die Bilanz,
also die Masse der circulirenden Zahlungsmittel.
Die Funktion des Geldes als Zahlungsmittel schliesst einen unvermit-
telten Widerspruch ein. So weit sich die Zahlungen ausgleichen, funktio-
nirt es nur ideell als Rechengeld oder Mass der Werthe. Soweit
wirkliche Zahlung zu verrichten, tritt es nicht als Circulationsmittel auf,
als nur verschwindende und vermittelnde Form des Stoffwechsels, sondern
als die individuelle Incarnation der gesellschaftlichen Arbeit, selbstständiges
Dasein des Tauschwerths, absolute Waare. Dieser Widerspruch eklatirt
in dem Moment der Produktions- und Handelskrisen, der Geldkrise
heisst81). Sie ereignet sich nur, wo die prozessirende Kette der Zahlun-
gen und ein künstliches System ihrer Ausgleichung völlig entwickelt sind.
Mit allgemeineren Störungen dieses Mechanismus, woher sie immer ent-
springen mögen, schlägt das Geld plötzlich und unvermittelt aus der nur
ideellen Gestalt des Rechengeldes in hartes Geld um. Es wird unersetz-
lich durch profane Waaren. Der Gebrauchswerth der Waare wird werth-
los und ihr Werth verschwindet vor seiner eignen Werthform. Eben noch
erklärte der Bürger in prosperitätstrunknem Aufklärungsdünkel das Geld
für leeren Wahn. Nur die Waare ist Geld. Nur das Geld ist Waare!
gellt’s jetzt über den Weltmarkt. Wie der Hirsch schreit nach frischem
Wasser, so schreit seine Seele nach Geld, dem einzigen Reichthum82).
In der Krise wird der Gegensatz zwischen der Waare und ihrer Werthgestalt,
dem Geld, bis zum absoluten Widerspruch gesteigert. Die Erscheinungs-
form des Geldes ist hier daher auch gleichgültig. Die Geldhungersnoth
bleibt dieselbe, ob in Gold oder Creditgeld, Banknoten etwa, zu zah-
len ist83).
Betrachten wir nun die Gesammtsumme des in einem gegebenen
Zeitabschnitt umlaufenden Geldes, so ist sie, bei gegebener Umlaufsge-
schwindigkeit der Cirkulations- und Zahlungsmittel, gleich der Summe der
zu realisirenden Waarenpreise plus der Summe der fälligen Zahlungen
minus der sich ausgleichenden Zahlungen. Selbst Preise, Geschwindigkeit des
Geldumlaufs, und Oekonomie der Zahlungen gegeben, decken sich daher
nicht länger die während einer Periode, eines Tags z. B., umlaufende
Geldmasse und cirkulirende Waarenmasse. Es läuft Geld um, das der
Cirkulation längst entzogne Waaren repräsentirt. Es laufen Waaren um,
deren Geldäquivalent erst in der Zukunft erscheint. Andrerseits sind die
jeden Tag contrahirten und die denselben Tag fälligen Zahlungen
durchaus incommensurable Grössen84).
Das Creditgeld entspringt unmittelbar aus der Funktion des Geldes
als Zahlungsmittel, indem Schuldcertificate für die verkauften Waaren selbst
wieder zur Uebertragung der Schuldforderungen cirkuliren. Andrerseits,
wie sich das Creditwesen ausdehnt, so die Funktion des Geldes als Zahlungs-
mittel. Als solches erhält es eigne Existenzformen, worin es die Sphäre der
grossen Handelstransaktionen behaust, während die Gold- oder Silbermünze
hauptsächlich in die Sphäre des Kleinhandels zurückgedrängt wird85).
Bei gewissem Höhegrad und Umfang der Waarenproduktion greift die
Funktion des Geldes als Zahlungsmittel über die Sphäre der Waarencircu-
lation hinaus. Es wird die allgemeine Waare der Contrakte86).
Renten, Steuern u. s. w. verwandeln sich aus Naturallieferungen in Geld-
zahlungen. Wie sehr diese Umwandlung durch die Gesammtgestalt des
Produktionsprozesses bedingt wird, beweist z. B. der zweimal gescheiterte
Versuch des römischen Kaiserreichs alle Abgaben in Geld zu erheben.
Das ungeheure Elend des französischen Landvolks unter Ludwig XIV., das
Boisguillebert, Marschall Vauban u. s. w. so beredt denunciren, war nicht
nur der Steuerhöhe geschuldet, sondern auch der Verwandlung von Natu-
ralsteuer in Geldsteuer87). Wenn andrerseits die Naturalform der Grund-
rente, in Asien zugleich das Hauptelement der Staatssteuer, dort auf
Produktionsverhältnissen beruht, welche sich mit der Unwandelbarkeit von
Naturverhältnissen reproduciren, erhält jene Zahlungsform rückwirkend
die alte Produktionsform. Sie bildet eines der Selbsterhaltungsgeheim-
nisse des türkischen Reichs. Zieht der durch Europa aufoctroyirte aus-
wärtige Handel in Japan die Verwandlung von Naturalrente in Geldrente
nach sich, so ist es um seine musterhafte Agrikultur geschehn. Ihre engen
ökonomischen Existenzbedingungen werden sich auflösen.
In jedem Land setzen sich gewisse allgemeine Zahlungster-
mine fest. Sie beruhn theilweis, von andern Cirkelläufen der Reproduk-
tion abgesehn, auf den an Wechsel der Jahreszeit gebundnen Naturbe-
dingungen der Produktion. Sie regeln ebenso Zahlungen, die nicht direkt
der Waarencirculation entspringen, wie Steuern, Renten u. s. w. Die
Geldmasse, die zu diesen über die ganze Oberfläche der Gesellschaft zer-
splitterten Zahlungen an gewissen Tagen des Jahres erheischt ist, verur-
sacht periodische, aber ganz oberflächliche Perturbationen in der Oeko-
nomie der Zahlungsmittel88). Aus dem Gesetz über die Umlaufsgeschwin-
digkeit der Zahlungsmittel folgt, dass für alle periodischen Zah-
lungen, welches immer ihre Quelle, die nothwendige Masse der
Zahlungsmittel in umgekehrtem Verhältniss zur Länge
der Zahlungsperioden steht89).
Die Entwicklung des Geldes als Zahlungsmittel ernöthigt Geldaccu-
mulationen für die Verfallstermine der geschuldeten Summen. Während
die Schatzbildung als selbstständige Bereicherungsform verschwindet mit
dem Fortschritt der bürgerlichen Gesellschaft, wächst sie umgekehrt mit
demselben in der Form von Reservefonds der Zahlungs-
mittel.
Mit dem Austritt aus der innern Circulationssphäre streift das Geld
die dort aufschiessenden Lokalformen vom Massstab der Preise, Münze,
Scheidemünze und Werthzeichen wieder ab und fällt in die ursprüngliche
Barrenform der edlen Metalle zurück. Im Welthandel entfalten die Waaren
ihren Werth universell. Ihre selbstständige Werthgestalt tritt ihnen daher
hier auch gegenüber als Weltgeld. Erst auf dem Weltmarkt funktio-
nirt das Geld in vollem Umfang als die Waare, deren Naturalform zugleich
unmittelbar gesellschaftliche Verwirklichungsform der menschlichen
Arbeit in abstracto ist. Seine Daseinsweise wird seinem Begriff
adäquat.
In der innern Cirkulationssphäre kann nur eine Waare zum Werth-
mass und daher als Geld dienen. Auf dem Weltmarkt herrscht dop-
peltes Werthmass, Gold und Silber90).
Das Weltgeld funktionirt als allgemeines Zahlungsmittel,
allgemeines Kaufmittel und absolut gesellschaftliche
Materiatur des Reichthums überhaupt (universal wealth).
Die Funktion als Zahlungsmittel, zur Ausgleichung internationaler
Bilanzen, herrscht vor. Daher das Losungswort des Merkantilsystems —
Handelsbilanz91)! Zum internationalen Kaufmittel dienen Gold
und Silber wesentlich, so oft das herkömmliche Gleichgewicht des Stoff-
wechsels zwischen verschiednen Nationen plötzlich gestört wird. Endlich
als absolut gesellschaftliche Materiatur des Reichthums, wo es sich weder
um Kauf noch Zahlung handelt, sondern um Uebertragung des Reich-
thums von einem Land zum andern, und wo diese Uebertragung in Waa-
renform entweder durch die Conjunkturen des Waarenmarkts oder den
zu erfüllenden Zweck selbst ausgeschlossen wird92).
Wie für seine innere Circulation, braucht jedes Land für die Welt-
marktscirculation einen Reservefonds. Die Funktionen der Schätze ent-
springen also theils aus der Funktion des Geldes als inneres Circulations-
und Zahlungsmittel, theils seiner Funktion als Weltgeld. In der letz-
teren Rolle ist stets die wirkliche Geldwaare, leibhaftes Gold und Sil-
ber erheischt, wesswegen James Steuart Gold und Silber, im Unter-
schied von ihren nur lokalen Stellvertretern, ausdrücklich als money
of the world charakterisirt.
Die Bewegung des Gold- und Silberstroms ist eine doppelte. Einer-
seits wälzt er sich von seinen Quellen über den ganzen Weltmarkt, wo er
von den verschiednen nationalen Circulationssphären in verschiednem Um-
fang abgefangen wird, um in die inneren Umlaufskanäle einzugehn, ver-
schlissene Gold- und Silbermünzen zu ersetzen, das Material von Luxus-
waaren zu liefern und zu Schätzen zu erstarren93). Diese erste Bewegung
ist vermittelt durch direkten Austausch der in Waare realisirten National-
arbeiten mit der in edlen Metallen realishten Arbeit der Gold und Silber
producirenden Länder. Andrerseits laufen Gold und Silber fortwährend
hin und her zwischen den verschiednen nationalen Circulationssphären, eine
Bewegung, die den unaufhörlichen Oscillationen des Wechselkurses
folgt94).
Länder entwickelter bürgerlicher Produktion beschränken die in Bank-
reservoirs massenhaft concentrirten Schätze auf das zu ihren spezifischen
Funktionen erheischte Minimum95). Mit gewisser Ausnahme zeigt auf-
fallendes Ueberfüllen der Schatzreservoirs über ihr Durchschnittsniveau
Stockung der Waarencirculation an oder unterbrochenen Fluss der Waa-
renmetamorphose96).
Die Waarencirculation ist der Ausgangspunkt des Kapitals. Waaren-
produktion, Waarencirculation und entwickelte Waarencirculation, Handel,
bilden daher stets die historischen Voraussetzungen, unter denen
das Kapital entsteht. Von der Schöpfung des modernen Welthandels und
Weltmarkts im 16. Jahrhundert datirt die moderne Lebensgeschichte des
Kapitals.
Sehn wir ab vom stofflichen Inhalt der Waarencirculation, vom Aus-
tausch der verschiednen Gebrauchswerthe, und betrachten wir nur die öko-
nomischen Formen, die dieser Prozess erzeugt, so finden wir als sein letz-
tes Produkt das Geld. Diess letzte Produkt der Waarencirculation ist
die erste Erscheinungsform des Kapitals.
Historisch tritt das Kapital dem Grundeigenthum überall zunächst in
der Form von Geld gegenüber, von Geldvermögen, Kaufmannskapital
und Wucherkapital1). Jedoch bedarf es nicht des Rückblicks auf die
Entstehungsgeschichte des Kapitals, um das Geld als seine erste Erschei-
nungsform zu erkennen. Dieselbe Geschichte spielt täglich vor unsern
Augen. Jedes neue Kapital betritt in erster Instanz die Bühne, d. h. den
Markt, Waarenmarkt, Arbeitsmarkt, oder Geldmarkt, immer noch als Geld,
Geld, das sich durch bestimmte Prozesse in Kapital verwandeln soll.
Geld als Geld und Geld als Kapital unterscheiden sich zu-
nächst nur durch ihre verschiedene Circulationsform.
Die unmittelbare Form der Waarencirculation ist W — G — W,
Verwandlung von Waare in Geld und Rückverwandlung von Geld in Waare,
verkaufen um zu kaufen. Neben dieser Form finden wir aber eine
zweite, spezifisch unterschiedene vor, die Form G — W — G, Verwand-
lung von Geld in Waare und Rückverwandlung von Waare in Geld, kau-
fen um zu verkaufen. Geld, das in seiner Bewegung diese letztre
Circulationsform beschreibt, verwandelt sich in Kapital, wird Kapital und
ist schon an sich, d. h. seiner Bestimmung nach, Kapital.
Sehn wir uns die Circulation G — W — G näher an. Es ist ein
Prozess, der gleich dem der einfachen Waarencirculation, zwei entgegen-
gesetzte Phasen durchläuft und ihre Einheit bildet. In der ersten Phase,
G — W, Kauf, wird das Geld in Waare verwandelt. In der zweiten
Phase, W — G, Verkauf, wird die Waare in Geld rückverwandelt.
Die Einheit beider Phasen aber, die Gesammtbewegung, stellt sich
dar als Austausch von Geld gegen Waare und Wiederaustausch dersel-
ben Waare gegen Geld, Waare kaufen um sie zu verkaufen, oder, wenn
man die formellen Unterschiede von Kauf und Verkauf übersieht, mit dem
Geld Waare und mit der Waare Geld kaufen2). Was aber das Resultat
des Prozesses angeht, so erlischt er im Austausch von Geld gegen
Geld, G — G. Wenn ich für 100 Pfd. St. 2000 Pfund Baum-
wolle kaufe und die 2000 Pfund Baumwolle wieder für 110 Pfd. St. ver-
kaufe, so habe ich schliesslich 100 Pfd. St. gegen 110 Pfd. St. ausge-
tauscht, Geld gegen Geld.
Es ist nun zwar augenscheinlich, dass der Circulationsprozess G —
W — G abgeschmackt und inhaltslos wäre, wollte man vermittelst seines
Umwegs denselben Geldwerth gegen denselben Geldwerth, also z. B.
100 Pfd. St. gegen 100 Pfd. St. austauschen. Ungleich einfacher und
sichrer wäre die Methode des Schatzbildners, der die 100 Pfd. St. fest-
hält, statt sie der Circulationsgefahr preiszugeben. Andrerseits, ob der
Kaufmann die mit 100 Pfd. St. gekaufte Baumwolle wieder verkauft zu
110 Pfd. St., oder ob er sie zu 100 Pfd. St. und selbst zu 50 Pfd. St.
losschlagen muss, unter allen Umständen hat sein Geld eine eigenthüm-
liche und originelle Bewegung beschrieben, durchaus verschieden von der,
die es in der einfachen Waarencirculation beschreibt, z. B. in der Hand
des Bauern, der Korn verkauft und mit dem so gelösten Geld Kleider
kauft. Es gilt also zunächst die Charakteristik der Formunterschiede
zwischen den Kreisläufen G — W — G und W — G — W. Damit wird
sich zugleich der inhaltliche Unterschied ergeben, der hinter diesen Form-
unterschieden lauert.
Sehn wir zunächst, was beiden Formen gemeinsam.
Beide Kreisläufe zerfallen in dieselben zwei entgegengesetzten Phasen,
W — G, Verkauf, und G — W, Kauf.. Jede dieser Phasen für sich be-
trachtet, ist kein Unterschied zu erkennen. Die den Prozess eingehenden
Elemente sind in beiden Formen dieselben, Waare und Geld. In jedem
Abschnitt der beiden Kreisläufe stehn sich dieselben ökonomischen Charak-
termasken gegenüber, Käufer und Verkäufer. In beiden Prozessen treten
drei Contrahenten auf, so dass aber stets nur ein Contrahent abwechselnd
als Käufer und Verkäufer figurirt, während von den beiden andern Con-
trahenten der eine nur verkauft und der andre nur kauft. Beide Kreisläufe
endlich sind Einheiten derselben entgegengesetzten Phasen.
Der Formunterschied zwischen den Prozessen W — G — W und
G — W — G springt erst in’s Auge, sobald man, statt der zwei Phasen,
worin beide zerfallen, ihre Gesammtverläufe vergleicht. Was sie von vorn
herein scheidet, ist die umgekehrte Reihenfolge derselben ent-
gegengesetzten Circulationsphasen. Die einfache Waarencirculation be-
ginnt mit dem Verkauf und endet mit dem Kauf, die Circulation des Gel-
des als Kapital beginnt mit dem Kauf und endet mit dem Verkauf. Dort
bildet die Waare, hier das Geld den Ausgangspunkt und Schlusspunkt
der Bewegung. In der ersten Form funktionirt das Geld, in der andern
umgekehrt die Waare als Mittler des Gesammtverlaufs.
In der Circulation W — G — W wird das Geld schliesslich in
Waare verwandelt, die als Gebrauchswerth dient. Das Geld ist also defi-
nitiv ausgegeben. In der umgekehrten Form G — W — G giebt der
Käufer dagegen Geld aus, um als Verkäufer Geld einzunehmen. Er wirft
Geld beim Kauf der Waare in die Circulation, um es ihr durch den Verkauf
derselben Waare wieder zu entziehn. Er entlässt das Geld nur mit der
hinterlistigen Absicht seiner wieder habhaft zu werden. Es wird daher
nur vorgeschossen3).
In der Form W — G — W wechselt dasselbe Geldstück
zweimal die Stelle. Der Verkäufer erhält es vom Käufer und zahlt es
weg an einen andern Verkäufer. Mit der Weggabe von Geld für Waare
schliesst der Gesammtprozess ab, wie er mit der Einnahme von Geld für
Waare begann. Umgekehrt in der Form G — W — G. Nicht das-
selbe Geldstück, sondern dieselbe Waare wechselt hier zweimal
die Stelle. Der Käufer erhält sie aus der Hand des Verkäufers und giebt
sie weg in die Hand eines andern Käufers. Wie in der einfachen Waaren-
circulation durch den zweimaligen Stellenwechsel dessel-
ben Geldstücks sein definitives Uebergehn aus einer Hand
in die andre bedingt ist, so hier durch den zweimaligen Stel-
lenwechsel derselben Waare der Rückfluss des Geldes zu
seinem ersten Ausgangspunkt.
Der Rückfluss des Geldes zu seinem Ausgangspunkt
hängt nicht davon ab, ob oder ob nicht die Waare theurer verkauft wird
als sie gekauft war. Dieser Umstand beeinflusst nur die Grösse der rück-
fliessenden Geldsumme. Das Phänomen des Rückflusses selbst findet
statt, sobald die gekaufte Waare wieder verkauft, also der Kreislauf
G — W — G vollständig beschrieben wird. Es ist diess also ein sinnlich
wahrnehmbarer Unterschied zwischen der Circulation des Geldes als
Kapital und seiner Circulation als blossem Geld.
Allerdings kann auch in W — G — W Rückfluss des Geldes zu sei-
nem Ausgangspunkt stattfinden, aber nur durch die Erneuerung oder Wie-
derholung des Gesammtprozesses, nicht durch den Verlauf seiner eignen
Momente. Wenn ich ein Quarter Korn verkaufe für 3 Pfd. St. und mit die-
sen 3 Pfd. St. Kleider kaufe, sind die 3 Pfd. St. für mich definitiv veraus-
gabt. Ich habe nichts mehr mit ihnen zu schaffen. Sie sind des Kleider-
händlers. Verkaufe ich nun ein zweites Quarter Korn, so fliesst Geld zu
mir zurück, aber nicht in Folge der ersten Transaktion, sondern nur in
Folge ihrer Wiederholung. Es entfernt sich wieder von mir, sobald ich
die zweite Transaktion zu Ende führe und von neuem kaufe. In der Cir-
culation W — G — W hat also die Verausgabung des Geldes nichts mit
seinem Rückfluss zu schaffen. In G — W — G dagegen ist der Rück-
fluss des Geldes durch die Art seiner Verausgabung selbst bedingt. Ohne
diesen Rückfluss ist die Operation missglückt oder der Prozess unter-
brochen und noch nicht fertig, weil seine zweite Phase, der den Kauf er-
gänzende und abschliessende Verkauf fehlt.
Der Kreislauf W — G — W geht aus von dem Extrem einer Waare
und schliesst ab mit dem Extrem einer andern Waare, die aus der Circulation
heraus und der Consumtion anheim fällt. Consumtion, Befriedigung von Be-
dürfnissen, mit einem Wort, Gebrauchswerth ist daher sein Endzweck.
Der Kreislauf G — W — G geht dagegen aus von dem Extrem des Geldes
und bewegt sich fort zu demselben Extrem als seinem Schluss. Sein treiben-
des Motiv und bestimmender Zweck ist daher der Tauschwerth selbst.
In der einfachen Waarencirculation haben beide Extreme dieselbe
ökonomische Formbestimmtheit. Sie sind beide Waaren. Sie sind auch
Waaren von derselben Werthgrösse. Aber sie sind zugleich qua-
litativ verschiedne Gebrauchswerthe, z. B. Korn und Kleider.
Der Produktenaustausch, der Wechsel der verschiednen Stoffe, worin sich
die gesellschaftliche Arbeit darstellt, bildet hier den Inhalt der Bewegung.
Anders in der Circulation G — W — G. Sie scheint auf den ersten
Blick inhaltlos, weil tautologisch. Beide Extreme haben dieselbe öko-
nomische Formbestimmtheit. Sie sind beide Geld. Sie unterscheiden
sich auch nicht qualitativ als Gebrauchswerthe, denn Geld ist eben die
verwandelte Gestalt der Waaren, worin ihre besondern Gebrauchswerthe
ausgelöscht sind. Erst 100 Pfd. St. gegen Baumwolle und dann wieder
dieselbe Baumwolle gegen 100 Pfd. St. austauschen, also auf einem Um-
weg Geld gegen Geld, dasselbe gegen dasselbe, scheint eine ebenso zweck-
lose als abgeschmackte Operation4). Eine Geldsumme kann sich von der
andern Geldsumme überhaupt nur durch ihre Grösse unterscheiden. Der
Prozess G — W — G schuldet seinen Inhalt daher keinem qualita-
tiven Unterschied seiner Extreme, denn sie sind beide Geld, son-
dern nur ihrer quantitativen Verschiedenheit. Schliesslich
wird der Circulation mehr Geld entzogen als Anfangs hineingeworfen
ward. Die zu 100 Pfd. St. gekaufte Baumwolle wird z. B. wieder ver-
kauft zu 100 + 10 Pfd. St. oder 110 Pfd. St. Die vollständige Form
dieses Prozesses ist daher G — W — G', wo G' = G + ∆ G, d. h.
gleich der ursprünglich vorgeschossenen Geldsumme plus einem Incre-
ment. Diess Increment oder den Ueberschuss über den ursprünglichen
Werth nenne ich Mehrwerth (surplus value). Der ursprünglich
vorgeschossene Werth erhält sich daher nicht nur in der Circulation, son-
dern in ihr verändert er seine Werthgrösse, setzt einen Mehr-
werth zu, oder verwerthet sich. Und diese Bewegung verwandelt
ihn in Kapital.
Es ist zwar auch möglich, dass in W — G — W die beiden Extreme
W, W, z. B. Korn und Kleider, quantitativ verschiedne Werth-
grössen sind. Der Bauer kann sein Korn über dem Werth verkauft
oder die Kleider unter ihrem Werth gekauft haben. Er kann seinerseits
vom Kleiderhändler geprellt werden. Solche Werthverschiedenheit bleibt
jedoch für diese Circulationsform selbst rein zufällig. Sinn
und Verstand verliert sie nicht schier, wie der Prozess G — W — G,
wenn die beiden Extreme, Korn und Kleider z. B., Aequivalente sind.
Ihr Gleichwerth ist hier vielmehr Bedingung des normalen Verlaufs.
Die Wiederholung oder Erneurung des Verkaufs um zu kaufen
findet, wie dieser Prozess selbst, Mass und Ziel an einem ausser ihm lie-
genden Endzwecke, der Consumtion, der Befriedigung bestimmter Bedürf-
nisse. Im Kauf für den Verkauf dagegen sind Anfang und Ende
dasselbe, Geld, Tauschwerth, und schon dadurch ist die Bewegung
endlos. Allerdings ist aus G, G + ∆ G geworden, aus den 100 Pfd.
St., 100 + 10. Aber blos die Form betrachtet, sind 110 Pfd. St. das-
selbe wie 100 Pfd. St., nämlich Geld. Und die Werthgrösse betrachtet,
sind 110 Pfd. eine beschränkte Werthsumme wie 100 Pfd. St.
Würden die 110 Pfd. St. als Geld verausgabt, so fielen sie aus ihrer
Rolle. Sie hörten auf Kapital zu sein. Der Circulation entzogen, ver-
steinern sie zum Schatz und kein Farthing wächst ihnen an, ob sie bis
zum jüngsten Tag fortlagern. Handelt es sich also einmal um die Werth-
grösse als solche, um Verwerthung des Werths, so besteht das-
selbe Bedürfniss für die Verwerthung von 110 Pfd. St. wie für die von
100 Pfd. St., da beide beschränkte Ausdrücke des Tauschwerths sind,
beide also denselben Beruf haben sich dem Reichthum schlechthin durch
Grössenausdehnung anzunähern. Allerdings unterscheidet sich für einen
Augenblick der ursprünglich vorgeschossene Werth 100 Pfd. St. von dem
in der Circulation ihm zuwachsenden Mehrwerth von 10 Pfd. St., aber
dieser Unterschied zerfliesst sofort wieder. Es kommt am Ende des Pro-
zesses nicht auf der einen Seite der Originalwerth von 100 Pfd. St. und
auf der andern Seite der Mehrwerth von 10 Pfd. St. heraus. Was heraus-
kommt ist Ein Werth von 110 Pfd. St., der sich ganz in derselben ent-
sprechenden Form befindet, um den Verwerthungsprozess zu beginnen, wie
die ursprünglichen 100 Pfd. St. Geld kommt am Ende der Bewegung
wieder als ihr Anfang heraus5). Wenn die einfache Waarencirculation
daher im Gebrauchswerth eine ihr von aussen gesetzte Schranke
hat, ist die Bewegung des Kapitals dagegen masslos, indem sie in ihrem
Abschluss das Prinzip und den Trieb ihrer Wiedererneuerung findet, und
ihr Ziel, die Verwerthung des Werths, am Ende des Prozesses
eben so wenig erreicht ist als am Anfang6).
Als bewusster Träger dieses Prozesses wird der Geldbesitzer Kapita-
list. Seine Person, oder vielmehr seine Tasche, ist der Ausgangspunkt
und der Rückkehrpunkt des Geldes. Der objektive Inhalt jenes
Prozesses — Verwerthung des Werths — ist sein subjektiver Zweck,
und nur soweit wachsende Aneignung des abstrakten Reichthums das allein
treibende Motiv seiner Operationen, funktionirt er als Kapitalist oder
personificirtes, mit Willen und Bewusstsein begabtes Kapital. Der Ge-
brauchswerth ist also nie als unmittelbarer Zweck des Kapitalisten zu
behandeln7). Auch nicht der einzelne Gewinn, sondern nur die rastlose
Bewegung des Gewinnens8). Dieser absolute Bereicherungstrieb, diese
leidenschaftliche Jagd auf den Tauschwerth9) ist dem Kapitalisten mit dem
Schatzbildner gemein, aber während der Schatzbildner nur der verrückte
Kapitalist, ist der Kapitalist der rationelle Schatzbildner. Die Unvergäng-
lichkeit des Tauschwerths, die der Schatzbildner anstrebt, indem er das
Geld vor der Circulation zu retten sucht10), erreicht der klügere Kapi-
talist, indem er es stets von neuem der Circulation preisgiebt10a).
In der einfachen Circulation entwickeln die Waaren ihren Werth zu
verschiednen ihrem Gebrauchswerth gegenübertretenden selbstständigen
Formen, d. h. zu Geldformen, die den Austausch vermitteln und in seinem
Endresultat verschwinden. In der Circulation G — W — G funktioniren
beide, Waare und Geld, nur als verschiedne Existenzweisen
des Werths selbst, das Geld seine allgemeine, die Waare seine be-
sondre, so zu sagen nur verkleidete Existenzweise11). Er geht beständig
aus der einen Form in die andre über, ohne sich in dieser Bewegung zu
verlieren und verwandelt sich so in ein automatisches, in sich selbst pro-
zessirendes Subjekt. Fixirt man eine der besondern Erscheinungsformen,
worin er sich abwechselnd darstellt, so erhält man die Erklärungen:
Kapitalist Geld, Kapitalist Waare12). In der That aber wird
der Werth hier das Subjekt eines Prozesses, worin er unter
dem beständigen Wechsel der Formen von Geld und Waare, seine Grösse
selbst verändert, sich als Mehrwerth von sich selbst als ursprünglichem
Werth abstösst, sich selbst verwerthet. Denn die Bewegung,
worin er Mehrwerth zusetzt, ist seine eigne Bewegung, seine Verwerthung
ist also Selbstverwerthung. Er hat die occulte Qualität erhalten,
Werth zu setzen, weil er Werth ist. Er wirft lebendige Junge oder legt
wenigstens goldne Eier.
Als das übergreifende Subjekt eines solchen Prozesses, worin er
Geldform und Waarenform bald annimmt, bald abstösst, sich aber in die-
sem Wechsel erhält und ausreckt, bedarf der Werth natürlich vor allem
einer selbsstständigen Form, wodurch seine Identität mit sich selbst konsta-
tirt werden kann. Und diese Form besitzt er nur im Gelde. Diess
bildet daher Ausgangspunkt und Schlusspunkt jeden Verwerthungspro-
zesses. Er war 100 Pfd. St., er ist jetzt 110 Pfd. St. u. s. w. Aber das
Geld selbst gilt hier nur als eine Form des Werths, denn er hat deren
zwei. Und die Annahme der Waarenform bildet grade das vermit-
telnde Moment seiner Bewegung. Das Geld tritt hier also nicht pole-
misch gegen die Waare auf, wie in der Schatzbildung. Der Kapitalist
weiss, dass alle Waaren, wie lumpig sie immer aussehn oder wie schlecht
sie immer riechen mögen, im Glauben und in der Wahrheit Geld, inner-
lich verschnittene Juden sind. G — G', geldheckendes Geld —
(money which begets money lautet die Beschreibung des Kapitals
im Munde seiner ersten Dolmetscher, der Mercantilisten), — ist in
der That nur die unmittelbare Erscheinungsform des Werth setzenden
Werths, des sich selbst verwerthenden Werths.
Wenn der Tauschwerth in der Waarencirculation höchstens zur selbst-
ständigen Form gegenüber dem Gebrauchswerth der Waare heranreift, so stellt
er sich hier plötzlich dar als eine prozessirende, sich selbst bewegende Sub-
stanz, für welche Waare und Geld beide blosse Formen. Aber noch mehr. Statt
Waarenverhältnisse darzustellen, tritt er jetzt so zu sagen in ein Privat-
verhältniss zu sich selbst. Er unterscheidet sich als ursprüng-
licher Werth von sich selbst als Mehrwerth, als Gott Vater von sich selbst
als Gottsohn, und beide sind vom selben Alter, und bilden in der That nur
eine Person, denn nur durch den Mehrwerth von 10 Pfd. St. werden die vorge-
schossenen 100 Pfd. St. Kapital, und sobald sie diess geworden, sobald der
Sohn, und durch den Sohn der Vater erzeugt, verschwindet ihr Unterschied
wieder und sind beide Eins, 110 Pfd. St.
Der Werth wird also prozessirender Werth, prozessiren-
des Geld und als solches Kapital. Er kommt aus der Circulation
her, geht wieder in sie ein, erhält und vervielfältigt sich in ihr, kehrt ver-
grössert aus ihr zurück und beginnt denselben Kreislauf stets wieder von
neuem13).
Kaufen um zu verkaufen, oder vollständiger, kaufen um
theurer zu verkaufen, G — W — G', scheint zwar nur einer Art
des Kapitals, dem Kaufmannskapital, eigenthümliche Form. Aber
auch das industrielle Kapital ist Geld, das sich in Waare verwan-
delt und durch den Verkauf der Waare in mehr Geld rückverwandelt.
Akte, die etwa zwischen dem Kauf und dem Verkaufe, ausserhalb der Cir-
culationssphäre, vorgehn, ändern nichts an dieser Form der Bewegung.
In dem zinstragenden Kapital endlich stellt sich die Form
G — W — G' abgekürzt dar, im Resultat ohne die Vermittlung, so zu
sagen im Lapidarstyl, als G — G', Geld, das gleich mehr Geld, Werth,
der grösser als er selbst ist.
In der That also ist G — W — G' die allgemeine Formel
des Kapitals, wie es unmittelbar in der Circulationssphäre erscheint.
Die Circulationsform, worin sich das Geld zum Kapital entpuppt,
widerspricht allen früher entwickelten Gesetzen über die Natur der Waare,
des Werths, des Geldes und der Circulation selbst. Was sie von der ein-
fachen Waarencirculation unterscheidet, ist die umgekehrte Reihen-
folge derselben zwei entgegengesetzten Prozesse, Verkauf und Kauf. Und
wie sollte dieser rein formelle Unterschied die Natur dieser Prozesse um-
zaubern?
Noch mehr. Diese Umkehrung existirt nur für einen der drei
Geschäftsfreunde, die mit einander handeln. Als Kapitalist kaufe ich
Waare von A und verkaufe sie wieder an B, während ich als einfacher
Waarenbesitzer Waare an B verkaufe und dann Waare von A kaufe. Für
die Geschäftsfreunde A und B existirt dieser Unterschied nicht. Sie treten
nur als Käufer oder Verkäufer von Waaren auf. Ich selbst stehe ihnen
jedesmal als einfacher Geldbesitzer oder Waarenbesitzer, Käufer oder Ver-
käufer, gegenüber, und zwar trete ich in beiden Reihenfolgen der einen
Person nur als Käufer und der andern nur als Verkäufer gegenüber, der
einen als nur Geld, der andern als nur Waare, keiner von beiden als Kapi-
tal oder Kapitalist oder Repräsentant von irgend etwas, das mehr als Geld
oder Waare wäre oder eine andere Wirkung ausser der des Geldes oder der
Waare ausüben könnte. Für mich bilden Kauf von A und Verkauf an
B eine Reihenfolge. Aber der Zusammenhang zwischen diesen beiden
Akten existirt nur für mich. A scheert sich nicht um meine Transaktion
mit B, und B nicht um meine Transaktion mit A. Wollte ich ihnen etwa
das besondere Verdienst klar machen, das ich mir durch die Umkeh-
rung der Reihenfolge erworben, so würden sie mir beweisen, dass ich
mich in der Reihenfolge selbst irre und dass die Gesammttransaktion
nicht mit einem Kauf begann und einem Verkauf endete, sondern umgekehrt
mit einem Verkauf begann und mit einem Kauf abschloss. In der That,
mein erster Akt, der Kauf, war von A’s Standpunkt ein Verkauf, und mein
zweiter Akt, der Verkauf, war von B’s Standpunkt ein Kauf. Nicht zu-
frieden damit, werden A und B erklären, dass die ganze Reihenfolge über-
flüssig und Hokus Pokus war. A wird die Waare direkt an B verkaufen
und B sie direkt von A kaufen. Damit verschrumpft die ganze Trans-
aktion in einen einseitigen Akt der gewöhnlichen Waarencirculation,
vom Standpunkt A’s blosser Verkauf und vom Standpunkt B’s blosser Kauf.
Wir sind also durch die Umkehrung der Reihenfolge nicht über die Sphäre
der einfachen Waarencirculation hinausgekommen und müssen
vielmehr zusehn, ob sie ihrer Natur nach Verwerthung der in sie hinein-
gehenden Werthe und daher Bildung von Mehrwerth gestattet.
Nehmen wir den Circulationsprozess in einer Form, worin er sich als
blosser Waarenaustausch darstellt. Diess ist stets der Fall, wenn beide
Waarenbesitzer Waaren von einander kaufen und die Bilanz ihrer wechsel-
seitigen Geldforderungen sich am Zahlungstag ausgleicht. Das Geld dient
hier als Rechengeld, um die Werthe der Waaren in ihren Preisen aus-
zudrücken, tritt aber nicht den Waaren selbst dinglich gegenüber. So-
weit es sich um den Gebrauchswerth handelt, ist es klar, dass beide
Austauscher hier gewinnen können. Beide veräussern Waaren, die
ihnen als Gebrauchswerth nutzlos, und erhalten Waaren, deren sie zum Ge-
brauch bedürfen. Und dieser Nutzen mag nicht der einzige sein. A, der
Wein verkauft und Getreide kauft, producirt vielleicht mehr Wein als Ge-
treidebauer B in derselben Arbeitszeit produciren könnte und Getreide-
bauer B in derselben Arbeitszeit mehr Getreide als Weinbauer A
produciren könnte. A erhält also für denselben Tauschwerth mehr Ge-
treide und B mehr Wein als wenn jeder von den beiden, ohne Austausch,
Wein und Getreide für sich selbst produciren müsste. Mit Bezug auf den
Gebrauchswerth also kann gesagt werden, dass „der Austausch eine
Transaktion ist, worin beide Seiten gewinnen14).“ Anders mit dem
Tauschwerth. „Ein Mann, der viel Wein und kein Getreide besitzt,
handelt mit einem Mann, der viel Getreide und keinen Wein besitzt und
zwischen ihnen wird ausgetauscht Weizen zum Werth von 50 gegen einen
Werth von 50 in Wein. Dieser Austausch ist keine Vermehrung
des Tauschwerths weder für den einen, noch für den andern; denn
bereits vor dem Austausch besass jeder von ihnen einen Werth gleich dem,
den er sich vermittelst dieser Operation verschafft hat15).“ Es ändert
nichts an der Sache, wenn das Geld als Circulationsmittel zwischen die
Waaren tritt und die Akte des Kaufs und Verkaufs sinnlich auseinander-
fallen16). Der Werth der Waaren ist in ihren Preisen dargestellt,
bevor sie in die Circulation treten, also Voraussetzung und nicht Resultat
derselben17).
Abstrakt betrachtet, d. h. abgesehn von Umständen, die nicht aus
den immanenten Gesetzen der einfachen Waarencirculation hervorfliessen,
geht ausser dem Ersatz eines Gebrauchswerths durch einen andern nichts
in ihr vor als eine Metamorphose, ein blosser Formwechsel der
Waare. Derselbe Tauschwerth, d. h. dasselbe Quantum vergegen-
ständlichter gesellschaftlicher Arbeit, bleibt in der Hand desselben Waaren-
besitzers abwechselnd in Gestalt seiner Waare, des Geldes, worin sie sich
verwandelt, der Waare, worin sich diess Geld rückverwandelt. Dieser
Formwechsel schliesst keine Aenderung der Werthgrösse ein. Der Wech-
sel aber, den der Tauschwerth der Waare selbst in diesem Prozess erfährt,
beschränkt sich auf einen Wechsel seiner Geldform. Er existirt erst
als Preis der zum Verkauf angebotenen Waare, dann als dieselbe
Geldsumme, die in diesem Preise ausgedrückt ist, endlich als der Preis
einer äquivalenten Waare. Dieser Formwechsel schliesst an und für
sich eben so wenig eine Aenderung der Werthgrösse ein, wie das
Auswechseln einer Fünfpfundnote gegen Sovereigns, halbe Sovereigns und
Schillinge. Sofern also die Cirkulation der Waare nur einen Form-
wechsel ihres Tauschwerths bedingt, bedingt sie, wenn das Phänomen
rein vorgeht, Austausch von Aequivalenten. Die Vulgäröko-
nomie selbst, so wenig sie ahnt, was der Werth ist, unterstellt daher, so
oft sie in ihrer Art das Phänomen rein betrachten will, dass Nachfrage
und Zufuhr sich decken, d. h. dass ihre Wirkung überhaupt fortfällt.
Wenn also mit Bezug auf den Gebrauchswerth beide Austau-
scher gewinnen können, können sie nicht beide gewinnen an Tausch-
werth. Hier heisst es vielmehr: „Wo Gleichheit ist, ist kein Gewinn18).“
Waaren können zwar zu Preisen verkauft werden, die von ihren Werthen
abweichen, aber diese Abweichung erscheint als Verletzung des Gesetzes
des Waarenaustausches19). In seiner reinen Gestalt ist er ein Austausch
von Aequivalenten, also kein Mittel sich an Werth zu bereichern20).
Hinter den Versuchen, die Waarencirkulation als Quelle von
Mehrwerth darzustellen, lauert daher meist ein quid pro quo, eine Ver-
wechslung von Gebrauchswerth und Tauschwerth. So z. B. bei Con-
dillac: „Es ist falsch, dass man im Waarenaustausch gleichen Werth
gegen gleichen Werth austauscht. Umgekehrt. Jeder der beiden Con-
trahenten giebt immer einen kleineren für einen grösseren Werth …
Tauschte man in der That immer gleiche Werthe aus, so wäre kein
Gewinn zu machen für irgend einen Contrahenten. Aber alle beide
gewinnen oder sollten doch gewinnen. Warum? Der Werth der Dinge
besteht bloss in ihrer Beziehung auf unsere Bedürfnisse. Was für
den einen mehr, ist für den andern weniger, und umgekehrt. … Man
setzt nicht voraus, dass wir unsrer Consumtion unentbehrliche Dinge zum
Verkauf ausbieten. . . . Wir wollen eine uns nutzlose Sache weggeben, um
eine uns nothwendige zu erhalten; wir wollen weniger für mehr geben …
Es war natürlich zu urtheilen, dass man im Austausch gleichen Werth für
gleichen Werth gebe, so oft jedes der ausgetauschten Dinge an Werth
demselben Quantum Geld gleich war … Aber eine andre Betrachtung
muss noch in die Rechnung eingehn; es fragt sich, ob wir beide einen
Ueberfluss gegen etwas Nothwendiges austauschen21).“ Man sieht,
wie Condillac nicht nur Gebrauchswerth und Tauschwerth durcheinan-
der wirft, sondern wahrhaft kindlich einer Gesellschaft mit entwickelter
Waarenproduktion einen Zustand unterschiebt, worin der Producent seine
Subsistenzmittel selbst producirt und nur den Ueberschuss über den eignen
Bedarf, den Ueberfluss, in die Cirkulation wirft22). Dennoch wird
Condillac’s Argument häufig bei modernen Oekonomen wiederholt, na-
mentlich wenn es gilt, die entwickelte Gestalt des Waarenaustausches, den
Handel, als produktiv von Mehrwerth darzustellen. „Der Handel“,
heisst es z. B., „fügt den Produkten Werth zu, denn dieselben
Produkte haben mehr Werth in den Händen des Consumenten als in den
Händen des Producenten und er muss daher wörtlich (strictly) als Pro-
duktionsakt betrachtet werden23).“ Aber man zahlt die Waaren nicht
doppelt, das einemal ihren Gebrauchswerth und das andremal ihren Tausch
werth. Und wenn der Gebrauchswerth der Waare dem Käufer nützlicher
als dem Verkäufer, ist ihre Geldform dem Verkäufer nützlicher als dem
Käufer. Würde er sie sonst verkaufen? Und so könnte ebensowohl ge-
sagt werden, dass der Käufer wörtlich (strictly) einen „Produktionsakt“
vollbringt, indem er z. B. die Strümpfe des Kaufmanns in Geld ver-
wandelt.
Werden Waaren oder Waaren und Geld von gleichem Tauschwerth,
also Aequivalente ausgetauscht, so zieht offenbar keiner mehr Werth
aus der Cirkulation heraus als er in sie hineinwirft. Es findet dann keine
Bildung von Mehrwerth Statt. In seiner reinen Form aber bedingt der
Cirkulationsprozess der Waaren Austausch von Aequivalenten. Jedoch
gehn die Dinge in der Wirklichkeit nicht rein zu. Unterstellen wir daher
Austausch von Nicht-Aequivalenten.
Jedenfalls steht auf dem Waarenmarkt nur Waarenbesitzer dem Waa-
renbesitzer gegenüber, und die Macht, die diese Personen über einander
ausüben, ist nur die Macht ihrer Waaren. Die stoffliche Verschiedenheit
der Waaren ist das stoffliche Motiv des Austauschs und macht die Waaren-
besitzer wechselseitig von einander abhängig, indem keiner von ihnen den
Gegenstand seines eignen Bedürfnisses und jeder von ihnen den Gegenstand
des Bedürfnisses der Andern in seiner Hand hält. Ausser dieser stoff-
lichen Verschiedenheit ihrer Gebrauchswerthe besteht nur noch ein Unter-
schied unter den Waaren, der Unterschied zwischen ihrer Naturalform und
ihrer verwandelten Form, zwischen Waare und Geld. Und so unter-
scheiden sich die Waarenbesitzer nur als Verkäufer, Besitzer von Waare,
und als Käufer, Besitzer von Geld.
Gesetzt nun, es sei durch irgend ein unerklärliches Privilegium dem Ver-
käufer gegeben, die Waare über ihrem Werthe zu verkaufen, zu 110,
wenn sie 100 werth ist, also mit einem nominellen Preisaufschlage von
10 %. Der Verkäufer kassirt also einen Mehrwerth von 10 ein. Aber
nachdem er Verkäufer war, wird er Käufer. Ein dritter Waarenbesitzer
begegnet ihm jetzt als Verkäufer und geniesst seinerseits das Privilegium,
die Waare 10 % zu theuer zu verkaufen. Unser Mann hat als Verkäufer
10 gewonnen, um als Käufer 10 zu verlieren24). Das ganze kömmt in
der That darauf hinaus, dass alle Waarenbesitzer ihre Waaren einander
10 % über dem Werth verkaufen, was ganz dasselbe ist, als ob sie die
Waaren zu ihren Werthen verkauften. Ein solcher allgemeiner nomineller
Preisaufschlag der Waaren bringt dieselbe Wirkung hervor, als ob
die Waarenwerthe z. B. in Silber statt in Gold geschätzt würden. Die
Geldnamen, d. h. die Preise der Waaren würden anschwellen, aber ihre
Werthverhältnisse unverändert bleiben.
Unterstellen wir umgekehrt, es sei das Privilegium des Käufers,
die Waaren unter ihrem Werth zu kaufen. Hier ist es nicht einmal
nöthig zu erinnern, dass der Käufer wieder Verkäufer wird. Er war
Verkäufer, bevor er Käufer ward. Er hat bereits 10 % als Verkäufer
verloren, bevor er 10 % als Käufer gewinnt25). Alles bleibt wieder beim
Alten.
Die Bildung von Mehrwerth, und daher die Verwandlung von Geld
in Kapital, kann also weder dadurch erklärt werden, dass die Verkäufer
die Waaren über ihrem Werthe verkaufen, noch dadurch, dass die Käufer
sie unter ihrem Werthe kaufen26).
Das Problem wird in keiner Weise dadurch vereinfacht, dass man
fremde Beziehungen einschmuggelt, also etwa mit Oberst Torrens sagt:
„Die effektive Nachfrage besteht in dem Vermögen und der Neigung (!)
der Konsumenten, sei es durch unmittelbaren oder vermittelten Aus-
tausch, für Waaren eine gewisse grössere Portion von allen Ingredienzien
des Kapitals zu geben, als ihre Produktion kostet27).“ In der Cirkula-
tion stehn sich Produzenten und Konsumenten nur als Verkäufer und Käu-
fer gegenüber. Behaupten, der Mehrwerth für den Produzenten entspringe
daraus, dass die Konsumenten die Waare über dem Werth zahlen, heisst
nur den einfachen Satz maskiren: Der Waarenbesitzer besitzt als Ver-
käufer das Privilegium zu theuer zu verkaufen. Der Verkäufer hat die
Waare selbst producirt oder vertritt ihren Produzenten, aber der Käufer
hat nicht minder die in seinem Gelde dargestellte Waare selbst produzirt
oder vertritt ihren Produzenten. Es steht also Produzent dem Produzen-
ten gegenüber. Was sie unterscheidet, ist dass der eine kauft und der
andre verkauft. Es bringt uns keinen Schritt weiter, dass der Waaren-
besitzer unter dem Namen Produzent die Waare über ihrem Werthe
verkauft und unter dem Namen Consument sie zu theuer zahlt28).
Die consequenten Vertreter der Illusion, dass der Mehrwerth aus
einem nominellen Preiszuschlag entspringt, oder aus dem Privilegium des
Verkäufers die Waare zu theuer zu verkaufen, unterstellen daher eine
Klasse, die nur kauft ohne zu verkaufen, also auch nur con-
sumirt ohne zu produziren. Die Existenz einer solchen Klasse
ist von unsrem bisher erreichten Standpunkt, dem der einfachen Cirkula-
tion nach, unerklärlich. Aber greifen wir vor. Das Geld, womit eine
solche Klasse beständig kauft, muss ihr beständig, ohne Austausch,
umsonst, auf beliebige Rechts- und Gewaltstitel hin, von den Waaren-
besitzern selbst zufliessen. Dieser Klasse die Waaren über dem Werth
verkaufen, heisst nur, umsonst weggegebenes Geld sich zum Theil wieder
zurückschwindeln29). So zahlten die kleinasiatischen Städte jährlichen
Geldtribut an das alte Rom. Mit diesem Geld kaufte Rom Waaren von
ihnen und kaufte sie zu theuer. Die Kleinasiaten prellten die Römer, in-
dem sie den Eroberern einen Theil des Tributs wieder abluchsten auf dem
Wege des Handels. Aber dennoch blieben die Kleinasiaten die Geprell-
ten. Ihre Waaren wurden ihnen nach wie vor mit ihrem eignen Gelde ge-
zahlt. Es ist diess keine Methode der Bereicherung oder der Bildung von
Mehrwerth.
Halten wir uns also innerhalb der Schranken des Waarenaustauschs,
wo Verkäufer Käufer und Käufer Verkäufer sind. Unsere Verlegenheit
stammt vielleicht daher, dass wir die Personen nur als personificirte
Categorien, nicht individuell, gefasst haben.
Waarenbesitzer A mag so pfiffig sein seine Collegen B oder C über’s
Ohr zu hauen, während sie trotz des besten Willens die Revanche schuldig
bleiben. A verkauft Wein zum Werth von 40 Pfd. St. an B und erwirbt
im Austausch Getreide zum Werth von 50 Pfd. St. A hat seine 40 Pfd.
St. in 50 Pfd. St. verwandelt, mehr Geld aus weniger Geld gemacht und
seine Waare in Kapital verwandelt. Sehn wir näher zu. Vor dem Aus-
tausch hatten wir für 40 Pfd. St. Wein in der Hand von A und für 50 Pfd.
St. Getreide in der Hand von B, Gesammtwerth von 90 Pfd. St.
Nach dem Austausch haben wir denselben Gesammtwerth von 90 Pfd. St.
Der circulirende Werth hat sich um kein Atom vergrössert, seine Ver-
theilung zwischen A und B hat sich verändert. Auf der einen Seite er-
scheint als Mehrwerth, was auf der anderen Minderwerth ist, auf
der einen Seite als Plus, was auf der andern als Minus. Derselbe Wech-
sel hätte sich ereignet, wenn A, ohne die verhüllende Form des Austauschs,
dem B 10 Pfd. St. direkt gestohlen hätte. Die Summe der circulirenden
Werthe kann offenbar durch keinen Wechsel in ihrer Vertheilung vermehrt
werden, so wenig wie ein Jude die Masse der edlen Metalle in einem Lande
dadurch vermehrt, dass er einen Farthing aus der Zeit der Königin Anna
für eine Guinea verkauft. Die Gesammtheit der Kapitalistenklasse eines
Landes kann sich nicht selbst übervortheilen30).
Man mag sich also drehen und wenden wie man will, das Facit bleibt
dasselbe. Werden Aequivalente ausgetauscht, so entsteht kein Mehrwerth,
und werden Nicht-Aequivalente ausgetauscht, so entsteht auch kein Mehr-
werth31). Die Circulation oder der Waarenaustausch schafft keinen
Werth32).
Man versteht daher, warum in unserer Analyse der Grundform
des Kapitals, der Form, worin es die ökonomische Organisation der
modernen Gesellschaft bestimmt, seine populärsten und so zu sagen ante-
diluvianischen Gestalten, Handelskapital und Wucherkapital,
zunächst gänzlich unberücksichtigt bleiben.
Im eigentlichen Handelskapital erscheint die Form G — W — G',
kaufen um theuer zu verkaufen, am reinsten. Andrerseits geht seine ganze
Bewegung innerhalb der Circulationssphäre vor. Da es aber
unmöglich ist aus der Circulation selbst die Verwandlung von Geld in Kapi-
tal, die Bildung von Mehrwerth zu erklären, erscheint das Handelskapital
unmöglich, sobald Aequivalente ausgetauscht werden33), daher nur
ableitbar aus der doppelseitigen Uebervortheilung der kaufenden
und verkaufenden Waarenproducenten durch den sich parasitisch zwischen
sie schiebenden Kaufmann. In diesem Sinn sagt Franklin: „Krieg
ist Raub, Handel ist Prellerei34):“ Soll die Verwer-
thung des Handelskapitals nicht aus blosser Prellerei der Waaren-
producenten erklärt werden, so gehört dazu eine lange Reihe von Mittel-
gliedern, die hier, wo die Waarencirculation und ihre einfachen Momente
unsere einzige Voraussetzung bilden, noch gänzlich fehlt.
Was vom Handelskapital, gilt noch mehr vom Wucher-
kapital. Im Handelskapital sind die Extreme, das Geld, das auf den
Markt geworfen und das vermehrte Geld, das dem Markt entzogen wird,
wenigstens vermittelt durch Kauf und Verkauf, durch die Bewegung
der Circulation. Im Wucherkapital ist die Form G — W — G'
abgekürzt auf die unvermittelten Extreme G — G', Geld, das sich gegen
mehr Geld austauscht, eine der Natur des Geldes widersprechende und
daher vom Standpunkt des Waarenaustauschs unerklärliche
Form. Daher Aristoteles: „da die Chrematistik eine doppelte ist, die
eine zum Handel, die andre zur Oekonomik gehörig, die letztere nothwendig
und lobenswerth, die erstere auf die Circulation gegründet und mit Recht ge-
tadelt, (denn sie beruht nicht auf der Natur, sondern auf wechselseitiger Prel-
lerei), so ist der Wucher mit vollstem Rechte verhasst, weil das Geld selbst
hier die Quelle des Erwerbs und nicht dazu gebraucht wird, wozu es erfunden
ward. Denn für den Waarenaustausch entstand es, der Zins aber
macht aus Geld mehr Geld. Daher auch sein Name (τόϰος Zins und
Geborenes). Denn die Geborenen sind den Erzeugern ähnlich. Der
Zins aber ist Geld von Geld, so dass von allen Erwerbszweigen dieser der
naturwidrigste35).“
Wie das Handelskapital werden wir das zinstragende
Kapital im Verlauf unserer Untersuchung als abgeleitete Formen
vorfinden und zugleich sehn, warum sie historisch vor dem Kapital
in seiner modernen Grundform erscheinen.
Es hat sich gezeigt, dass der Mehrwerth nicht aus der Circulation
entspringen kann, bei seiner Bildung also etwas hinter ihrem Rücken
vorgehn muss, das in ihr selbst unsichtbar ist36). Kann aber der
Mehrwerth anders woher entspringen als aus der Circulation? Die
Circulation ist die Summe aller Wechselbeziehungen der Waarenbesitzer.
Ausserhalb derselben steht der Waarenbesitzer nur noch in Beziehung zu
seiner eignen Waare. Was ihren Werth37) angeht, beschränkt sich das
Verhältniss darauf, dass sie ein nach bestimmten gesellschaftlichen Gesetzen
gemessenes Quantum seiner eignen Arbeit enthält. Diess Quantum Arbeit
drückt sich aus in der Werthgrösse seiner Waare und da sich Werth-
grösse in Rechengeld darstellt, in einem Preise von z. B. 10 Pfd. St.
Aber seine Arbeit stellt sich nicht dar im Werthe der Waare und einem
Ueberschuss über ihren eignen Werth, nicht in einem Preise von 10, der
zugleich ein Preis von 11 ist, nicht in einem Werth, der grösser als
er selbst ist. Der Waarenbesitzer kann durch seine Arbeit Werthe
bilden, aber keine sich verwerthenden Werthe. Er kann den
Werth einer Waare erhöhen, indem er vorhandnem Werth neuen Werth
durch neue Arbeit zusetzt, z. B. aus Leder Stiefel macht. Derselbe
Stoff hat jetzt mehr Werth, weil er ein grösseres Arbeitsquantum enthält.
Der Stiefel hat daher mehr Werth als das Leder, aber der Werth des Leders
ist geblieben, was er war. Er hat sich nicht verwerthet, nicht während
der Stiefelfabrikation seinen ursprünglichen Werth um einen Mehrwerth be-
reichert. Es ist also unmöglich, dass der Waarenproducent ausserhalb
der Circulationssphäre, ohne mit andern Waarenbesitzern in Berührung
zu treten, Werth verwerthe und daher Geld oder Waare in Kapital
verwandle.
Kapital kann also nicht aus der Circulation entspringen und es kann
eben so wenig aus der Circulation nicht entspringen. Es muss zugleich
in ihr und nicht in ihr entspringen.
Ein doppeltes Resultat hat sich also ergeben.
Die Verwandlung des Geldes in Kapital ist auf Grundlage dem Waaren-
austausch immanenter Gesetze zu entwickeln, so dass der Austausch
von Aequivalenten als Ausgangspunkt gilt38). Unser nur noch als
Kapitalistenraupe vorhandner Geldbesitzer muss die Waaren zu ihrem
Werth kaufen, zu ihrem Werth verkaufen, und dennoch am Ende des Pro-
zesses mehr Werth herausziehn als er hineinwarf. Seine Schmetterlings-
entfaltung muss in der Cirkulationssphäre und muss nicht in der Cirkula-
tionssphäre vorgehn. Diess sind die Bedingungen des Problems. Hie
Rhodus, hic salta!
Die Werthveränderung des Geldes, das sich in Kapital ver-
wandeln soll, kann nicht an diesem Geld selbst vorgehn, denn als Kauf-
mittel und als Zahlungsmittel realisirt es nur den Preis der Waare, die
es kauft oder zahlt, während es, in seiner eignen Form verharrend, zum
Petrefakt von gleichbleibender Werthgrösse erstarrt39). Eben so wenig
kann die Veränderung aus dem zweiten Akt, dem Wiederverkauf der
Waare, entspringen, denn dieser Akt verwandelt die Waare blos aus der
Naturalform zurück in die Geldform. Die Veränderung muss sich also
zutragen mit der Waare, die im ersten Akt G — W gekauft wird,
aber nicht mit ihrem Tauschwerth, denn es werden Aequivalente aus-
getauscht, die Waare wird zu ihrem Werthe bezahlt. Die Veränderung
kann also erst entspringen aus ihrem Gebrauchswerth als solchem,
d. h. aus ihrem Verbrauch. Um aus dem Verbrauch einer Waare
Tauschwerth herauszuziehn, müsste unser Geldbesitzer so glücklich sein
innerhalb der Cirkulationssphäre, auf dem Markt, eine Waare
zu entdecken, deren Gebrauchswerth selbst die eigenthümliche Be-
schaffenheit besässe, Quelle von Tauschwerth zu sein, deren wirk-
licher Verbrauch also selbst Vergegenständlichung von Arbeit
wäre, daher Werthschöpfung. Und der Geldbesitzer findet auf dem
Markt eine solche spezifische Waare vor — das Arbeitsvermögen
oder die Arbeitskraft.
Unter Arbeitskraft oder Arbeitsvermögen verstehn wir den
Inbegriff der physischen und geistigen Fähigkeiten, die in der Leiblichkeit,
der lebendigen Persönlichkeit eines Menschen existiren und die er in Be-
wegung setzt, so oft er Gebrauchswerthe irgend einer Art producirt.
Damit jedoch der Geldbesitzer die Arbeitskraft als Waare auf dem
Markt vorfinde, müssen verschiedne Bedingungen erfüllt sein. Der Waaren-
austausch schliesst an und für sich keine andern Abhängigkeitsver-
hältnisse ein als die aus seiner eignen Natur entspringenden. Unter
dieser Voraussetzung kann die Arbeitskraft als Waare nur auf dem
Markt erscheinen, sofern und weil sie von ihrem eignen Besitzer,
der Person, deren Arbeitskraft sie ist, als Waare feilgeboten oder ver-
kauft wird. Damit ihr Besitzer sie als Waare verkaufe, muss er über sie
verfügen können, also freier Eigenthümer seines Arbeitsvermögens,
seiner Person sein40). Er und der Geldbesitzer begegnen sich auf dem
Markt und treten in Verhältniss zu einander als ebenbürtige Waaren-
besitzer, nur dadurch unterschieden, dass der eine Käufer, der andere
Verkäufer, beide also juristisch gleiche Personen sind. Die
Fortdauer dieses Verhältnisses erheischt, dass der Eigenthümer der Arbeits-
kraft sie stets nur für bestimmte Zeit verkaufe, denn verkauft er sie
in Bausch und Bogen, ein für allemal, so verkauft er sich selbst, verwan-
delt sich aus einem Freien in einen Sklaven, aus einem Waarenbesitzer
in eine Waare. Er als Person muss sich beständig zu seiner Arbeits-
kraft als seinem Eigenthum und daher seiner eignen Waare verhalten und
das kann er nur, so weit er sie dem Käufer stets nur vorübergehend, für
einen bestimmten Zeittermin, zur Verfügung stellt, zum Verbrauch über-
lässt, also durch ihre Veräusserung nicht auf sein Eigenthum an ihr
verzichtet41).
Die zweite wesentliche Bedingung, damit der Geldbesitzer die Ar-
beitskraft auf dem Markt als Waare vorfinde, ist die, dass ihr Be-
sitzer, statt Waaren verkaufen zu können, worin sich seine Arbeit ver-
gegenständlicht hat, vielmehr seine Arbeitskraft selbst, die nur in
seiner lebendigen Leiblichkeit existirt, als Waare feilbieten muss.
Damit Jemand von seiner Arbeitskraft unterschiedne Waaren
verkaufe, muss er natürlich Produktionsmittel besitzen, z. B. Roh-
stoffe, Arbeitsinstrumente u. s. w. Er kann keine Stiefel machen ohne
Leder. Er bedarf ausserdem Lebensmittel. Niemand kann von
Produkten der Zukunft zehren, also auch nicht von Gebrauchswerthen,
mit deren Produktion er noch nicht fertig, und wie am ersten Tag seiner
Erscheinung auf der Weltbühne muss der Mensch noch jeden Tag konsu-
miren, bevor und während er produzirt. Werden die Produkte als Waa-
ren produzirt, so müssen sie verkauft werden, nachdem sie produ-
zirt sind und können die Bedürfnisse des Produzenten erst nach dem Ver-
kauf befriedigen. Zur Produktionszeit kömmt die für den Verkauf nöthige
Zeit hinzu.
Zur Verwandlung von Geld in Kapital muss der Geldbesitzer also
den freien Arbeiter auf dem Waarenmarkt vorfinden, frei in
dem Doppelsinn, dass er als freie Person über seine Arbeitskraft als seine
Waare verfügt, dass er andrerseits andre Waaren nicht zu verkaufen hat,
los und ledig, frei ist von allen zur Verwirklichung seiner Arbeitskraft
nöthigen Sachen.
Die Frage, warum dieser freie Arbeiter ihm in der Cirkulations-
sphäre gegenübertritt, interessirt den Geldbesitzer nicht, der den Arbeits-
markt als eine besondre Abtheilung des Waarenmarkts vorfindet. Und
einstweilen interessirt sie uns eben so wenig. Wir halten uns theoretisch
an die Thatsache, wie der Geldbesitzer praktisch. Eins jedoch ist klar.
Die Natur produzirt nicht auf der einen Seite Geld- oder Waarenbesitzer
und auf der andern blosse Besitzer der eignen Arbeitskräfte. Diess Ver-
hältniss ist kein naturgeschichtliches und eben so wenig ein ge-
sellschaftliches, das allen Geschichtsperioden gemein wäre. Es
ist offenbar selbst das Resultat einer vorhergegangnen historischen Ent-
wicklung, das Produkt vieler ökonomischer Umwälzungen, des Untergangs
einer ganzen Reihe älterer Formationen der gesellschaftlichen Pro-
duktion.
Auch die ökonomischen Kategorieen, die wir früher betrachtet, tra-
gen ihre geschichtliche Spur. Im Dasein des Produkts als Waare sind
bestimmte historische Bedingungen eingehüllt. Um Waare zu werden,
darf das Produkt nicht als unmittelbares Subsistenzmittel
für den Produzenten selbst produzirt werden. Hätten wir weiter geforscht:
Unter welchen Umständen nehmen alle oder nimmt auch nur die Mehr-
zahl der Produkte die Form der Waare an, so hätte sich gefunden, dass
diess nur auf Grundlage einer ganz spezifischen, der kapitalistischen
Produktionsweise, geschieht. Eine solche Untersuchung lag jedoch
der Analyse der Waare fern. Waarenproduktion und Waarencirkulation
können stattfinden, obgleich die weit überwiegende Produktenmasse, un-
mittelbar auf den Selbstbedarf gerichtet, sich nicht in Waare verwan-
delt, der gesellschaftliche Produktionsprozess also noch lange nicht in sei-
ner ganzen Breite und Tiefe vom Tauschwerth beherrscht ist. Die Dar-
stellung des Produkts als Waare bedingt eine so weit entwickelte
Theilung der Arbeit innerhalb der Gesellschaft, dass die
Scheidung zwischen Gebrauchswerth und Tauschwerth, die im unmittel-
baren Tauschhandel erst beginnt, bereits vollzogen ist. Eine
solche Entwicklungsstufe ist aber den geschichtlich verschiedensten ökono-
mischen Gesellschaftsformationen gemein.
Oder betrachten wir das Geld, so setzt es eine gewisse Höhe der Waa-
rencirkulation voraus. Die besondern Geldformen, blosses Waaren-
äquivalent, oder Cirkulationsmittel, oder Zahlungsmittel, Schatz und Weltgeld,
deuten, je nach dem verschiednen Umfang und dem relativen Vorwiegen einer
oder der andern Funktion, auf sehr verschiedne Stufen des gesellschaftlichen
Produktionsprozesses. Dennoch genügt erfahrungsmässig eine relativ
schwach entwickelte Waarencirkulation zur Bildung aller dieser Formen.
Anders mit dem Kapital. Seine historischen Existenzbedingungen
sind durchaus nicht da mit der Waaren- und Geldcirkulation. Es entsteht
nur, wo der Besitzer von Produktions- und Lebensmitteln den freien
Arbeiter als Verkäufer seiner Arbeitskraft auf dem Markt vorfindet,
und diese eine historische Bedingung umschliesst eine Welt-
geschichte. Das Kapital kündigt sich daher von vorn herein als eine
Epoche des gesellschaftlichen Produktionsprozesses an.
Diese eigenthümliche Waare, die Arbeitskraft, ist nun näher
zu betrachten. Gleich allen andern Waaren besitzt sie einen Tausch-
werth42). Wie wird er bestimmt?
Der Werth der Arbeitskraft, gleich dem jeder andern Waare, ist be-
stimmt durch die zur Produktion, also auch Reproduktion, dieses spezifi-
schen Artikels nothwendige Arbeitszeit. Soweit sie Tausch-
werth, repräsentirt die Arbeitskraft selbst nur ein bestimmtes Quantum in
ihr vergegenständlichter gesellschaftlicher Durchschnittsarbeit.
Die Arbeitskraft existirt nur als Anlage des lebendigen Individuums. Ihre
Produktion setzt also seine Existenz voraus. Diese gegeben, besteht ihre
Produktion in seiner Reproduktion oder Erhaltung. Zu seiner Erhaltung
bedarf das lebendige Individuum einer gewissen Summe von Lebensmitteln.
Die zur Produktion der Arbeitskraft nothwendige Arbeitszeit löst sich also
auf in die zur Produktion dieser Lebensmittel nothwendige Arbeitszeit,
oder der Werth der Arbeitskraft ist der Werth der zur Erhal-
tung ihres Besitzers nothwendigen Lebensmittel. Die Arbeits-
kraft verwirklicht sich jedoch nur durch ihre Aeusserung, bethätigt sich
nur in der Arbeit. Durch ihre Bethätigung, die Arbeit, wird aber ein
bestimmtes Quantum von menschlichem Muskel, Nerv, Hirn u. s. w. ver-
ausgabt, das wieder ersetzt werden muss. Diese vermehrte Ausgabe be-
dingt eine vermehrte Einnahme43). Wenn der Eigenthümer der Arbeits-
kraft heute gearbeitet hat, muss er denselben Prozess morgen unter den-
selben Bedingungen von Kraft und Gesundheit wiederholen können. Die
Summe der Lebensmittel muss also hinreichen, das arbeitende Individuum
als arbeitendes Individuum in seinem normalen Lebenszustand zu erhalten.
Die natürlichen Bedürfnisse selbst, wie Nahrung, Kleidung, Heizung,
Wohnung u. s. w. sind verschieden je nach den klimatischen und andern
natürlichen Eigenthümlichkeiten eines Landes. Andrerseits ist der Um-
fang s. g. nothwendiger Lebensmittel, wie die Art ihrer Be-
friedigung, selbst ein historisches Produkt und hängt daher gros-
sentheils von der Kulturstufe eines Landes, unter anderm auch wesentlich
davon ab, unter welchen Bedingungen, und daher mit welchen Gewohn-
heiten und Lebensansprüchen die Klasse der freien Arbeiter sich gebildet
hat44). Im Gegensatz zu den andern Waaren enthält also die Werth-
bestimmung der Arbeitskraft ein historisches und moralisches Element.
Für ein bestimmtes Land, zu einer bestimmten Periode jedoch, ist der
Durchschnitts-Umkreis der nothwendigen Lebensmittel gegeben.
Der Eigenthümer der Arbeitskraft ist sterblich. Soll also seine Er-
scheinung auf dem Markt eine kontinuirliche sein, wie die kontinuirliche
Verwandlung von Geld in Kapital voraussetzt, so muss der Verkäufer der
Arbeitskraft sich verewigen, „wie jedes lebendige Individuum sich ver-
ewigt, durch Fortpflanzung45).“ Die durch Abnutzung und Tod
dem Markt entzogenen Arbeitskräfte müssen zum allermindesten durch eine
gleiche Zahl neuer Arbeitskräfte beständig ersetzt werden. Die Summe
der zur Produktion der Arbeitskraft nothwendigen Lebensmittel schliesst
also die Lebensmittel der Ersatzmänner ein, d. h. der Kinder der Arbei-
ter, so dass sich diese Race eigenthümlicher Waarenbesitzer auf dem Waa-
renmarkt verewigt46).
Um die allgemein menschliche Natur so zu modificiren, dass sie Ge-
schick und Fertigkeit in einem bestimmten Arbeitszweig erlangt, ent-
wickelte und spezifische Arbeitskraft wird, bedarf es einer bestimmten
Bildung oder Erziehung, welche ihrerseits eine grössere oder geringere
Summe von Waarenäquivalenten kostet. Je nach dem mehr oder minder
vermittelten Charakter der Arbeitskraft, sind ihre Bildungskosten ver-
schieden. Diese Erlernungskosten, verschwindend klein für die gewöhn-
liche Arbeitskraft, gehn also ein in den Umkreis der zu ihrer Produktion
nothwendigen Waaren.
Der Werth der Arbeitskraft löst sich auf in den Werth
einer bestimmten Summe von Lebensmitteln. Er wech-
selt daher auch mit dem Werth dieser Lebensmittel, d. h. der Grösse der
zu ihrer Produktion erheischten Arbeitszeit.
Ein Theil der Lebensmittel, z. B. Nahrungsmittel, Heizungsmittel
u. s. w., werden täglich neu verzehrt, und müssen täglich neu ersetzt
werden. Andere Lebensmittel, wie Kleider, Möbel u. s. w., verbrauchen
sich in längeren Zeiträumen, und sind daher nur in längeren Zeiträumen
zu ersetzen. Waaren einer Art müssen täglich, andere wöchentlich, vier-
teljährlich u. s. f. gekauft oder gezahlt werden. Wie sich die Summe
dieser Ausgaben aber immer während eines Jahres z. B. vertheilen möge,
sie muss gedeckt sein durch die Durchschnittseinnahme, Tag ein, Tag aus.
Wäre die Masse der täglich zur Produktion der Arbeitskraft erheischten
Waaren = A, die der wöchentlich erheischten = B, die der viertel-
jährlich erheischten = C u. s. w., so wäre der tägliche Durchschnitt
dieser Waaren u. s. w. Gesetzt in dieser
für den Durchschnitts-Tag nöthigen Waarenmasse steckten 6 Stunden
gesellschaftlicher Arbeit, so vergegenständlicht sich in
der Arbeitskraft täglich ein halber Tag gesellschaftlicher
Durchschnittsarbeit, oder ein halber Arbeitstag ist zur täglichen
Produktion der Arbeitskraft erheischt. Diess zu ihrer täglichen Produktion
erheischte Arbeitsquantum bildet den Tageswerth der Arbeits-
kraft, oder den Werth der täglich reproduzirten Arbeitskraft. Wenn
sich ein halber Tag gesellschaftlicher Durchschnittsarbeit ebenfalls in einer
Goldmasse von 3 sh. oder einem Thaler darstellt, so ist Ein Thaler
der dem Tageswerth der Arbeitskraft entsprechende Preis. Bietet der
Besitzer der Arbeitskraft sie feil für Einen Thaler täglich, so ist ihr Ver-
kaufspreis gleich ihrem Werth, und, nach unsrer Voraussetzung,
zahlt der auf Verwandlung seiner Thaler in Kapital erpichte Geldbesitzer
diesen Werth.
Die letzte Grenze oder Minimalgrenze des Werths der Arbeits-
kraft wird gebildet durch den Werth einer Waarenmasse, ohne deren täg-
liche Zufuhr der Träger der Arbeitskraft, der Mensch, seinen Lebenspro-
zess nicht erneuern kann, also durch den Werth der physisch un-
entbehrlichen Lebensmittel. Sinkt der Preis der Arbeitskraft
auf diess Minimum, so sinkt er unter ihren Werth, denn sie
kann so nur in verkümmerter Form erhalten werden und sich ent-
wickeln. Der Tauschwerth jeder Waare ist aber bestimmt durch die
Arbeitszeit, erfordert um sie in normaler Güte zu liefern.
Es ist eine ausserordentlich wohlfeile Sentimentalität, diese aus der Na-
tur der Sache fliessende Werthbestimmung der Arbeitskraft grob
zu finden und etwa mit Rossi zu jammern: „Das Arbeitsvermögen (puis-
sance de travail) begreifen, während man von den Subsistenzmitteln der
Arbeit während des Produktionsprozesses abstrahirt, heisst ein Hirnge-
spinnst (être de raison) begreifen. Wer Arbeit sagt, wer Arbeitsvermögen
sagt, sagt zugleich Arbeiter und Subsistenzmittel, Arbeiter und Arbeits-
lohn47).“ Wer Arbeitsvermögen sagt, sagt nicht Arbeit, so wenig als
wer Verdauungsvermögen sagt, Verdauen sagt. Zum letztern Prozess ist
bekanntlich mehr als ein guter Magen erfordert. Wer Arbeitsvermögen
sagt, abstrahirt nicht von den zu seiner Subsistenz nothwendigen Lebens-
mitteln. Ihr Werth ist vielmehr ausgedrückt in seinem Werth. Wird es
nicht verkauft, so nützt es dem Arbeiter nichts, so empfindet er es viel-
mehr als eine grausame Naturnothwendigkeit, dass sein Arbeitsvermögen
ein bestimmtes Quantum Subsistenzmittel zu seiner Produktion erheischt
hat und stets wieder von neuem zu seiner Reproduktion erheischt. Er
entdeckt dann mit Sismondi: „das Arbeitsvermögen . . . . ist
Nichts, wenn es nicht verkauft wird48).“
Die eigenthümliche Natur dieser spezifischen Waare, der Arbeits-
kraft, bringt es mit sich, dass mit der Abschliessung des Kontrakts zwischen
Käufer und Verkäufer ihr Gebrauchswerth noch nicht wirklich in die
Hand des Käufers übergegangen ist. Ihr Tauschwerth, gleich dem
jeder andern Waare, war bestimmt, bevor sie in die Cirkulation trat, denn
ein bestimmtes Quantum gesellschaftlicher Arbeit ward zur Produktion der
Arbeitskraft verausgabt, aber ihr Gebrauchswerth besteht erst in der
nachträglichen Kraftäusserung. Die Veräusserung der Kraft und ihre
wirkliche Aeusserung, d. h. ihr Dasein als Gebrauchswerth, fallen daher
der Zeit nach aus einander. Bei solchen Waaren aber, wo die formelle
Veräusserung des Gebrauchswerths durch den Verkauf und seine wirkliche
Ueberlassung an den Käufer der Zeit nach auseinander fallen, funktionirt
das Geld des Käufers meist als Zahlungsmittel. In allen Ländern
kapitalistischer Produktionsweise wird die Arbeitskraft erst gezahlt, nach-
dem sie bereits während des im Kaufkontrakt festgesetzten Termins funk-
tionirt hat, z. B. am Ende jeder Woche49). Ueberall schiesst daher der
Arbeiter dem Kapitalisten den Gebrauchswerth der Arbeitskraft vor; er
lässt sie vom Käufer konsumiren, bevor er ihren Preis bezahlt erhält,
überall kreditirt daher der Arbeiter dem Kapitalisten. Dass diess
Kreditiren kein leerer Wahn ist, zeigt nicht nur der gelegentliche Verlust des
kreditirten Salairs beim Bankerott des Kapitalisten50), sondern auch eine
Reihe mehr nachhaltiger Wirkungen51). Indess ändert es an der Natur des
Waarenaustauschs selbst nichts, ob das Geld als Kaufmittel oder als Zah-
lungsmittel funktionirt. Der Preis der Arbeitskraft ist kontraktlich festgesetzt,
obgleich er erst hinterher realisirt wird, wie der Miethpreis eines Hauses.
Die Arbeitskraft ist verkauft, obgleich sie erst hinterher bezahlt wird.
Für die reine Auffassung des Verhältnisses wird es daher nützlich sein,
einstweilen stets vorauszusetzen, dass der Besitzer der Arbeitskraft
mit ihrem Verkauf jedesmal auch sogleich den kontraktlich stipulirten Preis
erhält.
Wir kennen nun die Art und Weise der Bestimmung des Tausch-
werths, der dem Besitzer dieser eigenthümlichen Waare, der Arbeits-
kraft, vom Geldbesitzer gezahlt wird. Der Gebrauchswerth, den
letzterer seinerseits im Austausch erhält, zeigt sich erst im wirklichen
Verbrauch, im Konsumtionsprozess der Arbeitskraft.
Alle zu diesem Prozess nöthigen Dinge, wie Rohmaterial u. s. w., kauft der
Geldbesitzer auf dem Waarenmarkt und zahlt sie zum vollen Preis. Der
Konsumtionsprozess der Arbeitskraft ist zugleich der Pro-
duktionsprozess von Waare und von Mehrwerth. Die Kon-
sumtion der Arbeitskraft, gleich der Konsumtion jeder andern Waare,
vollzieht sich ausserhalb des Markts oder der Cirkulations-
sphäre. Diese geräuschvolle, auf der Oberfläche hausende und Aller
Augen zugängliche Sphäre verlassen wir daher, zusammen mit Geldbe-
sitzer und Besitzer der Arbeitskraft, um beiden nachzufolgen in die ver-
borgne Stätte der Produktion, an deren Schwelle zu lesen steht:
No admittance except on business. Hier wird sich zeigen,
nicht nur wie das Kapital producirt, sondern auch wie das
Kapital selbst producirt wird. Das Geheimniss der Plus-
macherei muss sich endlich enthüllen.
Die Sphäre der Cirkulation oder des Waarenaus-
tauschs, innerhalb deren Schranken Kauf und Verkauf der Arbeitskraft
sich bewegt, war in der That ein wahres Eden der angebornen
Menschenrechte. Was allein hier herrscht, ist Freiheit, Gleich-
heit, Eigenthum, und Bentham. Freiheit! denn Käufer und
Verkäufer einer Waare, z. B. der Arbeitskraft, sind nur durch ihren
freien Willen bestimmt. Sie kontrahiren als freie, rechtlich ebenbür-
tige Personen. Der Kontrakt ist das freie Produkt, worin sich ihre
Willen einen gemeinsamen Rechtsausdruck geben. Gleichheit!
Denn sie beziehen sich nur als Waarenbesitzer auf einander und
tauschen Aequivalent für Aequivalent. Eigenthum! Denn jeder ver-
fügt nur über das Seine. Bentham! Denn jedem von den beiden ist
es nur um sich zu thun. Die einzige Macht, die sie zusammen und in ein
Verhältniss bringt, ist die ihres Eigennutzes, ihres Sondervortheils,
ihrer Privatinteressen. Und eben weil so jeder nur für sich und
keiner für den andern kehrt, vollbringen alle, in Folge einer prästabi-
lirten Harmonie der Dinge, oder unter den Auspicien einer all-
pfiffigen Vorsehung, nur das Werk ihres wechselseitigen Vortheils, des Ge-
meinnutzens, des Gesammtinteresses.
Beim Scheiden von dieser Sphäre der einfachen Cirkulation oder des
Waarenaustauschs, woraus der Freihändler vulgaris Anschauungen, Be-
griffe und Massstab für sein Urtheil über die Gesellschaft des Kapitals und
der Lohnarbeit entlehnt, verwandelt sich, so scheint es, schon in etwas die
Physiognomie unserer dramatis personae. Der ehemalige Geldbe-
sitzer schreitet voran als Kapitalist, der Arbeitskraft-Besitzer folgt ihm
nach als sein Arbeiter; der Eine bedeutungsvoll schmunzelnd und ge-
schäftseifrig, der Andre scheu, widerstrebsam, wie Jemand, der seine eigne
Haut zu Markt getragen und nun nichts andres zu erwarten hat als die
— Gerberei.
Der Gebrauch der Arbeitskraft ist die Arbeit selbst. Der Käu-
fer der Arbeitskraft konsumirt sie, indem er ihren Verkäufer arbeiten
lässt. Letztrer wird hierdurch actu sich bethätigende Arbeitskraft, Ar-
beiter, was er früher nur potentia war. Um seine Arbeit in Waaren
darzustellen, muss er sie vor allem in Gebrauchswerthen darstellen,
Sachen, die zur Befriedigung von Bedürfnissen irgend einer Art dienen.
Es ist also ein besondrer Gebrauchswerth, ein bestimmter Artikel, den
der Kapitalist vom Arbeiter anfertigen lässt. Die Produktion von
Gebrauchswerthen, oder Gütern, ändert ihre allgemeine Na-
tur nicht dadurch, dass sie für den Kapitalisten und unter seiner Kontrole
vorgeht. Der Arbeitsprozess ist daher zunächst in seinen abstrak-
ten Momenten, unabhängig von jeder bestimmten gesellschaft-
lichen Form zu betrachten.
Der Arbeitsprozess ist zunächst ein Prozess zwischen dem Menschen
und der Natur, ein Prozess, worin er seinen Stoffwechsel mit der Natur
durch seine eigne That vermittelt, regelt und kontrolirt. Der Mensch tritt
dem Naturstoff selbst als eine Naturmacht gegenüber. Die seiner Leiblich-
keit angehörigen Naturkräfte, Arme und Beine, Kopf und Hand, setzt er in
Bewegung, um sich den Naturstoff in einer für sein eignes Leben brauch-
baren Form zu assimiliren. Indem er durch diese Bewegung auf die Natur
ausser ihm wirkt und sie verändert, verändert er zugleich seine eigne Natur.
Er entwickelt die in ihr schlummernden Potenzen und unterwirft das Spiel
ihrer Kräfte seiner eignen Botmässigkeit. Wir haben es hier nicht mit
den ersten thierartig instinktmässigen Formen des Arbeitsprozesses zu
thun. Dem Zustand, worin der Arbeiter als Verkäufer seiner eignen Arbeits-
kraft auf dem Waarenmarkt auftritt, ist in urzeitlichen Hintergrund der Zu-
stand entrückt, worin der menschliche Arbeitsprozess seine erste instinktartige
Form noch nicht abgestreift hatte. Wir unterstellen den Arbeitsprozess
in einer Form, worin er dem Menschen ausschliesslich angehört. Eine
Spinne verrichtet Operationen, die denen des Webers ähneln, und eine
Biene beschämt durch den Bau ihrer Wachszellen manchen menschlichen
Baumeister. Was aber von vorn herein den schlechtesten Baumeister vor
der besten Biene auszeichnet, ist, dass er die Zelle in seinem Kopf ge-
baut hat, bevor er sie in Wachs baut. Am Ende des Arbeitsprozesses
kommt ein Resultat heraus, das beim Beginn desselben schon in der Vor-
stellung des Arbeiters, also schon ideell vorhanden war. Nicht
dass er nur eine Formveränderung des Natürlichen bewirkt, verwirk-
licht er im Natürlichen zugleich seinen Zweck, den er weiss, der
die Art und Weise seines Thuns als Gesetz bestimmt und dem er seinen
Willen unterordnen muss. Und diese Unterordnung ist kein vereinzelter
Akt. Ausser der Anstrengung der Organe, die arbeiten, ist der zweck-
gemässe Wille, der sich als Aufmerksamkeit äussert, für die
ganze Dauer des Arbeitsprozesses erheischt, und um so mehr, je weniger
die Arbeit durch ihren eignen Inhalt und ihre Art und Weise der Ausfüh-
rung den Arbeiter mit sich fortreisst, je weniger er sie daher als Spiel
seiner eignen körperlichen und geistigen Kräfte geniesst.
Die einfachen Momente des Arbeitsprozesses sind die zweck-
mässige Thätigkeit oder die Arbeit selbst, ihr Gegen-
stand und ihr Mittel.
Die Erde (worunter ökonomisch auch das Wasser einbegriffen),
wie sie den Menschen ursprünglich mit Proviant, fertigen Lebensmitteln
ausrüstet1), findet sich ohne sein Zuthun als der allgemeine Gegen-
stand der menschlichen Arbeit vor. Alle Dinge, welche die Arbeit nur
von ihrem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Erdganzen loslöst, sind
von Natur vorgefundne Arbeitsgegenstände. So der Fisch, der von seinem
Lebenselement, dem Wasser, getrennt, gefangen wird, das Holz, das im
Urwald gefällt, das Erz, das aus seiner Ader losgebrochen wird. Ist der
Arbeitsgegenstand dagegen selbst schon sozusagen durch frühere
Arbeit filtrirt, so nennen wir ihn Rohmaterial. Z. B. das bereits
losgebrochene Erz, das nun ausgewaschen wird. Alles Rohmaterial ist
Arbeitsgegenstand, aber nicht jeder Arbeitsgegenstand ist Rohmaterial.
Rohmaterial ist der Arbeitsgegenstand nur, sobald er bereits eine durch
Arbeit vermittelte Veränderung erfahren hat.
Das Arbeitsmittel ist ein Ding oder ein Komplex von Dingen,
die der Arbeiter zwischen sich und den Arbeitsgegenstand schiebt und die
ihm als Leiter seiner Thätigkeit auf diesen Gegenstand dienen. Er be-
nutzt die mechanischen, physischen, chemischen Eigenschaften der Dinge,
um sie als Machtmittel auf andre Dinge, seinem Zweck gemäss,
wirken zu lassen2). Der Gegenstand, dessen sich der Arbeiter un-
mittelbar bemächtigt — abgesehn von der Ergreifung fertiger Lebens-
mittel, der Früchte z. B., wobei seine eigenen Leibesorgane allein als
Arbeitsmittel dienen — ist nicht der Arbeitsgegenstand, sondern das
Arbeitsmittel. So wird das Natürliche selbst zum Organ seiner Thätig-
keit, ein Organ, das er seinen eigenen Leibesorganen hinzufügt, seine
natürliche Gestalt verlängernd, trotz der Bibel. Wie die Erde seine ur-
sprüngliche Proviantkammer, ist sie sein ursprüngliches Arsenal von
Arbeitsmitteln. Sie liefert ihm z. B. den Stein, womit er wirft, reibt,
drückt, schneidet u. s. w. Die Erde selbst ist ein Arbeitsmittel, setzt
jedoch zu ihrem Dienst als Arbeitsmittel in der Agrikultur wieder eine
ganze Reihe andrer Arbeitsmittel und eine schon relativ hohe Entwicklung
der Arbeitskraft voraus3). Sobald überhaupt der Arbeitsprozess nur
einigermassen entwickelt ist, bedarf er bereits bearbeiteter Arbeitsmittel.
In den ältesten Menschenhöhlen finden wir Steinwerkzeuge und Steinwaffen.
Neben bearbeitetem Stein und Holz spielt im Anfang der Menschenge-
schichte das gezähmte, also selbst schon durch Arbeit veränderte, ge-
züchtete Thier die Hauptrolle als Arbeitsmittel4). Der Gebrauch und
die Schöpfung von Arbeitsmitteln, obgleich im Keim schon gewissen Thier-
arten eigen, charakterisiren den spezifisch menschlichen Arbeits-
prozess und Franklin definirt daher den Menschen als „a tool-
making animal“, ein Werkzeuge fabrizirendes Thier. Dieselbe
Wichtigkeit, die der Bau von Knochenreliquien für die Erkenntniss der
Organisation untergegangner Thiergeschlechter, haben Reliquien von Ar-
beitsmitteln für die Beurtheilung untergegangner ökonomischer Ge-
sellschaftsformationen. Nicht was gemacht wird, sondern wie, mit
welchen Arbeitsmitteln gemacht wird, unterscheidet die ökonomischen
Epochen5). Die Arbeitsmittel sind nicht nur der Gradmesser der Ent-
wicklung der menschlichen Arbeitskraft, sondern auch der Index der ge-
sellschaftlichen Verhältnisse, unter denen gearbeitet wird. Unter den
Arbeitsmitteln selbst bieten die mechanischen Arbeitsmittel,
deren Gesammtheit man das Knochen- und Muskelsystem der
Produktion nennen kann, viel entscheidendere Charaktermerkmale
einer gesellschaftlichen Produktionsepoche, als solche Arbeitsmittel, die
nur zu Behältern des Arbeitsgegenstands dienen, und deren Gesammtheit
ganz allgemein als das Gefässsystem der Produktion bezeichnet
werden kann, wie z. B. Röhren, Fässer, Körbe, Krüge u. s. w. Erst in
der chemischen Fabrikation spielen sie eine bedeutungsvolle Rolle.
Im weiteren Sinn zählt der Arbeitsprozess unter seine Mittel ausser
den Dingen, welche die Wirkung der Arbeit auf ihren Gegenstand ver-
mitteln, und daher in einer oder der andern Weise als Leiter der Thätig-
keit dienen, alle gegenständlichen Bedingungen, die überhaupt
erheischt sind, damit der ganze Prozess vorgehe. Sie gehn nicht direkt
in den Arbeitsprozess ein, aber der Arbeitsprozess kann ohne sie gar nicht
oder nur unvollkommen vorgehn. Das allgemeine Arbeitsmittel dieser Art
ist wieder die Erde selbst, denn sie giebt dem Arbeiter den locus
standi und seinem Prozess den Wirkungsraum (field of em-
ployment). Durch die Arbeit schon vermittelte Arbeitsmittel dieser
Art sind z. B. Arbeitsgebäude, Kanäle, Strassen u. s. w.
Der Arbeitsprozess ist also ein Prozess, worin die Thätigkeit
des Menschen durch das Arbeitsmittel eine von vorn herein bezweckte Ver-
änderung im Arbeitsgegenstand bewirkt. Dieser Prozess erlischt im
Produkt. Sein Produkt ist ein Gebrauchswerth, ein durch Form-
veränderung menschlichen Bedürfnissen assimilirter Naturstoff. Durch
den Prozess hat sich die Arbeit mit ihrem Gegenstand verbunden. Die
Arbeit ist vergegenständlicht und der Gegenstand ist verarbeitet. Was
auf Seiten des Arbeiters in der Form der Unruhe erschien, erscheint nun als
ruhende Eigenschaft, in der Form des Seins, auf Seiten des Produkts. Er
hat gesponnen und das Produkt ist ein Gespinnst.
Betrachtet man den ganzen Prozess vom Standpunkt seines Resultats,
des Produkts, so erscheinen beide, Arbeitsmittel und Arbeits-
gegenstand, als Produktionsmittel6) und die Arbeit selbst als
produktive Arbeit7).
Wenn ein Gebrauchswerth als Produkt aus dem Arbeitsprozess
herauskommt, gehn andre Gebrauchswerthe, selbst Produkte früherer
Arbeitsprozesse, als Produktionsmittel in den Prozess ein. Der-
selbe Gebrauchswerth, der das Produkt eines Arbeitsprozesses, bildet das
Produktionsmittel eines andern. Produkte sind daher nicht nur Resul-
tat, sondern zugleich Bedingung des Arbeitsprozesses.
Mit Ausnahme der extraktiven Industrie, die ihren Arbeits-
gegenstand von Natur vorfindet, wie der Bergbau, die Jagd, der Fischfang
u. s. w., (der Ackerbau nur, soweit er in erster Instanz die jungfräuliche
Erde selbst aufbricht), behandeln alle Industriezweige einen Gegen-
stand, der Rohmaterial, d. h. bereits durch die Arbeit filtrirter
Arbeitsgegenstand, selbst schon Produkt eines früheren Arbeitsprozesses
ist. So z. B. der Samen in der Agrikultur. Thiere und Pflanzen, die
man als Naturprodukte zu betrachten pflegt, sind nicht nur Produkte viel-
leicht der Arbeit vom vorigen Jahr, sondern, in ihren jetzigen Formen,
Produkte einer durch viele Generationen, unter menschlicher Kontrole,
vermittelst menschlicher Arbeit, fortgesetzten Umwandlung. Was aber
die Arbeitsmittel insbesondere betrifft, so zeigt ihre ungeheure Mehr-
zahl dem oberflächlichsten Blick die Spur vergangner Arbeit.
Das Rohmaterial kann die Hauptsubstanz eines Produkts bilden, oder
nur als Hilfsstoff in seine Bildung eingehn. Der Hilfsstoff wird vom
Arbeitsmittel konsumirt, wie Kohle von einer Dampfmaschine,
Oel vom Rade, Heu von einem Zugpferd, oder dem Rohmaterial zu-
gesetzt, um eine stoffliche Veränderung darin zu bewirken, wie Chlor
zur ungebleichten Leinwand, Kohle zum Eisen, Farbe zur Wolle, oder er
unterstützt die Verrichtung der Arbeit selbst, wie z. B. zur Beleuchtung
und Heizung des Arbeitslokals verwandte Stoffe. Der Unterschied zwischen
Hauptstoff und Hilfsstoff verschwimmt in der eigentlich chemischen Fabri-
kation, weil keines der angewandten Rohmaterialien als die Substanz des
Produkts wieder erscheint8).
Da jedes Ding vielerlei Eigenschaften besitzt und daher verschiedner
Nutzanwendung fähig ist, kann dasselbe Produkt das Rohmaterial sehr
verschiedner Arbeitsprozesse bilden. Korn z. B. ist Rohmaterial für
Müller, Stärkefabrikant, Destillateur, Viehzüchter u. s. w. Es wird Roh-
material seiner eignen Produktion als Samen. So geht die Kohle als
Produkt aus der Minenindustrie hervor und als Produktionsmittel in sie ein.
Dasselbe Produkt mag in demselben Arbeitsprozess als Arbeitsmittel
und Rohmaterial dienen. Bei der Viehmast z. B., wo das Vieh, das be-
arbeitete Rohmaterial, zugleich Mittel der Düngerbereitung ist.
Ein Produkt kann in einer für die Konsumtion fertigen Form
existiren und dennoch von neuem zum Rohmaterial eines andern Produkts
werden, wie die Traube zum Rohmaterial des Weins. Oder der Arbeits-
prozess entlässt sein Produkt in Formen, worin es nur als Rohmaterial
eines nachfolgenden Arbeitsprozesses benutzt werden kann. Rohmaterial
in diesem Zustand heisst Halbfabrikat und hiesse besser Stufen-
fabrikat, wie z. B. Baumwolle, Faden, Garn u. s. w. Obgleich selbst
schon Produkt, mag das ursprüngliche Rohmaterial eine ganze Staffel ver-
schiedner Arbeitsprozesse zu durchlaufen haben, worin es in stets ver-
änderter Gestalt stets von neuem als Rohmaterial funktionirt bis zum letzten
Arbeitsprozess, der es als fertiges Lebensmittel oder fertiges Ar-
beitsmittel von sich abstösst.
Man sieht: ob ein Gebrauchswerth als Rohmaterial,
Arbeitsmittel oder Produkt erscheint, hängt ganz und gar ab von
seiner bestimmten Funktion im Arbeitsprozesse, von der
Stelle, die er in ihm einnimmt, und mit dem Wechsel dieser Stelle
wechseln jene Bestimmungen.
Durch ihren Eintritt als Produktionsmittel in neue Arbeits-
prozesse verlieren Produkte daher den Charakter des Produkts. Sie
funktioniren nur noch als gegenständliche Faktoren der lebendigen Arbeit.
Der Spinner bezieht sich auf die Spindel nur als Mittel, womit, und auf
den Flachs nur als Gegenstand, den er spinnt. Allerdings kann man nicht
spinnen ohne Spinnmaterial und Spindel. Das Vorhandensein dieser Pro-
dukte ist daher vorausgesetzt beim Beginn des wirklichen Spinnprozesses.
In diesem Prozess selbst aber ist es eben so gleichgültig, dass
Flachs und Spindel Produkte vergangner Arbeit sind, wie es im
wirklichen Ernährungsprozess gleichgültig ist, dass Brod das Produkt
der vergangnen Arbeiten von Bauer, Müller, Bäcker u. s. w. Umgekehrt.
Machen Produktionsmittel im Arbeitsprozess ihren Charakter als Produkte
vergangner Arbeit geltend, so durch ihre Mängel. Ein Messer, das nicht
schneidet, Garn, das beständig zerreisst u. s. w., erinnern lebhaft an Messer-
schmied A und Garnwichser E. Im gelungenen Produkt ist die Ver-
mittlung seiner Gebrauchseigenschaften durch vergangne Arbeit ausge-
löscht.
Eine Maschine, die nicht im Arbeitsprozess dient, ist nutzlos. Ausser-
dem verfällt sie der zerstörenden Gewalt des natürlichen Stoffwechsels.
Das Eisen verrostet, das Holz verfault. Garn, das nicht verwebt oder
verstrickt wird, ist verdorbene Baumwolle. Die lebendige Arbeit muss
diese Dinge ergreifen, sie von den Todten erwecken, sie aus nur möglichen
in wirkliche und wirkende Gebrauchswerthe verwandeln. Vom Feuer der
Arbeit beleckt, als Leiber derselben angeeignet, zu ihren begriffs - und
berufsmässigen Funktionen im Prozess begeistet, werden sie zwar auch
verzehrt, aber zweckvoll, als Bildungselemente neuer Gebrauchswerthe.
Wenn vorhandne Produkte nicht nur die Resultate, sondern
auch die Existenzbedingungen des Arbeitsprozesses sind, ist
andrerseits ihr Hineinwerfen in den Arbeitsprozess, also ihr Kontakt
mit lebendiger Arbeit, das einzige Mittel um diese Produkte
vergangner Arbeit als Gebrauchswerthe zu erhalten und zu
verwirklichen. Der Arbeitsprozess resultirt überhaupt nur in Ge-
brauchswerth, so weit sein Produkt fähig, als Lebensmittel in
die individuelle Konsumtion oder als Produktionsmittel in neuen
Arbeitsprozess einzugehn.
Im Arbeitsprozess werden seine stofflichen Elemente, sein Gegenstand
und sein Mittel, als Gebrauchswerthe verbraucht. Die Arbeit ver-
speist sie. Der Arbeitsprozess ist also Konsumtionsprozess. Es
unterscheidet diese produktive Konsumtion von der indivi-
duellen Konsumtion, dass letztere die Produkte als Lebensmittel
des lebendigen Individuums, jene sie als Lebensmittel der Arbeit,
der sich bethätigenden Arbeitskraft, verzehrt. Das Produkt der indivi-
duellen Konsumtion ist daher der Konsument selbst, das Resultat
der produktiven Konsumtion ein von dem Konsumenten unterschiednes
Produkt.
Sofern Arbeitsmittel und Arbeitsgegenstand selbst schon Produkte
sind, Resultate vergangner Arbeitsprozesse, ist der Arbeitsprozess ein Pro-
zess, worin Produkte verzehrt werden um Produkte zu
schaffen oder worin Produkte als Produktionsmittel von
Produkten dienen. Wie der Arbeitsprozess aber ursprünglich nur
zwischen dem Menschen und der ohne sein Zuthun vorhandenen Erde
vorgeht, dienen in ihm immer noch solche Produktionsmittel, die von
Natur vorhanden, keine Verbindung von Naturstoff und menschlicher
Arbeit darstellen.
Der Arbeitsprozess, wie wir ihn in seinen einfachen und ab-
strakten Momenten dargestellt haben, ist zweckmässige Thätigkeit zur
Herstellung von Gebrauchswerthen, Aneignung des Natürlichen für mensch-
liche Bedürfnisse, allgemeine Bedingung des Stoffwechsels zwischen Mensch
und Natur, ewige Naturbedingung des menschlichen Lebens und daher
unabhängig von jeder Form dieses Lebens, vielmehr allen seinen Gesell-
schaftsformen gleich gemeinsam. Wir hatten daher bei unsrer Darstellung
nicht nöthig, den Arbeiter im Verhältniss zu andern Arbeitern darzustellen.
Der Mensch und seine Arbeit auf der einen, die Natur und ihre Stoffe auf
der andern Seite, genügten. So wenig man dem Weizen anschmeckt, wer
ihn gebaut hat, so wenig sieht man diesem Prozess an, unter welchen Be-
dingungen er vorgeht, ob unter der brutalen Peitsche des Sklavenaufsehers
oder unter dem ängstlichen Auge des Kapitalisten, ob Cincinnatus ihn ver-
richtet in der Bestellung seiner paar jugera, oder der Wilde, der mit einem
Stein eine Bestie erlegt9).
Kehren wir zu unserem Kapitalisten in spe zurück. Wir ver-
liessen ihn, nachdem er auf dem Waarenmarkt alle zu einem Arbeitsprozess
nothwendigen Faktoren gekauft hatte, die gegenständlichen Fak-
toren in den Produktionsmitteln, den subjektiven Fak-
tor in der Arbeitskraft. Die bestimmte Art dieser Produktions-
mittel und dieser Arbeitskraft richtet sich nach der Art des Arbeitsprozesses,
wofür sie bestimmt sind, ob Stiefel, Garn u. s. w. gemacht werden sollen.
Unser Kapitalist setzt sich also daran, die von ihm gekaufte Waare, die
Arbeitskraft, zu konsumiren, d. h. den Träger der Arbeitskraft, den
Arbeiter die Produktionsmittel durch seine Arbeit konsumiren zu
lassen. Die allgemeine Natur des Arbeitsprozesses ändert sich
natürlich nicht dadurch, dass der Arbeiter ihn für den Kapitalisten, statt
für sich selbst verrichtet. Aber auch die bestimmte Art und
Weise wie Stiefel gemacht oder Garn gesponnen wird, kann sich zu-
nächst nicht ändern durch die Dazwischenkunft des Kapitalisten. Er muss
die Arbeitskraft zunächst nehmen, wie er sie auf dem Markt vorfindet, also
auch ihre Arbeit, wie sie in einer Periode entsprang, wo es noch keine
Kapitalisten gab. Die Verwandlung der Produktionsweise
selbst durch die Unterordnung der Arbeit unter das Kapital kann sich erst
später ereignen und ist daher erst später zu betrachten.
Der Arbeitsprozess, wie er als Konsumtionsprozess der
Arbeitskraft durch den Kapitalisten vorgeht, zeigt nur zwei
eigenthümliche Phänomene.
Der Arbeiter arbeitet unter der Kontrole des Kapita-
listen, dem seine Arbeit gehört. Der Kapitalist passt auf, dass die
Arbeit ordentlich verrichtet wird und dass die Produktionsmittel zweckge-
mäss verwandt werden, also kein Rohmaterial vergeudet und das Arbeits-
instrument geschont, d. h. nur so weit zerstört wird, als unzertrennlich ist
von seinem Gebrauch in der Arbeit.
Zweitens aber: das Produkt ist Eigenthum des Kapita-
listen, nicht des unmittelbaren Produzenten, des Arbeiters. Der Kapi-
talist zahlt z. B. den Tageswerth der Arbeitskraft. Ihr Ge-
brauch, wie der jeder andern Waare, z. B. eines Pferdes, das er für einen
Tag gemiethet, gehört ihm also für den Tag. Dem Käufer der Waare
gehört der Gebrauch der Waare, und der Besitzer der Arbeitskraft giebt
in der That nur den von ihm verkauften Gebrauchswerth, indem er seine
Arbeit giebt. Von dem Augenblicke, wo er in die Werkstätte des Ka-
pitalisten trat, gehörte der Gebrauchswerth seiner Arbeitskraft, also
ihr Gebrauch, die Arbeit, dem Kapitalisten. Der Kapitalist hat durch
den Kauf der Arbeitskraft die Arbeit selbst als lebendigen Gäh-
rungsstoff den todten von ihm gleichfalls besessenen Bildungselementen des
Produkts einverleibt. Von seinem Standpunkt ist der Arbeits-
prozess nur die Konsumtion der von ihm gekauften Waare Arbeits-
kraft, die er jedoch nur konsumiren kann, indem er ihr Produktions-
mittel zusetzt. Der Arbeitsprozess ist ein Prozess zwischen Dingen,
die der Kapitalist gekauft hat, zwischen ihm gehörigen
Dingen. Das Produkt dieses Prozesses gehört ihm daher
ganz eben so sehr als das Produkt des Gährungsprozesses in seinem
Weinkeller10).
Das Produkt — das Eigenthum des Kapitalisten — ist ein Ge-
brauchswerth, Garn, Stiefel u. s. w. Aber obgleich Stiefel z. B. ge-
wissermassen die Basis des gesellschaftlichen Fortschritts bilden und unser
Kapitalist ein entschiedener Fortschrittsmann ist, fabrizirt er die Stiefel
nicht ihrer selbst wegen. Der Gebrauchswerth ist überhaupt nicht
das Ding „qu’on aime pour lui même“ in der Waarenpro-
duktion. Gebrauchswerthe werden hier überhaupt nur produzirt, weil
und sofern sie materielles Substrat, Träger des Tausch-
werths sind. Und unserem Kapitalisten handelt es sich um zweierlei.
Erstens will er einen Gebrauchswerth produziren, der einen Tausch-
werth hat, einen zum Verkauf bestimmten Artikel, eine Waare. Und
zweitens will er eine Waare produziren, deren Werth höher als die
Werthsumme der zu ihrer Produktion erheischten Waa-
ren, der Produktionsmittel und der Arbeitskraft, für die er sein gutes Geld
auf dem Waarenmarkt vorschoss. Er will nicht nur einen Ge-
brauchswerth produziren, sondern eine Waare, nicht nur Ge-
brauchswerth, sondern Tauschwerth, und nicht nur Werth, sondern auch
Mehrwerth.
In der That, da es sich hier um Waarenproduktion handelt,
haben wir bisher offenbar nur eine Seite des Prozesses betrachtet.
Wie die Waare selbst Einheit von Gebrauchswerth und Tausch-
werth, muss ihr Produktionsprozess Einheit von Arbeits-
prozess und Werthbildungsprozess sein.
Betrachten wir den Produktionsprozess also jetzt auch als
Werthbildungsprozess.
Wir wissen, dass der Werth jeder Waare bestimmt ist durch das
Quantum der in ihrem Gebrauchswerth materialisirten Arbeit,
durch die zu ihrer Produktion gesellschaftlich nothwendige
Arbeitszeit. Diess gilt auch für das Produkt, das sich unsrem Kapi-
talisten als Resultat des Arbeitsprozesses ergab. Es ist also zunächst die
in diesem Produkt vergegenständlichte Arbeit zu be-
rechnen.
Es sei z. B. Garn.
Zur Herstellung des Garns war zuerst sein Rohmaterial nöthig,
z. B. 10 Pfund Baumwolle. Was der Werth der Baumwolle, ist nicht
erst zu untersuchen, denn der Kapitalist hat sie auf dem Markt zu ihrem
Werth, z. B. zu 10 sh. gekauft. In dem Preise der Baumwolle ist die
zu ihrer Produktion erheischte Arbeit schon als allgemeine gesellschaftliche
Arbeit dargestellt. Wir wollen ferner annehmen, dass die in der Verar-
beitung der Baumwolle verzehrte Spindelmasse, die uns alle an-
deren aufgewandten Arbeitsmittel repräsentirt, einen Werth von 2 sh. be-
sitzt. Ist eine Goldmasse von 12 sh. das Produkt von 24 Arbeitsstunden
oder zwei Arbeitstagen, so folgt zunächst, dass im Garn zwei Arbeitstage
vergegenständlicht sind.
Der Umstand, dass die Baumwolle ihre Form verändert hat und die
aufgezehrte Spindelmasse ganz verschwunden ist, darf nicht beirren. Nach
dem allgemeinen Werthgesetz sind z. B. 10 lbs. Garn ein Aequivalent für 10
lbs. Baumwolle und ¼ Spindel, wenn der Werth von 40 lbs. Garn = dem
Werth von 40 lbs. Baumwolle + dem Werth einer ganzen Spindel, d. h.
wenn dieselbe Arbeitszeit erfordert ist um beide Seiten dieser
Gleichung zu produziren. In diesem Fall stellt sich dieselbe Arbeits-
zeit das einemal in dem Gebrauchswerth Garn, das andremal in den Ge-
brauchswerthen Baumwolle und Spindel dar. Der Tauschwerth ist also
gleichgültig dagegen, ob er in Garn, Spindel oder Baumwolle erscheint.
Dass Spindel und Baumwolle, statt ruhig neben einander zu liegen, im
Spinnprozesse eine Verbindung eingehn, welche die Form ihres Gebrauchs-
werths verändert, sie in Garn verwandelt, berührt ihren Tausch-
werth eben so wenig, als wenn sie durch einfachen Austausch gegen
ein Aequivalent von Garn umgesetzt worden wären.
Die zur Produktion der Baumwolle erheischte Arbeitszeit ist Theil
der zur Produktion des Garns, dessen Rohmaterial sie bildet, erheischten
Arbeitszeit und deshalb im Garn enthalten. Ebenso verhält es sich mit
der Arbeitszeit, die zur Produktion der Spindelmasse erheischt ist, ohne
deren Verschleiss oder Konsum die Baumwolle nicht versponnen werden
kann11).
So weit also der Werth des Garns, die zu seiner Herstellung er-
heischte Arbeitszeit, in Betracht kommt, können die verschied-
nen besondern, der Zeit und dem Raum nach getrennten Ar-
beitsprozesse, die durchlaufen werden müssen, um die Baumwolle zu
produziren, die vernutzte Spindelmasse zu produziren, endlich aus Baum-
wolle und Spindel Garn zu machen, als verschiedne successive Phasen
eines und desselben Arbeitsprozesses betrachtet werden.
Alle im Garn enthaltne Arbeit ist vergangne Arbeit. Dass die zur
Produktion seiner Bildungselemente erheischte Arbeitszeit früher ver-
gangen war, im Plusquamperfectum steht, dagegen die zum Schlussprozess,
dem Spinnen, unmittelbar verwandte Arbeit dem Präsens näher, im Per-
fectum steht, ist ein durchaus gleichgültiger Umstand. Ist eine bestimmte
Masse Arbeit, z. B. von 30 Arbeitstagen, zum Bau eines Hauses nöthig,
so ändert es nichts am Gesammtquantum der dem Hause einverleib-
ten Arbeitszeit, dass der 30. Arbeitstag 29 Tage später in die Produktion
einging als der erste Arbeitstag. Und so kann die im Arbeitsmaterial
und Arbeitsmittel enthaltene Arbeitszeit ganz so betrachtet werden, als
wäre sie nur in einem früheren Stadium des Spinnprozesses verausgabt
worden als das zuletzt in der Form des Spinnens verausgabte Arbeits-
quantum.
Die Werthe der Produktionsmittel, der Baumwolle und der Spindel,
ausgedrückt in dem Preise von 12 sh., bilden also Bestandtheile des Garn-
werths, oder des Werths des Produkts.
Nur müssen zwei Bedingungen erfüllt sein. Einmal müssen Baum-
wolle und Spindel wirklich zur Produktion eines Gebrauchswerths
gedient haben. Es muss in unserm Fall Garn aus ihnen geworden sein.
Welcher Gebrauchswerth ihn trägt, ist dem Tauschwerth gleichgültig,
aber ein Gebrauchswerth muss ihn tragen. Zweitens ist voraus-
gesetzt, dass nur die unter den gegebenen gesellschaftlichen Pro-
duktionsbedingungen nothwendige Arbeitszeit verwandt worden
ist. Wäre also nur 1 Pfund Baumwolle nöthig, um 1 Pfund Garn zu
spinnen, so darf nur 1 Pfund Baumwolle verzehrt sein in der Bildung von
1 Pfund Garn. Ebenso verhält es sich mit der Spindel. Hätte der Kapi-
talist die Phantasie mit goldenen, statt mit eisernen Spindeln spinnen zu
lassen, so zählte im Garnwerth dennoch nur die gesellschaftlich
nothwendige Arbeitszeit, d. h. die zur Produktion der eisernen
Spindelmasse nothwendige Arbeitszeit.
Wir kennen jetzt den Werththeil, den die Produktionsmittel,
Baumwolle und Spindel, im Garnwerth bilden. Er ist gleich 12 sh.,
oder die Materiatur von zwei Arbeitstagen. Es handelt sich also nun um
den Werththeil, welchen die Arbeit des Spinners selbst der Baum-
wolle zusetzt.
Wir haben diese Arbeit jetzt von einem ganz anderen Gesichtspunkte
zu betrachten, als während des Arbeitsprozesses. Dort handelte es
sich um die zweckmässige Thätigkeit, Baumwolle in Garn zu verwandeln.
Je zweckmässiger die Arbeit, desto besser das Garn, alle andern Umstände
als gleichbleibend vorausgesetzt. Die Arbeit des Spinners war spezifisch
verschieden von andern produktiven Arbeiten, und diese Verschiedenheit
offenbarte sich subjektiv und objektiv, im besondern Zweck des Spinnens,
seiner besondern Operationsweise, der besondern Natur seiner Produktions-
mittel, dem spezifischen Gebrauchswerth seines Produkts. Baumwolle und
Spindel dienen als Lebensmittel der Spinnarbeit, aber man kann
mit ihnen keine gezogenen Kanonen machen. Sofern die Arbeit des
Spinners dagegen werthbildend ist, d. h. Quelle von Tausch-
werth, ist sie durchaus nicht verschieden von der Arbeit des Kanonenboh-
rers, oder, was uns hier näher liegt, von den Arbeiten, die in den Produk-
tionsmitteln des Garns verwirklicht sind, den Arbeiten des Baumwollpflanzers
und des Spindelmachers. Nur wegen dieser Identität können Baum-
wollpflanzen, Spindelmachen und Spinnen blos quantitativ verschiedene
Theile desselben Gesammtwerths, des Garnwerths, bilden. Es
handelt sich hier nicht mehr um die Qualität, die Beschaffenheit und
den Inhalt der Arbeit, sondern nur noch um ihre Quantität. Diese
ist einfach zu zählen. Wir nehmen an, dass die Spinnarbeit einfache
Arbeit, gesellschaftliche Durchschnittsarbeit ist. Man wird später sehn,
dass die gegentheilige Annahme nichts an der Sache ändern würde.
Während des Arbeitsprozesses setzt sich die Arbeit beständig aus der
Form der Unruhe in die des Seins, aus der Form der Bewegung in die der
Gegenständlichkeit um. Am Ende einer Stunde ist die Spinnbewegung
in einem gewissen Quantum Garn dargestellt, also ein bestimmtes Quan-
tum Arbeit, eine Arbeitsstunde in der Baumwolle vergegen-
ständlicht. Wir sagen Arbeitsstunde, denn die Spinnarbeit gilt hier
nur, so weit sie Verausgabung von Arbeitskraft, nicht so weit sie die
spezifische Arbeit des Spinnens ist.
Es ist nun entscheidend wichtig, dass während der Dauer des Pro-
zesses, d. h. der Verwandlung von Baumwolle in Garn, nur die gesell-
schaftlich nothwendige Arbeitszeit verzehrt wird. Müssen
unter normalen, d. h. durchschnittlichen gesellschaftlichen Produk-
tionsbedingungen, a Pfund Baumwolle während einer Arbeitsstunde in
b Pfund Garn verwandelt sein, so gilt nur der Arbeitstag als Arbeitstag
von 12 Stunden, der 12 × a Pfund Baumwolle in 12 × b Pfund Garn
verwandelt. Denn nur die gesellschaftlich nothwendige Arbeitszeit zählt
als werthbildend.
Rohmaterial und Produkt erscheinen hier in einem ganz ande-
ren Licht als vom Standpunkt des eigentlichen Arbeitsprozesses. Das
Rohmaterial gilt hier nur als Aufsauger eines bestimmten
Quantums Arbeit. Durch diese Aufsaugung verwandelt es sich in
der That in Garn, weil ihm Spinnarbeit zugesetzt wurde. Aber das
Produkt, das Garn, ist jetzt nur Gradmesser der von der Baumwolle ein-
gesaugten Arbeit. Wird in einer Stunde 1⅔ lbs. Baumwolle versponnen
oder in 1⅔ lbs. Garn verwandelt, so zeigen 10 lbs. Garn 6 eingesaugte
Arbeitsstunden an. Bestimmte und erfahrungsmässig festge-
stellte Quanta Produkt stellen jetzt nichts dar als bestimmte Quanta
Arbeit, bestimmte Masse festgeronnener Arbeitszeit. Sie sind nur noch
Materiatur von einer Stunde, zwei Stunden, einem Tag gesell-
schaftlicher Arbeit.
Dass die Arbeit grade Spinnarbeit, ihr Material Baumwolle und ihr Pro-
dukt Garn, wird hier eben so gleichgültig, als dass der Arbeitsgegen-
stand selbst schon Produkt, also Rohmaterial ist. Wäre der Arbei-
ter, statt in der Spinnerei, in der Kohlengrube beschäftigt, so wäre der
Arbeitsgegenstand, die Kohle, von Natur vorhanden. Dennoch stellte ein
bestimmtes Quantum aus dem Bett losgebrochener Kohle, z. B. ein Cent-
ner, ein bestimmtes Quantum aufgesaugter Arbeit dar.
Beim Verkauf der Arbeitskraft ward unterstellt, dass ihr Ta-
geswerth = 3 sh., und in den letztern 6 Arbeitsstunden verkörpert sind,
diess Arbeitsquantum also erheischt ist, um die Durchschnittssumme der
täglichen Lebensmittel des Arbeiters zu produziren. Verwandelt unser
Spinner nun während einer Arbeitsstunde 1⅔ lbs. Baumwolle in 1⅔ lbs.
Garn12), so in 6 Stunden 10 lbs. Baumwolle in 10 lbs. Garn. Während
der Dauer des Spinnprozesses saugt die Baumwolle also 6 Arbeitsstunden
ein. Dieselbe Arbeitszeit stellt sich in einem Goldquantum von 3 sh. dar.
Der Baumwolle wurde also durch das Spinnen selbst ein Werth von 3 sh.
zugesetzt.
Sehn wir uns nun den Gesammtwerth des Produkts, der
10 lbs. Garn, an. In ihnen sind 2½ Arbeitstage vergegenständlicht,
2 Tage enthalten in Baumwolle und Spindelmasse, ½ Tag Arbeit einge-
saugt während des Spinnprozesses. Dieselbe Arbeitszeit stellt sich in
einer Goldmasse von 15 sh. dar. Der dem Werth der 10 lbs. Garn adä-
quate Preis beträgt also 15 sh., der Preis eines lb. Garn 1 sh. 6 d.
Unser Kapitalist stutzt. Der Werth des Produkts ist gleich
dem Werth des vorgeschossenen Kapitals. Der vorge-
schossene Werth hat sich nicht verwerthet, keinen Mehrwerth
erzeugt, Geld sich also nicht in Kapital verwandelt. Der Preis der
10 lbs. Garn ist 15 sh. und 15 sh. wurden verausgabt auf dem Waarenmarkt
für die Bildungselemente des Produkts oder, was dasselbe, die
Faktoren des Arbeitsprozesses, 10 sh. für Baumwolle, 2 sh.
für die verzehrte Spindelmasse, und 3 sh. für Arbeitskraft. Der aufge-
schwollene Werth des Garns hilft nichts, denn sein Werth ist
nur die Summe der früher auf Baumwolle, Spindel und Arbeitskraft ver-
theilten Werthe, und aus einer solchen blossen Addition vor-
handner Werthe kann nun und nimmermehr ein Mehrwerth ent-
springen13). Diese Werthe sind jetzt alle auf ein Ding konzentrirt, aber
so waren sie in der Geldsumme von 15 sh., bevor diese sich durch drei
Waarenkäufe zersplitterte.
An und für sich ist diess Resultat nicht befremdlich. Der Werth
eines lb. Garn ist 1 sh. 6 d. und für 10 lbs. Garn müsste unser Kapitalist
daher auf dem Waarenmarkt 15 sh. zahlen. Ob er sich sein Privathaus
fertig auf dem Markt kauft, oder es selbst bauen lässt, keine dieser Ope-
rationen wird das im Erwerb des Hauses ausgelegte Geld vermehren.
Der Kapitalist, der in der Vulgärökonomie Bescheid weiss, sagt viel-
leicht, er habe sein Geld mit der Absicht vorgeschossen, mehr Geld
daraus zu machen. Der Weg zur Hölle ist jedoch mit guten Ab-
sichten gepflastert und er konnte eben so gut der Absicht sein, Geld zu
machen, ohne zu produziren14). Er droht. Man werde ihn nicht wieder
ertappen. Künftig werde er die Waare fertig auf dem Markt kaufen,
statt sie selbst zu fabriziren. Wenn aber alle seine Brüder Kapitalisten
dessgleichen thun, wo soll er Waare auf dem Markt finden? Und Geld
kann er nicht essen. Er katechisirt. Man soll seine Abstinenz be-
denken. Er konnte seine 15 sh. verprassen. Statt dessen hat er sie
produktiv konsumirt und Garn daraus gemacht. Aber dafür ist er
ja im Besitz von Garn statt von Gewissensbissen. Er muss bei Leibe
nicht in die Rolle des Schatzbildners zurückfallen, der uns zeigte,
was bei der Ascetik herauskommt. Ausserdem, wo nichts ist, hat der
Kaiser sein Recht verloren. Welches immer das Verdienst seiner Ent-
sagung, es ist nichts da, um sie extra zu zahlen, da der Werth des
Produkts, der aus dem Prozess herauskommt, nur gleich der Summe der
hineingeworfenen Waarenwerthe. Er beruhige sich also dabei, dass Tu-
gend der Tugend Lohn. Statt dessen wird er zudringlich. Das Garn
ist ihm unnütz. Er hat es für den Verkauf produzirt. So verkaufe er
es, oder, noch einfacher, produzire in Zukunft nur Dinge für seinen
eignen Bedarf, ein Rezept, das ihm bereits sein Hausarzt Mac Culloch
als probates Mittel gegen die Epidemie der Ueberproduktion verschrieben
hat. Er stellt sich trutzig auf die Hinterbeine. Sollte der Arbeiter
mit seinen eignen Gliedmassen in der blauen Luft Arbeitsgebilde schaffen,
Waaren produziren? Gab er ihm nicht den Stoff, womit und worin er
allein seine Arbeit verleiblichen kann? Da nun der grösste Theil der Ge-
sellschaft aus solchen Habenichtsen besteht, hat er nicht der Gesellschaft
durch seine Produktionsmittel, seine Baumwolle und seine Spindel, einen
unermesslichen Dienst erwiesen, nicht dem Arbeiter selbst, den er oben-
drein noch mit Lebensmitteln versah? Und soll er den Dienst nicht be-
rechnen? Hat der Arbeiter ihm aber nicht den Gegendienst erwiesen,
Baumwolle und Spindel in Garn zu verwandeln? Ausserdem handelt es
sich hier nicht um Dienste15). Ein Dienst ist nichts als die nützliche
Wirkung eines Gebrauchswerths, sei es der Waare, sei es der Ar-
beit16). Hier aber gilt’s den Tauschwerth. Er zahlte dem Arbeiter
den Werth von 3 sh. Der Arbeiter gab ihm ein exaktes Aequivalent
zurück in dem der Baumwolle zugesetzten Werth von 3 sh., Werth für
Werth. Unser Freund, eben noch so kapitalübermüthig, nimmt plötzlich
die anspruchslose Haltung seines eignen Arbeiters an. Hat er nicht selbst
gearbeitet? nicht die Arbeit der Ueberwachung, der Oberaufsicht über
den Spinner verrichtet? Bildet diese seine Arbeit nicht auch Werth? Sein
eigner overlooker und sein manager zucken die Achseln. Unterdess hat
er aber bereits mit heitrem Lächeln seine alte Physiognomie wieder an-
genommen. Er foppte uns mit der ganzen Litanei. Er giebt keinen
Deut darum. Er überlässt diese und ähnliche faule Ausflüchte und hohle
Flausen den dafür eigens bezahlten Professoren der politischen Oekonomie.
Er selbst ist ein praktischer Mann, der zwar nicht immer bedenkt, was er
ausserhalb des Geschäfts sagt, aber stets weiss, was er im Geschäft thut.
Sehn wir näher zu. Der Tageswerth der Arbeitskraft be-
trug 3 sh., weil in ihr selbst ein halber Arbeitstag vergegenständlicht
ist, d. h. weil die täglich zur Produktion der Arbeitskraft nöthigen Lebens-
mittel einen halben Arbeitstag kosten. Aber die vergangene Arbeit, die
in der Arbeitskraft steckt, und die lebendige Arbeit, die sie leisten kann,
ihre täglichen Erhaltungskosten und ihre tägliche Verausgabung, sind zwei
ganz verschiedne Grössen. Die erstere bestimmt ihren Tauschwerth, die
andere bildet ihren Gebrauchswerth. Dass ein halber Arbeitstag
nöthig, um ihn während 24 Stunden am Leben zu erhalten, hindert den
Arbeiter keineswegs einen ganzen Tag zu arbeiten. Der Werth
der Arbeitskraft und ihre Verwerthung im Arbeitsprozess sind also
zwei verschiedne Grössen. Diese Werthdifferenz hatte der Kapita-
list im Auge, als er die Arbeitskraft kaufte. Ihre nützliche Eigenschaft,
Garn oder Stiefel zu machen, war nur eine conditio sine qua, weil Arbeit
in nützlicher Form verausgabt werden muss, um Werth zu bilden. Was aber
entschied, war der spezifische Gebrauchswerth dieser Waare,
Quelle von Tauschwerth zu sein und von mehr Tauschwerth als sie selbst
hat. Diess ist der spezifische Dienst, den der Kapitalist von ihr er-
wartet. Und er verfährt dabei den ewigen Gesetzen des Waarenaus-
tausches gemäss. In der That, der Verkäufer der Arbeitskraft, wie der
Verkäufer jeder andern Waare, realisirtihren Tauschwerth und
veräussert ihren Gebrauchswerth. Er kann den einen nicht
erhalten, ohne den andern wegzugeben. Der Gebrauchswerth der Arbeits-
kraft, die Arbeit selbst, gehört eben so wenig ihrem Verkäufer, wie der
Gebrauchswerth des verkauften Oels dem Oelhändler. Der Geldbesitzer
hat den Tageswerth der Arbeitskraft gezahlt; ihm gehört daher ihr
Gebrauch während des Tages, die tagelange Arbeit. Der
Umstand, dass die tägliche Erhaltung der Arbeitskraft nur einen halben
Arbeitstag kostet, obgleich die Arbeitskraft einen ganzen Tag wirken, arbei-
ten kann, dass daher der Werth, den ihr Gebrauch während eines Tags
schafft, doppelt so gross ist als ihr eigner Tageswerth, ist ein besondres
Glück für den Käufer, aber durchaus kein Unrecht gegen den Verkäufer.
Unser Kapitalist hat den Casus vorgesehn. Der Arbeiter findet da-
her in der Werkstätte die nöthigen Produktionsmittel nicht nur für einen
sechsstündigen, sondern für einen zwölfstündigen Arbeitsprozess. Saugten
10 lbs. Baumwolle 6 Arbeitsstunden ein und verwandelten sich in 10 lbs.
Garn, so werden 20 lbs. Baumwolle 12 Arbeitsstunden einsaugen und in 20
lbs. Garn verwandelt. Betrachten wir das Produkt des verlänger-
ten Arbeitsprozesses. In den 20 lbs. Garn sind jetzt 5 Arbeits-
tage vergegenständlicht, 4 in der verzehrten Baumwoll- und Spindel-
masse, 1 von der Baumwolle eingesaugt während des Spinnprozesses.
Der Goldausdruck von 5 Arbeitstagen ist aber 30 sh. oder 1 Pfd. St. 10 sh.
Diess also der Preis der 20 lbs. Garn. Das Pfund Garn kostet nach wie
vor 1 sh. 6 d. Aber die Werthsumme der in den Prozess geworfenen
Waaren betrug 27 sh. Der Werth des Garns beträgt 30 sh. Der Werth
des Produkts ist um ⅓ gewachsen über den zu seiner Produktion vor-
geschossenen Werth. So haben sich 27 sh. in 30 sh. verwandelt. Sie
haben einen Mehrwerth von 3 sh. gesetzt. Das Kunststück ist end-
lich gelungen. Geld ist in Kapital verwandelt.
Alle Bedingungen des Problems sind gelöst und die Gesetze des
Waarenaustausches in keiner Weise verletzt. Aequivalent wurde gegen
Aequivalent ausgetauscht. Der Kapitalist zahlte als Käufer jede Waare
zu ihrem Werth, Baumwolle, Spindelmasse, Arbeitskraft. Er that dann,
was jeder andre Käufer von Waaren thut. Er konsumirte ihren Ge-
brauchswerth. Der Konsumtionsprozess der Arbeitskraft,
der zugleich Produktionsprozess der Waare, ergab ein Produkt
von 20 lbs. Garn mit einem Werth von 30 sh. Der Kapitalist kehrt nun
zum Markt zurück und verkauft Waare, nachdem er Waare gekauft hat.
Er verkauft das Pfund Garn zu 1 sh. 6 d., keinen Deut über oder unter
seinem Werth. Und doch zieht er 3 sh. mehr aus der Cirkulation her-
aus als er ursprünglich in sie hineinwarf. Dieser ganze Verlauf, die Ver-
wandlung seines Geldes in Kapital, geht in der Cirkulationssphäre vor und
geht nicht in ihr vor. Durch die Vermittlung der Cirkulation, weil
bedingt durch den Kauf der Arbeitskraft auf dem Waarenmarkt.
Nicht in der Cirkulation, denn diese leitet nur den Verwerthungs-
prozess ein, der sich in der Produktionssphäre zuträgt. Und
so ist „tout pour le mieux dans le meilleur des mondes possibles.“
Indem der Kapitalist Geld in Waaren verwandelt, die als Stoffbildner
eines neuen Produkts oder als Faktoren des Arbeitsprozesses dienen, in-
dem er ihrer todten Gegenständlichkeit lebendige Arbeitskraft einverleibt,
verwandelt er Werth, vergangne, vergegenständlichte, todte Arbeit in
Kapital, sich selbst verwerthenden Werth, ein beseeltes Unge-
heuer, das zu „arbeiten“ beginnt, als hätt’ es Lieb’ im Leibe.
Vergleichen wir nun Werthbildungsprozess und Verwer-
thungsprozess, so ist der Verwerthungsprozess nichts als ein über
einen gewissen Punkt hinaus verlängerter Werthbildungsprozess.
Dauert der letztre nur bis zu dem Punkt, wo der vom Kapital ge-
zahlte Werth der Arbeitskraft durch ein neues Aequivalent ersetzt
ist, so ist er einfacher Werthbildungsprozess. Dauert der Werthbildungs-
prozess über diesen Punkt hinaus, so wird er Verwerthungsprozess.
Vergleichen wir ferner den Werthbildungsprozess mit dem
Arbeitsprozess, so besteht der letztere in der wirklichen Arbeit,
die Gebrauchswerthe produzirt. Die Bewegung wird hier quali-
tativ betrachtet, in ihrer besondern Art und Weise, nach Zweck und In-
halt. Derselbe Arbeitsprozess stellt sich im Werthbildungs-
prozess nur von seiner quantitativen Seite dar. Es handelt sich
nur noch um die Zeit, welche die Arbeit zu ihrer Operation braucht,
oder um die Dauer, während deren die Arbeitskraft verausgabt wird. Hier
gelten auch die Waaren, die in den Arbeitsprozess eingehn, nicht mehr als
funktionell bestimmte, stoffliche Faktoren der zweckmässig wirkenden Ar-
beitskraft. Sie zählen nur noch als bestimmte Quanta vergegenständ-
lichter Arbeit. Ob in den Produktionsmitteln enthalten oder durch die
Arbeitskraft zugesetzt, die Arbeit zählt nur noch nach ihrem Zeitmass.
Sie beträgt so viel Stunden, Tage u. s. w.
Sie zählt jedoch nur, soweit die zur Produktion des Gebrauchswerths
verbrauchte Zeit gesellschaftlich nothwendig ist. Es umfasst
diess Verschiednes. Die Arbeitskraft muss unter normalen Bedingungen
funktioniren. Ist die Spinnmaschine das gesellschaftlich herrschende
Arbeitsmittel für die Spinnerei, so darf dem Arbeiter nicht ein Spinnrad
in die Hand gegeben werden. Statt Baumwolle von normaler Güte muss
er nicht Schund erhalten, der jeden Augenblick reisst. In beiden Fällen
würde er mehr als die gesellschaftlich nothwendige Arbeitszeit zur Produk-
tion eines Pfundes Garn verbrauchen, diese überschüssige Zeit aber nicht
Werth oder Geld bilden. Der normale Charakter der gegenständlichen
Arbeitsfaktoren hängt jedoch nicht vom Arbeiter, sondern vom Kapitalisten
ab. Fernere Bedingung ist der normale Charakter der Arbeits-
kraft selbst. In dem Fach, worin sie verwandt wird, muss sie das herr-
schende Durchschnittsmass von Geschick, Fertigkeit und Raschheit besitzen.
Aber unser Kapitalist kaufte auf dem Arbeitsmarkt Arbeitskraft von nor-
maler Güte. Diese Kraft muss in dem gewöhnlichen Durchschnittsmass
der Anstrengung, mit dem gesellschaftlich üblichen Grad von Inten-
sivität verausgabt werden. Darüber wacht der Kapitalist eben so
ängstlich, als dass keine Zeit ohne Arbeit vergeudet wird. Er hat die
Arbeitskraft für bestimmte Zeitfrist gekauft. Er hält darauf das Seine zu
haben. Er will nicht bestohlen sein. Endlich — und hierfür hat der-
selbe Herr einen eignen code pénal — darf kein zweckwidriger Consum
von Rohmaterial und Arbeitsmitteln stattfinden, weil vergeudetes Material
oder Arbeitsmittel überflüssig verausgabte Quanta vergegenständlichter
Arbeit darstellen, also nicht zählen und nicht in das Produkt der Werthbil-
dung eingehn17).
Man sieht: der früher aus der Analyse der Waare gewonnene
Unterschied zwischen der Arbeit, soweit sie Gebrauchswerth, und der-
selben Arbeit, soweit sie Tauschwerth schafft, hat sich jetzt als Unterschei-
dung der verschiednen Seiten des Produktionsprozesses dargestellt.
Als Einheit von Arbeitsprozess und Werthbildungs-
prozess ist der Produktionsprozess Produktionsprozess von
Waaren; als Einheit von Arbeitsprozess und Verwer-
thungsprozess ist er kapitalistischer Produktionspro-
zess, kapitalistische Form der Waarenproduktion.
Es wurde früher bemerkt, dass es für den Verwerthungsprozess
durchaus gleichgültig, ob die vom Kapitalisten angeeignete Arbeit ein-
fache, gesellschaftliche Durchschnittsarbeit, oder kom-
plizirtere Arbeit, Arbeit von höherem spezifischem Ge-
wicht ist. Die Arbeit, die als höhere, komplizirtere Arbeit gegenüber
der gesellschaftlichen Durchschnittsarbeit gilt, ist die Aeusserung
einer Arbeitskraft, worin höhere Bildungskosten eingehn, deren
Produktion mehr Arbeitszeit kostet und die daher einen höheren Tauschwerth
hat als die einfache Arbeitskraft. Ist der Werth dieser Kraft höher, so
äussert sie sich aber auch in höherer Arbeit und vergegenständlicht sich
daher, in denselben Zeiträumen, in verhältnissmässig höheren
Werthen. Welches jedoch immer der Gradunterschied zwischen Spinnar-
beit und Juwelierarbeit, die Portion Arbeit, wodurch der Juwelenarbeiter nur
den Werth seiner eignen Arbeitskraft ersetzt, unterscheidet sich quali-
tativ in keiner Weise von der zusätzlichen Portion Arbeit, wodurch er
Mehrwerth schafft. Nach wie vor kommt der Mehrwerth nur heraus durch
einen quantitativen Ueberschuss von Arbeit, durch die ver-
längerte Dauer desselben Arbeitsprozesses, in dem einen
Fall Prozess der Garnproduktion, in dem andern Fall Prozess der Juwelen-
produktion18).
Andrerseits muss in jedem Werthbildungsprozess die höhere Arbeit
stets auf gesellschaftliche Durchschnittsarbeit reducirt werden, z. B. ein
Tag höherer Arbeit auf x Tage einfacher Arbeit19). Man erspart also
eine überflüssige Operation und vereinfacht die Analyse durch die Annahme,
dass der vom Kapital verwandte Arbeiter einfache gesellschaftliche Durch-
schnittsarbeit verrichtet.
Die verschiedenen Faktoren des Arbeitsprozesses nehmen verschied-
nen Antheil an der Bildung des Produkten-Werths.
Der Arbeiter setzt dem Arbeitsgegenstand neuen Tauschwerth
zu durch Zusatz eines bestimmten Quantums von Arbeit, abge-
sehn vom bestimmten Inhalt, Zweck und technologischen Charakter seiner
Arbeit. Andrerseits finden wir die Werthe der verzehrten Produktions-
mittel wieder als Bestandtheile des Produkten-Werths, z. B.
die Werthe von Baumwolle und Spindel im Garnwerth. Der Werth der
Produktionsmittel wird also erhalten durch seine Uebertragung
auf das Produkt. Diess Uebertragen geschieht während der Verwand-
lung der Produktionsmittel in Produkt, im Arbeitsprozess. Es ist ver-
mittelt durch die Arbeit. Aber wie?
Der Arbeiter arbeitet nicht doppelt in derselben Zeit, nicht ein-
mal um der Baumwolle durch seine Arbeit einen Werth zuzusetzen, und das
andremal um ihren alten Werth zu erhalten, oder, was dasselbe, um den
Werth der Baumwolle, die er verarbeitet, und der Spindel, womit er
arbeitet, auf das Produkt, das Garn, zu übertragen. Sondern durch
blosses Zusetzen von neuem Werth erhält er den alten Werth. Da
aber der Zusatz von neuem Werth zum Arbeitsgegenstand und die Erhal-
tung der alten Werthe im Produkt zwei ganz verschiedne Resultate sind,
die der Arbeiter in derselben Zeit hervorbringt, obgleich er nur
einmal in derselben Zeit arbeitet, kann diese Doppelseitigkeit
des Resultats offenbar nur aus der Doppelseitigkeit seiner
Arbeit selbst erklärt werden. In demselben Zeitpunkt muss sie in
einer Eigenschaft Werth schaffen und in einer andern Eigenschaft Werth
erhalten oder übertragen.
Wie setzt jeder Arbeiter Arbeitszeit und daher Werth zu? Immer nur
in der Form seiner eigenthümlich produktiven Arbeitsweise. Der Spinner
setzt nur Arbeitszeit zu, indem er spinnt, der Weber, indem er webt, der
Schmidt, indem er schmiedet. Durch die zweckbestimmte Form
aber, worin sie Arbeit überhaupt zusetzen und daher Neuwerth,
durch das Spinnen, Weben, Schmieden werden die Produktionsmittel,
Baumwolle und Spindel, Garn und Webstuhl, Eisen und Amboss, zu Bil-
dungselementen eines Produkts, eines neuen Gebrauchswerths20).
Die alte Form ihres Gebrauchswerths vergeht, aber nur um in einer
neuen Form von Gebrauchswerth aufzugehn. Bei Betrachtung des
Werthbildungsprozesses ergab sich aber, dass so weit ein Gebrauchswerth
zweckgemäss vernutzt wird zur Produktion eines neuen Gebrauchswerths,
die zur Herstellung des vernutzten Gebrauchswerths nothwendige Arbeits-
zeit einen Theil der zur Herstellung des neuen Gebrauchswerths nothwen-
digen Arbeitszeit bildet, also Arbeitszeit ist, die vom vernutzten Produk-
tionsmittel auf das neue Produkt übertragen wird. Der Arbeiter erhält
also die Werthe der vernutzten Produktionsmittel oder überträgt sie als
Werthbestandtheile auf das Produkt, nicht durch sein Zusetzen von
Arbeit überhaupt, sondern durch den besondren nützlichen
Charakter, durch die spezifisch produktive Form dieser zu-
sätzlichen Arbeit. Als solche zweckgemässe produktive Thätigkeit, Spin-
nen, Weben, Schmieden, erweckt die Arbeit durch ihren blossen Kon-
takt die Produktionsmittel von den Todten, begeistet sie zu Faktoren des
Arbeitsprozesses und verbindet sich mit ihnen zu Produkten.
Wäre die spezifische produktive Arbeit des Arbeiters nicht Spin-
nen, so würde er die Baumwolle nicht in Garn verwandeln, also auch die
Werthe von Baumwolle und Spindel nicht auf das Garn übertragen. Wech-
selt dagegen derselbe Arbeiter das Metier und wird Tischler, so wird er
nach wie vor durch einen Arbeitstag seinem Material Werth zusetzen.
Er setzt ihn also zu nicht durch seine Arbeit, soweit sie Spinnarbeit
oder Tischlerarbeit, sondern so weit sie abstrakte, gesell-
schaftliche Arbeit überhaupt, und er setzt eine bestimmte Werth-
grösse zu, nicht weil seine Arbeit einen besondern nützlichen Inhalt hat,
sondern weil sie eine bestimmte Zeit dauert. In ihrer abstrakten
allgemeinen Eigenschaft also, als Verausgabung menschlicher Arbeits-
kraft, setzt die Arbeit des Spinners den Werthen von Baumwolle und Spin-
del Neuwerth zu, und in ihrer konkreten, besondern, nütz-
lichen Eigenschaft als Spinnprozess, überträgt sie den Werth dieser
Produktionsmittel auf das Produkt und erhält so ihren Werth im Pro-
dukt. Daher die Doppelseitigkeit ihres Resultats in demselben
Zeitpunkt.
Durch das bloss quantitative Zusetzen von Arbeit wird neuer
Werth zugesetzt, durch die Qualität der zugesetzten Ar-
beit werden die alten Werthe der Produktionsmittel im Produkt erhalten.
Diese doppelseitige Wirkung derselben Arbeit in Folge ihres doppelsei-
tigen Charakters zeigt sich handgreiflich an verschiednen Erscheinungen.
Nimm an, irgend eine Erfindung befähige den Spinner in 6 Stunden
so viel Baumwolle zu verspinnen wie früher in 36 Stunden. Als zweck-
mässig-nützliche, produktive Thätigkeit hat seine Arbeit ihre Kraft
versechsfacht. Ihr Produkt ist ein sechsfaches, 36 statt 6 lbs. Garn.
Aber die 36 Pfund Baumwolle saugen jetzt nur so viel Arbeitszeit ein als
früher 6 Pfund. Ein Sechstel weniger neuer Arbeit wird ihnen zugesetzt
als mit der alten Methode, daher nur noch ein Sechstel des früheren Werths.
Andrerseits existirt jetzt der sechsfache Werth von Baumwolle im
Produkt, den 36 Pfund Garn. In den 6 Spinnstunden wird ein sechsmal
grösserer Werth von Rohmaterial erhalten und auf das Produkt über-
tragen, obgleich demselben Rohmaterial ein sechsmal kleinerer Neu-
werth zugesetzt wird. Diess zeigt, wie die Eigenschaft, worin die
Arbeit während desselben untheilbaren Prozesses Werthe erhält, wesent-
lich unterschieden ist von der Eigenschaft, worin sie Werth schafft. Je
mehr nothwendige Arbeitszeit während der Spinnoperation auf dasselbe
Quantum Baumwolle geht, desto grösser der Neuwerth, der
der Baumwolle zugesetzt wird, aber je mehr Pfunde Baumwolle in der-
selben Arbeitszeit versponnen werden, desto grösser der alte
Werth, der im Produkt erhalten wird.
Nimm umgekehrt an, die Produktivität der Spinnarbeit bleibe un-
verändert, der Spinner brauche also nach wie vor gleich viel Zeit, um ein
Pfund Baumwolle in Garn zu verwandeln. Aber der Tauschwerth
der Baumwolle selbst wechsle, ein Pfund Baumwolle steige oder falle um
das Sechsfache seines Preises. In beiden Fällen fährt der Spinner fort
demselben Quantum Baumwolle dieselbe Arbeitszeit zuzu-
setzen, also denselben Werth und in beiden Fällen produzirt er in
gleicher Zeit gleich viel Garn. Dennoch ist der Werth, den er von der
Baumwolle auf das Garn, das Produkt, überträgt, das einemal sechsmal
kleiner, das andremal sechsmal grösser als zuvor. Ebenso wenn die Ar-
beitsmittel sich vertheuern oder verwohlfeilen, aber stets denselben Dienst
im Arbeitsprozess leisten.
Bleiben die technologischen Bedingungen des Spinnprozesses unver-
ändert und geht gleichfalls kein Werthwechsel mit seinen Produk-
tionsmitteln vor, so verbraucht der Spinner nach wie vor in gleichen Ar-
beitszeiten gleiche Quanta Rohmaterial und Maschinerie von gleichbleiben-
den Werthen. Der Werth, den er im Produkt erhält, steht dann in
direktem Verhältniss zu dem Neuwerth, den er zusetzt. In zwei
Wochen setzt er zweimal mehr Arbeit zu als in einer Woche, also zwei-
mal mehr Werth, und zugleich vernutzt er zweimal mehr Material von
zweimal mehr Werth, und verschleisst zweimal mehr Maschinerie von zwei-
mal mehr Werth, erhält also im Produkt von zwei Wochen zweimal mehr
Werth als im Produkt einer Woche. Unter gegebnen gleichbleibenden
Produktionsbedingungen erhält der Arbeiter um so mehr Werth, je mehr
Werth er zusetzt, aber er erhält nicht mehr Werth, weil er mehr Werth
zusetzt, sondern weil er ihn unter gleichbleibenden und von seiner
eignen Arbeit unabhängigen Bedingungen zusetzt.
Allerdings kann in einem relativen, wenn auch nicht absoluten
Sinn gesagt werden, dass der Arheiter stets in derselben Propor-
tion alte Werthe erhält, worin er Neuwerth zusetzt. Ob die Baum-
wolle von 1 sh. auf 2 sh. steige oder auf 6 d. falle, er erhält in dem
Produkt einer Stunde stets nur halb so viel Baumwollwerth, wie der auch
wechsle, als in dem Produkt von zwei Stunden. Wechselt ferner die
Produktivität seiner eignen Arbeit, sie steige oder falle, so wird er
z. B. in einer Arbeitsstunde mehr oder weniger Baumwolle verspinnen als
früher, und dem entsprechend mehr oder weniger Baumwollwerth im
Produkt einer Arbeitsstunde erhalten. Mit alle dem wird er in
zwei Arbeitsstunden zweimal mehr Werth erhalten als in einer Arbeits-
stunde.
Werth, von seiner nur symbolischen Darstellung im Werth-
zeichen abgesehn, existirt nur in einem Gebrauchswerth, einem
Ding. (Der Mensch selbst, als blosses Dasein von Arbeitskraft betrachtet,
ist ein Naturgegenstand, ein Ding, wenn auch lebendiges, selbstbewusstes
Ding, und die Arbeit selbst ist dingliche Aeusserung dieser Kraft.)
Geht daher der Gebrauchswerth verloren, so geht auch der Tauschwerth
verloren. Die Produktionsmittel verlieren mit ihrem Gebrauchswerth nicht
zugleich ihren Tauschwerth, weil sie durch den Arbeitsprozess die ursprüng-
liche Gestalt ihres Gebrauchswerths in der That nur verlieren, um im Pro-
dukt die Gestalt eines andern Gebrauchswerths zu gewinnen. So wichtig
es aber für den Tauschwerth ist in irgend einem Gebrauchswerth zu existi-
ren, so gleichgültig ist es für ihn, in welchem er existirt, wie die Meta-
morphose der Waare zeigt. Es folgt hieraus, dass im Arbeitsprozess
Werth vom Produktionsmittel auf das Produkt nur übergeht, so weit das
Produktionsmittel mit seinem selbstständigen Gebrauchswerth auch seinen
Tauschwerth verliert. Es giebt nur den Werth an das Produkt ab,
den es als Produktionsmittel verliert. Die gegenständlichen Fak-
toren des Arbeitsprozesses verhalten sich aber in dieser Hinsicht
verschieden.
Die Kohle, womit die Maschine geheizt wird, verschwindet spurlos,
ebenso der Talg, womit man die Axe des Rades schmiert u. s. w. Farben
und andre Hilfsstoffe verschwinden, zeigen sich aber in den Eigenschaften
des Produkts. Das Rohmaterial bildet die Substanz des Produkts, hat
aber seine Form verändert. Rohmaterial und Hilfsstoffe verlieren also die
selbstständige Gestalt, womit sie in den Arbeitsprozess als Gebrauchs-
werthe eintraten. Anders mit den eigentlichen Arbeitsmitteln.
Ein Instrument, eine Maschine, ein Fabrikgebäude, ein Gefäss u. s. w.
dienen im Arbeitsprozess nur, so lange sie ihre ursprüngliche Gestalt bewah-
ren und morgen wieder in eben derselben Form in den Arbeitsprozess ein-
gehn, wie gestern. Wie sie während ihres Lebens, des Arbeitsprozesses,
ihre selbstständige Gestalt dem Produkt gegenüber bewahren, so auch nach
ihrem Tode. Die Leichen von Maschinen, Werkzeugen, Arbeitsgebäuden
u. s. w. existiren immer noch selbstständig getrennt von den Produkten,
die sie bilden halfen. Betrachten wir nun die ganze Periode, während
deren ein solches Arbeitsmittel dient, von dem Tag seines Eintritts in die
Werkstätte bis zum Tage seiner Verbannung in die Rumpelkammer, so ist
während dieser Periode sein Gebrauchswerth von der Arbeit vollständig
verzehrt worden, und sein Tauschwerth daher vollständig auf das Produkt
übergegangen. Hat eine Spinnmaschine z. B. in 10 Jahren ausgelebt, so
ist während des zehnjährigen Arbeitsprozesses ihr Gesammtwerth auf das
zehnjährige Produkt übergegangen. Die Lebensperiode eines Arbeitsmit-
tels umfängt also eine grössere oder kleinere Anzahl stets von neuem
mit ihm wiederholter Arbeitsprozesse. Und es geht dem Arbeitsmittel
wie dem Menschen. Jeder Mensch stirbt täglich um 24 Stunden ab. Man
sieht aber keinem Menschen genau an, wie viel Tage er bereits verstorben
ist. Diess verhindert Lebensversicherungsgesellschaften jedoch nicht, aus
dem Durchschnittsleben der Menschen sehr sichre, und was noch viel mehr
ist, sehr profitliche Schlüsse zu ziehn. So mit dem Arbeitsmittel. Man
weiss aus der Erfahrung, wie lang ein Arbeitsmittel, z. B. eine Maschine
von gewisser Art, durchschnittlich vorhält. Gesetzt sein Gebrauchswerth
im Arbeitsprozess daure nur 6 Tage. So verliert es im Durchschnitt
jeden Arbeitstag ⅙ seines Gebrauchswerths und giebt daher ⅙ seines
Tauschwerths an das tägliche Produkt ab. In dieser Art wird der Ver-
schleiss aller Arbeitsmittel berechnet, also z. B. ihr täglicher
Verlust an Gebrauchswerth, und die ihm entsprechende tägliche Abgabe
von Tauschwerth an das Produkt.
Es zeigt sich hier schlagend, dass ein Produktionsmittel nie mehr
Werth an das Produkt abgiebt, als es selbst im Arbeitsprozess durch Ver-
nichtung seines eignen Gebrauchswerths verliert. Hätte es keinen Tausch-
werth zu verlieren, d. h. wäre es nicht selbst Produkt menschlicher Arbeit,
so würde es keinen Tauschwerth an das Produkt abgeben. Es diente als
Bildner von Gebrauchswerth, ohne als Bildner von Tauschwerth zu dienen.
Diess ist daher der Fall mit allen Produktionsmitteln, die von Natur, ohne
menschliches Zuthun, vorhanden sind, mit Erde, Wind, Wasser, dem Eisen
in der Erzader, dem Holze des Urwaldes u. s. w.
Ein andres interessantes Phänomen tritt uns hier entgegen. Eine
Maschine sei z. B. 1000 Pfd. St. werth und schleisse sich in 1000 Tagen
ab. In diesem Falle geht täglich des Werths der Maschine von ihr
selbst auf ihr tägliches Produkt über, aber, obgleich mit abnehmender
Lebenskraft, wirkt die Maschine stets ganz im Arbeitsprozess. Es zeigt
sich hier also, dass ein Faktor des Arbeitsprozesses, ein Pro-
duktionsmittel, ganz in den Arbeitsprozess, aber nur stück-
weis in den Verwerthungsprozess eingeht. Der Unterschied
von Arbeitsprozess und Verwerthungsprozess reflektirt sich hier an den
gegenständlichen Faktoren, indem dasselbe Produktionsmittel
als Element des Arbeitsprozesses ganz und als Element der
Werthbildung nur stückweis in demselben Produktionsprozess
zählt21).
Andrerseits kann umgekehrt ein Produktionsmittel ganz in den Ver-
werthungsprozess eingehn, obgleich nur stückweis in den Arbeitsprozess.
Nimm an, beim Verspinnen der Baumwolle fielen täglich auf 115 Pfund
15 Pfunde ab, die kein Garn, sondern nur devil’s dust bilden. Dennoch,
wenn dieser Abfall von 15 % normal, von der Durchschnitts-Verarbeitung
der Baumwolle unzertrennlich ist, geht der Werth der 15 lbs. Baumwolle,
die kein Element des Garns, ganz eben so sehr in seinen Werth ein, wie
der Werth der 100 lbs., die seine Substanz bilden. Der Gebrauchswerth
von 15 lbs. Baumwolle muss verstauben, um 100 lbs. Garn zu machen.
Der Untergang dieser Baumwolle ist also eine Produktionsbedingung
des Garns. Eben desswegen giebt sie ihren Tauschwerth an das Garn
ab. Diess gilt von allen Exkrementen des Arbeitsprozesses,
in dem Grad wenigstens, worin diese Exkremente nicht wieder neue Pro-
duktionsmittel und daher neue selbstständige Gebrauchswerthe bilden. So
sieht man in den grossen Maschinenfabriken zu Manchester Berge von Eisen-
abfällen, durch cyklopische Maschinen gleich Hobelspähnen abgeschält,
am Abend auf grossen Wagen aus der Fabrik in die Eisengiesserei wandern,
um den andern Tag wieder als massives Eisen aus der Eisengiesserei in
die Fabrik zurückzuwandern.
Nur soweit Produktionsmittel während des Arbeitsprozesses Tausch-
werth in der Gestalt ihrer alten Gebrauchswerthe verlieren, übertra-
gen sie Tauschwerth auf die neue Gestalt des Produkts. Das Maxi-
mum des Werthverlustes, den sie im Arbeitsprozess erleiden kön-
nen, ist aber beschränkt durch ihre ursprüngliche Werth-
grösse, womit sie in den Arbeitsprozess eintreten, oder durch die zu
ihrer eignen Produktion erheischte Arbeitszeit. Produktionsmittel
können dem Produkt daher nie mehr Werth zusetzen, als
sie unabhängig vom Arbeitsprozess, dem sie dienen,
besitzen. Wie nützlich ein Arbeitsmaterial, eine Maschine, ein Pro-
duktionsmittel, wenn es 150 Pfd. St., sage 500 Arbeitstage, kostet, setzt
es dem Gesammtprodukt, zu dessen Bildung es dient, nie mehr als
150 Pfd. St. zu. Sein Werth ist bestimmt nicht durch den Arbeitspro-
zess, worin es als Produktionsmittel eingeht, sondern durch den Arbeits-
prozess, woraus es als Produkt herauskommt. In dem Arbeitsprozess
dient es nur als Gebrauchswerth, als Ding mit nützlichen
Eigenschaften, und gäbe daher keinen Tauschwerth an das Produkt
ab, hätte es nicht Tauschwerth besessen vor seinem Eintritt in den
Prozess22).
Indem die produktive Arbeit Produktionsmittel in Bildungselemente
eines neuen Produkts verwandelt, geht mit deren Tauschwerth eine Seelen-
wanderung vor. Er geht aus dem verzehrten Leib in den neu gestalteten
Leib über. Aber diese Seelenwanderung ereignet sich gleichsam hinter
dem Rücken der wirklichen Arbeit. Der Arbeiter kann neue Arbeit
nicht zusetzen, also nicht neuen Werth schaffen, ohne alte Werthe
zu erhalten, denn er muss die Arbeit immer in bestimmter nützlicher
Form zusetzen, und er kann sie nicht in nützlicher Form zusetzen, ohne
Produkte zu Produktionsmitteln eines neuen Produkts zu machen, und da-
durch ihren Werth auf das neue Produkt zu übertragen. Es ist also eine
Naturgabe der sich bethätigenden Arbeitskraft, der lebendigen Arbeit,
Werth zu erhalten, indem sie Werth zusetzt, eine Natur-
gabe, die dem Arbeiter nichts kostet, aber dem Kapitalisten viel ein-
bringt, die Erhaltung des vorhandnen Kapitalwerths22a).
So lange das Geschäft flott geht, ist der Kapitalist zu sehr in die Plus-
macherei vertieft, um diese Gratisgabe der Arbeit zu sehn. Gewaltsame
Unterbrechungen des Arbeitsprozesses, Krisen, machen sie ihm empfind-
lich bemerksam23).
Was überhaupt im Arbeitsprozess an den Produktionsmitteln verzehrt
wird, ist ihr Gebrauchswerth, dessen Konsumtion durch die Arbeit Pro-
dukte bildet. Ihr Tauschwerth wird in der That nicht konsumirt24),
kann also auch nicht reproduzirt werden. Er wird erhalten,
aber nicht weil eine Operation mit ihm selbst im Arbeitsprozess vorgeht,
sondern weil der Gebrauchswerth, worin er ursprünglich existirt, zwar
verschwindet, aber nur in einem anderen Gebrauchswerth verschwindet.
Der Tauschwerth der Produktionsmittel erscheint daher wieder
im Werth des Produkts, aber er wird, genau gesprochen, nicht repro-
duzirt. Was produzirt wird, ist der neue Gebrauchswerth, worin der
alte Tauschwerth wieder erscheint25).
Anders mit dem subjektiven Faktor des Arbeitsprozesses, der
sich bethätigenden Arbeitskraft. Während die Arbeit durch ihre zweck-
mässige Form den Werth der Produktionsmittel auf das Produkt über-
trägt und erhält, bildet jedes Moment ihrer Bewegung zusätzlichen
Werth, Neuwerth. Gesetzt der Produktionsprozess breche ab
beim Punkt, wo der Arbeiter ein Aequivalent für den Werth
seiner eignen Arbeitskraft produzirt, durch sechsstündige Ar-
beit z. B. einen Werth von 3 sh. zugesetzt hat. Dieser Werth bildet den
Ueberschuss des Produktenwerthes über seine dem Werth der
Produktionsmittel geschuldeten Bestandtheile. Es ist der einzige
Originalwerth, der innerhalb dieses Prozesses entstand,
der einzige Werththeil des Produkts, der durch den Prozess
selbst produzirt ist. Allerdings ersetzt er nur das vom Kapitalisten
beim Kauf der Arbeitskraft vorgeschossene, vom Arbeiter selbst in Lebens-
mitteln verausgabte Geld. Mit Bezug auf die verausgabten 3 sh. erscheint
der Neuwerth von 3 sh. nur als Reproduktion. Aber er ist wirk-
lich reproduzirt, nicht nur scheinbar, wie der Werth der Pro-
duktionsmittel. Der Ersatz eines Werths durch den andern
ist hier vermittelt durch neue Werthschöpfung.
Wir wissen jedoch bereits, dass der Arbeitsprozess über den Punkt
hinaus fortdauert, wo ein blosses Aequivalent für den Werth der
Arbeitskraft reproduzirt und dem Arbeitsgegenstand zugesetzt wäre. Statt
der 6 Stunden, die hierzu genügten, währt der Prozess z. B. 12 Stunden.
Durch die Bethätigung der Arbeitskraft wird also nicht nur ihr eigner
Werth reproduzirt, sondern ein überschüssiger Werth produzirt. Dieser
Mehrwerth bildet den Ueberschuss des Produktenwerthes
über den Werth der verzehrten Produktbildner, d. h. der Pro-
duktionsmittel und der Arbeitskraft.
Indem wir die verschiedenen Rollen dargestellt, welche die verschie-
denen Faktoren des Arbeitsprozesses in der Bildung des Produkten-
werths spielen, haben wir in der That die Funktionen der ver-
schiedenen Bestandtheile des Kapitals in seinem eignen
Verwerthungsprozess charakterisirt. Der Ueberschuss des Ge-
sammtwerths des Produkts über die Werthsumme seiner Bildungselemente
ist der Ueberschuss des verwertheten Kapitals über den ur-
sprünglich vorgeschossenen Kapitalwerth. Produktions-
mittel auf der einen Seite, Arbeitskraft auf der andern, sind nur die ver-
schiednen Existenzformen, die der ursprüngliche Kapitalwerth bei Abstrei-
fung seiner Geldform und seiner Verwandlung in die Faktoren des Arbeits-
prozesses annahm.
Der Theil des Kapitals also, der sich in Produktionsmittel,
d. h. in Rohmaterial, Hilfsstoffe und Arbeitsmittel umsetzt, verän-
dert seine Werthgrösse nicht im Produktionsprozesse. Ich
nenne ihn daher konstanten Kapitaltheil, oder kürzer: kon-
stantes Kapital.
Der in Arbeitskraft umgesetzte Theil des Kapitals verändert
dagegen seinen Werth im Produktionsprozesse. Er reproduzirt sein
eignes Aequivalent und einen Ueberschuss darüber, Mehrwerth, der
selbst wechseln, grösser oder kleiner sein kann. Aus einer konstanten
Grösse verwandelt sich dieser Theil des Kapitals fortwährend in eine
variable. Ich nenne ihn daher variablen Kapitaltheil, oder kür-
zer: variables Kapital. Dieselben Kapitalbestandtheile,
die sich vom Standpunkt des Arbeitsprozesses als objektive
und subjektive Faktoren, als Produktionsmittel und Arbeitskraft unter-
scheiden, unterscheiden sich vom Standpunkt des Verwerthungs-
prozesses als konstantes Kapital und variables Kapital.
Der Begriff des konstanten Kapitals schliesst eine Werthrevo-
lution seiner Bestandtheile in keiner Weise aus. Nimm an, das Pfund
Baumwolle koste heute 6 d. und steige morgen, in Folge eines Ausfalls
der Baumwollerndte, auf 1 sh. Die alte Baumwolle, die fortfährt verar-
beitet zu werden, ist zum Werth von 6 d. gekauft, aber sie fügt dem Pro-
dukt jetzt einen Werththeil von 1 sh. zu. Und die bereits versponnene,
vielleicht schon als Garn auf dem Markt cirkulirende Baumwolle, fügt dem
Produkt ebenfalls das Doppelte ihres ursprünglichen Werthes zu. Man
sieht jedoch, dass diese Werthwechsel unabhängig sind von der Ver-
werthung der Baumwolle im Spinnprozess selbst. Wäre die
alte Baumwolle noch gar nicht in den Arbeitsprozess eingegangen, so
könnte sie jetzt zu 1 sh. statt zu 6 d. wieder verkauft werden. Um-
gekehrt: Je weniger Arbeitsprozesse sie noch durchlaufen hat,
desto sichrer ist diess Resultat. Es ist daher Gesetz der Spekulation bei
solchen Werthrevolutionen auf das Rohmaterial in seiner mindest verarbei-
teten Form zu spekuliren, also eher auf Garn als auf Gewebe und eher auf
die Baumwolle selbst als auf das Garn. Die Werthänderung ent-
springt hier in dem Prozesse, der Baumwolle produzirt, nicht in dem Pro-
zesse, worin sie als Produktionsmittel und daher als konstantes Kapi-
tal funktionirt. Der Werth einer Waare ist zwar bestimmt durch das
Quantum der in ihr enthaltenen Arbeit, aber diess Quantum ist gesell-
schaftlich bestimmt. Hat sich die gesellschaftlich zu ihrer Produktion
erheischte Arbeitszeit verändert — und dasselbe Quantum Baum-
wolle z. B. stellt in ungünstigen Erndten grösseres Quantum
Arbeit dar, als in günstigen — so findet eine Rückwirkung auf die
alte Waare statt, die immer nur als einzelnes Exemplar ihrer Gattung
gilt26), deren Werth stets durch gesellschaftlich nothwendige,
also auch stets unter gegenwärtigen gesellschaftlichen Be-
dingungen nothwendige Arbeit gemessen wird.
Wie der Werth des Rohmaterials, mag der Werth bereits im Pro-
duktionsprozess dienender Arbeitsmittel, der Maschinerie u. s. w.,
wechseln, also auch der Werththeil, den sie dem Produkt abgeben. Wird
z. B. in Folge einer neuen Erfindung Maschinerie derselben Art mit ver-
minderter Ausgabe von Arbeit reproduzirt, so entwerthet die alte Maschi-
nerie mehr oder minder und überträgt daher auch verhältnissmässig weniger
Werth auf das Produkt. Aber auch hier entspringt der Werthwechsel
ausserhalb des Produktionsprozesses, worin die Maschine als Produk-
tionsmittel funktionirt. In diesem Prozess giebt sie nie mehr Werth ab
als sie unabhängig von diesem Prozess besitzt.
Wie ein Wechsel im Werthe der Produktionsmittel, ob auch rück-
wirkend nach ihrem bereits erfolgten Eintritt in den Prozess, ihren Cha-
rakter als konstantes Kapital nicht verändert, ebenso wenig berührt
ein Wechsel im Verhältnisse von konstantem und variab-
lem Kapital ihren begrifflichen Unterschied. Die technologischen Be-
dingungen des Arbeitsprozesses mögen z. B. so umgestaltet werden, dass
wo früher 10 Arbeiter mit 10 Werkzeugen von geringem Werth eine ver-
hältnissmässig kleine Masse von Rohmaterial verarbeiteten, jetzt 1 Arbei-
ter mit einer theuren Maschine das hundertfache Rohmaterial verarbeitet.
In diesem Falle wäre das konstante Kapital, d. h. die Werthmasse
der angewandten Produktionsmittel, sehr gewachsen, und der variable
Theil des Kapitals, der in Arbeitskraft vorgeschossene, sehr gefallen.
Dieser Wechsel ändert jedoch nur das Grössenverhältniss zwischen
konstantem und variablem Kapital, oder die Proportion, worin das Ge-
sammtkapital in konstante und variable Bestandtheile zerfällt, be-
rührt dagegen nicht den Unterschied von konstant und variabel.
Der Mehrwerth, den das vorgeschossene Kapital C im Produk-
tionsprozess erzeugt hat, oder die Verwerthung des vorgeschossenen
Kapitalwerths C stellt sich zunächst dar als Ueberschuss des
Werths des Produkts über die Werthsumme seiner Pro-
duktionselemente.
Das Kapital C zerfällt in zwei Theile, eine Geldsumme c, die für
Produktionsmittel, und eine andere Geldsumme v, die für Arbeitskraft
verausgabt wird; c stellt den in konstantes, v den in vari-
ables Kapital verwandelten Werththeil vor. Ursprünglich ist also
C = c + v, z. B. das vorgeschossene Kapital von 500 Pfd. St. =
[Formel 1]
Pfd. St. +
[Formel 2]
Pfd. St. Am Ende des Prozesses kommt ein Produkt
heraus, dessen Werth =
[Formel 1]
+ m, wo m der Mehrwerth, z. B.
[Formel 2]
. Das ursprüngliche Kapital C hat sich in C'ver-
wandelt, aus 500 Pfd. St. in 590 Pfd. St. Die Differenz zwischen beiden ist
= m, einem Mehrwerth von 90. Da der Werth der Produktions-
elemente gleich dem Werth des vorgeschossenen Kapitals,
so ist es in der That eine Tautologie, dass der Ueberschuss des Produkten-
werths über den Werth seiner Produktionselemente gleich der Verwerthung
des vorgeschossenen Kapitals oder gleich dem produzirten Mehrwerth.
Indess erfordert diese Tautologie eine nähere Bestimmung. Der mit
dem Produktenwerth verglichene Werth seiner Produktionselemente ist der
Werth der in seiner Bildung aufgezehrten Produktionselemente. Nun
haben wir aber gesehn, dass ein Theil des angewandten konstan-
ten Kapitals, der aus Arbeitsmitteln bestehende, seinen Werth nur
bruchweis an das Produkt abgiebt, während eine andere Portion desselben
in seiner alten Existenzform fortdauert. Da der letztere Theil keine
Rolle im Werthbildungsprozess spielt, abstrahiren wir hier
ganz und gar von ihm. Sein Hineinziehn in die Rechnung würde nichts
ändern. Nimm an, c = 410 l. bestehe aus Rohmaterial zu 312 l.,
Hilfsstoffen zu 44 l. und im Prozess verschleissender Maschinerie
von 54 l., der Werth der wirklich angewandten Maschinerie betrage
aber 1054 l. Als vorgeschossen zur Erzeugung des Produkten-
werths berechnen wir nur den Werth von 54 l., den die Maschinerie durch
ihre Funktion verliert und daher an das Produkt abgiebt. Rechneten
wir die 1000 Pfd. St. mit, die in ihrer alten Form fortexistiren als Dampf-
maschine u. s. w., so müssten wir sie auf beiden Seiten mitrechnen, auf
Seite des vorgeschossenen Werths und auf Seite des Produktenwerths26a),
und erhielten so resp. 1500 Pfd. St. und 1590 Pfd. St. Die Differenz
oder der Mehrwerth wäre nach wie vor 90 Pfd. St. Unter dem zur
Werthproduktion vorgeschossenen konstanten Kapital verstehn wir
daher, wo das Gegentheil nicht aus dem Zusammenhang erhellt, stets nur
den Werth der in der Produktion verzehrten Produktionsmittel.
Diess vorausgesetzt, kehren wir zurück zur Formel C = c + v,
die sich in C' =
[Formel 1]
+ m und eben dadurch C in C' verwandelt.
Man weiss, dass der Werth des konstanten Kapitals im Produkt nur
wieder erscheint. Das im Prozess wirklich neu erzeugte Werthpro-
dukt ist also verschieden von dem aus dem Prozess erhaltenen Produkten-
werth, daher nicht, wie es auf den ersten Blick scheint,
[Formel 2]
+ m oder
[Formel 3]
, sondern v + m oder
[Formel 4]
, nicht 590 l.,
sondern 180 l. Wäre c, das konstante Kapital, = 0, in anderen Wor-
ten, gäbe es Industriezweige, worin der Kapitalist keine produzirten Pro-
duktionsmittel, weder Rohmaterial, noch Hilfsstoffe, noch Arbeitsinstru-
mente, sondern nur von Natur vorhandne Stoffe und Arbeitskraft an-
zuwenden hätte, so wäre kein konstanter Werththeil auf das Produkt zu
übertragen. Dieses Element des Produktenwerths, in unsrem Beispiel
410 Pfd. St., fiele fort, aber das Werthprodukt von 180 Pfd. St., welches
90 Pfd. St. Mehrwerth enthält, bliebe ganz ebenso gross als ob c die grösste
Werthsumme darstellte. Wir hätten C =
[Formel 5]
= v, und C', das ver-
werthete Kapital, = v + m, C' — C nach wie vor = m. Wäre um-
gekehrt m = o, in anderen Worten, hätte die Arbeitskraft, deren Werth
im variablen Kapital vorgeschossen wird, nur ein Aequivalent produzirt, so
C = c + v und C' (der Produktenwerth) =
[Formel 6]
+ o, daher C = C'.
Das vorgeschossene Kapital hätte sich nicht verwerthet.
Wir wissen in der That bereits, dass der Mehrwerth blos Folge
der Werthveränderung ist, die mit v, dem in Arbeitskraft umgesetz-
ten Kapitaltheil vorgeht, dass also v + m = v + ∆ v (v plus In-
crement von v) ist. Aber die wirkliche Werthveränderung
und das Verhältniss, worin sich der Werth ändert, werden dadurch
verdunkelt, dass in Folge des Wachsens seines variirenden Be-
standtheils auch das vorgeschossene Gesammtkapital
wächst. Es war 500 und es ist am Ende des Prozesses 590. Die
reine Analyse des Prozesses erheischt also von dem Theil des Produkten-
werths, worin nur konstanter Kapitalwerth wieder erscheint, ganz zu ab-
strahiren, also das konstante Kapital c = o zu setzen, und damit ein Ge-
setz der Mathematik anzuwenden, wo sie mit variablen und konstanten
Grössen operirt, und die konstante Grösse nur durch Addition oder Sub-
traktion mit der variablen verbunden ist27).
Eine andre Schwierigkeit entspringt aus der ursprünglichen
Form des variablen Kapitals. So im obigen Beispiel ist C' = 410 l.
konstantes Kapital + 90 l. variables Kapital + 90 l. Mehrwerth. Neun-
zig Pfd. St. sind aber eine gegebne, also konstante Grösse und es scheint
daher ungereimt sie als variable Grösse zu behandeln. Aber
[Formel 1]
oder 90 l.
variables Kapital ist hier in der That nur ein Symbol für den Pro-
zess, den dieser Werth durchläuft. Der im Ankauf der Ar-
beitskraft vorgeschossene Kapitaltheil ist bestimmtes Quantum
vergegenständlichter Arbeit, also konstante Werthgrösse,
wie der Werth der gekauften Arbeitskraft. Im Produktionsprozess selbst
aber tritt an die Stelle der vorgeschossenen 90 Pfd. St. die sich bethäti-
gende Arbeitskraft, an die Stelle todter lebendige Arbeit, an die Stelle
einer ruhenden eine fliessende Grösse, an die Stelle einer konstanten eine
variable. Das Resultat ist die Reproduktion von v plus Increment von v.
Vom Standpunkt der kapitalistischen Produktion ist dieser ganze Verlauf
Selbstbewegung des in Arbeitskraft umgesetzten, ursprünglich kon-
stanten Werths. Ihm wird der Prozess und sein Resultat zu gut ge-
schrieben. Erscheint die Formel 90 l. variables Kapital oder sich
verwerthender Werth daher widerspruchsvoll, so drückt sie nur einen der
kapitalistischen Produktion immanenten Widerspruch aus.
Die Gleichsetzung des konstanten Kapitals mit o befremdet auf den
ersten Blick. Indess vollzieht man sie beständig im Alltagsleben. Will
Jemand z. B. Englands Gewinn an der Baumwollindustrie berechnen, so
zieht er vor allem den an die Vereinigten Staaten, Indien, Aegypten u. s. w.
gezahlten Baumwoll preis ab; d. h. er setzt im Produktenwerth nur wie-
dererscheinenden Kapitalwerth = o.
Allerdings hat das Verhältniss des Mehrwerths, nicht nur zum Kapi-
taltheil, woraus er unmittelbar entspringt und dessen Werthverände-
rung er darstellt, sondern auch zum vorgeschossenen Gesammtkapi-
tal seine grosse ökonomische Bedeutung. Wir behandeln diess Verhält-
niss daher ausführlich im dritten Buch. Um einen Theil des Kapitals
durch seinen Umsatz in Arbeitskraft zu verwerthen, muss ein andrer Theil
des Kapitals in Produktionsmittel verwandelt werden. Damit das variable
Kapital funktionire, muss konstantes Kapital in entsprechenden Propor-
tionen, je nach dem bestimmten technologischen Charakter des Arbeits-
prozesses, vorgeschossen werden. Der Umstand jedoch, dass man
zu einem chemischen Prozess Retorten und andre Gefässe braucht, verhindert
nicht bei der Analyse von der Retorte selbst zu abstrahiren. Sofern Werth-
schöpfung und Werthveränderung für sich selbst, d. h. rein betrachtet wer-
den, liefern die Produktionsmittel, diese stofflichen Gestalten des konstanten
Kapitals, nur den Stoff, worin sich die flüssige, werthbildende Kraft fixiren
kann. Die Natur dieses Stoffes ist daher auch gleichgültig, ob Baumwolle
oder Eisen. Auch der Werth dieses Stoffes ist gleichgültig. Er muss nur
in hinreichender Masse vorhanden sein, um das während des Produktions-
prozesses zu verausgabende Arbeitsquantum einsaugen zu können. Diese
Masse gegeben, mag ihr Werth steigen, oder fallen, oder sie mag werthlos
sein, wie Erde und Meer, der Prozess der Werthschöpfung und Werthver-
änderung wird nicht davon berührt.
Wir setzen also zunächst den konstanten Kapitaltheil gleich Null.
Das vorgeschossene Kapital reduzirt sich daher von c + v auf v, und der
Produktenwerth
[Formel 1]
+ m auf das Werthprodukt
[Formel 2]
. Gegeben
das Werthprodukt = 180 Pfd. St., worin sich die während der ganzen
Dauer des Produktionsprozesses fliessende Arbeit darstellt, so haben wir
den Werth des variablen Kapitals = 90 Pfd. St. abzuziehn, um den
Mehrwerth = 90 Pfd. St. zu erhalten. Die Zahl 90 Pfd. St. = m drückt
hier die absolute Grösse des produzirten Mehrwerths aus. Seine
proportionelle Grösse aber, also das Verhältniss, worin das va-
riable Kapital sich verwerthet hat, ist offenbar bestimmt durch das Ver-
hältniss des Mehrwerths zum variablen Kapital, oder ist
ausgedrückt in . Im obigen Beispiel also in
= 100 %. Diese
verhältnissmässige Verwerthung des variablen Kapitals, oder die verhält-
nissmässige Grösse des Mehrwerths, nenne ich Rate des Mehr-
werths28).
Wir haben gesehn, dass der Arbeiter während eines Abschnitts
des Arbeitsprozesses nur den Werth seiner Arbeitskraft produ-
zirt, d. h. den Werth seiner nothwendigen Lebensmittel. Da er in
einem auf gesellschaftlicher Theilung der Arbeit beruhenden Zustand pro-
duzirt, produzirt er seine Lebensmittel nicht direkt, sondern, in Form einer
besondern Waare, des Garns z. B., einen Werth gleich dem Werth
seiner Lebensmittel, oder dem Geld, womit er sie kauft. Der
Theil seines Arbeitstags, den er hierzu verbraucht, ist grösser
oder kleiner, je nach dem Werth seiner durchschnittlichen täglichen
Lebensmittel, also der zu ihrer Produktion erheischten durchschnittli-
chen täglichen Arbeitszeit. Stellt die Werthgrösse dieser täglichen Lebens-
mittel im Durchschnitt 6 vergegenständlichte Arbeitsstunden dar, so muss
der Arbeiter im Durchschnitt täglich 6 Stunden arbeiten, um sie zu produ-
ziren. Arbeitete er nicht für den Kapitalisten, sondern als unabhängiger
Produzent, so müsste er, unter sonst gleichbleibenden Umständen, nach
wie vor im Durchschnitt denselben aliquoten Theil des Tags
arbeiten, um den Werth seiner Arbeitskraft zu produziren, und
dadurch die zu seiner eignen Erhaltung oder beständigen Reproduktion
nöthigen Lebensmittel zu gewinnen. Da er aber in dem Theil des Ar-
beitstags, worin er den Tageswerth der Arbeitskraft, sage 3 sh., produ-
zirt, nur ein Aequivalent für ihren vom Kapitalisten bereits gezahlten
Werth produzirt, also durch den neu geschaffnen Werth nur den vorge-
schossenen variablen Kapitalwerth ersetzt, erscheint diese Pro-
duktion von Werth als blosse Reproduktion. Den Theil des Arbeits-
tags also, worin diese Reproduktion vorgeht, nenne ich nothwendige
Arbeitszeit, die während derselben verausgabte Arbeit nothwen_
dige Arbeit29). Nothwendig für den Arbeiter, weil unabhängig von
der gesellschaftlichen Form seiner Arbeit. Nothwendig für das Kapital
und seine Welt, weil das beständige Dasein des Arbeiters ihre Basis.
Die zweite Periode des Arbeitsprozesses, die der Arbeiter über die
Grenzen der nothwendigen Arbeit hinausschanzt, kostet ihm zwar Arbeit,
Verausgabung von Arbeitskraft, bildet aber keinen Werth für ihn. Sie
bildet Mehrwerth, der den Kapitalisten mit allem Reiz einer Schöpfung
aus Nichts anlacht. Diesen Theil des Arbeitstags nenne ich Surplus-
arbeitszeit, und die in ihr verausgabte Arbeit: Mehrarbeit (surplus
labour). So entscheidend es für die Erkenntniss des Werths überhaupt,
ihn als blosse Gerinnung von Arbeitszeit, als bloss vergegenständ-
lichte Arbeit, so entscheidend für die Erkenntniss des Mehrwerths,
ihn als blosse Gerinnung von Surplusarbeitszeit, als bloss
vergegenständlichte Mehrarbeit zu begreifen. Nur die Form,
worin diese Mehrarbeit dem unmittelbaren Produzenten, dem Arbeiter, ab-
gepresst wird, unterscheidet die ökonomischen Gesellschaftsformationen,
z. B. die Gesellschaft der Sklaverei von der der Lohnarbeit30).
Da der Werth des variablen Kapitals = Werth der von ihm gekauf-
ten Arbeitskraft, da der Werth dieser Arbeitskraft den nothwendigen
Theil des Arbeitstags bestimmt, der Mehrwerth seinerseits aber bestimmt
ist durch den überschüssigen Theil des Arbeitstags, so folgt: Der Mehr-
werth verhält sich zum variablen Kapital, wie die Mehr-
arbeit zur nothwendigen, oder die Rate des Mehrwerths =
. Beide Proportionen stellen dasselbe Verhält-
niss in verschiedner Form dar, das einemal in der Form vergegenständ-
lichter, das andremal in der Form flüssiger Arbeit.
Die Rate des Mehrwerths ist daher der exakte Ausdruck für
den Exploitationsgrad der Arbeitskraft durch das Ka-
pital oder des Arbeiters durch den Kapitalisten.
Nach unsrer Annahme war der Werth des Produkts =
[Formel 3]
+
[Formel 4]
, das vorgeschossene Kapital = 500 l. Da der Mehrwerth 90 und
das vorgeschossene Kapital 500, würde man nach der gewöhnlichen Art
der Berechnung herausbekommen, dass die Rate des Mehrwerths (die man
mit der Profitrate verwechselt) = 18 %, eine Verhältnisszahl, deren
Niedrigkeit Herrn Carey und andre Harmoniker rühren möchte. In der
That aber ist die Rate des Mehrwerths nicht = oder
, sondern =
,
also nicht , sondern
= 100 %, mehr als das Fünffache des
scheinbaren Exploitationsgrads. Obgleich wir nun im gegebnen Fall
die absolute Grösse des Arbeitstags nicht kennen, auch nicht
die Periode des Arbeitsprozesses (Tag, Woche u. s. w.), endlich nicht
die Anzahl der Arbeiter, die das variable Kapital von 90 l. gleichzeitig in
Bewegung setzt, zeigt uns die Rate des Mehrwerths durch ihre Konver-
tibilität in genau das Verhältniss der zwei Bestand-
theile des Arbeitstags zu einander. Es ist 100 %. Also arbeitete der
Arbeiter die eine Hälfte des Tags für sich und die andre für den Ka-
pitalisten.
Die Methode zur Berechnung der Rate des Mehrwerths ist also kurz-
gefasst diese: Wir nehmen den ganzen Produktenwerth und setzen
den darin nur wiedererscheinenden constanten Kapitalwerth
gleich Null. Die übrigbleibende Werthsumme ist das einzige im Bildungs-
prozess der Waare wirklich erzeugte Werthprodukt. Ist der Mehrwerth
gegeben, so ziehn wir ihn von diesem Werthprodukt ab, um das variable
Kapital zu finden. Umgekehrt, wenn letzteres gegeben und wir den
Mehrwerth suchen. Sind beide gegeben, so ist nur noch die Schlussopera-
tion zu verrichten, das Verhältniss des Mehrwerths zum variablen Kapital,, zu berechnen.
So einfach die Methode, scheint es doch passend, den Leser in die
ihr zu Grunde liegende und ihm ungewohnte Anschauungsweise durch
einige Beispiele einzuexerciren.
Zunächst ein Beispiel aus der Spinnindustrie. Die Data gehören
dem Jahre 1860. Für unsren Zweck gleichgültige Umstände sind unter-
drückt. Eine Fabrik konsumirte wöchentlich 11,500 lbs. Baumwolle,
wovon 1500 Abfall. Zu 7 d. das Pfund Baumwolle, beträgt das Roh-
material daher 336 Pfd. St. Sie setzte 10000 Spindeln in Bewegung, zu
1 Pfd. St. per Spindel = 10000 Pfd. St., wovon der jährliche Verschleiss,
zu 12½ %, 1250 Pfd. St., für die Woche also 24 Pfd. St.; der wöchent-
liche Verschleiss der Dampfmaschine 20 Pfd. St.; die wöchentliche Aus-
gabe für Hilfsstoffe, Kohle, Oel u. s. w. 40 Pfd. St. Der wöchentliche
Arbeitslohn betrug 70 Pfd. St. und der Verkaufspreis des lb. Garn 1⅒ sh.,
also der 10000 lbs. Garn wöchentlich 550 Pfd. St. Der constante
Werththeil des Kapitals beträgt also 420 Pfd. St. Wir setzen ihn = 0,
da er in der wöchentlichen Werthbildung nicht mitspielt. Das wirkliche
wöchentliche Werthprodukt, das übrig bleibt, also = 130 Pfd. St.
Wir ziehn davon das an die Arbeiter gezahlte variable Kapital von
70 Pfd. St. ab, bleibt Mehrwerth von 60 Pfd. St. Die Rate des
Mehrwerths, ,
, also ungefähr 86 %. Diese Prozentzahl drückt
den Exploitationsgrad der Arbeitskraft oder den Verwerthungsgrad des
variablen Kapitals aus. Nehmen wir an, dass 10 Stunden in jener Fabrik
im täglichen Durchschnitt gearbeitet ward, so betrug die nothwendige
Arbeit ungefähr 5, und die Mehrarbeit 4
Stunden.
Jacob giebt für das Jahr 1815, bei Annahme eines Weizenpreises
von 80 sh. per Quarter, und eines Durchschnittsertrags von 22 Bushels
per acre, so dass der acre 11 Pfd. St. einbringt, folgende durch vorherige
Kompensation verschiedner Posten sehr mangelhafte, aber für unsern
Zweck genügende Rechnung.
Werthproduktion per acre.
Der Mehrwerth, stets unter der Voraussetzung, dass Preis des
Produkts = seinem Werth, wird hier unter die verschiedenen Rubriken
Profit, Zins, Zehnten u. s. w. vertheilt. Diese Rubriken sind hier gleich-
gültig. Wir addiren sie zusammen und erhalten einen Mehrwerth von
3 l. 11 sh. Die 3 l. 19 sh. für Samen und Dünger setzen wir
als constanten Kapitaltheil gleich Null. Bleibt vorgeschossenes va-
riables Kapital von 3 l. 10 sh., an dessen Stelle ein Aequivalent von
[Formel 1]
produzirt worden ist. Also beträgt =
mehr als 100 %. Der Arbeiter verwendet mehr als
die Hälfte seines Arbeitstags zur Produktion eines Mehrwerths, den ver-
schiedne Personen auf verschiedne Vorwände hin unter sich vertheilen31).
Der Mehrwerth stellt sich dar in einem Mehrprodukt (sur-
plusproduce).
Wir nahmen vorher an, dass der zwölfstündige Arbeitstag des Spin-
ners aus 6 Stunden nothwendiger Arbeit und 6 Stunden Mehr-
arbeit besteht, 20 lbs. Baumwolle in 20 lbs. Garn verwandelt, und ihnen
einen Werth von 6 sh. zusetzt, dass ferner 1 lb. Baumwolle 1 sh. und die
während des ganzen Prozesses verzehrten Arbeitsmittel 4 sh. kosten, also
Werth des Gesammtprodukts 30 sh. und der eines lb. Garn 1 sh. 6 d.
Jedes Pfund Garn stellt denselben Gebrauchswerth dar. Jedes ist
das Produkt der Verbindung desselben Rohmaterials Baumwolle mit der-
selben produktiven Arbeit, Spinnen, vermittelt durch dieselben Arbeits-
mittel. Auch der Werth jedes einzelnen Pfundes Garn zeigt dieselbe
Zusammensetzung, 1 sh. für Baumwolle, 2⅖ d. für verbrauchte
Arbeitsmittel, 1⅘ d., worin nothwendige Arbeit, und 1⅘ d., worin Mehr-
arbeit verleiblicht ist.
Vereinzelt für sich oder als aliquote Theile des Gesammtprodukts
betrachtet, bestimmte Quanta Garn bleiben stets Gebilde derselben
produktiven Arbeit, des Spinnens. Unter einem andern Gesichts-
punkt verändert sich dagegen die Stellung des Theilprodukts ganz
und gar, je nachdem es selbstständig oder im Zusammenhang mit dem Ge-
sammtprodukt, als Theilprodukt oder als Produkttheil betrach-
tet wird.
Ein Pfund Garn kostet 1 sh. 6 d., und, wir sehn vom Abfall ab, das
in ihm versponnene lb. Baumwolle 1 sh., also ⅔ seines Werths. Also
sind ⅔ lb. Garn = 1 lb. Baumwolle und 13⅓ lbs. Garn = 20 lbs.
Baumwolle. In den 13⅓ lbs. Garn stecken zwar nur 13⅓ lbs. Baum-
wolle zum Werth von 13⅓ sh., aber ihr zusätzlicher Werth von 6⅔ sh.
bildet ein Aequivalent für die in den überschüssigen 6⅔ lbs. Garn ver-
sponnene Baumwolle. Die 13⅓ lbs. Garn stellen also alle im Ge-
sammtprodukt von 20 lbs. Garn versponnene Baumwolle vor, das
Rohmaterial des Gesammtprodukts, aber auch weiter nichts. Es ist als
ob den andern 6⅔ lbs. Garn die Wolle ausgerupft und alle Wolle des
Gesammtprodukts in 13⅓ lbs. Garn zusammengepresst wäre. Dagegen
sind die in den 13⅓ lbs. Garn enthaltene Spinnarbeit, und der Werth-
theil, den die verbrauchten Arbeitsmittel zusetzen, aus ihnen selbst ent-
fernt und auf den neben ihnen liegenden Produkttheil von 6⅔ lbs. Garn
übertragen. In derselben Weise kann ein Theil dieser übrigbleibenden
6⅔ lbs. Garn — nämlich 2⅔ lbs. — wieder als blosse Darstellung der
im Gesammtprodukt vernützten Arbeitsmittel zum Werth von
4 sh. gefasst werden. Acht Zehntel des Gesammtprodukts, oder 16 lbs.
Garn, obgleich leiblich, als Gebrauchswerth betrachtet, als Garn,
eben so sehr Gebilde der Spinnarbeit als die restirenden des Produkts,
4 lbs. Garn, enthalten daher in diesem Zusammenhang keine Spinnarbeit,
keine während des Spinnprozesses selbst eingesaugte Arbeit. Es ist als
ob sie sich ohne Spinnen in Garn verwandelt und als wäre ihre Garngestalt
reiner Lug und Trug. In der That, wenn der Kapitalist sie verkauft zu
24 sh. und damit seine Produktionsmittel zurückkauft, zeigt sich, dass die
16 lbs. Garn nur verkleidete Baumwolle, Spindel, Kohle u. s. w. sind.
Die übrigbleibenden 4 lbs. Garn enthalten jetzt ihrerseits kein Atom von
Rohmaterial und Arbeitsmittel. Was davon in ihnen steckte, ward bereits
ausgeweidet und den ersten 16 lbs. Garn einverleibt. Die 4 lbs. Garn
enthalten daher kein Atom der in der Produktion von Baumwolle, Maschi-
nerie, Kohle u. s. w. verausgabten Arbeit. Ihr Werth von 6 sh. ist reine
Materiatur der vom Spinner selbst verausgabten 12 Arbeitsstunden. Die
im Produkt von 20 lbs. Garn verkörperte Spinnarbeit ist jetzt konzentrirt
auf 4 lbs. Garn, auf ⅕ des Produkts. Es ist als ob der Spinner diess
Gespinnst von 4 lbs. in der Luft gewirket oder in Baumwolle und mit
Spindeln, die, ohne Zuthat menschlicher Arbeit, von Natur vorhanden,
dem Produkt keinen Werth zusetzen. Von diesen 4 lbs. Garn endlich
verkörpert eine Hälfte bloss nothwendige Arbeit von 6 Stunden, die
andere — die letzten 2 lbs. Garn — bloss Mehrarbeit. Nur dieser
letzte Theil des Gesammtprodukts bildet das Mehrprodukt.
Das Gesammtprodukt von 20 lbs. Garn kann also folgendermassen
zerfällt werden:
Gesammtprodukt von 20 lbs. Garn, werth 30 sh.
Von dem Gesammtprodukt von 20 lbs. Garn vertreten 16 lbs. oder ⅘
nur constantes Kapital, dagegen bloss ⅕ oder 4 lbs. die im Spinnprozess
selbst verausgabte Arbeit. Und dennoch bilden die 20 lbs. Garn das Pro-
dukt der zwölfstündigen Spinnarbeit. Hier erscheint wieder der Unter-
schied von Arbeitsprozess und Verwerthungsprozess. Es wiederholt sich
das bereits Bekannte, dass der Werth des Produkts des Arbeitstags,
d. h. der Produktenwerth, grösser ist als das tägliche Werthpro-
dukt. So ist der Werth der täglich produzirten 20 lbs. Garn = 30 sh.,
aber ihr während des Tags produzirter Werththeil nur = 6 sh. Die eben
gegebne Darstellung unterscheidet sich von der früheren dadurch, dass
die funktionell oder begrifflich unterschiednen Bestand-
theile des Produktenwerths in proportionellen Theilen
des Produkts selbst ausgedrückt werden.
Diese Zerfällung des Produkts — des Resultats des
Produktionsprozesses — in ein Quantum Produkt, das nur die in den
Produktionsmitteln enthaltene Arbeit, ein andres Quantum, das
nur die im Produktionsprozess zugesetzte nothwendige Arbeit,
und ein letztes Quantum Produkt, das nur die im selben Prozess zuge-
setzte Mehrarbeit darstellt, ist eben so einfach als wichtig, wie ihre
spätere Anwendung auf verwickelte und noch ungelöste Probleme zei-
gen wird.
Wir betrachteten eben das Gesammtprodukt als fertiges Resultat des
zwölfstündigen Arbeitstags. Wir können es aber auch in seinem Entste-
hungsprozess begleiten, und dennoch die Theilprodukte als funktionell
unterschiedne Produktentheile darstellen.
Der Spinner produzirt in 12 Stunden 20 lbs. Garn, daher in einer
Stunde 1⅔ und in 8 Stunden 13⅓ lbs., also ein Theilprodukt vom Ge-
sammtwerth der Baumwolle, die während des ganzen Arbeitstags
versponnen wird. In derselben Art und Weise ist das Theilprodukt der
folgenden Stunde und 36 Minuten = 2⅔ lbs. Garn und stellt daher den
Werth der während der 12 Arbeitsstunden vernutzten Produktions-
mittel dar. Ebenso produzirt der Spinner in der folgenden Stunde und
12 Minuten 2 lbs. Garn = 3 sh., ein Produktenwerth gleich dem ganzen
Werthprodukt, das er in 6 Stunden nothwendiger Arbeit
schafft. Endlich produzirt er in den letzten Stunden ebenfalls 2 lbs.
Garn, deren Werth gleich dem durch seine halbtägige Mehrarbeit
erzeugten Mehrwerth. Diese Art Berechnung dient dem englischen
Fabrikanten zum Hausgebrauch und er wird z. B. sagen, dass er in den
ersten 8 Stunden oder ⅔ des Arbeitstags seine Baumwolle herausschlägt
u. s. w. Man sieht, die Formel ist richtig, in der That die erste Formel,
übersetzt aus dem Raum, wo die Theile des Produkts fertig neben ein-
ander liegen, in die Zeit, wo sie auf einander folgen. Die Formel kann
aber auch von sehr barbarischen Vorstellungen begleitet sein, namentlich
in Köpfen, die eben so praktisch im Verwerthungsprozess interessirt sind,
als sie ein Interesse haben, ihn theoretisch misszuverstehen. So kann
sich eingebildet werden, dass unser Spinner z. B. in den ersten 8 Stunden
seines Arbeitstags den Werth der Baumwolle, in der folgenden Stunde
und 36 Minuten den Werth der verzehrten Arbeitsmittel, in der folgenden
Stunde und 12 Minuten den Werth des Arbeitslohns produzirt oder er-
setzt, und nur die vielberühmte „letzte Stunde“ dem Fabrikanten
zur Produktion von Mehrwerth widmet. Dem Spinner wird so das dop-
pelte Wunder aufgebürdet, Baumwolle, Spindel, Dampfmaschine, Kohle,
Oel u. s. w. in demselben Augenblick zu produziren, wo er mit ihnen
spinnt, und aus Einem Arbeitstag von gegebnem Intensivitätsgrad fünf
solcher Tage zu machen. In unserm Fall nämlich erfordert die Produk-
tion des Rohmaterials und der Arbeitsmittel 4 zwölfstündige Arbeitstage
und ihre Verwandlung in Garn einen andern zwölfstündigen Arbeitstag.
Dass die Raubgier solche Wunder glaubt und nie den doktrinären
Sykophanten misst, der sie beweist, zeige folgendes Beispiel.
An einem schönen Morgen des Jahres 1836 wurde der wegen seiner
ökonomischen Wissenschaft und seines „schönen Styls“ berufene Nassau
W. Senior, gewissermassen der Clauren unter den englischen Oekono-
men, von Oxford nach Manchester citirt, um statt in Oxford politische
Oekonomie zu lehren, sie in Manchester zu lernen. Die Fabrikanten er-
kiesten ihn zum Preisfechter gegen den neulich erlassenen Factory
Act und die darüber noch hinausstrebende Zehnstundenagitation. Mit
gewohntem praktischen Scharfsinn hatten sie erkannt, dass der Herr Pro-
fessor „wanted a good deal of finishing“. Sie verschrieben ihn daher
nach Manchester. Der Herr Professor seinerseits hat die zu Manchester
von den Fabrikanten erhaltene Lektion stylisirt in dem Pamphlet: „Let-
ters on the Factory Act, as it affects the cotton manu-
facture. London 1837.“ Hier kann man u. a. folgendes Erbau-
liche lesen:
„Unter dem gegenwärtigen Gesetz kann keine Fabrik, die Personen
unter 18 Jahren beschäftigt, länger als 11½ Stunden täglich
arbeiten, d. h. 12 Stunden während der ersten 5 Tage und 9 Stunden
am Sonnabend. Die folgende Analyse (!) zeigt nun, dass in einer sol-
chen Fabrik der ganze Reingewinn von der letzten Stunde
abgeleitet ist. Ein Fabrikant legt 100,000 Pfd. St. aus — 80,000 Pfd. St.
in Fabrikgebäude und Maschinen, 20,000 in Rohmaterial und Arbeits-
lohn. Das jährliche Einkommen der Fabrik, vorausgesetzt das Kapital
schlage jährlich einmal um, und der Bruttogewinn betrage 15 %,
muss sich auf Waaren zum Werth von 115,000 Pfd. St. belaufen …
Von diesen 115,000 Pfd. St. produzirt jede der 23 halben Ar-
beitsstunden täglich oder
. Von diesen
Arbeitsstunden,
die das Ganze der 115,000 Pfd. St. bilden (constituting the whole 115,000
Pd. St.), ersetzen , d. h. 100,000 von den 115,000, nur das Ka-
pital; oder 5000 Pfd. St. von den 15,000 Brutto-Gewinn (!)
ersetzen die Abnutzung der Fabrik und Maschinerie. Die übrigblei-
benden , die beiden letzten halben Stunden jeden Tags produziren
den Reingewinn von 10 %. Wenn daher bei gleichbleibenden
Preisen die Fabrik 13 Stunden statt 11½ arbeiten dürfte, so würde, mit
einer Zulage von ungefähr 2600 Pfd. St. zum cirkulirenden Kapital, der
Reingewinn mehr als verdoppelt werden. Andrerseits wenn die Arbeits-
stunden täglich um 1 Stunde reducirt würden, würde der Reingewinn
verschwinden, wenn um 1½ Stunden, auch der Bruttogewinn32)!“
Und das nennt der Herr Professor eine „Analyse!“ Glaubte er
den Fabrikantenjammer, dass die Arbeiter die beste Zeit des Tags in
der Produktion, daher der Reproduktion oder dem Ersatz des Werths
von Baulichkeiten, Maschinen, Baumwolle, Kohle u. s. w. vergeuden, so
war jede Analyse überflüssig. Er hatte einfach zu antworten: Meine
Herren! Wenn Ihr 10 Stunden arbeiten lasst statt 11½, wird, unter
sonst gleichbleibenden Umständen, der tägliche Verzehr von Baumwolle,
Maschinerie u. s. w. um 1½ Stunden abnehmen. Ihr gewinnt also grade
so viel als Ihr verliert. Eure Arbeiter werden in Zukunft 1½ Stunden
weniger für Reproduktion oder Ersatz des vorgeschossenen Kapitalwerths
vergeuden. Glaubte er ihnen nicht aufs Wort, sondern hielt als Sachver-
ständiger eine Analyse für nöthig, so musste er vor allem, in einer Frage,
die sich ausschliesslich um das Verhältniss des Reingewinns zur Grösse
des Arbeitstags dreht, die Herren Fabrikanten ersuchen, Maschinerie und
Fabrikgebäude, Rohmaterial und Arbeit nicht kunterbunt durcheinander
zu wirren, sondern gefälligst das in Fabrikgebäude, Maschinerie, Roh-
material u. s. w. enthaltene constante Kapital auf die eine, das in
Arbeitslohn vorgeschossene Kapital auf die andere Seite zu
stellen. Ergab sich dann etwa, dass nach der Fabrikantenrechnung der
Arbeiter in des Arbeitstags, oder in einer Stunde, den Arbeitslohn
reproduzirt oder ersetzt, so hatte der Analytiker fortzufahren:
Nach Eurer Angabe produzirt der Arbeiter in der vorletzten Stunde
seinen Arbeitslohn und in der letzten Euren Mehrwerth oder den Rein-
gewinn. Da er in gleichen Zeiträumen gleiche Werthe produzirt, hat das
Produkt der vorletzten Stunde denselben Werth wie das der letzten. Er
produzirt ferner nur Werth, so weit er Arbeit verausgabt, und das Quan-
tum seiner Arbeit ist gemessen durch seine Arbeitszeit. Diese be-
trägt nach Eurer Angabe 11½ Stunden per Tag. Einen Theil dieser
11½ Stunden verbraucht er zur Produktion oder zum Ersatz seines
Arbeitslohns, den andern zur Produktion Eures Reingewinns. Weiter
thut er nichts während des Arbeitstags. Da aber, nach Angabe, sein Lohn
und der von ihm gelieferte Mehrwerth gleich grosse Werthe sind, pro-
duzirt er offenbar seinen Arbeitslohn in 5¾ Stunden und Euren Rein-
gewinn in andern 5¾ Stunden. Da ferner der Werth des zwei-
stündigen Garnprodukts gleich der Werthsumme seines Arbeits-
lohns plus Eures Reingewinns ist, muss dieser Garnwerth durch 11½
Arbeitsstunden gemessen sein, das Produkt der vorletzten Stunde durch
5¾ Arbeitsstunden, das der letzten ditto. Wir kommen jetzt zu einem
häklichen Punkt. Also aufgepasst! Die vorletzte Arbeitsstunde ist eine
gewöhnliche Arbeitsstunde wie die erste. Ni plus, ni moins. Wie kann
der Spinner daher in Einer Arbeitsstunde einen Garnwerth produ-
ziren, der 5¾ Arbeitsstunden darstellt? Er verrichtet in der That
kein solches Wunder. Was er in Einer Arbeitsstunde an Gebrauchs-
werth produzirt, ist ein bestimmtes Quantum Garn. Der
Werth dieses Garns ist gemessen durch 5¾ Arbeitsstunden, wovon 4¾
ohne sein Zuthun in den stündlich verzehrten Produktionsmitteln,
Baumwolle, Maschinerie u. s. w. stecken, oder eine Stunde von ihm
selbst zugesetzt ist. Da also sein Arbeitslohn in 5¾ Stunden produzirt
wird und in dem Garnprodukt Einer Spinnstunde ebenfalls 5¾
Stunden stecken, ist es durchaus keine Hexerei, dass das Werthpro-
duktseiner 5¾ Spinnstunden gleich dem Produkten-
werth Einer Spinnstunde. Ihr seid aber durchaus auf dem Holz-
weg, wenn Ihr meint, er verliere ein einziges Zeitatom seines Arbeitstags
mit der Reproduktion oder dem „Ersatz“ der Werthe von Baumwolle,
Maschinerie u. s. w. Dadurch dass seine Arbeit aus Baumwolle und Spin-
del Garn macht, dadurch dass er spinnt, geht der Werth von Baum-
wolle und Spindel von selbst auf das Garn über. Es ist diess der
Qualität seiner Arbeit geschuldet, nicht ihrer Quantität. Allerdings
wird er in einer Stunde mehr Baumwollwerth u. s. w. auf Garn übertragen
als in ½ Stunde, aber nur weil er in 1 Stunde mehr Baumwolle verspinnt
als in ½. Ihr begreift also: Euer Ausdruck, der Arbeiter produzirt in
der vorletzten Stunde den Werth seines Arbeitslohns und in der letz-
ten den Reingewinn, heisst weiter nichts, als dass in dem Garnpro-
dukt von zwei Stunden seines Arbeitstags, ob sie vorn oder
hinten stehen, 11½ Arbeitsstunden verkörpert sind, grade so viel Stun-
den als sein ganzer Arbeitstag zählt. Und der Ausdruck, dass er
in den ersten 5¾ Stunden seinen Arbeitslohn und in den letzten
5¾ Stunden Euren Reingewinn produzirt, heisst wieder nichts, als
dass Ihr die ersten 5¾ Stunden zahlt und die letzten 5¾ Stunden
nicht zahlt. Ich spreche von Zahlung der Arbeit, statt der Arbeits-
kraft, um Euren slang zu reden. Vergleicht Ihr Herren nun das Verhält-
niss der Arbeitszeit, die Ihr zahlt, zur Arbeitszeit, die Ihr nicht zahlt, so
werdet Ihr finden, dass es halber Tag zu halbem Tag ist, also 100 %,
was allerdings ein artiger Prozentsatz. Es unterliegt auch nicht dem ge-
ringsten Zweifel, dass wenn Ihr Eure „Hände“ statt 11½ Stunden 13
schanzen lasst, und, was Euch so ähnlich sieht, wie ein Ei dem andern,
die überschüssigen 1½ Stunden zur blossen Mehrarbeit schlagt, letztere
von 5¾ Stunden auf 7¼ Stunden wachsen wird, die Rate des Mehr-
werths daher von 100 % auf 126 %. Dagegen seid Ihr gar zu
tolle Sanguiniker, wenn Ihr hofft, sie werde durch den Zusatz von 1½
Stunden von 100 auf 200 % und gar auf mehr als 200 % steigen, d. h.
sich „mehr als verdoppeln“. Andrerseits — des Menschen Herz ist ein
wunderlich Ding, namentlich wenn der Mensch sein Herz im Beutel trägt,
— seid Ihr gar zu verrückte Pessimisten, wenn Ihr fürchtet, mit der Re-
duktion des Arbeitstags von 11½ auf 10½ Stunden werde Euer ganzer
Reingewinn in die Brüche gehn. Bei Leibe nicht. Alle andern Umstände
als gleichbleibend vorausgesetzt, wird die Mehrarbeit von 5¾ auf 4¾
Stunden fallen, was immer noch eine ganz erkleckliche Rate des Mehr-
werths giebt, nämlich 82 %. Die verhängnissvolle „letzte
Stunde“ aber, von der Ihr mehr gefabelt habt als die Chiliasten vom
Weltuntergang, ist „all bosh“. Ihr Verlust wird weder Euch den „Rein-
gewinn“ noch den von Euch verarbeiteten Kindern beiderlei Geschlechts
die „Seelenreinheit“ kosten32a). Wenn einmal Euer „letztes Stünd-
lein“ wirklich schlägt, denkt an den Professor von Oxford. Und nun:
In einer bessern Welt wünsch’ ich mir mehr von Eurem werthen Umgang.
Adio33)! ‥ Das Signal der von Senior 1836 entdeckten „letzten
Stunde“ ward am 15. April 1848, polemisch gegen das Zehnstunden-
gesetz, von James Wilson, einem der ökonomischen Hauptmandarine,
im „London Economist“ von neuem geblasen.
Wie die Rate des Mehrwerths bestimmt ist durch das Verhält-
niss des Mehrwerths, nicht zur Gesammtsumme des vorgeschossenen Kapi-
tals, sondern zu seinem in Arbeitskraft ausgelegten, variablen Bestand-
theil, so ist die Höhe des Mehrprodukts bestimmt, nicht durch
sein Verhältniss zum Rest des Gesammtprodukts, sondern ausschliesslich
zum Produkttheil, worin sich die nothwendige Arbeit darstellt. Wie die
Produktion von Mehrwerth der bestimmende Zweck der kapitalistischen
Produktion, so misst nicht die absolute Masse des Produkts, sondern allein
die des Mehrprodukts, den Höhegrad des Reichthums34).
Die Summe der nothwendigen Arbeit und der Mehr-
arbeit, der Zeit, worin der Arbeiter nur den Werth seiner Arbeitskraft
reproduzirt, und der Zeit, worin er Mehrwerth produzirt, bestimmt die ab-
solute Grösse seiner Arbeitszeit — den Arbeitstag (work-
ing day).
Wir gingen von der Voraussetzung aus, dass die Arbeitskraft zu
ihrem Werthe gekauft und verkauft wird. Ihr Werth, wie der jeder
andern Waare, wird bestimmt durch die zu ihrer Produktion nöthige Ar-
beitszeit. Erheischt also die Durchschnittssumme der täglichen Lebens-
mittel des Arbeiters zu ihrer Produktion 6 Stunden täglich, so muss er
im Durchschnitt 6 Stunden per Tag arbeiten, um seine Arbeitskraft täglich
zu produziren oder den in ihrem Verkauf erhaltenen Werth zu repro-
duziren. Der nothwendige Theil seines Arbeitstages beträgt
dann 6 Stunden, und ist daher, unter sonst gleichbleibenden Umständen,
eine gegebene Grösse. Aber damit ist die Grösse des Arbeits-
tags selbst noch nicht gegeben.
Nehmen wir an, die Linie a--------------b stelle die Dauer oder Länge
der noth wendigen Arbeitszeit vor, sage 6 Stunden. Je nachdem
die Arbeit über a b um 1, 3 oder 6 Stunden u. s. w. verlängert wird, er-
halten wir die 3 verschiedenen Linien:
[Abbildung]
die drei verschiedne Arbeitstage von 7, 9 und 12 Stunden vorstellen. Die
Verlängerungslinie b c stellt die Länge der Surplusarbeitszeit vor. Da der
Arbeitstag = a b + b c oder a c ist, variirt er mit der variablen Grösse
b c. Da uns a b gegeben ist, kann das Verhältniss von b c zu a b
stets gemessen werden. Es beträgt in Arbeitstag I ⅙, in Arbeitstag II, und in Arbeitstag III
von a b. Da ferner die Proportion
die Rate des Mehrwerths bestimmt, ist letztere
gegeben durch jenes Verhältniss. Sie beträgt in den drei verschiedenen
Arbeitstagen respektive 16⅔, 50 und 100 %. Umgekehrt würde die
Rate des Mehrwerths allein uns nicht die Grösse des Arbeits-
tags geben. Wäre sie z. B. gleich 100 %, so könnte der Arbeitstag
8, 10, 12stündig u. s. w. sein. Sie würde anzeigen, dass die zwei Be-
standtheile des Arbeitstags, nothwendige Arbeit und Mehrarbeit, gleich
gross sind, aber nicht wie gross jeder dieser Theile.
Der Arbeitstag ist also keine constante, sondern eine variable
Grösse. Einer seiner Theile ist zwar bestimmt durch die zur bestän-
digen Reproduktion des Arbeiters selbst erheischte Arbeitszeit, aber seine
Gesammtgrösse wechselt mit der Länge oder Dauer der Mehrarbeit. Der
Arbeitstag ist daher bestimmbar, aber an und für sich unbestimmt35).
Obgleich nun der Arbeitstag keine feste, sondern eine fliessende Grösse
ist, kann er andrerseits nur innerhalb gewisser Schranken vari-
iren. Seine Minimalschranke ist jedoch unbestimmbar. Allerdings,
setzen wir die Verlängerungslinie b c, oder die Mehrarbeit, = O, so er-
halten wir eine Minimalschranke, den Theil des Tages nämlich, den der
Arbeiter nothwendig zu seiner Selbsterhaltung arbeiten muss. Auf Grund-
lage der kapitalistischen Produktionsweise kann die nothwendige Arbeit
aber immer nur einen Theil seines Arbeitstages bilden, der Arbeitstag
sich also nie auf diess Minimum verkürzen. Dagegen besitzt der Arbeitstag
eine Maximalschranke. Er kann über eine gewisse Grenze hinaus
nicht verlängert werden. Diese Maximalschranke ist doppelt bestimmt.
Einmal durch die physische Schranke der Arbeitskraft. Ein
Mensch kann während des natürlichen Tags von 24 Stunden nur ein be-
stimmtes Quantum Lebenskraft verausgaben und das Mass dieser Kraft-
verausgabung bildet ein Mass für seine physisch mögliche Arbeitszeit. So
kann ein Pferd Tag aus, Tag ein, nur 8 Stunden arbeiten. Während
eines Theils des Tags muss die Kraft ruhen, schlafen, während eines an-
dern Theils hat der Mensch andere physische Bedürfnisse zu befriedigen,
sich zu nähren, reinigen, kleiden u. s. w. Ausser dieser rein physi-
schen Schranke stösst die Verlängerung des Arbeitstags auf mora-
lische Schranken. Der Arbeiter braucht Zeit zur Befriedigung gei-
stiger und sozialer Bedürfnisse, deren Umfang und Zahl durch den allge-
meinen Kulturzustand bestimmt sind. Die Variation des Arbeitstags be-
wegt sich daher innerhalb absoluter physischer und mehr oder minder
relativer sozialer Schranken. Beide Schranken sind aber sehr elastischer
Natur und erlauben den grössten Spielraum. So finden wir Arbeitstage
von 8, 10, 12, 14, 16, 18 und mehr Stunden, also von der verschie-
densten Länge.
Der Kapitalist hat die Arbeitskraft zu ihrem Tageswerth gekauft.
Ihm gehört ihr Gebrauchswerth während eines Arbeitstags. Er hat
also das Recht erlangt, den Arbeiter während eines Tags für sich arbei-
ten zu lassen. Aber was ist ein Arbeitstag36)? Jedenfalls weni-
ger als ein natürlicher Lebenstag. Um wie viel? Der Kapitalist hat
seine eigne Ansicht über diess ultima Thule, die nothwendige
Schranke des Arbeitstags. Als Kapitalist ist er nur personifizirtes
Kapital. Seine Seele ist die Kapitalseele. Das Kapital hat aber einen
einzigen Lebenstrieb, den Trieb, sich zu verwerthen, Mehrwerth zu schaf-
fen, mit seinem constanten Theil, den Produktionsmitteln, die grösst-
mögliche Masse Mehrarbeit einzusaugen37). Das Kapital ist verstorbene
Arbeit, die sich nur vampyrmässig belebt durch Einsaugung lebendiger
Arbeit und um so mehr lebt, je mehr sie davon einsaugt. Die Zeit, wäh-
rend deren der Arbeiter arbeitet, ist die Zeit, während deren der Kapita-
list die von ihm gekaufte Arbeitskraft consumirt38). Consumirt der
Arbeiter seine disponible Zeit für sich selbst, so bestiehlt er den Kapita-
listen39).
Der Kapitalist beruft sich also auf das Gesetz des Waaren-
austauschs. Er, wie jeder andre Käufer, sucht den grösstmöglichen
Nutzen aus dem Gebrauchswerth seiner Waare herauszuschlagen. Plötz-
lich aber erhebt sich die Stimme des Arbeiters, die im Sturm und Drang
des Produktionsprozesses verstummt war:
Die Waare, die ich dir verkauft habe, unterscheidet sich von dem
andern Waarenpöbel dadurch, dass ihr Gebrauch Werth schafft und
grösseren Werth als sie selbst kostet. Diess war der Grund, warum du
sie kauftest. Was auf deiner Seite als Verwerthung von Kapital erscheint,
ist auf meiner Seite überschüssige Verausgabung von Arbeitskraft. Du
und ich kennen auf dem Marktplatz nur ein Gesetz, das des Waarenaus-
tauschs. Und der Consum der Waare gehört nicht dem Verkäufer, der sie
veräussert, sondern dem Käufer, der sie erwirbt. Dir gehört daher der Ge-
brauch meiner täglichen Arbeitskraft. Aber vermittelst ihres täglichen
Verkaufspreises muss ich sie täglich reproduziren und daher von neuem ver-
kaufen können. Abgesehen von dem natürlichen Verschleiss durch Alter
u. s. w., muss ich fähig sein, morgen mit demselben Normalzustand von
Kraft, Gesundheit und Frische zu arbeiten, wie heute. Du predigst
mir beständig das Evangelium der „Sparsamkeit“ und „Enthaltung“.
Nun gut! Ich will wie ein vernünftiger, sparsamer Wirth mein ein-
ziges Vermögen, die Arbeitskraft, haushalten und mich jeder tollen
Verschwendung derselben enthalten. Ich will täglich nur so viel von
ihr flüssig machen, in Bewegung, in Arbeit umsetzen, als sich mit ihrer
Normaldauer und gesunden Entwicklung verträgt. Durch massloses Ver-
längern des Arbeitstages kannst du in Einem Tage ein grösseres Quantum
meiner Arbeitskraft flüssig machen, als ich in drei Tagen ersetzen kann.
Was du so an Arbeit gewinnst, verliere ich an Arbeitssubstanz. Die Be-
nutzung meiner Arbeitskraft und die Beraubung derselben sind ganz
verschiedne Dinge. Wenn die Durchschnittsperiode, die ein Durchschnitts-
arbeiter bei vernünftigem Arbeitsmass leben kann, 30 Jahre beträgt, ist
der Werth meiner Arbeitskraft, den du mir einen Tag in den andern zahlst, oder
ihres Gesammtwerths. Consumirst du sie aber
in 10 Jahren, so zahlst du mir nur oder nur ⅓ ihres Werths täg-
lich und bestiehlst mich daher täglich um ⅔ des Werths meiner Waare.
Du zahlst mir eintägige Arbeitskraft, wo du dreitägige verbrauchst. Das
ist wider unsern Vertrag und das Gesetz des Waarenaustauschs. Ich ver-
lange also einen Arbeitstag von normaler Länge und ich verlange ihn
ohne Appell an dein Herz, denn in Geldsachen hört die Gemüthlichkeit
auf. Du magst ein Musterbürger sein, vielleicht Mitglied des Vereins zur
Abschaffung der Thierquälerei und obendrein im Geruch der Heiligkeit
stehen, aber dem Ding, das du mir gegenüber repräsentirst, schlägt kein
Herz in seiner Brust. Was darin zu pochen scheint, ist mein eigner
Herzschlag. Ich verlange den Normalarbeitstag, weil ich den
Werth meiner Waare verlange, wie jeder andre Verkäufer40).
Man sieht: von ganz elastischen Schranken abgesehn, ergiebt sich aus
der Natur des Waarenaustauschs selbst keine Grenze des Arbeitstags, also
keine Grenze der Mehrarbeit. Der Kapitalist behauptet daher nur sein Recht
als Käufer, wenn er den Arbeitstag so lange als möglich und wo möglich aus
Einem Arbeitstag zwei zu machen sucht. Andrerseits schliesst die spezifische
Natur der verkauften Waare eine Schranke ihres Consums durch den Käufer
ein, und der Arbeiter behauptet daher nur sein Recht als Verkäufer, wenn er
den Arbeitstag auf eine bestimmte Normalgrösse beschränken will. Es findet
hier also eine Antinomie statt, Recht wider Recht, beide gleichmässig
durch das Gesetz des Waarenaustauschs besiegelt. Zwischen gleichen
Rechten entscheidet die Gewalt. Und so stellt sich in der Geschichte
der kapitalistischen Produktion die Normirung des Arbeitstags
als Kampf um die Schranken des Arbeitstags dar — ein
Kampf zwischen dem Gesammtkapitalisten, d. h. der Klasse der Kapi-
talisten, und dem Gesammtarbeiter, oder der Arbeiterklasse.
Das Kapital, wie bereits bemerkt, hat die Mehrarbeit nicht er-
funden. Ueberall, wo ein Theil der Gesellschaft das Monopol der Produk-
tionsmittel besitzt, muss der Arbeiter, frei oder unfrei, der zu seiner Selbst-
erhaltung nothwendigen Arbeitszeit überschüssige Arbeitszeit zusetzen,
um die Lebensmittel für die Eigner der Produktionsmittel zu produziren41),
ob dieser Eigenthümer nun ein atheniensischer ϰαλος ϰἀγαϑός, ein
etruskischer Theokrat, civis romanus, normännischer Baron, amerikanischer
Sklavenhalter, walachischer Bojar, moderner Landlord oder Kapitalist
ist42). Indess ist klar, dass wenn in einer ökonomischen Gesellschafts-
formation nicht der Tauschwerth, sondern der Gebrauchswerth
des Produkts vorwiegt, die Mehrarbeit durch einen engeren oder weiteren
Kreis von Bedürfnissen beschränkt, aber kein schrankenloses Be-
dürfniss nach Mehrarbeit durch den Charakter der Pro-
duktion selbst gegeben ist. Wo wir im Alterthume scheinbare Ab-
weichungen von diesem Gesetz finden, bilden sie in der That seinen direk-
testen Beweis. Am entsetzlichsten z. B. zeigt sich hier die Ueberarbeit,
wo der Tauschwerth in seiner selbstständigen Gestalt als Geld produzirt
wird, in der Produktion von Gold und Silber. Gewaltsames zu Tod arbei-
ten ist hier die offizielle Form der Ueberarbeit. Man lese nur den Diodo-
rus Siculus43). Wenn jedoch Völker, bei denen sich die Produktion noch
in den niedrigeren Formen der Sklavenarbeit, Frohnarbeit u. s. w. bewegt,
mitten in einem durch die kapitalistische Produktionsweise beherrschten
Weltmarkt stehn, der den Verkauf ihrer Produkte ins Ausland zum vor-
wiegenden Interesse entwickelt, wird den barbarischen Greueln der Skla-
verei, Leibeigenschaft u. s. w. der civilisirte Greuel der Ueberarbeit auf-
gepfropft. Daher bewahrte die Negerarbeit in den südlichen Staaten der
amerikanischen Union einen gemässigt patriarchalischen Charakter, so
lange die Produktion hauptsächlich auf den unmittelbaren Selbstbedarf ge-
richtet war. In dem Masse aber wie der Export der Baumwolle das
Lebensinteresse jener Staaten wurde, wurde die Ueberarbeitung des Negers,
hier und da die Consumtion seines Lebens in sieben Arbeitsjahren, Faktor
eines berechneten und berechnenden Systems. Es galt nicht mehr eine
gewisse Masse nützlicher Produkte aus ihm gewinnen. Es galt nun
der Produktion des Mehrwerths selbst. Aehnlich mit der
Frohnarbeit, z. B. in den Donaufürstenthümern.
Die Vergleichung des Heisshungers nach Mehrarbeit in den Donau-
fürstenthümern mit demselben Heisshunger in englischen Fabriken bietet
ein besondres Interesse, weil die Mehrarbeit in der Frohnarbeit
eine selbstständige, sinnlich wahrnehmbare Form besitzt.
Gesetzt der Arbeitstag zähle 6 Stunden nothwendiger Arbeit und 6
Stunden Mehrarbeit. So liefert der freie Arbeiter dem Kapitalisten wöchent-
lich 6 × 6, oder 36 Stunden Mehrarbeit. Es ist dasselbe, als ob er 3
Tage in der Woche für sich und 3 Tage in der Woche umsonst für den
Kapitalisten arbeite. Aber diess ist nicht sichtbar. Mehrarbeit und noth-
wendige Arbeit verschwimmen in einander. Ich kann daher dasselbe Ver-
hältniss z. B. auch so ausdrücken, dass der Arbeiter in jeder Minute 30
Sekunden für sich und 30 für den Kapitalisten arbeitet u. s. w. Anders
mit der Frohnarbeit. Die nothwendige Arbeit, die der walachische
Bauer z. B. zu seiner Selbsterhaltung verrichtet, ist räumlich getrennt
von seiner Mehrarbeit für den Bojaren. Die eine verrichtet er auf seinem
eignen Felde, die andre auf dem herrschaftlichen Gut. Beide Theile der
Arbeitszeit existiren daher selbstständig neben einander. Die Mehr-
arbeit ist als Frohnarbeit genau abgeschieden von der nothwendigen
Arbeit. An dem quantitativen Verhältniss von Mebrarbeit und noth-
wendiger Arbeit ändert diese verschiedne Erscheinungsform offenbar nichts.
Drei Tage Mehrarbeit in der Woche bleiben drei Tage Arbeit, die kein
Aequivalent für den Arbeiter selbst bildet, ob sie Frohnarbeit heisse oder
Lohnarbeit. Bei dem Kapitalisten jedoch erscheint der Heisshunger nach
Mehrarbeit im Drang zu massloser Verlängerung des Arbeits-
tags, bei dem Bojaren einfacher in unmittelbarer Jagd auf Frohntage44).
Die Frohnarbeit war in den Donaufürstenthümern verknüpft mit Na-
turalrenten und sonstigem Zubehör von Leibeigenschaft, bildete aber den
entscheidenden Tribut an die herrschende Klasse. Wo diess der Fall,
entsprang die Frohnarbeit selten aus der Leibeigenschaft, sondern die
Leibeigenschaft meist umgekehrt aus der Frohnarbeit. So in den rumäni-
schen Provinzen. Ihre ursprüngliche Produktionsweise war auf Gemein-
eigenthum gegründet, aber nicht auf Gemeineigenthum in slavischer oder
gar indischer Form. Ein Theil der Ländereien wurde als freies Privat-
eigenthum von den Mitgliedern der Gemeinde selbstständig bewirthschaftet,
ein anderer Theil — der ager publicus — gemeinsam von ihnen bestellt.
Die Produkte dieser gemeinsamen Arbeit dienten theils als Reservefonds
gegen Missernten und andere Zufälle, theils als Staatsschatz zur Deckung
für die Kosten von Krieg, Religion und andere Gemeindeausgaben. Im
Laufe der Zeit usurpirten kriegerische und kirchliche Würdenträger mit
dem Gemeineigenthum die Leistungen für dasselbe. Die Arbeit der freien
Bauern auf ihrem Gemeindeland verwandelte sich in Frohnarbeit
für die Diebe des Gemeindelandes. Damit entwickelten sich zugleich
Leibeigenschafts-Verhältnisse, jedoch nur thatsächlich, nicht gesetzlich,
bis das weltbefreiende Russland unter dem Vorwand, die Leibeigenschaft
abzuschaffen, sie zum Gesetz erhob. Der Kodex der Frohnarbeit,
den der russische General Kisseleff 1831 proklamirte, war natürlich
von den Bojaren selbst diktirt. Russland eroberte so mit einem Schlag
diese Magnaten der Donaufürstenthümer und den Beifallsklatsch des libe-
ralen Cretinismus von ganz Europa.
Nach dem „Règlement organique“, so heisst jener Kodex der
Frohnarbeit, schuldet jeder walachische Bauer, ausser einer Masse detail-
lirter Naturalabgaben, dem s. g. Grundeigenthümer 1) 12 Arbeitstage
überhaupt, 2) einen Tag Feldarbeit und 3) einen Tag Holzfuhre. Summa
Summarum 14 Tage im Jahre. Mit tiefer Einsicht in die politische Oeko-
nomie wird jedoch der Arbeitstag nicht in seinem ordinären Sinn genom-
men, sondern der zur Herstellung eines täglichen Durchschnittsprodukts
nothwendige Arbeitstag, aber das tägliche Durchschnittsprodukt ist
pfiffiger Weise so bestimmt, dass kein Cyklope in 24 Stunden damit fertig
würde. In den dürren Worten echt russischer Ironie erklärt daher das
„Règlement“ selbst, unter 12 Arbeitstagen sei das Produkt einer Hand-
arbeit von 36 Tagen zu verstehn, unter einem Tag Feldarbeit drei Tage,
und unter einem Tag Holzfuhr ebenfalls das Dreifache. Summa: 42 Frohn-
tage. Es kommt aber hinzu die s. g. Jobagie, Dienstleistungen, die
dem Grundherrn für ausserordentliche Produktionsbedürfnisse gebühren.
Eine bestimmtes jährliches Quantum der Mannschaft, je nach der Anzahl
der Dorfbevölkerung, ist zur Jobagie verfehmt. Diese zusätzliche Frohn-
arbeit wird für jeden walachischen Bauer auf 14 Tage geschätzt. So
beträgt die vorgeschriebene Frohnarbeit 56 Arbeitstage jährlich. Das
Ackerbaujahr zählt aber in der Walachei wegen des schlechten Klima’s
nur 210 Tage, wovon 40 für Sonn- und Feiertage, 30 durchschnittlich
für Unwetter, zusammen 70 Tage ausfallen. Bleiben 140 Arbeitstage.
Das Verhältniss der Frohnarbeit zur nothwendigen Arbeit, , oder
66⅔ %, drückt eine viel kleinere Rate des Mehrwerths aus als die,
welche die Arbeit des englischen Agrikultur- oder Fabrikarbeiters regu-
lirt. Diess ist jedoch nur die gesetzlich vorgeschriebene Frohnarbeit.
Und in noch „liberalerem“ Geist als die englische Fabrikgesetzgebung hat
das „Règlement organique“ seine eigne Umgehung zu erleichtern gewusst.
Nachdem es aus 12 Tagen 54 gemacht, wird das nominelle Tagwerk jedes
der 54 Frohntage wieder so bestimmt, dass eine Zubusse auf die folgenden
Tage fallen muss. In einem Tag z. B. soll eine Landstrecke ausgegätet
werden, die zu dieser Operation, namentlich auf den Maispflanzungen,
doppelt so viel Zeit erheischt. Das gesetzliche Tagwerk für einzelne
Agrikulturarbeiten ist so auslegbar, dass der Tag im Monat Mai anfängt
und im Monat Oktober aufhört. Für die Moldau sind die Bestimmun-
gen noch härter. „Die zwölf Frohntage des Règlement organique“,
rief ein siegtrunkener Bojar, „belaufen sich auf 365 Tage im Jahr!“45)
War das Règlement organique der Donaufürstenthümer ein
positiver Ausdruck des Heisshungers nach Mehrarbeit, den jeder
Paragraph legalisirt, so sind die englischen Factory Acts nega-
tive Ausdrücke desselben Heisshungers. Diese Gesetze treten dem
Drang des Kapitals nach massloser Aussaugung der Arbeitskraft durch
gewaltsame Beschränkung des Arbeitstags von Staats-
wegen entgegen, und zwar von Seiten eines Staats, den Kapitalist und
Landlord beherrschen. Von einer täglich bedrohlicher anschwellenden Ar-
beiterbewegung abgesehn, diktirte dieselbe Nothwendigkeit die Beschrän-
kung der Fabrikarbeit, welche den Guano auf die englischen Felder aus-
goss. Dieselbe blinde Raubgier, die in dem einen Fall die Erde erschöpft,
hatte in dem andern die Lebenskraft der Nation an der Wurzel ergriffen.
Periodische Epidemieen sprachen hier eben so deutlich als das abneh-
mende Soldatenmass in Deutschland und Frankreich46).
Der jetzt regulirende Factory Act von 1850 erlaubt für den
durchschnittlichen Wochentag 10 Stunden, nämlich für die ersten 5 Wochen-
tage 12 Stunden, von 6 Uhr Morgens bis 6 Uhr Abends, wovon aber
½ Stunde für Frühstück und eine Stunde für Mittagsessen gesetzlich ab-
gehn, also 10½ Arbeitsstunden bleiben, und 8 Stunden für den Samstag,
von 6 Uhr Morgens bis 2 Uhr Nachmittags, wovon ½ Stunde für Früh-
stück abgeht. Bleiben 60 Arbeitsstunden, 10½ für die ersten 5 Wochen-
tage, 7½ für den letzten Wochentag47). Es sind eigne Wächter des
Gesetzes bestellt, die dem Ministerium des Innern direkt untergeordneten
Fabrikinspektoren, deren Berichte halbjährig von Parlamentswe-
gen veröffentlicht werden. Sie liefern also eine fortlaufende und offizielle
Statistik über den Kapitalistenheisshunger nach Mehrarbeit.
Hören wir einen Augenblick die Fabrikinspektoren48).
„Der betrügerische Fabrikant beginnt die Arbeit eine Viertelstunde,
manchmal früher, manchmal später, vor 6 Uhr Morgens, und schliesst sie
eine Viertelstunde, manchmal früher, manchmal später, nach 6 Uhr Nach-
mittags. Er nimmt 5 Minuten weg vom Anfang und Ende der nominell
für das Frühstück anberaumten halben Stunde, und knappt 10 Minuten ab
zu Anfang und Ende der für Mittagsessen anberaumten Stunde. Samstag
arbeitet er eine Viertelstunde, manchmal mehr, manchmal weniger, nach
2 Uhr Nachmittags. So beträgt sein Gewinn:
Oder 5 Stunden 40 Minuten wöchentlich, was mit 50 Arbeitswochen
multiplicirt, nach Abzug von 2 Wochen für Feiertage oder gelegentliche
Unterbrechungen, 27 Arbeitstage giebt49).“
„Wird der Arbeitstag täglich 5 Minuten über die Normaldaner ver-
längert, so giebt das 2½ Produktionstage im Jahr.50)“ „Eine zusätz-
liche Stunde täglich, dadurch gewonnen, dass bald hier ein Stückchen Zeit
erhascht wird, bald dort ein anderes Stückchen, macht aus den 12 Mona-
ten des Jahrs 13“51).
Krisen, worin die Produktion unterbrochen und nur „kurze Zeit“, nur
während einiger Tage in der Woche, gearbeitet wird, ändern natürlich nichts
an dem Trieb nach Verlängerung des Arbeitstags. Je weniger Geschäfte
gemacht werden, desto grösser soll der Gewinn auf das gemachte Geschäft
sein. Je weniger Zeit gearbeitet werden kann, desto mehr Surplusarbeits-
zeit soll gearbeitet werden. So berichten die Fabrikinspektoren über die
Periode der Krise von 1857 — 1858:
„Man mag es für eine Inkonsequenz halten, dass irgendwelche Ueber-
arbeit zu einer Zeit stattfinde, wo der Handel so schlecht geht, aber sein
schlechter Zustand spornt rücksichtslose Leute zu Ueberschreitungen; sie
sichern sich so einen Extraprofit …“ „Zur selben Zeit“, sagt Leon-
hard Horner, „wo 122 Fabriken in meinem Distrikt ganz aufgegeben
sind, 143 still stehn und alle andern kurze Zeit arbeiten, wird die Ueber-
arbeit über die gesetzlich bestimmte Zeit fortgesetzt52)“. „Obgleich“,
sagt Herr Howell, „in den meisten Fabriken des schlechten Geschäfts-
stands wegen nur halbe Zeit gearbeitet wird, erhalte ich nach wie vor
dieselbe Anzahl von Klagen, dass eine halbe Stunde oder ¾ Stun-
den täglich den Arbeitern weggeschnappt (snatched) werden durch Ein-
griffe in die ihnen gesetzlich gesicherten Fristen für Mahlzeit und Erho-
lung53)“.
Dasselbe Phänomen wiederholt sich auf kleinerer Stufenleiter wäh-
rend der furchtbaren Baumwollkrise von 1861 bis 186554).
„Es wird zuweilen vorgeschützt, wenn wir Arbeiter während der
Speisestunden oder sonst zu ungesetzlicher Zeit am Werk ertappen, dass
sie die Fabrik durchaus nicht verlassen wollen, und dass
es des Zwangs bedarf, um ihre Arbeit (Reinigen der Maschinen u. s. w.)
zu unterbrechen, namentlich Samstag Nachmittags. Aber wenn die
„Hände“ nach Stillsetzung der Maschinerie in der Fabrik bleiben, geschieht
es nur, weil ihnen zwischen 6 Uhr Morgens und 6 Uhr Abends, in den ge-
setzlich bestimmten Arbeitsstunden, keine Frist zur Verrichtung solcher
Geschäfte gestattet worden ist55)“.
„Der durch Ueberarbeit über die gesetzliche Zeit zu machende Extra-
profit scheint für viele Fabrikanten eine zu grosse Versuchung, um ihr
widerstehen zu können. Sie rechnen auf die Chance nicht ausgefunden
zu werden und berechnen, dass selbst im Fall der Entdeckung die Gering-
fügigkeit der Geldstrafen und Gerichtskosten ihnen immer noch eine Ge-
winnbilanz sichert56)“. „Wo die zusätzliche Zeit durch Multipli-
kation kleiner Diebstähle („a multiplication of small
thefts“) im Laufe des Tages gewonnen wird, stehn den Inspektoren fast
unüberwindliche Schwierigkeiten der Beweisführung im Weg57)“. Diese
„kleinen Diebstähle“ des Kapitals an der Mahlzeit und Erholungs-
zeit der Arbeiter bezeichnen die Fabrikinspektoren auch als „petty pilfer-
ings of minutes“, Mausereien von Minuten58), „snatching a few minutes“,
Wegschnappen von Minuten59), oder wie die Arbeiter es technisch heissen,
„nibbling and cribbling at meal times60)“.
Man sieht, in dieser Atmosphäre ist die Bildung des Mehr-
werths durch die Mehrarbeit kein Geheimniss. „Wenn Sie mir
erlauben,“ sagte mir ein sehr respektabler Fabrikherr, „täglich nur
10 Minuten Ueberzeit arbeiten zu lassen, stecken Sie jährlich 1000
Pfd. St. in meine Tasche61)“. „Zeitatome sind die Elemente
des Gewinns62)“.
Nichts ist in dieser Hinsicht charakteristischer als die Bezeichnung
der Arbeiter, die volle Zeit arbeiten, durch „full times“ und die der Kin-
der unter 13 Jahren, die nur 6 Stunden arbeiten dürfen, als „half-
times63)“. Der Arbeiter ist hier nichts mehr als personificirte Arbeits-
zeit. Alle individuellen Unterschiede lösen sich auf in die von „Voll-
zeitler“ und „Halbzeitler“.
Den Trieb nach Verlängerung des Arbeitstags, den Wehr-
wolfsheisshunger für Mehrarbeit, beobachteten wir bisher auf einem Gebiet,
wo masslose Ausschreitungen, nicht übergipfelt, so sagt ein bürgerlicher
englischer Oekonom, von den Grausamkeiten der Spanier gegen die Roth-
häute Amerika’s64), das Kapital endlich an die Kette gesetzlicher
Regulation gelegt haben. Werfen wir jetzt den Blick auf einige Produk-
tionszweige, wo die Aussaugung der Arbeitskraft entweder noch heute fessel-
frei ist oder es gestern noch war.
„Herr Broughton, ein County Magistrate, erklärte als Präsident eines
Meetings, abgehalten in der Stadthalle von Nottingham, am 1 4. Januar
1860, dass in dem mit der Spitzenfabrikation beschäftigten
Theile der städtischen Bevölkerung ein der übrigen civilisirten Welt un-
bekannter Grad von Leid und Entbehrung vorherrscht . . . . Um 2, 3,
4 Uhr des Morgens werden Kinder von 9—10 Jahren ihren schmutzigen
Betten entrissen und gezwungen, für die nackte Subsistenz bis 10, 11, 12
Uhr Nachts zu arbeiten, während ihre Glieder wegschwinden, ihre Gestalt
zusammenschrumpft, ihre Gesichtszüge abstumpfen und ihr menschliches
Wesen ganz und gar in einem steinähnlichen Torpor erstarrt, dessen blos-
ser Anblick schauderhaft ist. Wir sind nicht überrascht, dass Herr Mal-
let und andere Fabrikanten auftraten, um Protest gegen jede Dis-
kussion einzulegen . . . . Das System, wie der Rev. Mr. Montagu
Valpu es beschrieb, ist ein System unbeschränkter Sklaverei,
Sklaverei in socialer, physischer, moralischer und intellektueller Beziehung.
… Was soll man denken von einer Stadt, die ein öffentliches Meeting ab-
hält, um zu petitioniren, dass die Arbeitszeit für Männer
täglich auf 18 Stunden beschränkt werden solle! . . . .
Wir deklamiren gegen die virginischen und karolinischen Pflanzer. Ist
jedoch ihr Negermarkt, mit allen Schrecken der Peitsche und dem Schacher
in Menschenfleisch, abscheulicher als diese langsame Menschenabschlach-
tung, die vor sich geht, damit Schleier und Kragen zum Vortheil von
Kapitalisten fabrizirt werden65)?“
Die Töpferei (Pottery) von Staffordshire hat während der
letzten 22 Jahre den Gegenstand drei parlamentarischer Untersuchungen
gebildet. Die Resultate sind niedergelegt im Bericht des Herrn
Scriven von 1841 an die „Children’s Employment Commissioners“,
im Bericht des Dr. Greenhow von 1860, veröffentlicht auf Befehl
des ärztlichen Beamten des Privy Council (Public Health, 3d Re-
port, I, 102—113), endlich im Bericht des Herrn Longe von 1863,
in „First Report of the Children’s Employment Commis-
sion“ vom 13. Juni 1863. Für meine Aufgabe genügt ein kurzer Auszug
aus den Zeugenaussagen der verarbeiteten Kinder, in den Berichten von 1860
und 1863. Von den Kindern mag man auf die Erwachsenen schliessen, na-
mentlich Mädchen und Frauen, und zwar in einem Industriezweig, neben
dem Baumwollspinnerei u. d. g. als ein sehr angenehmes und gesundes
Geschäft erscheint66).
Wilhelm Wood, neunjährig, „war 7 Jahre 10 Monate alt, als er
zu arbeiten begann.“ Er „ran moulds“ (trug die fertig geformte
Waare in die Trockenstube, um nachher die leere Form zurückzubringen)
von Anfang an. Er kommt jeden Tag in der Woche um 6 Uhr Morgens
und hört auf ungefähr 9 Uhr Abends. „Ich arbeite bis 9 Uhr Abends
jeden Tag in der Woche. So z. B. während der letzten 7—8 Wochen.“
Also fünfzehnstündige Arbeit für ein siebenjähriges Kind! J. Murray,
ein zwölfjähriger Knabe, sagt aus: „I run moulds and turn jigger (drehe
das Rad). Ich komme um 6 Uhr, manchmal um 4 Uhr Morgens. Ich
habe während der ganzen letzten Nacht bis diesen Morgen 8 Uhr gearbei-
tet. Ich war nicht im Bett seit der letzten Nacht. Ausser mir arbeiteten
8 oder 9 andre Knaben die letzte Nacht durch. Alle ausser Einem sind
diesen Morgen wieder gekommen. Ich bekomme wöchentlich 3 sh. 6 d.
(1 Thaler 5 Groschen). Ich bekomme nicht mehr, wenn ich
die ganze Nacht durcharbeite. Ich habe in der letzten Woche
zwei Nächte durchgearbeitet.“ Fernyhough, ein zehnjähriger
Knabe: „Ich habe nicht immer eine ganze Stunde für das Mittagsessen;
oft nur eine halbe Stunde; jeden Donnerstag, Freitag und Samstag67).“
Dr. Greenhow erklärt die Lebenszeit in den Töpferdistrikten von
Stoke-upon-Trent und Wolstanton für ausserordentlich kurz.
Obgleich im Distrikt Stoke nur 30.6 %, und in Wolstanton nur 30.4 % der
männlichen Bevölkerung über 20 Jahre in den Töpfereien beschäftigt
sind, fällt im ersten Distrikt mehr als die Hälfte der Todesfälle
an Brustkrankheiten unter Männern über 20 Jahren, und im letzteren Distrikt
ungefähr ⅖, auf Töpfer. Dr. Boothroyd, praktischer Arzt zu Han-
ley, sagt aus: „Jede successive Generation der Töpfer ist zwerghafter
und schwächer als die vorhergehende.“ Ebenso ein anderer Arzt, Herr
Mc Bean: „Seit ich vor 25 Jahren meine Praxis unter den Töpfern be-
gann, hat sich die auffallende Entartung dieser Klasse fortschreitend in
Abnahme von Gestalt und Gewicht gezeigt.“ Diese Aussagen sind dem
Bericht des Dr. Greenhow von 1860 entnommen68).
Aus dem Bericht der Kommissäre von 1863 Folgendes: Dr. J. T.
Arledge, Oberarzt des North Staffordshire Krankenhauses, sagt: „Als eine
Klasse repräsentiren die Töpfer, Männer und Frauen … eine entartete
Bevölkerung, physisch und moralisch. Sie sind in der Regel verzwergt,
schlecht gebaut, und oft an der Brust verwachsen. Sie altern vorzeitig
und sind kurzlebig; phlegmatisch und blutlos, verrathen sie die Schwäche
ihrer Konstitution durch hartnäckige Anfälle von Dyspepsie, Leber- und
Nierenstörungen und Rheumatismus. Vor allem aber sind sie Brustkrank-
heiten unterworfen, der Pneumonie, Phthisis, Bronchitis und dem Asthma.
Eine Form des letztern ist ihnen eigenthümlich und bekannt unter dem
Namen des Töpfer-Asthma oder der Töpfer-Schwindsucht. Skrophulose,
die Mandeln, Knochen oder andre Körpertheile angreift, ist eine Krank-
heit von mehr als zwei Dritttheilen der Töpfer … Dass die Entartung
(Degenerescence) der Bevölkerung dieses Distrikts nicht noch viel grösser
ist, verdankt sie ausschliesslich der Rekrutirung aus den umliegenden
Landdistrikten und den Zwischenheirathen mit gesundern Racen.“ Herr
Charles Pearson, vor kurzem noch House Surgeon derselben Kran-
kenanstalt, schreibt in einem Briefe an den Kommissär Longe u. a.: „Ich
kann nur aus persönlicher Beobachtung, nicht statistisch sprechen, aber
ich stehe nicht an zu versichern, dass meine Empörung wieder und wieder
aufkochte bei dem Anblick dieser armen Kinder, deren Gesundheit geopfert
wurde, um der Habgier ihrer Eltern und Arbeitsgeber zu fröhnen.“ Er
zählt die Ursachen der Töpferkrankheiten auf und schliesst sie culminirend
ab mit „Long Hours“ („langen Arbeitsstunden“). Der Kommissions-
bericht hofft, dass „eine Manufaktur von so hervorragender Stellung
in den Augen der Welt nicht lange mehr den Makel tragen wird, dass ihr
grosser Erfolg begleitet ist von physischer Entartung, vielverzweigten
körperlichen Leiden, und frühem Tode der Arbeiterbevölkerung, durch
deren Arbeit und Geschick so grosse Resultate erzielt worden sind69)“.
Was von den Töpfereien in England, gilt von denen in Schottland70).
Die Manufaktur von Schwefelhölzern datirt von 1833,
von der Entdeckung, den Phosphor auf die Zündruthe selbst anzubringen.
Seit 1845 hat sie sich rasch in England entwickelt und von den dicht-
bevölkertsten Theilen Londons namentlich auch nach Manchester, Bir-
mingham, Liverpool, Bristol, Norwich, Newcastle, Glasgow verbreitet, mit
ihr die Mundsperre, die ein Wiener Arzt schon 1845 als eigenthümliche
Krankheit der Schwefelholzmacher entdeckte. Die Hälfte der Arbeiter
sind Kinder unter 13 und junge Personen unter 18 Jahren. Die Manu-
faktur ist wegen ihrer Ungesundheit und Widerwärtigkeit so verrufen,
dass nur der verkommenste Theil der Arbeiterklasse, halbverhungerte
Wittwen u. s. w., Kinder für sie hergiebt, „zerlumpte, halb verhungerte,
ganz verwahrloste und unerzogne Kinder71).“ Von den Zeugen, die
Kommissär White (1863) verhörte, waren 270 unter 18 J., 40 unter
10 J., 10 nur 8 und 5 nur 6 Jahre alt. Wechsel des Arbeitstags von
12 auf 14 und 15 Stunden, Nachtarbeit, unregelmässige Mahlzeiten, meist
in den Arbeitsräumen selbst, die vom Phosphor verpestet sind71). Dante
würde in dieser Manufaktur seine grausamsten Höllenphantasien übertrof-
fen finden.
In der Tapetenfabrik werden die gröberen Sorten mit Maschinen,
die feineren mit der Hand (block printing) gedruckt. Die lebhaftesten Ge-
schäftsmonate fallen zwischen Anfang Oktober und Ende April. Wäh-
rend dieser Periode dauert diese Arbeit häufig und fast ohne Unter-
brechung von 6 Uhr Vormittags bis 10 Uhr Abends und tiefer in die
Nacht.
J. Leach sagt aus: „Letzten Winter (1862) blieben von 19 Mäd-
chen 6 weg in Folge durch Ueberarbeitung zugezogener Krankheiten.
Um sie wach zu halten, muss ich sie anschreien.“ W. Duffy: „Die
Kinder konnten oft vor Müdigkeit die Augen nicht aufhalten, in der That,
wir selbst können es oft kaum.“ J. Lightbourne: „Ich bin 13 Jahre
alt … Wir arbeiteten letzten Winter bis 9 Uhr Abends und den Winter
vorher bis 10 Uhr. Ich pflegte letzten Winter fast jeden Abend vom
Schmerz wunder Füsse zu schreien.“ G. Apsden: „Diesen meinen
Jungen pflegte ich, als er 7 Jahre alt war, auf meinem Rücken hin und
her über den Schnee zu tragen, und er pflegte 16 Stunden zu arbeiten!
… Ich habe oft nieder gekniet, um ihn zu füttern, während er an der
Maschine stand, denn er durfte sie nicht verlassen, oder
stillsetzen.“ Smith, der geschäftsführende Associé einer Manchester-
Fabrik: „Wir (er meint seine „Hände,“ die für „uns“ arbeiten) arbeiten
ohne Unterbrechung für Mahlzeiten, so dass die Tagesarbeit von 10½
Stunden um 4½ Uhr Nachmittags fertig ist, und alles Spätere ist Ueber-
zeit72). (Ob dieser Herr Smith wohl keine Mahlzeit während 10½
Stunden zu sich nimmt?) Wir (derselbe Smith) hören selten auf vor 6
Uhr Abends (er meint mit der Konsumtion „unserer“ Arbeitskraftsmaschi-
nen), so dass wir (iterum Crispinus) in der That das ganze Jahr durch
Ueberzeit arbeiten … Die Kinder und Erwachsenen (152 Kinder und
junge Personen unter 18 Jahren und 140 Erwachsene) haben gleich-
mässig während der letzten 18 Monate im Durchschnitt allermin-
destens 7 Tage und 5 Stunden in der Woche gearbeitet, oder
78½ Stunden wöchentlich. Für die 6 Wochen endend am 2. Mai dieses
Jahres (1863) war der Durchschnitt höher — 8 Tage oder 84 Stun-
den in der Woche!“ Doch fügt derselbe Herr Smith, der dem plu-
ralis majestatis so sehr ergeben ist, schmunzelnd hinzu: „Maschinenarbeit
ist leicht.“ Und so sagen die Anwender des Block Printing: „Handar-
beit ist gesunder als Maschinenarbeit.“ Im Ganzen erklären sich die
Herrn Fabrikanten mit Entrüstung gegen den Vorschlag, „die Maschi-
nen wenigstens während der Mahlzeiten still zu setzen“.
„Ein Gesetz,“ sagt Herr Otley, der manager einer Tapetenfabrik in
Borough, das „Arbeitsstunden von 6 Uhr Morgens bis 9 Uhr Abends er-
laubte, würde uns (!) sehr wohl zusagen, aber die Stunden des Factory
Act von 6 Uhr Morgens bis 6 Uhr Abends passen uns (!) nicht …
Unsere Maschine wird während des Mittagessens (welche Gross-
muth!) still gesetzt. Das Stillsetzen verursacht keinen nennenswerthen
Verlust an Papier und Farbe. „Aber,“ fügt er sympathetisch hinzu,
„ich kann verstehn, dass der damit verbundene Verlust
nicht geliebt wird.“ Der Kommissionsbericht meint naiv, die Furcht
einiger „leitender Firmen“ Zeit, d. h. Aneignungszeit fremder Arbeitszeit,
und dadurch „Profit zu verlieren,“ sei kein „hinreichender Grund,“ um
Kinder unter 13 und junge Personen unter 18 Jahren während 12 — 16
Stunden ihr Mittagsmahl „verlieren zu lassen“, oder es ihnen zuzusetzen,
wie man der Dampfmaschine Kohle und Wasser, der Wolle Seife, dem Rad
Oel u. s. w. zusetzt, — während des Produktionsprozesses
selbst, als blossen Hilfsstoff des Arbeitsmittels73).
Kein Industriezweig in England — (wir sehn von dem erst neuer-
dings sich bahnbrechenden Maschinenbrod ab) — hat so alterthümliche,
ja, wie man aus den Dichtern der römischen Kaiserzeit ersehn kann, vor-
christliche Produktionsweise bis heute beibehalten, als die Bäckerei.
Aber das Kapital, wie früher bemerkt, ist zunächst gleichgültig gegen
den technologischen Charakter des Arbeitsprozesses, dessen es sich be-
mächtigt. Es nimmt ihn zunächst, wie es ihn vorfindet.
Die unglaubliche Brodverfälschung, namentlich in London, wurde
zuerst enthüllt durch das Comité des Unterhauses „über die Verfäl-
schung von Nahrungsmitteln“ (1855—56) und Dr. Hassall’s
Schrift: „Adulterations detected74)“. Die Folge dieser Enthül-
lungen war das Gesetz vom 6. August 1860: „for preventing the adulte-
ration of articles of food and drink,“ ein wirkungsloses Gesetz, da es
natürlich die höchste Delikatesse gegen jeden free-trader beobachtet, der
sich vornimmt durch Kauf und Verkauf gefälschter Waaren „to turn an
honest penny75).“ Das Comité selbst formulirte mehr oder minder naiv
seine Ueberzeugung, dass Freihandel wesentlich den Handel mit gefälsch-
ten, oder wie der Engländer es witzig nennt, „sophisticirten Stoffen“ be-
deute. In der That, diese Art „Sophistik“ versteht es besser als
Protagoras schwarz aus weiss und weiss aus schwarz zu machen, und
besser als die Eleaten den blossen Schein alles Realen ad oculos zu
demonstriren76).
Jedenfalls hatte das Comité die Augen des Publikums auf sein „täg-
liches Brod“ und damit auf die Bäckerei gelenkt. Gleichzeitig er-
scholl in öffentlichen Meetings und Petitionen an das Parlament der Schrei
der Londoner Bäckergesellen über Ueberarbeitung u. s. w. Der
Schrei wurde so dringend, dass Herr H. S. Tremenheere, auch Mitglied der
mehrerwähnten Kommission von 1863, zum königlichen Untersuchungs-
kommissär bestallt wurde. Sein Bericht77), sammt Zeugenaussagen,
regte das Publikum auf, nicht sein Herz, sondern seinen Magen. Der
bibelfeste Engländer wusste zwar, dass der Mensch, wenn nicht durch
Gnadenwahl Kapitalist oder Landlord oder Sinekurist, dazu be-
rufen ist, sein Brod im Schweisse seines Angesichts zu essen, aber er
wusste nicht, dass er in seinem Brode täglich ein gewisses Quantum
Menschenschweiss essen muss, getränkt mit Eiterbeulenauslee-
rung, Spinnweb, schwarzen Käfer-Leichnamen und fauler deutscher Hefe,
abgesehn von Alaun, Sandstein und sonstigen angenehmen mineralischen
Ingredienzen. Ohne alle Rücksicht auf Seine Heiligkeit, den „Free-
trade“, wurde daher die anhero „freie“ Bäckerei der Aufsicht von Staats-
inspektoren unterworfen (Ende der Parlamentssitzung 1863) und durch
denselben Parlamentsakt die Arbeitszeit von 9 Uhr Abends bis 5 Uhr Mor-
gens für Bäckergesellen unter 18 Jahren verboten. Die letztere Klausel
spricht Bände über die Ueberarbeitung in diesem uns so altväterisch an-
heimelnden Geschäftszweig.
„Die Arbeit eines Londoner Bäckergesellen beginnt in der Regel
um 11 Uhr Nachts. Zu dieser Stunde macht er den Teig, ein sehr müh-
samer Prozess, der ½ bis ¾ Stunden währt, je nach der Grösse des Ge-
bäcks und seiner Feinheit. Er legt sich dann nieder auf das Kneetbrett,
das zugleich als Deckel des Trogs dient, worin der Teig gemacht wird,
und schläft ein paar Stunden mit einem Mehlsack unter dem Kopf und
einem andern Mehlsack auf dem Leib. Dann beginnt eine rasche und un-
unterbrochene Arbeit von 4 Stunden, Werfen, Wägen, Formen, in den
Ofen schieben, aus dem Ofen holen u. s. w. des Teiges. Die Temperatur
eines Backhauses beträgt von 75 bis 90 Grad und in den kleinen Back-
häusern eher mehr als weniger. Wenn das Geschäft Brod, Wecken u. s. w.
zu machen vollbracht ist, beginnt die Vertheilung des Brods; und ein be-
trächtlicher Theil der Taglöhner, nachdem er die beschriebene harte Nacht-
arbeit vollbracht, trägt während des Tags das Brod in Körben, oder
schiebt es in Karren, von Haus zu Haus und operirt dazwischen auch manch-
mal im Backhaus. Je nach der Jahreszeit und dem Umfang des Geschäfts
endet die Arbeit zwischen 1 und 6 Uhr Nachmittags, während ein andrer
Theil der Gesellen bis spät um Mitternacht im Backhaus beschäftigt ist78)“.
„Während der Londoner Saison beginnen die Gesellen der Bäcker zu
„vollen“ Brodpreisen im Westend regelmässig um 11 Uhr Nachts, und
sind mit dem Brodbacken, unterbrochen durch einen oder zwei oft sehr
kurze Zwischenräume, bis 8 Uhr des nächsten Morgens beschäftigt. Sie
werden dann bis 4, 5, 6, ja 7 Uhr zur Brodherumträgerei vernutzt oder
manchmal mit Biscuitbacken im Backhaus. Nach vollbrachtem Werk ge-
niessen sie einen Schlaf von 6, oft nur von 5 und 4 Stunden. Freitags
beginnt die Arbeit stets früher, sage Abends 10 Uhr und dauert ohne Unter-
lass, sei es in der Zubereitung, sei es in der Colportirung des Brods, bis
den folgenden Samstag Abend 8 Uhr, aber meist bis 4 oder 5 Uhr in Sonn-
tag Nacht hinein. Auch in den vornehmen Bäckereien, die das Brod zum
„vollen Preise“ verkaufen, muss wieder 4—5 Stunden am Sonntag vorbe-
reitende Arbeit für den nächsten Tag verrichtet werden … Die Bäcker-
gesellen der „underselling masters“ (die das Brod unter dem
vollen Preise verkaufen), und diese betragen, wie früher bemerkt, über ¾
der Londoner Bäcker, haben noch längere Arbeitsstunden, aber ihre Arbeit
ist fast ganz auf das Backhaus beschränkt, da ihre Meister, die Lieferung
an kleine Kramläden ausgenommen, nur in der eignen Boutique verkaufen.
Gegen „Ende“ der Woche, d. h. am Donnerstag beginnt hier die Arbeit
um 10 Uhr in der Nacht und dauert bis tief in Sonntag Nacht hinein79).“
Von den „underselling masters“ begreift selbst der bürgerliche
Standpunkt: „die unbezahlte Arbeit der Gesellen (the unpaid la-
bour of the men) bildet die Grundlage ihrer Konkurrenz“80). Und der „full pri-
ced baker“ denunzirt seine „underselling“ Konkurrenten der Untersuchungs-
kommission als Diebe fremder Arbeit und Fälscher. „Sie reussiren nur
durch den Betrug des Publikums und dadurch dass sie 18 Stunden aus
ihren Gesellen für einen Lohn von 12 Stunden herausschlagen81).“
Die Brodfälschung und die Bildung einer Bäckerklasse, die das Brod
unter dem vollen Preise verkauft, entwickelten sich in England seit An-
fang des 18. Jahrhunderts, sobald der Zunftcharakter des Gewerbs verfiel
und der Kapitalist in der Gestalt von Müller oder Mehlfaktor hinter
den nominellen Bäckermeister trat82). Damit war die Grundlage zur
kapitalistischen Produktion, zur masslosen Verlängerung des Arbeitstages
und Nachtarbeit gelegt, obgleich letztere selbst in London erst 1824 ernst-
haft Fuss fasste83).
Man wird nach dem Vorhergehenden verstehn, dass der Kommis-
sionsbericht die Bäckergesellen zu den kurzlebigen Arbeitern zählt, die,
nachdem sie der unter allen Theilen der Arbeiterklasse normalen Kinder-
decimation glücklich entwischt sind, selten das 42. Lebensjahr erreichen.
Nichts desto weniger ist das Bäckergewerb stets mit Kandidaten über-
füllt. Die Zufuhrquellen dieser „Arbeitskräfte“ für London sind Schott-
land, die westlichen Agrikulturdistrikte Englands und — Deutsch-
land.
In den Jahren 1858—1860 organisirten die Bäckergesellen in Ir-
land auf ihre eigenen Kosten grosse Meetings zur Agitation gegen die
Nachtarbeit und das Arbeiten an Sonntagen. Das Publikum, z. B. auf
dem Maimeeting zu Dublin, 1860, ergriff, der zündenden Natur des Irlän-
ders gemäss, überall lebhaft Partei für sie. Ausschliessliche Tagesarbeit
wurde durch diese Bewegung in der That erfolgreich durchgesetzt zu
Wexford, Kilkenny, Clonmel, Waterford u. s. w. „Zu Limerick, wo die
Qualen der Lohngesellen bekanntermassen alles Mass überstiegen, schei-
terte die Bewegung an der Opposition der Bäckermeister, namentlich der
Bäcker-Müller. Das Beispiel Limerick’s führte zum Rückschritt in Ennis
und Tipperary. Zu Cork, wo der öffentliche Unwille sich in der lebhaf-
testen Form kundgab, vereitelten die Meister die Bewegung durch den
Gebrauch ihrer Macht die Gesellen an die Luft zu setzen. Zu Dublin lei-
steten die Meister den entschiedensten Widerstand und zwangen durch Ver-
folgung der Gesellen, die an der Spitze der Agitation standen, den Rest
zum Nachgeben, zur Fügung in die Nacht- und Sonntagsarbeit84).“
Die Kommission der in Irland bis an die Zähne gewaffneten englischen
Regierung remonstrirt leichenbitterlich gegen die unerbittlichen Bäckermei-
ster von Dublin, Limerick, Cork u. s. w.: „Das Comité glaubt, dass die Ar-
beitsstunden durch Naturgesetze beschränkt sind, die nicht ungestraft
verletzt werden. Indem die Meister durch die Drohung sie fortzujagen,
ihre Arbeiter zur Verletzung ihrer religiösen Ueberzeugung, zum Unge-
horsam gegen das Landesgesetz und die Verachtung der öffentlichen Mei-
nung zwingen,“ (diess letztere bezieht sich alles auf die Sonntagsarbeit),
„setzen sie böses Blut zwischen Kapital und Arbeit und geben ein Bei-
spiel, gefährlich für Religion, Moralität und öffentliche Ordnung … Das
Comité glaubt, dass die Verlängerung des Arbeitstags über 12 Stunden
ein usurpatorischer Eingriff in das häusliche und Privatleben des
Arbeiters ist und so zu unheilvollen moralischen Resultaten führt, durch
Einmischung in die Häuslichkeit eines Mannes und die
Erfüllung seiner Familienpflichten als Sohn, Bruder, Gatte und
Vater. Arbeit über 12 Stunden hat die Tendenz die Gesundheit des Ar-
beiters zu untergraben, führt zu vorzeitiger Alterung und frühem
Tod und daher zum Unglück der Arbeiterfamilien, die der Vorsorge und
der Stütze des Familienhaupts grade im nothwendigsten Augenblick be-
raubt werden“ („are deprived“)85).
Wir waren eben in Irland. Auf der andern Seite des Kanals, in
Schottland, denuncirt der Ackerbauarbeiter, der Mann des
Pfluges, seine 13—14stündige Arbeit, im rauhsten Klima, mit vierstün-
diger Zusatzarbeit für den Sonntag, (in diesem Lande der Sabbat-Hei-
ligen!)86), während vor einer Londoner Grand Jury gleichzeitig drei Eisen-
bahnarbeiter stehn, ein Personencondukteur, ein Lokomotivenführer und
ein Signalgeber. Ein grosses Eisenbahnunglück hat Hunderte von Passa-
gieren in die andere Welt expedirt. Die Nachlässigkeit der Eisen-
bahnarbeiter ist die Ursache des Unglücks. Sie erklären vor den Ge-
schworenen einstimmig, vor 10 bis 12 Jahren habe ihre Arbeit nur 8
Stunden täglich gedauert. Während der letzten 5—6 Jahre habe man sie
auf 14, 18 und 20 Stunden aufgeschraubt und bei besonders lebhaftem Zu-
drang der Reiselustigen, wie in den Perioden der Excursion-trains, währe
sie oft ununterbrochen 40—50 Stunden. Sie seien gewöhnliche Men-
schen und keine Cyklopen. Auf einem gegebnen Punkt versage ihre Ar-
beitskraft. Torpor ergreife sie. Ihr Hirn höre auf zu denken und ihr
Auge zu sehn. Der ganz und gar „respectable British Juryman“ antwortet
durch ein Verdikt, das sie wegen „manslaughter“ (Todtschlag) vor die
nächsten Assisen schickt, und in einem milden Anhang den frommen
Wunsch äussert, die Herren Kapitalmagnaten der Eisenbahn möchten doch
in Zukunft verschwenderischer im Ankauf der nöthigen Anzahl von „Ar-
beitskräften“ und „enthaltsamer“ oder „entsagender“ oder
„sparsamer“ in der Aussaugung der bezahlten Arbeitskraft sein87)!
Aus dem buntscheckigen Haufen der Arbeiter von allen Professionen,
Altern, Geschlechtern, die eifriger auf uns andrängen als die Seelen der
Erschlagenen auf den Odysseus, und denen man, ohne die Blaubücher
unter ihren Armen, auf den ersten Blick die Ueberarbeit ansieht, greifen
wir noch zwei Figuren heraus, deren frappanter Kontrast beweist, dass
vor dem Kapital alle Menschen gleich sind, — eine Putzmacherin
und einen Grobschmidt.
In den letzten Wochen von Juni 1863 brachten alle Londoner
Tagesblätter einen Paragraph mit dem „sensational“ Aushängeschild:
„Death from simple Overwork“ (Tod von einfacher Ueber-
arbeit). Es handelte sich um den Tod der Putzmacherin Mary Anne
Walkley, zwanzigjährig, beschäftigt in einer sehr respektablen Hofputz-
manufaktur, exploitirt von einer Dame mit dem gemüthlichen Namen
Elise. Die alte oft erzählte Geschichte ward nun neuentdeckt88), dass
diese Mädchen durchschnittlich 16½ Stunden, während der Saison aber
oft 30 Stunden ununterbrochen arbeiten, indem ihre versagende „Arbeits-
kraft“ durch gelegentliche Zufuhr von Sherry, Portwein oder Kaffee flüssig
erhalten wird. Und es war grade die Höhe der Saison. Es galt die
Prachtkleider edler Ladies für den Huldigungsball bei der frisch importir-
ten Prinzessin von Wales im Umsehn fertig zu zaubern. Mary Anne
Walkley hatte 26½ Stunden ohne Unterlass gearbeitet zusammen mit 60
andern Mädchen, je 30 in einem Zimmer, das kaum ⅓ der nöthigen
Kubikzoll Luft gewährte, während sie Nachts zwei zu zwei Ein Bett theil-
ten in einem der Sticklöcher, worin Ein Schlafzimmer durch verschiedne
Bretterwände abgepfercht ist89). Und diess war eine der besseren Putz-
machereien Londons. Mary Anne Walkley erkrankte am Freitag und
starb am Sonntag, ohne, zum Erstaunen von Frau Elise, auch nur vorher
das letzte Putzstück fertig zu machen. Der zu spät ans Sterbebett geru-
fene Arzt, Herr Keys, bezeugte vor der Coroner’s Jury in dürren
Worten: „Mary Anne Walkley sei gestorben an langen Arbeits-
stunden in einem überfüllten Arbeitszimmer und überengem schlecht-
ventilirten Schlafgemache.“ Um dem Arzt eine Lektion in guter Lebens-
art zu geben, erklärte dagegen die „Coroner’s Jury“: „Die Hingeschie-
dene sei gestorben an der Apoplexie, aber es sei Grund zu
fürchten, dass ihr Tod durch Ueberarbeit in einer überfüllten Werk-
statt u. s. w. beschleunigt worden sei.“ Unsere „weissen Skla-
ven,“ rief der Morning Star, das Organ der Freihandelsherrn Cobden
und Bright, „unsere weissen Sklaven werden in das Grab hin-
eingearbeitet und verderben und sterben ohne Sang und Klang90)“.
„Zu Tod arbeiten ist die Tagesordnung, nicht nur in der Werk-
stätte der Putzmacherinnen, sondern in tausend Plätzen, ja an jedem Platz,
wo das Geschäft im Zug ist … Lasst uns den Grobschmidt als Bei-
spiel nehmen. Wenn man den Dichtern glauben darf, giebt es keinen so
lebenskräftigen, lustigen Mann als den Grobschmidt. Er erhebt sich früh
und schlägt Funken vor der Sonne; er isst und trinkt und schläft wie
kein andrer Mensch. Rein physisch betrachtet, befindet er sich, bei mäs-
siger Arbeit, in der That in einer der besten menschlichen Stellungen.
Aber wir folgen ihm in die Stadt, und sehn die Arbeitslast, die auf den
starken Mann gewälzt wird, und welchen Rang nimmt er ein in den Sterb-
lichkeitslisten unsres Landes? Zu Marylebone (einem der grössten Stadt-
viertel Londons) sterben Grobschmidte in dem Verhältniss von 31 per
1000 jährlich, oder 11 über der Durchschnittssterblichkeit erwachsener
Männer in England. Die Beschäftigung, eine fast instinktive Kunst der
Menschheit, an und für sich tadellos, wird durch blosse Uebertreibung der
Arbeit, der Zerstörer des Mannes. Er kann so viel Hammerschläge täg-
lich schlagen, so viel Schritte gehn, so viel Athemzüge holen, so viel Werk
verrichten, und durchschnittlich sage 50 Jahre leben. Man zwingt ihn
so viel mehr Schläge zu schlagen, so viel mehr Schritte zu gehn, so viel
öfter des Tags zu athmen, und alles zusammen seine Lebensaus-
gabe täglich um ein Viertel zu vermehren. Er macht den
Versuch, und das Resultat ist, dass er für eine beschränkte Periode ein
Viertel mehr Werk verrichtet und im 37. Jahr statt im 50. stirbt91)“.
Das konstante Kapital, die Produktionsmittel, sind, vom Standpunkt
des Verwerthungsprozesses betrachtet, nur da, um Arbeit, und
mit jedem Tropfen Arbeit ein proportionelles Quantum Mehr-
arbeit einzusaugen. So weit sie das nicht thun, bildet ihre blosse
Existenz einen negativen Verlust für den Kapitalisten, denn sie
repräsentiren während der Zeit, wo sie brach liegen, nutzlosen Kapital-
vorschuss, und dieser Verlust wird positiv, sobald sie während der In-
tervalle des Arbeitsprozesses zusätzliche Auslagen erheischen, um sie für
den Wiederbeginn des Werks im Gang zu erhalten. Die Verlänge-
rungdes Arbeitstags über die Grenzen des natürlichen
Tags in die Nacht hinein wirkt nur als Palliativ, stillt nur an-
nähernd den Vampyrdurst nach lebendigem Arbeitsblut. Arbeit während
aller 24 Stunden des Tags anzueignen, ist daher der immanente Trieb
der kapitalistischen Produktion. Da diess aber physisch unmöglich, wür-
den dieselben Arbeitskräfte Tag und Nacht fortwährend ausgesaugt,
so bedarf es, zur Ueberwindung des physischen Hindernisses, der Ab-
wechslung zwischen den bei Tag und bei Nacht verspeisten Arbeits-
kräften, eine Abwechslung, die verschiedne Methoden zulässt, z. B. so ge-
ordnet sein kann, dass ein Theil des Arbeiterpersonals eine Woche Tagdienst,
Nachtdienst die andre Woche versieht u. s. w. Man weiss, dass dieses Ablö-
sungssystem, diese Wechselwirthschaft, in der vollblütigen Jugend-
periode der englischen Baumwollindustrie u. s. w. vorherrschte, und u. a.
gegenwärtig in den Baumwollspinnereien von Moskau blüht. Als Sy-
stem existirt dieser 24stündige Produktionsprozess heute noch in vielen
bis jetzt „freien“ Industriezweigen Grossbritaniens, u. a. in den Hoch-
öfen, Schmieden, Walzwerken und andern Metallmanufakturen von Eng-
land, Wales und Schottland. Der Arbeitsprozess umfasst hier ausser den
24 Stunden der 6 Werkeltage grossentheils auch die 24 Stunden des
Sonntags. Die Arbeiter bestehn aus Männern und Weibern, Erwachsenen
und Kindern beiderlei Geschlechts. Das Alter der Kinder und jungen Per-
sonen durchläuft alle Zwischenstufen vom 8. (in einigen Fällen vom 6.)
bis zum 18. Jahr92). In einigen Branchen arbeiten auch die Mädchen
und Weiber des Nachts zusammen mit dem männlichen Personal93).
Von den allgemeinen schädlichen Wirkungen der Nachtarbeit abge-
sehn94), bietet die ununterbrochene, vierundzwanzigstündige Dauer des
Produktionsprozesses höchst willkommene Gelegenheit die Grenze des nomi-
nellen Arbeitstags zu überschreiten. Z. B. in den vorhin erwähnten,
sehr anstrengenden Industriezweigen beträgt der officielle Arbeitstag für
jeden Arbeiter meist 12 Stunden, Nachtstunden oder Tagesstunden.
Aber die Ueberarbeit über diese Grenze hinaus ist in vielen Fällen, um
die Worte des englischen officiellen Berichts zu brauchen, „wirklich
schauderhaft“ („truly fearful“)95). „Kein menschliches Gemüth,“
heisst es, „kann die Arbeitmasse, die nach den Zeugenaussagen durch
Knaben von 9 bis 12 Jahren verrichtet wird, überdenken, ohne unwider-
stehlich zum Schlusse zu kommen, dass dieser Machtmissbrauch der
Eltern und Arbeitgeber nicht länger erlaubt werden darf96).“
„Die Methode Knaben überhaupt abwechselnd Tag und Nacht arbei-
ten zu lassen, führt, sowohl während des Geschäftsdrangs als während
des gewöhnlichen Verlaufs der Dinge, zu schmählicher Verlängerung des
Arbeitstags. Diese Verlängerung ist in vielen Fällen nicht nurgrau-
sam, sondern gradezu unglaublich. Es kann nicht fehlen, dass
aus einer oder der andern Ursache ein Ablösungsknabe hier und da weg-
bleibt. Einer oder mehrere der anwesenden Knaben, die ihren Arbeitstag
bereits vollbracht, müssen dann den Ausfall gut machen. Diess System
ist so allgemein bekannt, dass der manager eines Walzwerks, auf meine
Frage, wie die Stelle der abwesenden Ersatzknaben ausgefüllt würde, ant-
wortete: Ich weiss wohl, dass Sie das eben so gut wissen als ich, und er
nahm keinen Anstand die Thatsache zu gestehn97).“
„In einem Walzwerke, wo der nominelle Arbeitstag für den einzelnen
Arbeiter 11½ Stunden war, arbeitete ein Junge 4 Nächte jede Woche
bis mindestens 8½ Uhr Abends des nächsten Tags und diess während der
6 Monate, wo er engagirt war.“ „Ein Andrer arbeitete im Alter von
9 Jahren manchmal drei zwölfstündige Ablösungstermine
nacheinander, und im Alter von 10 Jahren, zwei Tage und zwei
Nächte nach einander.“ „Ein Dritter, jetzt 10 Jahre, arbeitete
von Morgens 6 Uhr bis 12 Uhr in die Nacht während drei Nächten und
bis 9 Uhr Abends während der andren Nächte.“ „Ein Vierter, jetzt 13
Jahre, arbeitete von 6 Uhr Nachmittags bis den andern Tag 12 Uhr Mit-
tags, während einer ganzen Woche, und manchmal drei Ablösungstermine
nach einander, von Montag Morgen bis Dienstag Nacht.“ „Ein Fünfter,
jetzt 12 Jahre, arbeitete in einer Eisengiesserei zu Stavely von 6 Uhr
Morgens bis 12 Uhr Nachts während 14 Tagen, ist unfähig es länger zu
thun.“ „George Allinsworth, neunjährig: „Ich kam hierhin
letzten Freitag. Nächsten Tag hatten wir um 3 Uhr Morgens anzufangen.
Ich blieb daher die ganze Nacht hier. Wohne 5 Meilen von hier. Schlief
auf der Flur mit einem Schurzfell unter mir und einer kleinen Jacke über
mir. Die zwei andern Tage war ich hier um 6 Uhr Morgens. Ja! diess
ist ein heisser Platz! Bevor ich herkam, arbeitete ich ebenfalls
während eines ganzen Jahres in einem Hochofen. Es war ein
sehr grosses Werk, auf dem Lande. Begann auch Samstag Morgens um
3 Uhr, aber ich konnte wenigstens nach Hause schlafen gehn, weil es nah
war. An andern Tagen fing ich 6 Uhr Morgens an und endete 6 oder
7 Uhr Abends u. s. w.98).“
Lasst uns nun hören, wie das Kapital selbst diess Vierundzwanzig-
Stundensystem auffasst. Die Uebertreibungen des Systems, seinen Missbrauch
zur „grausamen und unglaublichen“ Verlängerung des Arbeitstags, über-
geht es natürlich mit Stillschweigen. Es spricht nur von dem System in
seiner „normalen“ Form.
„Die Herren Naylor und Vickers, Stahlfabrikanten, die zwischen
600 und 700 Personen anwenden, und darunter nur 10 % unter 18 Jah-
ren, und hiervon wieder nur 20 Knaben zum Nachtpersonal, äussern sich
wie folgt: „Die Knaben leiden durchaus nicht von der Hitze. Die Tem-
peratur ist wahrscheinlich 86° bis 90°. . . . . In den Hammer- und
Walzwerken arbeiten die Hände Tag und Nacht ablösungsweise, aber
dahingegen ist auch alles andre Werk Tagwerk, von 6 Uhr Morgens bis
6 Uhr Abends. In der Schmiede wird von 12 Uhr bis 12 Uhr gearbeitet.
Einige Hände arbeiten fortwährend des Nachts ohne
Wechsel zwischen Tag- und Nachtzeit . . . . Wir finden nicht,
dass Tag- oder Nachtarbeit irgend einen Unterschied in der Gesundheit
(der Herren Naylor und Vickers?) macht, und wahrscheinlich schla-
fen Leute besser, wenn sie dieselbe Ruheperiode geniessen, als wenn
sie wechselt . . . . Ungefähr zwanzig Knaben unter 18 Jahren arbeiten
mit der Nachtmannschaft . . . . Wir könntens nicht recht thun (not well do)
ohne die Nachtarbeit von Jungen unter 18 Jahren. Unser Einwurf ist —
die Vermehrung der Produktionskosten . . . . Geschickte
Hände und Häupter von Departements sind schwer zu haben, aber Jungens
kriegt man so viel man will . . . . Natürlich, Anbetrachts der geringen
Proportion von Jungen, die wir verwenden, wären Beschränkungen
der Nachtarbeit von wenig Wichtigkeit oder Interesse für
uns99).“
„Herr J. Ellis, von der Firma der Herren John Brown et Co.,
Stahl- und Eisenwerke, die 3000 Männer und Jungen anwenden, und zwar
für Theil der schweren Stahl- und Eisenarbeit „Tag und Nacht, in Ablö-
sungen“, erklärt, dass in den schweren Stahlwerken einer oder zwei Jungen
auf zwei Männer kommen. Ihr Geschäft zählt 500 Jungen unter 18 Jahren
und davon ungefähr ⅓, oder 170, unter 13 Jahren. Mit Bezug auf
die vorgeschlagne Gesetzänderung meint Herr Ellis: „Ich glaube nicht,
dass es sehr tadelhaft (very objectionable) wäre, keine Person unter
18 Jahren über 12 Stunden aus den 24 arbeiten zu lassen. Aber ich
glaube nicht, dass man irgend eine Linie ziehen kann für die Entbehr-
lichkeit von Jungen über 12 Jahren für die Nachtarbeit. Wir würden
sogar eher ein Gesetz annehmen, keine Jungen unter 13 Jahren oder
selbst so hoch wie 14 Jahre, überhaupt zu verwenden, als ein Ver-
bot die Jungen, die wir einmal haben, während der Nacht zu brauchen.
Die Jungen, die in der Tagesreihe, müssen wechselweis auch in der Nachtreihe
arbeiten, weil die Männer nicht unaufhörlich Nachtarbeit verrichten kön-
nen; es würde ihre Gesundheit ruiniren. Wir glauben jedoch, dass Nacht-
arbeit, wenn die Woche dafür wechselt, keinen Schaden thut. (Die Her-
ren Naylor und Vickers glaubten, übereinstimmend mit dem Besten
ihres Geschäfts, umgekehrt, dass statt der fortwährenden, grade die perio-
disch wechselnde Nachtarbeit möglicher Weise Schaden anrichten kann.)
Wir finden die Leute, die die alternirende Nachtarbeit verrichten, grade
so gesund als die, die nur am Tage arbeiten . . . . Unsere Einwürfe
gegen die Nichtanwendung von Jungen unter 18 Jahren zur Nachtarbeit
würden gemacht werden von wegen Vermehrung der Auslage, aber diess
ist auch der einzige Grund. (Wie cynisch naiv!) Wir glauben, dass diese
Vermehrung grösser wäre, als das Geschäft (the trade) mit schuldiger
Rücksicht auf seine erfolgreiche Ausführung billiger Weise tragen könnte.
(As the trade with dueregard to etc. could fairly bear! Welche brei-
mäulige Phraseologie!) Arbeit ist hier rar, und könnte unzureichend wer-
den unter einer solchen Regulation“ (d. h. Ellis, Brown et Co. könnten
in die fatale Verlegenheit kommen den Werth der Arbeitskraft voll
zahlen zu müssen)100).
Die „Cyklops Stahl- und Eisenwerke“ der Herren Cammell et Co.
werden auf derselben grossen Stufenleiter ausgeführt, wie die des besag-
ten John Brown et Co. Der geschäftsführende Direktor hatte dem Regie-
rungskommissär White seine Zeugenaussage schriftlich eingehändigt, fand
es aber später passend, das zur Revision ihm wieder zurückgestellte Manu-
script zu unterschlagen. Jedoch Herr White hat ein nachhaltiges Gedächt-
niss. Er erinnert sich ganz genau, dass für diese Herrn Cyklopen das
Verbot der Nachtarbeit von Kindern und jungen Personen „ein Ding der
Unmöglichkeit; es wäre dasselbe, als setzte man ihre Werke still“, und
dennoch zählt ihr Geschäft wenig mehr als 6 % Jungen unter 18 und nur
1 % unter 13 Jahren101)!
Ueber denselben Gegenstand erklärt Herr E. F. Sanderson, von
der Firma Sanderson, Bros. et Co., Stahl-Walz- und Schmiedewerke, in
Attercliffe: „Grosse Schwierigkeiten würden entspringen aus dem Verbot
Jungen unter 18 Jahren des Nachts arbeiten zu lassen, die Hauptschwie-
rigkeit aus der Vermehrung der Kosten, welche ein Ersatz der Knaben-
arbeit durch Männerarbeit nothwendig nach sich zöge. Wie viel das
betragen würde, kann ich nicht sagen, aber wahrscheinlich wäre es nicht
so viel, dass der Fabrikant den Stahlpreis erhöhen könnte, und folglich
fiele der Verlust auf ihn, da die Männer (welch querköpfig Volk!) na-
türlich weigern würden, ihn zu tragen.“ Herr Sanderson weiss nicht,
wie viel er den Kindern zahlt, aber „vielleicht beträgt es 4 bis 5 sh. per
Kopf die Woche … Die Knabenarbeit ist von einer Art, wofür im All-
gemeinen („generally,“ natürlich nicht immer „im Besondern“) die
Kraft der Jungens grade ausreicht, und folglich würde kein
Gewinn aus der grössern Kraft der Männer fliessen, um
den Verlust zu kompensire, oder doch nur in den wenigen Fäl-
len, wo das Metall sehr schwer ist. Die Männer würden es auch minder
lieben keine Knaben unter sich zu haben, da Männer minder gehorsam
sind. Ausserdem müssen die Jungen jung anfangen, um das Geschäft zu
lernen. Die Beschränkung der Jungen auf blosse Tagesarbeit würde die-
sen Zweck nicht erfüllen.“ Und warum nicht? Warum können Jungen
ihr Handwerk nicht bei Tag lernen? Deinen Grund? „Weil dadurch die
Männer, die in Wechselwochen bald den Tag, bald die Nacht arbeiten,
von den Jungen ihrer Reihe während derselben Zeit getrennt, halb den
Profit verlieren würden, den sie aus ihnen herausschlagen. Die Anleitung,
die sie den Jungen geben, wird nämlich als Theil des Arbeitslohnes dieser
Jungen berechnet und befähigt die Männer daher die Jungenarbeit wohl-
feiler zu bekommen. Jeder Mann würde seinen halben Profit verlieren.
(In andern Worten, die Herren Sanderson müssten einen Theil des Arbeits-
lohnes der erwachsenen Männer aus eigner Tasche, statt mit der Nachtarbeit
der Jungen zahlen. Der Profit der Herren Sanderson würde bei
dieser Gelegenheit etwas fallen und diess ist der Sanderson’sche
gute Grund, warum Jungen ihr Handwerk nicht bei Tag lernen
können102).) Ausserdem würde diess reguläre Nachtarbeit auf die
Männer werfen, die nun von den Jungen abgelöst werden, und sie würden
das nicht aushalten. Kurz und gut, die Schwierigkeiten wären
so gross, dass sie wahrscheinlich zur gänzlichen Unterdrückung
der Nachtarbeit führen würden.“ „Was die Produktion von Stahl
selbst angeht,“ sagt E. F. Sanderson, „würde es nicht den geringsten
Unterschied machen, aber!“ Aber die Herren Sanderson haben mehr
zu thun als Stahl zu machen. Die Stahlmacherei ist blosser Vorwand der
Plusmacherei. Die Schmelzöfen, Walzwerke u.s. w., die Baulichkeiten, die
Maschinerie, das Eisen, die Kohle u. s. w. haben mehr zu thun als sich
in Stahl zu verwandeln. Sie sind da, um Mehrarbeit einzusaugen und
saugen natürlich mehr davon in 24 Stunden als in 12 Stunden ein. Sie
geben in der That von Gottes und Rechtswegen den Sandersons eine An-
weisung auf die Arbeitszeit einer gewissen Anzahl von Händen für volle
24 Stunden des Tags, und verlieren ihren Kapitalcharakter, sind
daher reiner Verlust für die Sandersons, sobald ihre Funktion der
Arbeitseinsaugung unterbrochen wird. „Aber dann wäre da der Ver-
lust so viel kostspieliger Maschinerie, welche die halbe Zeit brach läge,
und für eine solche Produktenmasse, wie wir fähig sind, sie bei dem
gegenwärtigen System zu leisten, müssten wir Räumlichkeiten und
Maschinenwerke verdoppeln, was die Auslage verdoppeln würde.“ Aber
warum sollen grade diese Sandersons ein Privilegium der Arbeitsausbeutung
vor den andern Kapitalisten geniessen, die nur bei Tag arbeiten lassen
dürfen und deren Baulichkeiten, Maschinerie, Rohmaterial daher bei Nacht
„brach“ liegen? „Es ist wahr“, antwortet E. F. Sanderson im Namen
aller Sandersons, „es ist wahr, dass dieser Verlust von brachliegender
Maschinerie alle Manufakturen trifft, worin nur bei Tag gearbeitet wird.
Aber der Gebrauch der Schmelzöfen würde in unserem Fall einen Extra-
verlust verursachen. Hält man sie im Gang, so wird Brennmaterial ver-
wüstet, (statt dass jetzt das Lebensmaterial der Arbeiter verwüstet wird)
und hält man sie nicht im Gang, so setzt das Zeitverlust im Wiederan-
legen des Feuers und zur Gewinnung des nöthigen Hitzegrads (während
der Verlust, selbst Achtjähriger, an Schlafzeit Gewinn von Arbeitszeit für
die Sandersonsippe) und die Oefen selbst würden vom Temperaturwechsel
leiden“ (während doch dieselbigen Oefen nichts leiden vom Tag- und
Nachtwechsel der Arbeit)103).
„Was ist ein Arbeitstag?“ Wie gross ist die Zeit, während deren
das Kapital die Arbeitskraft, deren Tageswerth es zahlt, konsumiren darf?
Wie weit kann der Arbeitstag verlängert werden über die zur Repro-
duktion der Arbeitskraft selbst nothwendige Arbeitszeit? Auf diese Fragen,
man hat es gesehn, antwortet das Kapital: der Arbeitstag zählt täg-
lich volle 24 Stunden nach Abzug der wenigen Ruhestunden, ohne
welche die Arbeitskraft ihren erneuerten Dienst absolut versagt. Es ver-
steht sich zunächst von selbst, dass der Arbeiter seinen ganzen Lebenstag
durch nichts ist ausser Arbeitskraft, dass daher alle seine dis-
ponible Zeit von Natur und Rechtswegen Arbeitszeit ist, also der
Selbstverwerthung des Kapitals angehört. Zeit zu menschlicher
Bildung, zu geistiger Entwicklung, zur Erfüllung sozialer Funktionen, zu
geselligem Verkehr, zum freien Spiel der physischen und geistigen Leibes-
kräfte, selbst die Feierzeit des Sonntags — und wäre es im Lande der
Sabbathheiligen104) — reiner Firlefanz! Aber in seinem masslos blin-
den Trieb, seinem Wehrwolfs-Heisshunger nach Mehrarbeit überrennt das
Kapital nicht nur die moralischen, sondern auch die rein-
physischen Maximalschranken des Arbeitstags. Es usur-
pirt die Zeit für Wachsthum, Entwicklung und gesunde Erhaltung des
Körpers. Es raubt die Zeit, erheischt zum Verzehr von freier Luft und
Sonnenlicht. Es knickert ab an der Mahlzeit und einverleibt sie, wo mög-
lich, dem Produktionsprozess selbst, so dass dem Arbeiter als blossem Pro-
duktionsmittel Speisen zugesetzt werden, wie dem Dampfkessel Kohle
und der Maschinerie Talg oder Oel. Den gesunden Schlaf zur Sammlung,
Erneurung und Erfrischung der Lebenskraft reduzirt es auf so viel Stun-
den dumpfen Torpor als die Wiederbelebung eines absolut erschöpften
Organismus unentbehrlich macht. Statt dass die normale Erhaltung
der Arbeitskraft hier die Schranke des Arbeitstags, bestimmt umgekehrt
die grösste täglich mögliche Verausgabung der Arbeitskraft, wie krankhaft
gewaltsam und peinlich auch immer, die Schranke für die Rastzeit des
Arbeiters. Das Kapital fragt nicht nach der Lebensdauer der Ar-
beitskraft. Was es interessirt, ist einzig und allein das Maximum
von Arbeitskraft, das in einem Arbeitstag flüssig gemacht werden kann.
Es erreicht diess Ziel durch Verkürzung der Dauer der Arbeits-
kraft, wie ein habgieriger Landwirth gesteigerten Bodenertrag durch
Beraubung der Bodenfruchtbarkeit erreicht.
Die kapitalistische Produktion, die wesentlich Produktion von Mehr-
werth, Einsaugung von Mehrarbeit ist, produzirt also mit der Verlängerung
des Arbeitstags nicht nur die Verkümmerung der menschlichen Arbeits-
kraft, die sie ihrer normalen moralischen und physischen Entwicklungs-
und Bethätigungsbedingungen beraubt. Sie produzirt die vorzei-
tige Erschöpfung und Abtödtung der Arbeitskraft selbst105).
Sie verlängert die Produktionszeit des Arbeiters während eines gege-
benen Termins durch Verkürzung seiner Lebenszeit.
Der Werth der Arbeitskraft schliesst aber den Werth der
Waaren ein, welche zur Reproduktion des Arbeiters oder zur Fortpflan-
zung der Arbeiterklasse erheischt sind. Wenn also die naturwidrige Ver-
längerung des Arbeitstags, die das Kapital in seinem masslosen Trieb nach
Selbstverwerthung nothwendig anstrebt, die Lebensperiode der einzelnen
Arbeiter und damit die Dauer ihrer Arbeitskraft verkürzt, wird rascherer
Ersatz der Verschlissenen nöthig, also das Eingehn grösserer Verschleiss-
kosten in die Reproduktion der Arbeitskraft, ganz wie der täglich zu repro-
duzirende Werththeil einer Maschine um so grösser ist, in je kürzerer Zeit
sie verschleisst. Das Kapital scheint daher durch sein eignes Interesse
auf einen Normal-Arbeitstag hingewiesen.
Der Sklavenhalter kauft seinen Arbeiter, wie er sein Pferd kauft.
Mit dem Sklaven verliert er ein Kapital, das durch neue Auslage auf dem
Sklavenmarkt ersetzt werden muss. Aber „die Reisfelder von Georgien
und die Sümpfe des Mississippi mögen fatalistisch zerstörend auf die
menschliche Constitution wirken; dennoch ist diese Verwüstung von
menschlichem Leben nicht so gross, dass sie nicht gut gemacht werden
könnte aus den strotzenden Gehegen von Virginien und Kentucky. Oeko-
nomische Rücksichten, die eine Art Sicherheit für die menschliche Behand-
lung des Sklaven bieten könnten, sofern sie das Interesse des Herrn mit der
Erhaltung des Sklaven identifiziren, verwandeln sich, nach Einführung des
Sklavenhandels, umgekehrt in Gründe der extremsten Zugrunderichtung
des Sklaven, denn sobald sein Platz einmal durch Zufuhr aus fremden
Negergehegen ausgefüllt werden kann, wird die Dauer seines
Lebens minder wichtig als dessen Produktivität, so lange
es dauert. Es ist daher eine Maxime der Sklavenwirthschaft in Län-
dern der Sklaveneinfuhr, dass die wirksamste Oekonomie darin besteht, die
grösstmöglichste Masse Leistung in möglichst kurzer Zeit dem Menschen-
vieh (human chattle) auszupressen. Es ist in tropischer Kultur, wo die
jährlichen Profite oft dem Gesammtkapital der Pflanzungen gleich sind,
dass Negerleben am rücksichtslosesten geopfert wird. Es ist die Agri-
kultur Westindiens, seit Jahrhunderten die Wiege fabelhaften Reichthums,
die Millionen der afrikanischen Race verschlungen hat. Es ist heut zu
Tage in Cuba, dessen Revenüen nach Millionen zählen, und dessen Pflan-
zer Fürsten sind, wo wir bei der Sklavenklasse, ausser der gröbsten Nah-
rung, der erschöpfendsten und unablässigsten Plackerei, einen grossen Theil
durch die langsame Tortur von Ueberarbeit und Mangel
an Schlaf und Erholung jährlich direkt zerstört sehn“106).
Mutato nomine de te fabula narratur! Lies statt Sklavenhandel
Arbeitsmarkt, statt Kentucky und Virginien Irland und die Agrikulturdi-
strikte von England, Schottland und Wales, statt Afrika Deutschland! Wir
hörten, wie die Ueberarbeit mit den Bäckern in London aufräumt, und den-
noch ist der Londoner Arbeitsmarkt stets überfüllt mit deutschen und
anderen Todeskandidaten für die Bäckerei. Die Töpferei, wie wir sahen,
ist einer der kurzlebigsten Industriezweige. Fehlt es desswegen an
Töpfern? Josiah Wedgwood, der Erfinder der modernen Töpferei,
von Haus selbst ein gewöhnlicher Arbeiter, erklärte 1785 vor dem Hause
der Gemeinen, dass die ganze Manufaktur 15 bis 20,000 Personen be-
schäftige107). Im Jahr 1861 betrug die Bevölkerung allein der städti-
schen Sitze dieser Industrie in Grossbritanien 101,302. „Die Baumwoll-
industrie zählt 90 Jahre . . . . In drei Generationen der englischen Race
hat sie neun Generationen von Baumwollarbeitern verspeist108)“. Aller-
dings, in einzelnen Epochen fieberhaften Aufschwungs zeigte der Arbeits-
markt bedenkliche Lücken. So z. B. 1834. Aber die Herrn Fabrikanten
schlugen nun den Poor Law Commissioners vor die „Uebervölkerung“
der Ackerbaudistrikte nach dem Norden zu schicken, mit der Erklärung,
dass die Fabrikanten sie absorbiren und konsumiren
würden109). Diess waren ihre eigensten Worte. „Agenten wurden zu
Manchester bestallt mit Einwilligung der Poor Law Commissioners. Agri-
kulturarbeiterlisten wurden ausgefertigt und diesen Agenten übermacht.
Die Fabrikanten liefen in die Büreaus, und nachdem sie, was ihnen passte,
ausgewählt, wurden die Familien vom Süden Englands verschickt. Diese
Menschenpackete wurden geliefert mit Etiquetten gleich so viel Güter-
ballen, auf Kanal und Lastwagen, — einige strolchten zu Fusse nach und
viele irrten verloren und halbverhungert in den Manufakturdistrikten um-
her. Diess entwickelte sich zu einem wahren Handelszweig. Das Haus
der Gemeinen wird es kaum glauben. Dieser regelmässige Handel, die-
ser Schacher in Menschenfleisch, dauerte fort, und diese Leute wurden ge-
kauft und verkauft von den Manchester Agenten an die Manchester Fabri-
kanten, ganz so regelmässig wie Neger an die Baumwollpflanzer der süd-
lichen Staaten . . . . Das Jahr 1860 bezeichnet das Zenith der Baum-
wollindustrie. Es fehlte wieder an Händen. Die Fabrikanten wandten
sich wieder an die Fleischagenten und diese durchstöberten die Dünen von
Dorset, die Hügel von Devon und die Ebenen von Wilts, aber die Ueber-
völkerung war bereits verspeist. Der „Bury Guardian“ jammerte,
dass 10,000 zusätzliche Hände nach Abschluss des englisch-französischen
Handelsvertrags absorbirt werden könnten und bald an 30 oder 40,000
mehr nöthig sein würden. Nachdem die Agenten und Subagenten des
Fleischhandels die Agrikulturdistrikte 1860 ziemlich resultatlos durchge-
fegt, wandte sich eine Fabrikantendeputation an Herrn Villiers, den
Präsidenten des Poor Law Board, um wieder wie früher Zufuhr der Armen-
und Waisenkinder aus den Workhouses erlaubt zu erhalten110).“
Was die Erfahrung dem Kapitalisten im Allgemeinen zeigt, ist
eine beständige Uebervölkerung, d. h. Uebervölkerung im Verhältniss
zum augenblicklichen Verwerthungsbedüfniss des Kapitals, obgleich sie
aus verkümmerten, schnell hinlebenden, sich rasch verdrängenden, so zu
sagen unreif gepflückten Menschengenerationen ihren Strom bildet111).
Allerdings zeigt die Erfahrung dem verständigen Beobachter auf der an-
dern Seite, wie rasch und tief die kapitalistische Produktion, die, geschicht-
lich gesprochen, kaum von gestern datirt, die Volkskraft an der Lebens-
wurzel ergriffen hat, wie die Degeneration der industriellen Bevölkerung
nur durch beständige Absorption naturwüchsiger Lebenselemente vom
Lande verlangsamt wird, und wie selbst die ländlichen Arbeiter, trotz
freier Luft und des unter ihnen so allmächtig waltenden principle of na-
tural selection, das nur die kräftigsten Individuen aufkommen lässt, schon
abzuleben beginnen112). Das Kapital, das so „gute Gründe“ hat, die
Leiden der es umgebenden Arbeitergeneration zu läugnen, wird in seiner
praktischen Bewegung durch die Aussicht auf zukünftige Verfaulung der
Menschheit und schliesslich doch unaufhaltsame Entvölkerung so wenig und
so viel bestimmt als durch den möglichen Fall der Erde in die Sonne. In
jeder Aktienschwindelei weiss jeder, dass das Unwetter einmal einschlagen
muss, aber jeder hofft, dass es das Haupt seines Nächsten trifft, nachdem
er selbst den Goldregen aufgefangen und in Sicherheit gebracht hat.
Après moile déluge! ist der Wahlruf jedes Kapitalisten und jeder Ka-
pitalistennation. Das Kapital ist daher rücksichtslos gegen Gesundheit und
Lebensdauer des Arbeiters, wo es nicht durch die Gesellschaft
zur Rücksicht gezwungen wird113). Der Klage über physische
und geistige Verkümmerung, vorzeitigen Tod, Tortur der Ueberarbeit, ant-
wortet es: Sollte diese Qual uns quälen, da sie unsre Lust (den Profit)
vermehrt? Im Grossen und Ganzen hängt diess aber auch nicht vom
guten oder bösen Willen des einzelnen Kapitalisten ab. Die freie Kon-
kurrenz macht die immanenten Gesetze der kapitali-
stischen Produktion dem einzelnen Kapitalisten gegenüber als
äusserliches Zwangsgesetz geltend114).
Die Festsetzung eines normalen Arbeitstags ist das
Resultat eines vielhundertjährigen Kampfes zwischen
Kapitalist und Arbeiter. Doch zeigt die Geschichte dieses Kampfes
zwei entgegengesetzte Strömungen. Man vergleiche z. B. die englische
Fabrikgesetzgebung unserer Zeit mit den englischen Arbeitsstatuten vom 14.
bis tief in die Mitte des 18. Jahrhunderts115). Während das moderne Fabrik-
gesetz den Arbeitstag gewaltsam abkürzt, suchen ihn jene Statute gewalt-
sam zu verlängern. Allerdings erscheinen die Ansprüche des Ka-
pitals im Embryozustand, wo es erst wird, also noch nicht durch blosse Ge-
walt der ökonomischen Verhältnisse, sondern auch durch Hilfe der Staats-
macht sein Einsaugungsrecht eines genügenden Quantums Mehrarbeit sichert,
ganz und gar bescheiden, vergleicht man sie mit den Konzessionen,
die es in seinem Mannesalter knurrend und widerstrebig machen muss.
Es kostet Jahrhunderte, bis der „freie“ Arbeiter, in Folge entwickelter
kapitalistischer Produktionsweise, sich freiwillig dazu versteht, d. h.
gesellschaftlich gezwungen ist, für den Preis seiner gewohnheits-
mässigen Lebensmittel seine ganze aktive Lebenszeit, ja seine
Arbeitsfähigkeit selbst, seine Erstgeburt für ein Gericht Linsen zu ver-
kaufen. Es ist daher natürlich, dass die Verlängerung des Ar-
beitstags, die das Kapital von Mitte des 14. bis Ende des 17. Jahr-
hunderts staatsgewaltig den volljährigen Arbeitern aufzu-
dringen sucht, ungefähr mit der Schranke der Arbeitszeit zu-
sammenfällt, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Verwand-
lung von Kinderblut in Kapital hier und da von Staatswegen gezogen
wird. Was heute, z. B. im Staate Massachussetts, bis jüngst dem
freisten Staate der nordamerikanischen Republik, als Staatsschranke der
Arbeit von Kindern unter 12 Jahren proklamirt ist, war in England noch
Mitte des 17. Jahrhunderts der normale Arbeitstag vollblütiger
Handwerker, robuster Ackerknechte und riesenhafter Grobschmidte116).
Das erste „Statute of Labourers“ (23 Eduard III. 1349) fand
seinen unmittelbaren Vorwand (nicht seine Ursache, denn die Gesetz-
gebung dieser Art dauert Jahrhunderte fort ohne den Vorwand) in der grossen
Pest, welche die Bevölkerung dezimirte, so dass, wie ein Tory Schriftsteller
sagt, „die Schwierigkeit Arbeiter zu raisonablen Preisen (d. h. zu
Preisen, die ihren Anwendern ein raisonables Quantum Mehrarbeit liessen)
an die Arbeit zu setzen, in der That unerträglich wurde117)“. Raisonable
Arbeitslöhne wurden daher zwangsgesetzlich diktirt, ebenso wie die Grenze
des Arbeitstags. Der letztere Punkt, der uns hier allein interessirt, ist
wiederholt in dem Statut von 1496 (unter Henry VIII). Der Arbeitstag
für alle Handwerker (artificers) und Ackerbauarbeiter vom
März bis September sollte damals, was jedoch nie durchgesetzt wurde,
dauern von 5 Uhr Morgens bis zwischen 7 und 8 Uhr Abends, aber die
Stunden für Mahlzeiten betragen 1 Stunde für Frühstück, 1½ Stunden für
Mittagsessen, und ½ Stunde für Vieruhrenbrod, also grade doppelt so
viel als nach dem jetzt gültigen Fabrikakt118). Im Winter sollte ge-
arbeitet werden von 5 Uhr Morgens bis zum Dunkeln, mit denselben Unter-
brechungen. Ein Statut der Elisabeth von 1562 für alle Arbei-
ter, „gedungen für Lohn per Tag oder Woche“, lässt die Länge des Ar-
beitstags unberührt, sucht aber die Zwischenräume zu beschränken auf
2½ Stunden für den Sommer und 2 für den Winter. Das Mittagsessen
soll nur eine Stunde dauern und „der Nachmittagsschlaf von ½ Stunde“
nur zwischen Mitte Mai und Mitte August erlaubt sein. Für jede Stunde
Abwesenheit soll 1 d. (etwa 10 Pfennige) vom Lohn abgehen. In der
Praxis jedoch war das Verhältniss den Arbeitern viel günstiger als im
Statutenbuch. Der Vater der politischen Oekonomie und gewissermassen
der Erfinder der Statistik, William Petty, sagt in einer Schrift, die er
im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts veröffentlichte: „Arbeiter (labou-
ring men, eigentlich damals Ackerbauarbeiter) arbeiten 10 Stunden
täglich und nehmen wöchentlich 20 Mahlzeiten ein, nämlich an Arbeits-
tagen täglich drei und an Sonntagen zwei; woraus man klärlich sieht, dass,
wenn sie an Freitag Abenden fasten wollten und in anderthalb Stun-
den zu Mittag speisen wollten, während sie jetzt zu dieser Mahlzeit
zwei Stunden brauchen, von 11 bis 1 Uhr Morgens, wenn sie also mehr arbeiteten und
weniger verzehrten, das Zehntel der oben
erwähnten Steuer aufbringbar wäre119)“. Hatte Dr. Andrew Ure nicht
Recht, die Zwölfstundenbill von 1833 als Rückgang in die Zeiten der Fin-
sterniss zu verschreien? Allerdings gelten die in den Statuten und von
Petty erwähnten Bestimmungen auch für „apprentices“ (Lehrlinge).
Wie es aber noch Ende des 17. Jahrhunderts mit der Kinderarbeit
stand, ersieht man aus folgender Klage: „Unsere Jugend, hier in Eng-
land, treibt gar nichts bis zu der Zeit wo sie Lehrlinge werden, und dann
brauchen sie natürlich lange Zeit — sieben Jahre — um sich zu vollkom-
menen Handwerkern zu bilden“. Deutschland wird dagegen gerühmt, weil
dort die Kinder von der Wiege auf wenigstens zu „ein bischen Beschäf-
tigung erzogen werden“120).
Noch während des grössten Theils des 18. Jahrhunderts, bis
zur Epoche der grossen Industrie, war es dem Kapital in England nicht
gelungen, durch Zahlung des wöchentlichen Werths der Arbeitskraft sich
der ganzen Wochenarbeit des Arbeiters, mit Ausnahme je-
doch des Agrikulturarbeiters, zu bemächtigen. Der Umstand,
dass sie eine ganze Woche mit dem Lohn von 4 Tagen leben konnten,
schien den Arbeitern kein hinreichender Grund, auch die andren zwei Tage
für den Kapitalisten zu arbeiten. Eine Seite der englischen Oekonomen
denuncirte im Dienst des Kapitals diesen Eigensinn auf’s Wüthendste, eine
andre Seite vertheidigte die Arbeiter. Hören wir z. B. die Polemik zwi-
schen Postlethwaite, dessen Handels-Diktionnair damals denselben
Ruf genoss wie heut zu Tage ähnliche Schriften von Mac Culloch und Mac
Gregor, und dem früher citirten Verfasser des „Essay on Trade
and Commerce“121).
Postlethwaite sagt u. a.: „Ich kann diese wenigen Bemerkun-
gen nicht abschliessen, ohne Notiz zu nehmen von der trivialen Redens-
art in dem Munde zu vieler, dass wenn der Arbeiter (industrious poor)
in 5 Tagen genug erhalten kann um zu leben, er nicht volle 6 Tage ar-
beiten will. Daher schliessen sie auf die Nothwendigkeit, selbst die
nothwendigen Lebensmittel durch Steuern oder irgend welche andre Mittel
zu vertheuern, um den Handwerker und Manufakturarbeiter zu unausge-
setzter sechstägiger Arbeit in der Woche zu zwingen. Ich muss um
die Erlaubniss bitten, andrer Meinung zu sein als diese grossen Politiker,
welche für die beständige Sklaverei der Arbeiterbevölke-
rung dieses Königreichs („the perpetual slavery of the working people“)
die Lanze einlegen; sie vergessen das Sprichwort „all work and no
play“ (nur Arbeit, und kein Spiel, macht dumm). Brüsten sich die
Engländer nicht mit der Genialität und Gewandtheit ihrer Handwerker und
Manufakturarbeiter, die bisher den britischen Waaren allgemeinen Kredit
und Ruf verschafft haben? Welchem Umstand war diess geschuldet?
Wahrscheinlich keinem andern als der Art und Weise, wie unser Arbeits-
volk, eigenlaunig, sich zu zerstreuen weiss. Wären sie gezwungen das
ganze Jahr durchzuarbeiten, alle sechs Tage in der Woche, in
steter Wiederholung desselben Werkes, würde das nicht ihre Genialität ab-
stumpfen, und sie dumm-träg statt munter und gewandt machen; und
würden unsere Arbeiter in Folge solcher ewigen Sklaverei ihren
Ruf nicht verlieren statt erhalten? Welche Art Kunstgeschick könnten wir
erwarten von solch hart geplackten Thieren? (hard driven ani-
mals) . . . . Viele von ihnen verrichten soviel Arbeit in 4 Tagen als ein
Franzose in 5 oder 6. Aber wenn Engländer ewige Schanzarbeiter sein
sollen, so steht zu fürchten, dass sie noch unter die Franzosen entarten
(degenerate) werden. Wenn unser Volk wegen seiner Tapferkeit im
Krieg berühmt ist, sagen wir nicht, dass diess einerseits dem guten eng-
lischen Roastbeef und Pudding in seinem Leibe, andrerseits nicht minder
unsrem konstitutionellen Geiste der Freiheit geschuldet ist? Und warum
sollte die grössere Genialität, Energie und Gewandtheit unserer Handwer-
ker und Manufakturarbeiter nicht der Freiheit geschuldet sein, womit sie
sich in ihrer eignen Art und Weise zerstreuen? Ich hoffe, sie werden
nie weder diese Privilegien verlieren, noch das gute Le-
ben, woraus ihre Arbeitstüchtigkeit und ihr Muth gleichmässig her-
stammen“!122)
Darauf antwortet der Verfasser des „Essay on Trade and Com-
merce“:
„Wenn es für eine göttliche Einrichtung gilt, den siebenten Tag
der Woche zu feiern, so schliesst diess ein, dass die andern Wochentage
der Arbeit (er meint dem Kapital, wie man gleich sehn wird) angehö-
ren, und es kann nicht grausam gescholten werden, diess Gebot Gottes zu
erzwingen . . . . . Dass die Menschheit im Allgemeinen von Natur zur
Bequemlichkeit und Trägheit neigt, davon machen wir die fatale Erfah-
rung im Betragen unsres Manufakturpöbels, der durchschnittlich
nicht über 4 Tage die Wochearbeitet, ausser im Fall einer
Theurung der Lebensmittel . . . . Gesetzt ein Bushel Weizen repräsentire
alle Lebensmittel des Arbeiters, koste 5 sh., und der Arbeiter verdiene
einen Shilling täglich durch seine Arbeit. Dann braucht er bloss 5 Tage
in der Woche zu arbeiten; nur 4, wenn der Bushel 4 sh. beträgt . . . .
Da aber der Arbeitslohn in diesem Königreich viel höher steht, verglichen
mit dem Preise der Lebensmittel, so besitzt der Manufakturarbeiter, der
4 Tage arbeitet, einen Geldüberschuss, womit er während des Rests der
Woche müssig lebt . . . . Ich hoffe, ich habe genug gesagt, um klar zu
machen, dass mässiges Arbeiten von 6 Tagen in der Woche
keine Sklaverei ist. Unsere Agrikulturarbeiter thun diess
und, allem Anschein nach, sind sie die Glücklichsten unter den Arbeitern
(labouring poor)123), aber die Holländer thun es in den Manufak-
turen und scheinen ein sehr glückliches Volk. Die Franzosen thun
es, so weit nicht die vielen Feiertage dazwischen kommen124) . . . .
Aber unser Manufakturpöbel hat sich die fixe Idee in den Kopf gesetzt,
dass sie als Engländer durch das Recht der Geburt das Privilegium be-
sitzen, freier und unabhängiger zu sein als die Arbeiter in irgend
einem andern Lande von Europa. Nun, diese Idee, so weit sie auf die
Tapferkeit unserer Soldaten einwirkt, mag von einigem Nutzen sein; aber
je weniger die Manufakturarbeiter davon haben, desto besser für sie selbst
und den Staat. Arbeiter sollten sich nie für unabhängig von ihren
Vorgesetzten („independent of their superiors“) halten . . . . Es ist
ausserordentlich gefährlich, mobs in einem kommerziellen Staat wie dem
unsrigen zu encouragiren, wo vielleicht 7 Theile von den 8 der Gesammt-
bevölkerung Leute mit wenig oder keinem Eigenthum sind125) . . . . .
Die Kur wird nicht vollständig sein, bis unsre industriellen Armen
sich bescheiden, 6 Tage für dieselbe Summe zu arbeiten,
die sie nun in 4 Tagen verdienen“126). Zu diesem Zwecke, wie
zur „Ausrottung der Faullenzerei, Ausschweifung und romantischen Frei-
heitsduselei“, ditto „zur Minderung der Armentaxe, Förderung des Gei-
stes der Industrie und Herabdrückung des Arbeitspreises in
den Manufakturen“, schlägt unser treuer Eckart des Kapitals das
probate Mittel vor, solche Arbeiter, die der öffentlichen Wohlthätigkeit
anheimfallen, in einem Wort, paupers, einzusperren in ein „ideales
Arbeitshaus“ (an ideal Workhouse). „Ein solches Haus muss
zu einem Hause des Schreckens (House of Terror) gemacht
werden127). In diesem „Hause des Schreckens“, diesem „Ideal
von einem Workhouse“, soll gearbeitet werden 14 Stunden täglich
mit Einbegriff jedoch der passenden Mahlzeiten, so dass volle 12 Ar-
beitsstunden übrig bleiben“128).
Zwölf Arbeitsstunden täglich im „Workhaus-Ideal“,
im Hause des Schreckens von 1770! Drei und sechzig Jahre
später, 1833, als das englische Parlament in vier Fabrikzweigen den
Arbeitstag für Kinder von 13 bis 18 Jahren auf zwölf volle Arbeits-
stunden herabsetzte, schien der jüngste Tag der englischen In-
dustrie angebrochen! 1852, als L. Bonaparte bürgerlich Fuss zu fassen
suchte durch Rütteln am gesetzlichen Arbeitstag, schrie das französische
Arbeitervolk aus einem Munde: „Das Gesetz, das den Arbeitstag
auf 12 Stunden verkürzt, ist das einzige Gut, das uns von der
Gesetzgebung der Republik blieb“129)! In Zürich ist die Arbeit von
Kindern über 10 Jahren auf 12 Stunden beschränkt; im Aargau
wurde 1862 die Arbeit von Kindern zwischen 13 und 16 Jahren von
12½ auf 12 Stunden reducirt, in Oestreich 1860 für Kin-
der zwischen 14 und 16 Jahren ditto auf 12 Stunden130). Welch
ein „Fortschritt seit 1770“ würde Macaulay „mit Exultation“
aufjauchzen!
Das „Haus des Schreckens“ für Paupers, wovon die Kapital-
seele 1770 noch träumte, erhob sich wenige Jahre später als riesiges
„Arbeitshaus“ für die Manufakturarbeiter selbst. Es hiess Fabrik.
Und diessmal erblasste das Ideal vor der Wirklichkeit.
Nachdem das Kapital Jahrhunderte gebraucht, um den Arbeits-
tag bis zu seinen normalen Maximalgrenzen und dann über diese
hinaus, bis zu den Grenzen des natürlichen Tags von 12
Stunden zu verlängern131), erfolgte nun, seit der Geburt der gros-
sen Industrie im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts, eine lawinenartig
gewaltsame und masslose Ueberstürzung. Jede Schranke von Sitte und
Natur, Alter und Geschlecht, Tag und Nacht, wurde zertrümmert. Selbst
die Begriffe von Tag und Nacht, bäuerlich einfach in den alten Statuten,
verschwammen so sehr, dass ein englischer Richter noch 1860 wahrhaft
talmudistischen Scharfsinn aufbieten musste, um „urtheilskräftig“ zu er-
klären, was Tag und Nacht sei132). Das Kapital feierte seine Orgien.
Sobald die vom Produktionslarm übertölpelte Arbeiterklasse wieder
einigermassen zur Besinnung kam, begann ihr Widerstand, zunächst im
Geburtsland der grossen Industrie, in England. Während drei Decennien
jedoch blieben die von ihr ertrotzten Konzessionen rein nominell. Das
Parlament erliess 5 Arbeits-Akte von 1802 bis 1833, war aber so schlau
keinen Pfennig für ihre zwangsmässige Ausführung, das nöthige Beamten-
personal u. s. w. zu votiren133). Sie blieben ein todter Buchstabe. „Die
Thatsache ist, dass vor dem Akt von 1833 Kinder und junge Per-
sonen abgearbeitet wurden („were worked“) die ganze Nacht, den ganzen
Tag, oder beide ad libitum“134).
Erst seit dem Fabrikakt von 1833 — umfassend Baumwoll-,
Wolle-, Flachs- und Seidenfabriken — datirt für die moderne Industrie ein
Normalarbeitstag. Nichts charakterisirt den Geist des Kapi-
tals besser als die Geschichte der englischen Fabrikgesetzgebung von
1833 bis 1864!
Das Gesetz von 1833 erklärt, „der gewöhnliche Fabrik-
Arbeitstag solle beginnen um halb 6 Uhr Morgens und enden halb 9 Uhr
Abends, und innerhalb dieser Schranken, einer Periode von 15
Stunden, solle es gesetzlich sein junge Personen (d. h. Personen zwi-
schen 13 und 18 Jahren) zu irgend einer Zeit des Tages anzuwen-
den, immer vorausgesetzt, dass keine individuelle junge Person
mehr als 12 Stunden innerhalb Eines Tags arbeite, mit
Ausnahme gewisser speziell vorgesehner Fälle“. Die 6. Sektion des Akts
bestimmt, „dass im Laufe jedes Tags jeder solchen Person von beschränk-
ter Arbeitszeit mindestens 1½ Stunden für Mahlzeiten eingeräumt werden
sollen“. Die Anwendung von Kindern unter 9 Jahren, mit später
zu erwähnender Ausnahme, ward verboten, die Arbeit der Kinder von
9 bis 13 Jahren auf 8 Stunden täglich beschränkt. Nacht-
arbeit, d. h. nach diesem Gesetz, Arbeit zwischen halb 9 Uhr Abends
und halb 6 Uhr Morgens, ward verboten für alle Personen zwischen 9 und
18 Jahren.
Die Gesetzgeber waren so weit entfernt, die Freiheit des Kapi-
tals in Aussaugung der erwachsenen Arbeitskraft, oder, wie sie es nann-
ten, „die Freiheit der Arbeit“ antasten zu wollen, dass sie ein
eignes System ausheckten, um solcher haarsträubenden Konsequenz des
Fabrikakts vorzubeugen.
„Das grosse Uebel des Fabriksystems, wie es gegenwärtig einge-
richtet ist“, heisst es im ersten Bericht des Centralraths der Kommission
vom 25. Juni 1833, „besteht darin, dass es die Nothwendigkeit schafft, die
Kinderarbeit zur äussersten Länge des Arbeitstags der Erwachsenen aus-
zudehnen. Das einzige Heilmittel für diess Uebel, ohne Beschrän-
kung der Arbeit der Erwachsenen, woraus ein Uebel ent-
springen würde grösser als das, dem vorgebeugt werden
soll, scheint der Plan doppelte Reihen von Kindern zu verwenden“. Unter
dem Namen Relaissystem („System of Relays“; Relay heisst
im Englischen wie im Französischen: das Wechseln der Postpferde auf
verschiedenen Stationen) wurde daher dieser „Plan“ ausgeführt, so dass
z. B. von halb 6 Uhr Morgens bis halb zwei Uhr Nachmittags eine Reihe
von Kindern zwischen 9 und 13 Jahren, von halb zwei Uhr Nachmittags
bis halb 9 Uhr Abend eine andre Reihe vorgespannt wird u. s. w.
Zur Belohnung dafür, dass die Herrn Fabrikanten alle während der
letzten 22 Jahre erlassnen Gesetze über Kinderarbeit aufs frechste ignorirt
hatten, ward ihnen jetzt aber auch die Pille vergoldet. Das Parlament
bestimmte, dass nach dem 1. März 1834 kein Kind unter 11 Jah-
ren, nach dem 1. März 1835 kein Kind unter 12 Jahren, und nach
dem 1. März 1836 kein Kind unter 13 Jahren über 8 Stunden in
einer Fabrik arbeiten solle! Dieser für das „Kapital“ so schonungsvolle
„Liberalismus“ war um so anerkennenswerther als Dr. Farre, Sir A. Car-
lisle, Sir B. Brodie, Sir C. Bell, Mr. Guthrie u. s. w., kurz die bedeutend-
sten physicians und surgeons London’s in ihren Zeugenaussagen vor
dem Unterhaus erklärt hatten, dass periculum in mora! Dr. Farre
drückte sich noch etwas gröber dahin aus: „Gesetzgebung ist gleich noth-
wendig für die Prävention des Tods in jeder Form, worin er
vorzeitig angethan werden kann, und sicher dieser (der Fabrikmodus)
muss als eine der grausamsten Methoden ihn anzuthun betrachtet
werden135)“. Dasselbe „reformirte“ Parlament, das aus Zartsinn für die
Herrn Fabrikanten Kinder unter 13 Jahren noch Jahre lang in die Hölle
72stündiger Fabrikarbeit per Woche festbannte, verbot dagegen in dem
Emancipationsakt, der auch die Freiheit tropfenweise eingab,
von vorn herein den Pflanzern irgend einen Negersklaven länger
als 45 Stunden per Woche abzuarbeiten!
Aber keineswegs gesühnt, eröffnete das Kapital jetzt eine mehrjäh-
rige und geräuschvolle Agitation. Sie drehte sich hauptsächlich um das
Alter der Kategorien, die unter dem Namen Kinder auf 8stün-
dige Arbeit beschränkt und einem gewissen Schulzwang unterworfen wor-
den waren. Nach der kapitalistischen Anthropologie hörte das Kindes-
alter im 10., oder, wenn es hoch ging, im 11. Jahre auf. Je näher der
Termin der vollen Ausführung des Fabrikakts, das verhängnissvolle Jahr
1836 rückte, um so wilder raste der Fabrikantenmob. Es gelang ihm in
der That, die Regierung so weit einzuschüchtern, dass diese 1835 den
Termin des Kindesalters von 13 auf 12 Jahre herabzusetzen vorschlug.
Indess wuchs die pressure from without drohend an. Der Muth
versagte dem Unterhause. Es verweigerte Dreizehnjährige länger als 8
Stunden täglich unter das Juggernautrad des Kapitals zu werfen und der
Akt von 1833 trat in volle Wirkung. Er blieb unverändert bis
Juni 1844.
Während des Decenniums, worin er erst theilweise, dann ganz die
Fabrikarbeit regulirte, strotzen die officiellen Berichte der Fabrikinspek-
toren von Klagen über die Unmöglichkeit seiner Ausführung. Da das
Gesetz von 1833 es nämlich den Herrn vom Kapital freistellte in der
fünfzehnstündigen Periode von halb 6 Uhr Morgens bis halb 9 Uhr Abends
jede „junge Person“ und „jedes Kind“ zu irgend beliebiger Zeit die
zwölf-, respektive 8stündige Arbeit beginnen, unterbrechen, enden zu las-
sen, und ebenso den verschiednen Personen verschiedne Stunden
der Mahlzeiten anzuweisen, fanden die Herrn bald ein neues „Re-
laissystem“ aus, wonach die Arbeitspferde nicht nach bestimmter Zeit
Stationen wechselten, sondern an wechselnden Stationen stets wieder von
neuem vorgespannt wurden. Wir verweilen nicht weiter bei der Schön-
heit dieses Systems, da wir später darauf zurückkommen müssen. So viel
ist aber auf den ersten Blick klar, dass es den ganzen Fabrikakt, nicht nur
seinem Geist, sondern auch seinem Buchstaben nach aufhob. Wie sollten
die Fabrikinspektoren, bei dieser komplizirten Buchführung über jedes ein-
zelne Kind und jede junge Person, die gesetzlich bestimmte Arbeitszeit und
die Gewährung der gesetzlichen Mahlzeiten erzwingen? In einem grossen
Theil der Fabriken blühte der alte brutale Unfug bald wieder ungestraft
auf. In einer Zusammenkunft mit dem Minister des Innern (1844) wiesen
die Fabrikinspektoren die Unmöglichkeit aller Kontrole unter dem neu-
ausgeheckten Relaissystem nach136). Unterdess hatten sich aber die Um-
stände sehr geändert. Die Fabrikarbeiter, namentlich seit 1838, hatten
die Zehnstundenbill zu ihrem ökonomischen, wie die Charter zu
ihrem politischen Wahlruf gemacht. Ein Theil der Fabrikanten selbst,
der den Fabrikbetrieb dem Ak von 1833 gemäss geregelt hatte, überwarf
das Parlament mit Denkschriften über die unsittliche „Konkurrenz“ der
„falschen Brüder“, denen grössere Frechheit oder glücklichere Lokalum-
stände den Gesetzesbruch erlaubten. Zudem, wie sehr immerhin der ein-
zelne Fabrikant der alten Raubgier den Zügel frei schiessen lassen mochte,
die Wortführer und politischen Leiter der Fabrikantenklasse geboten eine
veränderte Haltung und veränderte Sprache gegenüber den Arbeitern. Sie
hatten den Feldzug zur Abschaffung der Korngesetze eröffnet
und bedurften der Hilfe der Arbeiter zum Siege! Sie versprachen daher
nicht nur Verdopplung des Laibes Brod, sondern Annahme der Zehn-
stundenbill unter dem tausendjährigen Reich des Free Trade137). Sie
durften also um so weniger eine Massregel bekämpfen, die nur den Akt
von 1833 zur Wahrheit machen sollte. In ihrem heiligsten Interesse, der
Grundrente, bedroht, donnerten endlich die Tories entrüstet philanthro-
pisch über die „infamen Praktiken“138) ihrer Feinde.
So kam der zusätzliche Fabrikakt vom 7. Juni 1844 zu
Stande. Er trat am 10. September 1844 in Wirkung. Er gruppirt eine
neue Kategorie von Arbeitern unter die Beschützten, nämlich die Frauen-
zimmer über 18 Jahre. Sie wurden in jeder Rücksicht den jungen
Personen gleichgesetzt, ihre Arbeitszeit auf 12 Stunden beschränkt,
Nachtarbeit ihnen untersagt u. s. w. Zum erstenmal sah sich die Gesetz-
gebung also gezwungen auch die Arbeit Volljähriger direkt und officiell
zu kontroliren. In dem Fabrikbericht von 1844—45 heisst es ironisch:
„Es ist kein einziger Fall zu unsrer Kenntniss gekommen, wo erwachsne
Weiber sich über diesen Eingriff in ihre Rechte beschwert hät-
ten“139). Die Arbeit von Kindern unter 13 Jahren wurde auf 6½ und,
unter gewissen Bedingungen, 7 Stunden täglich reducirt140).
Um die Missbräuche des „falschen Relaissystems“ zu besei-
tigen, traf das Gesetz u. a. folgende wichtige Detailbestimmungen: „Der
Arbeitstag für Kinder und junge Personen ist von der Zeit an zu zählen,
wo irgend ein Kind oder junge Person des Morgens in der Fabrik
zu arbeiten anfängt.“ So dass wenn A z. B. um 8 Uhr Morgens die Ar-
beit beginnt, und B um 10 Uhr, der Arbeitstag dennoch für B zur selben
Stunde enden muss wie für A. „Der Anfang des Arbeitstags soll angezeigt
werden durch eine öffentliche Uhr, z. B. die nächste Eisenbahnuhr, wo-
nach die Fabrikglocke zu richten. Der Fabrikant hat eine grossgedruckte
Notiz in der Fabrik aufzuhängen, worin Anfang, Ende, Pausen des Arbeits-
tags angegeben sind. Kinder, die ihre Arbeit des Vormittags vor 12 Uhr
beginnen, dürfen nicht wieder nach 1 Uhr Mittags verwandt werden. Die
Nachmittagsreihe muss also aus andern Kindern bestehn als die Vormit-
tagsreihe. Die 1½ Stunden für Mahlzeit müssen allen beschützten
Arbeitern zu denselben Tagesperioden eingeräumt werden, eine
Stunde wenigstens vor 3 Uhr Nachmittags. Kein Kind oder junge Person
darf länger als 5 Stunden vor 1 Uhr Mittags verwandt werden ohne eine
mindestens halbstündige Pause für Mahlzeit. Kein Kind, junge Person,
oder Frauenzimmer darf während irgend einer Mahlzeit in einer Fabrikstube
bleiben, worin irgend ein Arbeitsprozess vorgeht u. s. w.“
Man hat gesehn: Diese minutiösen Bestimmungen, welche die Periode,
Grenzen, Pausen der Arbeit so militärisch uniform nach dem Glockenschlag
regeln, waren keineswegs Produkte parlamentarischer Hirnweberei. Sie
entwickelten sich allmählig aus den Verhältnissen heraus, als Naturge-
setze der modernen Produktionsweise. Ihre Formulirung, officielle An-
erkennung und staatliche Proklamation waren Ergebniss langwieriger
Klassenkämpfe. Eine ihrer nächsten Folgen war, dass die Praxis auch
den Arbeitstag der erwachsnen männlichen Fabrikarbeiter
denselben Schranken unterwarf, da in den meisten Produktionsprozessen
die Cooperation der Kinder, jungen Personen und Frauenzimmer unentbehr-
lich. Im Grossen und Ganzen galt daher während der Periode von
1844—47 der zwölfstündige Arbeitstag allgemein und uniform in allen
der Fabrikgesetzgebung unterworfenen Industriezweigen.
Die Fabrikanten erlaubten diesen „Fortschritt“ jedoch nicht ohne
einen kompensirenden „Rückschritt“. Auf ihren Antrieb reducirte das
Unterhaus das Minimalalter der zu verarbeitenden Kinder von 9 Jah-
ren auf 8, zur Sicherung der dem Kapital von Gott und Rechtswegen
geschuldeten „additionellen Fabrikkinderzufuhr“141).
Die Jahre 1846—47 machen Epoche in der ökonomischen Ge-
schichte Englands. Widerruf der Korngesetze, die Einfuhrzölle auf
Baumwolle und andre Rohmaterialien abgeschafft, der Freihandel zum Leit-
stern der Gesetzgebung erklärt! Kurz das tausendjährige Reich brach
an. Andrerseits erreichten in denselben Jahren Chartistenbewegung und
Zehnstundenagitation ihren Höhe unkt. Sie fanden Bundesgenossen an
den racheschnaubenden Tories. Trotz des fanatischen Widerstands des
wortbrüchigen Freihandelsheers mit Bright und Cobden an der Spitze,
ging die so lang erstrebte Zehnstundenbill durch das Parla-
ment. —
Der neue Fabrikakt vom 8. Juni 1847 setzte fest, dass am ersten
Juli 1847 eine vorläufige Verkürzung des Arbeitstags der „jungen
Personen“ (von 13 bis zu 18 Jahren) und aller Arbeiterinnen auf
11 Stunden, am 1. Mai 1848 aber die definitive Beschränkung auf 10
Stunden eintreten solle. Im übrigen war der Akt nur ein amen-
dirender Zusatz der Gesetze von 1833 und 1844.
Das Kapital unternahm zunächst einen vorläufigen Feldzug, dessen
Ziel, die volle Ausführung des Akts am 1. Mai 1848 zu verhindern.
Und zwar sollten die Arbeiter selbst, angeblich durch die Erfahrung ge-
witzigt, ihr eignes Werk wieder zerstören helfen. Der Augenblick war
geschickt gewählt. „Man muss sich erinnern, dass, in Folge der furcht-
baren Krise von 1846—47, grosses Leid unter den Fabrikarbeitern vor-
herrschte, da viele Fabriken nur für kurze Zeit gearbeitet, andre ganz still
gestanden hatten. Eine beträchtliche Anzahl der Arbeiter befand sich
daher in drückendster Lage, viele in Schulden. Man konnte daher mit
ziemlicher Gewissheit annehmen, dass sie die längere Arbeitszeit vorziehn
würden, um die vergangenen Verluste gut zu machen, vielleicht Schulden
abzuzahlen, oder ihre Möbel aus dem Pfandhaus zu nehmen, oder ver-
kaufte Habseligkeiten zu ersetzen, oder neue Kleidungsstücke sich selbst
und ihren Familien zu verschaffen“142). Die Herrn Fabrikanten suchten
die natürliche Wirkung dieser Umstände zu steigern durch eine allge-
meine Lohnherabsetzung von 10 %. Diess geschah so zu sagen
zur Einweihungsfeier der neuen Freihandelsära. Dann folgte weitere
Herabsetzung um 8⅓ %, sobald der Arbeitstag auf 11, und um das Dop-
pelte, sobald er definitiv auf 10 Stunden verkürzt wurde. Wo es daher
irgendwie die Verhältnisse zuliessen, fand eine Lohnherabsetzung von wenig-
stens 25 % statt143). Unter so günstig vorbereiteten Chancen begann man
die Agitation unter den Arbeitern zum Repeal des Akts von 1847. Kein
Mittel des Betrugs, der Verführung und der Drohung wurde dabei ver-
schmäht, aber alles umsonst. Von dem halben Dutzend Petitionen, worin
die Arbeiter klagen mussten über „ihre Unterdrückung durch den Akt.“
erklärten die Bittsteller selbst, bei mündlichem Verhör, ihre Unterschriften
seien abgenöthigt worden. „Sie seien unterdrückt, aber von Jemand an-
ders als dem Fabrikakt“144). Wenn es aber den Fabrikanten nicht ge-
lang, die Arbeiter in ihrem Sinn sprechen zu machen, schrieen sie selbst
nur um so lauter in Presse und Parlament im Namen der Arbeiter.
Sie denuncirten die Fabrikinspektoren als eine Art Konventskommissäre,
die ihrer Weltverbesserungsgrille den unglücklichen Arbeiter unbarmherzig
aufopferten. Auch diess Manöver schlug fehl. Fabrikinspektor Leon-
hard Horner stellte in eigner Person und durch seine Unterinspektoren
zahlreiche Zeugenverhöre in den Fabriken Lancashire’s an. Ungefähr 70 %
der verhörten Arbeiter erklärten sich für 10 Stunden, eine viel geringere
Prozentzahl für 11 und eine ganz unbedeutende Minorität für die alten 12
Stunden145).
Ein andres „gütliches“ Manöver war die erwachsnen männ-
lichen Arbeiter 12 bis 15 Stunden arbeiten zu lassen und dann
diese Thatsache für den besten Ausdruck der proletarischen Herzens-
wünsche zu erklären. Aber der „unbarmherzige“ Fabrikinspektor Leon-
hard Horner war wieder an Ort und Stelle. Die meisten „Ueberstündigen“
sagten aus, „sie würden es bei weitem vorziehn 10 Stunden für geringern
Arbeitslohn zu arbeiten, aber sie hätten keine Wahl; so viele von ihnen
seien arbeitslos, so viele Spinner gezwungen als blosse piecers zu arbeiten,
dass wenn sie die längere Arbeitszeit verweigerten, andre sofort ihre Stellen
einnehmen würden, so dass die Frage so für sie stehe: entweder die längere
Zeit arbeiten oder auf dem Pflaster liegen“146).
Der vorläufige Feldzug des Kapitals war missglückt und das Zehn-
stundengesetz trat am 1. Mai 1848 in Kraft. Unterdess hatte
jedoch das Fiasko der Chartistenpartei, deren Führer eingekerkert und deren
Organisation zersprengt, bereits das Selbstvertrauen der englischen Arbeiter-
klasse erschüttert. Bald darauf vereinigte die Pariser Juniinsurrektion und
ihre blutige Erstickung, wie im kontinentalen Europa, so in England, alle
Fraktionen der herrschenden Klassen, Grundeigenthümer und Kapitalisten,
Börsenwölfe und Krämer, Protektionisten und Freihändler, Regierung und
Opposition, Pfaffen und Freigeister, junge Huren und alte Nonnen, unter
dem gemeinschaftlichen Ruf zur Rettung des Eigenthums, der Religion,
der Familie, der Gesellschaft! Die Arbeiterklasse wurde überall verfehmt,
in den Bann gethan, unter das „loi des suspects“ gestellt. Die
Herrn Fabrikanten brauchten sich also nicht länger zu geniren. Sie
brachen in offne Revolte aus, nicht nur wider das Zehnstundengesetz,
sondern die ganze Gesetzgebung, welche seit 1833 die „freie“ Aussaugung
der Arbeitskraft einigermassen zu zügeln suchte. Es war eine Proslavery
Rebellion in Miniatur, während mehr als zwei Jahren durchgeführt mit
cynischer Rücksichtslosigkeit, mit terroristischer Energie, beide um so wohl-
feiler als der rebellische Kapitalist nichts riskirte ausser der Haut seiner
Arbeiter.
Zum Verständniss des Nachfolgenden muss man sich erinnern, dass
die Fabrikakte von 1833, 1844 und 1847 alle drei in Rechtskraft, so
weit der eine nicht den andern amendirt; dass keiner derselben den Ar-
beitstag des männlichen Arbeiters über 18 Jahren beschränkt,
und dass seit 1833 die fünfzehnstündige Periode von halb 6 Uhr Mor-
gens bis halb 9 Uhr Abends der gesetzliche „Tag“ blieb, innerhalb des-
sen erst die zwölf-, später die 10stündige Arbeit der jungen Personen und
Frauenzimmer unter den vorgeschriebnen Bedingungen zu verrichten war.
Die Fabrikanten begannen hier und da mit Entlassung eines Theils,
manchmal der Hälfte, der von ihnen beschäftigten jungen Personen und
Arbeiterinnen, und stellten dagegen die fast verschollene Nachtarbeit
unter den erwachsnen männlichen Arbeitern wieder her. Das Zehnstun-
dengesetz, riefen sie, lasse ihnen keine andre Alternative147)!
Der zweite Schritt bezog sich auf die gesetzlichen Pausen für Mahl-
zeiten. Hören wir die Fabrikinspektoren. „Seit der Beschränkung
der Arbeitsstunden auf 10, behaupten die Fabrikanten, obgleich sie prak-
tisch ihre Ansicht noch nicht bis zur letzten Konsequenz durchführen, dass
wenn sie z. B. von 9 Uhr Morgens bis 7 Uhr Abends arbeiten lassen, sie
den gesetzlichen Vorschriften genug thun, indem sie eine Stunde für
Mahlzeit vor 9 Uhr Morgens und eine halbe Stunde nach 7 Uhr
Abends, also 1½ Stunden für Mahlzeiten geben. In einigen Fällen er-
lauben sie jetzt eine halbe Stunde für Mittagsessen, bestehn aber zugleich
darauf, sie seien durchaus nicht verpflichtet, irgend einen Theil der 1½
Stunden im Lauf des zehnstündigen Arbeitstags einzuräumen“148). Die
Herrn Fabrikanten behaupteten also, die peinlich genauen Bestimmungen
des Akts von 1844 über Mahlzeiten gäben den Arbeitern nur die Er-
laubniss, vor ihrem Eintritt in die Fabrik und nach ihrem Austritt
aus der Fabrik, also bei sich zu Hause, zu essen und zu trinken! Und
warum sollten die Arbeiter auch nicht vor 9 Uhr Morgens ihr Mittagsessen
einnehmen? Die Kronjuristen entschieden jedoch, dass die vorgeschrie-
benen Mahlzeiten „in Pausen während des wirklichen Arbeits-
tags gegeben werden müssen und dass es ungesetzlich 10 Stunden nach
einander von 9 Uhr Morgens bis 7 Uhr Abends ohne Unterbrechung arbei-
ten zu lassen“149).
Nach diesen gemüthlichen Demonstrationen leitete das Kapital seine
Revolte ein durch einen Schritt, der dem Buchstaben des Gesetzes
von 1844 entsprach, also legal war.
Das Gesetz von 1844 verbot allerdings, Kinder von 8 bis 13 Jahren,
die vor 12 Uhr Vormittags beschäftigt würden, wieder nach 1 Uhr
Mittags zu beschäftigen. Aber es regelte in keiner Weise die 6½stün-
dige Arbeit der Kinder, deren Arbeitszeit um 12 Uhr Vormittags
oder später begann! Achtjährige Kinder konnten daher, wenn sie die
Arbeit um 12 Uhr Vormittags begannen, von 12 bis 1 Uhr verwandt werden,
1 Stunde; von 2 Uhr bis 4 Uhr Nachmittags, 2 Stunden; und von 5 Uhr bis
halb 9 Uhr Abends, 3½ Stunden; alles in allem die gesetzlichen 6½
Stunden! Oder noch besser. Um ihre Verwendung der Arbeit er-
wachsner männlicher Arbeiter bis halb 9 Uhr Abends
anzupassen, brauchten ihnen die Fabrikanten kein Werk zu geben vor 2
Uhr Nachmittags, und konnten sie dann ununterbrochen in der Fabrik hal-
ten bis halb 9 Uhr Abends! „Und es wird jetzt ausdrücklich zugestanden,
dass neuerdings, in Folge der Fabrikantengier, ihre Maschinerie länger
als 10 Stunden laufen zu lassen, sich die Praxis in England eingeschlichen
hat, acht- bis dreizehnjährige Kinder beiderlei Geschlechts, nach Entfer-
nung aller jungen Personen und Weiber aus der Fabrik, allein mit den
erwachsnen Männern, bis halb 9 Uhr Abends arbeiten zu las-
sen“150). Arbeiter und Fabrikinspektoren protestirten aus hygienischen
und moralischen Gründen. Aber das Kapital antwortete:
„Meine Thaten auf mein Haupt! Mein Recht verlang’ ich!
Die Busse und Verpfändung meines Scheins!“
In der That waren, nach statistischer Vorlage an das Unterhaus vom
26. Juli 1850, trotz aller Proteste, am 15. Juli 1850 3742 Kinder in 275
Fabriken dieser „Praxis“ unterworfen151). Noch nicht genug! Das
Luchsauge des Kapitals entdeckte, dass der Akt von 1844 fünfstündige
Arbeit des Vormittags nicht ohne Pause von wenigstens 30 Minuten
für Erfrischung erlaubt, aber nichts der Art für die Nachmittagsarbeit vor-
schreibt. Es verlangte und ertrotzte daher den Genuss, achtjährige Ar-
beiterkinder unausgesetzt von 2 bis halb 9 Uhr Abends nicht nur schan-
zen, sondern auch hungern zu lassen!
„Ja, die Brust.
So sagt der Schein“152).
Diess Shylocksche Festklammern am Buchstaben des Gesetzes von
1844, soweit es die Kinderarbeit regelt, sollte jedoch nur die offne
Revolte gegen dasselbe Gesetz vermitteln, so weit es die Arbeit von
„jungen Personen und Frauenzimmern“ regelt. Man erin-
nert sich, dass die Abschaffung des „falschen Relaissystems“
Hauptzweck und Hauptinhalt jenes Gesetzes bildet. Die Fabrikanten er-
öffneten ihre Revolte mit der einfachen Erklärung, die Sektionen des Akts
von 1844, welche beliebigen Niessbrauch der jungen Personen und Frauen-
zimmer in beliebigen kürzeren Abschnitten des fünfzehnstündigen Fabrik-
tags verbieten, seien „vergleichungsweise harmlos (comparati-
vely harmless) gewesen, so lange die Arbeitszeit auf 12 Stunden einge-
schränkt war. Unter dem Zehnstundengesetz seien sie eine unerträgliche
Unbill“ (hard ship)153). Sie zeigten daher den Inspektoren in der
kühlsten Weise an, dass sie sich über den Buchstaben des Gesetzes
hinwegsetzen und das alte System auf eigne Faust wieder einführen wür-
den154). Es geschehe im Interesse der übelberathnen Arbeiter selbst,
„um ihnen höhere Löhne zahlen zu können.“ „Es sei der einzig mög-
liche Plan, um unter dem Zehnstundengesetz die industrielle Suprematie
Grossbritanniens zu erhalten“155). „Es möge etwas schwer sein Un-
regelmässigkeiten unter dem Relaissystem zu entdecken, aber was heisse
das? (what of that?) Soll das grosse Fabrikinteresse dieses Landes als ein
sekundäres Ding behandelt werden, um den Fabrik-Inspektoren und Sub-
inspektoren ein bischen mehr Mühe (some little trouble) zu sparen“156)?
Alle diese Flausen halfen natürlich nichts. Die Fabrikinspektoren
schritten gerichtlich ein. Bald aber überschüttete eine solche Staubwolke
von Fabrikantenpetitionen den Minister des Innern, Sir George Grey,
dass er in einem Cirkular vom 5. August 1848 die Inspektoren anwies,
„im Allgemeinen nicht einzuschreiten wegen Verletzung des Buchsta-
bens des Akts, so oft das Relaissystem nicht erwiesnermassen missbraucht
werde, um junge Personen und Frauenzimmer über 10 Stunden arbeiten zu
lassen.“ Hierauf erlaubte Fabrikinspektor J. Stuart das sogenannte Ab-
lösungssystem während der fünfzehnstündigen Periode des Fabriktags in
ganz Schottland, wo es bald wieder in alter Weise aufblühte. Die
englischen Fabrikinspektoren dagegen erklärten, der Minister besitze keine
diktatorische Gewalt zur Suspension der Gesetze, und fuhren mit gericht-
licher Procedur wider die Proslavery Rebellen fort.
Wozu jedoch alle Citation vor’s Gericht, sobald die Gerichte, die
county magistrates157), freisprachen? In diesen Gerichten sassen
die Herrn Fabrikanten über sich selbst zu Gericht. Ein Beispiel. Ein
gewisser Eskrigge, Baumwollspinner von der Firma Kershaw, Leese
et Co., hatte dem Fabrikinspektor seines Distrikts das Schema eines für
seine Fabrik bestimmten Relaissystems vorgelegt. Abschlägig beschieden,
verhielt er sich zunächst passiv. Wenige Monate später stand ein Indi-
viduum Namens Robinson, ebenfalls Baumwollspinner, und wenn nicht der
Freitag, so jedenfalls der Verwandte des Eskrigge, vor den Borough Jus-
tices zu Stockport, wegen Einführung des identischen, von Eskrigge
ausgeheckten Relaisplans. Es sassen 4 Richter, darunter 3 Baumwollspin-
ner, an ihrer Spitze derselbe unvermeidliche Eskrigge. Eskrigge sprach
den Robinson frei, und erklärte nun, was dem Robinson recht, sei dem
Eskrigge billig. Auf seine eigne rechtskräftige Entscheidung gestützt,
führte er sofort das System in seiner eignen Fabrik ein158). Allerdings
war schon die Zusammensetzung dieser Gerichte offne Verletzung des Ge-
setzes159). „Diese Art gerichtlicher Farcen“, ruft Inspektor Howell aus,
„schreien nach einem Heilmittel . . . . entweder passt das Gesetz diesen
Urtheilssprüchen an oder lasst es verwalten durch ein minder fehlbares
Tribunal, das seine Entscheidungen dem Gesetz anpasst . . . . In allen
solchen Fällen, wie sehnt man sich nach einem bezahlten Richter“160)!
Die Kronjuristen erklärten die Fabrikanten-Interpretation des Akts
von 1844 für abgeschmackt, aber die Gesellschaftsretter liessen sich nicht
beirren. „Nachdem ich“, berichtet Leonhard Horner, „durch 10 Verfol-
gungen in 7 verschiednen Gerichtsbezirken versucht habe das Gesetz zu
erzwingen und nur in einem Fall von den Magistraten unterstützt wurde,
halte ich weitere Verfolgung wegen Umgehung des Gesetzes für nutzlos.
Der Theil des Akts, der verfasst wurde, um Uniformität in den Arbeits-
stunden zu schaffen, existirt nicht mehr in Lancashire. Auch besitze ich
mit meinen Unteragenten durchaus kein Mittel uns zu versichern, dass Fabri-
ken, wo das sog. Relaissystem herrscht, junge Personen und Frauenzimmer
nicht über 10 Stunden beschäftigen . . . . Ende April 1849 arbeiten
schon 118 Fabriken in meinem Distrikt nach dieser Methode und ihre
Anzahl nimmt in der letzten Zeit reissend zu. Im Allgemeinen arbeiten
sie jetzt 13½ Stunden, von 6 Uhr Morgens bis halb 8 Uhr Abends; in
einigen Fällen 15 Stunden, von halb 6 Uhr Morgens bis halb 9 Uhr
Abends“161). Schon December 1848 besass Leonhard Horner eine Liste
von 65 Fabrikanten und 29 Fabrikaufsehern, die einstimmig erklärten,
kein System der Oberaufsicht könne unter diesem Relaissystem die exten-
sivste Ueberarbeit verhindern162). Bald wurden dieselben Kinder und
jungen Personen aus der Spinnstube in die Webstube u. s. w., bald, wäh-
rend 15 Stunden, aus einer Fabrik in die andre geschoben (shifted)163).
Wie ein System kontroliren, „welches das Wort Ablösung missbraucht,
um die Hände in endloser Mannichfaltigkeit wie Karten durcheinander zu
mischen und die Stunden der Arbeit und der Rast für die verschiednen
Individuen täglich so zu verschieben, dass ein und dasselbe vollständige
Assortiment von Händen niemals an demselben Platz zur selben Zeit zu-
sammenarbeitet“164)!
Aber ganz abgesehn von wirklicher Ueberarbeitung, war diess sog.
Relaissystem eine Ausgeburt der Kapitalphantasie, wie sie Fou-
rier in seinen genialsten Skizzen der „courtes séances“ nie übertroffen
hat, nur dass die Attraktion der Arbeit verwandelt war in die Attraktion
des Kapitals. Man sehe sich jene Fabrikantenschemas an, welche die
gute Presse pries als Muster von dem, „was ein vernünftiger Grad von
Sorgfalt und Methode ausrichten kann“ („what a reasonable degree of
care and method can accomplish“). Das Arbeiterpersonal wurde manch-
mal in 12 bis 14 Kategorien vertheilt, die selbst wieder ihre Bestand-
theile beständig wechselten. Während der fünfzehnstündigen Periode des
Fabriktags zog das Kapital den Arbeiter jetzt für 30 Minuten, jetzt für
eine Stunde an, und stiess ihn dann wieder ab, um ihn von neuem in die
Fabrik zu ziehn und aus der Fabrik zu stossen, ihn hin und her hetzend
in zerstreuten Zeitfetzen, ohne je den Halt auf ihn zu verlieren, bis die
zehnstündige Arbeit vollgemacht. Wie auf der Bühne hatten dieselben
Personen abwechselnd in den verschiednen Scenen der verschiednen Akte
aufzutreten. Aber wie ein Schauspieler während der ganzen Dauer des
Dramas der Bühne gehört, so gehörten die Arbeiter jetzt während 15 Stun-
den der Fabrik, nicht eingerechnet die Zeit, um von und zu ihr zu gehn.
Die Stunden der Rast verwandelten sich so in Stunden erzwungenen Müssig-
gangs, welche den jungen Arbeiter in die Kneipe und die junge Arbei-
terin in das Bordell trieben. Bei jedem neuen Einfall, den der Kapi-
talist täglich ausheckte, um seine Maschinerie ohne Vermehrung des
Arbeiterpersonals 12 oder 15 Stunden im Gang zu halten, hatte der
Arbeiter bald in diesem Stück Zeitabfall, bald in jenem seine Mahlzeit ein-
zuschlucken. Zur Zeit der Zehnstundenagitation schrien die Fabrikanten,
das Arbeiterpack petitionire, in der Erwartung, zwölfstündigen Arbeitslohn
für zehnstündige Arbeit zu erhalten. Sie hatten jetzt die Medaille umge-
kehrt. Sie zahlten 10stündigen Arbeitslohn für zwölf- und fünfzehnstün-
dige Verfügung über die Arbeitskräfte165)! Diess war des Pudels Kern,
diess die Fabrikantenausgabe des Zehnstundengesetzes! Es waren die-
selben salbungsvollen, Menschenliebe triefenden Freihändler, die den Ar-
beitern 10 volle Jahre, während der Anticornlaw-Agitation, auf Heller
und Pfennig vorgerechnet, dass bei freier Korneinfuhr eine zehnstündige
Arbeit, mit den Mitteln der englischen Industrie, vollständig genüge, um
die Kapitalisten zu bereichern166).
Die zweijährige Kapitalrevolte wurde endlich gekrönt durch den Ur-
theilsspruch eines der vier höchsten Gerichtshöfe von England, des Court
of Exchequer, der in einem vor ihn gebrachten Fall am 8. Februar
1850 entschied, dass die Fabrikanten zwar wider den Sinn des Akts von
1844 handelten, dieser Akt selbst aber gewisse Worte enthalte, die ihn
sinnlos machten. „Mit dieser Entscheidung war das Zehnstundengesetz
abgeschafft“167). Eine Masse Fabrikanten, die bisher noch das Relais-
system für junge Personen und Arbeiterinnen gescheut, griffen nun mit
beiden Händen zu168).
Mit diesem scheinbar definitiven Sieg des Kapitals trat aber sofort
ein Umschlag ein. Die Arbeiter hatten bisher passiven, obgleich unbeug-
samen und täglich erneuten Widerstand geleistet. Sie protestirten jetzt
in laut drohenden Meetings in Lancashire und Yorkshire. Das angebliche
Zehnstundengesetz sei also blosser Humbug, parlamentarische Prellerei,
und habe nie existirt! Die Fabrikinspektoren warnten dringend die Re-
gierung, der Klassenantagonismus sei zu einer unglaublichen Höhe ge-
spannt. Ein Theil der Fabrikanten selbst murrte: „durch die wider-
sprechenden Entscheidungen der Magistrate herrsche ein ganz abnormaler
und anarchischer Zustand. Ein andres Gesetz gelte in Yorkshire, ein
andres in Lancashire, ein andres Gesetz in einer Pfarrei von Lancashire, ein
andres in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft. Der Fabrikant in grossen
Städten könne das Gesetz umgehn, der in Landflecken finde nicht das
nöthige Personal für das Relaissystem und noch minder zur Verschiebung
der Arbeiter aus einer Fabrik in die andre u. s. w.“ Und gleiche Ex-
ploitation der Arbeitskraft ist das erste Menschenrecht des Kapitals.
Unter diesen Umständen kam es zu einem Kompromiss zwi-
schen Fabrikanten und Arbeitern, der in dem neuen zusätz-
lichen Fabrikakt vom 5. August 1850 parlamentarisch versiegelt
ist. Für „junge Personen und Frauenzimmer“ wurde der
Arbeitstag in den ersten 5 Wochentagen von 10 auf 10½ Stunden erhöht,
für den Samstag auf 7½ Stunden beschränkt. Die Arbeit muss in der
Periode von 6 Uhr Morgens bis 6 Uhr Abends vorgehn169), mit 1½stün-
digen Pausen für Mahlzeiten, die gleichzeitig und gemäss den Bestim-
mungen von 1844 einzuräumen sind u. s. w. Damit war dem Relais-
system ein für allemal ein Ende gemacht170). Für die Kinderarbeit blieb
das Gesetz von 1844 in Kraft.
Eine Fabrikantenkategorie sicherte sich diessmal, wie früher, beson-
dere Seigneurialrechte auf Proletarierkinder. Es waren diess die Sei-
denfabrikanten. Im Jahr 1833 hatten sie drohend geheult, „wenn
man ihnen die Freiheit raube, Kinder jeden Alters täglich
10 Stunden abzurackern, setze man ihre Fabriken still“ (if the liberty
of working children of any age for 10 hours a day was
taken away, it would stop their works). Es sei ihnen unmöglich, eine
hinreichende Anzahl von Kindern über 13 Jahren zu kaufen. Sie
erpressten das gewünschte Privilegium. Der Vorwand stellte sich bei
späterer Untersuchung als baare Lüge heraus171), was sie jedoch nicht
verhinderte, während eines Decenniums aus dem Blut kleiner Kinder, die
zur Verrichtung ihrer Arbeit auf Stühle gestellt werden mussten, täglich
10 Stunden Seide zu spinnen172). Der Akt von 1844 „beraubte“ sie
zwar der „Freiheit“, Kinder unter 11 Jahren länger als 6½ Stun-
den, sicherte ihnen dagegen das Privilegium, Kinder zwischen 11
und 13 Jahren 10 Stunden täglich zu verarbeiten, und kassirte den für
andere Fabrikkinder vorgeschriebenen Schulzwang. Diessmal der
Vorwand: „Die Delikatesse des Gewebes erheische eine Fin-
gerzartheit, die nur durch frühen Eintritt in die Fabrik zu sichern“173).
Der delikaten Finger wegen wurden die Kinder ganz geschlachtet, wie
Hornvieh in Südrussland wegen Haut und Talg. Endlich, 1850, wurde
das 1844 eingeräumte Privilegium auf die Departements der Seidenzwir-
nerei und Seidenhaspelei beschränkt, hier aber, zum Schadenersatz des
seiner „Freiheit“ beraubten Kapitals, die Arbeitszeit für Kinder von 11
bis 13 Jahren von 10 auf 10½ Stunden erhöht. Vorwand: „Die Arbeit
sei leichter in Seidenfabriken als in den andern Fabriken und in keiner
Weise so nachtheilig für die Gesundheit“174). Offizielle ärztliche
Untersuchung bewies hinterher, dass umgekehrt „die durchschnittliche
Sterblichkeitsrate in den Seidendistrikten ausnahmsweise hoch und
unter dem weiblichen Theil der Bevölkerung selbst höher ist als in den
Baumwolldistrikten von Lancashire“175). Trotz des halbjährlich wieder-
holten Protests der Fabrikinspektoren, dauert der Unfug bis zur Stunde
fort176).
Das Gesetz von 1850 verwandelte nur für „junge Personen und
Frauenzimmer“ die fünfzehnstündige Periode von halb 6 Uhr Morgens bis
halb 9 Uhr Abends in die zwölfstündige Periode von 6 Uhr Morgens bis
6 Uhr Abends. Also nicht für Kinder, die immer noch eine halbe
Stunde vor Beginn und 2½ Stunden nach Schluss dieser Periode ver-
werthbar blieben, wenn auch die Gesammtdauer ihrer Arbeit 6½ Stunden
nicht überschreiten durfte. Während der Diskussion des Gesetzes wurde
dem Parlament von den Fabrikinspektoren eine Statistik über die infamen
Missbräuche jener Anomalie unterbreitet. Jedoch umsonst. Im Hinter-
grund lauerte die Absicht, den Arbeitstag der erwachsnen Arbeiter mit
Beihilfe der Kinder in Prosperitätsjahren wieder auf 15 Stunden zu
schrauben. Die Erfahrung der folgenden 3 Jahre zeigte, dass solcher
Versuch am Widerstand der erwachsnen männlichen Arbeiter scheitern
müsse177). Der Akt von 1850 wurde daher 1853 endlich ergänzt
durch das Verbot, „Kinder des Morgens vor und des Abends nach den
jungen Personen und Frauenzimmern zu verwenden“. Von nun an regelte,
mit wenigen Ausnahmen, der Fabrikakt von 1850 in den ihm unterworfe-
nen Industriezweigen den Arbeitstag aller Arbeiter178). Seit dem Er-
lass des ersten Fabrikakts war jetzt ein halbes Jahrhundert ver-
flossen179).
Ueber ihre ursprüngliche Sphäre griff die Fabrikgesetzgebung
zuerst hinaus durch den ‚Printwork’s Act‘ (Gesetz über Kattundrucke-
reien u. s. w.) von 1845. Die Unlust, womit das Kapital diese neue
„Extravaganz“ zuliess, spricht aus jeder Zeile des Acts! Er beschränkt
den Arbeitstag für Kinder von 8—13 Jahren und für Frauenzimmer auf
16 Stunden zwischen 6 Uhr Morgens und 10 Uhr Abends, ohne irgend
eine gesetzliche Pause für Mahlzeiten. Er erlaubt männliche Arbeiter
über 13 Jahre Tag und Nacht hindurch beliebig abzuarbeiten180). Er
ist ein parlamentarischer Abort181).
Dennoch hatte das Prinzip gesiegt mit seinem Sieg in den grossen
Industriezweigen, welche das eigenste Geschöpf der modernen Produktions-
weise. Ihre wundervolle Entwicklung von 1853—1860, Hand in Hand
mit der physischen und moralischen Wiedergeburt der Fabrikarbeiter.
schlug das blödeste Auge. Die Fabrikanten selbst, denen die gesetzliche
Schranke und Regel des Arbeitstags durch halbhundertjährigen Bürger-
krieg Schritt für Schritt abgetrotzt, wiesen prahlend auf den Kontrast mit
den noch „freien“ Exploitationsgebieten hin182). Die Pharisäer der
„politischen Oekonomie“ proklamirten nun die Einsicht in die Noth-
wendigkeit eines gesetzlich geregelten Arbeitstags als charakteristische
Neuerrungenschaft ihrer „Wissenschaft“183). Man versteht leicht, dass
nachdem sich die Fabrikmagnaten in das Unvermeidliche gefügt und mit
ihm ausgesöhnt, die Widerstandskraft des Kapitals graduell abschwachte,
während zugleich die Angriffskraft der Arbeiterklasse wuchs mit der Zahl
ihrer Verbündeten in den nicht unmittelbar interessirten Gesellschafts-
schichten. Daher vergleichungsweis rascher Fortschritt seit 1860.
Die Färbereien und Bleichereien184) wurden 1860, die Spitzenfabri-
ken und Strumpfwirkereien 1861 dem Fabrikakt von 1850 unterworfen.
In Folge des ersten Berichts der „Kommission über die Be-
schäftigung der Kinder“ (1863) theilten dasselbe Schicksal die
Manufaktur aller Erdenwaaren (nicht nur Töpfereien), der Schwe-
felhölzer, Zündhütchen, Patronen, Tapetenfabrik, Baumwollsammt-Schee-
rerei (fustian cutting) und zahlreiche Prozesse, die unter dem Ausdruck
„finishing“ (letzte Appretur) zusammengefasst sind. Im Jahre 1863 wur-
den die „Bleicherei in offener Luft“185) und die Bäckerei
unter eigne Akte gestellt, wovon der erste u. a. die Arbeit von Kindern,
jungen Personen und Weibern zur Nachtzeit (von 8 Uhr Abends bis 6 Uhr
Morgens) und der zweite die Anwendung von Bäckergesellen unter 18 Jah-
ren zwischen 9 Uhr Abends und 5 Uhr Morgens verbietet. Auf die spä-
teren Vorschläge der erwähnten Kommission, welche, mit Ausnahme des
Ackerbaus, der Minen und des Transportwesens, alle wichtigern englischen
Industriezweige der „Freiheit“ zu berauben drohen, kommen wir zurück.
Der Leser erinnert sich, dass die Produktion von Mehrwerth
oder die Extraktion von Mehrarbeit den spezifischen Inhalt und
Zweck der kapitalistischen Produktion bildet, abgesehn von
einer jeden aus der Unterordnung der Arbeit unter das Kapital etwa ent-
springenden Umgestaltung der Produktionsweise selbst. Er
erinnert sich, dass auf dem bisher entwickelten Standpunkt nur der selbst-
ständige und daher gesetzlich mündige Arbeiter als Waaren-
verkäufer mit dem Kapitalisten kontrahirt. Wenn in unsrer historischen
Skizze also einerseits die moderne Industrie eine Hauptrolle spielt
andrerseits die Arbeit physisch und rechtlich Unmündige
so galt uns die eine nur als besondre Sphäre, die andre nur als besonders
schlagendes Beispiel der Arbeitsaussaugung. Ohne jedoch der spätern
Entwicklung vorzugreifen, folgt aus dem blossen Zusammenhang der ge-
schichtlichen Thatsachen:
Erstens: In den durch Wasser, Dampf und Maschinerie zunächst
revolutionirten Industrien, in diesen ersten Schöpfungen der modernen Pro-
duktionsweise, den Baumwolle-, Wolle-, Flachs-, Seide-Spinnereien und
Webereien wird der Trieb des Kapitals nach mass- und rücksichtsloser
Verlängerung des Arbeitstags zuerst befriedigt. Die veränderte
materielle Produktionsweise und die ihr entsprechend veränderten socialen
Verhältnisse der Produzenten186) schaffen erst die masslose Ausschreitung
und rufen dann im Gegensatz die gesellschaftliche Kontrole hervor, welche
den Arbeitstag mit seinen Pausen gesetzlich beschränkt, regulirt und uni-
formirt. Diese Kontrole erscheint daher während der ersten Hälfte des
19. Jahrhunderts bloss als Ausnahmsgesetzgebung187). Sobald sie
das Urgebiet der neuen Produktionsweise erobert hatte, fand sich, dass unter
dess nicht nur viele andre Produktionszweige in das eigentliche Fa-
brikregime eingetreten, sondern dass Manufakturen mit mehr
oder minder verjährter Betriebsweise, wie Töpfereien, Glasereien u. s. w.,
dass altmodische Handwerke, wie die Bäckerei, und endlich selbst
die zerstreute s. g. Hausarbeit, wie Nägelmacherei u. s. w.188), seit
lange der kapitalistischen Exploitation eben so sehr verfallen waren als
die Fabrik. Die Gesetzgebung ward daher gezwungen, ihren Ausnahms-
charakter allmählig abzustreifen, oder, wo sie römisch kasuistisch verfährt,
wie in England, irgend ein Haus, worin man arbeitet, nach Belieben für
eine Fabrik (factory) zu erklären189).
Zweitens: Die Geschichte der Reglung des Arbeitstags in einigen
Produktionsweisen, in andern der noch fortdauernde Kampf um diese
Reglung, beweisen handgreiflich, dass der vereinzelte Arbeiter, der
Arbeiter als „freier“ Verkäufer seiner Arbeitskraft, auf gewisser Reife-
stufe der kapitalistischen Produktion, widerstandslos unterliegt. Die
Schöpfung eines Normal-Arbeitstags ist daher das Produkt eines langwie-
rigen, mehr oder minder versteckten Bürgerkriegs zwischen der Kapita-
listenklasse und der Arbeiterklasse. Wie der Kampf eröffnet wird im
Umkreis der modernen Industrie, so spielt er zuerst in ihrem Heimaths-
land, England190). Die englischen Fabrikarbeiter waren die Preis-
fechter nicht nur der englischen, sondern der modernen Arbeiterklasse
überhaupt, wie auch ihre Theoretiker der Theorie des Kapitals zuerst den
Fehdehandschuh hinwarfen191). Der Fabrikphilosoph Ure denunzirt es
daher als unauslöschliche Schmach der englischen Arbeiterklasse, dass sie
„die Sklaverei der Fabrikakte“ auf ihre Fahne schrieb gegenüber
dem Kapital, das männlich für „vollkommene Freiheit der Ar-
beit“ stritt192).
Frankreich hinkt langsam hinter England her. Es bedarf der
Februarrevolution zur Geburt des Zwölfstundengesetzes193),
das viel mangelhafter ist als sein englisches Original. Trotzdem macht
die französische revolutionäre Methode auch ihre eigenthümlichen Vorzüge
geltend. Mit einem Schlag diktirt sie allen Ateliers und Fabriken ohne
Unterschied dieselbe Schranke des Arbeitstags, während die
englische Gesetzgebung bald an diesem Punkt, bald an jenem, dem Druck
der Verhältnisse widerwillig weicht und auf dem besten Weg ist, einen
neuen juristischen Rattenkönig auszubrüten194). Andrerseits proklamirt
das französische Gesetz prinzipiell, was in England nur im Namen von
Kindern, Unmündigen und Frauenzimmern erkämpft und erst neuerdings
als allgemeines Recht beansprucht wird195).
In den Vereinigten Staaten von Nordamerika blieb jede
selbstständige Arbeiterbewegung gelähmt, so lange die Sklaverei einen
Theil der Republik verunstaltete. Die Arbeit in weisser Haut kann sich
dort nicht emancipiren, wo sie in schwarzer Haut gebrandmarkt wird.
Aber aus dem Tod der Sklaverei entspross sofort ein neu verjüngtes
Leben. Die erste Frucht des Bürgerkriegs war die Achtstunden-
agitation, mit den Siebenmeilenstiefeln der Lokomotive vom atlanti-
schen bis zum stillen Ocean ausschreitend, von Neuengland bis nach Kali-
fornien. Der allgemeine Arbeiterkongress zu Baltimore (16.
August 1866) erklärt: „Das erste und grosse Erheischniss der Gegen-
wart, um die Arbeit dieses Landes von der kapitalistischen Sklaverei zu
befreien, ist der Erlass eines Gesetzes, wodurch 8 Stunden den
Normal-Arbeitstag in allen Staaten der amerikanischen Union bilden
sollen. Wir sind entschlossen alle unsre Macht aufzubieten, bis diess
glorreiche Resultat erreicht ist“196). Gleichzeitig (Anfang September
1866) beschloss der „Internationale Arbeiterkongress“ zu
Genf auf Vorschlag der Londoner Centralbehörde: „Wir erklären die Be-
schränkung des Arbeitstags für eine vorläufige Bedingung, ohne
welche alle andern Bestrebungen nach Emancipation scheitern müssen …
Wir schlagen 8 Arbeitsstunden als legale Schranke des Ar-
beitstags vor“.
So besiegelt die auf beiden Seiten des atlantischen Meers instinktiv
aus den Produktionsverhältnissen selbst erwachsne Arbeiterbewegung den
Ausspruch des englischen Fabrikinspektors R. J. Saunders: „Weitere
Schritte zur Reform der Gesellschaft sind niemals mit irgend einer Aus-
sicht auf Erfolg durchzuführen, wenn nicht zuvor der Arbeitstag beschränkt
und seine vorgeschriebene Schranke strikt erzwungen wird“197).
Man muss gestehn, dass unser Arbeiter anders aus dem Produktions-
prozess herauskömmt als er in ihn eintrat. Auf dem Markt trat er als Be-
sitzer der Waare „Arbeitskraft“ andern Waarenbesitzern gegenüber,
Waarenbesitzer dem Waarenbesitzer. Der Kontrakt, wodurch er dem
Kapitalisten seine Arbeitskraft verkaufte, schien durch den freien Willen
von Verkäufer und Käufer vereinbartes Produkt. Nach geschlossnem
Handel wird entdeckt, dass er „kein freier Agent“ war, dass die
Zeit, wofür es ihm freisteht seine Arbeitskraft zu verkaufen, die Zeit ist,
wofür er gezwungen ist sie zu verkaufen198), dass in der That sein
Sauger nicht loslässt, „so lange noch ein Muskel, eine Sehne, ein Tropfen
Bluts auszubeuten“199). Zum „Schutze“ gegen die Schlange ihrer Qualen
müssen die Arbeiter ihre Köpfe zusammenrotten und als Klasse ein
Staatsgesetz erzwingen, ein übermächtiges gesellschaftliches Hin-
derniss, das sie selbst verhindert, durch freiwilligen Kontrakt
mit dem Kapital sich und ihre Generation in Tod und Sklaverei zu
verkaufen200). An die Stelle des prunkvollen Katalogs der „unver-
äusserlichen Menschenrechte“ tritt die bescheidne Magna Charta eines
gesetzlich beschränkten Arbeitstags, die „endlich klar macht, wann die
Zeit, die der Arbeiter verkauft, endet, und wann die ihm
selbst gehörige Zeit beginnt“201). Quantum mutatus ab illo!
Wie bisher, wird in diesem Paragraph der Werth der Arbeits-
kraft, also der zur Reproduktion oder Erhaltung der Arbeitskraft noth-
wendige Theil des Arbeitstags, als gegebne, constante
Grösse unterstellt.
Diess also vorausgesetzt, ist mit der Rate zugleich die Masse des
Mehrwerths gegeben, die der einzelne Arbeiter dem Kapitalisten in
bestimmter Zeitperiode liefert. Beträgt z. B. die nothwendige Arbeit täglich
6 Stunden, ausgedrückt in einem Goldquantum von 3 sh. = 1 Thaler, so
ist 1 Thaler der Tageswerth einer Arbeitskraft, oder der im Ankauf
einer Arbeitskraft vorgeschossene Kapitalwerth. Ist ferner die Rate
des Mehrwerths 100 %, so producirt diess variable Kapital von
1 Thaler eine Masse Mehrwerth von 1 Thaler, oder der Arbeiter liefert
täglich eine Masse Mehrarbeit von 6 Stunden.
Das variable Kapital ist aber der Geldausdruck für den Ge-
sammtwerth aller Arbeitskräfte, die der Kapitalist gleichzeitig
in einem bestimmten Produktionsprozess verwendet. Ist der Tageswerth
einer Arbeitskraft 1 Thaler, so ist also ein Kapital von 100 Thalern vor-
zuschiessen um 100, und von n Thalern, um n Arbeitskräfte täglich zu
exploitiren. Der Werth des vorgeschossenen variablen Ka-
pitals ist also gleich dem Durchschnittswerth einer Arbeits-
kraft multiplicirt mit der Anzahl der verwandten Arbeitskräfte. Bei
gegebnem Werth der Arbeitskraft wechselt also Werthumfang
oder Grösse des variablen Kapitals mit der Masse der ange-
eigneten Arbeitskräfte oder der Anzahl der gleichzeitig beschäftigten
Arbeiter.
Produzirt ein variables Kapital von 1 Thaler, der Tageswerth einer
Arbeitskraft, einen täglichen Mehrwerth von 1 Thaler, so ein variables
Kapital von 100 Thalern einen täglichen Mehrwerth von 100, und eins von
n Thalern einen täglichen Mehrwerth von 1 Thaler × n. Die Masse
des producirten Mehrwerths ist also gleich dem Mehrwerth, den
der Arbeitstag des einzelnen Arbeiters liefert, multiplicirt mit der Anzahl
der angewandten Arbeiter. Da aber ferner die Masse Mehrwerth, die der
einzelne Arbeiter producirt, bei gegebenem Werth der Arbeitskraft, durch
die Rate des Mehrwerths bestimmt ist, so folgt, unter derselben Vor-
aussetzung: Die Masse des von einem gegebnen variablen
Kapital producirten Mehrwerths ist gleich der Grösse
des vorgeschossenen variablen Kapitals multiplicirt mit
der Rate des Mehrwerths oder ist bestimmt durch das zusammen-
gesetzte Verhältniss zwischen der Anzahl der gleichzeitig ex-
ploitirten Arbeitskräfte und dem Exploitationsgrad der
einzelnen Arbeitskraft.
In der Produktion einer bestimmten Masse Mehrwerth
kann daher die Abnahme des einen Faktors durch Zunahme
des andern ersetzt werden. Wird das variable Kapital vermindert und
gleichzeitig in demselben Verhältniss die Rate des Mehrwerths
erhöht, so bleibt die Masse des producirten Mehrwerths un-
verändert. Muss unter den früheren Annahmen der Kapitalist 100 Tha-
ler vorschiessen, um 100 Arbeiter täglich zu exploitiren, und beträgt die
Rate des Mehrwerths 50 %, so wirft diess variable Kapital von 100 einen
Mehrwerth von 50 ab, oder von 100 × 3 Arbeitsstunden. Wird die
Rate des Mehrwerths verdoppelt, oder der Arbeitstag statt von 6 zu 9,
von 6 zu 12 Stunden verlängert, so wirft das um die Hälfte verminderte
variable Kapital von 50 Thalern ebenfalls einen Mehrwerth von 50 Thalern
ab oder von 50 × 6 Arbeitsstunden. Verminderung des variablen Kapi-
tals ist also ausgleichbar durch proportionelle Erhöhung im Exploitations-
grad der Arbeitskraft oder Abnahme in der Anzahl der beschäftigten Ar-
beiter durch proportionelle Verlängerung des Arbeitstags. Innerhalb ge-
wisser Grenzen wird die vom Kapital erpressbare Zufuhr der Arbeit
also unabhängig von der Arbeiterzufuhr202). Umgekehrt lässt Ab-
nahmein der Rate des Mehrwerths die Masse des produ-
cirten Mehrwerths unverändert, wenn proportionell die Grösse des
variablen Kapitals oder die Anzahl der beschäftigten Arbeiter wächst.
Indess hat der Ersatz von Arbeiteranzahl oder Grösse des variablen
Kapitals durch gesteigerte Rate des Mehrwerths oder Verlängerung des
Arbeitstags unüberspringbare absolute Schranken. Welches immer der
Werth der Arbeitskraft sei, ob daher die zur Erhaltung des Arbei-
ters nothwendige Arbeitszeit 2 oder 10 Stunden betrage, der Ge-
sammtwerth, den ein Arbeiter, Tag aus Tag ein, produciren kann, ist
immer kleiner als der Werth, worin sich 24 Arbeitsstunden vergegen-
ständlichen, kleiner als 12 sh. oder 4 Thaler, wenn diess der Geldausdruck
der 24 vergegenständlichten Arbeitsstunden. Unter unsrer früheren An-
nahme, wonach täglich 6 Arbeitsstunden erheischt, um die Arbeitskraft
selbst zu reproduciren oder den in ihrem Ankauf vorgeschossenen Kapital-
werth zu ersetzen, producirt ein variables Kapital von 500 Thalern, das
täglich 500 Arbeiter zur Mehrwerthsrate von 100 % oder mit zwölfstün-
digem Arbeitstag verwendet, täglich einen Mehrwerth von 500 Thalern
oder 6 × 500 Arbeitsstunden. Ein Kapital von 100 Thalern, das 100
Arbeiter täglich verwendet zur Mehrwerthsrate von 200 % oder mit 18stün-
digem Arbeitstag, producirt nur eine Mehrwerths masse von 200 Tha-
lern oder 18 × 100 Arbeitsstunden. Und sein gesammtes Werthpro-
dukt, Aequivalent des vorgeschossenen Kapitals plus Mehrwerth, kann
Tag aus Tag ein, niemals die Summe von 400 Thalern oder 24 × 100
Arbeitsstunden erreichen. Die absolute Schranke des durch-
schnittlichen Arbeitstags, der von Natur immer kleiner ist als
24 Stunden, bildet eine absolute Schranke für den Ersatz von
variablem Kapital durch gesteigerte Rate des Mehr-
werths oder von exploitirter Arbeiteranzahl durch er-
höhten Exploitationsgrad der Arbeitskraft. Diess hand-
greifliche Gesetz ist wichtig zur Erklärung vieler Erscheinungen, entsprin-
gend aus der später zu entwickelnden Tendenz des Kapitals, die von ihm
beschäftigte Arbeiteranzahl oder seinen variablen in Arbeitskraft umgesetz-
ten Bestandtheil auf die Minimalschranke zu reduciren, im Wider-
spruch zu seiner andern Tendenz, die möglichst grosse Masse von
Mehrwerth zu produciren. Umgekehrt. Nimmt die Masse der ver-
wandten Arbeitskräfte zu, oder die Grösse des variablen Kapitals, aber
langsamer als die Rate des Mehrwerths abnimmt, so sinkt die Masse
des producirten Mehrwerths.
Ein drittes Gesetz ergiebt sich aus der Bestimmung der Masse des
producirten Mehrwerths durch die zwei Faktoren, Rate
des Mehrwerths und Grösse des vorgeschossenen variablen Kapitals. Die
Rate des Mehrwerths oder den Exploitationsgrad der Arbeitskraft, und den
Werth der Arbeitskraft oder die Grösse der nothwendigen Arbeits-
zeit gegeben, ist es selbstverständlich, dass je grösser das variable
Kapital, desto grösser die Masse des producirten Werths
und Mehrwerths. Ist die Grenze des Arbeitstags gegeben,
ebenso die Grenze seines nothwendigen Bestandtheils, so hängt
die Masse von Werth und Mehrwerth, die ein einzelner Kapitalist produ-
cirt, offenbar ausschliesslich ab von der Masse Arbeit, die er in Be-
wegung setzt. Diese aber hängt, unter den gegebnen Annahmen, ab von
der Masse Arbeitskraft oder der Arbeiteranzahl, die er
exploitirt, und diese Anzahl ihrerseits ist bestimmt durch die Grösse
des von ihm vorgeschossenen variablen Kapitals. Bei gegebner
Rate des Mehrwerths und gegebnem Werth der Arbeits-
kraft verhalten sich also die Massen des producirten
Mehrwerths direkt wie die Grössen der vorgeschossenen
variablen Kapitale. Nun weiss man aber, dass der Kapitalist sein Kapi-
tal in zwei Theile theilt. Einen Theil legt er aus in Produktionsmitteln.
Diess ist der constante Theil seines Kapitals. Den andern Theil setzt er um
in lebendige Arbeitskraft. Dieser Theil bildet sein variables Kapital.
Auf Basis derselben Produktionsweise findet in verschiednen
Produktionssphären verschiedne Theilung des Kapitals in constan-
ten und variablen Bestandtheil statt. Innerhalb derselben Produk-
tionssphäre wechselt diess Verhältniss mit wechselnder technolo-
gischer Grundlage und gesellschaftlicher Kombination des Produktions-
prozesses. Wie aber ein gegebnes Kapital immer zerfalle in con-
stanten und variablen Bestandtheil, ob der letztere sich zum ersteren ver-
halte wie 1 : 2, 1 : 10, oder 1 : x, das eben aufgestellte Gesetz wird nicht
davon berührt, da, früherer Analyse gemäss, der Werth des constanten
Kapitals im Produktenwerth zwar wiedererscheint, aber nicht in das neu-
gebildete Werthprodukt eingeht. Um 1000 Spinner zu verwenden, sind
natürlich mehr Rohmaterialien, Spindeln u. s. w. erheischt, als um 100 zu
verwenden. Der Werth dieser zuzusetzenden Produktionsmittel aber mag
steigen, fallen, unverändert bleiben, gross oder klein sein, er bleibt ohne
irgend einen Einfluss auf den Verwerthungsprozess der sie bewe-
genden Arbeitskräfte. Das oben konstatirte Gesetz nimmt also die allge-
meinere Form an: Die von verschiedenen Kapitalien pro-
ducirten Massen von Werth und Mehrwerth verhalten
sich, bei gegebnem Werth und gleich grossem Exploita-
tionsgrad der Arbeitskraft, direkt wie die Grössen der
variablen Bestandtheile dieser Kapitale, d. h. ihrer in
lebendige Arbeitskraft umgesetzten Bestandtheile.
Diess Gesetz widerspricht offenbar aller auf den Augenschein
gegründeten Erfahrung. Jedermann weiss, dass ein Baumwollspinner, der,
die Prozenttheile des angewandten Gesammtkapitals berechnet, relativ
viel constantes und wenig variables Kapital anwendet, desswegen kei-
nen kleineren Gewinn oder Mehrwerth erbeutet als ein Bäcker, der relativ
viel variables und wenig constantes Kapital in Bewegung setzt. Zur
Lösung dieses schcinbaren Widerspruchs bedarf es noch vieler Mittelglieder,
wie es vom Standpunkt der elementaren Algebra vieler Mittelglieder bedarf,
um zu verstehn, dass eine wirkliche Grösse darstellen kann. Obgleich
sie das Gesetz nie formulirt hat, hängt die klassische Oekonomie
instinktiv daran fest, weil es eine nothwendige Konsequenz des Werth-
gesetzes überhaupt ist. Sie sucht es durch gewaltsame Abstraktion vor
den Widersprüchen der Erscheinung zu retten. Man wird später203)
sehn, wie die Ricardo’sche Schule an diesem Stein des Anstosses ge-
stolpert ist. Die Vulgärökonomie, die „wirklich auch nichts gelernt hat“,
pocht hier, wie überall auf den Schein gegen das Gesetz der Erscheinung.
Sie glaubt im Gegensatz zu Spinoza, dass „die Unwissenheit ein hin-
reichender Grund ist“.
Die Arbeit, die das Gesammtkapital einer Gesellschaft täglich in Be-
wegung setzt, kann als ein einziger Arbeitstag betrachtet werden.
Ist z. B. die Zahl der Arbeiter eine Million und beträgt der Durchschnitts-
Arbeitstag eines Arbeiters 10 Stunden, so besteht der gesellschaft-
liche Arbeitstag aus 10 Millionen Stunden. Bei gegebner Länge
dieses Arbeitstags, seien seine Grenzen physisch oder social gezogen, kann
die Masse des Mehrwerths nur vermehrt werden durch Vermehrung
der Arbeiteranzahl, d. h. der Arbeiterbevölkerung. Das Wachs-
thum der Bevölkerung bildet hier die mathematische Grenze für Produk-
tion des Mehrwerths durch das gesellschaftliche Gesammtkapital. Umge-
kehrt. Bei gegebner Grösse der Bevölkerung wird diese Grenze gebildet
durch die mögliche Verlängerung des Arbeitstags204).
Man wird im folgenden Kapital sehn, dass diess Gesetz nur für die bisher
behandelte Form des Mehrwerths gilt.
Aus der bisherigen Betrachtung der Produktion des Mehrwerths er-
giebt sich, dass nicht jede beliebige Geld- oder Werthsumme in Kapital
verwandelt werden kann, sondern zu dieser Verwandlung vielmehr ein be-
stimmtes Minimum von Geld oder Tauschwerth in der Hand des ein-
zelnen Geld- oder Waarenbesitzers vorausgesetzt ist. Das Minimum
von variablem Kapital ist der Kostenpreis einer einzelnen Arbeits-
kraft, die das ganze Jahr durch, Tag aus Tag ein, zur Gewinnung von
Mehrwerth vernutzt wird. Wäre dieser Arbeiter im Besitz seiner eignen
Produktionsmittel, und begnügte er sich als Arbeiter zu leben, so genügte
ihm die zur Reproduktion seiner Lebensmittel nothwendige Arbeitszeit,
sage von 8 Stunden täglich. Er bedürfte also auch nur Produktions-
mittel für 8 Arbeitsstunden. Der Kapitalist dagegen, der ihn ausser die-
sen 8 Stunden sage 4 Stunden Mehrarbeit verrichten lässt, bedarf einer
zusätzlichen Geldsumme zur Beschaffung der zusätzlichen Produktions-
mittel. Unter unserer Annahme jedoch müsste er schon zwei Arbeiter
anwenden, um von dem täglich angeeigneten Mehrwerth wie ein Arbeiter
leben, d. h. die nothwendigen Bedürfnisse befriedigen zu können. In die-
sem Fall wäre blosser Lebensunterhalt der Zweck seiner Produktion, nicht
Vermehrung des Reichthums, und das letztre ist unterstellt bei der kapita-
listischen Produktion. Damit er nur doppelt so gut lebe wie ein gewöhn-
licher Arbeiter, und die Hälfte des producirten Mehrwerths in Kapital zu-
rückverwandle, müsste er zugleich mit der Arbeiterzahl das Minimum
des vorgeschossenen Kapitals um das Achtfache steigern. Allerdings kann
er selbst, gleich seinem Arbeiter, unmittelbar Hand im Produktionsprozesse
anlegen, aber ist dann auch nur ein Mittelding zwischen Kapitalist und
Arbeiter, ein „kleiner Meister“. Ein gewisser Höhegrad der kapi-
talistischen Produktion bedingt, dass der Kapitalist die ganze Zeit, während
deren er als Kapitalist, d. h. als personificirtes Kapital funktionirt, zur
Aneignung und daher Kontrole fremder Arbeit, und zum Verkauf der Pro-
dukte dieser Arbeit verwenden könne205). Die Verwandlung des Hand-
werksmeisters in den Kapitalisten suchte die zünftige Industrie des Mittel-
alters dadurch gewaltsam zu verhindern, dass sie die Arbeiteranzahl, die ein
einzelner Meister beschäftigen durfte, auf ein sehr geringes Maximum be-
schränkte. Der Geld- oder Waarenbesitzer verwandelt sich erst wirklich in
einen Kapitalisten, wo die für die Produktion vorgeschossene Minimal-
summe weit über dem mittelaltrigen Maximum steht. Hier, wie in der
Naturwissenschaft, bewährt sich die Richtigkeit des von Hegel in seiner
Logik entdeckten Gesetzes, dass bloss quantitative Veränderungen
auf einem gewissen Punkt in qualitative Unterschiede umschlagen205a).
Das Minimum der Werthsumme, worüber der einzelne Geld-
oder Waarenbesitzer verfügen muss, um sich in einen Kapitalisten zu ent-
puppen, wechselt auf verschiedenen Entwicklungsstufen der kapitalistischen
Produktion und ist, bei gegebner Entwicklungsstufe, verschieden in ver-
schiedenen Produktionssphären, je nach ihren besondern technologischen
Bedingungen. Gewisse Produktionssphären erheischen schon in den An-
fängen der kapitalistischen Produktion ein Minimum von Kapital,
das sich noch nicht in der Hand einzelner Individuen vorfindet. Diess
veranlasst theils Staatssubsidien an solche Private, wie in Frankreich zur
Zeit Colberts und wie in manchen deutschen Staaten bis in unsre Epoche
hinein, theils die Bildung von Gesellschaften mit gesetzlichem Monopol für
den Betrieb gewisser Industrie- und Handelszweige206), — die Vorläufer
der modernen Aktiengesellschaften.
Wir halten uns nicht beim Detail der Veränderungen auf, die das
Verhältniss von Kapitalist und Lohnarbeiter im Verlaufe des Produktions-
prozesses erfuhr, also auch nicht bei den weiteren Fortbestimmungen des
Kapitals selbst. Nur wenige Hauptpunkte seien hier betont.
Innerhalb des Produktionsprozesses entwickelte sich das Kapital
zum Kommando über die Arbeit, d. h. über die sich bethätigende
Arbeitskraft oder den Arbeiter selbst. Das personificirte Kapital,
der Kapitalist, passt auf, dass der Arbeiter sein Werk ordentlich und mit
dem gehörigen Grad von Intensivität verrichte.
Das Kapital entwickelte sich ferner zu einem Zwangsverhält-
niss, welches die Arbeiterklasse zwingt mehr Arbeit zu verrichten als der
enge Umkreis ihrer eignen Lebensbedürfnisse vorschrieb. Und als Pro-
duzent fremder Arbeitsamkeit, als Auspumper von Mehrarbeit und Exploi-
teur von Arbeitskraft, übergipfelt es an Energie, Masslosigkeit und Wirk-
samkeit alle früheren auf direkter Zwangsarbeit beruhenden Pro-
duktionssysteme.
Das Kapital ordnet sich zunächst die Arbeit unter mit den gegebenen
technologischen Bedingungen, worin es sie historisch vorfindet. Es ver-
ändert daher nicht unmittelbar die Produktionsweise. Die Produktion von
Mehrwerth in der bisher betrachteten Form, durch einfache Verlängerung des
Arbeitstags, erschien daher von jedem Wechsel der Produktionsweise selbst
unabhängig. Sie war in der altmodischen Bäckerei nicht minder wirksam
als in der modernen Baumwollspinnerei. Betrachteten wir den Produk-
tionsprozess daher bloss unter dem Gesichtspunkt des Arbeitsprozesses,
so verhielt sich der Arbeiter zu den Produktionsmitteln nicht als Kapital,
sondern als blossem Mittel und Material seiner zweckmässigen produktiven
Thätigkeit. In einer Gerberei z. B. behandelt er die Felle als seinen blossen
Arbeitsgegenstand. Es ist nicht der Kapitalist, dem er das Fell gerbt.
Anders, sobald wir den Produktionsprozess unter dem Gesichtspunkt des
Verwerthungsprozesses betrachteten. Die Produktionsmittel ver-
wandelten sich sofort in Mittel zur Einsaugung fremder Arbeit. Es ist nicht
mehr der Arbeiter, der die Produktionsmittel anwendet, son-
dern es sind die Produktionsmittel, die den Arbeiter an-
wenden. Statt von ihm als stoffliche Elemente seiner produktiven Thä-
tigkeit verzehrt zu werden, verzehren sie ihn als Ferment ihres eignen
Lebensprozesses, und der Lebensprozess des Kapitals besteht nur in seiner
Bewegung als sich selbst verwerthender Werth. Schmelzöfen
und Arbeitsgebäude, die des Nachts ruhn und keine lebendige Arbeit ein-
saugen, sind „reiner Verlust“ („a mere loss“) für den Kapitalisten. Da-
rum konstituiren Schmelzöfen und Arbeitsgebäude einen „Anspruch auf
die Nachtarbeit“ der Arbeitskräfte. Die blosse Verwandlung des Geldes
in gegenständliche Faktoren des Produktionsprozesses, in Produktions-
mittel, verwandelt letztre in Rechtstitel und Zwangstitel auf
fremde Arbeit und Mehrarbeit. Wie diese der kapitalistischen Produktion
eigenthümliche und sie charakterisirende Verkehrung, ja Verrückung des
Verhältnisses von todter und lebendiger Arbeit, von Werth und werth-
schöpferischer Kraft, sich im Bewusstsein der Kapitalistenköpfe abspie-
gelt, zeige schliesslich noch ein Beispiel. Während der englischen Fabri-
kantenrevolte von 1848—50 schrieb „der Chef der Leinen- und Baum-
wollspinnerei zu Paisley, einer der ältesten und respektabelsten Firmen
von Westschottland, der Herrn Carlile, Söhne und Co., deren Kompagnie
seit 1752 besteht und Generation nach Generation von derselben Familie
geführt wird“, — dieser äusserst intelligente Gentleman also schrieb in die
„Glasgow Daily Mail“ vom 25. April 1849 einen Brief207) unter dem
Titel: „das Relaissystem“, worin u. a. folgende grotesk naive Stelle
unterläuft: „Lasst uns nun die Uebel betrachten, die aus einer Reduktion
der Arbeitszeit von 12 auf 10 Stunden fliessen . . . . Sie „belaufen“ sich
auf die allerernsthafteste Beschädigung der Aussichten und des Eigen-
thums des Fabrikanten. Arbeitete er (d. h. seine „Hände“) 12 Stunden
und wird er auf 10 beschränkt, dann schrumpfen je 12 Maschinen oder
Spindeln seines Etablissements auf 10 zusammen, („then every 12 ma-
chines or spindles, in his establishment, shrink to 10“), und wollte er
seine Fabrik verkaufen, so würden sie nur als 10 gewerthschätzt werden,
so dass so ein sechster Theil vom Werth einer jeden Fabrik im ganzen
Lande abgezogen würde“208).
Diesem erbangestammten Kapitalhirn von Westschottland ver-
schwimmt der Werth der Produktionsmittel, Spindeln u. s. w., so sehr
mit ihrer Kapitaleigenschaft, sich selbst zu verwerthen, oder täg-
lich ein bestimmtes Quantum fremder Gratisarbeit einzuschlucken, dass
der Chef des Hauses Carlile und Co. in der That wähnt, beim Verkauf
seiner Fabrik werde ihm nicht nur der Werth der Spindeln gezahlt, sondern
obendrein ihre Verwerthung, nicht nur die Arbeit, die in ihnen steckt und zur
Produktion von Spindeln derselben Art nöthig ist, sondern auch die Mehr-
arbeit, die sie täglich aus den braven Westschotten von Paisley auspumpen,
und eben desshalb, meint er, schrumpfe mit der Kontraktion des Arbeits-
tags um zwei Stunden der Verkaufspreis von je 12 Spinnmaschinen auf
den von je 10 zusammen!
Der Theil des Arbeitstags, der bloss ein Aequivalent für den
vom Kapital gezahlten Werth der Arbeitskraft produzirt, galt uns bisher
als constante Grösse, was er in der That ist unter gegebnen Pro-
duktionsbedingungen, auf einer vorhandnen ökonomischen Entwicklungs-
stufe der Gesellschaft. Ueber diese seine nothwendige Arbeitszeit
hinaus konnte der Arbeiter 2, 3, 4, 6 u. s. w. Stunden arbeiten. Von
der Grösse dieser Verlängerung hingen Rate des Mehr-
werths und Grösse des Arbeitstags ab. War die nothwendige
Arbeitszeit constant, so dagegen der Gesammtarbeitstag variabel. Unter-
stelle jetzt einen Arbeitstag, dessen Grösse und dessen Theilung
in nothwendige Arbeit und Mehrarbeit gegeben sind. Die Linie a c
a-------------b---c stelle z. B. einen zwölfstündigen Arbeitstag vor,
das Stück a b 10 Stunden nothwendige Arbeit, das Stück b c 2 Stunden
Mehrarbeit. Wie kann nun die Produktion von Mehrwerth vergrössert,
d. h. die Mehrarbeit verlängert werden, ohne jede weitere Verlängerung
oder unabhängig von jeder weiteren Verlängerung von a c?
Trotz gegebner Grenzen des Arbeitstags a c scheint b c verlängerbar,
wenn nicht durch Ausdehnung über seinen Endpunkt c, der zugleich der
Endpunkt des Arbeitstags a c ist, so durch Verschiebung seines Anfangs-
punkts b in entgegengesetzter Richtung nach a hin. Nimm an, b' b
a-------------b'--b----c sei gleich der Hälfte von b c oder gleich einer
Arbeitsstunde. Wird nun in dem zwölfstündigen Arbeitstag a c der Punkt
b nach b' verrückt, so dehnt sich b c aus zu b' c, die Mehrarbeit wächst
um die Hälfte, von 2 auf 3 Stunden, obgleich der Arbeitstag nach wie vor
nur 12 Stunden zählt. Diese Ausdehnung der Mehrarbeit von b c auf
b' c, von 2 auf 3 Stunden, ist aber offenbar unmöglich ohne gleichzeitige
Zusammenziehung der nothwendigen Arbeit von a b auf a b', von 10 auf
9 Stunden. Der Verlängerung der Mehrarbeit entspräche die
Verkürzung der nothwendigen Arbeit, oder ein Theil der
Arbeitszeit, die der Arbeiter bisher in der That für sich selbst verbraucht,
verwandelt sich in Arbeitszeit für den Kapitalisten. Was verändert,
wäre nicht die Länge des Arbeitstags, sondern seine Theilung
in nothwendige Arbeit und Mehrarbeit.
Andrerseits ist die Grösse der Mehrarbeit offenbar selbst ge-
geben mit gegebner Grösse des Arbeitstags und gegebnem
Werth der Arbeitskraft. Der Werth der Arbeitskraft, d. h. die zu ihrer
Produktion erheischte Arbeitszeit, bestimmt die zur Reproduktion ihres
Werths nothwendige Arbeitszeit. Stellt sich eine Arbeitsstunde in einem
Goldquantum von einem halben Shilling oder 6 d. dar, und beträgt der
Tageswerth der Arbeitskraft 5 sh., so muss der Arbeiter täglich 10 Stun-
den arbeiten, um den ihm vom Kapital gezahlten Tageswerth seiner Arbeits-
kraft zu ersetzen oder ein Aequivalent für den Werth seiner nothwendigen
täglichen Lebensmittel zu produziren. Mit dem Werth dieser Lebensmittel
ist der Werth seiner Arbeitskraft1), mit dem Werth seiner Arbeitskraft ist
die Grösse seiner nothwendigen Arbeitszeit gegeben. Die
Grösse der Mehrarbeit aber wird erhalten durch Subtraktion
der nothwendigen Arbeitszeit vom Gesammtarbeitstag.
Zehn Stunden subtrahirt von zwölf lassen zwei, und es ist nicht abzusehn,
wie die Mehrarbeit unter den gegebnen Bedingungen über zwei Stunden
hinaus verlängert werden kann. Allerdings mag der Kapitalist statt 5 sh.
dem Arbeiter nur 4 sh. 6 d. oder noch weniger zahlen. Zur Reproduktion
dieses Werths von 4 sh. 6 d. würden 9 Arbeitsstunden genügen, von dem
zwölfstündigen Arbeitstag daher 3 statt 2 Stunden der Mehrarbeit anheim-
fallen und der Mehrwerth selbst von 1 sh. auf 1 sh. 6 d. steigen. Diess
Resultat wäre jedoch nur erzielt durch Herabdrückung des Lohns
des Arbeiters unter den Werth seiner Arbeitskraft. Mit
den 4 sh. 6 d., die er in 9 Stunden producirt, verfügt er über ⅒ weniger
Lebensmittel als vorher und so findet nur eine verkümmerte Reproduk-
tion seiner Arbeitskraft statt. Die Mehrarbeit würde hier nur verlängert
durch Ueberschreitung ihrer normalen Grenzen, ihre Domäne nur ausge-
dehnt durch usurpatorischen Abbruch von der Domäne der nothwendigen
Arbeitszeit. Trotz der wichtigen Rolle, welche diese Methode in der wirk-
lichen Bewegung des Arbeitslohnes spielt, ist sie hier ausgeschlossen durch
die Voraussetzung, dass die Waaren, also auch die Arbeitskraft, zu ihrem
vollen Werth gekauft und verkauft werden. Diess einmal unterstellt, kann
die zur Produktion der Arbeitskraft oder zur Reproduktion ihres Werths noth-
wendige Arbeitszeit nicht abnehmen, weil der Lohn des Arbeiters
unter den Werth seiner Arbeitskraft, sondern nur weil dieser Werth
selbst sinkt. Bei gegebner Länge des Arbeitstags muss die Verlänge-
rung der Mehrarbeit aus der Verkürzung der nothwendigen Arbeitszeit ent-
springen, nicht umgekehrt die Verkürzung der nothwendigen Arbeitszeit
aus der Verlängerung der Mehrarbeit. In unsrem Beispiel muss der
Werth der Arbeitskraft wirklich um ⅒ sinken, damit die nothwendige
Arbeitszeit um ⅒ abnehme, von 10 auf 9 Stunden, und daher die
Mehrarbeit sich von 2 auf 3 Stunden verlängere.
Eine solche Senkung des Werths der Arbeitskraft um ⅒ bedingt
aber ihrerseits, dass dieselbe Masse Lebensmittel, die früher in
10, jetzt in 9 Stunden producirt wird. Diess ist jedoch unmöglich
ohne eine Erhöhung der Produktivkraft der Arbeit. Mit
gegebnen Mitteln kann ein Schuster z. B. ein Paar Stiefel in einem Ar-
beitstag von 12 Stunden machen. Soll er in derselben Zeit zwei Paar
Stiefel machen, so muss sich die Produktivkraft seiner Arbeit verdoppeln,
und sie kann sich nicht verdoppeln ohne eine Aenderung in seinen Ar-
beitsmitteln oder seiner Arbeitsmethode oder beiden zugleich. Es muss
daher eine Revolution in den Produktionsbedingungen seiner
Arbeit, d. h. in seiner Produktionsweise und daher im Arbeitsprozess
selbst eintreten. Unter Erhöhung der Produktivkraft der Ar-
beit verstehn wir hier überhaupt eine Veränderung im Arbeits-
prozess, wodurch die zur Produktion einer Waare gesellschaftlich er-
heischte Arbeitszeit verkürzt wird, ein kleineres Quantum Arbeit also die
Kraft erwirbt ein grösseres Quantum Gebrauchswerth zu produciren2).
Während also bei der Produktion des Mehrwerths in der bisher betrach-
teten Form die Produktionsweise als gegeben unterstellt war, ge-
nügt es für die Produktion von Mehrwerth durch Verwandlung noth-
wendiger Arbeit in Mehrarbeit keineswegs, dass das Kapital sich des Ar-
beitsprozesses in seiner historisch überlieferten oder vorhandenen
Gestalt bemächtigt und nur seine Dauer verlängert. Es muss die tech-
nologischen und gesellschaftlichen Bedingungen des Arbeitsprozesses, also
die Produktionsweise selbst umwälzen, um die Produktivkraft
der Arbeit zu erhöhn, durch die Erhöhung der Produktivkraft der Ar-
beit den Werth der Arbeitskraft zu senken und so den zur Repro-
duktion dieses Werths nothwendigen Theil des Arbeitstages zu ver-
kürzen.
Durch Verlängerung des Arbeitstags producirten Mehrwerth
nenne ich absoluten Mehrwerth; den Mehrwerth dagegen, der aus
Verkürzung der nothwendigen Arbeitszeit und entsprechender Ver-
änderung im Grössenverhältniss der beiden Bestandtheile des Ar-
beitstags entspringt, — relativen Mehrwerth.
Um den Werth der Arbeitskraft zu senken, muss die Steige-
rung der Produktivkraft Industriezweige ergreifen, deren Pro-
dukte den Werth der Arbeitskraft bestimmen, also entweder dem Umkreis
der gewohnheitsmässigen Lebensmittel angehören oder sie ersetzen können.
Der Werth einer Waare ist aber nicht nur bestimmt durch das Quantum der
Arbeit, welche ihr die letzte Form giebt, sondern ebensowohl durch die in
ihren Produktionsmitteln enthaltene Arbeitsmasse. Z. B. der Werth
eines Stiefels nicht nur durch die Schusterarbeit, sondern auch durch den
Werth von Leder, Pech, Draht u. s. w. Steigerung der Produktivkraft und
entsprechende Verwohlfeilerung der Waaren in den Industrien,
welche die stofflichen Elemente des constanten Kapitals, die Arbeits-
mittel und das Arbeitsmaterial, zur Erzeugung der nothwendigen Lebens-
mittel liefern, senken also ebenfalls den Werth der Arbeitskraft. In Pro-
duktionszweigen dagegen, die weder nothwendige Lebensmittel liefern, noch
Produktionsmittel zu ihrer Herstellung, lässt die erhöhte Produktivkraft
den Werth der Arbeitskraft unberührt.
Die verwohlfeilerte Waare senkt natürlich den Werth der Arbeits-
kraft nur pro tanto, d. h. nur im Verhältniss, worin sie in die Repro-
duktion der Arbeitskraft eingeht. Hemden z. B. sind ein nothwendiges
Lebensmittel, aber nur eins von vielen. Ihre Verwohlfeilerung vermin-
dert nur die Ausgabe des Arbeiters für Hemden. Die Gesammtsumme
der nothwendigen Lebensmittel besteht zwar nur aus einzelnen Waaren,
lauter Produkten besondrer Industrien, und der Werth jeder besondern
Waare bildet immer nur einen aliquoten Theil vom Werth der Arbeitskraft.
Die Gesammtabnahme dieses Werths, und daher der zu seiner Reproduk-
tion nothwendigen Arbeitszeit, ist jedoch gleich der Summe der Verkür-
zungen der nothwendigen Arbeitszeit in allen jenen besondren Produktions-
zweigen. Wir behandeln diess allgemeine Resultat hier so, als wäre es
unmittelbares Resultat und unmittelbarer Zweck in jedem
einzelnen Fall, obgleich die Sache anders erscheint. Wenn ein einzel-
ner Kapitalist durch Steigerung der Produktivkraft der Arbeit z. B. Hem-
den verwohlfeilert, schwebt ihm keineswegs nothwendig der Zweck vor,
den Werth der Arbeitskraft und daher die nothwendige Arbeits-
zeit pro tanto zu senken, aber nur soweit er schliesslich zu diesem Re-
sultat beiträgt, trägt er bei zur Erhöhung der allgemeinen Rate des
Mehrwerths3). Die allgemeinen und nothwendigen Tendenzen des
Kapitals sind zu unterscheiden von ihren Erscheinungsformen.
Die Darstellung der Art und Weise, wie die immanenten Ge-
setze der kapitalistischen Produktion in der äussern Bewe-
gung der Kapitale erscheinen, sich als Zwangsgesetze der Kon-
kurrenz geltend machen, und daher als treibende Motive dem indivi-
duellen Kapitalisten zum Bewusstsein kommen, fällt ausserhalb der
Schranken dieser Schrift. Wissenschaftliche Analyse der Konkurrenz ist
überhaupt nur möglich, sobald die innere Natur des Kapitals begriffen ist.
Ganz wie die scheinbare Bewegung der Himmelskörper nur dem verständ-
lich, der ihre wirkliche, aber sinnlich nicht wahrnehmbare Bewegung
kennt. Dennoch ist zum Verständniss der Produktion des relativen Mehr-
werths, und bloss auf Grundlage der bereits gewonnenen Resultate, Folgendes
zu bemerken.
Stellt sich eine Arbeitsstunde in einem Goldquantum von 6 d. oder
½sh. dar, so wird in zwölfstündigem Arbeitstag ein Werth von 6 sh. pro-
ducirt. Gesetzt mit der gegebnen Produktivkraft der Arbeit würden 12 Stück
Waaren in diesen 12 Arbeitsstunden verfertigt. Der Werth der in jedem Stück
vernutzten Produktionsmittel, Rohmaterial u. s. w., sei 6 d. Unter diesen
Umständen kostet die einzelne Waare 1 sh., nämlich 6 d. für den Werth
der Produktionsmittel, 6 d. für den in ihrer Verarbeitung neu zugesetzten
Werth. Es gelinge nun einem Kapitalisten die Produktivkraft der Arbeit
zu verdoppeln und daher 24 Stück dieser Waarenart statt 12 in dem zwölf-
stündigen Arbeitstag zu produciren. Bei unverändertem Werth der Produk-
tionsmittel sinkt der Werth der einzelnen Waare jetzt auf 9 d., nämlich 6 d.
für den Werth der Produktionsmittel, 3 d. für den durch die letzte Arbeit
neu zugesetzten Werth. Trotz der verdoppelten Produktivkraft schafft der
Arbeitstag nach wie vor nur einen Neuwerth von 6 sh. Aber dieser Werth
vertheilt sich auf doppelt so viel Produkte. Auf jedes einzelne Produkt
fällt daher nur noch dieses Gesammtwerths statt früher
, 3 d.
statt 6 d., oder, was dasselbe ist, den Produktionsmitteln wird bei ihrer
Verwandlung in Produkt, jedes Stück berechnet, jetzt nur noch eine halbe
statt wie früher eine ganze Arbeitsstunde zugesetzt. Der individuelle
Werth dieser Waare steht nun unter ihrem gesellschaftlichen
Werth, d. h. sie kostet weniger Arbeitszeit als der grosse Haufen der-
selben Artikel, producirt unter den gesellschaftlichen Durchschnittsbe-
dingungen. Das Stück kostet im Durchschnitt 1 sh. oder stellt 2 Stunden
gesellschaftlicher Arbeit dar; mit der veränderten Produktionsweise kostet
es nur 9 d. oder enthält nur 1½ Arbeitsstunden. Der wirkliche Werth
einer Waare ist aber nicht durch ihren individuellen, sondern durch
ihren gesellschaftlichen Werth bestimmt, d. h. nicht durch die Ar-
beitszeit, die sie im einzelnen Fall dem Produzenten thatsächlich kostet,
sondern durch die gesellschaftlich zu ihrer Produktion erheischte Arbeitszeit.
Verkauft also der Kapitalist, der die neue Methode anwendet, seine Waare
zu ihrem gesellschaftlichen Werth von 1 sh., so verkauft er sie 3 d. über
ihrem individuellen Werth und realisirt so einen Extra-Mehrwerth von 3 d.
Andrerseits stellt sich aber der zwölfstündige Arbeitstag jetzt für ihn in
24 Stück Waare dar statt früher in 12. Um also das Produkt eines
Arbeitstags zu verkaufen, bedarf er doppelten Absatzes oder eines zwei-
fach grösseren Markts. Unter sonst gleichbleibenden Umständen erobern
seine Waaren nur grösseren Marktraum durch Kontraktion ihrer Preise.
Er wird sie daher über ihrem individuellen, aber unter ihrem gesell-
schaftlichen Werth verkaufen, sage zu 10 d. das Stück. So schlägt
er an jedem einzelnen Stück immer noch einen Extra-Mehrwerth von 1 d. her-
aus. Diese Steigerung des Mehrwerths findet für ihn statt, ob oder ob nicht
seine Waare dem Umkreis der nothwendigen Lebensmittel angehört und
daher bestimmend in den allgemeinen Werth der Arbeitskraft eingeht.
Vom letztren Umstand abgesehn, existirt also für jeden einzelnen Kapita-
listen das Motiv die Waare durch erhöhte Produktivkraft der Arbeit zu
verwohlfeilern.
Indess entspringt selbst in diesem Fall die gesteigerte Produktion von
Mehrwerth aus der Verkürzung der nothwendigen Arbeitszeit und ent-
sprechender Verlängerung der Mehrarbeit3a). Die nothwendige Arbeitszeit
betrug 10 Stunden oder der Tageswerth der Arbeitskraft 5 sh., die Mehr-
arbeit 2 Stunden, der täglich producirte Mehrwerth daher 1 sh. Unser Kapi-
talist producirt aber jetzt 24 Stück, die er zu 10 d. per Stück oder zusammen
zu 20 sh. verkauft. Da der Werth der Produktionsmittel gleich 12 sh.,
ersetzen 14⅖ Stück Waare nur das vorgeschossene constante Kapital.
Der zwölfstündige Arbeitstag stellt sich in den übrigbleibenden 9⅗ Stück
dar. Da der Preis der Arbeitskraft = 5 sh., stellt sich im Produkt von
6 Stück die nothwendige Arbeitszeit dar und in 3⅗ Stück die Mehrarbeit.
Die nothwendige Arbeitszeit beträgt jetzt weniger als ⅔, die Mehrarbeit
mehr als ⅓ des Arbeitstags, während unter den gesellschaftlichen Durch-
schnittsbedingungen die nothwendige Arbeit ⅚ und die Mehrarbeit nur
⅙ des Arbeitstags einnimmt. Dasselbe Resultat erhält man so: Der
Produktenwerth des zwölfstündigen Arbeitstags ist 20 sh. Davon
gehören 12 sh. dem nur wieder erscheinenden Werth der Produktions-
mittel. Bleiben also 8 sh. als Geldausdruck des Werths, worin sich der
Arbeitstag darstellt. Dieser Geldausdruck ist höher als der Geldausdruck
der gesellschaftlichen Durchschnittsarbeit von derselben Sorte, wovon sich
12 Stunden nur in 6 sh. ausdrücken. Die Arbeit von ausnahms-
weiser Produktivkraft wirkt als potenzirte Arbeit oder schafft in
gleichen Zeiträumen höhere Werthe als die gesellschaftliche Durchschnitts-
arbeit derselben Art. Aber unser Kapitalist zahlt nach wie vor nur 5 sh.
für den Tageswerth der Arbeitskraft. Der Arbeiter bedarf daher statt
früher 10, jetzt weniger als 8 Stunden zur Reproduktion dieses Werths.
Seine Mehrarbeit wächst daher von 2 Stunden auf mehr als 4, der von
ihm producirte Mehrwerth von 1 sh. auf 3 sh. 6 d. Der Kapitalist, der
die verbesserte Produktionsweise anwendet, eignet sich daher einen grös-
seren Theil des Arbeitstags für Mehrarbeit an, als die übrigen Kapita-
listen in demselben Geschäft. Er thut im Einzelnen, was das Kapital
bei der Produktion des relativen Mehrwerths im Grossen und Ganzen thut.
Andrerseits aber verschwindet jener Extra-Mehrwerth, sobald die neue
Produktionsweise sich verallgemeinert und damit die Differenz zwischen
dem individuellen Werth der wohlfeiler producirten Waaren und
ihrem gesellschaftlichen Werth verschwindet. Dasselbe Gesetz
der Werthbestimmung durch die Arbeitszeit, das dem Kapitalisten mit der
neuen Methode in der Form fühlbar wird, dass er seine Waare unter
ihrem gesellschaftlichen Werth verkaufen muss, treibt seine Mitbewerber
als Zwangsgesetz der Konkurrenz zur Einführung der neuen Produk-
tionsweise4). Die allgemeine Rate des Mehrwerths wird also
durch den ganzen Prozess schliesslich nur berührt, wenn die Erhöhung
der Produktivkraft der Arbeit Produktionszweige ergriffen, also Waaren
verwohlfeilert hat, die in den Kreis der nothwendigen Lebensmittel ein-
gehn, daher Elemente des Werths der Arbeitskraft bilden.
Der Werth der Waaren steht in umgekehrtem Verhält-
niss zur Produktivkraft der Arbeit. Ebenso, weil durch
Waarenwerthe bestimmt, der Werth der Arbeitskraft. Dagegen
steht der relative Mehrwerth in direktem Verhältniss zur
Produktivkraft der Arbeit. Er steigt mit steigender und fällt mit fallender
Produktivkraft. Ein gesellschaftlicher Durchschnittsarbeitstag von 12
Stunden, Geldwerth als gleichbleibend vorausgesetzt, producirt stets das-
selbe Werthprodukt von 6 sh., wie diese Werthsumme sich immer vertheile
zwischen Aequivalent für den Werth der Arbeitskraft und Mehrwerth.
Fällt aber in Folge gesteigerter Produktivkraft der Werth der täglichen
Lebensmittel und daher der Tageswerth der Arbeitskraft von 5 sh. auf
3 sh., so wächst der Mehrwerth von 1 sh. auf 3 sh. Um den Werth der
Arbeitskraft zu reproduciren, waren 10 und sind jetzt nur noch 6 Ar-
beitsstunden nöthig. Vier Arbeitsstunden sind frei geworden und können
der Domäne der Mehrarbeit annexirt werden. Es ist daher der imma-
nente Trieb und die beständige Tendenz des Kapitals die Produktivkraft
der Arbeit zu steigern, um die Waare und durch die Verwohlfeile-
rung der Waare den Arbeiter selbst zu verwohlfeilern5).
Der absolute Werth der Waare ist dem Kapitalisten, der sie
producirt, an und für sich gleichgültig. Ihn interessirt nur der in ihr
steckende und im Verkauf realisirbare Mehrwerth. Realisirung von Mehr-
werth schliesst von selbst Ersatz des vorgeschossenen Werths ein. Da
nun der relative Mehrwerth in direktem Verhältniss zur Entwicklung der
Produktivkraft der Arbeit wächst, während der Werth der Waaren in um-
gekehrtem Verhältniss zur selben Entwicklung fällt, da also derselbe iden-
tische Prozess die Waaren verwohlfeilert und den in ihnen enthaltenen
Mehrwerth steigert, löst sich das Räthsel, dass der Kapitalist, dem es nur
um die Produktion von Tauschwerth zu thun ist, den Tauschwerth der Waa-
ren beständig zu senken strebt, ein Widerspruch, womit einer der Gründer
der politischen Oekonomie, Dr. Quesnay, seine Gegner quälte und wor-
auf sie ihm die Antwort schuldig blieben. „Ihr gebt zu“, sagt Quesnay,
„dass je mehr man, ohne Nachtheil für die Produktion, Kosten oder kost-
spielige Arbeiten in der Fabrikation industrieller Produkte ersparen kann,
desto vortheilhafter diese Ersparung, weil sie den Preis des Machwerks
vermindert. Und trotzdem glaubt ihr, dass die Produktion des Reich-
thums, der aus den Arbeiten der Industriellen resultirt, in der Vermehrung
des Tauschwerths ihres Machwerks besteht“6).
Oekonomie der Arbeit durch Entwicklung der Produktivkraft der
Arbeit7) bezweckt in der kapitalistischen Produktion also durchaus nicht
Verkürzung des Arbeitstags. Sie bezweckt nur Verkürzung der für Pro-
duktion eines bestimmten Waarenquantums nothwendigen Arbeits-
zeit. Dass der Arbeiter bei gesteigerter Produktivkraft seiner Arbeit in einer
Stunde z. B. 10 mal mehr Waare als früher producirt, also für jedes Stück
Waare 10 mal weniger Arbeitszeit braucht, verhindert durchaus nicht, ihn nach
wie vor 12 Stunden arbeiten und in den 12 Stunden 1200 statt früher
120 Stück produciren zu lassen. Ja sein Arbeitstag mag gleichzeitig
verlängert werden, so dass er jetzt in 14 Stunden 1400 Stück producirt
u. s. w. Man kann daher bei Oekonomen vom Schlag eines Mac Cul-
loch, Ure, Senior und tutti quanti auf einer Seite lesen, dass der Arbeiter
dem Kapital für die Entwicklung der Produktivkräfte Dank schuldet, weil sie
die nothwendige Arbeitszeit verkürzt, und auf der nächsten Seite, dass
er diesen Dank beweisen muss, indem er statt 10 künftig 15 Stunden
arbeitet. Die Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit, innerhalb der
kapitalistischen Produktion, bezweckt den Theil des Arbeitstags,
den der Arbeiter für sich selbst arbeiten muss, zu verkürzen,
um grade dadurch den andern Theil des Arbeitstags, den er
für den Kapitalisten umsonst arbeiten kann, zu verlän-
gern. Wie weit diess Resultat auch ohne Verwohlfeilerung der Waaren
erreichbar, wird sich zeigen in den besondern Produktionsmetho-
den des relativen Mehrwerths, zu deren Betrachtung wir jetzt
übergehn.
Die kapitalistische Produktion, wie wir sahen, beginnt in der That erst,
wo dasselbe individuelle Kapital eine grössere Anzahl Arbeiter gleichzeitig
beschäftigt, der Arbeitsprozess also seinen Umfang erweitert und Produkt
auf grösserer quantitativer Stufenleiter liefert. Nur wo die Arbeiter-
anzahl hinreicht, damit die von ihr producirte Masse von Mehrwerth den
Arbeitsanwender selbst von der Arbeit entbinde, wird der letztere vollbür-
tiger Kapitalist. Das Wirken einer grössern Arbeiteranzahl zur selben Zeit,
in demselben Raum (oder, wenn man will, auf demselben Arbeitsfeld), zur
Produktion derselben Waarensorte, unter dem Kommando desselben Kapita-
listen, bildet daher historisch und begrifflich den Ausgangspunkt der
kapitalistischen Produktion. Mit Bezug auf die Produktions-
weise selbst unterscheidet sich z. B. die Manufaktur in ihren An-
fängen kaum anders von der zünftigen Handwerksindustrie als durch die
grössere Zahl der gleichzeitig von demselben Kapital beschäftigten Arbei-
ter. Die Werkstatt des Zunftmeisters ist nur erweitert.
Der Unterschied ist also zunächst bloss quantitativ. Man sah,
dass die Masse des Mehrwerths, welche ein gegebnes Kapital produ-
cirt, gleich dem Mehrwerth, den der einzelne Arbeiter liefert, multiplicirt mit
der Anzahl der gleichzeitig beschäftigten Arbeiter. Diese Anzahl ändert
an und für sich nichts an der Rate des Mehrwerths oder dem Ex-
ploitationsgrad der Arbeitskraft. Was aber die Produktion von Waaren-
werth überhaupt betrifft, so scheint für sie selbst jede qualitative Ver-
änderung des Arbeitsprozesses gleichgültig. Es folgt diess aus der Natur des
Tauschwerths, der nichts ist als ein bestimmtes Quantum vergegen-
ständlichter Arbeit. Vergegenständlicht sich ein zwölfstündiger Arbeits-
tag in 6 sh., so 1200 solcher Arbeitstage in 6 sh. × 1200. In dem
einen Fall haben sich 12 × 1200, in dem andern 12 Arbeitsstunden den
Produkten einverleibt. In der Werthproduktion zählen Viele immer nur
als viele Einzelne. Für die Werthproduktion macht es also keinen
qualitativen Unterschied, ob 1200 Arbeiter vereinzelt oder ob sie
unter dem Kommando desselben Kapitals vereint produciren.
Indess findet doch innerhalb gewisser Grenzen eine Modifikation statt.
Die im Werth vergegenständlichte Arbeit ist Arbeit von gesellschaft-
licher Durchschnittsqualität und so ist der Werth der Arbeitskraft der
Werth durchschnittlicher Arbeitskraft. Eine Durchschnittsgrösse existirt
aber immer nur als Durchschnitt vieler verschiedner Grössenindividuen der-
selben Art. In jedem Industriezweig weicht der individuelle Arbeiter,
Peter oder Paul, mehr oder minder vom Durchschnittsarbeiter ab. Diese
individuellen Abweichungen oder was man mathematisch „Irrthümer“
nennt, kompensiren sich und verschwinden, sobald man eine grössere An-
zahl Arbeiter zusammennimmt. Der berühmte Sophist und Sykophant
Edmund Burke will aus seinen praktischen Erfahrungen als Pächter
sogar wissen, dass schon „für ein so geringes Peloton“ wie 5 Acker-
knechte aller individuelle Unterschied der Arbeit verschwindet, also die
ersten besten im Mannesalter befindlichen fünf englischen Ackerknechte
zusammengenommen in derselben Zeit grad so viel Arbeit verrichten als
beliebige andre fünf englische Ackerknechte8). Die von ihm angegebne
Zahl ist hier gleichgültig, aber es ist klar, dass der Gesammtarbeitstag
einer grössern Anzahl gleichzeitig beschäftigter Arbeiter an und für sich
ein Tag gesellschaftlicher Durchschnittsarbeit ist. Der
Arbeitstag des Einzelnen sei z. B. zwölfstündig. So bildet der Arbeitstag
von 12 gleichzeitig beschäftigten Arbeitern einen Gesammtarbeitstag von
144 Stunden, und obgleich die Arbeit eines Jeden des Dutzend mehr oder
minder von der gesellschaftlichen Durchschnittsarbeit abweichen, der Ein-
zelne daher etwas mehr oder weniger Zeit zu derselben Verrichtung brau-
chen mag, besitzt der Arbeitstag jedes Einzelnen als ein Zwölftel des Ge-
sammtarbeitstags von 144 Stunden die gesellschaftliche Durchschnittsqualität.
Für den Kapitalisten aber, der ein Dutzend beschäftigt, existirt der Arbeitstag
als Gesammtarbeitstag des Dutzend. Der Arbeitstag jedes Einzelnen existirt
als aliquoter Theil des Gesammtarbeitstags, ganz unabhängig davon, ob
die Zwölf einander in die Hand arbeiten oder ob der ganze Zusammenhang
ihrer Arbeiten nur darin besteht, dass sie für denselben Kapitalisten ar-
beiten. Werden dagegen von den 12 Arbeitern je zwei von einem klei-
nen Meister beschäftigt, so wird es zufällig, ob jeder einzelne Meister die-
selbe Werthmasse producirt und daher die allgemeine Rate des Mehrwerths
realisirt. Es fänden individuelle Abweichungen statt. Verbrauchte ein
Arbeiter bedeutend mehr Zeit in der Produktion einer Waare als gesell-
schaftlich erheischt ist, wiche die für ihn individuell nothwendige Arbeits-
zeit bedeutend ab von der gesellschaftlich nothwendigen oder der Durch-
schnitts-Arbeitszeit, so gälte seine Arbeit nicht als Durchschnittsarbeit,
seine Arbeitskraft nicht als durchschnittliche Arbeitskraft. Sie verkaufte sich
gar nicht oder nur unter dem Durchschnittswerth der Arbeitskraft. Ein
bestimmtes Minimum der Arbeitsfertigkeit ist also vorausgesetzt, und wir
werden später sehn, dass die kapitalistische Produktion Mittel findet, diess
Minimum zu messen. Nichts desto weniger weicht das Minimum vom
Durchschnitt ab, obgleich auf der andern Seite der Durchschnittswerth
der Arbeitskraft gezahlt werden muss. Von den sechs Kleinmeistern
würde der eine daher mehr, der andre weniger als die allgemeine Rate
des Mehrwerths herausschlagen. Die Ungleichheiten würden sich für die
Gesellschaft kompensiren, aber nicht für den einzelnen Meister. Das Ge-
setz der Verwerthung überhaupt realisirt sich also für den einzelnen
Produzenten erst vollständig, sobald er als Kapitalist producirt, viele Ar-
beiter gleichzeitig anwendet, also von vorn herein gesellschaftliche
Durchschnittsarbeit in Bewegung setzt9).
Auch bei gleichbleibender Arbeitsweise bewirkt die gleich-
zeitige Anwendung einer grösseren Arbeiteranzahl eine Revolution in den
gegenständlichen Bedingungen des Arbeitsprozesses.
Die Baulichkeiten, worin die Vielen arbeiten, die Lager für Rohmaterial,
halbfertige Waaren u. s. w., die Gefässe, Instrumente, Apparate u. s. w.,
die von vielen gleichzeitig oder abwechselnd gebraucht werden können,
kurz ein Theil der Produktionsmittel wird jetzt gemeinsam
im Arbeitsprozess konsumirt. Einerseits wird der Tauschwerth
von Waaren, also auch von Produktionsmitteln, durchaus nicht erhöht
durch irgend welche erhöhte Ausbeutung ihres Gebrauchswerths.
Andrerseits wächst zwar der Massstab der gemeinsam gebrauchten Pro-
duktionsmittel. Ein Zimmer, worin 20 Weber mit ihren 20 Webstühlen
arbeiten, muss weiter gestreckt sein als das Zimmer eines unabhängigen
Webers mit zwei Gesellen. Aber die Produktion einer Werkstatt für 20
Personen kostet weniger Arbeit als die von 10 Werkstätten für je zwei Per-
sonen, und so wächst überhaupt der Werth massenweise koncentrirter
und gemeinsamer Produktionsmittel nicht verhältnissmässig mit ihrem
Umfang und ihrem Nutzeffekt. Gemeinsam vernutzte Produktionsmittel
geben geringeren Werthbestandtheil an das einzelne Produkt ab, theils weil
der Gesammtwerth, den sie abgeben, sich gleichzeitig auf eine grössere
Produktenmasse vertheilt, theils weil sie in Folge ihres vergrösserten Um-
fangs zwar mit absolut grösserem, aber, im Verhältniss zu ihrem Wir-
kungskreis, mit relativ kleinerem Werth als vereinzelte Produktionsmittel
in den Produktionsprozess eintreten. Damit sinkt ein Werthbestand-
theil, welcher constantes Kapital ersetzt, also, proportionell zur Grösse dieses
Bestandtheils, auch der Gesammtwerth der Waare. Die Wirkung ist die-
selbe, als hätte sich die Produktivkraft der Arbeit vermehrt in solchen
Industriezweigen, die Produktionsmittel liefern. Diese Oekonomie in
der Anwendung der Produktionsmittel entspringt nur aus
ihrem gemeinsamen Konsum im Arbeitsprozess Vieler.
Und sie erhalten diesen Charakter als Bedingungen gesellschaftli-
cher Arbeit oder gesellschaftliche Bedingungen der Ar-
beit im Unterschied von den zersplitterten und relativ theureren Pro-
duktionsbedingungen vereinzelter selbstständiger Arbeiter oder Kleinmei-
ster, selbst wenn die Vielen nur räumlich zusammen, nicht mit einander
arbeiten. Ein Theil der Arbeitsmittel erwirbt diesen gesellschaft-
lichen Charakter, bevor ihn der Arbeitsprozess selbst erwirbt.
Die Oekonomie der Produktionsmittel ist überhaupt von
doppeltem Gesichtspunkt zu betrachten. Das einemal, so weit sie Waa-
ren verwohlfeilert und dadurch den Werth der Arbeitskraft senkt.
Das andremal, so weit sie das Verhältniss des Mehrwerths zum
vorgeschossnen Gesammtkapital, d. h. zur Werthsumme
seiner constanten und variablen Bestandtheile, verändert. Der letztere
Punkt wird erst im dritten Buch dieses Werks erörtert, wohin wir des Zu-
sammenhangs wegen auch manches schon hierher gehörige verweisen.
Einerseits gebietet der Gang der Analyse diese Zerreissung des Gegenstands.
Andrerseits entspricht sie dem Geist der kapitalistischen Produktion. Da
nämlich die Arbeitsbedingungen hier dem Arbeiter selbststäudig gegenüber-
treten, erscheint auch ihre Oekonomie als eine besondere Operation, die
ihn nichts angeht und daher getrennt ist von den Methoden, wodurch die
Produktivität der vom Kapital konsumirten Arbeitskraft erhöht wird.
Die Form der Arbeit Vieler, die in demselben Produk-
tionsprozess oder in verschiedenen, aber zusammenhängenden Pro-
duktionsprozessen, planmässig neben und mit einander arbeiten, heisst
Cooperation10).
Wie die Angriffskraft einer Kavalerieschwadron oder die Widerstands-
kraft eines Infanterieregiments wesentlich verschieden ist von der Summe
der vereinzelten Angriffs- und Widerstandskräfte, welche jeder Kavalerist
und Infanterist für sich entwickeln könnte, so die mechanische
Kraftsumme vereinzelter Arbeiter von der mechanischen Kraftpotenz,
die sich entwickelt, wenn viele Hände gleichzeitig in derselben
ungetheilten Operation zusammenwirken, z. B. wenn es gilt eine
Last zu heben, eine Kurbel zu drehn oder einen Widerstand aus dem Weg
zu räumen11). Die Wirkung der kombinirten Arbeit könnte hier von der
vereinzelten gar nicht oder nur in viel längeren Zeiträumen oder nur auf
einem Zwergmassstab hervorgebracht werden. Es handelt sich hier nicht
nur um Erhöhung der individuellen Produktivkraft durch die Cooperation,
sondern um die Schöpfung einer Produktivkraft, die an und für sich Mas-
senkraft ist11a).
Abgesehn von der neuen mechanischen Kraftpotenz, die aus der Ver-
schmelzung vieler Kräfte in eine Gesammtkraft entspringt, erzeugt bei
den meisten produktiven Arbeiten der blosse gesellschaftliche
Kontakt einen Wetteifer und eine eigne Erregung der Lebensgei-
ster (animal spirit), welche die individuelle Leistungsfähigkeit der Ein-
zelnen erhöhen, so dass ein Dutzend Personen zusammen in einem gleich-
zeitigen Arbeitstag von 144 Stunden ein viel grösseres Gesammtprodukt
liefern als zwölf vereinzelte Arbeiter, von denen jeder 12 Stunden, oder
als ein Arbeiter, der 12 Tage nach einander arbeitet12). Diess rührt daher,
dass der Mensch von Natur, wenn nicht, wie Aristoteles meint, ein politi-
sches13), jedenfalls ein gesellschaftliches Thier ist.
Obgleich Viele Dasselbe oder Gleichartiges gleichzeitig mit
einander verrichten, kann die individuelle Arbeit eines Jeden dennoch als
Theil der Gesammtarbeit verschiedne Phasen des Arbeitspro-
zesses selbst darstellen, die der Arbeitsgegenstand, in Folge der Coo-
peration, rascher durchläuft. Z. B., wenn Maurer eine Reihe von Händen
bilden, um Bausteine vom Fuss eines Gestells bis zu seiner Spitze zu be-
fördern, thut jeder von ihnen dasselbe, aber dennoch bilden die einzelnen
Verrichtungen continuirliche Theile einer Gesammtverrichtung, besondre
Phasen, die jeder Baustein im Arbeitsprozess durchlaufen muss, und wo-
durch ihn etwa die 24 Hände des Gesammtarbeiters rascher befördern,
als die zwei Hände jedes einzelnen Arbeiters, der das Gerüst auf- und ab-
stiege14). Der Arbeitsgegenstand durchläuft denselben
Raum in kürzerer Zeit. Andrerseits findet Kombination der Arbeit
statt, wenn ein Bau z. B. von verschiednen Seiten gleichzeitig ange-
griffen wird, obgleich die Cooperirenden Dasselbe oder Gleicharti-
ges thun. Der kombinirte Arbeitstag von 144 Stunden, der den Arbeits-
gegenstand vielseitig im Raum angreift, weil der kombinirte Arbeiter
oder Gesammtarbeiter vorn und hinten Augen und Hände hat und
in gewissem Grad Allgegenwart besitzt, fördert das Gesammtprodukt
rascher als 12 zwölfstündige Arbeitstage mehr oder minder vereinzelter
Arbeiter, die ihr Werk einseitiger angreifen müssen. In derselben
Zeit reifen verschiedne Raumtheile des Produkts.
Wir betonten hier, dass die Vielen, die einander ergänzen, Das-
selbe oder Gleichartiges thun, weil diese einfache Form der
Cooperation, wie man später sehn wird, auch in ihrer ausgebildetsten
Gestalt eine grosse Rolle spielt. Ist der Arbeitsprozess komplicirt,
so erlaubt die blosse Masse der Zusammenarbeitenden die verschiede-
nen Operationen unter verschiedne Hände zu vertheilen, daher gleich-
zeitig zu verrichten, und dadurch die zur Herstellung des Gesammtpro-
dukts nöthige Arbeitszeit zu verkürzen15).
In vielen Produktionssphären giebt es kritische Momente, d. h.
durch die Natur des Arbeitsprozesses selbst bestimmte Zeitepochen, wäh-
rend deren bestimmte Arbeitsresultate erzielt werden müssen. Soll z. B.
eine Heerde Schafe geschoren oder eine Morgenanzahl Kornland gemäht
und geherbstet werden, so hängt Quantität und Qualität des Produkts da-
von ab, dass die Operation zu einer gewissen Zeit begonnen und zu einer
gewissen Zeit beendet wird. Der Zeitraum, den der Arbeitsprozess
einnehmen darf, ist hier vorgeschrieben, wie etwa beim Häringsfang. Der
Einzelne kann aus einem Tag nur einen Arbeitstag herausschnei-
den, sage von 12 Stunden, aber die Cooperation von 100 z. B. erwei-
tert einen zwölfstündigen Tag zu einem Arbeitstag von
1200 Stunden. Die Kürze der Arbeitsfrist wird kompensirt durch
die Grösse der Arbeitsmasse, die im entscheidenden Augenblick auf das
Produktionsfeld geworfen wird. Die rechtzeitige Wirkung hängt
hier ab von der gleichzeitigen Anwendung vieler kombinirten Ar-
beitstage, der Umfang des Nutzeffekts von der Arbeiteranzahl,
die jedoch stets kleiner bleibt als die Anzahl der Arbeiter, die vereinzelt
in demselben Zeitraum denselben Wirkungsraum ausfüllen würden16).
Es ist der Mangel dieser Cooperation, wodurch im Westen der Vereinigten
Staaten eine Masse Korn, und in den Theilen Ostindiens, wo englische
Herrschaft das alte Gemeinwesen zerstört hat, eine Masse Baumwolle jähr-
lich verwüstet wird17).
Auf der einen Seite erweitert die Cooperation die Raumsphäre
der Arbeit und wird daher für gewisse Arbeitsprozesse schon durch die
räumliche Continuität des Arbeitsgegenstandes erheischt, wie bei Trocken-
legung von Land, Eindämmung, Bewässerung, Kanal-, Strassen-, Eisen-
bahnbauten u. s. w. Andrerseits erlaubt sie, verhältnissmässig zur Stu-
fenleiter der Produktion, räumliche Kontraktion des Produk-
tionsgebiets. Diese Beschränkung der Raumsphäre der Arbeit bei
gleichzeitiger Ausdehnung ihrer Wirkungssphäre, wodurch eine Masse fal-
scher Kosten (faux frais) erspart werden, entspringt aus der Konglome-
ration der Arbeiter, dem Zusammenrücken verschiedner Arbeitsprozesse,
und der Koncentration der Produktionsmittel18).
Verglichen mit einer gleich grossen Summe vereinzelter individueller
Arbeitstage, producirt der kombinirte Arbeitstag grössere Massen von Ge-
brauchswerth und vermindert daher die zur Produktion eines bestimmten
Nutzeffekts nöthige Arbeitszeit. Ob er im gegebenen Fall diese gestei-
gerte Produktivkraft erhält, weil er die mechanische Kraftpotenz der
Arbeit erhöht, oder ihre räumliche Wirkungssphäre ausdehnt, oder das räum-
liche Produktionsfeld im Verhältniss zur Stufenleiter der Produktion kon-
trahirt, oder im kritischen Moment viel Arbeit in wenig Zeit flüssig macht,
oder den Wetteifer der Einzelnen erregt und ihre Lebensgeister spannt,
oder den gleichartigen Verrichtungen Vieler den Stempel der Konti-
nuität und Vielseitigkeit aufdrückt, oder verschiedene Operationen
gleichzeitig verrichtet, oder die Produktionsmittel durch ihren gemein-
schaftlichen Gebrauch ökonomisirt, oder der individuellen Arbeit den Cha-
rakter gesellschaftlicher Durchschnittsarbeit verleiht, unter allen Umstän-
den ist die spezifische Produktivkraft des kombinirten Arbeits-
tags gesellschaftliche Produktivkraft der Arbeit oder Pro-
duktivkraft gesellschaftlicher Arbeit. Sie entspringt aus
der Cooperation selbst. Im planmässigen Zusammenwirken mit Andern
streift der Arbeiter seine individuellen Schranken ab und entwickelt sein
Gattungsvermögen19).
Wenn Arbeiter überhaupt nicht unmittelbar zusammenwirken können,
ohne zusammen zu sein, ihre Konglomeration auf bestimmtem Raum daher
Bedingung ihrer Cooperation ist, können Lohnarbeiter nicht coope-
riren, ohne dass dasselbe Kapital, derselbe Kapitalist sie
gleichzeitig anwendet, also ihre Arbeitskräfte gleichzeitig kauft. Der Ge-
sammtwerth dieser Arbeitskräfte, oder die Lohnsumme der
Arbeiter für den Tag, die Woche u. s. w., muss daher in der Tasche des
Kapitalisten vereint sein, bevor die Arbeitskräfte selbst im Produktions-
prozess vereint werden. Zahlung von 300 Arbeitern auf einmal, auch nur
für einen Tag, bedingt mehr Kapitalauslage als Zahlung weniger Arbeiter
Woche für Woche während des ganzen Jahrs. Die Anzahl der cooperirenden
Arbeiter, oder die Stufenleiter der Cooperation, hängt also zunächst ab von
der Grösse des Kapitals, das der einzelne Kapitalist im Ankauf von Arbeits-
kraft auslegen kann, d. h. von dem Umfang, worin je ein Kapi-
talist über die Lebensmittel vieler Arbeiter verfügt.
Und wie mit dem variablen, verhält es sich mit dem constan-
ten Kapital. Die Auslage für Rohmaterial z. B. ist 30 mal grösser für
den einen Kapitalisten, der 300, als für jeden der 30 Kapitalisten, der je
10 Arbeiter beschäftigt. Werthumfang und Stoffmasse der gemeinsam
benutzten Arbeitsmittel wachsen zwar nicht in demselben Mass wie die
beschäftigte Arbeiteranzahl, aber sie wachsen beträchtlich. Koncen-
tration grösserer Massen von Produktionsmitteln in der
Hand einzelner Kapitalisten ist also materielle Bedingung für
die Cooperation von Lohnarbeitern, und der Umfang der Cooperation, oder
die Stufenleiter der Produktion, hängt ab vom Umfang dieser Koncen-
tration.
Ursprünglich erschien eine gewisse Minimalgrösse des Kapi-
tals in der Hand des einzelnen Arbeitsanwenders nothwendig, damit die
Anzahl der gleichzeitig ausgebeuteten Arbeiter, daher die Masse des
producirten Mehrwerths hinreiche, ihn selbst von der Handarbeit zu entbin-
den, aus einem Kleinmeister in einen Kapitalisten zu verwandeln und so das
Kapitalverhältniss formell herzustellen. Sie erscheint jetzt als mate-
rielle Bedingung für die Verwandlung vieler zersplitterter und von
einander unabhängiger individueller Arbeitsprozesse in einen kombinirten
gesellschaftlichen Arbeitsprozess.
Ebenso erschien ursprünglich das Kommando des Kapitals über die
Arbeit nur als formelle Folge davon, dass der Arbeiter, statt für sich,
für den Kapitalisten und daher unter dem Kapitalisten arbeitet. Mit
der Cooperation vieler Lohnarbeiter entwickelt sich das Kommando des
Kapitals zum Erheischniss für die Ausführung des Arbeitsprozesses selbst,
zu einer wirklichen Produktionsbedingung. Der Befehl des Kapitalisten
auf dem Produktionsfeld wird jetzt so unentbehrlich wie der Befehl des
Generals auf dem Schlachtfeld.
Alle unmittelbar gesellschaftliche oder gemeinschaftliche Arbeit auf
grösserem Massstab braucht mehr oder minder eine Direktion, welche die
Harmonie der individuellen Thätigkeiten vermittelt und die allgemei-
nen Funktionen vollzieht, die aus der Bewegung des produktiven
Gesammtkörpers im Unterschied von der Bewegung seiner selbstständigen
Organe entspringen. Ein einzelner Violinspieler dirigirt sich selbst, ein
Orchester bedarf des Musikdirektors. Diese Funktion der Leitung, Ueber-
wachung und Vermittlung wird zur Funktion des Kapitals, sobald
die ihm untergeordnete Arbeit cooperativ wird. Als spezifische Funktion
des Kapitals erhält die Funktion der Leitung spezifische Charaktermale.
Zunächst ist das treibende Motiv und der bestimmende Zweck des
kapitalistischen Produktionsprozesses möglichst grosse Selbstverwer-
thung des Kapitals20), d. h. möglichst grosse Produktion von Mehr-
werth, also möglichst grosse Ausbeutung der Arbeitskraft durch den Kapi-
talisten. Mit der Masse der gleichzeitig beschäftigten Arbeiter wächst
ihr Widerstand und damit nothwendig der Druck des Kapitals zur Be-
wältigung dieses Widerstands. Die Leitung des Kapitalisten ist nicht
nur eine aus der Natur des gesellschaftlichen Arbeitsprozesses ent-
springende und ihm angehörige besondere Funktion, sie ist zugleich
Funktion der Ausbeutung eines gesellschaftlichen Ar-
beitsprozesses und daher bedingt durch den unvermeidlichen Anta-
gonismus zwischen dem Ausbeuter und dem Rohmaterial seiner Ausbeu-
tung. Ebenso wächst mit dem Umfang der Produktionsmittel, die dem
Lohnarbeiter als fremdes Eigenthum gegenüberstehn, die Nothwendigkeit
der Kontrole über deren sachgemässe Verwendung21). Die Cooperation
der Lohnarbeiter ist ferner blosse Wirkung des Kapitals, das sie gleich-
zeitig anwendet. Der Zusammenhang ihrer Funktionen und ihre Einheit
als produktiver Gesammtkörper liegen ausser ihnen, im Kapital, das sie
zusammenbringt und zusammenhält. Der Zusammenhang ihrer Arbeiten tritt
ihnen daher ideell als Plan des Kapitalisten, ihre eigne Einheit praktisch
als seine Autorität gegenüber, die Macht des fremden Willens, der
ihr Thun seinem Zweck unterwirft. Wenn daher die kapitalistische Lei-
tung dem Inhalt nach zwieschlächtig, wegen der Zwieschlächtigkeit des
zu leitenden Produktionsprozesses selbst, da er einerseits gesellschaftlicher
Arbeitsprozess zur Herstellung eines Produkts, andrerseits Verwerthungs-
prozess des Kapitals ist, so ist sie der Form nach despotisch. Mit der
Entwicklung der Cooperation auf grösserem Massstab entwickelt dieser
Despotismus seine eigenthümlichen Formen. Wie der Kapitalist zunächst
entbunden wird von der Handarbeit, sobald sein Kapital jene Minimalgrösse
erreicht hat, womit die eigentlich kapitalistische Produktion erst beginnt, so
tritt er jetzt die Funktion unmittelbarer und fortwährender Beaufsichtigung
der einzelnen Arbeiter und Arbeitergruppen selbst wieder ab an eine be-
sondre Sorte von Lohnarbeitern. Wie eine Armee militärischer, bedarf eine
unter dem Kommando desselben Kapitals zusammenwirkende Arbeitermasse
industrieller Oberofficiere (Dirigenten, managers) und Unterofficiere (Ar-
beitsaufseher, foremen, overlookers, contre-maîtres), die während des Ar-
beitsprozesses selbst im Namen des Kapitals kommandiren. Die Arbeit
der Oberaufsicht befestigt sich zu ihrer ausschliesslichen Funktion. Bei
Vergleichung der Produktionsweise unabhängiger Bauern oder selbststän-
diger Handwerker mit der auf Sklaverei beruhenden Plantagenwirthschaft,
zählt der politische Oekonom diese Arbeit der Oberaufsicht zu
den faux frais de production21a). Bei Betrachtung der kapitalistischen
Produktionsweise identificirt er dagegen die Funktion der Leitung, soweit
sie aus der Natur des gemeinschaftlichen Arbeitsprozesses entspringt, mit
derselben Funktion, soweit sie durch den kapitalistischen und daher anta-
gonistischen Charakter dieses Prozesses bedingt wird22). Der Kapitalist
ist nicht Kapitalist, weil er industrieller Leiter ist, sondern er wird indu-
strieller Befehlshaber, weil er Kapitalist ist. Der Oberbefehl in der In-
dustrie wird Attribut des Kapitals, wie zur Feudalzeit der Oberbefehl in
Krieg und Gericht Attribut des Grundeigenthums war22a).
Eigenthümer seiner Arbeitskraft ist der Arbeiter, so lange er als
Verkäufer derselben mit dem Kapitalisten marktet, und er kann nur ver-
kaufen, was er besitzt, seine individuelle, vereinzelte Arbeitskraft. Diess
Verhältniss wird in keiner Weise dadurch verändert, dass der Kapitalist
100 Arbeitskräfte statt einer kauft oder mit 100 von einander unab-
hängigen Arbeitern Kontrakte schliesst statt mit einem einzelnen. Er
kann die 100 Arbeiter anwenden ohne sie cooperiren zu lassen. Der
Kapitalist zahlt daher den Werth der 100 selbstständigen Arbeitskräfte,
aber er zahlt nicht die kombinirte Arbeitskraft der Hundert. Als unab-
hängige Personen sind die Arbeiter Vereinzelte, die in ein Verhält-
niss zu demselben Kapital, aber nicht zu einander treten. Ihre Coopera-
tion beginnt erst im Arbeitsprozess, aber im Arbeitsprozess haben sie be-
reits aufgehört sich selbst zu gehören. Mit dem Eintritt in denselben sind
sie dem Kapital einverleibt. Als Cooperirende, als Glieder eines werk-
thätigen Organismus, sind sie selbst nur eine besondre Existenzweise des
Kapitals. Die Produktivkraft, die der Arbeiter als gesellschaft-
licher Arbeiter entwickelt, ist daher Produktivkraft des Kapi-
tals. Die gesellschaftliche Produktivkraft der Arbeit ent-
wickelt sich unentgeldlich, sobald die Arbeiter unter bestimmte Bedingungen
gestellt sind, und das Kapital stellt sie unter diese Bedingungen. Weil
die gesellschaftliche Produktivkraft der Arbeit dem Kapi-
tal nichts kostet, weil sie andrerseits nicht von dem Arbeiter entwickelt
wird, bevor seine Arbeit selbst dem Kapital gehört, erscheint sie als Pro-
duktivkraft, die das Kapital von Natur besitzt, als seine immanente
Produktivkraft.
Kolossal zeigt sich die Wirkung der einfachen Cooperation in den
Riesenwerken der alten Asiaten, Aegypter, Etrusker u. s. w. „Es ge-
schah in vergangnen Zeiten, dass diese asiatischen Staaten nach Bestrei-
tung ihrer Civil- und Militairausgaben, sich im Besitz eines Ueberschusses
von Lebensmitteln befanden, die sie für Werke der Pracht und des Nutzens
verausgaben konnten. Ihr Kommando über die Hände und Arme fast der
ganzen nicht ackerbauenden Bevölkerung und die ausschliessliche Ver-
fügung des Monarchen und der Priesterschaft über jenen Ueberschuss boten
ihnen die Mittel zur Errichtung jener mächtigen Monumente, womit sie
das Land erfüllten … In der Bewegung der kolossalen Statuen und der
enormen Massen, deren Transport Staunen erregt, wurde fast nur mensch-
liche Arbeit verschwenderisch angewandt. Die Zahl der Arbeiter
und die Koncentration ihrer Mühen genügte. So sehn wir
mächtige Korallenriffe aus den Tiefen des Oceaus zu Inseln anschwellen
und festes Land bilden, obgleich jeder individuelle Ablagerer (depositary)
winzig, schwach und verächtlich ist. Die nicht ackerbauenden Arbeiter
einer asiatischen Monarchie haben ausser ihren individuellen körperlichen
Bemühungen wenig zum Werk zu bringen, aber ihre Zahl ist ihre Kraft,
und die Macht der Direktion über diese Massen gab jenen Riesenwerken
den Ursprung. Es war die Koncentration der Revenüen, wovon die Ar-
beiter leben, in eine Hand oder wenige Hände, welche solche Unternehmungen
möglich machte“23). Diese Macht asiatischer und ägyptischer Könige
oder etruskischer Theokraten u. s. w. ist in der modernen Gesellschaft
auf den Kapitalisten übergegangen, ob er nun als vereinzelter Kapitalist
auftritt, oder, wie bei Aktiengesellschaften, als kombinirter Kapitalist.
Die Cooperation im Arbeitsprozess, wie wir sie in den Kulturan-
fängen der Menschheit, bei Jägervölkern23a) oder etwa in der Agrikultur
indischer Gemeinwesen vorherrschend finden, beruht einerseits auf dem
Gemeineigenthum an den Produktionsbedingungen, an-
drerseits darauf, dass das einzelne Individuum sich von der Nabelschnur
des Stammes oder des Gemeinwesens noch ebensowenig losgerissen hat,
wie das Bienenindividuum vom Bienenstock. Beides unterscheidet sie
von der kapitalistischen Cooperation. Die sporadische Anwendung der
Cooperation auf grossem Massstab in der antiken Welt, dem Mittelalter
und den modernen Kolonien, beruht auf unmittelbaren Herrschafts-
und Knechtschafts-Verhältnissen, zumeist auf der Sklaverei. Die kapita-
listische Form setzt dagegen von vornherein den freien Lohnarbeiter vor-
aus, der seine Arbeitskraft dem Kapital verkauft. Historisch jedoch ent-
wickelt sie sich im Gegensatz zur Bauernwirthschaft und zum unab-
hängigen Handwerksbetrieb, ob dieser zünftige Form besitze oder nicht24).
Ihnen gegenüber erscheint die kapitalistische Cooperation nicht als eine
besondre historische Form der Cooperation, sondern die
Cooperation selbst als eine dem kapitalistischen Produk-
tionsprozess eigenthümliche und ihn spezifisch unter-
scheidende historische Form.
Wie die durch die Cooperation entwickelte gesellschaftliche
Produktivkraft der Arbeit als Produktivkraft des Kapi-
tals erscheint, so die Cooperation selbst als eine spezifische
Form des kapitalistischen Produktionsprozesses im
Gegensatz zum Produktionsprozess vereinzelter unabhängiger Arbeiter oder
auch Kleinmeister. Es ist die erste Aenderung, welche der wirk-
liche Arbeitsprozess durch seine Subsumtion unter das Kapital
erfährt. Diese Aenderung geht naturwüchsig vor sich. Ihre Voraus-
setzung, gleichzeitige Beschäftigung einer grösseren Anzahl von Lohnarbei-
tern in demselben Arbeitsprozess, bildet den Ausgangspunkt der kapitalisti-
schen Produktion. Dieser fällt mit dem Dasein des Kapitals selbst zusam-
men. Wenn sich die kapitalistische Produktionsweise daher einerseits als
historische Nothwendigkeit für die Verwandlung des Arbeitsprozesses
in einen gesellschaftlichen Prozess darstellt, so andrerseits diese gesellschaft-
liche Form des Arbeitsprozesses als eine vom Kapital angewandte Me-
thode, um ihn durch Steigerung seiner Produktivkraft profitlicher aus-
zubeuten.
In ihrer bisher betrachteten einfachen Gestalt fällt die Cooperation
zusammen mit der Produktion auf grösserer Stufenleiter,
bildet aber keine feste, charakteristische Form einer besondern Ent-
wicklungs epoche der kapitalistischen Produktionsweise. Höchstens er-
scheint sie annähernd so in den noch handwerksmässigen Anfängen der
Manufaktur25) und in jener Art grosser Agrikultur, welche der Manufaktur-
periode entspricht, und sich wesentlich nur durch die Masse der gleich-
zeitig angewandten Arbeiter und den Umfang der koncentrirten Produk-
tionsmittel von der Bauernwirthschaft unterscheidet. Die einfache Coope-
ration ist stets noch vorherrschende Form solcher Produktionszweige, worin
das Kapital auf grosser Stufenleiter operirt, ohne dass Theilung der
Arbeit oder Maschinerie eine bedeutende Rolle spielte.
Die Cooperation bleibt die Grundform der kapitalistischen
Produktionsweise, obgleich ihre einfache Gestalt selbst als be-
sondere Form neben ihren weiter entwickelten Formen erscheint.
Die auf Theilung der Arbeit beruhende Cooperation schafft sich ihre
klassische Gestalt in der Manufaktur. Als charakteristische Form des
kapitalistischen Produktionsprozesses herrscht sie vor während der eigent-
lichen Manufakturperiode, die, rauh angeschlagen, von Mitte des
16. Jahrhunderts bis zum letzten Dritttheil des achtzehnten währt.
Die Manufaktur entspringt auf doppelte Weise.
Entweder werden Arbeiter von verschiedenartigen, selbstständi-
gen Handwerken, durch deren Hände ein Produkt bis zu seiner letzten Reife
laufen muss, in eine Werkstatt unter dem Kommando desselben Kapitalisten
vereinigt. Z. B. eine Kutsche war das Gesammtprodukt der Arbeiten einer
grossen Anzahl unabhängiger Handwerker, wie Stellmacher, Sattler, Schnei-
der, Schlosser, Gürtler, Drechsler, Posamentirer, Glaser, Maler, Lackirer,
Vergolder u. s. w. In der Kutschenmanufaktur wurden alle diese ver-
schiednen Handwerker in einem Arbeitshaus vereinigt, um einander gleich-
zeitig in die Hand zu arbeiten. Man kann eine Kutsche zwar nicht vergolden,
bevor sie gemacht ist. Werden aber viele Kutschen gleichzeitig gemacht, so
kann ein Theil beständig vergoldet werden, während ein andrer Theil eine
frühere Phase des Produktionsprozesses durchläuft. Soweit stehn wir
noch auf dem Boden der einfachen Cooperation, die ihr Material an Men-
schen und Dingen vorfindet. Indess tritt sehr bald eine wesentliche
Veränderung ein. Der Schneider, Schlosser, Gürtler u. s. w., der nur im
Kutschenmachen beschäftigt ist, verliert nach und nach mit der Gewohn-
heit auch die Fähigkeit, sein altes Handwerk in seiner ganzen Ausdehnung
zu betreiben. Andrerseits erhält sein vereinseitigtes Thun jetzt die zweck-
mässigste Form für die verengte Wirkungssphäre. Ursprünglich erschien
die Kutschenmanufaktur als eine Kombination selbstständiger
Handwerke. Sie wird allmälig Theilung der Kutschenpro-
duktion in ihre verschiednen Sonderoperationen, wovon
jede einzelne zur ausschliesslichen Funktion eines Arbeiters krystallisirt
und deren Gesammtheit vom Verein dieser Theilarbeiter ver-
richtet wird. Ebenso entstand die Tuchmanufaktur, und eine ganze
Reihe andrer Manufakturen, aus der Kombination verschiedner Hand-
werke unter dem Kommando desselben Kapitals26).
Die Manufaktur entspringt aber auch auf entgegengesetztem
Wege. Es werden viele Handwerker, die Dasselbe oder Gleich-
artiges thun, z. B. Papier oder Typen oder Nadeln machen, von dem-
selben Kapital gleichzeitig in derselben Werkstatt beschäf-
tigt. Es ist diess Cooperation in der einfachsten Form. Jeder dieser
Handwerker (vielleicht mit einem oder zwei Gesellen) macht die ganze
Waare und vollbringt also die verschiednen zu ihrer Herstellung erheisch-
ten Operationen der Reihe nach. Er arbeitet in seiner alten handwerks-
mässigen Weise fort. Indess veranlassen bald äussere Umstände die Kon-
centration der Arbeiter in demselben Raum und die Gleichzeitigkeit ihrer
Arbeiten anders zu vernutzen. Es soll z. B. ein grösseres Quantum fer-
tiger Waare in einer bestimmten Zeitfrist geliefert werden. Die Arbeit
wird daher vertheilt. Statt die verschiedenen Operationen von dem-
selben Handwerker in einer zeitlichen Reihefolge verrichten zu lassen,
werden sie von einander losgelöst, isolirt, räumlich neben einander gestellt,
jede derselben einem andern Handwerker zugewiesen und alle zusammen
von den Cooperirenden gleichzeitig ausgeführt. Diese zufällige Verthei-
lung wiederholt sich, zeigt ihre eigenthümlichen Vortheile, und verknö-
chert nach und nach zur systematischen Theilung der Arbeit. Aus
dem individuellen Produkt eines selbstständigen Handwerkers, der
vielerlei thut, verwandelt sich die Waare in das gesellschaftliche
Produkt eines Vereins von Handwerkern, von denen jeder fortwährend nur
eine und dieselbe Theiloperation verrichtet. Dieselben Operationen, die
in einander flossen als successive Verrichtungen des deutschen zünftigen
Papiermachers, verselbstständigten sich in der holländischen Papiermanufak-
tur zu nebeneinander laufenden Theiloperationen vieler cooperirenden Ar-
beiter. Der zünftige Nadler von Nürnberg bildet das Grundelement der eng-
lischen Nadelmanufaktur. Während aber jener eine Nadler eine Reihe von
vielleicht 20 Operationen nach einander durchlief, verrichteten hier bald 20
Nadler neben einander, jeder nur eine der 20 Operationen, die in Folge von
Erfahrungen noch viel weiter gespaltet, isolirt, und zu ausschliesslichen
Funktionen einzelner Arbeiter verselbstständigt wurden.
Die Ursprungsweise der Manufaktur, ihre Herausbildung aus dem
Handwerk, ist also zwieschlächtig. Einerseits geht sie von der Kom-
bination verschiedenartiger, selbstständiger Handwerke aus, die
bis zu dem Punkt verunselbstständigt und vereinseitigt werden,
wo sie nur noch einander ergänzende Theiloperationen im Produktions-
prozess einer und derselben Waare bilden. Andrerseits geht sie von der
Cooperation gleichartiger Handwerker aus, zersetzt dasselbe
individuelle Handwerk in seine verschiednen besondern Operationen, und
isolirt und verselbstständigt diese bis zu dem Punkt, wo jede der-
selben zur ausschliesslichen Funktion eines besondern Arbeiters wird. Einer-
seits führt daher die Manufaktur Theilung der Arbeit in einen Produk-
tionsprozess ein oder entwickelt sie weiter, andrerseits kombinirt sie früher
geschiedene Handwerke. Welches aber immer ihr besondrer Ausgangs-
punkt, ihre Schlussgestalt ist dieselbe — ein Produktionsmecha-
nismus, dessen Organe Menschen sind.
Zum richtigen Verständniss der Theilung der Arbeit in der Manufak-
tur ist es wesentlich folgende Punkte festzuhalten: Zunächst fällt die
Analyse des Produktionsprozesses in seine besondern
Phasen hier ganz und gar zusammen mit der Zersetzung einer
handwerksmässigen Thätigkeit in ihre verschiedenen
Theiloperationen. Zusammengesetzt oder einfach, die Verrichtung
bleibt handwerksmässig und daher abhängig von Kraft, Geschick,
Schnelle, Sicherheit des Einzelarbeiters in Handhabung seines Instruments.
Das Handwerk bleibt die Basis. Diese enge technologische Basis
schliesst wirklich wissenschaftliche Analyse des Produktionsprozesses aus,
da jeder Theilprozess, den das Produkt untergeht, als handwerksmässige
Theilarbeit ausführbar sein muss. Eben weil das handwerksmässige Ge-
schick so die Grundlage des Produktionsprozesses bleibt, wird jeder Ar-
beiter ausschliesslich einer Theilfunktion angeeignet und seine Arbeits-
kraft in das lebenslängliche Organ dieser Theilfunktion verwandelt. End-
lich ist diese Theilung der Arbeit eine besondere Art der Coopera-
tion, und manche ihrer Vortheile entspringen aus dem allgemeinen Wesen,
nicht aus dieser besonderen Form der Cooperation.
Gehn wir nun näher auf das Einzelne ein, so ist zunächst klar, dass
ein Arbeiter, der lebenslang eine und dieselbe einfache Operation verrichtet,
seinen ganzen Körper in ihr automatisch einseitiges Organ verwandelt und
daher weniger Zeit dazu verbraucht als der Handwerker, der eine ganze
Reihe von Operationen abwechselnd ausführt. Der kombinirte Ge-
sammtarbeiter, der den lebendigen Mechanismus der Manufaktur
bildet, besteht aber aus lauter solchen einseitigen Theilarbeitern. Im Ver-
gleich zum selbstständigen Handwerk wird daher mehr in weniger Zeit
producirt oder die Produktivkraft der Arbeit gesteigert27). Auch vervoll-
kommnet sich die Methode der Theilarbeit, nachdem sie zur ausschliess-
lichen Funktion einer Person verselbstständigt ist. Die stete Wieder-
holung desselben beschränkten Thuns und die Koncentration der Aufmerk-
samkeit auf diess Beschränkte lehren erfahrungsmässig den bezweckten
Nutzeffekt mit geringstem Kraftaufwand erreichen. Da aber immer ver-
schiedne Arbeitergenerationen gleichzeitig zusammenleben und in densel-
ben Manufakturen zusammenwirken, befestigen, häufen und übertragen
sich bald die so gewonnenen technischen Kunstgriffe28). Die Manu-
faktur producirt in der That die Virtuosität des Detailarbeiters, indem sie
die naturwüchsige Sonderung der Gewerbe, die sie in der Gesellschaft vor-
fand, im Innern der Werkstatt reproducirt und systematisch zum Extrem
treibt. Andrerseits entspricht ihre Verwandlung der Theilarbeit in den
Lebensberuf eines Menschen dem Trieb früherer Gesellschaften, die Ge-
werbe erblich zu machen, sie in Kasten zu versteinern, oder, wo be-
stimmte historische Bedingungen dem Kastenwesen widersprechende Varia-
bilität des Individuums erzeugen, die Arbeitssonderung wenigstens in
Zünfte zu verknöchern. Die Entstehung dieser Kasten und Zünfte folgt
demselben Naturgesetz, das die Sonderung von Pflanzen und Thieren in Arten
und Unterarten regelt, nur dass auf einem gewissen Entwicklungsgrad die
Erblichkeit der Kasten oder die Ausschliesslichkeit der Zünfte als ge-
sellschaftliches Gesetz dekretirt wird29). „Die Musline von
Dakka sind an Feinheit, die Kattune und andre Zeuge von Koromandel
an Pracht und Dauerhaftigkeit der Farben, niemals übertroffen worden.
Und dennoch werden sie producirt ohne Kapital, Maschinerie, Theilung
der Arbeit, oder irgend eins der andern Mittel, die der Fabrikation in
Europa so viele Vortheile bieten. Der Weber ist ein vereinzeltes Indivi-
duum, der das Gewebe auf Bestellung eines Kunden verfertigt und mit
einem Webstuhl von der einfachsten Konstruktion, manchmal nur beste-
hend aus hölzernen Stangen, die roh zusammengefügt sind. Er besitzt
selbst keinen Apparat zum Aufziehn der Kette, der Webstuhl muss daher
in seiner ganzen Länge ausgestreckt bleiben und wird so unförmlich und
weit, dass er keinen Raum findet in der Hütte des Producenten, der seine
Arbeit daher in freier Luft verrichten muss, wo sie durch jede Wetter-
änderung unterbrochen wird“30). Es ist nur das von Generation auf
Generation gehäufte und von Vater auf Sohn vererbte Sondergeschick,
das dem Hindu wie der Spinne diese Virtuosität verleiht. Und dennoch
verrichtet ein solcher indischer Weber sehr komplicirte Arbeit, verglichen
mit der Mehrzahl der Manufakturarbeiter.
Ein Handwerker, der die verschiedenen Theilprozesse in der Pro-
duktion eines Machwerks nach einander ausführt, muss bald den Platz,
bald die Instrumente wechseln. Der Uebergang von einer Operation zur
andern unterbricht den Fluss seiner Arbeit und bildet gewissermassen
Poren in seinem Arbeitstag. Diese Poren verdichten, sobald er den
ganzen Tag ein und dieselbe Operation kontinuirlich verrichtet oder sie
verschwinden in dem Masse, wie der Wechsel seiner Operationen abnimmt.
Die gesteigerte Produktivität ist hier entweder der zunehmenden Ausgabe
von Arbeitskraft in einem gegebnen Zeitraum geschuldet, also wach-
sender Intensivität der Arbeit, oder einer Abnahme des
unproduktiven Verzehrs von Arbeitskraft. Der Ueberschuss
von Kraftaufwand nämlich, den jeder Uebergang aus der Ruhe in die Be-
wegung erheischt, kompensirt sich bei längerer Fortdauer der einmal er-
reichten Normalgeschwindigkeit. Andrerseits zerstört die Kontinuität
gleichförmiger Arbeit die Spann- und Schwungkraft der Lebensgeister,
die im Wechsel der Thätigkeit selbst ihre Erholung und ihren Reiz
finden.
Die Produktivität der Arbeit hängt nicht nur von der Virtuosität
des Arbeiters ab, sondern auch von der Vollkommenheit seiner Werk-
zeuge. Werkzeuge derselben Art, wie Schneide-, Bohr-, Stoss-, Schlag-
instrumente u. s. w. werden in verschiedenen Arbeitsprozessen gebraucht,
und in demselben Arbeitsprozess dient dasselbe Instrument zu verschiednen
Verrichtungen. Sobald jedoch die verschiednen Operationen eines Ar-
beitsprozesses von einander losgelöst sind und jede Theiloperation in der
Hand des Theilarbeiters eine möglichst entsprechende und daher ausschliess-
liche Form erhält, werden Veränderungen der vorher zu verschiednen
Zwecken dienenden Werkzeuge nothwendig. Die Richtung ihres Form-
wechsels ergiebt sich aus der Erfahrung der besondern Schwierigkeiten,
welche die unveränderte Form in den Weg legt. Die Differen-
zirung der Arbeitsinstrumente, wodurch Instrumente derselben Art be-
sondre feste Formen für jede besondre Nutzanwendung erhalten, und ihre
Spezialisirung, wodurch jedes solches Sonderinstrument nur in der
Hand spezifischer Theilarbeiter in seinem ganzen Umfang wirkt, charak-
terisiren die Manufaktur. Zu Birmingham allein producirt man etwa 500
Varietäten von Hämmern, wovon jeder nicht nur für einen besondern Pro-
duktionsprozess, sondern eine Anzahl Varietäten oft nur für verschiedne
Operationen in demselben Prozess dient. Die Manufakturperiode verein-
facht, verbessert und vermannigfacht die Arbeitswerkzeuge durch deren
Anpassung an die ausschliesslichen Sonderfunktionen der Theilarbeiter31).
Sie schafft damit zugleich eine der materiellen Bedingungen der
Maschinerie, die aus einer Kombination einfacher Instrumente besteht.
Der Detailarbeiter und sein Instrument bilden die einfachen Ele-
mente der Manufaktur. Wenden wir uns jetzt zu ihrem Gesammt-
mechanismus.
Die Gliederung der Manufaktur besitzt zwei Grundformen, die
trotz gelegentlicher Verschlingung zwei wesentlich verschiedne Arten bil-
den und namentlich auch bei der späteren Verwandlung der Manufaktur
in die maschinenartig betriebene, grosse Industrie eine ganz verschiedne
Rolle spielen. Dieser Doppelcharakter entspringt aus der Natur des
Machwerks selbst. Es wird entweder gebildet durch bloss mechanische
Zusammensetzung selbstständiger Theilprodukte oder verdankt seine fer-
tige Gestalt einer Reihenfolge zusammenhängender Prozesse und Manipu-
lationen.
Eine Lokomotive z. B. besteht aus mehr als 5000 selbstständigen
Theilen. Sie kann jedoch nicht als Beispiel der ersten Art der eigent-
lichen Manufaktur gelten, weil sie ein Gebilde der grossen Industrie ist.
Wohl aber die Uhr, an welcher auch William Petty die manufaktur-
mässige Theilung der Arbeit veranschaulicht. Aus dem individuellen
Werk eines Nürnberger Handwerkers verwandelte sich die Uhr in das ge-
sellschaftliche Produkt einer Unzahl von Theilarbeitern, wie Rohwerk-
macher, Uhrfedermacher, Zifferblattmacher, Spiralfedermacher, Steinloch-
und Rubinhebelmacher, Zeigermacher, Gehäusemacher, Schraubenmacher,
Vergolder, mit vielen Unterabtheilungen, wie z. B. Räderfabrikant
(Messing- und Stahlräder wieder geschieden), Triebmacher, Zeigerwerk-
macher, acheveur de pignon (befestigt die Räder auf den Trieben, polirt
die facettes u. s. w.), Zapfenmacher, planteur de finissage (setzt verschiedne
Räder und Triebe in das Werk), finisseur de barillet (lässt Zähne ein-
schneiden, macht die Löcher zur richtigen Weite, härtet Stellung und Ge-
sperr), Hemmungmacher, bei der Cylinderhemmung wieder Cylindermacher,
Steigradmacher, Unruhemacher, Raquettemacher (das Rückwerk, woran
die Uhr regulirt wird), planteur d’échappement (eigentliche Hemmung-
macher); dann der repasseur de barillet (macht das Federhaus und
Stellung ganz fertig), Stahlpolirer, Räderpolirer, Schraubenpolirer, Zahlen-
maler, Blattmacher (schmelzen das Email auf das Kupfer), fabricant
de pendants (macht bloss die Bügel des Gehäuses), finisseur de charnière
(steckt das Messingstift in die Mitte des Gehäuses u. s. w.), faiseur de
secret (macht die Federn im Gehäuse, die den Deckel aufspringen machen),
graveur, ciliceur, polisseur de boite u. s. w., u. s. w., endlich der re-
passeur, der die ganze Uhr zusammensetzt und sie gehend abliefert. Nur
wenige Theile der Uhr laufen durch verschiedne Hände und alle diese
membra disjecta sammeln sich erst in der Hand, die sie schliesslich in ein
mechanisches Ganze verbindet. Diess äusserliche Verhältniss des fertigen
Produkts zu seinen verschiedenartigen Elementen lässt hier, wie bei ähn-
lichem Machwerk, die Kombination der Theilarbeiter in derselben
Werkstatt zufällig. Die Theilarbeiten können selbst wieder als von ein-
ander unabhängige Handwerke betrieben werden, wie im Kanton Waadt
und Neufchatel, während in Genf z. B. grosse Uhrenmanufakturen bestehn,
d. h. unmittelbare Cooperation der Theilarbeiter unter dem Kommando
eines Kapitals stattfindet. Auch im letztren Fall werden Zifferblatt, Feder
und Gehäuse selten in der Manufaktur selbst verfertigt. Der kombinirte
manufakturmässige Betrieb ist hier nur unter ausnahmsweisen Verhält-
nissen profitlich, weil die Konkurrenz unter den Arbeitern, die zu Hause
arbeiten wollen, am grössten ist, die Zersplitterung der Produktion in eine
Masse heterogener Prozesse wenig Verwendung gemeinschaftlicher Arbeits-
mittel erlaubt, und der Kapitalist bei der zerstreuten Fabrikation die Aus-
lage für Arbeitsgebäude u. s. w. erspart32). Indess ist auch das Ver-
hältniss dieser Detailarbeiter, die zu Hause, aber für einen Kapitalisten
(Fabrikant, établisseur) arbeiten, ganz und gar verschieden von dem des
selbstständigen Handwerkers, der für seine eignen Kunden arbeitet33).
Die zweite Art der Manufaktur, ihre vollendete Form, producirt
Machwerke, die zusammenhängende Entwicklungsphasen, eine Reihenfolge
von Stufenprozessen durchlaufen, wie z. B. der Draht in der Nähnadel-
manufaktur die Hände von 72 und selbst 92 spezifischen Theilarbeitern
durchläuft.
Soweit solche Manufaktur ursprünglich zerstreute Handwerke kom-
binirt, vermindert sie die räumliche Trennung zwischen den beson-
dern Produktionsphasen des Machwerks. Die Zeit seines Uebergangs aus
einem Stadium in das andre wird verkürzt, ebenso die Arbeit, welche diese
Uebergänge vermittelt34). Im Vergleich zum Handwerk wird so Produk-
tivkraft gewonnen, und zwar entspringt dieser Gewinn aus dem allge-
meinen cooperativen Charakter der Manufaktur. Andrerseits
bedingt ihr eigenthümliches Prinzip der Theilung der Arbeit eine Iso-
lirung der verschiednen Produktionsphasen, die als eben so viele hand-
werksmässige Theilarbeiten gegen einander verselbstständigt sind. Die
Herstellung und Erhaltung des Zusammenhangs zwischen den isolirten
Funktionen ernöthigt beständigen Transport des Machwerks aus einer
Hand in die andre und aus einem Prozess in den andern. Vom Stand-
punkt der grossen Industrie tritt diess als eine charakteristische,
kostspielige und dem Prinzip der Manufaktur immanente Beschränkt-
heit hervor35).
Betrachtet man ein bestimmtes Quantum Rohmaterial, z. B. von
Lumpen in der Papiermanufaktur oder von Draht in der Nadelmanufak-
tur, so durchläuft es in den Händen der verschiednen Theilarbeiter eine
zeitliche Stufenfolge von Produktionsphasen bis zu seiner Schlussgestalt.
Betrachtet man dagegen die Werkstatt als einen Gesammtmechanismus,
so befindet sich das Rohmaterial gleichzeitig in allen seinen Produk-
tionsphasen auf einmal. Mit einem Theil seiner vielen instrumentbewaff-
neten Hände zieht der aus den Detailarbeitern kombinirte Gesammtarbeiter
den Draht, während er gleichzeitig mit andern Händen und Werkzeugen
ihn streckt, mit andern schneidet, spitzt u. s. w. Aus einem zeitlichen
Nacheinander sind die verschiednen Stufenprozesse in ein räumliches
Nebeneinander verwandelt. Daher Lieferung von mehr fertiger Waare
in demselben Zeitraum36). Jene Gleichzeitigkeit entspringt zwar aus der
allgemeinen cooperativen Form des Gesammtprozesses, aber die Manufak-
tur findet nicht nur die Bedingungen der Cooperation vor, sondern schafft
sie theilweise erst durch die Zerlegung der handwerksmässigen Thätigkeit.
Andrerseits erreicht sie diese gesellschaftliche Organisation des Arbeits-
prozesses nur durch Festschmieden desselben Arbeiters an dasselbe Detail.
Da das Theilprodukt jedes Theilarbeiters zugleich nur eine besondre
Entwicklungsstufe desselben Machwerks ist, liefert jeder Arbeiter oder
jede Arbeitergruppe der andern ihr Rohmaterial. Das Arbeitsresultat des
einen bildet den Ausgangspunkt für die Arbeit des andern. Der eine Ar-
beiter beschäftigt daher hier unmittelbar den andern. Die nothwendige
Arbeitszeit zur Erreichung des bezweckten Nutzeffekts in jedem Theilpro-
zess wird erfahrungsmässig festgestellt und der Gesammtmechanis-
mus der Manufaktur beruht auf der Voraussetzung, dass in ge-
gebner Arbeitszeit ein gegebnes Resultat erzielt wird. Nur
unter dieser Voraussetzung können die verschiednen, einander ergänzenden
Arbeitsprozesse ununterbrochen, gleichzeitig und räumlich neben einander
fortgehn. Es ist klar, dass diese unmittelbare Abhängigkeit
der Arbeiten und daher der Arbeiter von einander jeden Einzelnen zwingt,
nur die nothwendige Zeit zu seiner Funktion zu verwenden, und so eine
ganz andere Kontinuität, Gleichförmigkeit, Regelmässigkeit, Ordnung37)
und namentlich auch Intensivität der Arbeit erzeugt wird als im
unabhängigen Handwerk oder selbst der einfachen Cooperation. Dass
auf eine Waare nur die zu ihrer Herstellung gesellschaftlich noth-
wendige Arbeitszeit verwandt wird, erscheint bei der Waarenpro-
duktion überhaupt als äusserer Zwang der Konkurrenz, weil, oberflächlich
ausgedrückt, jeder einzelne Producent die Waare zu ihrem Marktpreis
verkaufen muss. Lieferung von gegebnem Produktenquantum in gegebner
Arbeitszeit wird dagegen hier in der Manufaktur technologisches
Gesetz des Produktionsprozesses selbst38).
Verschiedne Operationen bedürfen jedoch ungleicher Zeitlängen
und liefern daher in gleichen Zeiträumen ungleiche Quanta von Theilproduk-
ten. Soll also derselbe Arbeiter Tag aus Tag ein stets nur dieselbe Operation
verrichten, so müssen für verschiedne Operationen verschiedne Ver-
hältnisszahlen von Arbeitern verwandt werden, z. B. 4 Giesser
und 2 Abbrecher auf einen Frottirer in einer Typenmanufaktur, wo der
Giesser stündlich 2000 Typen giesst, der Abbrecher 4000 abbricht und
der Frottirer 8000 blank reibt. Hier kehrt das Prinzip der Cooperation
in seiner einfachsten Form zurück, gleichzeitige Beschäftigung Vieler, die
Gleichartiges thun, aber jetzt als Ausdruck eines organischen Ver-
hältnisses. Die manufakturmässige Theilung der Arbeit vereinfacht und
vermannigfacht also nicht nur die qualitativ unterschiednen Organe des
gesellschaftlichen Gesammtarbeiters, sondern schafft auch ein mathematisch
festes Verhältniss für den quantitativen Umfang dieser Organe, d. h.
für die relative Arbeiteranzahl oder relative Grösse der Arbeiter-
gruppen in jeder Sonderfunktion. Sie entwickelt mit der qualitati-
ven Gliederung die quantitative Regel und Proportio-
nalität des gesellschaftlichen Arbeitsprozesses.
Ist die passendste Verhältnisszahl der verschiednen Gruppen von
Theilarbeitern erfahrungsmässig festgesetzt für eine bestimmte Stufenleiter
der Produktion, so kann man diese Stufenleiter nur ausdehnen, indem man
ein Multipel jeder besondern Arbeitergruppe verwendet39). Es
kommt hinzu, dass dasselbe Individuum gewisse Arbeiten eben so gut auf
grösserer als kleinerer Staffel ausführt, z. B. die Arbeit der Oberaufsicht,
den Transport der Theilprodukte aus einer Produktionsphase in die andre
u. s. w. Die Verselbstständigung dieser Funktionen, oder ihre Zuweisung
an besondere Arbeiter, wird also erst vortheilhaft mit Vergrösserung der
beschäftigten Arbeiterzahl, aber diese Vergrösserung muss sofort alle
Gruppen proportionell ergreifen.
Die einzelne Gruppe, als eine Anzahl von Arbeitern, die die-
selbe Theilfunktion verrichten, besteht aus homogenen Elementen
und bildet ein einfaches Organ des Gesammtmechanismus. In verschied-
nen Manufakturen jedoch ist die Gruppe selbst ein gegliederter Ar-
beitskörper, während der Gesammtmechanismus durch die Wieder-
holung oder Vervielfältigung dieser produktiven Elementarorganismen ge-
bildet wird. Nehmen wir z. B. die Manufaktur von Glasflaschen. Sie
zerfällt in drei wesentlich unterschiedne Phasen. Erstens die vorbe-
reitende Phase, wie Bereitung der Glaskomposition, Mengung von
Sand, Kalk u. s. w. und Schmelzung dieser Komposition zu einer flüssigen
Glasmasse40). In dieser ersten Phase sind verschiedne Theilarbeiter be-
schäftigt, ebenso in der Schlussphase, der Entfernung der Flaschen
aus den Trockenöfen, ihrer Sortirung, Verpackung u. s. w. Zwischen
beiden Phasen steht in der Mitte die eigentliche Glasmacherei oder
Verarbeitung der flüssigen Glasmasse. An demselben Munde eines Glas-
ofens arbeitet eine Gruppe, die in England das „hole“ (Loch) heisst, und
aus einem bottle maker oder finisher, einem blower, einem gatherer, einem
putter up oder whetter off und einem taker in zusammengesetzt ist. Diese
fünf Theilarbeiter bilden eben so viele Sonderorgane eines einzigen Arbeits-
körpers, der nur als Einheit, also nur durch unmittelbare Cooperation der
Fünf wirken kann. Fehlt ein Glied des fünftheiligen Körpers, so ist er
paralysirt. Derselbe Glasofen hat aber verschiedne Oeffnungen, in Eng-
land z. B. 4—6, deren jede einen irdenen Schmelztiegel mit flüssigem
Glas birgt, und wovon jede eine eigne Arbeitergruppe von derselben fünf-
gliedrigen Form beschäftigt. Die Gliederung jeder einzelnen Gruppe be-
ruht hier unmittelbar auf der Theilung der Arbeit, während das Band
zwischen den verschiednen gleichartigen Gruppen einfache Cooperation
ist, die eins der Produktionsmittel, hier den Glasofen, durch gemeinsamen
Konsum ökonomischer verbraucht. Ein solcher Glasofen mit seinen 4—6
Gruppen bildet eine Glashütte, und eine Glasmanufaktur umfasst eine
Mehrzahl solcher Hütten, zugleich mit den Vorrichtungen und Arbeitern
für die einleitenden und abschliessenden Produktionsphasen.
Endlich kann die Manufaktur, wie sie theilweis aus der Kombination
verschiedner Handwerke entspringt, sich zu einer Kombination verschiedner
Manufakturen entwickeln. Die grösseren englischen Glashütten z. B. fabri-
ciren ihre irdenen Schmelztiegel selbst, weil von deren Güte das Gelingen
oder Misslingen des Produkts wesentlich abhängt. Die Manufaktur eines
Produktionsmittels wird hier mit der Manufaktur des Produkts verbunden.
Umgekehrt kann die Manufaktur des Produkts verbunden werden mit Ma-
nufakturen, worin es selbst wieder als Rohmaterial dient, oder mit deren
Produkten es später zusammengesetzt wird. So findet man z. B. die
Manufaktur von Flintglas kombinirt mit der Glasschleiferei und der Gelb-
giesserei, letztere für die metallische Einfassung mannigfacher Glasartikel.
Die verschiednen kombinirten Manufakturen bilden dann mehr oder minder
räumlich getrennte Departemente einer Gesammtmanufaktur, zugleich von
einander unabhängige Produktionsprozesse, jeder mit eigner Theilung der
Arbeit. Trotz mancher technischer und ökonomischer Vortheile, welche
die kombinirte Manufaktur bietet, gewinnt sie, auf eigner Grundlage,
keine wirklich technologische Einheit. Diese entsteht erst bei ihrer Ver-
wandlung in den maschinenmässigen Betrieb.
Die Manufakturperiode, welche Verminderung der zur Waarenpro-
duktion nothwendigen Arbeitszeit bald als bewusstes Prinzip aus-
spricht41), entwickelt sporadisch auch den Gebrauch von Maschinen,
namentlich für gewisse einfache erste Prozesse, die massenhaft
und mit grossem Kraftaufwand auszuführen sind. So wird z. B. bald in
der Papiermanufaktur das Zermalmen der Lumpen durch Papier-
mühlen und in der Metallfabrik das Zerstossen der Erze durch sogenannte
Pochmühlen verrichtet42). Die elementarische Form aller Maschinerie
hatte das römische Kaiserreich überliefert in der Wassermühle43). Die
Handwerksperiode vermachte die grossen Erfindungen des Kompasses,
des Pulvers, der Buchdruckerei und der automatischen Uhr. Im
Grossen und Ganzen jedoch spielt die Maschinerie jene Nebenrolle, die
Adam Smith ihr neben der Theilung der Arbeit anweist44).
Sehr wichtig wurde die sporadische Anwendung der Maschinerie im
17. Jahrhundert, weil sie den grossen Mathematikern jener Zeit prak-
tische Anhaltspunkte und Reizmittel zur Schöpfung der modernen Mechanik
darbot.
Die spezifische Maschinerie der Manufakturperiode
bleibt der aus vielen Theilarbeitern kombinirte Gesammtarbeiter
selbst. Die verschiednen Operationen, die der Producent einer Waare ab-
wechselnd verrichtet und die sich im Ganzen seines Arbeitsprozesses ver-
schlingen, nehmen ihn verschiedenartig in Anspruch. In der einen muss
er mehr Kraft entwickeln, in der andern mehr Gewandtheit, in der dritten
mehr geistige Aufmerksamkeit u. s. w., und dasselbe Individuum besitzt
diese Eigenschaften nicht in gleichem Grad. Nach der Trennung, Ver-
selbstständigung und Isolirung der verschiednen Operationen werden die
Arbeiter ihren vorwiegenden Eigenschaften gemäss getheilt, klassificirt und
gruppirt. Bilden ihre Naturbesonderheiten die Grundlage, worauf sich
die Theilung der Arbeit pfropft, so entwickelt die Manufaktur, einmal ein-
geführt, Arbeitskräfte, die von Natur nur zu einseitiger Sonderfunktion
taugen. Der Gesammtarbeiter besitzt jetzt alle produktiven Eigen-
schaften in gleich hohem Grad der Virtuosität und verausgabt sie zugleich
auf’s ökonomischste, indem er alle seine Organe, individualisirt in besondern
Arbeitern oder Arbeitergruppen, ausschliesslich zu ihren spezifischen Funk-
tionen verwendet45). Die Einseitigkeit und selbst die Unvollkommenheit
des Theilarbeiters werden zu seiner Vollkommenheit als Glied des Gesammt-
arbeiters46). Die Gewohnheit einer einseitigen Funktion verwandelt ihn
in ihr naturgemäss sicher wirkendes Organ, während der Zusammenhang
des Gesammtmechanismus ihn zwingt, mit der Regelmässigkeit eines Ma-
schinentheils zu wirken47). Da die verschiednen Funktionen des Ge-
sammtarbeiters einfacher oder zusammengesetzter, niedriger oder höher,
erheischen seine Organe, die individuellen Arbeitskräfte, sehr verschiedne
Grade der Ausbildung und besitzen daher sehr verschiedne Werthe. Die
Manufaktur entwickelt also eine Hierarchie der Arbeitskräfte,
der eine Stufenleiter der Arbeitslöhne entspricht. Wird einerseits der in-
dividuelle Arbeiter einer einseitigen Funktion angeeignet und lebens-
lang annexirt, so werden eben so sehr die verschiednen Arbeitsver-
richtungen jener Hierarchie der natürlichen und erworbnen Geschicklich-
keiten angepasst48). Jeder Produktionsprozess bedingt indess ge-
wisse einfache Hanthierungen, deren jeder Mensch, wie er geht und steht,
fähig ist. Auch sie werden jetzt von ihrem flüssigen Zusammenhang mit
den inhaltvolleren Momenten der Thätigkeit losgelöst und zu ausschliess-
lichen Funktionen verknöchert. Die Manufaktur erzeugt daher in jedem
Handwerk, das sie ergreift, eine Klasse sogenannter ungeschickter
Arbeiter, die der Handwerksbetrieb streng ausschloss. Wenn sie die
durchaus vereinseitigte Spezialität auf Kosten des ganzen Arbeitsvermögens
zur Virtuosität entwickelt, beginnt sie auch schon den Mangel aller Ent-
wicklung zu einer Spezialität zu machen. Neben die hierarchische Ab-
stufung tritt die einfache Scheidung der Arbeiter in geschickte und
ungeschickte. Für letztere fallen die Erlernungskosten ganz weg,
für erstere sinken sie, im Vergleich zum Handwerker, in Folge vereinfachter
Funktion. In beiden Fällen sinkt der Werth der Arbeitskraft49). Aus-
nahme findet statt, soweit die Zersetzung des Arbeitsprozesses neue zu-
sammenfassende Funktionen erzeugt, die im Handwerksbetrieb gar nicht
oder nicht in demselben Umfang vorkamen. Die relative Entwerthung
der Arbeitskraft, die aus dem Wegfall oder der Verminderung der
Erlernungskosten entspringt, schliesst unmittelbar höhere Verwer-
thung des Kapitals ein, denn alles, was die zur Reproduktion der
Arbeitskraft nothwendige Zeit verkürzt, verlängert die Domaine der Mehr-
arbeit.
Wir betrachteten erst den Ursprung der Manufaktur aus der Coope-
ration, dann ihre einfachen Elemente, den Theilarbeiter und sein Werk-
zeug, endlich ihren Gesammtmechanismus. Wir berühren jetzt kurz das
Verhältniss zwischen der manufakturmässigen Theilung der Arbeit und
der gesellschaftlichen Theilung der Arbeit, welche die allgemeine
Grundlage aller Waarenproduktion bildet.
Hält man nur die Arbeit selbst im Auge, so kann man die
Trennung der gesellschaftlichen Produktion in ihre grossen Gattungen,
wie Agrikultur, Industrie u. s. w., als Theilung der Arbeit im All-
gemeinen, die Sonderung dieser Produktionsgattungen in Arten und
Unterarten als Theilung der Arbeit im Besondern, und die
Theilung der Arbeit innerhalb einer Werkstatt als Theilung der Ar-
beit im Einzelnen bezeichnen50).
Die Theilung der Arbeit innerhalb der Gesellschaft, und
die entsprechende Beschränkung der Individuen auf besondre Berufs-
sphären, entwickelt sich, wie die Theilung der Arbeit innerhalb der Manu-
faktur, von entgegengesetzten Ausgangspunkten. Innerhalb einer Familie,
weiter entwickelt eines Stammes, entspringt eine naturwüchsige Theilung
der Arbeit aus den Geschlechts- und Altersverschiedenheiten, also auf rein
physiologischer Grundlage, die mit der Ausdehnung des Ge-
meinwesens, der Zunahme der Bevölkerung, und namentlich dem Konflikt
zwischen verschiednen Stämmen und der Unterjochung eines Stamms durch
den andern ihr Material ausweitet. Andrerseits, wie ich früher bemerkt,
entspringt der Produktenaustausch an den Punkten, wo verschiedne Fa-
milien, Stämme, Gemeinwesen in Kontakt kommen, denn nicht Privatper-
sonen, sondern Familien, Stämme u. s. w. treten sich in den Anfängen der
Kultur selbstständig gegenüber. Verschiedne Gemeinwesen finden ver-
schiedne Produktionsmittel und verschiedne Lebensmittel in ihrer Natur-
umgebung vor. Ihre Produktionsweise, Lebensweise und Produkte sind
daher verschieden. Es ist diese naturwüchsige Verschiedenheit, die bei
dem Kontakt der Gemeinwesen den Austausch der wechselseitigen Produkte
und daher die allmälige Verwandlung dieser Produkte in Waaren hervorruft.
Der Austausch schafft nicht den Unterschied der Produktionssphären,
sondern bezieht die unterschiednen auf einander und verwandelt sie so in
mehr oder minder von einander abhängige Zweige einer gesellschaft-
lichen Gesammtproduktion. Hier entsteht die gesellschaftliche Theilung
der Arbeit durch den Austausch ursprünglich verschiedner, aber
gegen einander selbstständiger Produktionssphären. Dort, wo die phy-
siologische Theilung der Arbeit den Ausgangspunkt bildet, lösen sich
die besondern Organe eines unmittelbar zusammengehörigen Ganzen von
einander ab, zersetzen sich, zu welchem Zersetzungsprozess der Waaren-
austausch mit fremden Gemeinwesen den Hauptanstoss giebt, und verselbst-
ständigen sich bis zu dem Punkt, wo der Zusammenhang der verschiednen
Arbeiten durch den Austausch der Produkte als Waaren vermittelt wird.
Es ist in dem einen Fall Verunselbstständigung der früher Selbstständigen,
in dem andern Verselbstständigung der früher Unselbstständigen.
Die Grundlage aller entwickelten und durch Waarenaustausch ver-
mittelten Theilung der Arbeit ist die Scheidung von Stadt und
Land51). Man kann sagen, dass die ganze ökonomische Geschichte der
Gesellschaft sich in der Bewegung dieses Gegensatzes resümirt, auf den
wir jedoch hier nicht weiter eingehn.
Wie für die Theilung der Arbeit innerhalb der Manufaktur eine ge-
wisse Anzahl gleichzeitig angewandter Arbeiter die materielle Voraus-
setzung bildet, so für die Theilung der Arbeit innerhalb der Gesellschaft
die Grösse der Bevölkerung und ihre Dichtigkeit, die hier
an die Stelle der Agglomeration in derselben Werkstatt tritt52). Indess
ist diese Dichtigkeit etwas relatives. Ein relativ spärlich bevölkertes
Land mit entwickelten Kommunikationsmitteln besitzt eine dichtere Be-
völkerung als ein mehr bevölkertes Land mit unentwickelten Kommuni-
kationsmitteln, und in dieser Art sind z. B. die nördlichen Staaten der
amerikanischen Union dichter bevölkert als Indien53).
Da Waarenproduktion und Waarencirkulation die allgemeine Vor-
aussetzung der kapitalistischen Produktionsweise, erheischt manufaktur-
mässige Theilung der Arbeit eine schon bis zu gewissem Entwicklungs-
grad gereifte Theilung der Arbeit im Innern der Gesellschaft. Umgekehrt
entwickelt und vervielfältigt die manufakturmässige Theilung der Arbeit
rückwirkend jene gesellschaftliche Theilung der Arbeit. Mit der Diffe-
renzirung der Arbeitsinstrumente differenziren sich mehr und mehr die Ge-
werbe, welche diese Instrumente produciren54). Ergreift der manufaktur-
mässige Betrieb ein Gewerb, das bisher als Haupt- oder Nebengewerb mit
andern zusammenhing und von demselben Producenten ausgeführt wurde,
so findet sofort Scheidung und gegenseitige Verselbstständigung statt. Er-
greift er eine besondre Produktionsstufe einer Waare, so verwandeln
sich ihre verschiednen Produktionsstufen in verschiedne unabhängige Ge-
werbe. Es ward bereits angedeutet, dass wo das Machwerk ein bloss
mechanisch zusammengesetztes Ganze von Theilprodukten, die Theilarbei-
ten sich selbst wieder zu eignen Handwerken verselbstständigen können.
Um die Theilung der Arbeit vollkommner innerhalb einer Manufaktur aus-
zuführen, wird derselbe Produktionszweig, je nach der Verschiedenheit
seiner Rohstoffe oder den verschiednen Formen, die derselbe Rohstoff er-
halten kann, in verschiedne zum Theil ganz neue Manufakturen gespaltet.
So wurden bereits in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Frankreich
allein über 100 verschiedenartige Seidenzeuge gewebt, und in Avignon
z. B. war es Gesetz, dass „jeder Lehrling sich immer nur einer Fabrika-
tionsart widmen und nicht die Verfertigung mehrerer Zeugarten zugleich
lernen durfte.“ Die territoriale Theilung der Arbeit, welche
besondre Produktionszweige an besondre Distrikte eines Landes bannt,
erhält neuen Anstoss durch den manufakturmässigen Betrieb, der alle Be-
sonderheiten ausbeutet55). Reiches Material zur Theilung der Arbeit
innerhalb der Gesellschaft liefert der Manufakturperiode die Erweiterung
des Weltmarkts und das Kolonialsystem, die zum Umkreis ihrer allgemei-
nen Existenzbedingungen gehören. Es ist hier nicht der Ort weiter nach-
zuweisen, wie sie neben der ökonomischen jede andre Sphäre der Gesell-
schaft inficirt und überall die Grundlage zu jener Ausbildung des Fach-
wesens, der Specialitäten, und zu einer Parcellirung des Menschen legt, die
schon A. Ferguson, den Lehrer A. Smiths, in den Ausruf ausbrechen
liess: „Wir sind ganze Nationen von Heloten, und es giebt keine Freien
unter uns“56).
Trotz der zahlreichen Analogien jedoch und der Zusammenhänge
zwischen der Theilung der Arbeit im Innern der Gesellschaft und der
Theilung innerhalb einer Werkstatt, sind beide nicht nur graduell, son-
dern wesentlich unterschieden. Am schlagendsten scheint die Ana-
logie unstreitig, wo ein inneres Band verschiedne Geschäftszweige ver-
schlingt. Der Viehzüchter z. B. producirt Häute, der Gerber verwandelt
die Häute in Leder, der Schuster das Leder in Stiefel. Jeder producirt
hier ein Stufenprodukt und die letzte fertige Gestalt ist das kombinirte
Produkt ihrer Sonderarbeiten. Es kommen hinzu die mannigfachen Ar-
beitszweige, die dem Viehzüchter, Gerber, Schuster Produktionsmittel
liefern. Man kann sich nun mit A. Smith einbilden, diese gesellschaft-
liche Theilung der Arbeit unterscheide sich von der manufakturmässigen
nur subjektiv, nämlich für den Beobachter, der hier die mannigfachen
Theilarbeiten auf einen Blick räumlich zusammensieht, während dort ihre
Zerstreuung über grosse Flächen und die grosse Zahl der in jedem Son-
derzweig Beschäftigten den Zusammenhang verdunklen57). Was aber
stellt den Zusammenhang her zwischen den unabhängigen Arbeiten von
Viehzüchter, Gerber, Schuster? Das Dasein ihrer respektiven Produkte als
Waaren. Was charakterisirt dagegen die manufakturmässige Theilung
der Arbeit? Dass der Theilarbeiter keine Waare producirt58). Erst
das gemeinsame Produkt der Theilarbeiter verwandelt sich in Waare.
Die Theilung der Arbeit im Innern der Gesellschaft ist vermittelt durch den
Kauf und Verkauf der Produkte verschiedner Arbeitszweige, der Zusammen-
hang der Theilarbeiten in der Manufaktur durch den Verkauf verschiedner Ar-
beitskräfte an denselben Kapitalisten, der sie als kombinirte Arbeitskraft ver-
wendet. Die manufakturmässige Theilung der Arbeit unterstellt Koncen-
tration der Produktionsmittel in der Hand eines Kapitalisten, die gesell-
schaftliche Theilung der Arbeit Zersplitterung der Produktionsmittel unter
viele von einander unabhängige Waarenproducenten. Statt dass in der Manu-
faktur das eherne Gesetz der Verhältnisszahl oder Proportionalität bestimmte
Arbeitermassen unter bestimmte Funktionen subsumirt, treiben Zufall und
Willkühr ihr buntes Spiel in der Vertheilung der Waarenproducenten und
ihrer Produktionsmittel unter die verschiednen gesellschaftlichen Arbeits-
zweige. Zwar suchen sich die verschiednen Produktionssphären bestän-
dig ins Gleichgewicht zu setzen, indem einerseits jeder Waarenproducent
einen Gebrauchswerth produciren, also ein besondres gesellschaftliches Be-
dürfniss befriedigen muss, der Umfang dieser Bedürfnisse aber quantitativ
verschieden ist und ein innres Band die verschiedenen Bedürfnissmassen zu
einem naturwüchsigen System verkettet; indem andrerseits das Werth-
gesetz der Waaren bestimmt, wie viel die Gesellschaft von ihrer ganzen
disponiblen Arbeitszeit auf die Produktion jeder besondern Waarenart ver-
ausgaben kann. Aber diese beständige Tendenz der verschiednen Pro-
duktionssphären sich ins Gleichgewicht zu setzen, bethätigt sich nur als
Reaktion gegen die beständige Aufhebung dieses Gleichgewichts. Bei
der Theilung der Arbeit im Innern der Werkstatt beherrscht die Ver-
hältnisszahl die jeder Sonderfunktion zugewiesne Arbeitermasse a priori
als bewusste und planmässig befolgte Regel; bei der Theilung der Arbeit
im Innern der Gesellschaft wirkt sie nur a posteriori als innere,
stumme, im Barometerwechsel der Marktpreise wahrnehmbare, die regel-
lose Willkühr der Waarenproducenten überwältigende Naturnothwendig-
keit. Die manufakturmässige Theilung der Arbeit unterstellt die unbe-
dingte Autorität des Kapitalisten über Menschen, die blosse Glieder eines
ihm gehörigen Gesammtmechanismus bilden; die gesellschaftliche Thei-
lung der Arbeit stellt unabhängige Waarenproducenten einander gegen-
über, die keine andere Autorität anerkennen als die der Konkurrenz,
den Zwang, den der Druck ihrer wechselseitigen Interessen auf sie
ausübt, wie auch im Thierreich das bellum omnium contra omnes die
Existenzbedingungen aller Arten mehr oder minder erhält. Dasselbe bür-
gerliche Bewusstsein, das die manufakturmässige Theilung der Arbeit,
die lebenslängliche Annexation des Arbeiters an eine Detailverrichtung und
die unbedingte Unterordnung der Theilarbeiter unter das Kapital, als eine
Organisation der Arbeit feiert, welche ihre Produktivkraft steigere, denun-
cirt daher eben so laut jede bewusste gesellschaftliche Kontrole und Reg-
lung des gesellschaftlichen Produktionsprozesses als einen Eingriff in die
unverletzlichen Eigenthumsrechte, Freiheit und sich selbst bestimmende
„Genialität“ des individuellen Kapitalisten. Es ist sehr charakteristisch,
dass die begeisterten Apologeten des Fabriksystems nichts ärgeres gegen
jede allgemeine Organisation der gesellschaftlichen Arbeit zu sagen wis-
sen, als dass sie die ganze Gesellschaft in eine Fabrik verwandeln würde.
Wenn die Anarchie der gesellschaftlichen und die Despotie der
manufakturmässigen Arbeitstheilung einander in der Gesellschaft
der kapitalistischen Produktionsweise bedingen, bieten dagegen frühere
Gesellschaftsformen, worin die Besonderung der Gewerbe sich naturwüchsig
entwickelt, dann krystallisirt und endlich gesetzlich befestigt, einer-
seits das Bild einer plan- und autoritätsmässigen Organisation der
gesellschaftlichen Arbeit, während sie anderseits die Theilung der Arbeit
innerhalb der Werkstatt ganz ausschliessen, oder nur auf einem Zwerg-
massstab, oder nur sporadisch und zufällig entwickeln59).
Jene uralterthümlichen, kleinen indischen Gemeinwesen z. B., die
zum Theil noch fortexistiren, beruhn auf gemeinschaftlichem Besitz des
Grund und Bodens, auf unmittelbarer Verbindung von Agrikultur und
Handwerk, und auf einer festen Theilung der Arbeit, die bei Anlage neuer
Gemeinwesen als gegebner Plan und Grundriss dient. Sie bilden sich
selbst genügende Produktionsganze, deren Produktionsgebiet von 100 bis
auf einige 1000 Acres wechselt. Die Hauptmasse der Produkte wird für
den unmittelbaren Selbstbedarf der Gemeinde producirt, nicht als Waare,
und die Produktion selbst ist daher unabhängig von der durch Waaren-
austausch vermittelten Theilung der Arbeit im Grossen und Ganzen der
indischen Gesellschaft. Nur der Ueberschuss der Produkte verwandelt
sich in Waare, zum Theil selbst wieder erst in der Hand des Staats,
dem ein bestimmtes Quantum seit undenklichen Zeiten als Naturalrente zu-
fliesst. In verschiedenen Theilen Indiens besitzt diess Gemeinwesen ver-
schiedne herrschende Formen. In der einfachsten Form bebaut die Ge-
meinde das Land gemeinschaftlich und vertheilt seine Produkte unter ihre
Glieder, während jede Familie Spinnen, Weben u. s. w. als häusliches
Nebengewerb treibt. Neben dieser gleichartig beschäftigten Masse finden
wir den „Haupteinwohner“, Richter, Polizei und Steuereinnehmer in
einer Person; den Buchhalter, der die Rechnung über den Ackerbau führt
und alles darauf Bezügliche katastrirt und registrirt; einen dritten Beam-
ten, der Verbrecher verfolgt und fremde Reisende beschützt und von einem
Dorf zum andern geleitet; den Grenzmann, der die Grenzen der Ge-
meinde gegen die Nachbargemeinden bewacht; den Wasseraufseher,
der das Wasser aus den gemeinschaftlichen Wasserbehältern zu Ackerbau-
zwecken vertheilt; den Braminen, der die Funktionen des religiösen
Kultus verrichtet; den Schulmeister, der die Gemeindekinder im Sand
schreiben und lesen lehrt; den Kalenderbraminen, der als Astrolog
die Zeiten für Saat, Ernte und die guten oder bösen Stunden für alle be-
sondern Ackerbauarbeiten angiebt; einen Schmidt und einen Zimmer-
mann, welche alle Ackerbauwerkzeuge verfertigen und ausbessern; den
Töpfer, der alle Gefässe für das Dorf macht; den Barbier, den
Wäscher für die Reinigung der Kleider, den Silberschmidt, hier
und da den Poeten, der in einigen Gemeinden den Silberschmidt, in
andern den Schulmeister ersetzt. Diess Dutzend Personen wird auf
Kosten der ganzen Gemeinde erhalten. Wächst die Bevölkerung, so
wird eine neue Gemeinde nach dem Muster der alten auf unbebautem Bo-
den angesiedelt. Den Gesammtmechanismus der Gemeinde betrachtet,
findet sich hier planmässige Theilung der Arbeit, aber ihre manufaktur-
mässige Theilung ist unmöglich, indem der Markt für Schmidt, Zimmer-
mann u. s. w. unverändert bleibt und höchstens, je nach dem Grössen-
unterschied der Dörfer, statt eines Schmidts, Töpfers u. s. w. ihrer zwei
oder drei vorkommen60). Das Gesetz, das die Theilung der Gemeinde-
arbeit regelt, wirkt hier mit der unverbrüchlichen Autorität eines Natur-
gesetzes, während jeder besondre Handwerker, wie Schmidt u. s. w., nach
überlieferter Art, aber selbstständig, und ohne Anerkennung irgend einer
Autorität in seiner Werkstatt, alle zu seinem Fach gehörigen Operationen
verrichtet. Der einfache produktive Organismus dieser selbstgenügenden
Gemeinwesen, die sich beständig in derselben Form reproduciren, und,
wenn zufällig zerstört, an demselben Ort, mit demselben Namen, wieder
aufbauen61), liefert den Schlüssel zum Geheimniss der Unveränder-
lichkeit asiatischer Gesellschaften, so auffallend kontrastirt durch
die beständige Auflösung und Neubildung asiatischer Staaten und rast-
losen Dynastenwechsel. Die Struktur der ökonomischen Grundelemente
der Gesellschaft bleibt von den Stürmen der politischen Wolkenregion un-
berührt.
Die Zunftgesetze, wie schon früher bemerkt, verhinderten planmässig,
durch äusserste Beschränkung des Maximums der Gesellenzahl, die ein
einzelner Zunftmeister beschäftigen durfte, seine Verwandlung in einen Ka-
pitalisten. Ebenso konnte er Gesellen nur beschäftigen in dem ausschliess-
lichen Handwerk, worin er selbst Meister war. Die Zunft wehrte eifer-
süchtig jeden Uebergriff des Kaufmannskapitals ab, der einzig freien
Form des Kapitals, die ihr gegenüberstand. Der Kaufmann konnte alle
Waaren kaufen, nur nicht die Arbeit als Waare. Er war nur geduldet
als Verleger der Handwerksprodukte. Riefen äussere Umstände eine
fortschreitende Theilung der Arbeit hervor, so zerspalteten sich bestehende
Zünfte in Unterarten oder lagerten sich neue Zünfte neben die alten hin,
jedoch ohne Zusammenfassung verschiedner Handwerke in eine Werkstatt.
Die Zunftorganisation, so sehr ihre Besonderung, Isolirung und Ausbildung
der Gewerbe zu den materiellen Existenzbedingungen der Manufaktur-
periode gehören, schloss daher die manufakturmässige Theilung der Ar-
beit aus. Im Grossen und Ganzen blieben der Arbeiter und seine Pro-
duktionsmittel mit einander verbunden, wie die Schnecke mit dem
Schneckenhaus, und so fehlte die erste Grundlage der Manufaktur, die Ver-
selbstständigung der Produktionsmittel als Kapital gegenüber dem
Arbeiter.
Während die Theilung der Arbeit im Ganzen einer Gesellschaft, ob
vermittelt oder unvermittelt durch den Waarenaustausch, den verschieden-
artigsten ökonomischen Gesellschaftsformationen angehört, ist die manu-
fakturmässige Theilung der Arbeit eine ganz spezifische Schöpfung
der kapitalistischen Produktionsweise.
Eine grössere Arbeiteranzahl unter dem Kommando desselben
Kapitals bildet den naturwüchsigen Ausgangspunkt, wie der Coopera-
tion überhaupt, so der Manufaktur. Umgekehrt entwickelt die manufak-
turmässige Theilung der Arbeit das Wachsthum der angewandten Arbeiter-
zahl zur technologischen Nothwendigkeit. Das Arbeiterminimum,
das ein einzelner Kapitalist anwenden muss, ist ihm jetzt durch die vor-
handene Theilung der Arbeit vorgeschrieben. Andrerseits sind die Vor-
theile weiterer Theilung bedingt durch weitere Vermehrung der Arbeiter-
anzahl, die nur noch in Multiplen ausführbar. Mit dem variablen
muss aber auch der constante Bestandtheil des Kapitals wachsen, neben
dem Umfang der gemeinsamen Produktionsbedingungen, wie Baulichkeiten,
Oefen u. s. w., namentlich auch und viel rascher als die Arbeiteranzahl,
das Rohmaterial. Seine Masse, verzehrt in gegebner Zeit durch ge-
gebnes Arbeitsquantum, nimmt in demselben Verhältniss zu wie die Pro-
duktivkraft der Arbeit in Folge ihrer Theilung. Wachsender Mini-
malumfang von Kapital in der Hand der einzelnen Kapitalisten,
oder wachsende Verwandlung der gesellschaftlichen
Lebensmittel und Produktionsmittel in Kapital ist also
ein aus dem technologischen Charakter der Manufaktur entspringendes
Gesetz62).
Wie in der einfachen Cooperation ist in der Manufaktur der
funktionirende Arbeitskörper eine Existenzform des Kapitals.
Der aus vielen individuellen Theilarbeitern zusammengesetzte gesellschaft-
liche Produktionsmechanismus gehört dem Kapitalisten. Die aus der
Kombination der Arbeiten entspringende Produktivkraft erscheint daher
als Produktivkraft des Kapitals. Die eigentliche Manufaktur un-
terwirft nicht nur den früher selbstständigen Arbeiter dem Kommando und
der Disciplin des Kapitals, sondern schafft überdem eine hierarchische
Gliederung unter den Arbeitern selbst. Während die einfache Coopera-
tion die Arbeitsweise der Einzelnen im Grossen und Ganzen unverändert
lässt, revolutionirt die Manufaktur sie von Grund aus und ergreift die in-
dividuelle Arbeitskraft an ihrer Wurzel. Sie verkrüppelt den Arbeiter in
eine Abnormität, indem sie sein Detailgeschick treibhausmässig fördert
durch Unterdrückung einer Welt von produktiven Trieben und Anlagen,
wie man in den La Plata Staaten ein ganzes Thier abschlachtet, um sein
Fell oder seinen Talg zu erbeuten. Die besondren Theilarbeiten werden
nicht nur unter verschiedne Individuen vertheilt, sondern das Individuum
selbst wird getheilt, in das automatische Triebwerk einer Theilarbeit ver-
wandelt63) und die abgeschmackte Fabel des Menenius Agrippa verwirk-
licht, die einen Menschen als blosses Fragment seines eignen Körpers dar-
stellt64). Wenn der Arbeiter ursprünglich seine Arbeitskraft an das
Kapital verkauft, weil ihm die materiellen Produktionsbedin-
gungen einer Waare fehlen, existirt seine individuelle Arbeits-
kraft jetzt überhaupt nur noch, wann und sofern sie an das Kapital ver-
kauft wird. Sie funktionirt nur noch in einem Zusammenhang, der erst
nach ihrem Verkauf, in der Werkstatt des Kapitalisten, existirt. Seiner
natürlichen Beschaffenheit nach verunfähigt, etwas Selbstständiges zu
machen, entwickelt der Manufakturarbeiter produktive Thätigkeit nur noch
als Zubehör zur Werkstatt des Kapitalisten65). Wie dem auserwähl-
ten Volk auf der Stirn geschrieben stand, dass es das Eigenthum Jehovas,
so drückt die Theilung der Arbeit dem Manufakturarbeiter einen Stempel
auf, der ihn zum Eigenthum des Kapitals brandmarkt.
Die Kenntnisse, die Einsicht und der Wille, die der selbstständige
Bauer oder Handwerker, wenn auch auf kleinem Massstab entwickelt, wie
der Wilde alle Kunst des Kriegs als persönliche List ausübt, sind jetzt nur
noch für das Ganze der Werkstatt erheischt. Die geistigen Potenzen der
Produktion erweitern ihren Massstab auf der einen Seite, weil sie auf vielen
Seiten verschwinden. Was die Theilarbeiter verlieren, koncentrirt
sich ihnen gegenüber im Kapital66). Es ist ein Produkt der manufaktur-
mässigen Theilung der Arbeit ihnen die geistigen Potenzen des mate-
riellen Produktionsprozesses als fremdes Eigenthum und sie beherr-
schende Macht gegenüberzustellen. Dieser Scheidungsprozess be-
ginnt in der einfachen Cooperation, wo der Kapitalist den einzelnen
Arbeitern gegenüber die Einheit und den Willen des gesellschaftlichen Ar-
beitskörpers vertritt. Er entwickelt sich in der Manufaktur, die den Ar-
beiter zum Theilarbeiter verstümmelt. Er vollendet sich in der grossen
Industrie, welche die Wissenschaft als selbstständige Produktions-
potenz von der Arbeit trennt und in den Dienst des Kapitals presst67).
In der Manufaktur ist die Bereicherung des Gesammtarbeiters, und
daher des Kapitals, an gesellschaftlicher Produktivkraft bedingt durch die
Verarmung des Arbeiters an individuellen Produktivkräften. „Die Unwissen-
heit ist die Mutter der Industrie wie des Aberglaubens. Nachdenken und
Einbildungskraft sind dem Irrthum unterworfen; aber die Gewohnheit den
Fuss oder die Hand zu bewegen hängt weder von dem einen, noch von
der andern ab. So könnte man sagen, dass mit Bezug auf Manufakturen
ihre Vollkommenheit darin besteht, sich des Geistes entschlagen zu können,
in der Art, dass die Werkstatt als eine Maschine betrachtet wer-
den kann, deren Theile Menschen sind“68). In der That
wandten einige Manufakturen in der Mitte des 18. Jahrhunderts für gewisse
einfache Operationen, welche aber Fabrikgeheimnisse bildeten, mit Vorliebe
halbe Idioten an69).
„Der Geist der grossen Mehrzahl der Menschen“, sagt A. Smith,
„entwickelt sich nothwendig aus und an ihren Alltagsverrichtungen. Ein
Mensch, der sein ganzes Leben in der Verrichtung weniger einfacher Ope-
rationen verausgabt … hat keine Gelegenheit seinen Verstand zu üben …
Er wird im Allgemeinen so stupid und unwissend, wie es für eine mensch-
liche Kreatur möglich ist.“ Nachdem Smith den Stumpfsinn des Theil-
arbeiters geschildert, fährt er fort: „Die Einförmigkeit seines stationären
Lebens verdirbt natürlich auch den Muth seines Geistes … Sie zerstört
selbst die Energie seines Körpers und verunfähigt ihn, seine Kraft schwung-
haft und ausdauernd anzuwenden ausser in der Detailbeschäftigung,
wozu er herangezogen ist. Sein Geschick in seinem besondern Gewerke
scheint so erworben auf Kosten seiner intellektuellen, socialen und kriege-
rischen Tugenden. Aber in jeder industriellen und civilisirten Gesellschaft
ist diess der Zustand, worin der arbeitende Arme (the labouring poor),
d. h. die grosse Masse des Volks nothwendig verfallen muss“70). Um
die aus der Theilung der Arbeit entspringende völlige Verkümmerung der
Volksmasse zu verhindern, empfiehlt A. Smith Volksunterricht von Staats-
wegen, wenn auch in vorsichtig homöopathischen Dosen. Konsequent
polemisirt dagegen sein französischer Uebersetzer und Kommentator,
G. Garnier, der sich unter dem ersten französischen Kaiserthum natur-
gemäss zum Senator entpuppte. Volksunterricht verstosse wider die
ersten Gesetze der Theilung der Arbeit und mit demselben „proscribire
man unser ganzes Gesellschaftssystem“. „Wie alle andern
Theilungen der Arbeit“, sagt er, „wird die zwischen Handarbeit und Ver-
standesarbeit71) ausgesprochner und entschiedner im Masse wie die Ge-
sellschaft (er wendet richtig diesen Ausdruck an für das Kapital, das
Grundeigenthum und ihren Staat) reicher wird. Gleich jeder andern ist
diese Theilung der Arbeit eine Wirkung vergangner und eine Ursache
künftiger Fortschritte … Darf die Regierung denn dieser Theilung der
Arbeit entgegenwirken und sie in ihrem naturgemässen Gang aufhalten?
Darf sie einen Theil der Staatseinnahme zum Versuch verwenden, zwei
Klassen von Arbeit, die ihre Theilung und Trennung erstreben, zu verwir-
ren und zu vermischen“?72)
Eine gewisse geistige und körperliche Verkrüppelung ist unzertrenn-
lich selbst von der Theilung der Arbeit im Ganzen und Grossen der Gesell-
schaft. Da aber die Manufakturperiode diese gesellschaftliche Zerspal-
tung der Arbeitszweige viel weiter führt, andrerseits erst mit der ihr eigen-
thümlichen Theilung das Individuum an seiner Lebenswurzel ergreift,
liefert sie auch zuerst das Material und den Anstoss zur industriellen
Pathologie73).
„Einen Menschen unterabtheilen, heisst ihn hinrichten, wenn er das
Todesurtheil verdient, ihn meuchelmorden, wenn er es nicht verdient. Die
Unterabtheilung der Arbeit ist der Meuchelmord eines Volks“74).
Die auf Theilung der Arbeit beruhende Cooperation oder die Manu-
faktur ist in ihren Anfängen ein naturwüchsiges Gebild der kapitalistischen
Produktion. Sobald sie einige Konsistenz und Breite des Daseins gewon-
nen, wird sie zur bewussten, planmässigen und systematischen Form der
kapitalistischen Produktionsweise. Die Geschichte der eigentlichen Manu-
faktur zeigt, wie die ihr eigenthümliche Theilung der Arbeit zunächst erfah-
rungsmässig, gleichsam hinter dem Rücken der handelnden Personen, die
sachgemässen Formen gewinnt, dann aber, gleich dem zünftigen Hand-
werke, die einmal gefundene Form traditionell festzuhalten strebt und in
einzelnen Fällen Jahrhundertlang festhält. Aendert sich diese Form, so,
ausser in Nebendingen, immer nur in Folge einer Revolution der Arbeits-
instrumente. Die moderne Manufaktur — ich spreche hier nicht von der
auf Maschinerie beruhenden grossen Industrie — findet entweder, wie
z. B. die Kleidermanufaktur, in den grossen Städten, wo sie entsteht,
die disjecta membra poetae bereits fertig vor und hat sie nur aus ihrer Zer-
streuung zu sammeln, oder das Prinzip der Theilung liegt auf flacher Hand,
indem einfach die verschiednen Verrichtungen der handwerksmässigen
Produktion (z. B. beim Buchbinden) besondern Arbeitern ausschliesslich
angeeignet werden. Es kostet noch keine Woche Erfahrung in solchen
Fällen die Verhältnisszahl zwischen den für jede Funktion nöthigen Hän-
den zu finden75).
Die manufakturmässige Theilung der Arbeit schafft durch Ana-
lyse der handwerksmässigen Thätigkeit, Spezificirung der Arbeitsinstru-
mente, Bildung der Theilarbeiter, ihre Gruppirung und Kombination in
einem Gesammtmechanismus, die qualitative Gliederung und die quantita-
tive Proportionalität gesellschaftlicher Produktionsprozesse, also eine be-
stimmte Organisation gesellschaftlicher Arbeit und ent-
wickelt damit zugleich neue, gesellschaftliche Produktivkraft der Arbeit.
Als spezifisch kapitalistische Form des gesellschaftlichen Produk-
tionsprozesses — und auf den vorgefundnen Grundlagen konnte sie sich
nicht anders als in der kapitalistischen Form entwickeln — ist sie
nur eine besondre Methode relativen Mehrwerth zu erzeugen oder
die Selbstverwerthung des Kapitals — was man gesell-
schaftlichen Reichthum, „Wealth of Nations“ u. s. w. nennt
— auf Kosten der Arbeiter zu erhöhn. Sie entwickelt die gesellschaft-
liche Produktivkraft der Arbeit nicht nur für den Kapitalisten, statt für
den Arbeiter, sondern durch die Verkrüpplung des individuellen Arbeiters.
Sie producirt neue Bedingungen der Herrschaft des Kapitals über die Ar-
beit. Wenn sie daher einerseits als historischer Fortschritt und nothwen-
diges Entwicklungsmoment im ökonomischen Bildungsprozess der Gesell-
schaft erscheint, so andrerseits als ein Mittel civilisirter und raffinirter
Exploitation.
Die politische Oekonomie, die als eigne Wissenschaft erst in der Manu-
fakturperiode aufkommt, betrachtet die gesellschaftliche Theilung der
Arbeit überhaupt nur vom Standpunkt der manufakturmässigen Thei-
lung der Arbeit76), als Mittel mit demselben Quantum Arbeit mehr Waare
zu produciren, daher die Waaren zu verwohlfeilern und die Accumulation des
Kapitals zu beschleunigen. Im strengsten Gegensatz zu dieser Accentuirung
der Quantität und des Tauschwerths halten sich die Schriftsteller
des klassischen Alterthums ausschliesslich an Qualität und Ge-
brauchswerth77). In Folge der Scheidung der gesellschaftlichen
Produktionszweige werden die Waaren besser gemacht, die verschiedenen
Triebe und Talente der Menschen wählen sich entsprechende Wirkungs-
sphären78) und ohne Beschränkung ist nirgendwo Bedeutendes zu lei-
sten79). Also Produkt und Producent werden verbessert durch die
Theilung der Arbeit. Wird gelegentlich auch das Wachsthum der Pro-
duktenmasse erwähnt, so nur mit Bezug auf die grössere Fülle des Ge-
brauchswerths. Es wird mit keiner Silbe des Tauschwerths, der
Verwohlfeilerung der Waaren gedacht. Dieser Standpunkt des Ge-
brauchswerths herrscht sowohl bei Plato80), der die Theilung der Ar-
beit als Grundlage der gesellschaftlichen Scheidung der Stände behandelt,
als bei Xenophon81), der mit seinem charakteristisch bürgerlichen In-
stinkt schon der Theilung der Arbeit innerhalb einer Werkstatt näher
rückt. Plato’s Republik, soweit in ihr die Theilung der Arbeit als das
gestaltende Prinzip des Staats entwickelt wird, ist nur atheniensische
Idealisirung des ägyptischen Kastenwesens, wie Aegypten
als industrielles Musterland auch andern seiner Zeitgenossen gilt, z. B.
dem Isokrates82), und diese Bedeutung selbst noch für die Griechen der
römischen Kaiserzeit behielt83).
Während der eigentlichen Manufakturperiode, d. h. der Periode, wo-
rin die Manufaktur die herrschende Form der kapitalistischen Produktions-
weise, stösst die volle Ausführung ihrer eigenen Tendenzen auf vielseitige
Hindernisse. Obgleich sie, wie wir sahen, neben der hierarchischen Glie-
derung der Arbeiter eine einfache Scheidung zwischen geschickten und
ungeschickten Arbeitern schafft, bleibt die Zahl der letztern durch den
überwiegenden Einfluss der erstern sehr beschränkt. Obgleich sie die
Sonderoperationen dem verschiednen Grad von Reife, Kraft und Entwick-
lung ihrer lehendigen Arbeitsorgane anpasst und daher zu produktiver
Ausbeutung von Weibern und Kindern drängt, scheitert diese Tendenz im
Grossen und Ganzen an den Gewohnheiten und dem Widerstand der männ-
lichen Arbeiter. Obgleich die Zersetzung der handwerksmässigen Thätig-
keit die Bildungskosten und daher den Werth der Arbeiter senkt, bleibt
für schwierigere Detailarbeit eine längere Erlernungszeit nöthig und wird
auch da, wo sie vom Ueberfluss, eifersüchtig von den Arbeitern aufrecht
erhalten. Wir finden z. B. in England die laws of apprenticeship mit
ihrer siebenjährigen Lernzeit bis zum Ende der Manufakturperiode in Voll-
kraft und erst von der grossen Industrie über Haufen geworfen. Da das
Handwerksgeschick die Grundlage der Manufaktur bleibt, und der in ihr
funktionirende Gesammtmechanismus kein von den Arbeitern selbst unab-
hängiges objektives Skelett besitzt, ringt das Kapital beständig mit
der Insubordination der Arbeiter. „Die Schwäche der menschlichen Na-
tur,“ ruft Freund Ure aus, „ist so gross, dass der Arbeiter; je geschickter,
desto eigenwilliger und schwieriger zu behandeln wird, und folglich dem
Gesammtmechanismus durch seine rappelköpfigen Capricen schweren
Schaden zufügt“84). Durch die ganze Manufakturperiode läuft daher die
Klage über den Disciplinmangel der Arbeiter85). Und hätten wir nicht
die Zeugnisse gleichzeitiger Schriftsteller, die einfachen Thatsachen, dass
es vom 16. Jahrhundert bis zur Epoche der grossen Industrie dem Kapital
misslingt, sich der ganzen disponiblen Arbeitszeit der Manufakturarbeiter
zu bemächtigen, dass die Manufakturen kurzlebig sind und mit der Ein-
oder Auswanderung der Arbeiter ihren Sitz in dem einen Land verlassen
und in dem andern aufschlagen, würden Bibliotheken sprechen. „Ord-
nung muss auf die eine oder die andre Weise gestiftet werden“, ruft 1770
der wiederholt citirte Verfasser des „Essay on Trade and Commerce“.
Ordnung, hallt es 66 Jahre später zurück aus dem Mund des Dr. Andrew
Ure, „Ordnung“ fehlte in der auf „dem scholastischen Dogma der Theilung
der Arbeit“ beruhenden Manufaktur, und „Arkwright schuf die
Ordnung.“
Zugleich konnte die Manufaktur die gesellschaftliche Produktion weder
in ihrem ganzen Umfang ergreifen, noch in ihrer Tiefe umwälzen. Sie
gipfelte als ökonomisches Kunstwerk auf der breiten Grundlage des städti-
schen Handwerks und der ländlich häuslichen Nebenindustrie. Ihre eigne
enge technologische Basis trat auf einem gewissen Entwicklungsgrad mit
den von ihr selbst geschaffenen Produktionsbedürfnissen in Widerspruch.
Eins ihrer vollendetsten Gebilde war die Werkstatt zur Produktion der
Arbeitsinstrumente selbst, und namentlich auch der bereits angewand-
ten komplicirteren mechanischen Apparate. „Ein solches Atelier“, sagt
Ure, „bot dem Auge die Theilung der Arbeit in ihren mannigfachen Abstu-
fungen. Bohrer, Meisel, Drechselbank hatten jede ihre eignen Arbeiter,
hierarchisch gegliedert nach dem Grad ihrer Geschicklichkeit.“ Diess
Produkt der manufakturmässigen Theilung der Arbeit producirte seiner-
seits — Maschinen. Sie heben die handwerksmässige Thätigkeit als
das regelnde Princip der gesellschaftlichen Produktion auf. So wird einer-
seits der technologische Grund der lebenslangen Annexation des Arbeiters
an eine Theilfunktion weggeräumt. Andrerseits fallen die Schranken, welche
dasselbe Princip der Herrschaft des Kapitals noch auferlegte.
John Stuart Mill sagt in seinen „Principien der politischen
Oekonomie“: „Es ist fraglich, ob alle bisher gemachten mechanischen
Erfindungen die Tagesmühe irgend eines menschlichen Wesens erleichtert
haben“86). Solches ist jedoch auch keineswegs der Zweck der kapita-
listisch verwandten Maschinerie. Gleich jeder andern Entwicklung der
Produktivkraft der Arbeit soll sie Waaren verwohlfeilern und den Theil
des Arbeitstags, den der Arbeiter für sich selbst braucht, verkürzen,
um den andern Theil seines Arbeitstags, den er dem Kapitalisten umsonst
giebt, zu verlängern. Sie ist Mittel zur Produktion von Mehr-
werth.
Die Umwälzung der Produktionsweise geht in der Manufaktur von der
Arbeitskraft aus, in der grossen Industrie vom Arbeitsmittel. Es
ist also zunächst zu untersuchen, wodurch sich das Arbeitsmittel aus einem
Werkzeug in eine Maschine verwandelt, oder wodurch sich die Maschine
vom Handwerksinstrument unterscheidet. Es handelt sich hier nur um
grosse, allgemeine Charakterzüge, denn abstrakt strenge Grenzlinien schei-
den ebensowenig die Epochen der Gesellschafts- wie die der Erdge-
schichte.
Mathematiker und Mechaniker — und man findet diess hier und da
von englischen Oekonomen wiederholt — erklären das Werkzeug für eine
einfache Maschine und die Maschine für ein zusammengesetztes Werkzeug.
Nach ihnen findet hier also kein wesentlicher Unterschied statt. In die-
sem Sinn heissen sogar die einfachen mechanischen Potenzen, wie Hebel,
schiefe Ebne, Schraube, Keil u. s. w. Maschinen87). Diess ist richtig
vom mathematischen Standpunkt, denn jede Maschine besteht aus jenen
einfachen Potenzen, wie immer verkleidet und kombinirt. Vom ökono-
mischen Standpunkt taugt die Erklärung nichts, denn ihr fehlt das Ent-
scheidende, das historische Element. Andrerseits sucht man den Unter-
schied zwischen Werkzeug und Maschine darin, dass beim Werkzeug
der Mensch die Bewegungskraft, bei der Maschine eine von der mensch-
lichen verschiedne Naturkraft, wie Thier, Wasser, Wind u. s. w.88)
Danach wäre ein mit Ochsen bespannter Pflug, der den verschiedensten
Produktionsepochen angehört, eine Maschine, Claussen’s Circular Loom, der,
von der Hand eines einzigen Arbeiters bewegt, 96,000 Maschen in einer
Minute verfertigt, ein blosses Werkzeug. Ja, derselbe loom wäre Werk-
zeug, wenn mit der Hand, und Maschine, wenn mit Dampf bewegt. Da
die Anwendung von Thierkraft eine der ältesten Erfindungen der Mensch-
heit, ginge in der That die Maschinenproduktion der Handwerksproduktion
voraus. Als John Wyalt 1735 seine Spinnmaschine und mit ihr die
industrielle Revolution des 18. Jahrhunderts ankündigte, erwähnte er mit
keinem Wort, dass statt eines Menschen ein Esel die Maschine treibe, und
dennoch fiel diese Rolle dem Esel zu. Eine Maschine, „um ohne
Finger zu spinnen,“ lautete sein Programm89).
Alle entwickelte Maschinerie besteht aus drei wesentlich verschie-
denen Theilen, der Bewegungsmaschine, dem Transmissions-
mechanismus, endlich der Werkzeugmaschine oder Arbeits-
maschine. Die Bewegungsmaschine wirkt als Triebkraft des ganzen
Mechanismus. Sie erzeugt ihre eigne Bewegungskraft, wie die Dampf-
maschine, kalorische Maschine, elektro-magnetische Maschine u. s. w., oder
sie empfängt den Anstoss von einer Naturkraft ausser ihr, wie das Wasser-
rad vom Wassergefäll, der Windflügel vom Wind u. s. w. Der Trans-
missionsmechanismus, zusammengesetzt aus Schwungrädern, Treibwellen,
Zahnrädern, Kreiselrädern, Schäften, Schnüren, Riemen, Zwischengeschirr
und Vorgelege der verschiedensten Art, regelt die Bewegung, verwandelt,
wo es nöthig, ihre Form, z. B. aus einer perpendikulären in eine kreis-
förmige, vertheilt und überträgt sie auf die Werkzeugmaschinerie. Beide
Theile des Mechanismus sind nur vorhanden, um der Werkzeugmaschine
die Bewegung mitzutheilen, wodurch sie den Arbeitsgegenstand anpackt
und zweckgemäss verändert. Dieser Theil der Maschinerie, die Werk-
zeugmaschine ist es, wovon die industrielle Revolution im 18. Jahr-
hundert ausgeht. Sie bildet noch jeden Tag von neuem den Ausgangs-
punkt, so oft Handwerksbetrieb oder Manufakturbetrieb in Maschinenbe-
trieb übergeht.
Sehn wir uns nun die Werkzeugmaschine oder eigentliche
Arbeitsmaschine näher an, so erscheinen im Grossen und Ganzen,
wenn auch oft in sehr modificirter Form, die Apparate und Werkzeuge
wieder, womit der Handwerker oder Manufakturarbeiter arbeitet, aber
statt als Werkzeuge des Menschen jetzt als Werkzeuge eines Mechanismus
oder als mechanische Werkzeuge. Entweder ist die ganze Maschine nur
eine mehr oder minder veränderte mechanische Ausgabe des alten Hand-
werksinstruments, wie bei dem mechanischen Webstuhl90), oder die am
Gerüst der Arbeitsmaschine angebrachten thätigen Organe sind alte Be-
kannte, wie Spindeln bei der Spinnmaschine, Nadeln beim Strumpfwirker-
stuhl, Sägeblätter bei der Sägemaschine, Messer bei der Zerhackmaschine
u. s. w. Der Unterschied dieser Werkzeuge von dem eigentlichen
Körper der Arbeitsmaschine erstreckt sich bis auf ihre Geburt. Sie wer-
den nämlich immer noch grossentheils handwerksmässig oder manufaktur-
mässig producirt und später erst an den maschinenmässig producirten
Körper der Arbeitsmaschine befestigt91). Die Werkzeugmaschine ist
also ein Mechanismus, der, nach Mittheilung der entsprechenden Bewe-
gung, mit seinen Werkzeugen dieselben Operationen verrichtet, welche früher
der Arbeiter mit ähnlichen Werkzeugen verrichtete. Ob die Triebkraft
nun vom Menschen ausgeht oder selbst wieder von einer Maschine, ändert
am Wesen der Sache nichts. Nach Uebertragung des eigentlichen Werk-
zeugs vom Menschen auf einen Mechanismus, tritt eine Maschine an die
Stelle eines blossen Werkzeugs. Der Unterschied springt sofort ins
Auge, auch wenn der Mensch selbst noch der erste Motor bleibt. Die
Anzahl von Arbeitsinstrumenten, womit er gleichzeitig wirken
kann, ist durch die Anzahl seiner natürlichen Produktionsinstrumente, sei-
ner eignen körperlichen Organe, beschränkt. Man versuchte in Deutsch-
land erst einen Spinner zwei Spinnräder treten, ihn also gleichzeitig mit
zwei Händen und zwei Füssen arbeiten zu lassen. Diess war zu an-
strengend. Später erfand man ein Tret-Spinnrad mit zwei Spindeln, aber
die Spinnvirtuosen, die zwei Fäden gleichzeitig spinnen konnten, waren
fast so selten als zweiköpfige Menschen. Die Jenny spinnt dagegen von
vorn herein mit 12—18 Spindeln, der Strumpfwirkerstuhl strickt mit viel
1000 Nadeln auf einmal u. s. w. Die Anzahl der Werkzeuge, womit
dieselbe Werkzeugmaschine gleichzeitig spielt, ist von vorn herein eman-
cipirt von der organischen Schranke, wodurch das Handwerkszeug eines
Arbeiters beengt wird.
An vielem Handwerkszeug besitzt der Unterschied zwischen dem
Menschen als blosser Triebkraft und als Arbeiter mit dem eigentlichen Opera-
teur eine sinnlich besonderte Existenz. Z. B. beim Spinnrad wirkt der Fuss
nur als Triebkraft, während die Hand, die an der Spindel arbeitet,
zupft und dreht, die eigentliche Spinnoperation verrichtet. Grade diesen
letzten Theil des Handwerksinstruments ergreift die industrielle Revolution
zuerst und überlässt dem Menschen, neben der neuen Arbeit die Maschine
mit seinem Auge zu überwachen und ihre Irrthümer mit seiner Hand zu
verbessern, zunächst noch die rein mechanische Rolle der Triebkraft.
Werkzeuge dagegen, auf die der Mensch von vorn herein nur als einfache
Triebkraft wirkt, wie z. B. beim Drehn der Kurbel einer Mühle92), bei
Pumpen, beim Auf- und Abbewegen der Arme eines Blasbalgs, beim
Stossen eines Mörsers u. s. w., rufen zwar zuerst die Anwendung von
Thieren, Wasser, Wind93) als Bewegungskräften hervor. Sie recken sich,
theilweise innerhalb, sporadisch schon lange vor der Manufakturperiode,
zu Maschinen, aber sie revolutioniren die Produktionsweise nicht. Dass
sie selbst in ihrer handwerksmässigen Form bereits Maschinen sind, zeigt
sich in der Periode der grossen Industrie. Die Pumpen z. B., womit die
Holländer 1836—37 den See von Harlem auspumpten, waren nach dem
Princip gewöhnlicher Pumpen konstruirt, nur dass cyklopische Dampf-
maschinen statt der Menschenhände ihre Kolben trieben. Der gewöhn-
liche und sehr unvollkommene Blasbalg des Grobschmidts wird noch zu-
weilen in England durch blosse Verbindung seines Arms mit einer Dampf-
maschine in eine mechanische Luftpumpe verwandelt. Die Dampfmaschine
selbst, wie sie Ende des 17. Jahrhunderts, während der Manufakturperiode,
erfunden ward und bis zum Anfang der 80er Jahre des 18. Jahrhunderts
fortexistirte94), rief keine industrielle Revolution hervor. Es war viel-
mehr umgekehrt die Schöpfung der Werkzeugmaschinen, welche die revo-
lutionirte Dampfmaschine nothwendig und darum möglich machte. Sobald
der Mensch, statt mit dem Werkzeug auf den Arbeitsgegenstand, nur noch
als Triebkraft auf eine Werkzeugmaschine wirkt, wird die Verkleidung der
Triebkraft in menschliche Muskel zufällig und kann Wind, Wasser,
Dampf u. s. w. an die Stelle treten. Diess schliesst natürlich nicht aus,
dass solcher Wechsel oft grosse technische Aenderungen des ursprünglich
für menschliche Triebkraft allein konstruirten Mechanismus bedingt. Heut-
zutage werden alle Maschinen, die sich erst Bahn brechen müssen, wie
Nähmaschinen, Brodbereitungsmaschinen u. s. w., wenn sie den kleinen Mass-
stab nicht von vorn herein durch ihre Bestimmung ausschliessen, für mensch-
liche und rein mechanische Triebkraft zugleich konstruirt.
Die Maschine, wovon die industrielle Revolution ausgeht, ersetzt den
Arbeiter, der ein einzelnes Werkzeug handhabt, durch einen Mechanismus,
der mit einer Masse derselben oder gleichartiger Werkzeuge auf einmal
operirt, und von einer einzigen Triebkraft, welches immer ihre Form, be-
wegt wird95). Hier haben wir die Maschine, aber erst als einfaches
Element der maschinenmässigen Produktion.
Die Erweiterung des Umfangs der Arbeitsmaschine und der Zahl
ihrer gleichzeitig operirenden Werkzeuge bedingt einen massenhafteren Be-
wegungsmechanismus, und dieser Mechanismus, zur Ueberwältigung seines
eignen Widerstands, eine mächtigere Triebkraft als die menschliche, ab-
gesehn davon, dass der Mensch ein sehr unvollkommenes Produktionsin-
strument gleichförmiger und kontinuirlicher Bewegung ist. Vorausgesetzt,
dass er nur noch als einfache Triebkraft wirkt, also an die Stelle seines
Werkzeugs eine Werkzeugmaschine getreten ist, können Naturkräfte ihn
jetzt auch als Triebkraft ersetzen. Von allen aus der Manufakturperiode
überlieferten grossen Bewegungskräften war die Pferdekraft die schlech-
teste, theils weil ein Pferd seinen eignen Kopf hat, theils wegen seiner
Kostspieligkeit und des beschränkten Umfangs, worin es in Fabriken allein
anwendbar ist96). Dennoch wurde das Pferd häufig während der Kinder-
zeit der grossen Industrie angewandt, wie, ausser dem Jammer gleichzei-
tiger Agronomen, schon der bis heute überlieferte Ausdruck der mecha-
nischen Kraft in Pferdekraft bezeugt. Der Wind war zu unstät und unkon-
trolirbar, und die Anwendung der Wasserkraft überwog ausserdem in Eng-
land, dem Geburtsland der grossen Industrie, schon während der Manufak-
turperiode. Man hatte bereits im 17. Jahrhundert versucht, zwei Läufer
und also auch zwei Mahlgänge mit einem Wasserrad in Bewegung zu
setzen. Der geschwollne Umfang des Transmissionsmechanismus gerieth
aber jetzt in Konflikt mit der nun unzureichenden Wasserkraft und diess
ist einer der Umstände, der zur genaueren Untersuchung der Friktionsge-
setze trieb. Ebenso führte das ungleichförmige Wirken der Bewegungs-
kraft bei Mühlen, die durch Stossen und Ziehen mit Schwengeln in Bewe-
gung gesetzt wurden, auf die Theorie und Anwendung des Schwung-
rads97), das später eine so wichtige Rolle in der grossen Industrie spielt.
In dieser Art entwickelte die Manufakturperiode die ersten wissenschaft-
lichen und technologischen Elemente der grossen Industrie. Ark-
wright’s Throstlespinnerei wurde von vorn herein mit Wasser getrieben.
Indess war auch der Gebrauch der Wasserkraft als herrschender Trieb-
kraft mit erschwerenden Umständen verbunden. Sie konnte nicht beliebig
erhöht und ihrem Mangel nicht abgeholfen werden, sie versagte zuweilen
und war vor allem rein lokaler Natur98). Erst mit Watt’s zweiter,
s. g. doppelt wirkender Dampfmaschine war ein erster Motor
gefunden, der seine Bewegungskraft selbst aus der Verspeisung von Koh-
len und Wasser erzeugt, dessen Kraftpotenz ganz unter menschlicher Kon-
trole steht, der mobil und ein Mittel der Lokomotion, städtisch, und nicht
gleich dem Wasserrad ländlich, die Koncentration der Produktion in
Städten erlaubt, statt sie wie das Wasserrad über das Land zu zer-
streuen99), universell in seiner technologischen Anwendung, in seiner Resi-
denz verhältnissmässig wenig durch lokale Umstände bedingt. Das grosse
Genie Watt’s zeigte sich in der Specifikation des Patents, das er April
1784 nahm, und worin seine Dampfmaschine nicht als eine Erfindung zu
besondern Zwecken, sondern als allgemeiner Agent der grossen
Industrie geschildert wird. Er deutet hier Anwendungen an, wovon
manche, wie z. B. der Dampfhammer, mehr als ein halbes Jahrhundert
später erst eingeführt wurden. Jedoch bezweifelte er die Anwendbarkeit
der Dampfmaschine auf Seeschifffahrt. Seine Nachfolger, Boulton und
Watt, stellten 1851 die kolossalste Dampfmaschine für Ocean steamers auf
der Londoner Industrieausstellung aus.
Nachdem erst die Werkzeuge aus Werkzeugen des menschlichen Orga-
nismus in Werkzeuge eines mechanischen Apparats, der Werkzeugmaschine,
verwandelt, erhielt nun auch die Bewegungsmaschine eine selbstständige, von
den Schranken menschlicher Kraft völlig emancipirte Form. Damit sinkt
die einzelne Werkzeugmaschine, die wir bisher betrachtet, zu einem blossen
Element der maschinenmässigen Produktion herab. Eine Bewegungs-
maschine konnte jetzt viele Arbeitsmaschinen gleichzeitig treiben. Mit
der Anzahl der gleichzeitig bewegten Arbeitsmaschinen wächst die Bewe-
gungsmaschine und dehnt sich der Transmissionsmechanismus zu einem
weitläufigen Apparat aus.
Es ist nun zweierlei zu unterscheiden, Cooperation vieler
gleichartiger Maschinen und Maschinensystem.
In dem einen Fall wird das ganze Machwerk von derselben
Arbeitsmaschine verrichtet. Sie führt alle die verschiedenen Operationen
aus, welche ein Handwerker mit seinem Werkzeng, z. B. der Weber mit
seinem Webstuhl verrichtete, oder welche Handwerker mit verschiednen
Werkzeugen, sei es selbstständig oder als Glieder einer Manufaktur, der
Reihe nach ausführten100). Z. B. in der modernen Manufaktur von Enve-
loppes faltete ein Arbeiter das Papier mit dem Falzbein, ein andrer legte
den Gummi auf, ein dritter schlug die Klappe um, auf welche die Devise
aufgedrückt wird, ein vierter bossirte die Devise u. s. w. und bei jeder
dieser Theiloperationen musste jede einzelne Enveloppe die Hände wech-
seln. Eine einzige Enveloppemaschine verrichtet alle diese Operationen
auf einen Schlag und macht 3000 und mehr Enveloppen in einer Stunde.
Eine auf der Londoner Industrieausstellung von 1862 ausgestellte ameri-
kanische Maschine zur Bereitung von Papiertuten schneidet das Papier,
kleistert, faltet und vollendet 300 Stück per Minute. Der innerhalb der
Manufaktur getheilte und in einer Reihenfolge ausgeführte Gesammtprozess
wird hier von einer Arbeitsmaschine vollbracht, die durch Kombination
verschiedner Werkzeuge wirkt. Ob nun eine solche Arbeitsmaschine nur
mechanische Wiedergeburt eines komplicirteren Handwerkszeugs sei, oder
Kombination verschiedenartiger manufakturmässig partikularisirter ein-
facher Instrumente, in der Fabrik, der neuen Form der auf Maschi-
nenbetrieb gegründeten Werkstatt, erscheint jedesmal die ein-
fache Cooperation wieder, zunächst, wir sehn hier vom Arbeiter
ab, als räumliche Konglomeration gleichartiger und
gleichzeitig zusammenwirkender Arbeitsmaschinen.
So wird eine Webfabrik durch das Nebeneinander vieler mechanischen
Webstühle und eine Nähfabrik durch das Nebeneinander vieler
Nähmaschinen in demselben Arbeitsgebäude gebildet. Aber es exi-
stirt hier eine technologische Einheit, indem die vielen
gleichartigen Arbeitsmaschinen gleichzeitig und gleichmässig ihren Impuls
empfangen vom Herzschlag des gemeinsamen ersten Motors, auf sie über-
tragen durch den Transmissionsmechanismus, der ihnen auch theilweis ge-
meinsam ist, indem sich nur besondere Ausläufe davon für jede einzelne
Werkzeugmaschine verästeln. Ganz wie viele Werkzenge die Organe
einer Arbeitsmaschine, bilden viele Arbeitsmaschinen jetzt nur noch viele
gleichartige Organe desselben Bewegungsmechanismus.
Ein eigentliches Maschinensystem tritt aber erst an die Stelle
der einzelnen selbstständigen Maschine, wo der Arbeits-
gegenstand eine zusammenhängende Reihe verschiedner Stufenprozesse,
ausgeführt von einer Kette verschiedenartiger, aber mit einander
kombinirter Werkzeugsmaschinen, durchläuft. Hier erscheint die der Ma-
nufaktur eigenthümliche Cooperation durch Theilung der Arbeit wieder,
aber jetzt als Kombination von Theilarbeitsmaschinen. Die
specifischen Werkzeuge der verschiednen Theilarbeiter, in der Wollmanu-
faktur z. B. von Wollschläger, Wollkämmer, Wollscheerer, Wollspinner
u. s. w., verwandeln sich jetzt in die Werkzeuge spezificirter Arbeits-
maschinen, von denen jede ein besondres Organ für eine besondre Funk-
tion im System des kombinirten Werkzeugsmechanismus bildet. Die
Manufaktur selbst liefert dem Maschinensystem in den Zweigen, worin es
zuerst eingeführt wird, im Grossen und Ganzen die naturwüchsige
Grundlage der Theilung und daher der Organisation des Produktionspro-
zesses101). Indess tritt sofort ein wesentlicher Unterschied ein. Bei der
Manufaktur muss jeder besondre Theilprozess von Arbeitern, einzeln oder
in Gruppen, mit ihrem Handwerkszeug ausführbar sein. Wird der Arbei-
ter dem Prozess angeeignet, so ist aber auch vorher der Prozess dem Arbeiter
angepasst. Diess subjektive Princip der Theilung fällt weg für die maschi-
nenartige Produktion. Der Gesammtprozess wird hier objektiv, an und
für sich betrachtet, in seine konstituirenden Phasen analysirt, und das Pro-
blem jeden Theilprozess auszuführen und die verschiednen Theilprozesse zu
verbinden, durch technische Anwendung der Mechanik, Chemie u. s. w.
gelöst102), wobei natürlich nach wie vor die theoretische Konception durch
gehäufte praktische Erfahrung auf grosser Stufenleiter vervollkommnet
werden muss. Jede Theilmaschine liefert der zunächst folgenden ihr Roh-
material, und da sie alle gleichzeitig wirken, befindet sich das Produkt
eben so fortwährend auf den verschiednen Stufen seines Bildungsprozesses,
wie im Uebergang aus einer Produktionsphase in die andre. Wie in
der Manufaktur die unmittelbare Cooperation der Theilarbeiter bestimmte
Verhältnisszahlen zwischen den besondern Arbeitergruppen schafft,
so in dem gegliederten Maschinensystem die beständige Beschäftigung der
Theilmaschinen durch einander ein bestimmtes Verhältniss zwischen
ihrer Anzahl, ihrem Umfang und ihrer Geschwindigkeit. Die kombinirte
Arbeitsmaschine, jetzt ein gegliedertes System von verschiedenartigen
einzelnen Arbeitsmaschinen und von Gruppen derselben, ist um so voll-
kommner, je kontinuirlicher ihr Gesammtprozess, d. h. mit je weniger
Unterbrechung das Rohmaterial von seiner ersten Phase zu seiner letzten über-
geht, je mehr also der Mechanismus selbst, statt der Menschenhand, es von
einer Produktionsphase in die andre fördert. Wenn daher in der Manu-
faktur die Isolirung der Sonderprozesse ein durch die Theilung der
Arbeit selbst gegebnes Princip ist, so in der entwickelten Fabrik die
Kontinuität der Sonderprozesse.
Ein System der Maschinerie, beruhe es nun auf blosser Cooperation
gleichartiger Arbeitsmaschinen, wie in der Weberei, oder auf einer
Kombination verschiedenartiger, wie in der Spinnerei, bildet an und
für sich einen grossen Automaten, sobald es von einem sich selbst
bewegenden ersten Motor getrieben wird. Indess kann das ganze System
z. B. von der Dampfmaschine getrieben werden, obgleich einzelne Werkzeug-
maschinen entweder für gewisse Bewegungen noch den Arbeiter brauchen,
wie die zum Einfahren der Mule nöthige Bewegung vor der Einführung
der selfacting mule und immer noch bei Feinspinnerei, oder indem be-
stimmte Theile der Maschine zur Verrichtung ihres Werks gleich einem
Werkzeug vom Arbeiter gelenkt werden müssen, wie beim Maschinenbau
vor der Verwandlung des slide rest (ein Drehapparat) in einen selfactor.
Sobald die Arbeitsmaschine alle zur Bearbeitung des Rohstoffs nöthigen
Bewegungen ohne menschliche Beihilfe verrichtet und nur noch mensch-
licher Nachhilfe bedarf, haben wir ein automatisches System der
Maschinerie, das indess beständiger Ausarbeitung im Detail fähig ist, wie
z. B. ein Apparat, der die Spinnmaschine von selbst still setzt, sobald ein
einzelner Faden reisst, und der selfacting stop, der den verbesserten
Dampfwebstuhl still setzt, sobald der Spule des Weberschiffs der Ein-
schlagsfaden ausgeht, ganz moderne Erfindungen sind. Als ein Beispiel
sowohl der Kontinuität der Produktion als der Durchführung des automa-
tischen Princips kann die moderne Papierfabrik gelten. An der Papier-
produktion kann überhaupt der Unterschied verschiedner Produktions-
weisen, auf Basis verschiedner Produktionsmittel, wie der Zusammenhang
der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse mit dieser Produktionsweise,
im Einzelnen vortheilhaft studirt werden, da uns die ältere deutsche
Papiermacherei Muster der handwerksmässigen Produktion, Holland im
17. und Frankreich im 18. Jahrhundert Muster der eigentlichen Manufak-
tur, und das moderne England Muster der automatischen Fabrikation in
diesem Zweig liefern, ausserdem in China und Indien noch zwei ver-
schiedne uraltasiatische Formen derselben Industrie existiren.
Als gegliedertes System automatischer Arbeitsmaschinen, die ihre Be-
wegung durch Transmissionsmaschinerie von einem centralen Automa-
ten empfangen, besitzt der Maschinenbetrieb seine entwickeltste Gestalt.
An die Stelle der einzelnen Maschine tritt hier ein mechanisches Ungeheuer,
dessen Leib ganze Fabrikgebäude füllt, und dessen dämonische Kraft, erst
versteckt durch die fast feierlich gemessne Bewegung seiner Riesenglieder,
im fieberhaft tollen Wirbeltanz seiner zahllosen eigentlichen Arbeits-
organe ausbricht.
Es gab Mules, Dampfmaschinen u. s. w., bevor es Arbeiter gab,
deren ausschliessliches Geschäft es war, Dampfmaschinen, Mules u. s. w.
zu machen, ganz wie der Mensch Kleider trug, bevor es Schneider gab.
Die Erfindungen von Vauconson, Arkwright, Watt u. s. w. waren jedoch nur
ausführbar, weil jene Erfinder ein von der Manufakturperiode fertig ge-
liefertes und beträchtliches Quantum geschickter mechanischer Arbeiter
vorfanden. Ein Theil dieser Arbeiter bestand aus selbstständigen Hand-
werkern verschiedner Profession, ein andrer Theil war in Manufakturen ver-
einigt, worin, wie früher erwähnt, die Theilung der Arbeit mit besondrer
Strenge durchgeführt. Mit der Zunahme der Erfindungen und der wach-
senden Nachfrage nach den neu erfundnen Maschinen entwickelte sich
mehr und mehr einerseits die Sonderung der Maschinenfabrikation in man-
nichfaltige selbstständige Zweige, andrerseits die Theilung der Arbeit im
Innern der maschinenbauenden Manufakturen. Wir erblicken hier also
die Manufaktur als unmittelbare technologische Grundlage der gros-
sen Industrie. Jene producirte die Maschinerie, womit diese, in den
Produktionssphären, die sie zunächst ergriff, den handwerks- und manu-
fakturmässigen Betrieb aufhob. Der Maschinenbetrieb erhob sich also
naturwüchsig auf einer ihm unangemessnen materiellen
Grundlage. Auf einem gewissen Entwicklungsgrad musste er diese
erst fertig vorgefundne und dann in ihrer alten Form weiter ausgearbeitete
Grundlage selbst revolutioniren und sich eine seiner eignen Produktions-
weise entsprechende neue Basis schaffen. Wie die einzelne Maschine
zwergmässig bleibt, so lange sie nur durch Menschen bewegt wird, wie
das Maschinensystem sich nicht frei entwickeln konnte, bevor an die Stelle
der vorgefundnen Triebkräfte, Thier, Wind und selbst Wasser, die
Dampfmaschine trat, ebenso war die grosse Industrie in ihrer ganzen Ent-
wicklung gelähmt, so lange ihr charakteristisches Produktionsmittel, die
Maschine selbst, seine Existenz persönlicher Kraft und persönlichem Ge-
schick verdankte, also abhing von der Muskelentwicklung, der Schärfe des
Blicks, und der Virtuosität der Hand, womit der Theilarbeiter in der Ma-
nufaktur und der Handwerker ausserhalb derselben ihr Zwerginstrument
führten. Abgesehn von der Vertheurung der Maschinen in Folge ihrer
Ursprungsweise — und dieser Umstand beherrscht das Kapital als be-
wusstes Motiv — blieb so die Ausdehnung der bereits maschinenmässig
betriebenen Industrie und das Eindringen der Maschinerie in neue Produk-
tionszweige rein bedingt durch das Wachsthum einer Arbeiterkategorie, die
wegen der halbkünstlerischen Natur ihres Geschäfts nur allmälig und nicht
sprungweis vermehrt werden konnte. Aber auf einer gewissen Entwick-
lungsstufe gerieth die grosse Industrie auch technologisch in Wider-
streit mit ihrer handwerks- und manufakturmässigen Unterlage. Die Aus-
reckung des Umfangs der Bewegungsmaschinen, des Transmissionsmecha-
nismus und der Werkzeugmaschinen, die grössere Komplikation, Mannich-
faltigkeit und erforderte Regelmässigkeit ihrer Bestandtheile, im Masse wie
die Werkzeugmaschine sich von dem handwerksmässigen Model, das ihren
Bau ursprünglich beherrscht, losriss, und eine freie, nur durch ihre mecha-
nische Aufgabe bestimmte Gestalt erhielt103), die Ausbildung des automa-
tischen Systems und die stets unvermeidlichere Anwendung von schwer zu
bewältigendem Material, z. B. Eisen statt Holz — die Lösung aller dieser
naturwüchsig entspringenden Aufgaben stiess überall auf die persönlichen
Schranken, die auch das in der Manufaktur kombinirte Arbeiterpersonal nur
dem Grad, nicht dem Wesen nach durchbricht. Maschinen z. B. wie die
moderne Druckerpresse, der moderne Dampfwebstuhl und die moderne
Kardirmaschine konnten nicht von der Manufaktur geliefert werden.
Die Umwälzung der Produktionsweise in einer Sphäre der Industrie
bedingt ihre Umwälzung in der andern. Es gilt diess zunächst für solche
Industriezweige, welche, trotz der Isolation durch die gesellschaft-
liche Theilung der Arbeit, so dass jeder derselben eine selbstständige
Waare producirt, sich dennoch als Phasen eines Gesammtprozesses ver-
schlingen. So machte die Maschinenspinnerei Maschinenweberei nöthig
und beide zusammen die mechanisch-chemische Revolution der Bleicherei,
Druckerei und Färberei, wie andrerseits die Revolution in der Baumwoll-
spinnerei die Erfindung des gin zur Trennung der Baumwollfaser vom
Samen hervorrief, womit erst die Baumwollproduktion auf dem nun erheisch-
ten grossen Massstab möglich ward104). Die Revolution in der Pro-
duktionsweise der Industrie und Agrikultur ernöthigte namentlich aber
auch eine Revolution in den allgemeinen Bedingungen des gesell-
schaftlichen Produktionsprozesses, d. h. den Kommunikations- und
Transportmitteln. Wie die Kommunikations- und Transportmittel
einer Gesellschaft, deren Pivôt, um mich eines Ausdrucks Fourier’s zu
bedienen, die kleine Agrikultur mit ihrer häuslichen Nebenindustrie und das
städtische Handwerk waren, den Produktionsbedürfnissen der Manufaktur-
periode mit ihrer erweiterten Theilung der gesellschaftlichen Arbeit, ihrer
Koncentration von Arbeitsmitteln und Arbeitern, und ihren Kolonialmärk-
ten durchaus nicht genügen konnten, daher auch in der That umgewälzt
wurden, so verwandelten sich die von der Manufakturperiode überlieferten
Transport- und Kommunikationsmittel bald in unerträgliche Hemmschuhe
für die grosse Industrie mit ihrer fieberhaften Geschwindigkeit der Produk-
tion, ihrer massenhaften Stufenleiter, ihrem beständigen Werfen von Ka-
pital- und Arbeitermassen aus einer Produktionssphäre in die andre,
und ihren neugeschaffenen weltmarktlichen Zusammenhängen. Neben
einem ganz umgewälzten Segelschiffbau, wurde das Kommunikations- und
Transportwesen daher allmälig durch ein System von Flussdampfschiffen,
Eisenbahnen, oceanischen Dampfschiffen und Telegraphen der Produktions-
weise der grossen Industrie angeeignet. Die furchtbaren Eisenmassen
aber, die jetzt zu schmieden, zu schweissen, zu schneiden, zu bohren und
zu formen waren, erforderten ihrerseits cyklopische Maschinen, deren
Schöpfung der manufakturmässige Maschinenbau versagte.
Die grosse Industrie musste sich also ihres charakteristischen Produk-
tionsmittels, der Maschine selbst bemächtigen, um Maschinen durch
Maschinen zu produciren. So erst schuf sie sich eine adäquate
technologische Unterlage und stellte sich auf ihre eignen Füsse. Mit dem
wachsenden Maschinenbetrieb in den ersten Decennien des 19. Jahrhunderts
bemächtigte sich die Maschinerie in der That allmälig der Fabri-
kation der Werkzeugmaschinen, während erst in den letztverflosse-
nen Decennien ungeheurer Eisenbahnbau und oceanische Dampfschifffahrt
die in der Konstruktion von ersten Motoren angewandten cyklo-
pischen Maschinen ins Leben riefen.
Die wesentlichste Produktionsbedingung für die Fabrikation von
Maschinen durch Maschinen war eine jeder Kraftpotenz fähige und doch
zugleich ganz kontrolirbare Bewegungsmaschine. Sie existirte bereits
in der Dampfmaschine. Aber es galt zugleich die für die einzelnen Ma-
schinentheile nöthigen streng geometrischen Formen wie Linie, Ebene, Kreis,
Cylinder, Kegel und Kugel maschinenmässig zu produciren. Diess Pro-
blem löste Henry Maudsley im ersten Decennium des 19. Jahrhun-
derts durch die Erfindung des slide-rest, der bald automatisch ge-
macht und in modificirter Form von der Drechselbank, wofür er zuerst
bestimmt war, auf andre Konstruktionsmaschinen übertragen wurde.
Diese mechanische Vorrichtung ersetzt nicht irgend ein besondres Werk-
zeug, sondern die menschliche Hand selbst, die eine bestimmte Form
hervorbringt durch Vorhalten, Anpassen und Richtung der Schärfe von
Schneideinstrumenten u. s. w. gegen oder über das Arbeitsmaterial, z. B.
Eisen. So gelang es die geometrischen Formen der einzelnen Maschinen-
theile „mit einem Grad von Leichtigkeit, Genauigkeit und Raschheit zu
produciren, den keine gehäufte Erfahrung der Hand des geschicktesten
Arbeiters verleihen konnte“105).
Betrachten wir nun in der zum Maschinenbau angewandten Ma-
schinerie den Theil derselben, der die eigentliche Werkzeugmaschine
bildet, so erscheint das handwerksmässige Instrument wieder, aber in
cyklopischem Umfang. Der Operateur der Bohrmaschine z. B. ist
ein ungeheurer Bohrer, der durch eine Dampfmaschine getrieben wird und
ohne den umgekehrt die Cylinder grosser Dampfmaschinen und hydrau-
lischer Pressen nicht producirt werden könnten. Die mechanische Drechsel-
bank ist die cyklopische Wiedergeburt der gewöhnlichen Fussdrechselbank,
die Hobelmaschine ein eiserner Zimmermann, der mit denselben Werkzeugen
in Eisen arbeitet, womit der Zimmermann in Holz; das Werkzeug, welches
in den Londoner Schiffswerften das Furnirwerk schneidet, ist ein riesen-
artiges Rasirmesser, das Werkzeug der Scheermaschine, welche Eisen
schneidet, wie die Schneiderscheere Tuch, eine Monsterscheere, und der
Dampfhammer operirt mit einem gewöhnlichen Hammerkopf, aber von
solchem Gewicht, dass Thor selbst ihn nicht schwingen könnte106). Einer
dieser Dampfhämmer z. B., die eine Erfindung von Nasmyth sind, wiegt
über 6 Tonnen und stürzt mit einem perpendikulären Fall von 7 Fuss auf
einen Amboss von 36 Tonnen Gewicht. Er pulverisirt spielend einen
Granitblock, und ist nicht minder fähig einen Nagel in weiches Holz mit
einer Aufeinanderfolge leiser Schläge einzutreiben107).
Das Arbeitsmittel erhält in der Maschinerie eine materielle Existenz-
weise, welche Ersetzung der Menschenkraft durch Naturkräfte und erfah-
rungsmässiger Routine durch bewusste Anwendung der Naturwissenschaft
bedingt. In der Manufaktur ist die Gliederung des gesellschaftlichen Ar-
beitsprozesses rein subjektiv, Kombination von Theilarbeitern;
im Maschinensystem schafft die grosse Industrie einen ganz objektiven
Produktionsorganismus, den der Arbeiter als fertige materielle Produktions-
bedingung vorfindet. In der einfachen Cooperation und selbst in der
durch Theilung der Arbeit spezificirten erscheint die Verdrängung des ver-
einzelten Arbeiters durch den vergesellschafteten immer noch
mehr oder minder zufällig. Die Maschinerie, mit einigen später zu er-
wähnenden Ausnahmen, funktionirt nur in der Hand unmittelbar vergesell-
schafteter oder gemeinsamer Arbeit. Der cooperative Charakter
des Arbeitsprozesses wird jetzt also durch die Natur des Arbeitsmit-
tels selbst diktirte technologische Nothwendigkeit.
Man sah, dass die aus der Cooperation und der Theilung der Arbeit
entspringenden Produktivkräfte dem Kapital nichts kosten. Sie sind Na-
turkräfte der gesellschaftlichen Arbeit. Naturkräfte, wie
Dampf, Wasser u. s. w., die zu produktiven Prozessen angeeignet werden,
kosten ebenfalls nichts. Wie aber der Mensch eine Lunge zum Athmen
braucht, braucht er ein „Gebild von Menschenhand,“ um Naturkräfte produk-
tiv zu konsumiren. Ein Wasserrad ist nöthig, um die Bewegungskraft des
Wassers, eine Dampfmaschine, um die Elasticität des Dampfs auszubeuten.
Wie mit den Naturkräften, verhält es sich mit der Wissenschaft. Einmal
entdeckt, kostet das Gesetz über die Abweichung der Magnetnadel im
Wirkungskreise eines elektrischen Stroms oder über Erzeugung von Magne-
tismus im Eisen, um das ein elektrischer Strom kreist, keinen Deut108).
Aber zur Ausbeutung dieser Gesetze für Telegraphie u. s. w. bedarf es
eines sehr kostspieligen und weitläufigen Apparats. Durch die Maschine
wird, wie wir sahen, das Werkzeug nicht verdrängt. Aus einem
Zwerg-Werkzeug des menschlichen Organismus reckt es sich in Um-
fang und Zahl zum Werkzeug eines vom Menschen geschaffenen Mechanis-
mus. Statt mit dem Handwerkszeug, lässt das Kapital den Arbeiter jetzt
mit einer Maschine arbeiten, die ihre Werkzeuge selbst führt. Wenn es
daher auf den ersten Blick klar ist, dass die grosse Industrie durch Einver-
leibung ungeheurer Naturkräfte und der Naturwissenschaft in den Produk-
tionsprozess die Produktivität der Arbeit ausserordentlich steigern muss, ist
es keineswegs eben so klar, dass diese gesteigerte Produktivkraft nicht durch
vermehrte Arbeitsausgabe auf der andern Seite erkauft wird. Gleich jedem
andern Bestandtheil des constanten Kapitals, schafft die Maschinerie
keinen Werth, giebt aber ihren eignen Werth an das Produkt ab, zu des-
sen Erzeugung sie dient. Soweit sie Werth hat und daher Werth auf das
Produkt überträgt, bildet sie einen Werthbestandtheil desselben. Statt
es zu verwohlfeilern, vertheuert sie es im Verhältniss zu ihrem
eignen Werth. Und es ist handgreiflich, dass Maschine und systematisch
entwickelte Maschinerie, das charakteristische Arbeitsmittel der grossen
Industrie, unverhältnissmässig an Werth schwillt, verglichen mit den Ar-
beitsmitteln des Handwerks- und Manufakturbetriebs.
Es ist nun zunächst zu bemerken, dass die Maschinerie stets
ganz in den Arbeitsprozess und immer nur theilweis in den Ver-
werthungsprozess eingeht. Sie setzt dem Produkt nie mehr Werth
zu als sie im Durchschnitt durch ihre tägliche Abnutzung verliert. Es
findet also grosse Differenz statt zwischen dem Maschinenwerth und dem
Werththeil der Maschine, der im täglichen Produkt derselben wiederer-
scheint. Es findet eine grosse Differenz statt zwischen der Maschine
als werthbildendem und als produktbildendem Element. Je
grösser die Periode, während welcher dieselbe Maschinerie wiederholt in
demselben Arbeitsprozess dient, desto grösser jene Differenz. Allerdings
haben wir gesehn, dass jedes eigentliche Arbeitsmittel oder Produk-
tionsinstrument immer ganz in den Arbeitsprozess und stets nur stückweis,
im Verhältniss zu seinem täglichen Durchschnittsverschleiss, in den Verwer-
thungsprozess eingeht. Diese Differenz jedoch zwischen der Benutzung
und der Abnutzung des Arbeitsmittels, zwischen dem Dienst, den es in der
Waarenproduktion leistet, und der Vertheurung der Waare, die es durch
Uebertragen seines Werths auf dieselbe hervorbringt, ist viel grösser bei
der Maschinerie als bei dem Werkzeug, weil sie, aus dauerhafterem Ma-
terial gebaut, eine längere Lebensperiode besitzt, weil ihre Anwendung im
Arbeitsprozess, durch streng wissenschaftliche Gesetze geregelt, grössere
Oekonomie in der Verausgabung ihrer Bestandtheile und ihrer Konsum-
tionsmittel ermöglicht, und endlich, weil ihr Produktionsfeld unverhält-
nissmässig grösser ist als das des Werkzeugs. Ziehn wir von beiden,
von Maschinerie und Werkzeug, ihre tägliche Durchschnittskost ab, oder
den Werthbestandtheil, den sie durch täglichen Durchschnittsverschleiss
und den Konsum von Hilfsstoffen, wie Oel, Kohlen u. s. w. dem Produkt
zusetzen, so wirken sie umsonst, ganz wie ohne Zuthun menschlicher
Arbeit vorhandne Naturkräfte. Um so grösser der produktive Wirkungs-
umfang der Maschinerie als der des Werkzeugs, um so grösser ist der Um-
fang ihres unentgeldlichen Dienstes verglichen mit dem des Werk-
zeugs. Erst in der grossen Industrie lernt der Mensch das Produkt seiner
vergangnen, bereits vergegenständlichten Arbeit auf grossem Massstab
gleich einer Naturkraft umsonst wirken zu lassen109).
Es ergab sich bei Betrachtung der Cooperation und Manufaktur, dass
gewisse allgemeine Produktionsbedingungen, wie Baulichkeiten u. s. w.,
im Vergleich mit den zersplitterten Produktionsbedingungen vereinzelter Ar-
beiter durch den gemeinsamen Konsum ökonomisirt werden, daher das
Produkt weniger vertheuern. Bei der Maschinerie wird nicht nur der
Körper einer Arbeitsmaschine von ihren vielen Werkzeugen, sondern die-
selbe Bewegungsmaschine nebst einem Theil des Transmissionsmechanis-
mus von vielen Arbeitsmaschinen gemeinsam verbraucht.
Gegeben die Differenz zwischen dem Werth der Maschinerie und dem
von ihr auf das Tagesprodukt übertragenen Werththeil, hängt der Grad,
worin dieser Werththeil das Produkt vertheuert, zunächst vom Umfang
des Produkts ab, gleichsam von seiner Oberfläche. Herr Baynes
aus Blackburn schätzt in einer 1858 veröffentlichten Vorlesung, dass
„jede reale mechanische Pferdekraft 450 selfacting Mulespindeln nebst
Vorgeschirr treibt oder 200 Throstlespindeln oder 15 Webstühle für 40
inch cloth nebst den Vorrichtungen zum Aufziehn der Kette, Schlichten
u. s. w.“ Es ist im ersten Fall das Tagesprodukt von 450 Mulespin-
deln, im zweiten von 200 Throstlespindeln, im dritten von 15 mecha-
nischen Webstühlen, worüber sich die täglichen Kosten einer Dampf-
pferdekraft und der Verschleiss der von ihr in Bewegung gesetzten Ma-
schinerie vertheilen, so dass hierdurch auf eine Unze Garn oder eine Elle
Geweb nur ein winziger Werththeil übertragen wird. Ebenso im obigen
Beispiel mit dem Dampfhammer. Da sich sein täglicher Verschleiss,
Kohlenkonsum u. s. w. vertheilen auf die furchtbaren Eisenmassen, die er
täglich hämmert, hängt sich jedem Centner Eisen nur ein geringer Werth-
theil an, der sehr gross wäre, sollte das cyklopische Instrument kleine
Nägel eintreiben.
Den Wirkungskreis der Arbeitsmaschine, also die Anzahl ihrer
Werkzeuge, oder, wo es sich um Kraft handelt, deren Umfang gegeben,
wird die Produktenmasse von der Geschwindigkeit abhängen, womit
sie operirt, also z. B. von der Geschwindigkeit, womit sich die Spindel
dreht, oder der Anzahl Schläge, die der Hammer in einer Minute austheilt.
Manche jener kolossalen Hämmer geben 70 Schläge, Ryder’s Schmiede-
patentmaschine, die Dampfhämmer in kleineren Dimensionen zum Schmie-
den von Spindeln anwendet, 700 Schläge in einer Minute.
Die Proportion gegeben, worin die Maschinerie Werth auf das Pro-
dukt überträgt, hängt die Grösse dieses Werththeils von ihrer eignen
Werthgrösse ab110). Je weniger Arbeit sie selbst enthält, desto
weniger Werth setzt sie dem Produkt zu. Je weniger Werth bildend,
desto produktiver ist sie und desto mehr nähert sich ihr Dienst dem der
Naturkräfte. Die Produktion der Maschinerie durch Ma-
schinerie verringert aber ihren Werth, verhältnissmässig zu ihrer
Ausdehnung und Wirkung.
Eine vergleichende Analyse der Preise handwerks- oder manufaktur-
mässig producirter Waaren und der Preise derselben Waaren als Maschi-
nenprodukt ergiebt im Allgemeinen das Resultat, dass beim Maschinenpro-
dukt der dem Arbeitsmittel geschuldete Werthbestandtheil rela-
tiv wächst, aber absolut abnimmt. Das heisst, seine absolute
Grösse nimmt ab, aber seine Grösse im Verhältniss zum Gesammtwerth
des Produkts, z. B. eines Pfundes Garn, nimmt zu111).
Es ist klar, dass blosses Deplacement der Arbeit stattfindet, also die
Gesammtsumme der zur Produktion einer Waare erheischten Arbeit nicht
vermindert oder die Produktivkraft der Arbeit nicht vermehrt wird, wenn
die Produktion einer Maschine so viel Arbeit kostet als ihre Anwendung
erspart. Die Differenz jedoch zwischen der Arbeit, die sie kostet, und
der Arbeit, die sie erspart, oder der Grad ihrer Produktivität hängt offen-
bar nicht ab von der Differenz zwischen ihrem eigenen Werth und dem
Werth des von ihr ersetzten Werkzeugs. Die Differenz dauert so lange
als die Arbeitskost der Maschine und daher der von ihr dem Produkt zu-
gesetzte Werththeil kleiner bleiben als der Werth, den der Arbeiter mit
seinem Werkzeug dem Arbeitsgegenstand zusetzen würde. Die Produk-
tivität der Maschine misst sich daher an dem Grad, worin sie
menschliche Arbeitskraft ersetzt. Nach Herrn Baynes kom-
men auf 450 Mulespindeln nebst Vormaschinerie, die von einer Dampf-
pferdekraft getrieben werden, 2½ Arbeiter112) und werden mit jeder self-
acting mule spindle bei zehnstündigem Arbeitstag 13 Unzen Garn (Durch-
schnittsnumer), also wöchentlich 365⅝ lbs. Garn von 2½ Arbeitern
gesponnen. Bei ihrer Verwandlung in Garn absorbiren ungefähr 366
Pfund Baumwolle (wir sehn der Vereinfachung halber vom Abfall ab) also
nur 150 Arbeitsstunden oder 15 zehnstündige Arbeitstage, während mit
dem Spinnrad, wenn der Handspinner 13 Unzen Garn in 60 Stunden lie-
fert, dasselbe Quantum Baumwolle 2700 Arbeitstage von 10 Stunden oder
27,000 Arbeitsstunden absorbiren würde113). Wo die alte Methode des
blockprinting oder der Handkattundruckerei durch Maschinendruck ver-
drängt ist, druckt eine einzige Maschine mit dem Beistand eines Mannes
oder Jungen so viel vierfarbigen Kattun in einer Stunde als früher 200
Männer114). Bevor Eli Whitney 1793 den cottongin erfand, kostete die
Trennung eines Pfundes Baumwolle vom Samen einen Durchschnittsar-
beitstag. In Folge seiner Erfindung konnten täglich 100 lbs. Baumwolle
von einer Negerin gewonnen werden und die Wirksamkeit des gin ward
seit seiner ersten Einführung noch bedeutend erhöht. Die Baumwollfaser,
früher zu 50 cents per Pfund producirt, wird später mit grösserem Profit,
d. h. mit Einschluss von mehr unbezahlter Arbeit, zu 10 cents verkauft.
In Indien wird zur Trennung der Faser vom Samen ein halbmaschinen-
artiges Instrument, die Churka, angewandt, womit ein Mann und eine Frau
28 lbs. täglich reinigen können. Mit der von Dr. Forbes vor einigen
Jahren erfundenen Churka produciren 1 Mann und 1 Junge täglich 250 lbs.;
wo Ochsen, Dampf oder Wasser als Triebkräfte gebraucht werden, sind
nur wenige Jungen und Mädchen als feeders (Handlanger des Materials
für die Maschine) erheischt. Sechszehn dieser Maschinen, mit Ochsen
getrieben, verrichten täglich das frühere Durchschnitts-Tagewerk von 750
Leuten115).
Wie bereits erwähnt, verrichtet die Dampfmaschine, beim Dampf-
pflug z. B., in einer Stunde zu 3 d. oder ¼ sh. so viel Werk als 66 Men-
schen zu 15 sh. per Stunde. Ich komme auf diess Beispiel zurück gegen
eine falsche Vorstellung. Die 15 sh. sind nämlich keineswegs der
Ausdruck der während einer Stunde von den 66 Menschen zuge-
fügten Arbeit. War das Verhältniss von Mehrarbeit zu nothwendiger
Arbeit 100 %, so producirten diese 66 Arbeiter per Stunde einen Werth
von 30 sh., obgleich sich nur 33 Stunden in einem Aequivalent für sie
selbst, d. h. im Arbeitslohn von 15 sh. darstellen. Gesetzt also, eine Ma-
schine koste eben so viel als z. B. der Jahreslohn von 150 durch sie ver-
drängten Arbeitern, sage 3000 Pfd. St., so sind 3000 Pfd. St. keineswegs
der Geldausdruck der Gesammtarbeit, welche die 150 Arbeiter lieferten und
dem Arbeitsgegenstand zusetzten, sondern nur des Theils ihrer Jah-
resarbeit, der sich in einem Aequivalent für sie selbst, vulgo Arbeits-
lohn, darstellte. Ist dagegen der Werth der Maschine 3000 Pfd. St.,
so sind diese 3000 Pfd. St. der Geldausdruck aller zu ihrer Produktion
verausgabten Arbeit, in welchem Verhältniss immer diese Arbeit Arbeits-
lohn für den Arbeiter und Mehrwerth für den Kapitalisten bilde. Kostet die
Maschine also ebensoviel als die von ihr ersetzte Arbeitskraft, so ist die
in ihr selbst vergegenständlichte Arbeit stets viel kleiner als die von ihr
ersetzte lebendige Arbeit116).
Ausschliesslich als Mittel zur Verwohlfeilerung des Produkts
betrachtet, ist die Grenze für den Gebrauch der Maschinerie darin gegeben,
dass ihre eigne Produktion weniger Arbeit kostet als ihre Anwendung Ar-
beit ersetzt. Für das Kapital jedoch drückt sich diese Grenze enger
aus. Da es nicht die angewandte Arbeit zahlt, sondern den Werth
der angewandten Arbeitskraft, wird ihm der Maschinengebrauch begrenzt
durch die Differenz zwischen dem Maschinenwerth und dem
Werth der von ihr ersetzten Arbeitskraft. Da die Theilung
des Arbeitstags in nothwendige Arbeit und Mehrarbeit, oder, populär aus-
gedrückt, in bezahlte Arbeit und unbezahlte Arbeit, sowohl in verschie-
denen Ländern als in demselben Lande zu verschiedenen Perioden oder in
verschiedenen Geschäftszweigen während derselben Periode sehr verschie-
den sein kann, da ferner der wirkliche Lohn des Arbeiters bald unter den
Werth seiner Arbeitskraft sinkt, bald über ihn steigt, kann die Diffe-
renz zwischen dem Preise der Maschinerie und dem
Preise der von ihr zu ersetzenden Arbeitskraft sehr
variiren, wenn auch die Differenz zwischen dem zur Pro-
duktion der Maschine nöthigen Arbeitsquantum und
dem Gesammtquantum der von ihr ersetzten Arbeit die-
selbe bleibt. Es ist aber nur die erste Differenz, welche die Kost
der Waare für den Kapitalisten selbst bestimmt und ihn durch die
Zwangsgesetze der Konkurrenz beeinflusst. Es werden daher heute Ma-
schinen in England erfunden, die nur in Nordamerika angewandt werden,
wie Deutschland im 16. und 17. Jahrhundert Maschinen erfand, die nur
Holland anwandte, und wie manche französische Erfindung des 18. Jahr-
hunderts nur in England ausgebeutet ward. Die Maschine selbst produ-
cirt in älter entwickelten Ländern durch ihre Anwendung auf einige Ge-
schäftszweige in anderen Zweigen solchen Arbeitsüberfluss (redundancy
of labour, sagt Ricardo), dass hier der Fall des Arbeitslohns unter den
Werth der Arbeitskraft den Gebrauch der Maschinerie verhindert und
ihn vom Standpunkt des Kapitals, dessen Gewinn ohnehin aus der Ver-
minderung nicht der angewandten, sondern der bezahlten Arbeit
entspringt, überflüssig, oft unmöglich macht. In einigen Zweigen der
englischen Wollmanufaktur ist während der letzten Jahre die Kinder-
arbeit sehr vermindert, hier und da fast verdrängt worden. Warum? Der
Fabrikakt ernöthigte eine doppelte Kinderreihe, von denen je eine 6,
die andere 4 Stunden, oder jede nur 5 Stunden arbeitet. Die Aeltern
wollten aber die half-times (Halbzeitler) nicht wohlfeiler verkaufen als früher
die full-times (Vollzeitler). Daher Ersetzung der half-times durch
Maschinerie117). Vor dem Verbot der Arbeit von Weibern und Kindern
(unter 10 Jahren) in Minen, fand das Kapital die Methode, nackte Weiber
und Mädchen, oft mit Männern zusammengebunden, in Kohlen- und an-
dern Minen zu vernutzen, so übereinstimmend mit seinem Moralkodex und
namentlich auch seinem Hauptbuch, dass erst nach dem Verbot Maschinerie
sie für einige Funktionen ersetzte. Die Yankees haben Maschinen zum
Steinklopfen erfunden. Die Engländer wenden sie nicht an, weil der
„Elende“ („wretch“ ist Kunstausdruck der englischen politischen
Oekonomie für den Agrikulturarbeiter), der diese Arbeit verrichtet, einen
so geringen Theil seiner Arbeit bezahlt erhält, dass Maschinerie die Pro-
duktion für den Kapitalisten vertheuern würde118). In England
werden gelegentlich statt der Pferde immer noch Weiber zum Ziehn
u. s. w. bei den Kanalbauten verwandt119), weil die zur Produktion
von Pferden und Maschinen erheischte Arbeit ein mathematisch ge-
gebnes Quantum, die zur Erhaltung von Weibern der Surpluspopulation
dagegen unter aller Berechnung steht. Man findet daher nirgendwo scham-
losere Verschwendung von Menschenkraft für Lumpereien als grade in
England, dem Land der Maschinen.
Den Ausgangspunkt der grossen Industrie bildet, wie gezeigt, die
Revolution des Arbeitsmittels, und das umgewälzte Arbeitsmittel erhält
seine meist entwickelte Gestalt im gegliederten Maschinensystem der Fabrik.
Bevor wir zusehn, wie diesem objektiven Organismus Menschenmaterial
einverleibt wird, betrachten wir einige allgemeine Rückwirkungen jener
Revolution auf den Arbeiter selbst.
Sofern die Maschinerie Muskelkraft entbehrlich macht, wird sie zum
Mittel Arbeiter ohne Muskelkraft oder von unreifer Körperent-
wicklung, aber grösserer Geschmeidigkeit der Glieder anzuwenden.
Weiber- und Kinderarbeit war daher das erste Wort der kapi-
talistischen Anwendung der Maschinerie! Diess gewaltige Ersatz-
mittel von Arbeit und Arbeitern verwandelte sich damit sofort in ein Mittel
die Zahl der Lohnarbeiter zu vermehren durch Einrollirung
aller Mitglieder der Arbeiterfamilie, ohne Unterschied von Geschlecht und
Alter, unter die unmittelbare Botmässigkeit des Kapitals. Die Zwangs-
arbeit für den Kapitalisten usurpirte nicht nur die Stelle des Kinderspiels,
sondern auch der freien Arbeit im häuslichen Kreis, innerhalb sittlicher
Schranke, für die Familie selbst120).
Der Werth der Arbeitskraft war bestimmt nicht nur durch
die zur Erhaltung des individuellen erwachsnen Arbeiters, sondern durch
die zur Erhaltung der Arbeitsfamilie nöthige Arbeitszeit. Indem die
Maschinerie alle Glieder der Arbeiterfamilie auf den Arbeitsmarkt wirft,
vertheilt sie den Werth der Arbeitskraft des Mannes über seine ganze Fa-
milie. Sie entwerthet daher seine Arbeitskraft. Der Ankauf der in
4 Arbeitskräfte z. B. parcellirten Familie kostet vielleicht mehr als früher
der Ankauf der Arbeitskraft des Familienhaupts, aber dafür treten 4 Ar-
beitstage an die Stelle von Einem, und ihr Preis fällt im Verhältniss zum
Ueberschuss der Mehrarbeit der Vier über die Mehrarbeit des Einen. Vier
müssen nun nicht nur Arbeit, sondern Mehrarbeit für das Kapital liefern,
damit eine Familie lebe. So erweitert die Maschinerie von vorn herein
mit dem menschlichen Exploitationsmaterial, dem eigensten
Ausbeutungsfeld des Kapitals121), zugleich den Exploitationsgrad.
Sie revolutionirt eben so von Grund aus die formelle Vermittlung des
Kapitalverhältnisses, den Kontrakt zwischen Arbeiter und Kapitalist.
Auf Grundlage des Waarenaustausches war es erste Voraussetzung, dass
sich Kapitalist und Arbeiter als freie Personen, als unabhängige Waa-
renbesitzer, der eine Besitzer von Geld und Produktionsmitteln, der andre
Besitzer von Arbeitskraft, gegenübertraten. Aber jetzt kauft das Kapital
Unmündige oder Halbmündige. Der Arbeiter verkaufte früher seine eigne
Arbeitskraft, worüber er als formell freie Person verfügte. Er verkauft
jetzt Weib und Kind. Er wird Sklavenhändler122). Die Nachfrage
nach Kinderarbeit gleicht oft auch in der Form der Nachfrage nach Neger-
sklaven, wie man sie in amerikanischen Zeitungsinseraten zu lesen gewohnt
war. „Meine Aufmerksamkeit“, sagt z. B. ein englischer Fabrikinspektor,
„wurde gelenkt auf eine Annonce in dem Lokalblatt einer der bedeutend-
sten Manufakturstädte meines Distrikts, wovon Folgendes die Kopie: Ge-
braucht 12 bis 20 Jungen, nicht jünger als was für 13
Jahre passiren kann. Lohn 4 sh. per Woche. Anzufragen etc.“123)
Der unterstrichne Passus bezieht sich darauf, dass nach dem Factory Act
Kinder unter 13 Jahren nur 6 Stunden arbeiten dürfen. Ein amt-
lich qualificirter Arzt (certifying surgeon) muss das Alter bescheinigen.
Der Fabrikant verlangt also Jungen, die so aussehn, als ob sie schon
dreizehnjährig. Die manchmal sprungweise Abnahme in der Anzahl der
von Fabrikanten beschäftigten Kinder unter 13 Jahren, überraschend in
der englischen Statistik der letzten 20 Jahre, war, nach Aussage der
Fabrikinspektoren selbst, grossentheils das Werk von certifying sur-
geons, welche das Kindesalter der Exploitationslust der Kapitalisten und
dem Schacherbedürfniss der Eltern gemäss verschoben. In dem berüch-
tigten Londoner Distrikt von Bethnal Green wird jeden Montag und Dien-
stag Morgen offner Markt gehalten, worin Kinder beiderlei Geschlechts
vom 9. Jahre an sich selbst an die Londoner Seidenmanufakturen
vermiethen. „Die gewöhnlichen Bedingungen sind 1 sh. 8 d. die Woche
(die den Eltern gehören) und 2 d. für mich selbst nebst Thee.“ Die
Kontrakte gelten nur für die Woche. Die Scenen und die Sprache wäh-
rend der Dauer dieses Markts sind wahrhaft empörend124). Es kömmt
immer noch in England vor, dass Weiber „Jungen vom Workhouse neh-
men und sie jedem beliebigen Käufer für 2 sh. 6 d. wöchentlich ver-
miethen“125). Trotz der Gesetzgebung werden immer noch mindestens
2000 Jungen in Grossbritannien als lebendige Schornsteinfegmaschinen (ob-
gleich Maschinen zu ihrem Ersatz existiren) von ihren eigenen Eltern ver-
kauft126). Die von der Maschinerie bewirkte Revolution im Rechts-
verhältniss zwischen Käufer und Verkäufer der Arbeitskraft, so dass die
ganze Transaktion selbst den Schein eines Kontrakts zwischen freien
Personen verliert, bot dem englischen Parlament später den juristischen
Entschuldigungsgrund für Staatseinmischung in das Fabrikwesen.
So oft das Fabrikgesetz die Kinderarbeit in bisher unangefochtnen Indu-
striezweigen auf 6 Stunden beschränkt, ertönt stets neu der Fabrikanten-
jammer: ein Theil der Eltern entziehe die Kinder nun der gemassregelten
Industrie, um sie in solche zu verkaufen, wo noch „Freiheit der Ar-
beit“ herrscht, d. h. wo Kinder unter 13 Jahren gezwungen wer-
den wie Erwachsene zu arbeiten, also auch theurer loszuschlagen sind.
Da aber das Kapital von Natur ein leveller ist, d. h. in allen Produk-
tionssphären Gleichheit der Exploitationsbedingungen der Arbeit als
sein angebornes Menschenrecht verlangt, wird die legale Beschränkung der
Kinderarbeit in einem Industriezweig Ursache ihrer Beschränkung in dem
andern.
Bereits früher wurde der physische Verderb der Kinder und
jungen Personen angedeutet, wie der Arbeiterweiber, welche die Maschi-
nerie erst direkt, in den auf ihrer Grundlage aufschiessenden Fabriken,
und dann indirekt in allen übrigen Industriezweigen der Ex-
ploitation des Kapitals unterwirft. Hier verweilen wir daher nur bei einem
Punkt, der ungeheuren Sterblichkeit von Arbeiterkindern
in ihren ersten Lebensjahren. In England giebt es 16 Regi-
strations-Distrikte, wo im jährlichen Durchschnitt auf 100,000 lebende
Kinder unter einem Jahr nur 9000 Todesfälle (in einem Distrikt nur
7,047) kommen, in 24 Distrikten über 10,000, aber unter 11,000, in
39 Distrikten über 11,000, aber unter 12,000, in 48 Distrikten über
12,000, aber unter 13,000, in 22 Distrikten über 20,000, in 25 Distrik-
ten über 21,000, in 17 über 22,000, in 11 über 23,000, in Hoo, Wol-
verhampton, Ashton-under-Lyne und Preston über 24,000, in Notting-
ham, Stockport und Bradford über 25,000, in Wisbeach 26,000, und in
Manchester 26,125127). Wie eine officielle ärztliche Untersuchung im
Jahre 1861 nachwies, sind, von Lokalumständen abgesehn, die hohen
Sterblichkeitsraten vorzugsweise der ausserhäuslichen Beschäf-
tigung der Mütter geschuldet und der daher entspringenden Vernach-
lässigung und Misshandlung der Kinder, u. a. unpassender Nahrung, Mangel
an Nahrung, Fütterung mit Opiaten u. s. w., dazu die unnatürliche Entfrem-
dung der Mütter gegen ihre Kinder, im Gefolge davon absichtliche Aushunge-
rung und Vergiftung128). In solchen Agrikulturdistrikten, „wo ein Minimum
weiblicher Beschäftigung existirt, ist dagegen die Sterblichkeitsrate am
niedrigsten“129). Die Untersuchungskommission von 1861 ergab jedoch
das unerwartete Resultat, dass in einigen an der Nordsee gelegnen rein
ackerbauenden Distrikten die Sterblichkeitsrate von Kindern unter einem
Jahr fast die der verrufensten Fabrikdistrikte erreicht. Dr. Julian
Hunter wurde daher vom „Board of Health“ beauftragt, diess Phäno-
men an Ort und Stelle zu erforschen. Sein Bericht ist dem „VI. Report
of the Board of Health“ einverleibt130). Man hatte bisher vermuthet,
Malaria und andre niedrig gelegnen und sumpfigen Landstrichen eigenthüm-
liche Krankheiten decimirten die Kinder. Die Untersuchung ergab das
grade Gegentheil, nämlich, „dass dieselbe Ursache, welche die Ma-
laria vertrieb, nämlich die Verwandlung des Bodens aus Morast im Winter
und dürftiger Weide im Sommer in fruchtbares Kornland, die ausserordent-
liche Todesrate der Säuglinge schuf“131). Die 70 ärztlichen Praktiker,
die Dr. Hunter in jenen Distrikten verhörte, waren „wunderbar einstim-
mig“ über diesen Punkt. Mit der Revolution der Bodenkultur wurde nämlich
das industrielle System eingeführt. „Verheirathete Weiber, die
in Banden mit Mädchen und Jungen zusammenarbeiten, werden dem
Pächter von einem Manne, welcher der „Gangmeister“ heisst und die
Banden im Ganzen miethet, für eine bestimmte Summe zur Verfügung ge-
stellt. Diese Banden wandern oft viele Meilen von ihren Dörfern weg,
man trifft sie Morgens und Abends auf den Landstrassen, die Weiber be-
kleidet mit kurzen Unterröcken und entsprechenden Röcken und Stiefeln
und manchmal Hosen, sehr kräftig und gesund von Aussehn, aber verdor-
ben durch gewohnheitsmässige Liederlichkeit und rücksichtslos gegen die
unheilvollen Folgen, welche ihre Vorliebe für diese thätige und unab-
hängige Lebensart auf ihre Sprösslinge wälzt, die zu Haus verküm-
mern“132). Alle Phänomene der Fabrikdistrikte reproduciren sich hier,
in noch höherem Grad versteckter Kindermord und Behandlung der Kin-
der mit Opiaten133). „Meine Kenntniss der von ihr erzeugten Uebel“,
sagt Dr. Simon, der ärztliche Beamte des englischen Privy Council
und Redacteur en chef der Berichte des „Board of Health“, „muss
den tiefen Abscheu entschuldigen, womit ich jede umfassende indu-
strielle Beschäftigung erwachsner Weiber betrachte“134). „Es wird“,
ruft Fabrikinspektor R. Baker in einem officiellen Bericht aus, „es wird
in der That ein Glück für die Manufakturdistrikte Englands sein, wenn
jeder verheiratheten Frau, die Familie hat, verboten wird in irgend
einer Fabrik zu arbeiten“135).
Die aus der kapitalistischen Exploitation der Weiber- und Kinder-
arbeit entspringende moralische Verkümmerung ist von F. En-
gels in seiner „Lage der arbeitenden Klassen Englands“
und von andern Schriftstellern so erschöpfend dargestellt worden, dass ich
hier nur daran erinnere. Die intellektuelle Verödung aber, künstlich
producirt durch die Verwandlung unreifer Menschen in blosse Maschinen
zum Fabrikat von Mehrwerth, und sehr zu unterscheiden von jener natur-
wüchsigen Unwissenheit, welche den Geist in Brache legt ohne Verderb
seiner Entwicklungsfähigkeit, seiner natürlichen Frucht-
barkeit selbst, zwang endlich sogar das englische Parlament in allen
dem Fabrikgesetz unterworfenen Industrien den Elementarunterricht zur
gesetzlichen Bedingung für den „produktiven“ Verbrauch von Kin-
dern unter 14 Jahren zu machen. Der Geist der kapitalistischen Pro-
duktion leuchtet hell aus der liederlichen Redaktion der s. g. Erzie-
hungsklauseln der Fabrikakte, aus dem Mangel administrativer Ma-
schinerie, wodurch dieser Zwangsunterricht grossentheils wieder illusorisch
wird, aus der Fabrikantenopposition selbst gegen diess Unterrichtsgesetz
und ihren praktischen Kniffen und Schlichen zu seiner Umgehung. „Die
Gesetzgebung allein ist zu tadeln, weil sie ein Truggesetz (delusive law)
erlassen hat, das unter dem Schein für die Erziehung der Kinder zu sor-
gen, keine einzige Bestimmung enthält, wodurch dieser vorgeschützte
Zweck gesichert werden kann. Es bestimmt nichts, ausser dass die Kinder
für eine bestimmte Stundenzahl (3 Stunden) per Tag innerhalb der vier
Wände eines Platzes, Schule benamst, eingeschlossen werden sollen, und dass
der Anwender des Kindes hierüber wöchentlich ein Certifikat von einer Person
erhalten muss, die sich als Schullehrer oder Schullehrerin mit ihrem
Namen unterzeichnet“136). Vor dem Erlass des amendirten Fabrikakts von
1844 waren Schulbesuchscertifikate nicht selten, die von Schulmeister oder
Schulmeisterin mit einem Kreuz unterzeichnet wurden, da letztre selbst nicht
schreiben konnten. „Beim Besuch, den ich einer solchen Certifikate aus-
stellenden Schule abstattete, war ich so betroffen von der Unwissenheit
des Schulmeisters, dass ich zu ihm sagte: ‘Bitte, mein Herr, können Sie
lesen?‘ Seine Antwort war: ‘Ih jeh, Ebbes (summat)‘. Zu seiner Recht-
fertigung fügte er hinzu: ‘Jedenfalls stehe ich vor meinen Schülern‘. Wäh-
rend der Vorbereitung des Akts von 1844 denuncirten die Fabrikinspektoren
den schmählichen Zustand der Plätze, Schulen benamst, deren Certifikate
sie als zu Gesetz vollgültig zulassen mussten. Alles was sie durchsetzten,
war, dass seit 1844 die Zahlen im Schulcertifikat in der Handschrift des
Schulmeisters ausgefüllt, ditto sein Vor- und Zuname von ihm selbst unter-
schrieben sein müssen“137). Sir John Kincaid, Fabrikinspektor
für Schottland, erzählt von ähnlichen amtlichen Erfahrungen. „Die erste
Schule, die wir besuchten, wurde von einer Mrs. Ann Killin gehalten.
Auf meine Aufforderung, ihren Namen zu buchstabiren, machte sie gleich
einen Schnitzer, indem sie mit dem Buchstaben C begann, aber sich sofort
korrigirend sagte, ihr Name fange mit K an. Bei Ansicht ihrer Unter-
schrift in den Schulcertifikatbüchern bemerkte ich jedoch, dass sie ihn ver-
schiedenartig buchstabirte, während die Handschrift keinen Zweifel über
ihre Lehrunfähigkeit liess. Auch gab sie selbst zu, sie könne das Regi-
ster nicht führen … In einer zweiten Schule fand ich das Schulzimmer
15 Fuss lang und 10 Fuss breit und zählte in diesem Raum 75 Kinder,
die etwas unverständliches herquiekten“138). „Es sind jedoch nicht nur
solche Jammerhöhlen, worin die Kinder Schulcertifikate, aber keinen
Unterricht erhalten, denn in vielen Schulen, wo der Lehrer kompetent ist,
scheitern seine Bemühungen fast ganz an dem sinnverwirrenden Knäuel
von Kindern aller Alter, aufwärts von Dreijährigen. Sein Auskommen,
elend im besten Fall, hängt ganz von der Zahl der Pence ab, empfangen
von der grössten Anzahl Kinder, die es möglich ist in ein Zimmer zu
stopfen. Dazu kommt spärliche Schulmöblirung, Mangel an Büchern und
andrem Lehrmaterial, und die niederschlagende Wirkung einer benauten
und ekelhaften Luft auf die armen Kinder selbst. Ich war in vielen sol-
chen Schulen, wo ich ganze Reihen Kinder sah, die absolut nichts thaten;
und diess wird als Schulbesuch bescheinigt, und solche Kinder figuriren in
der officiellen Statistik als erzogen (educated)“139). In Schottland suchen
die Fabrikanten dem Schulbesuch unterworfne Kinder möglichst auszu-
schliessen. „Diess genügt, um die grosse Missgunst der Fabri-
kanten gegen die Erziehungsklauseln zu beweisen“140).
Grotesk-entsetzlich erscheint diess in den Kattun- u. s. w. Drucke-
reien, die durch ein eignes Fabrikgesetz geregelt sind. Nach den Be-
stimmungen des Gesetzes „muss jedes Kind, bevor es in einer solchen
Druckerei beschäftigt wird, Schule besucht haben für mindestens 30 Tage
und nicht weniger als 150 Stunden während der 6 Monate, die dem ersten
Tag seiner Beschäftigung unmittelbar vorhergehn. Während der Fort-
dauer seiner Beschäftigung in der Druckerei muss es Schule besuchen
ebenfalls für eine Periode von 30 Tagen und 150 Stunden während jeder
Wechselperiode von 6 Monaten … Der Schulbesuch muss zwischen
8 Uhr Morgens und 6 Uhr Nachmittags stattfinden. Kein Besuch von
weniger als 2½ oder mehr als 5 Stunden an demselben Tag soll als Theil
der 150 Stunden gezählt werden. Unter gewöhnlichen Umständen besu-
chen die Kinder die Schule Vormittags und Nachmittags für 30 Tage,
5 Stunden per Tag, und nach Ablauf der 30 Tage, wenn die statuten-
mässige Gesammtsumme von 150 Stunden erreicht ist, wenn sie, in ihrer
eignen Sprache zu reden, ihr Buch abgemacht haben, kehren sie zur
Druckerei zurück, wo sie wieder 6 Monate bleiben, bis ein andrer Ab-
schlagstermin des Schulbesuchs fällig wird, und dann bleiben sie wieder
in der Schule, bis das Buch wieder abgemacht ist . . . . Sehr viele Jungen,
welche die Schule während der vorschriftsmässigen 150 Stunden besucht,
sind bei ihrer Rückkehr aus dem sechsmonatlichen Aufenthalt in der
Druckerei grade so weit wie im Anfang … Sie haben natürlich alles wie-
der verloren, was sie durch den früheren Schulbesuch gewonnen hatten.
In andern Kattundruckereien wird der Schulbesuch ganz und gar abhängig
gemacht von den Geschäftsbedürfnissen der Fabrik. Die erforderliche
Stundenzahl wird vollgemacht während jeder sechsmonatlichen Periode durch
Abschlagszahlungen von 3 bis 5 Stunden auf einmal, die vielleicht über 6 Mo-
nate zerstreut sind. Z. B. an einem Tage wird die Schule besucht von
8 bis 11 Uhr Morgens, an einem andern Tag von 1 bis 4 Uhr Nachmit-
tags, und nachdem das Kind dann wieder für eine Reihe Tage weggeblie-
ben, kömmt es plötzlich wieder von 3 bis 6 Uhr Nachmittags; dann er-
scheint es vielleicht für 3 oder 4 Tage hinter einander, oder für eine Woche,
verschwindet dann wieder für 3 Wochen oder einen ganzen Monat und
kehrt zurück an einigen Abfallstagen für einige Sparstunden, wenn seine
Anwender seiner zufällig nicht bedürfen; und so wird das Kind so zu sa-
gen hin und her gepufft (buffeted) von der Schule in die Fabrik, von der
Fabrik in die Schule, bis die Summe der 150 Stunden abgezählt ist“141).
Durch den überwiegenden Zusatz von Kindern und Weibern zum kom-
binirten Arbeitspersonal bricht die Maschinerie endlich den Widerstand,
den der männliche Arbeiter in der Manufaktur der Despotie des Kapitals
noch entgegensetzte142).
Wenn die Maschinerie das gewaltigste Mittel ist, die Produktivität der
Arbeit zu steigern, d. h. die zur Produktion einer Waare nöthige Arbeits-
zeit zu verkürzen, wird sie als Träger des Kapitals, zunächst
in den unmittelbar von ihr ergriffenen Industrien, zum gewaltigsten Mittel
den Arbeitstag über jede naturgemässe Schranke hinaus zu verlän-
gern. Sie schafft einerseits neue Bedingungen, welche das
Kapital befähigen, dieser seiner beständigen Tendenz die Zügel frei
schiessen zu lassen, andrerseits neue Motive zur Wetzung seines Heiss-
hungers nach fremder Arbeit.
Zunächst verselbstständigt sich in der Maschinerie die Bewegung und
Werkthätigkeit des Arbeitsmittels gegenüber dem Arbeiter. Es
wird an und für sich ein industrielles Perpetuum mobile, das ununterbrochen
fortproduciren würde, stiesse es nicht auf gewisse Naturschranken in seinen
menschlichen Gehilfen, ihre Körperschwäche und ihren Eigenwillen. Als
Kapital, und als solches besitzt der Automat im Kapitalisten Bewusst-
sein und Willen, ist es daher mit dem Trieb begeistet, die widerstrebende,
aber elastische menschliche Naturschranke auf den Minimalwiderstand ein-
zuzwängen143). Dieser ist ohnehin vermindert durch die scheinbare Leich-
tigkeit der Arbeit an der Maschine und das füg- und biegsamere Weiber-
und Kinderelement144).
Die Produktivität der Maschinerie steht, wie wir sahen, in umgekehr-
tem Verhältniss zur Grösse des von ihr auf das Machwerk übertragenen
Werthbestandtheils. Je länger die Periode, worin sie funktionirt, desto
grösser die Produktenmasse, worüber sich der von ihr zugesetzte Werth
vertheilt, und desto kleiner der Werththeil, den sie der einzelnen Waare zu-
fügt. Die aktive Lebensperiode der Maschinerie ist aber offenbar bestimmt
durch die Länge des Arbeitstags oder die Dauer des täglichen Ar-
beitsprozesses, multiplicirt mit der Anzahl Tage, worin er sich wie-
derholt.
Der Maschinenverschleiss entspricht keineswegs exakt mathematisch
ihrer Benutzungszeit. Und selbst diess vorausgesetzt, umfasst eine Ma-
schine, die während 7½ Jahren täglich 16 Stunden dient, eine ebenso
grosse Produktionsperiode und setzt dem Gesammtprodukt nicht mehr
Werth zu als dieselbe Maschine, die während 15 Jahren nur 8 Stunden
täglich dient. Im erstern Fall aber wäre der Maschinenwerth doppelt so
rasch reproducirt als im letztern und der Kapitalist hätte vermittelst der-
selben in 7½ Jahren so viel Mehrarbeit eingeschluckt als sonst in 15.
Der materielle Verschleiss der Maschine ist doppelt. Der eine ent-
springt aus ihrem Gebrauch, wie Geldstücke durch Cirkulation verschleis-
sen, der andre aus ihrem Nichtgebrauch, wie ein unthätig Schwert in der
Scheide verrostet. Es ist diess ihr Verzehr durch die Elemente. Der
Verschleiss erster Art steht mehr oder minder in direktem Verhältniss,
der letztere, zu gewissem Grad, in umgekehrtem Verhältniss zu ihrem
Gebrauch145).
Neben dem materiellen unterliegt die Maschine aber auch einem so
zu sagen moralischen Verschleiss. Sie verliert Tauschwerth im
Masse, worin entweder Maschinen derselben Konstruktion wohlfeiler reprodu-
cirt werden können oder bessere Maschinen konkurrirend neben sie treten146).
In beiden Fällen ist ihr Werth, so jung und lebenskräftig sie sonst noch sein
mag, nicht mehr bestimmt durch die thatsächlich in ihr selbst vergegen-
ständlichte, sondern durch die zu ihrer eignen Reproduktion oder zur Repro-
duktion der besseren Maschine nothwendige Arbeitszeit. Sie ist daher mehr
oder minder entwerthet. Je kürzer die Periode, worin ihr Gesammt-
werth reproducirt wird, desto geringer die Gefahr des moralischen Ver-
schleisses, und je länger der Arbeitstag, um so kürzer jene Periode.
Bei der ersten Einführung der Maschinerie in irgend einen Produktions-
zweig folgen Schlag auf Schlag neue Methoden zu ihrer wohlfeileren Re-
produktion147), und Verbesserungen, die nicht nur einzelne Theile oder
Apparate, sondern ihre ganze Konstruktion ergreifen. In ihrer ersten
Lebensperiode wirkt daher diess besondre Motiv zur Verlängerung
des Arbeitstags am akutesten148).
Unter sonst gleichbleibenden Umständen und bei gegebnem Arbeitstag
erheischt Exploitation verdoppelter Arbeiteranzahl ebensowohl Ver-
dopplung des in Maschinerie und Baulichkeiten ausgelegten Theils des
constanten Kapitals als des in Rohmaterial, Hilfsstoffen u. s. w. ausgelegten.
Mit verlängertem Arbeitstag dehnt sich die Stufenleiter der Pro-
duktion, während der in Maschinerie und Baulichkeiten ausgelegte Kapi-
taltheil unverändert bleibt149). Nicht nur der Mehrwerth wächst daher, son-
dern die zur Erbeutung desselben nothwendigen Auslagen nehmen ab.
Zwar findet diess auch sonst mehr oder minder bei aller Verlängerung des Ar-
beitstags statt, fällt aber hier entscheidender ins Gewicht, weil der in Arbeits-
mittel verwandelte Kapitaltheil überhaupt mehr ins Gewicht fällt150). Die
Entwicklung des Maschinenbetriebs bindet nämlich einen stets wachsenden
Bestandtheil des Kapitals in eine Form, worin es einerseits fortwährend
verwerthbar ist, andrerseits Gebrauchswerth und Tauschwerth ver-
liert, sobald sein Kontakt mit der lebendigen Arbeit unterbrochen wird.
„Wenn“, belehrte Herr Ashworth, ein englischer Baumwollmagnat,
den Professor Nassau W. Senior, „wenn ein Ackersmann seinen Spaten
niederlegt, macht er für diese Periode ein Kapital von 18 d. nutzlos.
Wenn einer von unsern Leuten (d. h. den Fabrikarbeitern) die Fabrik ver-
lässt, macht er ein Kapital nutzlos, das 100000 Pfd. St.
gekostet hat“151). Man denke nur! Ein Kapital, das 100000 Pfd. St. ge-
kostet hat, auch nur für einen Augenblick „nutzlos“ zu machen! Es ist
in der That himmelschreiend, dass einer unsrer Leute überhaupt jemals
die Fabrik verlässt! Der wachsende Umfang der Maschinerie macht, wie
der von Ashworth belehrte Senior einsieht, eine stets wachsende Verlän-
gerung des Arbeitstags „wünschenswerth“152).
Die Maschine producirt relativen Mehrwerth, nicht nur indem sie
die Arbeitskraft direkt entwerthet und dieselbe indirekt durch Verwohl-
feilerung der in ihre Reproduktion eingehenden Waaren verwohlfeilert,
sondern auch, indem sie bei ihrer ersten sporadischen Einführung die vom
Maschinenbesitzer verwandte Arbeit in potenzirte Arbeit verwandelt, den
gesellschaftlichen Werth des Maschinenprodukts über seinen individuellen
Werth erhöht und den Kapitalisten so befähigt mit geringerem Werththeil
des Tagesprodukts den Tageswerth der Arbeitskraft zu ersetzen. Wäh-
rend dieser Uebergangsperiode, worin der Maschinenbetrieb eine Art Mo-
nopol bleibt, sind daher die Gewinne ausserordentlich und der Kapitalist
sucht „diese erste Zeit der jungen Liebe“ gründlichst auszubeuten durch
möglichste Verlängerung des Arbeitstags. Die Grösse des Ge-
winns wetzt den Heisshunger nach mehr Gewinn.
Mit der Verallgemeinerung der Maschinerie im selben Produktions-
zweig sinkt der gesellschaftliche Werth des Maschinenprodukts auf seinen in-
dividuellen Werth und macht sich das Gesetz geltend, dass der Mehrwerth
nicht aus den Arbeitskräften entspringt, welche der
Kapitalist durch die Maschine ersetzt hat, sondern
umgekehrt aus den Arbeitskräften, welche er an ihr
beschäftigt. Der Mehrwerth entspringt nur aus dem variab-
len Theil des Kapitals, und wir sahen, dass die Masse des
Mehrwerths durch zwei Faktoren bestimmt ist, die Rate des Mehr-
werths und die Anzahl der gleichzeitig beschäftigten Ar-
beiter. Bei gegebner Länge des Arbeitstags wird die Rate des Mehr-
werths bestimmt durch das Verhältniss, worin der Arbeitstag in nothwen-
dige Arbeit und Mehrarbeit zerfällt. Die Anzahl der gleichzeitig beschäf-
tigten Arbeiter hängt ihrerseits ab von dem Verhältniss des variablen Ka-
pitaltheils zum constanten. Es ist nun klar, dass wie er immer durch
Steigerung der Produktivkraft der Arbeit die Mehrarbeit auf Kosten der
nothwendigen Arbeit ausdehne, der Maschinenbetrieb diess Resultat nur
hervorbringt, indem er die Anzahl der von einem gegebnen Kapital
beschäftigten Arbeiter vermindert. Er verwandelt einen Theil des
Kapitals, der früher variabel war, d. h. sich in lebendige Arbeitskraft
umsetzte, in Maschinerie, also in constantes Kapital, das keinen Mehr-
werth producirt. Es ist unmöglich z. B. aus zwei Arbeitern so viel Mehr-
werth auszupressen als aus 24. Wenn jeder der 24 Arbeiter auf 12
Stunden nur eine Stunde Mehrarbeit liefert, liefern sie zusammen 24 Stun-
den Mehrarbeit, während die Gesammtarbeit der zwei Arbeiter
nur 24 Stunden beträgt. Es liegt also in der Anwendung der Maschine-
rie zur Produktion von Mehrwerth ein immanenter Widerspruch,
indem sie von den beiden Faktoren des Mehrwerths, den ein Kapital von
gegebner Grösse liefert, den einen Faktor, die Rate des Mehrwerths,
nur dadurch vergrössert, dass sie den andern Faktor, die Arbeiterzahl,
verkleinert. Dieser immanente Widerspruch tritt hervor, sobald mit der
Verallgemeinerung der Maschinerie in einem Industriezweig der Werth der
maschinenmässig producirten Waare zum regelnden gesellschaftlichen
Werth aller Waaren derselben Art wird, und es ist dieser Widerspruch, der
wiederum das Kapital, ohne dass es sich dessen bewusst wäre153), zur ge-
waltsamsten Verlängerung des Arbeitstags treibt, um die Ab-
nahme in der verhältnissmässigen Anzahl der exploitirten Arbeiter
durch Zunahme nicht nur der relativen, sondern auch der absoluten
Mehrarbeit zu kompensiren.
Wenn also die kapitalistische Anwendung der Maschinerie
einerseits neue mächtige Motive zur masslosen Verlängerung des Arbeitstags
schafft und die Arbeitsweise selbst wie den Charakter des gesell-
schaftlichen Arbeitskörpers in einer Art umwälzt, die den Wider-
stand gegen diese Tendenz bricht, producirt sie andrerseits, theils durch Ein-
rollirung dem Kapital früher unzugänglicher Schichten der Arbeiterklasse,
theils durch Freisetzung der von der Maschine verdrängten Arbeiter, eine
überflüssige Arbeiterpopulation154), die sich das Gesetz vom
Kapital diktiren lassen muss. Daher das merkwürdige Phänomen in der
Geschichte der modernen Industrie, dass die Maschine alle sittlichen und
natürlichen Schranken des Arbeitstags über den Haufen wirft. Daher das
ökonomische Paradoxon, dass das gewaltigste Mittel zur Verkür-
zung der Arbeitszeit in das unfehlbarste Mittel umschlägt alle
Lebenszeit des Arbeiters und seiner Familie in disponible Ar-
beitszeit für die Verwerthung des Kapitals zu verwandeln. „Wenn“,
träumte Aristoteles, der grösste Denker des Alterthums, „wenn jedes
Werkzeug auf Geheiss, oder auch vorausahnend, das ihm zukommende
Werk verrichten könnte, wie des Dädalus Kunstwerke sich von selbst be-
wegten, oder die Dreifüsse des Hephästos aus eignem Antrieb an die heilige
Arbeit gingen, wenn so die Weberschiffe von selbst webten,
so bedürfte es weder für den Werkmeister der Gehilfen, noch für die Herrn
der Sklaven“155). Und Antiparos, ein griechischer Dichter aus der
Zeit des Cicero, begrüsste die Erfindung der Wassermühle zum Mah-
len des Getreides, diese Elementarform aller produktiven Maschinerie, als
Befreierin der Sklavinnen und Herstellerin des goldnen Zeitalters!156)
„Die Heiden, ja die Heiden!“ Sie begriffen, wie der gescheidte Bastiat
entdeckt hat, und schon vor ihm der noch klügere Mac Culloch, nichts
von politischer Oekonomie und Christent um. Sie begriffen u. a. nicht,
dass die Maschine das probateste Mittel zur Verlängerung des Arbeitstags
ist. Sie entschuldigten etwa die Sklaverei des Einen als Mittel zur vollen
menschlichen Entwicklung des Andern. Aber Sklaverei der Massen pre-
digen, um einige rohe oder halbgebildete Parvenüs zu „eminent spinners“,
„extensive sausage makers“ und „influential shoe black dealers“ zu machen,
dazu fehlte ihnen das specifisch christliche Organ.
Die masslose Verlängerung des Arbeitstags, welche die Ma-
schinerie in der Hand des Kapitals producirt, führt, wie wir sahen, später eine
Reaktion der in ihrer Lebenswurzel bedrohten Gesellschaft herbei, und
damit einen gesetzlich beschränkten Normal-Arbeitstag.
Auf Grundlage des letztern entwickelt sich ein Phänomen, das uns schon
früher begegnete, zu entscheidender Wichtigkeit — nämlich die Inten-
sifikation der Arbeit. Bei der Analyse des absoluten Mehrwerths
handelte es sich zunächst um die extensive Grösse der Arbeit, wäh-
rend der Grad ihrer Intensivität als gegeben vorausgesetzt war. Wir ha-
ben jetzt den Umschlag dieser extensiven in eine intensive oder
Gradgrösse zu betrachten.
Es ist selbstverständlich, dass mit dem Fortschritt des Maschinen-
wesens und der gehäuften Erfahrung einer eignen Klasse von Maschinen-
arbeitern die Geschwindigkeit und damit die Intensivität der Arbeit natur-
wüchsig zunehmen. So geht in England während eines halben Jahr-
hunderts die Verlängerung des Arbeitstags Hand in Hand mit
der wachsenden Intensivität der Fabrikarbeit. Indess begreift
man, dass bei einer Arbeit, wo es sich nicht um vorübergehende Paroxys-
men handelt, sondern um Tag aus, Tag ein wiederholte, regelmässige
Gleichförmigkeit, ein Knotenpunkt eintreten muss, wo Ausdehnung des
Arbeitstags und Intensivität der Arbeit einander ausschliessen, so dass die
Verlängerung des Arbeitstags nur mit schwächerem Intensivitätsgrad der
Arbeit und umgekehrt ein erhöhter Intensivitätsgrad nur mit Verkürzung
des Arbeitstags verträglich bleibt. Sobald die allmälig anschwellende Em-
pörung der Arbeiterklasse den Staat zwang, die Arbeitszeit gewaltsam zu
verkürzen und zunächst der eigentlichen Fabrik einen Normal-Arbeitstag zu
diktiren, von diesem Augenblick also, wo gesteigerte Produktion von Mehr-
werth durch Verlängerung des Arbeitstags ein für allemal abge-
schnitten war, warf sich das Kapital mit aller Macht und vollem Bewusst-
sein auf die Produktion von relativem Mehrwerth durch beschleu-
nigte Entwicklung des Maschinensystems. Gleichzeitig tritt eine Aende-
rung in dem Charakter des relativen Mehrwerths ein. Im Allgemeinen
besteht die Produktionsmethode des relativen Mehrwerths darin, durch
gesteigerte Produktivkraft der Arbeit den Arbeiter zu befähigen mit der-
selben Arbeitsausgabe in derselben Zeit mehr zu produciren.
Dieselbe Arbeitszeit setzt nach wie vor dem Gesammtprodukt
denselben Werth zu, obgleich dieser unveränderte Tauschwerth sich
jetzt in mehr Gebrauchswerthen darstellt und daher der Werth der ein-
zelnen Waare sinkt. Anders jedoch, sobald die gewaltsame Verkür-
zung des Arbeitstags mit dem ungeheuren Anstoss, den sie der
Entwicklung der Produktivkraft und der Oekonomisirung
der Produktionsbedingungen giebt, zugleich vergrösserte
Arbeitsausgabe in derselben Zeit, erhöhte Anspannung der
Arbeitskraft, dichtere Ausfüllung der Poren der Arbeitszeit, d. h. Konden-
sation der Arbeit dem Arbeiter zu einem Grad aufzwingt, der nur inner-
halb des verkürzten Arbeitstags erreichbar ist. Diese Zusam-
menpressung einer grösseren Masse Arbeit in eine gegebene Zeitperiode
zählt jetzt als was sie ist, als grösseres Arbeitsquantum. Neben
das Mass der Arbeitszeit als „ausgedehnter Grösse“ tritt jetzt das Mass
ihres Verdichtungsgrads157). Die intensivere Stunde des zehnstün-
digen Arbeitstags enthält jetzt so viel oder mehr Arbeit, d. h. veraus-
gabte Arbeitskraft als die porösere Stunde des zwölfstündigen Arbeits-
tags. Ihr Produkt hat daher so viel oder mehr Werth als das der poröseren
1⅕ Stunden. Abgesehn von der Erhöhung des relativen Mehrwerths
durch die gesteigerte Produktivkraft der Arbeit, liefern jetzt z. B. 3⅓
Stunden Mehrarbeit auf 6⅔ Stunden nothwendiger Arbeit dem Kapitali-
sten dieselbe Werthmasse wie vorher 4 Stunden Mehrarbeit auf 8 Stun-
den nothwendiger Arbeit.
Es fragt sich nun, wie wird die Arbeit intensificirt?
Die erste Wirkung des verkürzten Arbeitstags beruht auf
dem selbstverständlichen Gesetz, dass die Wirkungsfähigkeit der Arbeits-
kraft im umgekehrten Verhältniss zu ihrer Wirkungszeit steht. Es wird daher,
innerhalb gewisser Grenzen, am Grad der Kraftäusserung gewonnen, was
an ihrer Dauer verloren geht. Dass der Arbeiter aber auch wirklich mehr
Arbeitskraft flüssig macht, dafür sorgt das Kapital durch die Methode
der Zahlung158). In Manufakturen, der Töpferei z. B., wo die Maschinerie
keine oder unbedeutende Rolle spielt, hat die Einführung des Fabrikge-
setzes schlagend bewiesen, dass blosse Verkürzung des Arbeitstags
die Regelmässigkeit, Gleichförmigkeit, Ordnung, Kontinuität und Energie der
Arbeit wundervoll erhöht159). Diese Wirkung schien jedoch zweifelhaft in der
eigentlichen Fabrik, weil die Abhängigkeit des Arbeiters von der
kontinuirlichen und gleichförmigen Bewegung der Maschine hier längst die
strengste Disciplin geschaffen hatte. Als daher 1844 die Herabsetzung des
Arbeitstags unter 12 Stunden verhandelt ward, erklärten die Fabrikanten fast
einstimmig, „ihre Aufseher passten in den verschiednen Arbeitsräumen auf,
dass die Hände keine Zeit verlören“, „der Grad der Wachsamkeit und
Aufmerksamkeit auf Seiten der Arbeiter („the extent of vigilance and atten-
tion on the part of the workmen“) sei kaum steigerungsfähig“, und alle
anderen Umstände, wie Gang der Maschinerie u. s. w. als gleichblei-
bend vorausgesetzt, „sei es daher Unsinn in wohlgeführten Fabriken von
der gesteigerten Aufmerksamkeit u. s. w. der Arbeiter irgend ein erkleck-
liches Resultat zu erwarten“160). Diese Behauptung ward durch Ex-
perimente widerlegt. Herr R. Gardner liess in seinen zwei grossen
Fabriken zu Preston vom 20. April 1844 an statt 12 nur noch 11 Stunden
per Tag arbeiten. Nach ungefähr Jahresfrist ergab sich das Resultat,
dass „dasselbe Quantum Produkt zur selben Kost erhalten ward, und
sämmtliche Arbeiter in 11 Stunden eben so viel Arbeitslohn verdienten,
wie früher in 12“161). Ich übergehe hier die Experimente in den Spinn-
und Kardirräumen, weil sie mit Zunahme in der Geschwindigkeit der Ma-
schinerie (um 2 %) verbunden waren. In dem Webedepartement dagegen,
wo zudem sehr verschiedene Sorten leichter, figurenhaltiger Phanta-
sieartikel gewebt wurden, fand durchaus keine Aenderung in den objek-
tiven Produktionsbedingungen statt. Das Resultat war: „Vom 6. Januar
bis 20. April 1844, mit zwölfstündigem Arbeitstag, wöchentlicher Durch-
schnittslohn jedes Arbeiters 10 sh. 1½ d., vom 20. April bis 29. Juni
1844, mit elfstündigem Arbeitstag, wöchentlicher Durchschnittslohn 10 sh.
3½ d.“162). Es wurde hier in 11 Stunden mehr producirt als früher in
12, ausschliesslich in Folge grösserer gleichmässiger Ausdauer der Arbei-
ter und Oekonomie ihrer Zeit. Während sie denselben Lohn empfingen
und 1 Stunde freie Zeit gewannen, erhielt der Kapitalist dieselbe Pro-
duktenmasse und sparte Verausgabung von Kohle, Gas u. s. w. für eine
Stunde. Aehnliche Experimente wurden mit gleichem Erfolg in den Fa-
briken der Herren Horrocks und Jacson ausgeführt163).
Sobald die Verkürzung des Arbeitstags, welche zunächst die
subjektive Bedingung der Kondensation der Arbeit schafft, nämlich die
Fähigkeit des Arbeiters mehr Kraft in gegebner Zeit flüssig zu machen,
zwangsgesetzlich wird, wandelt sich die Maschine in der Hand des Ka-
pitals zum objektiven und systematisch angewandten Mit-
tel mehr Arbeit in derselben Zeit zu erpressen. Es geschieht diess in
doppelter Weise, durch die erhöhte Geschwindigkeit der Ma-
schinen und den erweiterten Umfang der von demselben Arbeiter
zu überwachenden Maschinerie oder seines Arbeitsfeldes. Verbesserte
Konstruktion der Maschinerie ist theils nothwendig zur Ausübung des
grösseren Drucks auf den Arbeiter, theils begleitet sie von selbst die Inten-
sifikation der Arbeit, weil die Schranke des Arbeitstags den Kapitalisten
zu strengstem Haushalt der Produktionskosten zwingt. Die Verbesserung
der Dampfmaschine erhöht die Anzahl ihrer Kolbenschläge in einer Minute
und erlaubt zugleich, durch grössere Oekonomie der Kraft, einen umfang-
reicheren Mechanismus mit demselben Motor zu treiben, bei gleichbleiben-
dem oder selbst fallendem Kohlenverzehr. Die Verbesserung des Trans-
missionsmechanismus vermindert die Friktion und, was die moderne
Maschinerie so augenfällig vor der älteren auszeichnet, reducirt Durch-
messer und Gewicht der grossen und kleinen Wellenbäume auf ein stets
fallendes Minimum. Die Verbesserungen der Arbeitsmaschinerie endlich
vermindern bei erhöhter Geschwindigkeit und ausgedehnterer Wirkung
ihren Umfang, wie beim modernen Dampfwebstuhl, oder vergrössern mit
dem Rumpf Umfang und Zahl der von ihr geführten Werkzeuge, wie bei der
Spinnmaschine, oder vermehren die Beweglichkeit dieser Werkzeuge durch
unscheinbare Detailveränderung, wie durch solche bei der selfacting mule
vor etwa 10 Jahren die Geschwindigkeit der Spindeln um ⅕ gesteigert wurde.
Die Verkürzung des Arbeitstags auf 12 Stunden datirt in Eng-
land von 1832. Schon 1836 erklärte ein englischer Fabrikant: „Ver-
glichen mit früher ist die Arbeit, die in den Fabriken zu verrichten, sehr
gewachsen, in Folge der grösseren Aufmerksamkeit und Thätigkeit, welche
die bedeutend vermehrte Geschwindigkeit der Maschinerie vom Arbeiter
erheischt“164). Im Jahr 1844 machte Lord Ashley, jetzt Graf Shaftes-
bury, folgende dokumentarisch belegte Aufstellungen im Hause der Gemeinen:
„Die Arbeit der in den Fabrikprozessen Beschäftigten ist jetzt drei-
mal so gross, als bei der Einführung solcher Operationen. Die Maschinerie
hat zweifelsohne ein Werk verrichtet, welches die Sehnen und Muskeln von
Millionen Menschen ersetzt, aber sie hat auch erstaunlich (prodigiously)
die Arbeit der durch ihre furchtbare Bewegung beherrschten Menschen
vermehrt. . . . Die Arbeit einem Paar Mules während 12 Stunden auf- und
abzufolgen, zum Spinnen von Garn No. 40, bedang im Jahre 1815 die
Nothwendigkeit einer Reise von 8 Meilen. Im Jahre 1812 betrug die im
Gefolge eines Mulepaars, zum Spinnen derselben Nummer, während 12
Stunden zu durchreisende Distanz 20 Meilen und oft mehr. Im Jahre
1825 hatte der Spinner während 12 Stunden 820 Auszüge an jeder Mule
zu machen, was eine Gesammtsumme von 1640 für 12 Stunden ergab.
Im Jahre 1832 hatte der Spinner während seines zwölfstündigen Arbeits-
tags an jeder Mule 2,200 Auszüge zu machen, zusammen 4,400, im Jahre
1844 an jeder Mule 2,400, zusammen 4,800; und in einigen Fällen ist die
erheischte Arbeitsmasse (amount of labour) noch grösser....Ich habe hier
ein andres Dokument von 1842 in der Hand, worin nachgewiesen wird,
dass die Arbeit progressiv zunimmt, nicht nur, weil eine grössere
Entfernung zu durchreisen ist, sondern weil die Quantität der producirten
Waaren sich vermehrt, während die Hände proportionell abnehmen; und
ferner, weil nun oft eine schlechtere Baumwolle gesponnen wird, die mehr
Arbeit erfordert. . . . Im Kardirraum hat auch grosse Zunahme der Arbeit
stattgefunden. Eine Person thut jetzt die Arbeit, die früher zwischen
zwei vertheilt war. . . . In der Weberei, worin eine grosse Anzahl Per-
sonen, meist weiblichen Geschlechts beschäftigt ist, ist die Arbeit während
der letzten Jahre um volle 10 % gewachsen, in Folge der vermehrten
Geschwindigkeit der Maschinerie. Im Jahre 1838 war die Zahl der
hanks, die wöchentlich gesponnen wurde, 18,000, im Jahre 1843 belief
sie sich auf 21,000. Im Jahr 1819 war die Zahl der picks beim Dampf-
webestuhl 60 per Minute, im Jahre 1842 betrug sie 140, was einen
grossen Zuwachs von Arbeit anzeigt“165).
Angesichts dieser merkwürdigen Intensivität, welche die Arbeit unter
der Herrschaft des Zwölfstundengesetzes bereits 1844 erreicht hatte, schien
damals die Erklärung der englischen Fabrikanten berechtigt: jeder weitere
Fortschritt in dieser Richtung sei unmöglich, daher jede weitere Abnahme
der Arbeitszeit identisch mit Abnahme der Produktion. Die scheinbare
Richtigkeit ihres Raisonnements wird am besten bewiesen durch folgende
gleichzeitige Aeusserung ihres rastlosen Censors, des Fabrikinspektors
Leonhard Horner:
„Da die producirte Quantität hauptsächlich geregelt wird durch die
Geschwindigkeit der Maschinerie, muss es das Interesse des Fabrikanten
sein, sie mit dem äussersten Geschwindigkeitsgrad zu treiben, der mit fol-
genden Bedingungen vereinbar ist: Bewahrung der Maschinerie vor zu
raschem Verderb, Erhaltung der Qualität des fabricirten Artikels, und
Fähigkeit des Arbeiters der Bewegung zu folgen ohne grössere Anstren-
gung als er kontinuirlich leisten kann. Es ereignet sich oft, dass der Fabri-
kant in seiner Hast die Bewegung zu sehr beschleunigt. Brüche und
schlechtes Machwerk wiegen dann die Geschwindigkeit mehr als auf und
er ist gezwungen den Gang der Maschinerie zu mässigen. Ich schloss
daher, da ein aktiver und einsichtsvoller Fabrikant das sichre Maximum
ausfindet, dass es unmöglich ist in 11 Stunden so viel zu produciren als
in 12. Ich nahm ausserdem an, dass der per Stücklohn bezahlte Arbeiter
sich auf’s äusserste anstrengt, soweit er denselben Arbeitsgrad kontinuir-
lich aushalten kann“166). Horner schloss daher, trotz der Experimente
von Gardner u. s. w., dass eine weitere Herabsetzung des Ar-
beitstags unter 12 Stunden die Quantität des Produkts
vermindern müsse167). Er selbst citirt 10 Jahre später sein Be-
denken von 1845 zum Beweis, wie wenig er damals noch die Elastici-
tät der Maschinerie und der menschlichen Arbeitskraft, die beide
gleichmässig durch die zwangsweise Verkürzung des Ar-
beitstags aufs Höchste gespannt werden, begriffen habe.
Kommen wir nun zur Periode nach 1847, seit Einführung des
Zehnstundengesetzes in die englischen Baumwoll-, Woll-, Seiden-
und Flachsfabriken.
„Die Geschwindigkeit der Spindeln ist auf Throstles um 500, auf
Mules um 1000 Drehungen in einer Minute gewachsen, d. h. die Geschwin-
digkeit der Throstlespindel, die 1839 4500 Drehungen in einer Minute
zählte, beträgt nun (1862) 5000, und die der Mulespindel, die 5000
zählte, beträgt jetzt 6000 in der Minute; diess beläuft sich im ersten Fall
auf ⅒ und im zweiten auf ⅕ zusätzlicher Geschwindigkeit“168). Jos.
Nasmyth, der berühmte Civilingenieur von Paticroft, bei Manchester,
setzte 1852 in einem Brief an Leonhard Horner die von 1848—1852
gemachten Verbesserungen in der Dampfmaschine auseinander. Nachdem
er bemerkt, dass die Dampfpferdekraft, in der officiellen Fabrikstatistik
fortwährend geschätzt nach ihrer Wirkung im Jahr 1828169), nur noch
nominell ist und nur als Index der wirklichen Kraft dienen kann, sagt
er u. a.: „Es unterliegt keinem Zweifel, dass Dampfmaschinerie von dem-
selben Gewicht, oft dieselben identischen Maschinen, an denen nur die
modernen Verbesserungen angebracht sind, im Durchschnitt 50 % mehr
Werk als früher verrichten, und dass in vielen Fällen dieselben identischen
Dampfmaschinen, die in den Tagen der beschränkten Geschwindigkeit von
220 Fuss per Minute 50 Pferdekraft lieferten, heute, mit vermindertem
Kohlenkonsum über 100 liefern. . . . Die moderne Dampfmaschine von
derselben nominellen Pferdekraft wird mit viel grösserer Gewalt als früher
getrieben, in Folge der Verbesserungen in ihrer Konstruktion, vermindertem
Umfang und Bau der Dampfkessel u. s. w. … Obgleich daher die-
selbe Händezahl wie früher im Verhältniss zur nominellen Pferde-
kraft beschäftigt wird, werden weniger Hände verwandt im Ver-
hältniss zur Arbeitsmaschinerie“170). Im Jahr 1850 ver-
wandten die Fabriken des Vereinigten Königreichs 134, 217 nominelle Pferde-
kraft zur Bewegung von 25,638,716 Spindeln und 301,495 Webstühlen.
Im Jahr 1856 betrug die Zahl der Spindeln und Webstühle respective
33,503,580 und 369,205. Wäre die erheischte Pferdekraft dieselbe
geblieben wie 1850, so waren 1856: 175,000 Pferdekraft nöthig. Sie
betrug aber nach dem officiellen Ausweis nur 161,435, also über 10,000
Pferdekraft weniger, als wenn man nach der Basis von 1850 rechnet171).
„Die durch den letzten Return von 1856 (officielle Statistik) festgestellten
Thatsachen sind, dass das Fabriksystem reissend rasch um sich greift,
die Zahl der Hände im Verhältniss zur Maschinerie ab-
genommen hat, die Dampfmaschine durch Oekonomie der Kraft und
andre Methoden ein grösseres Maschinengewicht treibt, und ein vermehrtes
Quantum Machwerk erzielt wird in Folge verbesserter Arbeitsmaschinen,
veränderter Methoden der Fabrikation, erhöhter Geschwindigkeit der Ma-
schinerie und vieler andrer Ursachen“172). „Die grossen in Maschinen
jeder Art eingeführten Verbesserungen haben deren Produktivkraft sehr
gesteigert. Ohne allen Zweifel gab die Verkürzung des Arbeits-
tags … den Stachel zu diesen Verbesserungen. Letztere und die in-
tensivere Anstrengung des Arbeiters bewirkten, dass wenig-
stens eben so viel Machwerk in dem (um zwei Stunden oder ⅙)
verkürzten Arbeitstag als früher während des längeren
geliefert wird“173).
Wie die Bereicherung der Fabrikanten mit der intensiveren Ausbeu-
tung der Arbeitskraft zunahm, beweist schon der eine Umstand, dass das
durchschnittliche proportionelle Wachsthum der englischen Baumwollen-
u. s. w.-Fabriken von 1838 bis 1850 32 %, von 1850 bis 1856 dagegen
86 % jährlich betrug.
So gross in den 8 Jahren 1848 bis 1856, unter der Herrschaft des
zehnstündigen Arbeitstags, der Fortschritt der englischen Industrie, wurde
er wieder weit überflügelt in der folgenden sechsjährigen Periode von 1856
bis 1862. In der Seidenfabrik z. B. 1856: Spindeln 1,093,799,
1862: 1,388,544; 1856: Webstühle 9,260 und 1862: 10,709. Da-
gegen 1856: Arbeiteranzahl 56,131 und 1862: 52,429. Diess ergiebt
Zunahme der Spindelzahl 26.9 % und der Webstühle 15.6 % mit
gleichzeitiger Abnahme der Arbeiteranzahl um 7 %. Im
Jahre 1850 wurden in der Worsted-Fabrik angewandt 875,830 Spin-
deln, 1856: 1,324,549 (Zunahme von 51.2 %) und 1862: 1,289,172
(Abnahme von 2.7 %). Zählt man aber die Dublirspindeln ab, die in der
Aufzählung für das Jahr 1856 figuriren, aber nicht für 1862, so blieb die
Anzahl der Spindeln seit 1856 ziemlich stationär. Dagegen ward seit
1850 in vielen Fällen die Geschwindigkeit der Spindeln und Webstühle
verdoppelt. Die Zahl der Dampfwebstühle in der Worsted-Fabrik
1850: 32,617, 1856: 38,956 und 1862: 43,048. Es waren
dabei beschäftigt 1850: 79,737 Personen, 1856: 87,794 und 1862:
86,063, aber davon Kinder unter 14 Jahren 1850: 9,956,
1856: 11,228 und 1862: 13,178. Trotz sehr vermehrter Anzahl
der Webstühle, 1862 verglichen mit 1856, nahm also die Gesammt-
zahl der beschäftigten Arbeiter ab, die der exploitirten Kinder zu174).
Am 27. April 1863 erklärte das Parlamentsglied Ferrand im
Unterhause: „Arbeiterdelegirte von 16 Distrikten von Lancashire und
Cheshire, in deren Auftrag ich spreche, haben mir mitgetheilt, dass die
Arbeit in den Fabriken in Folge der Verbesserung in der Maschinerie
beständig wachse. Statt dass früher eine Person mit Gehilfen zwei
Webstühle bediente, bedient sie jetzt drei ohne Gehilfen und es ist gar
nichts ungewöhnliches, dass eine Person ihrer vier bedient u. s. w.
Zwölf Stunden Arbeit, wie aus den mitgetheilten Thatsachen her-
vorgeht, werden jetzt in weniger als 10 Arbeitsstunden ge-
presst. Es ist daher selbstverständlich, in welchem ungeheuren Umfang
die Mühen der Fabrikarbeiter sich seit den letzten Jahren vermehrt
haben“175).
Obgleich daher die Fabrikinspektoren die günstigen Resultate der
Fabrikgesetze von 1844 und 1850 unermüdlich und mit vollem Recht
lobpreisen, gestehen sie doch, dass die Verkürzung des Arbeitstags bereits
eine die Gesundheit der Arbeiter, also die Arbeitskraft selbst zer-
störende Kondensation der Arbeit hervorgerufen habe. „In den meisten
Baumwoll-, Worsted- und Seidenfabriken scheint der erschöpfende Zustand
von Aufregung, nöthig für die Arbeit an der Maschinerie, deren Bewegung
in den letzten Jahren so ausserordentlich beschleunigt worden ist, eine der
Ursachen des Ueberschusses der Sterblichkeit an Lungenkrankheiten, den
Dr. Greenhow in seinem jüngsten bewundernswerthen Bericht nachge-
wiesen hat“176). Es unterliegt nicht dem geringsten Zweifel, dass die
Tendenz des Kapitals, sobald ihm Verlängerung des Arbeitstags ein für
allemal durch das Gesetz abgeschnitten ist, sich durch systematische Steige-
rung des Intensivitätsgrads der Arbeit gütlich zu thun und jede Ver-
besserung der Maschinerie in ein Mittel zu grösserer Aussaugung der
Arbeitskraft zu verkehren, bald wieder zu einem Wendepunkt treiben muss,
wo abermalige Abnahme der Arbeitsstunden unvermeidlich wird177). Andrer-
seits überflügelt der Sturmmarsch der englischen Industrie von 1848 bis
zur Gegenwart, d. h. während der Periode des zehnstündigen
Arbeitstags, noch weit mehr die Zeit von 1833 bis 1847, d. h. die
Periode des zwölfstündigen Arbeitstags, als letztre das halbe
Jahrhundert seit Einführung des Fabriksystems, d. h. die Periode des
unbeschränkten Arbeitstags178).
Wir betrachteten im Beginn dieses Kapitels den Leib der Fabrik,
die Gliederung des Maschinensystems. Wir sahen dann, wie die Maschi-
nerie das menschliche Exploitationsmaterial des Kapitals vermehrt durch
Aneignung der Weiber- und Kinderarbeit, wie sie die ganze Lebenszeit
des Arbeiters confiscirt durch masslose Ausdehnung des Arbeitstags, und
wie ihr Fortschritt, der ein ungeheuer wachsendes Produkt in stets kürzerer
Zeit zu liefern erlaubt, endlich zum Mittel umschlägt in jedem Zeitmo-
ment mehr Arbeit flüssig zu machen oder die Arbeitskraft
stets intensiver auszubeuten. Wir wenden uns nun zum Fa-
brikganzen, und zwar in seiner ausgebildetsten Gestalt.
Dr. Ure, der Pindar der automatischen Fabrik, beschreibt sie einer-
seits als „Cooperation verschiedener Klassen von Arbeitern, erwachs-
nen und nicht erwachsnen, die mit Gewandtheit und Fleiss ein System
produktiver Maschinerie überwachen, das ununterbrochen durch eine Cen-
tralkraft (den ersten Motor) in Thätigkeit gesetzt wird“, andrerseits als
„einen ungeheuren Automaten, zusammengesetzt aus zahllosen
mechanischen und selbstbewussten Organen, die im Einverständniss und
ohne Unterbrechung wirken, um einen und denselben Gegenstand zu pro-
duciren, so dass alle diese Organe einer Bewegungskraft untergeord-
net sind, die sich von selbst bewegt.“ Diese beiden Ausdrücke sind
keineswegs identisch. In dem einen erscheint der kombinirte Gesammt-
arbeiter oder gesellschaftliche Arbeitskörper als übergreifendes Subjekt
und der mechanische Automat als Objekt; in dem andern ist der Automat
selbst das Subjekt und die Arbeiter sind seinen bewusstlosen Organen nur
als bewusste Organe beigeordnet und mit den mechanischen Organen
der centralen Bewegungskraft untergeordnet. Der erstere Ausdruck
gilt von jeder möglichen Anwendung der Maschinerie im Grossen, der
andre charakterisirt ihre kapitalistische Anwendung und daher
das moderne Fabriksystem. Ure liebt es daher auch die Central-
maschine, von der die Bewegung ausgeht, nicht nur als Automat, son-
dern als Autokrat darzustellen. „In diesen grossen Werkstätten ver-
sammelt die wohlthätige Macht des Dampfes ihre Myriaden von Unter-
thanen um sich“179).
Mit dem Arbeitswerkzeug geht auch die Virtuosität in seiner Führung
vom Arbeiter auf die Maschine über. Die Leistungsfähigkeit des Werkzeugs
ist emancipirt von den persönlichen Schranken menschlicher Arbeitskraft.
Damit ist die technologische Grundlage aufgehoben, wo-
rauf die Theilung der Arbeit in der Manufaktur beruht.
An die Stelle der sie charakterisirenden Hierarchie der spezialisirten
Arbeiter tritt daher in der automatischen Fabrik die Tendenz der
Gleichmachung oder Nivellirung der Arbeiten, welche die
Gehilfen der Maschinerie zu verrichten haben180), an die Stelle der künst-
lich erzeugten Unterschiede der Theilarbeiter treten vorwiegend die natür-
lichen Unterschiede des Alters und Geschlechts.
Soweit in der automatischen Fabrik die Theilung der Arbeit
wiedererscheint, ist sie zunächst Vertheilung von Arbeitern
unter die spezialisirten Maschinen, und von Arbeitermassen,
die jedoch keine kombinirten Gruppen bilden, unter die verschiedenen Depar-
tements der Fabrik, wo sie an neben einander gereihten gleichartigen Werk-
zeugmaschinen arbeiten, also nur einfache Cooperation unter ihnen
stattfindet. Die kombinirte Gruppe der Manufaktur ist ersetzt durch den
Zusammenhang des Hauptarbeiters mit wenigen Gehilfen. Die wesent-
liche Scheidung ist die von Arbeitern, die wirklich an den Werkzeugma-
schinen beschäftigt sind (es kommen hiezu einige Arbeiter zur Bewachung,
resp. Fütterung der Bewegungsmaschine) und von blossen Hand-
langern (fast ausschliesslich Kinder) dieser Maschinenarbeiter. Zu
den Handlangern zählen mehr oder minder alle „feeders“ (die den Ma-
schinen bloss Arbeitsstoff darreichen). Neben diese Hauptklassen tritt
ein numerisch unbedeutendes Personal, das mit der Kontrole der gesamm-
ten Maschinerie und ihrer beständigen Reparatur beschäftigt ist, wie In-
genieure, Mechaniker, Schreiner u. s. w. Es ist eine höhere, theils wissen-
schaftlich gebildete, theils handwerksmässige Arbeiterklasse, ausserhalb
des Kreises der Fabrikarbeiter und ihnen nur aggregirt181). Diese Thei-
lung der Arbeit ist rein technologisch.
Alle Arbeit an der Maschine erfordert frühzeitigen Einbruch des Ar-
beiters, damit er seine eigne Bewegung der gleichförmig kontinuirlichen
Bewegung eines Automaten anpassen lerne. Soweit die Gesammtmaschi-
nerie selbst ein System verschiedenartiger, gleichzeitig wirkender
und kombinirter Maschinen bildet, erfordert die auf ihr beruhende Coope-
ration nicht minder Vertheilung besondrer Arbeiter unter die beson-
derten Maschinen. Aber der Maschinenbetrieb hebt die Nothwendigkeit auf
diese Vertheilung manufakturmässig zu befestigen durch fortwährende
Aneignung derselben Arbeiter an dieselbe Funktion182). Da die Ge-
sammtbewegung der Fabrik nicht vom Arbeiter ausgeht, sondern von
der Maschine, kann fortwährender Personenwechsel stattfinden ohne
Unterbrechung des Arbeitsprozesses. Den schlagendsten Beweis hierzu
liefert das während der englischen Fabrikantenrevolte von 1848—50 ins
Werk gesetzte Relaissystem. Die Geschwindigkeit endlich, womit die
Arbeit an der Maschine im jugendlichen Alter erlernt wird, beseitigt
ebenso die Nothwendigkeit, eine besondre Klasse Arbeiter ausschliesslich
zu Maschinenarbeitern zu machen183). Die Dienste der blossen Hand-
langer aber sind in der Fabrik grossentheils durch Maschinen ersetzbar184),
theils erlauben sie andrerseits wegen ihrer völligen Einfachheit raschen und
beständigen Wechsel der mit dieser Plackerei belasteten Personen.
Obgleich nun die Maschinerie das alte System der Theilung der Ar-
beit technologisch über den Haufen wirft, schleppt es sich zunächst als
Tradition der Manufaktur gewohnheitsmässig in der Fabrik fort, um dann
systematisch vom Kapital als Exploitationsmittel der Arbeitskraft in
noch ekelhafterer Form reproducirt und befestigt zu werden. Aus der lebens-
langen Specialität ein Theilwerkzeug zu führen, wird die lebenslange
Specialität einer Theilmaschine zu dienen. Die Maschinerie wird miss-
braucht, um den Arbeiter selbst von Kindesbeinen in den Theil einer Theil-
maschine zu verwandeln185). Nicht nur werden so die zu seiner eignen
Reproduktion nöthigen Kosten bedeutend vermindert, sondern zugleich
seine hilflose Abhängigkeit vom Fabrikganzen, also vom Kapitalisten, voll-
endet. Hier wie überall muss man unterscheiden zwischen der grössern
Produktivität, die der Entwicklung des gesellschaftlichen Produktions-
prozesses, und der grössern Produktivität, die seiner kapitalistischen Aus-
beutung geschuldet ist.
In Manufaktur und Handwerk bedient sich der Arbeiter des Werk-
zeugs, in der Fabrik dient er der Maschine. Dort geht von ihm die Be-
wegung des Arbeitsmittels aus, dessen Bewegung er hier zu folgen hat.
In der Manufaktur bilden die Arbeiter Glieder eines lebendigen Mechanis-
mus. In der Fabrik existirt ein todter Mechanismus unabhängig von ihnen
und sie werden ihm als lebendige Anhängsel einverleibt. „Der trübselige
Schlendrian einer endlosen Arbeitsqual, worin derselbe mechanische Pro-
zess immer wieder durchgemacht wird, gleicht der Arbeit des Sisyphus;
die Last der Arbeit, gleich dem Felsen, fällt immer wieder auf den abge-
matteten Arbeiter zurück“186). Während die Maschinenarbeit das Ner-
vensystem aufs äusserste angreift, unterdrückt sie das vielseitige Spiel der
Muskeln und konfiscirt alle freie körperliche und geistige Thätigkeit187).
Selbst die Erleichterung der Arbeit wird zum Mittel der Tortur, indem die
Maschine nicht den Arbeiter von der Arbeit befreit, sondern seine Arbeit
vom Inhalt. Aller kapitalistischen Produktion, soweit sie nicht nur Ar-
beitsprozess, sondern zugleich Verwerthungsprozess des Ka-
pitals, ist es gemeinsam, dass nicht der Arbeiter die Arbeitsbedingung,
sondern umgekehrt die Arbeitsbedingung den Arbeiter anwendet, aber erst
mit der Maschinerie erhält diese Verkehrung technologisch hand-
greifliche Wirklichkeit. Durch seine Verwandlung in einen Auto-
maten tritt das Arbeitsmittel während des Arbeitsprozesses selbst dem
Arbeiter als Kapital gegenüber, als todte Arbeit, welche die lebendige
Arbeitskraft beherrscht und aussaugt. Die Scheidung der geistigen
Potenzen des Produktionsprozesses von der Handarbeit und die Ver-
wandlung derselben in Mächte des Kapitals über die Arbeit
vollendet sich, wie bereits früher angedeutet, in der auf Grundlage der
Maschinerie aufgebauten grossen Industrie. Das Detailgeschick des indi-
viduellen, entleerten Maschinenarbeiters verschwindet als ein winzig Neben-
ding vor der Wissenschaft, den ungeheuren Naturkräften und der gesell-
schaftlichen Massenarbeit, die im Maschinensystem verkörpert sind und mit
ihm die Macht „des Meisters“ bilden. Dieser Meister, in dessen Hirn
die Maschinerie und sein Monopol an derselben unzertrennlich verwachsen
sind, ruft daher in Kollisionsfällen den „Händen“ verächtlich zu: „Die
Fabrikarbeiter sollten in heilsamer Erinnerung halten, dass ihre Arbeit in
der That eine sehr niedrige Sorte geschickter Arbeit ist; dass keine leich-
ter aneigenbar und in Anbetracht ihrer Qualität besser belohnt ist, dass
keine durch kurze Unterweisung des mindest Erfahrnen in so kurzer Zeit
und in solchem Ueberfluss zugeführt werden kann. Des Meisters
Maschinerie spielt in der That eine viel wichtigere Rolle in dem Ge-
schäft der Produktion als die Arbeit und das Geschick des Arbei-
ters, die eine Erziehung von 6 Monaten lehren und jeder Bauernknecht
lernen kann“188).
Die technologische Unterordnung des Arbeiters unter den gleichför-
migen Gang des Arbeitsmittels und die eigenthümliche Zusammensetzung
des Arbeitskörpers aus Individuen beider Geschlechter und aller Alters-
stufen schafft eine kasernenmässige Disciplin, die sich zum vollständigen
Fabrikregime ausbildet und die schon früher erwähnte Arbeit
der Oberaufsicht, damit zugleich die Theilung der Arbeiter
in Handarbeiter und Arbeitsaufseher, gemeine Industriesoldaten und In-
dustrieunterofficiere, völlig entwickelt. „Die Hauptschwierigkeit in der auto-
matischen Fabrik bestand in der nothwendigen Disciplin, um die Menschen
auf ihre unregelmässigen Gewohnheiten in der Arbeit verzichten zu machen,
und sie zu identificiren mit der unveränderlichen Regel-
mässigkeit des grossen Automaten. Aber einen den Bedürf-
nissen und der Geschwindigkeit des automatischen Systems entsprechen-
den Disciplinarcodex zu erfinden und mit Erfolg auszuführen, war ein Unter-
nehmen des Herkules würdig, das ist das edle Werk Arkwright’s!
Selbst heut zu Tage, wo das System in seiner ganzen Vollendung organi-
sirt ist, ist es fast unmöglich unter den Arbeitern, die das Alter der
Mannbarkeit zurückgelegt haben, nützliche Gehilfen für das automatische
System zu finden“189). Der Fabrikcodex, worin das Kapital seine Auto-
kratie über seine Arbeiter, ohne die sonst vom Bürgerthum so beliebte
Theilung der Gewalten und das noch beliebtere Repräsentativsystem, pri-
vatgesetzlich und eigenherrlich formulirt, ist nur die kapitalistische
Karrikatur der gesellschaftlichen Reglung des Arbeits-
prozesses, welche mit der Cooperation auf grosser Stufenleiter und der
Anwendung gemeinsamer Arbeitsmittel, wie namentlich der Maschinerie,
nöthig wird. An die Stelle der Peitsche des Sklaventreibers tritt das Straf-
buch des Aufsehers. Alle Strafen lösen sich natürlich auf in Geldstrafen
und Lohnabzüge und der gesetzgeberische Scharfsinn der Fabrik-Lykurge
macht ihnen die Verletzung ihrer Gesetze wo möglich noch einbringlicher
als deren Befolgung190).
Wir deuten nur hin auf die materiellen Bedingungen, unter denen
die Fabrikarbeit verrichtet wird. Alle Sinnesorgane werden gleichmässig
verletzt durch die künstlich gesteigerte Temperatur, die mit Abfällen des
Rohmaterials geschwängerte Atmosphäre, den betäubenden Lärm u. s. w.,
abgesehn von der Lebensgefahr unter dicht gehäufter Maschinerie, die mit
der Regelmässigkeit der Jahreszeiten ihre industriellen Schlachtbülletins
producirt. Die Oekonomisirung der gesellschaftlichen
Produktionsmittel, erst im Fabriksystem treibhausmässig gereift,
wird in der Hand des Kapitals zugleich zum systematischen Raub
an den Lebensbedingungen des Arbeiters während der
Arbeit, wie an Raum, Luft, Licht und persönlichen Schutzmitteln wider
die lebensgefährlichen oder gesundheitswidrigen Umstände des Produk-
tionsprozesses, von Vorrichtungen zur Bequemlichkeit des Arbeiters gar
nicht zu sprechen191). Nennt Fourier mit Unrecht die Fabriken „gemäs-
sigte Bagnos“192)? — Der Kampf zwischen Kapitalist und Lohnarbeiter be-
ginnt mit dem Kapitalverhältniss selbst. Er tobt fort während der ganzen
Manufakturperiode193). Erst seit der Einführung der Maschinerie
bekämpft der Arbeiter das Arbeitsmittel selbst, die materielle Exi-
stenzweise des Kapitals. Er revoltirt gegen diese bestimmte Form
des Produktionsmittels als die materielle Grundlage der kapi-
talistischen Produktionsweise.
Ziemlich ganz Europa erlebte während des 17. Jahrhunderts Ar-
beiterrevolten gegen die s. g. Bandmühle (auch Schnurmühle oder
Mühlenstuhl genannt), eine Maschine zum Weben von Bändern und Bor-
ten194). Ende des ersten Dritttheils des 17. Jahrhunderts erlag eine
Windsägemühle, von einem Holländer in der Nähe Londons angelegt, vor
Pöbelexcessen. Noch Anfang des 18. Jahrhunderts überwanden durch
Wasser getriebne Sägemaschinen in England nur mühsam den parlamen-
tarisch unterstützten Volkswiderstand. Als Everet 1758 die erste vom
Wasser getriebene Maschine zum Wollscheeren erbaut hatte, wurde sie
von 100,000 ausser Arbeit gesetzten Menschen in Brand gesteckt. Gegen
die scribbling mills und Kardirmaschinen Arkwright’s petitionirten 50,000
Arbeiter, die bisher vom Wollkratzen gelebt, beim Parlament. Die mas-
senhafte Zerstörung von Maschinen in den englischen Manufaktur-
distrikten während der ersten 15 Jahre des 19. Jahrhunderts, namentlich
in Folge der Ausbeutung des Dampfwebstuhls, bot, unter dem Namen
der Ludditenbewegung, der Antijakobiner-Regierung eines Sid-
mouth, Castlereagh u. s. w. den Vorwand zu reaktionärsten Gewalt-
schritten. Es bedarf Zeit und Erfahrung, bevor der Arbeiter die Maschi-
nerie von ihrer kapitalistischen Anwendung unterscheiden und
daher seine Angriffe vom materiellen Produktionsmittel selbst auf
dessen gesellschaftliche Exploitationsform übertragen lernt195).
Die Kämpfe um den Arbeitslohn innerhalb der Manufaktur setzen die
Manufaktur voraus und sind keineswegs gegen ihre Existenz gerichtet.
So weit die Bildung der Manufakturen bekämpft wird, geschieht es von
den Zunftmeistern und privilegirten Städten, nicht von den Lohnarbeitern.
Bei Schriftstellern der Manufakturperiode wird die Theilung der Ar-
beit daher vorherrschend als Mittel aufgefasst virtuell Arbeiter zu er-
setzen, aber nicht wirklich Arbeiter zu verdrängen. Dieser Unterschied
ist selbstverständlich. Sagt man z. B., es würden 100 Millionen Menschen
in England erheischt sein um mit dem alten Spinnrad die Baumwolle zu
verspinnen, die jetzt von 500,000 mit der Maschine versponnen wird, so
heisst das natürlich nicht, dass die Maschine den Platz dieser Millionen,
die nie existirt haben, einnahm. Es heisst nur, dass viele Millionen Arbeiter
erheischt wären, um die Spinnmaschinerie zu ersetzen. Sagt man
dagegen, dass der Dampfwebstuhl in England 800,000 Weber auf das
Pflaster warf, so spricht man nicht von existirender Maschinerie, die durch
eine bestimmte Arbeiterzahl ersetzt werden müsste, sondern von einer exi-
stirenden Arbeiterzahl, die faktisch durch Maschinerie ersetzt oder ver-
drängt worden ist. Während der Manufakturperiode blieb der handwerks-
mässige Betrieb, wenn auch zerlegt, die Grundlage. Die neuen Kolonialmärkte
konnten durch die relativ schwache Anzahl der vom Mittelalter überliefer-
ten städtischen Arbeiter nicht befriedigt werden und die eigentlichen Ma-
nufakturen öffneten zugleich dem mit Auflösung der Feudalität von Grund
und Boden verjagten Landvolke neue Produktionsgebiete. Damals trat also
an der Theilung der Arbeit und der Cooperation in den Werkstätten mehr
die positive Seite hervor, dass sie beschäftigte Arbeiter produktiver
machen196). Cooperation und Kombination der Arbeitsmittel in den Hän-
den Weniger rufen, auf die Agrikultur angewandt, zwar grosse, plötzliche
und gewaltsame Revolutionen der Produktionsweise und daher der
Lebensbedingungen und Beschäftigungsmittel der Landbevölkerung her-
vor, die zum Theil der Periode der grossen Industrie lang vorhergehn.
Aber dieser Kampf spielt ursprünglich mehr zwischen grossen und kleinen
Landeigenthümern als zwischen Kapital und Lohnarbeit; andrerseits, so-
weit Arbeiter durch Arbeitsmittel, Schafe, Pferde u. s. w. verdrängt wer-
den, bilden unmittelbare Gewaltakte hier in erster Instanz die Voraus-
setzung der industriellen Revolution. Erst werden die Arbeiter vom
Grund und Boden verjagt, und dann kommen die Schafe. Der Landdieb-
stahl auf grosser Stufenleiter, wie in England, schafft der grossen Agri-
kultur erst ihr Anwendungsfeld. In ihren Anfängen hat diese Umwäl-
zung der Agrikultur daher mehr den Schein einer politischen Re-
volution.
Als Maschine wird das Arbeitsmittel sofort zum Konkurrenten
des Arbeiters selbst197). Die Selbstverwerthung des Kapitals durch die
Maschine steht im direkten Verhältniss zur Arbeiterzahl, deren Existenz-
bedingungen sie vernichtet. Das ganze System der kapitalistischen Pro-
duktion beruht darauf, dass der Arbeiter seine Arbeitskraft als Waare ver-
kauft. Die Theilung der Arbeit vereinseitigt diese Arbeitskraft zum ganz
partikularisirten Geschick ein Theilwerkzeug zu führen. Sobald die Füh-
rung des Werkzeugs der Maschine anheimfällt, erlischt mit dem Gebrauchs-
werth der Tauschwerth der Arbeitskraft. Der Arbeiter wird unverkäuf-
lich, wie ausser Kurs gesetztes Papiergeld. Der Theil der Arbeiterklasse, den
die Maschinerie so in überflüssige, d. h. nicht länger zur Selbst-
verwerthung des Kapitals unmittelbar nothwendige Bevölke-
rung verwandelt, geht einerseits unter in dem ungleichen Kampf des alten
handwerksmässigen und manufakturmässigen Betriebs wider den maschinen-
mässigen, überfluthet andrerseits alle leichter zugänglichen Industriezweige,
überfüllt den Arbeitsmarkt und senkt daher den Preis der Arbeitskraft unter
ihren Werth. Ein grosser Trost für die pauperisirten Arbeiter soll sein, dass
ihre Leiden theils nur „zeitlich“ („a temporary inconvenience“), theils
dass die Maschinerie sich nur allmälig eines ganzen Produktionsfelds be-
mächtigt, wodurch Umfang und Intensivität ihrer vernichtenden Wirkung
gebrochen werde. Der eine Trost schlägt den andern. Wo die Maschine
allmälig ein Produktionsfeld ergreift, producirt sie chronisches Elend in der
mit ihr konkurrirenden Arbeiterschichte. Wo der Uebergang rasch, wirkt sie
massenhaft und akut. Die Weltgeschichte bietet kein entsetzlicheres Schau-
spiel als den allmäligen, über Decennien verschleppten, endlich 1838 besie-
gelten Untergang der englischen Handbaumwollweber. Viele von ihnen star-
ben am Hungertod, viele vegetirten lange mit ihren Familien auf 2½ d.
taglich198). Akut dagegen wirkte die englische Baumwollmaschinerie auf
Ostindien, dessen Generalgouverneur 1834—35 konstatirte: „Das Elend
findet kaum eine Parallele in der Geschichte des Handels. Die Kno-
chen der Baumwollweber bleichen die Ebenen von In-
dien.“ Allerdings, sofern diese Weber das Zeitliche segneten, bereitete
ihnen die Maschine nur „zeitliche Missstände“. Uebrigens ist die „zeit-
liche“ Wirkung der Maschinerie permanent, indem sie beständig neue
Produktionsgebiete ergreift. Die verselbstständigte und entfremdete Gestalt,
welche die kapitalistische Produktionsweise überhaupt den Arbeitsbedin-
gungen und dem Arbeitsprodukt gegenüber dem Arbeiter giebt, entwickelt
sich also mit der Maschinerie zum vollständigen Gegensatz199). Daher
mit ihr zum erstenmal die brutale Revolte des Arbeiters gegen das Arbeits-
mittel.
Das Arbeitsmittel erschlägt den Arbeiter. Dieser
direkte Gegensatz erscheint allerdings am handgreiflichsten, so oft neu
eingeführte Maschinerie konkurrirt mit überliefertem Handwerks- oder
Manufakturbetrieb. Aber innerhalb der grossen Industrie selbst wirkt
fortwährende Verbesserung der Maschinerie und Entwicklung des automa-
tischen Systems analog „Der beständige Zweck verbesserter Maschinerie
ist die Handarbeit zu vermindern oder einen Ring in der Produktionskette
der Fabrik durch Substitution eiserner für menschliche Apparate zu voll-
enden“200). „Die Anwendung von Dampf- und Wasserkraft auf Maschi-
nerie, die bisher mit der Hand bewegt wurde, ist das Ereigniss jeden Ta-
ges … Die kleineren Verbesserungen in der Maschinerie, welche Oekonomie
der Bewegungskraft, Verbesserung des Machwerks, vermehrte Produktion
in derselben Zeit oder Verdrängung eines Kindes, eines Frauenzimmers
oder eines Mannes bezwecken, sind constant, und obgleich scheinbar
nicht von grossem Gewicht, haben sie dennoch wichtige Resultate“201).
„Ueberall, wo eine Operation viel Geschick und eine sichre Hand verlangt,
entzieht man sie so schnell als möglich den Armen des zu geschickten
und oft zu Unregelmässigkeiten aller Art geneigten Arbeiters, um einen
besondern Mechanismus damit zu betrauen, der so gut geregelt ist, dass
ein Kind ihn überwachen kann“202). „Im automatischen System wird
das Talent des Arbeiters progressiv verdrängt“203). „Die
Verbesserung der Maschinerie erfordert nicht nur Verminderung in der
Anzahl der beschäftigten erwachsnen Arbeiter zur Erzielung eines bestimm-
ten Resultats, sondern sie substituirt eine Klasse von Individuen einer an-
dern Klasse, eine minder geschickte einer geschickteren, Kinder den Er-
wachsnen, Frauen den Männern. Alle diese Wechsel verursachen be-
ständige Fluktuationen in der Rate des Arbeitslohns“204).
„Die Maschinerie wirft unaufhörlich Erwachsne aus der Fa-
brik heraus“205). Die ausserordentliche Elasticität des Ma-
schinenwesens in Folge gehäufter praktischer Erfahrung, des schon
vorhandnen Umfangs mechanischer Mittel, und des beständigen Fortschritts
der Technologie, zeigte uns sein Sturmmarsch unter dem Druck eines ver-
kürzten Arbeitstags. Aber wer hätte 1860, im Zenithjahr der englischen
Baumwollindustrie, die galoppirenden Verbesserungen der Maschinerie und
die entsprechende Deplacirung von Handarbeit geahnt, welche die drei fol-
genden Jahre unter dem Stachel des amerikanischen Bürger-
kriegs hervorriefen? Von den offiziellen Anführungen der englischen Fabrik-
inspektoren über diesen Punkt genügen hier ein paar Beispiele. Ein Manchester
Fabrikant erklärt: „Statt 75 Kardirmaschinen brauchen wir jetzt nur 12,
welche dieselbe Quantität von ebenso guter, wenn nicht besserer Qualität
liefern … Die Ersparung an Arbeitslohn beträgt 10 Pfd. St. wöchent-
lich, die an Baumwollabfall 10 %.“ In einer Manchester Feinspinnerei
wurde „vermittelst beschleunigter Bewegung und Einführung verschiedner
self-acting Prozesse in einem Departement ¼, in einem über ½ des Ar-
beiterpersonals beseitigt, während die Kämmmaschine an der Stelle der
zweiten Kardirmaschine die Zahl der früher im Kardirraum beschäftigten
Hände sehr vermindert hat.“ Eine andre Spinnfabrik schätzt ihre allge-
meine Ersparung von „Händen“ auf 10 %. Die Herren Gilmore,
Spinner zu Manchester, erklären: „In unsrem blowing Departement
schätzen wir die in Folge neuer Maschinerie gemachte Ersparung an Hän-
den und Arbeitslohn auf ein volles Drittel … in dem jack frame und draw-
ing frame room ungefähr ⅓ weniger in Auslage und Händen; im Spinn-
raum ungefähr ⅓ weniger in Auslage. Aber das ist nicht alles; wenn
unser Garn jetzt zum Weber geht, ist es so sehr verbessert durch die An-
wendung der neuen Maschinerie, dass sie mehr und besseres Gewebe
als mit dem alten Maschinengarn produciren“206). Fabrikinspektor
A. Redgrave bemerkt hierzu: „Die Verminderung der Arbeiter bei gestei-
gerter Produktion schreitet rasch vorwärts; in den Wollfabriken begann
kürzlich eine neue Reduktion der Hände, und sie dauert fort; vor wenigen
Tagen sagte mir ein Schulmeister, der bei Rochdale wohnt, die grosse Ab-
nahme in den Mädchenschulen sei nicht nur dem Druck der Krise ge-
schuldet, sondern auch den Aenderungen in der Maschinerie der Wollfabrik,
in Folge deren eine Durchschnittsreduktion von 70 Halbzeitlern statt-
gefunden“207).
Die Maschinerie wirkt jedoch nicht nur als übermächtiger Konkur-
rent, stets auf dem Sprung den Lohnarbeiter „überflüssig“ zu machen.
Als ihm feindliche Potenz wird sie laut und tendenziell vom Kapital
proklamirt und gehandhabt. Sie wird das machtvollste Kriegs-
mittel zur Niederschlagung der periodischen Arbeiteraufstände, strikes
u. s. w. wider die Autokratie des Kapitals208). Nach Gaskell
war gleich die Dampfmaschine ein Antagonist der „Menschenkraft“, der
den Kapitalisten befähigte die steigenden Ansprüche der Arbeiter nieder-
zuschmettern, die das beginnende Fabriksystem zur Krise zu treiben droh-
ten209). Man könnte eine ganze Geschichte der Erfindungen seit 1830
schreiben, die bloss als Kriegsmittel des Kapitals wider Arbeiteremeuten
ins Leben traten. Wir erinnern vor allem an die selfacting mule, weil
sie eine neue Epoche des automatischen Systems eröffnet210). Ure sagt
von einer Maschine zum Farbendruck in den Kattundruckereien: „Endlich
suchten sich die Kapitalisten von dieser unerträglichen Sklaverei
(nämlich den ihnen lästigen Kontraktsbedingungen der Arbeiter) zu be-
freien, indem sie die Hilfsquellen der Wissenschaft anriefen, und bald wa-
ren sie reintegrirt in ihre legitimen Rechte, die des Kopfes
über die andern Körpertheile.“ Er sagt von einer Erfindung zum Ketten-
schlichten, deren unmittelbarer Anlass ein strike: „Die Horde der Unzu-
friednen, die sich hinter den alten Linien der Theilung der Arbeit unbesiegbar
verschanzt wähnte, sah sich so in die Flanke genommen und ihre Vertheidi-
gungsmittel vernichtet durch die moderne Taktik der Maschinisten.
Sie mussten sich auf Gnade und Ungnade ergeben.“ Er sagt von
der Erfindung der selfácting mule: „Sie war berufen die Ordnung unter
den industriellen Klassen wieder herzustellen … Diese Erfindung bestä-
tigt die von uns bereits entwickelte Doktrin, dass das Ka-
pital, indem es die Wissenschaft in seinen Dienst presst,
stets die rebellische Hand der Industrie zum Gehorsam
zwingt“211). Obgleich Ure’s Schrift vor 30 Jahren erschien, also zur
Zeit eines relativ noch schwach entwickelten Fabriksystems, bleibt sie der
klassische Ausdruck des Fabrikgeists, nicht nur wegen ihres
offenherzigen Cynismus, sondern auch wegen der Naivetät, womit
er die gedankenlosen Widersprüche des Kapitalhirns ausplaudert. Nach-
dem er z. B. die „Doktrin“ entwickelt, dass das Kapital mit Hilfe der von
ihm in Sold genommenen Wissenschaft „stets die rebellische Hand der In-
dustrie zum Gehorsam zwingt“, entrüstet er sich darüber, „dass man von
gewisser Seite die mechanisch-physische Wissenschaft anklagt, sich dem
Despotismus reicher Kapitalisten zu leihen und zum Unterdrückungsmittel
der armen Klassen herzugeben.“ Nachdem er weit und breit gepredigt,
wie vortheilhaft rasche Entwicklung der Maschinerie den Arbeitern, warnt
er sie, dass sie durch ihre Widersetzlichkeit, Strikes u. s. w., die Ent-
wicklung der Maschinerie beschleunigen. „Derartige Re-
volten“, sagt er, „zeigen die menschliche Verblendung in ihrem verächt-
lichsten Charakter, dem Charakter eines Menschen, der sich zu sei-
nem eignen Henker macht.“ Wenige Seiten vorher heisst es um-
gekehrt: „Ohne die Kollisionen und heftigen Unterbrechungen, verursacht
durch die irrigen Ansichten der Arbeiter, hätte sich das Fabrik-
system noch viel rascher entwickelt und viel nützlicher für alle
interessirten Parteien.“ Dann ruft er wieder aus: „Zum Glück für die
Bevölkerung der Fabrikstädte Grossbritaniens finden die Verbesserungen
in der Mechanik nur allmälig statt.“ „Mit Unrecht“, sagt er, „klagt man
die Maschinen an, dass sie den Arbeitslohn der Erwachsnen vermindern,
indem sie einen Theil derselben deplaciren, wodurch ihre Anzahl das Be-
dürfniss nach Arbeit übersteigt. Aber es findet vermehrte Anwendung
der Kinderarbeit statt und der Gewinn der Erwachsnen ist dadurch um so
beträchtlicher.“ Derselbe Trostspender vertheidigt andrerseits die Niedrig-
keit der Kinderlöhne damit, dass „sie die Aeltern abhalten ihre Kinder
zu früh in die Fabriken zu schicken.“ Sein ganzes Buch ist eine Apo-
logie des unbeschränkten Arbeitstags und es erinnert seine liberale Seele
an die dunkelsten Zeiten des Mittelalters, wenn die Gesetzgebung verbietet
Kinder von 13 Jahren mehr als 12 Stunden per Tag abzurackern. Diess
hält ihn nicht ab die Fabrikarbeiter zu einem Dankgebet an die Vorsehung
aufzufordern, die ihnen durch die Maschinerie „die Musse verschafft habe
über ihre unsterblichen Interessen nachzudenken“212).
Eine ganze Reihe bürgerlicher Oekonomen, wie James Mill, Mac Cul-
loch, Torrens, Senior, J. St. Mill u. s. w., behauptet, dass alle Maschinerie,
die Arbeiter verdrängt, stets gleichzeitig und nothwendig ein adäquates
Kapital zur Beschäftigung derselben identischen Arbeiter freisetzt213).
Man unterstelle, ein Kapitalist wende 100 Arbeiter an z. B. in einer
Tapetenmanufaktur, den Mann zu 30 Pfd. St. jährlich. Das von ihm
jährlich ausgelegte variable Kapital beträgt also 3000 Pfd. St. Er
entlasse 50 Arbeiter und beschäftige die übrigbleibenden 50 mit einer
Maschinerie, die ihm 1500 Pfd. St. kostet. Der Vereinfachung halber
wird von Baulichkeiten, Kohlen u. s. w. abgesehn. Man nimmt ferner an,
das jährlich verzehrte Rohmaterial koste nach wie vor 3000 Pfd. St.214).
Ist durch diese Metamorphose irgend ein Kapital „freigesetzt“? In der
alten Betriebsweise bestand die ausgelegte Gesammtsumme von 6000 Pfd. St.
halb aus constantem und halb aus variablem Kapital. Sie besteht jetzt
aus 4500 Pfd. St. (3000 Pfd. St. für Rohmaterial und 1500 Pfd. St.
für Maschinerie) constantem und 1500 Pfd. St. variablem Kapital.
Statt der Hälfte bildet der variable oder in lebendige Arbeitskraft umge-
setzte Kapitaltheil nur noch ¼ des Gesammtkapitals. Statt der Frei-
setzung findet hier Bindung von Kapital in einer Form statt, worin es
aufhört sich gegen Arbeitskraft auszutauschen, d. h. Verwandlung von
variablem in constantes Kapital. Das Kapital von 6000 Pfd. St. kann,
unter sonst gleichbleibenden Umständen, jetzt niemals mehr als 50 Arbeiter
beschäftigen. Mit jeder Verbesserung der Maschinerie beschäftigt es we-
niger. Kostete die neu eingeführte Maschinerie weniger als die Summe
der von ihr verdrängten Arbeitskraft und Arbeitswerkzeuge, also z. B.
statt 1500 nur 1000 Pfd. St., so würde ein variables Kapital von 1000
Pfd. St. in constantes verwandelt oder gebunden, während ein Kapital von
500 Pfd. St. freigesetzt würde. Letzteres, denselben Jahreslohn unter-
stellt, bildet einen Beschäftigungsfonds für ungefähr 16 Arbeiter, während
50 entlassen sind, ja für viel weniger als 16 Arbeiter, da die 500 Pfd. St.
zu ihrer Verwandlung in Kapital wieder zum Theil in constantes Kapital
verwandelt werden müssen, also auch nur zum Theil in Arbeitskraft um-
gesetzt werden können.
In der That meinen jene Apologeten auch nicht diese Art Freisetzung
von Kapital. Sie meinen die Lebensmittel der freigesetzten
Arbeiter. Es kann nicht geläugnet werden, dass im obigen Fall z. B.
die Maschinerie nicht nur 50 Arbeiter freisetzt und dadurch „disponibel“
macht, sondern zugleich ihren Zusammenhang mit Lebensmitteln zum
Werth von 1500 Pfd. St. aufhebt und so diese Lebensmittel „freisetzt“.
Die einfache und keineswegs neue Thatsache, dass die Maschinerie
den Arbeiter von Lebensmitteln freisetzt, lautet also ökono-
misch, dass die Maschinerie Lebensmittel für den Arbeiter
freisetzt oder in Kapital zu seiner Anwendung verwandelt. Man sieht,
es kommt alles auf die Ausdrucksweise an. Nominibus mollire licet mala.
Die Lebensmittel zum Betrag von 1500 Pfd. St. standen den ent-
lassnen Arbeitern niemals als Kapital gegenüber. Was ihnen als Ka-
pital gegenüberstand, waren die jetzt in Maschinerie verwandel-
ten 1500 Pfd. St. Näher betrachtet repräsentirten diese 1500 Pfd. St.
nur einen Theil der vermittelst der entlassnen 50 Arbeiter jährlich produ-
cirten Tapeten, die sie in Geldform statt in natura von ihrem Anwender zum
Lohn erhielten. Mit den in 1500 Pfd. St. verwandelten Tapeten kauften sie
Lebensmittel zu demselben Betrag. Diese existirten für sie daher nicht als
Kapital, sondern als Waaren, und sie selbst existirten für diese Waaren
nicht als Lohnarbeiter, sondern als Käufer. Der Umstand, dass die Ma-
schinerie sie von Kaufmitteln „freigesetzt“ hat, verwandelt sie aus Käufern
in Nicht-Käufer. Daher verminderte Nachfrage für jene Waaren. Voilà tout.
Wird diese verminderte Nachfrage nicht durch vermehrte Nachfrage von an-
derer Seite kompensirt, so sinkt der Marktpreis der Waaren. Dauert diess
länger und in grössrem Umfange, so erfolgt ein Deplacement der in der Pro-
duktion jener Waaren beschäftigten Arbeiter. Ein Theil des Kapitals,
das früher nothwendige Lebensmittel producirte, wird in anderer Form
reproducirt. Während des Falls der Marktpreise und des Deplacements
von Kapital, werden auch die in der Produktion der nothwendigen Lebens-
mittel beschäftigten Arbeiter von einem Theil ihres Lohns „freigesetzt“.
Statt also zu beweisen, dass die Maschinerie durch die Freisetzung der
Arbeiter von Lebensmitteln letztre gleichzeitig in Kapital zur Anwendung
der erstern verwandelt, beweist der Herr Apologet mit dem probaten Ge-
setz von Nachfrage und Zufuhr umgekehrt, dass die Maschinerie nicht nur
in dem Produktionszweig, worin sie eingeführt, sondern auch in den Pro-
duktionszweigen, worin sie nicht eingeführt wird, Arbeiter aufs Pflaster
wirft.
Ausser der guten Absicht der Vertuschung liegt jener abgeschmack-
ten Kompensationstheorie zu Grunde, erstens, dass die Maschinerie früher
gebundne Arbeitskraft freisetzt, und falls zuschüssiges Kapital
nach Anlage drängt, ihm mit der disponiblen Arbeitskraft gleich-
zeitig disponibel gemachte Lebensmittel zur Verfügung stellt. Aber die
Maschinerie deplacirt nicht nur die zunächst „überzählig“ gemachten,
sondern zugleich den neuen Menschenstrom, der jedem Industriezweig sein
Kontingent zum regelmässigen Ersatz und Wachsthum liefert. Diese Er-
satzmannschaft wird neu vertheilt und in andern Arbeitszweigen absorbirt,
während die ursprünglichen Opfer grossentheils in der Uebergangs-
periode verkommen und verkümmern. Zudem ist ihre Arbeitskraft
durch die Theilung der Arbeit so vereinseitigt, dass sie nur in wenigen und
daher beständig überfüllten niedrigen Arbeitszweigen Zugang finden215).
Zweitens aber wird die unzweifelhafte Thatsache ausgesprochen, dass die
Maschinerie an sich nicht verantwortlich ist für die „Freisetzung“
der Arbeiter von Lebensmitteln. Sie verwohlfeilert und vermehrt das
Produkt in dem Zweig, den sie ergreift, und lässt die in andern Industrie-
zweigen producirte Lebensmittel-Masse zunächst unverändert. Nach wie
vor ihrer Einführung besitzt die Gesellschaft also gleichviel oder mehr
Lebensmittel für die deplacirten Arbeiter, ganz abgesehen von dem
enormen Theil des jährlichen Produkts, der von Nichtarbeitern vergeudet
wird. Und diess ist die Pointe der ökonomistischen Apologetik! Die von
der kapitalistischen Anwendung der Maschinerie untrennbaren
Widersprüche und Antagonismen existiren nicht, weil sie nicht
aus der Maschinerie selbst erwachsen, sondern aus ihrer kapi-
talistischen Anwendung! Da also die Maschinerie an sich betrachtet
die Arbeitszeit verkürzt, während sie kapitalistisch angewandt den Arbeits-
tag verlängert, an sich die Arbeit erleichtert, kapitalistisch angewandt ihre
Intensivität steigert, an sich ein Sieg des Menschen über die Naturkraft ist,
kapitalistisch angewandt den Menschen durch die Naturkraft unterjocht,
an sich den Reichthum des Producenten vermehrt, kapitalistisch angewandt
ihn verpaupert u. s. w., erklärt der bürgerliche Oekonom einfach, das An-
sichbetrachten der Maschinerie beweise haarscharf, dass alle jene
handgreiflichen Widersprüche blosser Schein der gemeinen Wirklichkeit,
aber an sich, also auch in der Theorie, gar nicht vorhanden sind.
Er spart sich so alles weitere Kopfbrechen und bürdet seinem Gegner
obendrein die Dummheit auf, nicht die kapitalistische Anwen-
dung der Maschinerie zu bekämpfen, sondern die Maschinerie
selbst216).
Da jedes Maschinenprodukt, z. B. eine Elle Maschinengeweb, wohl-
feiler ist als das von ihm verdrängte gleichartige Handprodukt, folgt als
absolutes Gesetz: Bleibt das Gesammtquantum des maschinen-
mässig producirten Artikels gleich dem Gesammtquantum des
von ihm ersetzten handwerks- oder manufakturmässig producirten Artikels,
so vermindert sich die Gesammtsumme der angewandten
Arbeit. Die etwa zur Produktion der Arbeitsmittel selbst, der Maschi-
nerie, Kohle u. s. w., erheischte Arbeitszunahme muss kleiner sein
als die durch Anwendung der Maschinerie bewirkte Arbeitsabnahme.
Das Maschinenprodukt wäre sonst eben so theuer oder theurer als das
Handprodukt. Statt aber gleich zu bleiben, wächst thatsächlich die Ge-
sammtmasse des von einer verminderten Arbeiteranzahl pro-
ducirten Maschinenartikels weit über die Gesammtmasse des verdrängten
Handwerksartikels. Gesetzt 400,000 Ellen Maschinengeweb würden von
weniger Arbeitern producirt als 100,000 Ellen Handgeweb. In dem ver-
vierfachten Produkt steckt viermal mehr Rohmaterial. Die Produktion
des Rohmaterials muss also vervierfacht werden. Was aber die verzehr-
ten Arbeitsmittel, wie Baulichkeiten, Kohlen, Maschinen u. s. w. betrifft,
so ändert sich die Grenze, innerhalb deren die zu ihrer Produktion er-
heischte zusätzliche Arbeit wachsen kann, mit der Differenz
zwischen der Masse des Maschinenprodukts und der Masse des von der-
selben Arbeiterzahl herstellbaren Handprodukts.
Mit der Ausdehnung des Maschinenbetriebs in einem Industriezweig
steigert sich also zunächst die Produktion in den andern Zweigen, die ihm
seine Produktionsmittel liefern. Wie weit dadurch die beschäftigte Arbei-
termasse wächst, hängt, Länge des Arbeitstags und Intensivität der Ar-
beit gegeben, von der Zusammensetzung der verwandten Kapitale ab, d. h.
vom Verhältniss ihrer constanten und variablen Bestandtheile. Diess
Verhältniss seinerseits variirt sehr mit dem Umfang, worin die Maschinerie
jene Gewerbe selbst schon ergriffen hat oder ergreift. Die Anzahl zu
Kohlen- und Metallbergwerken verurtheilter Menschen schwoll ungeheuer
mit dem Fortschritt des englischen Maschinenwesens, obgleich ihr Anwachs
in den letzten Decennien durch Gebrauch neuer Maschinerie für den Berg-
bau verlangsamt wird217). Eine neue Arbeiterart springt mit der Maschine
ins Leben, ihr Producent. Wir wissen bereits, dass der Maschinenbetrieb
sich dieses Produktionszweigs selbst auf stets massenhafterer Stufenleiter be-
mächtigt218). Was ferner das Rohmaterial betrifft219), so unterliegt es
z. B. keinem Zweifel, dass der Sturmmarsch der Baumwollspinnerei den
Baumwollbau der Vereinigten Staaten und mit ihm nicht nur den afrika-
nischen Sklavenhandel treibhausmässig förderte, sondern zugleich die
Negerzucht zum Hauptgeschäft der sogenannten Border slaves states
machte. Als 1790 der erste Sklavencensus in den Vereinigten Staaten
aufgenommen ward, betrug ihre Zahl 697,000, dagegen 1861 ungefähr
vier Millionen. Andrerseits ist es nicht minder gewiss, dass das Auf-
blühen der mechanischen Wollfabrik mit der progressiven Verwandlung
von Ackerland in Schafweide die massenhafte Verjagung und „Ueber-
zähligmachung“ der Landarbeiter hervorrief. Irland untergeht noch in
diesem Augenblick den Prozess, seine seit 20 Jahren beinahe um die
Hälfte verkürzte Bevölkerung noch weiter auf das dem Bedürfniss seiner
Landlords und der englischen Herrn Wollfabrikanten exakt entsprechende
Mass zu reduciren.
Ergreift die Maschinerie eine Vor- oder Zwischenstufe des Gesammt-
cursus, den ein Arbeitsgegenstand bis zu seiner letzten Form zu durch-
laufen hat, so vermehrt sich mit dem Arbeitsmaterial die Arbeitsnachfrage
in den noch handwerks- oder manufakturmässig betriebnen Gewerken,
welche das Maschinenfabrikat weiter formen. Die Maschinenspinnerei
z. B. lieferte das Garn so wohlfeil und so reichlich, dass die Handweber zu-
nächst, ohne vermehrte Auslage, volle Zeit arbeiten konnten. So stieg ihr
Einkommen220). Daher Menschenzufluss in die Baumwollweberei, bis
schliesslich die von Jenny, Throstle und Mule in England z. B. ins Leben
gerufenen 800,000 Baumwollweber wieder vom Dampfwebstuhl er-
schlagen wurden. So wächst mit dem Ueberfluss der maschinenmässig pro-
ducirten Kleidungsstoffe die Zahl der Schneider, Kleidermacherinnen,
Nähterinnen u. s. w., bis die Nähmaschine erscheint.
Entsprechend der steigenden Masse von Rohstoffen, Halbfabrikaten,
Arbeitsinstrumenten u. s. w., die der Maschinenbetrieb mit relativ geringer
Arbeiterzahl liefert, differenzirt sich die Bearbeitung dieser Rohstoffe
und Halbfabrikate in zahllose Unterarten, also die Mannigfaltigkeit der
gesellschaftlichen Produktionszweige. Der Maschinenbetrieb vermehrt die
gesellschaftliche Theilung der Arbeit weit mehr als die Manufaktur,
weil er die Produktivkraft der von ihm ergriffenen Gewerbe ungleich höher
spannt.
Das nächste Resultat der Maschinerie ist den Mehrwerth und zu-
gleich die Produktenmasse, worin er sich darstellt, also mit der Substanz,
wovon die Kapitalistenklasse sammt Anhang zehrt, diese Gesellschafts-
schichten selbst zu vergrössern. Ihr wachsender Reichthum und die relativ
beständig fallende Anzahl der zur Produktion der ersten Lebensmittel er-
heischten Arbeiter, erzeugen mit neuem Luxusbedürfniss zugleich neue
Mittel seiner Befriedigung. Ein grösserer Theil des gesellschaftlichen Pro-
dukts verwandelt sich in Surplusprodukt und ein grösserer Theil des Sur-
plusprodukts wird in verfeinerten und vermannigfachten Formen repro-
ducirt und verzehrt. In andern Worten: Die Luxusproduktion
wächst221). Die Verfeinerung und Vermannigfachung der Produkte ent-
springt ebenso aus den neuen weltmarktlichen Beziehungen, welche die
grosse Industrie schafft. Es werden nicht nur mehr ausländische Genuss-
mittel gegen das heimische Produkt ausgetauscht, sondern es geht auch
eine grössere Masse fremder Rohstoffe, Ingredienzen, Halbfabrikate u. s. w.
als Produktionsmittel in die heimische Industrie ein. Mit denselben welt-
marktlichen Beziehungen steigt die Arbeitsnachfrage in der Transport-
industrie und spaltet sich letztere in zahlreiche neue Unterarten222).
Die Vermehrung von Produktions- und Lebensmitteln durch relativ ab-
nehmende Arbeiterzahl treibt zur Ausdehnung der Arbeit in Industrie-
zweigen, deren Produkte, wie Kanäle, Waarendocks, Tunnels, Brücken
u. s. w. nur in fernerer Zukunft Früchte tragen. Es bilden sich, ent-
weder direkt auf der Grundlage der Maschinerie, oder doch der ihr ent-
sprechenden allgemeinen industriellen Umwälzung, ganz neue Produktions-
zweige und daher neue Arbeitsfelder. Ihr Raumantheil an der Gesammt-
produktion ist jedoch selbst in den meist entwickelten Ländern keineswegs
bedeutend. Die Anzahl der von ihnen beschäftigten Arbeiter steigt im direkten
Verhältniss, worin die Nothwendigkeit rohster Handarbeit reproducirt wird.
Als Hauptindustrieen dieser Art kann man gegenwärtig Gaswerke, Tele-
graphie, Photographie, Dampfschifffahrt und Eisenbahnwesen betrachten.
Der Census von 1861 (für England und Wales) ergiebt in der Gasin-
dustrie (Gaswerke, Produktion der mechanischen Apparate, Agenten
der Gascompagnien u. s. w.) 15,211 Personen, Telegraphie 2399,
Photographie 2366, Dampfschiffdienst 3570 und Eisen-
bahnen 70,599, worunter ungefähr 28,000 mehr oder minder perma-
nent beschäftigte „ungeschickte“ Erdarbeiter nebst dem ganzen admini-
strativen und kommerciellen Personal. Also Gesammtzahl der Individuen
in diesen fünf neuen Industrieen 94,145.
Endlich erlaubt die ausserordentlich erhöhte Produktivkraft in den
Sphären der grossen Industrie, begleitet, wie sie ist, von intensiv und extensiv
gesteigerter Ausbeutung der Arbeitskraft in allen übrigen Produktions-
sphären, einen stets grösseren Theil der Arbeiterklasse unproduktiv zu
verwenden und so namentlich die alten Haussklaven unter dem Namen
der „dienenden Klasse“, wie Bediente, Mägde, Lakaien u. s. w., stets
massenhafter zu reproduciren. Nach dem Census von 1861 zählte die
Gesammtbevölkerung von England und Wales 20,066,244 Personen, wo-
von 9,776,259 männlich und 10,289,965 weiblich. Zieht man hiervon
ab, was zu alt oder zu jung zur Arbeit, alle „unproduktiven“ Weiber,
jungen Personen und Kinder, dann die „ideologischen“ Stände, wie Re-
gierung, Pfaffen, Juristen, Militär u. s. w., ferner alle, deren ausschliess-
liches Geschäft der Verzehr fremder Arbeit in der Form von Grundrente,
Zins u. s. w., endlich Paupers, Vagabunden, Verbrecher u. s. w., so bleiben
in rauher Zahl 8 Millionen beiderlei Geschlechts und der verschiedensten
Altersstufen, mit Einschluss sämmtlicher irgendwie in der Produktion, dem
Handel, der Finanz u. s. w. funktionirenden Kapitalisten. Von diesen
8 Millionen kommen auf:
Rechnen wir die in allen textilen Fabriken Beschäftigten zusammen
mit dem Personal der Kohlen- und Metallbergwerke, so erhalten wir
1,208,442; rechnen wir sie zusammen mit dem Personal aller Metall-
Werke und Manufakturen, so die Gesammtzahl 1,039,605, beidemal
kleiner als die Zahl der modernen Haussklaven. Welch erhebendes Re-
sultat der kapitalistisch exploitirten Maschinerie!
Alle zurechnungsfähigen Repräsentanten der politischen Oekonomie
geben zu, dass neue Einführung der Maschinerie pestartig wirkt auf die Arbei-
ter in den überlieferten Handwerken und Manufakturen, womit sie zunächst
konkurrirt. Fast alle beächzen die Sklaverei des Fabrikarbeiters. Und
was ist der grosse Trumpf, den alle ausspielen? Dass die Maschinerie,
nach der Tortur, wovon ihre Einführung und ihre Entwicklung begleitet
sind, die Arbeitssklaven in letzter Instanz vermehrt, statt sie
schliesslich zu vermindern! Ja, die politische Oekonomie jubelt
sich aus in dem abscheulichen Theorem, abscheulich für jeden „Philan-
throp“, der an die ewige Naturnothwendigkeit der kapitalistischen Produk-
tionsweise glaubt, dass selbst die bereits auf Maschinenbetrieb begründete
Fabrik, nach bestimmter Periode des Wachsthums, nach kürzerer oder
längerer „Uebergangszeit“, mehr Arbeiter abplackt als sie ursprüng-
lich aufs Pflaster warf226)!
Zwar zeigte sich schon an einigen Beispielen, z. B. den englischen
Worsted- und Seidenfabriken, dass auf einem gewissen Entwicklungsgrad
ausserordentliche Ausdehnung von Fabrikzweigen mit nicht nur rela-
tiver, sondern absoluter Abnahme der angewandten Ar-
beiteranzahl verbunden sein kann. Im Jahr 1860, als ein Special-
census aller Fabriken des Vereinigten Königreichs auf Befehl des Parla-
ments aufgenommen ward, zählte die dem Fabrikinspektor R. Baker
zugewiesne Abtheilung der Fabrikdistrikte von Lancashire, Cheshire und
Yorkshire 652 Fabriken; von diesen enthielten 570: Dampfwebstühle
85,622, Spindeln (mit Ausschluss der Dublirspindeln) 6,819,146,
Pferdekraft in Dampfmaschinen 27,439, in Wasserrädern 1390, be-
schäftigte Personen 94,119. Im Jahr 1865 dagegen enthielten die-
selben Fabriken: Webstühle 95,163, Spindeln 7,025,031,
Pferdekraft in Dampfmaschinen 28,925, in Wasserrädern 1445, be-
schäftigte Personen 88,913. Von 1860 bis 1865 betrug also die Zu-
nahme dieser Fabriken an Dampfwebstühlen 11 %, an Spindeln 3 %,
an Dampfpferdekraft 5 %, während gleichzeitig die Zahl der beschäftigten
Personen um 5,5 % abnahm227). Zwischen 1852 und 1862 fand be-
trächtliches Wachsthum der englischen Wollfabrikation statt, wäh-
rend die Zahl der angewandten Arbeiter beinahe stationär blieb. „Diess
zeigt, in wie grossem Masse neu eingeführte Maschinerie die Arbeit vor-
hergehender Perioden verdrängt hatte“228). In empirisch gegebnen
Fällen ist die Zunahme der beschäftigten Fabrikarbeiter oft nur schein-
bar, d. h. nicht der Ausdehnung der bereits auf Maschinenbetrieb be-
ruhenden Fabrik geschuldet, sondern der allmäligen Annexation von Neben-
zweigen. Z. B. „die Zunahme der mechanischen Webstühle und der
durch sie beschäftigten Fabrikarbeiter von 1838—1858 war
in der (britischen) Baumwollfabrik einfach der Ausdehnung dieses
Geschäftszweigs geschuldet; in den andern Fabriken dagegen der
Neuanwendung von Dampfkraft auf den Teppich-, Band-,
Leinenwebstuhl u. s. w., die vorher durch menschliche Muskelkraft ge-
trieben wurden“229). Die Zunahme dieser Fabrikarbeiter war also nur
der Ausdruck einer Abnahme in der Gesammtzahl der beschäftigten Ar-
beiter. Es wird hier endlich ganz davon abgesehen, dass überall, mit
Ausnahme der Metallfabriken, jugendliche Arbeiter (unter 18 Jahren), Weiber
und Kinder das weit vorwiegende Element des Fabrikpersonals bilden.
Man begreift jedoch, trotz der vom Maschinenbetrieb faktisch ver-
drängten und virtuell ersetzten Arbeitermasse, wie mit seinem eignen
Wachsthum, ausgedrückt in vermehrter Anzahl von Fabriken dersel-
ben Art oder den erweiterten Dimensionen vorhandner Fabriken, die Fa-
brikarbeiter schliesslich zahlreicher sein können als die von ihnen ver-
drängten Manufakturarbeiter oder Handwerker. Das wöchentlich ange-
wandte Kapital von 500 Pfd. St. bestehe z. B. in der alten Betriebsweise
aus ⅖ constantem und ⅗ variablem Bestandtheil, d. h. 200 Pfd. St.
seien in Produktionsmitteln ausgelegt, 300 Pfd. St. in Arbeitskraft, sage
1 Pfd. St. per Arbeiter. Mit dem Maschinenbetrieb verwandelt sich die
Zusammensetzung des Gesammtkapitals. Es zerfällt jetzt z. B. in ⅘
constanten und ⅕ variablen Bestandtheil, oder es werden nur noch 100
Pfd. St. in Arbeitskraft ausgelegt. Zwei Drittel der früher beschäftigten
Arbeiter werden also entlassen. Dehnt sich dieser Fabrikbetrieb aus und
wächst, bei sonst gleichbleibenden Produktionsbedingungen, das ange-
wandte Gesammtkapital von 500 auf 1500, so werden jetzt 300 Arbeiter
beschäftigt, so viele wie vor der industriellen Revolution. Wächst das
angewandte Kapital weiter auf 2000, so werden 400 Arbeiter beschäf-
tigt, also ⅓ mehr als mit der alten Betriebsweise. Absolut ist die an-
gewandte Arbeiterzahl um 100 gestiegen, relativ, d. h. im Verhältniss
zum vorgeschossnen Gesammtkapital, ist sie um 800 gefallen, denn das
Kapital von 2000 Pfd. St. hätte in der alten Betriebsweise 1200 statt
400 Arbeiter beschäftigt. Relative Abnahme der beschäftigten Ar-
beiterzahl verträgt sich also mit ihrer absoluten Zunahme. Es
wurde oben angenommen, dass mit dem Wachsthum des Gesammtkapitals
seine Zusammensetzung constant bleibt, weil die Produktionsbedingungen.
Man weiss aber bereits, dass mit jedem Fortschritt des Maschinenwesens
der constante, aus Maschinerie, Rohmaterial u. s. w. bestehende Kapital-
theil wächst, während der variable, in Arbeitskraft ausgelegte fällt, und
man weiss zugleich, dass in keiner Betriebsweise die Verbesserung so con-
stant, daher die Zusammensetzung des Gesammtkapitals so variabel ist.
Dieser beständige Wechsel ist aber ebenso beständig unterbrochen durch
Ruhepunkte und bloss quantitative Ausdehnung auf gegebner tech-
nologischer Grundlage. Damit wächst die Anzahl der beschäftigten Ar-
beiter. So betrug die Anzahl aller Arbeiter in den Baumwoll-, Woll-,
Worsted-, Flachs- und Seidenfabriken des Vereinigten Königreichs 1835 nur
354,684, während 1861 allein die Zahl der Dampfweber (beiderlei Ge-
schlechts und der verschiedensten Altersstufen vom 8. Jahr an) 230,654
betrug. Allerdings erscheint diess Wachsthum minder gross, wenn man
erwägt, dass die britischen Handbaumwollweber mit den von ihnen selbst
beschäftigten Familien 1838 noch 800,000 zählten230), ganz abgesehn
von den in Asien und auf dem europäischen Kontinent Deplacirten.
In den wenigen Bemerkungen, die über diesen Punkt noch zu machen,
berühren wir zum Theil rein thatsächlich, so zu sagen exote-
risch, Verhältnisse, wozu unsre theoretische Darstellung selbst noch
nicht geführt hat.
So lange sich der Maschinenbetrieb in einem Industriezweig auf
Kosten des überlieferten Handwerks oder der Manufaktur ausdehnt, sind
seine Erfolge so sicher, wie etwa der Erfolg einer mit dem Zündnadelge-
wehr bewaffneten Armee gegen eine Armee von Bogenschützen wäre.
Diese erste Periode, worin die Maschine erst ihren Wirkungskreis erobert,
ist entscheidend wichtig wegen der ausserordentlichen Profite, die sie pro-
duciren hilft. Diese bilden nicht nur an und für sich eine Quelle beschleu-
nigter Akkumulation, sondern ziehn grossen Theil des beständig neuge-
bildeten und nach neuer Anlage drängenden gesellschaftlichen Zusatzkapi-
tals in die begünstigte Produktionssphäre. Die besondern Vortheile der
ersten Sturm- und Drangperiode wiederholen sich beständig in den Pro-
duktionszweigen, worin die Maschinerie neu eingeführt wird. Sobald
aber das Fabrikwesen eine gewisse Breite des Daseins und bestimmten
Reifegrad gewonnen hat, sobald namentlich seine eigne technologische
Grundlage, die Maschinerie, selbst wieder durch Maschinen producirt wird,
sobald Kohlen- und Eisengewinnung, wie die Verarbeitung der Metalle
und das Transportwesen revolutionirt, überhaupt die der grossen Industrie
entsprechenden allgemeinen Produktionsbedingungen hergestellt sind, er-
wirbt diese Betriebsweise eine Elasticität, eine plötzliche sprung-
weise Ausdehnungsfähigkeit, die nur an dem Rohmaterial und
dem Absatzmarkt Schranken findet. Die Maschinerie bewirkt einerseits
direkte Vermehrung des Rohmaterials, wie z. B. der cotton gin die Baum-
wollproduktion vermehrte231). Andrerseits sind Wohlfeilheit des Maschi-
nenprodukts und das umgewälzte Transport- und Kommunikationswesen
Waffen zur Eroberung fremder Märkte. Durch den Ruin ihres handwerks-
mässigen Produkts verwandelt der Maschinenbetrieb sie zwangsweise in
Produktionsfelder seines Rohmaterials. So wurde Ostindien zur Produk-
tion von Baumwolle, Wolle, Hanf, Jute, Indigo u. s. w. für Grossbritanien
gezwungen232). Die beständige „Ueberzähligmachung“ der Arbeiter in
den Ländern der grossen Industrie befördert treibhausmässige Auswande-
rung und Kolonisation fremder Länder, die sich in Pflanzstätten für das
Rohmaterial des Mutterlands verwandeln, wie Australien z. B. in eine
Pflanzstätte von Wolle233). Es wird eine neue, den Hauptsitzen des Ma-
schinenbetriebs entsprechende internationale Theilung der Arbeit ge-
schaffen, die einen Theil des Erdballs in vorzugsweis agrikoles Produk-
tionsfeld für den andern als vorzugsweis industrielles Produktionsfeld
umwandelt. Diese Revolution hängt zusammen mit Umwälzungen in der
Agrikultur, die hier noch nicht weiter zu erörtern sind234).
Die ungeheure, stossweise Ausdehnbarkeit des Fabrikwesens und
seine Abhängigkeit vom Weltmarkt erzeugen nothwendig fieberhafte Pro-
duktion und darauf folgende Ueberfüllung der Märkte, mit deren Kontrak-
tion Lähmung eintritt. Das Leben der Industrie verwandelt sich in eine
Reihenfolge von Perioden mittlerer Lebendigkeit, Prosperität, Ueberpro-
duktion, Krise und Stagnation. Die Unsicherheit und Unstätigkeit, denen
der Maschinenbetrieb die Beschäftigung und damit die Lebenslage des Ar-
beiters unterwirft, werden normal mit diesem Periodenwechsel des indu-
striellen Cyklus. Die Zeiten der Prosperität abgerechnet, rast zwischen
den Kapitalisten heftigster Kampf um ihren individuellen Raumantheil am
Markt. Dieser Antheil steht in direktem Verhältniss zur Wohlfeilheit des
Produkts. Ausser der hierdurch erzeugten Rivalität im Gebrauch ver-
besserter, Arbeiter ersetzender Maschinerie und neuer Produktionsmethoden,
tritt jedesmal ein Punkt ein, wo Verwohlfeilerung der Waare durch ge-
waltsamen Druck des Arbeitslohnes unter den Werth der Arbeitskraft er-
strebt wird235).
Wachsthum in der Anzahl der Fabrikarbeiter ist also bedingt durch
proportionell viel rascheres Wachsthum des in den Fabriken ange-
legten Gesammtkapitals. Dieser Prozess vollzieht sich aber nur inner-
halb der Ebb- und Fluthperioden des industriellen Cyklus. Er wird zudem
stets unterbrochen durch den technologischen Fortschritt, der Arbeiter bald
virtuell ersetzt, bald faktisch verdrängt. Dieser qualitative Wech-
sel im Maschinenbetrieb entfernt beständig Arbeiter aus der Fabrik oder
verschliesst ihr Thor dem neuen Rekrutenstrom, während die bloss quanti-
tative Ausdehnung der Fabriken neben den Herausgeworfenen frische
Kontingente verschlingt. Die Arbeiter werden so fortwährend repellirt
und attrahirt, hin- und hergeschleudert, und diess bei beständigem Wechsel
in Geschlecht, Alter und Geschick der Angeworbenen.
Die Schicksale des Fabrikarbeiters werden am besten veranschaulicht
durch raschen Ueberblick der Schicksale der englischen Baum-
wollindustrie.
Von 1770 bis 1815 Baumwollindustrie gedrückt oder stagnant
5 Jahre. Während dieser ersten 45jährigen Periode besassen die eng-
lischen Fabrikanten das Monopol der Maschinerie und des Weltmarkts.
1815 bis 1821 gedrückt, 1822 und 1823 prosperirend, 1824
Aufhebung der Kombinationsgesetze, allgemeine grosse Ausdehnung
der Fabriken, 1825 Krise, 1826 grosses Elend und Aufstände unter den
Baumwollarbeitern, 1827 leise Besserung, 1828 grosser Anwachs von
Dampfwebstühlen und Ausfuhr, 1829 die Ausfuhr, besonders nach In-
dien, übergipfelt alle früheren Jahre, 1830 überfüllte Märkte, grosser
Nothstand, 1831 bis 1833 fortdauernder Druck; der Handel nach Ost-
asien (Indien und China) wird dem Monopol der ostindischen Kompagnie
entzogen. 1834 grosses Wachsthum von Fabriken und Maschinerie,
Mangel an Händen. Das neue Armengesetz befördert die Wande-
rung der Landarbeiter in die Fabrikdistrikte. Fegung der ländlichen
Grafschaften von Kindern. Weisser Sklavenhandel. 1835 grosse Pros-
perität. Gleichzeitige Todhungerung der Baumwollhandweber. 1836
grosse Prosperität. 1837 und 1838 gedrückter Zustand und Krise.
1839 Wiederaufleben. 1840 grosse Depression, Aufstände, Einschrei-
ten des Militärs. 1841 und 1842 furchtbares Leiden der Fabrikarbeiter.
1842 schliessen die Fabrikanten die Hände von den Fabriken aus, um den
Widerruf der Korngesetze zu erzwingen. Die Arbeiter strömen zu vielen Tau-
senden nach Yorkshire, vom Militär zurückgetrieben, ihre Führer vor’s
Gericht zu Lancaster gestellt. 1843 grosses Elend. 1844 Wieder-
aufleben. 1845 grosse Prosperität. 1846 erst fortdauernder Auf-
schwung, dann Symptome der Reaktion. Widerruf der Kornge-
setze. 1847 Krise. Allgemeine Herabsetzung der Löhne um 10 und
mehr Procent zur Feier des „big loaf“. 1848 fortdauernder Druck.
Manchester unter militärischem Schutz. 1849 Wiederaufleben. 1850
Prosperität. 1851 fallende Waarenpreise, niedrige Löhne, häufige
Strikes. 1852 beginnende Verbesserung, Fortdauer der Strikes, Fabri-
kanten drohn mit Import fremder Arbeiter. 1853 steigende Ausfuhr.
Achtmonatlicher Strike und grosses Elend zu Preston. 1854 Prosperi-
tät, Ueberfüllung der Märkte. 1855 Berichte von Bankerotten strömen
ein aus den Vereinigten Staaten, Kanada, ostasiatischen Märkten. 1856
grosse Prosperität. 1857 Krise. 1858 Verbesserung. 1859 grosse
Prosperität, Zunahme der Fabriken. 1860 Zenith der englischen Baum-
wollindustrie. Indische, australische und andere Märkte so überführt,
dass sie noch 1863 kaum den ganzen Quark absorbirt haben. Franzö-
sischer Handelsvertrag. Enormes Wachsthum von Fabriken und
Maschinerie. 1861 Aufschwung dauert Zeitlang fort, Reaktion, ameri-
kanischer Bürgerkrieg, Baumwollnoth. 1862 bis 63 vollständiger Zu-
sammenbruch.
Die Geschichte des cotton famine ist zu charakteristisch, um nicht
einen Augenblick dabei zu verweilen. Aus den Andeutungen über die
Zustände des Weltmarkts 1860 bis 61 ersieht man, dass die Baumwoll-
noth den Fabrikanten gelegen kam und zum Theil vortheilhaft war, eine
Thatsache anerkannt in Berichten der Manchester Handelskammer, im Par-
lament von Palmerston und Derby proklamirt, durch die Ereignisse be-
stätigt236). Allerdings gab es 1861 unter den 2887 Baumwollfabriken
des Vereinigten Königreichs viel kleine. Nach dem Bericht des Fabrik-
inspektors A. Redgrave, dessen Verwaltungsbezirk von jenen 2887
Fabriken 2109 einschliesst, wendeten von letztern 392 oder 19 % nur
unter 10 Dampf-Pferdekraft an, 345 oder 16 % 10 und unter 20, und
1372 20 und mehr Pferdekraft237). Die Mehrzahl der kleinen Fabriken
waren Webereien, während der Prosperitätsperiode seit 1858 errichtet,
meist durch Spekulanten, wovon der eine das Garn, der andre die Maschi-
nerie, der dritte die Baulichkeit lieferte, unter dem Betrieb ehemaliger
overlookers oder andrer unbemittelter Leute. Diese kleinen Fabri-
kanten gingen meist unter. Dasselbe Schicksal hätte ihnen die durch das
Baumwollpech verhinderte Handelskrise bereitet. Obgleich sie ⅓ der
Fabrikantenzahl bildeten, absorbirten ihre Fabriken einen ungleich geringeren
Theil des in der Baumwollindustrie angelegten Kapitals. Was den Um-
fang der Lähmung betrifft, so standen nach den authentischen Schätzungen
im Oktober 1862 60.3 % der Spindeln und 58 % der Webstühle still.
Diess bezieht sich auf den ganzen Industriezweig und war natürlich sehr
modificirt in den einzelnen Distrikten. Nur sehr wenige Fabriken arbei-
teten volle Zeit (60 Stunden per Woche), die übrigen mit Unterbrechungen.
Selbst für die wenigen Arbeiter, die volle Zeit und zu dem gewohn-
ten Stücklohn beschäftigt, schmälerte sich nothwendig der Wochen-
lohn in Folge der Ersetzung besserer Baumwolle durch schlechtere, der
South Sea Island durch ägyptische (in Feinspinnereien), amerikanischer
und ägyptischer durch Surat (ostindisch), und reiner Baumwolle durch
Mischungen von Baumwollabfall mit Surat. Die kürzere Fiber der Surat-
baumwolle, ihre schmutzige Beschaffenheit, die grössere Brüchigkeit der
Fäden, der Ersatz des Mehls durch alle Art schwerer Ingredienzen beim
Schlichten des Kettengarns u. s. w. verminderten die Geschwindigkeit der
Maschinerie oder die Zahl der Webstühle, die ein Weber überwachen konnte,
vermehrten die Arbeit mit den Irrthümern der Maschine und beschränkten
mit der Produktenmasse den Stücklohn. Beim Gebrauch von Surat und
mit voller Beschäftigung belief sich der Verlust des Arbeiters auf
20, 30 und mehr Procent. Die Mehrzahl der Fabrikanten setzte aber
auch die Rate des Stücklohns um 5, 7½ und 10 Procent herab.
Man begreift daher die Lage der nur 3, 3½, 4 Tage wöchentlich
oder nur 6 Stunden per Tag Beschäftigten. Nachdem schon eine rela-
tive Verbesserung eingetreten war, 1863, für Weber, Spinner u. s. w.
Wochenlöhne von 3 sh. 4 d., 3 sh. 10 d., 4 sh. 6 d., 5 sh. 1 d. u. s. w.238).
Selbst unter diesen qualvollen Zuständen stand der Erfindungs-
geist des Fabrikanten in Lohnabzügen nicht still. Diese wurden
zum Theil verhängt als Strafe für die seiner schlechten Baumwolle, unpas-
senden Maschinerie u. s. w. geschuldeten Fehler des Machwerks. Wo der
Fabrikant aber Eigenthümer der cottages der Arbeiter, vergütete er sich
selbst für Hausrente durch Abzüge vom nominellen Arbeitslohn. Fabrik-
inspektor Redgrave erzählt von self-acting minders (sie über-
wachen ein paar self-acting mules), die „am Ende vierzehntägi-
ger voller Arbeit 8 sh. 11 d. verdienten und von dieser Summe
wurde die Hausrente abgezogen, wovon der Fabrikant jedoch die Hälfte
als Geschenk zurückgab, so dass die minders volle 6 sh. 11 d. nach
Hause trugen. Der Wochenlohn der Weber rangirte von 2 sh. 6 d. auf-
wärts während der Schlusszeit von 1862“239). „Selbst dann wurde die
Hausmiethe von den Löhnen häufig abgezogen, wenn die Hände nur kurze
Zeit arbeiteten“240). Kein Wunder, dass in einigen Theilen Lancashire’s
eine Art Hungerpest ausbrach! Charakteristischer als alles diess aber
war es, wie die Revolutionirung des Produktionsprozesses
auf Kosten des Arbeiters vor sich ging. Es waren förmliche experimenta
in corpore vili, wie die der Anatomen an Fröschen. „Obgleich ich,“
sagt Fabrikinspektor Redgrave, „die wirklichen Einnahmen der Arbeiter in
vielen Fabriken gegeben habe, muss man nicht schliessen, dass sie den-
selben Betrag Woche für Woche beziehn. Die Arbeiter erliegen den
grössten Fluktuationen wegen des beständigen Experimenta-
lisirens („experimentalizing“) der Fabrikanten … ihre Löhne
steigen und fallen mit der Qualität des Baumwollgemischs; bald nähern
sie sich um 15 % ihren früheren Einnahmen, und die nächste oder zweit-
folgende Woche fallen sie um 50 bis 60 %“241). Diese Experimente
wurden nicht nur auf Kosten der Lebensmittel der Arbeiter gemacht. Mit
allen ihren fünf Sinnen hatten sie zu büssen. „Die im Oeffnen der Baum-
wollballen Beschäftigten unterrichten mich, dass der unerträgliche Gestank
sie übel macht … Den in den Misch-, Scribbling- und Kardirräumen An-
gewandten irritirt der freigesetzte Staub und Schmutz alle Kopföffnungen,
erregt Husten und Schwierigkeit des Athmens … Wegen der Kürze der
Fiber wird dem Garn beim Schlichten eine grosse Menge Stoff zugesetzt
und zwar allerlei Substitute statt des früher gebrauchten Mehls. Daher
Uebelkeit und Dispepsie der Weber. Bronchitis herrscht vor wegen des
Staubs, ebenso Halsentzündung, ferner eine Hautkrankheit in Folge der Irri-
tation der Haut durch den im Surat enthaltenen Schmutz.“ Andrerseits waren
die Substitute für Mehl ein Fortunatussäckel für die Herrn Fabrikanten
durch Vermehrung des Garngewichts. Sie machten „15 Pfund Rohmate-
rial, wenn verwebt, 20 Pfund wiegen“242). In dem Bericht der Fabrik-
inspektoren vom 30. April 1864 liest man: „Die Industrie ver-
werthet diese Hilfsquelle jetzt in wahrhaft unanständigem Mass. Ich weiss
von guter Autorität, dass achtpfündiges Geweb von 5¼ Pfund Baumwolle
und 2¾ Pfund Schlichte gemacht wird. Ein andres 5¼pfündiges
Geweb enthielt zwei Pfund Schlichte. Diess waren ordinäre Shirtings
für den Export. In andern Arten wurden manchmal 50 % Schlichte
zugesetzt, so dass Fabrikanten sich rühmen können und sich auch
wirklich rühmen, dass sie reich werden durch den Verkauf von
Geweben für weniger Geld als das nominell in ihnen enthaltene
Garn kostet“243). Die Arbeiter aber hatten nicht nur unter den Ex-
perimenten der Fabrikanten in den Fabriken, und der Municipalitäten
ausserhalb der Fabriken, nicht nur von Lohnherabsetzung und Arbeits-
losigkeit, von Mangel und Almosen, von den Elogen der Lords und Unter-
häusler zu leiden. „Unglückliche Frauenzimmer, beschäftigungslos in
Folge der Baumwollnoth, wurden Auswürflinge der Gesellschaft und blie-
ben es ‥ Die Zahl junger Prostituirten hat mehr zugenommen als seit den
letzten 25 Jahren“244).
Man findet also in den ersten 45 Jahren der britischen Baumwoll-
industrie, von 1770—1815, nur 5 Jahre der Krise und Stagnation, aber
diess war die Periode ihres Weltmonopols. Die zweite 48jährige Periode
von 1815—1863 zählt nur 20 Jahre des Wiederauflebens und der Pros-
perität auf 28 Jahre des Drucks und der Stagnation. Von 1815—1830
beginnt die Konkurrenz mit dem kontinentalen Europa und den Vereinigten
Staaten. Seit 1833 wird Ausdehnung der asiatischen Märkte erzwungen
durch „Zerstörung der Menschenrace“. Seit Widerruf der Korngesetze,
von 1846—1863, auf 8 Jahre mittlerer Lebendigkeit und Prosperität
9 Jahre Druck und Stagnation. Die Lage der erwachsnen männlichen
Baumwoll-Arbeiter, selbst während der Prosperitätszeit, zu beurtheilen
aus der beigefügten Note245).
Man hat gesehn, wie die Maschinerie die auf dem Handwerk beruhende
Cooperation und die auf Theilung der handwerksmässigen Arbeit beruhende
Manufaktur aufhebt. Ein Beispiel der ersten Art ist die Mähmaschine,
sie ersetzt die Cooperation von Mähern. Ein schlagendes Beispiel der zwei-
ten Art ist die Maschine zur Fabrikation von Nähnadeln. Nach Adam
Smith verfertigten zu seiner Zeit 10 Männer durch Theilung der Arbeit
täglich über 48,000 Nähnadeln. Eine einzige Maschine liefert dagegen
145,000 in einem Arbeitstag von 11 Stunden. Eine Frau oder ein
Mädchen überwacht im Durchschnitt 4 solche Maschinen und producirt
daher mit der Maschinerie täglich an 600,000, in der Woche über 3,000,000
Nähnadeln246). Sofern eine einzelne Arbeitsmaschine an die Stelle
der Cooperation oder der Manufaktur tritt, kann sie selbst wieder zur
Grundlage handwerksmässigen Betriebs werden. Indess bildet diese
auf Maschinerie beruhende Reproduktion des Handwerksbetriebs nur den
Uebergang zum Fabrikbetrieb, der in der Regel jedesmal eintritt, so-
bald mechanische Triebkraft, Dampf oder Wasser, die menschlichen
Muskeln in der Bewegung der Maschine ersetzt. Sporadisch und eben-
falls nur vorübergehend kann kleiner Betrieb sich verbinden mit mecha-
nischer Triebkraft durch Miethe des Dampfs, wie in einigen Manufakturen
Birmingham’s, durch Gebrauch kleiner kalorischer Maschinen, wie in ge-
wissen Zweigen der Weberei u. s. w.247). In der Seidenweberei zu Coven-
try entwickelte sich naturwüchsig das Experiment der „Cottage-Fa-
briken“. In der Mitte von Cottage-Reihen, quadratmässig gebaut,
wurde ein s. g. Engine House errichtet für die Dampfmaschine und diese
durch Schäfte mit den Webstühlen in den cottages verbunden. In allen
Fällen war der Dampf gemiethet, z. B. zu 2½ sh. per Webstuhl. Diese
Dampfrente war wöchentlich zahlbar, die Webstühle mochten laufen oder
nicht. Jede cottage enthielt 2—6 Webstühle, den Arbeitern gehörig,
oder auf Kredit gekauft, oder gemiethet. Der Kampf zwischen der
Cottage-Fabrik und der Fabrik per se währte über 12 Jahre. Er hat ge-
endet mit dem gänzlichen Ruin der 300 cottage factories248). Wo die
Natur des Prozesses nicht von vorn herein Produktion auf grosser Stufen-
leiter bedang, durchliefen in der Regel die in den letzten Decennien neu
aufkommenden Industrieen, wie z. B. Enveloppe-, Stahlfedermachen u. s. w.,
erst den Handwerksbetrieb und dann den Manufakturbetrieb als kurzlebige
Uebergangsphasen zum Fabrikbetrieb. Diese Metamorphose bleibt dort am
schwierigsten, wo die manufakturmässige Produktion des Machwerks
keine Stufenfolge von Entwicklungsprozessen, sondern eine Vielheit disparater
Prozesse einschliesst. Diess bildete z. B. ein grosses Hinderniss der Stahl-
federfabrik. Jedoch wurde schon vor ungefähr anderthalb Decennien ein
Automat erfunden, der 6 disparate Prozesse auf einen Schlag verrichtet.
Das Handwerk lieferte die ersten 12 Dutzend Stahlfedern 1820 zu
7 Pfd. St. 4 sh., die Manufaktur lieferte sie 1830 zu 8 sh., und die
Fabrik liefert sie heute dem Grosshandel zu 2 bis 6 d.249)
Mit der Entwicklung des Fabrikwesens und der sie begleitenden Umwäl-
zung der Agrikultur dehnt sich nicht nur die Produktionsleiter in allen
andern Industriezweigen aus, sondern verändert sich auch ihr
Charakter. Das Princip des Maschinenbetriebs, den Produktionspro-
zess in seine konstituirenden Phasen zu analysiren und die so gegebnen
Probleme durch Anwendung der Mechanik, Chemie u. s. w., kurz der
Naturwissenschaften zu lösen, wird überall bestimmend. Maschinerie
drängt sich daher bald für diesen, bald für jenen Theilprozess in die Manu-
fakturen. Die feste Krystallisation ihrer Gliederung, der alten Thei-
lung der Arbeit entstammend, löst sich damit auf und macht fortwähren-
dem Wechsel Platz. Abgesehn hiervon wird die Zusammensetzung des
Gesammtarbeiters oder des kombinirten Arbeitspersonals von Grund aus umge-
wälzt. Im Gegensatz zur Manufakturperiode gründet sich der Plan
der Arbeitstheilung jetzt auf Anwendung der Weiberarbeit, der Arbeit
von Kindern aller Altersstufen, ungeschickter Arbeiter, wo es immer thubar,
kurz der „cheap labour“, wohlfeilen Arbeit, wie der Engländer sie cha-
rakteristisch nennt. Diess gilt nicht nur für alle auf grosser Stufen-
leiter kombinirte Produktion, ob sie Maschinerie anwende oder
nicht, sondern auch für die s. g. Hausindustrie, ob ausgeübt in den
Privatwohnungen der Arbeiter oder in kleinen Werkstätten. Diese s. g.
moderne Hausindustrie hat mit der altmodischen, die unabhängiges städti-
sches Handwerk, selbstständige Bauernwirthschaft und vor allem ein
Haus der Arbeiterfamilie voraussetzt, nichts gemein als den
Namen. Sie ist jetzt verwandelt in das auswärtige Departement
der Fabrik, der Manufaktur oder des Waarenmagazins.
Neben den Fabrikarbeitern, Manufakturarbeitern und Handwerkern, die es
in grossen Massen räumlich koncentrirt und direkt kommandirt, bewegt
das Kapital durch unsichtbare Fäden eine andre Armee in den grossen
Städten und über das flache Land zerstreuter Hausarbeiter. Beispiel: die
Hemdenfabrik der Herrn Tillie zu Londonderry, Irland, die 1000 Fabrik-
arbeiter und 9000 auf dem Land zerstreute Hausarbeiter beschäftigt250).
Die Exploitation wohlfeiler und unreifer Arbeitskräfte wird in der
modernen Manufaktur schamloser als in der eigentlichen
Fabrik, weil die hier existirende, technologische Grundlage, Ersatz der
Muskelkraft durch Maschinen und Leichtigkeit der Arbeit, dort grossentheils
wegfällt, zugleich der weibliche oder noch unreife Körper den Einflüssen
giftiger Substanzen u. s. w. aufs gewissenloseste preisgegeben wird. Sie
wird in der s. g. Hausarbeit schamloser als in der Manufaktur, weil
die Widerstandsfähigkeit der Arbeiter mit ihrer Zersplitterung abnimmt,
eine ganze Reihe räuberischer Parasiten sich zwischen den eigentlichen
Arbeitgeber und den Arbeiter drängt, die Hausarbeit überall mit Maschi-
nen- oder wenigstens Manufakturbetrieb in demselben Produktionszweig
kämpft, die Armuth den Arbeiter der nöthigsten Arbeitsbedingungen,
Raum, Licht, Ventilation u. s. w. beraubt, die Unregelmässigkeit der Be-
schäftigung wächst, und endlich in diesen letzten Zufluchtsstätten der durch
die grosse Industrie und Agrikultur „überzählig“ Gemachten die Arbeiter-
konkurrenz nothwendig ihr Maximum erreicht. Die durch den Maschinen-
betrieb erst systematisch ausgebildete Oekonomisirung der Produk-
tionsmittel, von vorn herein zugleich rücksichtsloseste Verschwen-
dung der Arbeitskraft und Raub an den normalen Voraussetzun-
gen der Arbeitsfunktion, kehrt jetzt diese ihre antagonistische und men-
schenmörderische Seite um so mehr heraus, je weniger in einem Industrie-
zweig die gesellschaftliche Produktivkraft der Arbeit und
die technologische Grundlage kombinirter Arbeitsprozesse
entwickelt sind.
Ich will nun an einigen Beispielen die oben aufgestellten Sätze er-
läutern. Der Leser kennt in der That schon massenhafte Belege aus dem
Abschnitt über den Arbeitstag. Die Metallmanufakturen in Birming-
ham und Umgegend wenden grossentheils für sehr schwere Arbeit 30,000
Kinder und junge Personen nebst 10,000 Weibern an. Man findet sie
hier in den gesundheitswidrigen Gelbgiessereien, Knopffabriken, Glasur-,
Galvanisirungs- und Lackirarbeiten251). Die Arbeitsexcesse für Erwachsne
und Unerwachsne haben verschiedenen Londoner Zeitungs- und Buch-
druckereien den rühmlichen Namen: „Das Schlachthaus“ ge-
sichert251a). Dieselben Excesse, deren Schlachtopfer hier namentlich Weiber,
Mädchen und Kinder, in der Buchbinderei. Schwere Arbeit für
Unerwachsne in den Seilereien, Nachtarbeit in Salzwerken, Lichter- und
andren chemischen Fabriken; mörderischer Verbrauch von Jungen in
Seidenwebereien, die nicht mechanisch betrieben werden, zum Drehen der
Webstühle252). Eine der infamsten, schmutzigsten und schlecht bezahlte-
sten Arbeiten, wozu mit Vorliebe junge Mädchen und Weiber verwandt
werden, ist das Sortiren der Lumpen. Man weiss, dass Gross-
britanien, abgesehn von seinen eignen unzähligen Lumpen, das Emporium für
den Lumpenhandel der ganzen Welt bildet. Sie strömen dahin von Japan,
den entferntesten Staaten Südamerikas und den kanarischen Inseln. Ihre
Hauptzufuhrquellen aber sind Deutschland, Frankreich, Russland, Italien,
Aegypten, Türkei, Belgien und Holland. Sie dienen zur Düngung, Fabri-
kation von Flocken (für Bettzeug), Shoddy, und als Rohmaterial des Pa-
piers. Die weiblichen Lumpensortirer dienen als Mediums, um Pocken
und andre ansteckende Seuchen, deren erste Opfer sie selbst sind, zu col-
portiren253). Als klassisches Beispiel für Ueberarbeit, schwere und un-
passende Arbeit, und daher folgende Brutalisirung der von Kindesbeinen
an konsumirten Arbeiter kann, neben der Minen- und Kohlenproduktion,
die Ziegel- oder Backsteinmacherei gelten, wozu in England
nur noch sporadisch die neuerfundne Maschinerie angewandt wird. Zwi-
schen Mai und September dauert die Arbeit von 5 Uhr Morgens bis
8 Uhr Abends, und, wo Trocknung in freier Luft stattfindet, oft von 4 Uhr
Morgens bis 9 Uhr Abends. Der Arbeitstag von 5 Uhr Morgens bis
7 Uhr Abends gilt für „reducirt“, „mässig“. Kinder beiderlei Geschlechts
werden vom 6. und selbst vom 4. Jahr an verwandt. Sie arbeiten die-
selbe Stundenzahl, oft mehr als die Erwachsnen. Die Arbeit ist hart
und die Sommerhitze steigert noch die Erschöpfung. In einer Ziegelei zu
Mosley z. B. machte ein 24jähriges Mädchen 2000 Ziegel täglich, unter-
stützt von zwei unerwachsnen Mädchen als Gehilfen, welche den Lehm
trugen und die Ziegelsteine aufhäuften. Diese Mädchen schleppten täg-
lich 10 Tonnen die schlüpfrigen Seiten der Ziegelgrube von einer Tiefe von
30 Fuss herauf und über eine Entfernung von 210 Fuss. „Es ist un-
möglich für ein Kind durch das Fegfeuer einer Ziegelei zu passiren ohne
grosse moralische Degradation. . . . Die nichtswürdige Sprache, die sie
vom zartesten Alter an zu hören bekommen, die unfläthigen, unanständigen
und schamlosen Gewohnheiten, unter denen sie unwissend und verwildert
aufwachsen, machen sie für die spätere Lebenszeit gesetzlos, verworfen,
liederlich. . . . Eine furchtbare Quelle der Demoralisation ist die Art der
Wohnlichkeit. Jeder moulder (der eigentlich geschickte Arbeiter und
Chef einer Arbeiterg ruppe) liefert seiner Bande von 7 Personen Logis und
Tisch in seiner Hütte oder cottage. Ob zu seiner Familie gehörig oder
nicht, Männer, Jungen, Mädchen schlafen in der Hütte. Diese besteht
gewöhnlich aus 2, nur ausnahmsweis aus 3 Zimmern, alle auf dem Erdge-
schoss, mit wenig Ventilation. Die Körper sind so erschöpft durch die
grosse Transpiration während des Tags, dass weder Gesundheitsregeln,
Reinlichkeit noch Anstand irgendwie beobachtet werden. Viele dieser
Hütten sind wahre Modelle von Unordnung, Schmutz und Staub. . . . Das
grösste Uebel des Systems, welches junge Mädchen zu dieser Art Arbeit
verwendet, besteht darin, dass es sie in der Regel von Kindheit an für ihr
ganzes späteres Leben an das verworfenste Gesindel festkettet. Sie wer-
den rohe, bösmäulige Buben („rough, foul-mouthed boys“), bevor die
Natur sie gelehrt hat, dass sie Weiber sind. Gekleidet in wenige
schmutzige Lumpen, die Beine weit über das Knie entblösst, Haar und
Gesicht mit Dreck beschmiert, lernen sie alle Gefühle der Bescheidenheit
und der Scham mit Verachtung behandeln. Während der Essenszeit lie-
gen sie auf den Feldern ausgestreckt oder gucken den Jungen zu, die in
einem benachbarten Kanal baden. Ist ihr schweres Tagwerk endlich voll-
bracht, so ziehn sie bessere Kleider an und begleiten die Männer in Bier-
kneipen.“ Dass die grösste Versoffenheit von Kindesbeinen an in dieser
ganzen Klasse herrscht, ist nur naturgemäss. „Das Schlimmste ist, dass
die Ziegelmacher an sich selbst verzweifeln. Sie könnten, sagte einer der
Besseren zum Kaplan von Southallfields, ebensowohl versuchen den Teufel
zu erheben und zu bessern als einen Ziegler, mein Herr!“ („You might as
well try to raise and improve the devil as a brickie, Sir!“)254)
Ueber die kapitalistische Oekonomisirung der Arbeits-
bedingungen in der modernen Manufaktur (worunter hier alle
Werkstätten auf grosser Stufenleiter, ausser eigentlichen Fabriken, zu
verstehn) findet man officielles und reichlichstes Material in dem IV. (1861)
und VI. (1864) „Public Health Report“. Die Beschreibung der
workshops (Arbeitslokale) namentlich der Londoner Drucker und Schnei-
der überbietet die ekelhaftesten Phantasieen unsrer Romanschreiber. Die
Wirkung auf den Gesundheitszustand der Arbeiter ist selbstverständlich.
Dr. Simon, der oberste ärztliche Beamte des Privy Council und officielle
Herausgeber der „Public Health Reports“, sagt u. a.: „In meinem vierten
Bericht (1863) zeigte ich, wie es für die Arbeiter praktisch unmöglich ist
darauf zu bestehen, was ihr erstes Gesundheitsrecht ist, das Recht,
dass zu welchem Werk immer ihr Anwender sie versammelt, die Arbeit,
so weit es von ihm abhängt, von allen vermeidbaren gesundheitswidrigen
Umständen befreit sein soll. Ich wies nach, dass während die Arbeiter
praktisch unfähig sind, sich selbst diese Gesundheitsjustiz zu verschaffen, sie
keinen wirksamen Beistand von den bestallten Administratoren der Gesund-
heitspolizei erlangen können. . . . Das Leben von Myriaden von Arbeitern
und Arbeiterinnen wird jetzt nutzlos torturirt und verkürzt durch das end-
lose physische Leiden, welches ihre blosse Beschäftigung erzeugt“255).
Zur Illustration des Einflusses der Arbeitslokale auf den Gesundheitszustand
giebt Dr. Simon folgende Sterblichkeitsliste:
Ich wende mich jetzt zur s. g. Hausarbeit. Um sich eine Vor-
stellung von dieser auf dem Hintergrund der grossen Industrie aufgebauten
Exploitationssphäre des Kapitals und ihren Ungeheuerlich-
keiten zu machen, betrachte man z. B. die scheinbar ganz idyllische, in
einigen abgelegnen Dörfern Englands betriebne Nägelmacherei257).
Hier genügen einige Beispiele aus den noch gar nicht maschinenmässig
betriebnen oder mit Maschinen- und Manufakturtrieb konkurrirenden Zwei-
gen der Spitzenfabrik und Strohflechterei.
Von den 150,000 Personen, die in der englischen Spitzenproduktion
beschäftigt, fallen ungefähr 10,000 unter die Botmässigkeit des Fabrik-
akts von 1861. Die ungeheure Mehrzahl der übrig bleibenden 140,000
sind Weiber, junge Personen und Kinder beiderlei Geschlechts, obgleich
das männliche Geschlecht nur schwach vertreten ist. Der Gesundheitszu-
stand dieses „wohlfeilen“ Exploitationsmaterials ergiebt sich aus folgender
Aufstellung des Dr. Trueman, Arzt beim General Dispensary von Not-
tingham. Von je 686 Patienten, Spitzenmacherinnen, meist
zwischen dem 17. und 24. Jahr, waren schwindsüchtig:
Dieser Fortschritt in der Rate der Schwindsucht muss dem opti-
mistischsten Fortschrittler und lügenfauchendsten deutschen Freihandels-
hausirburschen genügen.
Der Fabrikakt von 1861 regelt das eigentliche Machen der
Spitzen, soweit es durch Maschinerie geschieht, und diess ist die Regel
in England. Die Zweige, die wir hier kurz berücksichtigen, und zwar nicht,
soweit die Arbeiter in Manufakturen, Waarenhäusern u. s. w. koncentrirt,
sondern nur sofern sie s. g. Hausarbeiter sind, zerfallen 1) in das
finishing (letztes Zurechtmachen der maschinenmässig fabricirten
Spitzen, eine Kategorie, die wieder zahlreiche Unterabtheilungen ein-
schliesst), 2) Spitzenklöppeln.
Das Lace finishing wird als Hausarbeit betrieben entweder in
s. g. „Mistresses Houses“ oder von Weibern, einzeln oder mit ihren
Kindern, in ihren Privatwohnungen. Die Weiber, welche die „Mistresses
Houses“ halten, sind selbst arm. Das Arbeitslokal bildet Theil ihrer
Privatwohnung. Sie erhalten Aufträge von Fabrikanten, Besitzern von
Waarenmagazinen u. s. w. und wenden Weiber, Mädchen und junge Kin-
der an, je nach dem Umfang ihrer Zimmer und der fluktuirenden Nach-
frage des Geschäfts. Die Zahl der beschäftigten Arbeiterinnen wechselt
von 20 zu 40 in einigen, von 10 zu 20 in andern dieser Lokale. Das
durchschnittliche Minimalalter, worin Kinder beginnen, ist 6 Jahre, manche
jedoch unter 5 Jahren. Die gewöhnliche Arbeitszeit währt von 8 Uhr
Morgens bis 8 Uhr Abends, mit 1½ Stunden für Mahlzeiten, die unregel-
mässig und oft iu den stinkigen Arbeitslöchern selbst genommen werden.
Bei gutem Geschäft währt die Arbeit oft von 8 Uhr (manchmal 6 Uhr)
Morgens bis 10, 11 oder 12 Uhr Nachts. In englischen Kasernen be-
trägt der vorschriftsmässige Raum für jeden Soldaten 500—600 Kubik-
fuss, in den Militärlazarethen 1200. In jenen Arbeitslöchern kommen
67—100 Kubikfuss auf jede Person. Gleichzeitig verzehrt Gaslicht den
Sauerstoff der Luft. Um die Spitzen rein zu halten, müssen die Kinder
oft die Schuhe ausziehn, auch im Winter, obgleich das Estrich aus Pflaster
oder Ziegeln besteht. „Es ist nichts ungewöhnliches in Nottingham 14
bis 20 Kinder in einem kleinen Zimmer von vielleicht nicht mehr als 12
Quadratfuss zusammengepökelt zu finden, während 15 Stunden aus 24 be-
schäftigt an einer Arbeit, an sich selbst erschöpfend durch Ueberdruss und
Monotonie, zudem unter allen nur möglichen gesundheitszerstörenden Um-
ständen ausgeübt … Selbst die jüngsten Kinder arbeiten mit einer gespann-
ten Aufmerksamkeit und Geschwindigkeit, die erstaunlich sind, fast niemals
ihren Fingern Ruhe oder langsamere Bewegung gönnend. Richtet man
Fragen an sie, so erheben sie das Auge nicht von der Arbeit, aus Furcht
einen Moment zu verlieren.“ Der „lange Stock“ dient den „mis-
tresses“ als Anregungsmittel im Verhältniss, worin die Arbeitszeit ver-
längert wird. „Die Kinder ermüden allmälig und werden so rastlos wie
Vögel gegen das Ende ihrer langen Gebundenheit an eine Beschäftigung,
eintönig, für die Augen angreifend, erschöpfend durch die Uniformität der
Körperhaltung. Es ist wahres Sklavenwerk.“ („Their work like sla-
very“259).) Wo Frauen mit ihren eigenen Kindern zu Hause, d. h. im
modernen Sinn, in einem gemietheten Zimmer, häufig in einer Dachstube
arbeiten, sind die Zustände wo möglich noch schlimmer. Diese Art Ar-
beit wird 80 Meilen im Umkreis von Nottingham ausgegeben. Wenn das
in den Waarenhäusern beschäftigte Kind sie 9 oder 10 Uhr Abends
verlässt, giebt man ihm oft noch ein Bündel mit auf den Weg, um es zu
Haus fertig zu machen. Der kapitalistische Pharisäer, vertreten durch
einen seiner Lohnknechte, thut das natürlich mit der salbungsvollen Phrase:
‚das sei für Mutter‘, weiss aber sehr wohl, dass das arme Kind aufsitzen
und helfen muss260).
Die Industrie des Spitzenklöppelns wird hauptsächlich in zwei
englischen Agrikulturdistrikten betrieben, dem Honiton Spitzen-
distrikt, 20 bis 30 Meilen längs der Südküste von Devonshire, mit
Einschluss weniger Plätze von Nord-Devon, und einem andern Distrikt, der
grossen Theil der Grafschaften von Buckingham, Bedford, Northampton
und die benachbarten Theile von Oxfordshire und Huntingdonshire um-
fasst. Die cottages der Ackerbautaglöhner bilden durchschnittlich die Ar-
beitslokale. Manche Manufakturherrn wenden über 3000 dieser Hausar-
beiter an, hauptsächlich Kinder und junge Personen, ausschliesslich weib-
lichen Geschlechts. Die beim Lace finishing beschriebenen Zustände
wiederholen sich. Nur treten an die Stelle der „mistresses houses“ die
s. g. „lace schools“ (Spitzenschulen), gehalten von armen Weibern
in ihren Hütten. Vom 5. Jahr an, manchmal jünger, bis zum 12. oder
15. arbeiten die Kinder in diesen Schulen, während des ersten Jahres die
Jüngsten von 4 bis 8 Stunden, später von 6 Uhr Morgens bis 8 und 10
Uhr Abends. „Die Zimmer sind im allgemeinen gewöhnliche Wohnstuben
kleiner cottages, der Kamin zugestopft zur Abwehr von Luftzug, die In-
sassen manchmal auch im Winter nur von ihrer eignen animalischen Wärme
geheizt. In andern Fällen sind diese s. g. Schulzimmer kleinen Vorraths-
kammern ähnliche Räume, ohne Feuerplatz … Die Ueberfüllung dieser
Löcher und die dadurch producirte Luftverpestung sind oft extrem. Dazu
kömmt die schädliche Wirkung von Gerinnen, Kloaken, verwesenden Stoffen
und anderem Unrath, gewöhnlich in den Zugängen zu kleineren cottages.“
Mit Bezug auf den Raum: „In einer Spitzenschule 18 Mädchen und Mei-
sterin, 35 Kubikfuss für jede Person; in einer andern, wo unerträglicher
Gestank, 18 Personen, per Kopf 24½ Kubikfuss. Man findet in dieser
Industrie Kinder von 2 und 2½ Jahren verwandt“261).
Wo das Spitzenklöppeln in den ländlichen Grafschaften von Buckingham
und Bedford aufhört, beginnt die Strohflechterei. Sie erstreckt sich
über grossen Theil von Hertfordshire und die westlichen und nördlichen
Theile von Essex. Es waren 1861 beschäftigt im Strohflechten und Stroh-
hutmachen 40,043 Personen, 3815 davon männlichen Geschlechts aller
Altersstufen, die andern weiblichen Geschlechts, und zwar 14,913 unter
20 Jahren, davon an 7000 Kinder. An die Stelle der Spitzenschulen
treten hier die „straw plait schools“ (Strohflechtschulen). Die
Kinder beginnen hier den Unterricht im Strohflechten gewöhnlich vom 4.,
manchmal zwischen dem 3. und 4. Jahr Erziehung erhalten sie natürlich
keine. Die Kinder selbst nennen die Elementarschulen „natural
schools“ (natürliche Schulen) im Unterschied zu diesen Blutaussau-
gungsanstalten, worin sie einfach an der Arbeit gehalten werden, um das von
ihren halbverhungerten Müttern vorgeschriebne Machwerk, meist 30 Yards
per Tag, zu verfertigen. Diese Mütter lassen sie dann oft noch zu Haus
bis 10, 11, 12 Uhr Nachts arbeiten. Das Stroh schneidet ihnen Finger
und Mund, durch den sie es beständig anfeuchten. Nach der von
Dr. Ballard resumirten Gesammtansicht der medizinischen Beamten
Londons bilden 300 Kubikfuss den Minimalraum für jede Person in
einem Schlaf- oder Arbeitszimmer. In den Strohflechtschulen ist der Raum
aber noch spärlicher zugemessen als in den Spitzenschulen, „12⅔, 17,
18½ und unter 22 Kubikfuss für jede Person.“ Die kleineren dieser
Zahlen, sagt Kommissair White, „repräsentiren weniger Raum als die
Hälfte von dem, den ein Kind einnehmen würde, wenn verpackt in eine
Schachtel von 3 Fuss nach allen Dimensionen.“ Diess der Lebensge-
nuss der Kinder bis zum 12. oder 14. Jahr. Die elenden, verkommenen
Eltern sinnen nur darauf aus den Kindern so viel als möglich herauszu-
schlagen. Aufgewachsen fragen die Kinder natürlich keinen Deut nach
den Eltern und verlassen sie. „Es ist kein Wunder, dass Unwissenheit
und Laster überströmen in einer so aufgezüchteten Bevölkerung … Ihre
Moral steht auf der niedrigsten Stufe . . . . Eine grosse Anzahl der Weiber
hat illegitime Kinder und manche in so unreifem Alter, dass selbst die
Vertrauten der Kriminalstatistik darüber erstarren“262). Und das Hei-
mathsland dieser Musterfamilien ist, so sagt der sicher im Christenthum
kompetente Graf Montalembert, Europa’s christliches Musterland!
Der Arbeitslohn, in den eben behandelten Industriezweigen überhaupt
jämmerlich (der ausnahmsweise Maximallohn der Kinder in den
Strohflechtschulen 3 sh.), wird noch tief unter seinen Nominalbetrag herab-
gedrückt durch das namentlich in den Spitzendistrikten allgemein vorherr-
schende Trucksystem263).
Die Verwohlfeilerung der Arbeitskraft durch blossen
Missbrauch weiblicher und unreifer Arbeitskräfte, blossen Raub aller nor-
malen Arbeits- und Lebensbedingungen, und blosse Brutalität der Ueber-
und Nachtarbeit, stösst zuletzt auf gewisse nicht weiter überschreitbare Na-
turschranken, also auch die auf diesen Grundlagen beruhende Verwohl-
feilerung der Waaren und kapitalistische Exploitation überhaupt.
Sobald dieser Punkt endlich erreicht ist, und es dauert lange, schlägt die
Stunde für Einführung der Maschinerie und die nun rasche Verwand-
lung der zersplitterten Hausarbeit (oder auch Manufaktur) in Fabrik-
betrieb.
Das kolossalste Beispiel dieser Bewegung liefert die Produktion von
„Wearing Apparel“ (zum Anzug gehörige Artikel). Nach der Klas-
sifikation der „Child. Empl. Comm.“ umfasst diese Industrie Strohhut-
und Damenhutmacher, Kappenmacher, Schneider, milliners und dressma-
kers264), Hemdenmacher und Nätherinnen, Korsetten-, Handschuh-, Schuh-
macher, nebst vielen kleineren Zweigen, wie Fabrikation von Kravatten, Hals-
bändern u. s. w. Das in England und Wales in diesen Industrieen be-
schäftigte weibliche Personal betrug 1861: 586,298, wovon minde-
stens 115,242 unter 20, 16,650 unter 15 Jahren. Zahl dieser Ar-
beiterinnen im Vereinigten Königreich (1861): 750,334. Die Zahl der
gleichzeitig in Hut-, Schuh-, Handschuhmacherei und Schneiderei beschäf-
tigten männlichen Arbeiter in England und Wales: 437,969, wovon
14,964 unter 15 Jahren, 89,285 fünfzehn- bis zwanzigjährig, 333,117
über 20 Jahren. Es fehlen in dieser Angabe viele hierher gehörige
kleinere Zweige. Nehmen wir aber die Zahlen, wie sie stehn, so ergiebt
sich für England und Wales allein, nach dem Census von 1861, eine
Summe von 1,024,277 Personen, also ungefähr so viel wie Ackerbau und
Viehzucht absorbiren. Man fängt an zu verstehn, wozu die Maschinerie
so ungeheure Produktenmassen hervorzaubern und so ungeheure Arbeiter-
massen „freisetzen“ hilft.
Die Produktion des „Wearing Apparel“ wird betrieben durch Ma-
nufakturen, welche in ihrem Innern nur die Theilung der Arbeit repro-
ducirten, deren membra disjecta sie fertig vorfanden, durch kleinere
Handwerksmeister, die aber nicht wie früher für individuelle Kon-
sumenten, sondern für Manufakturen und Waarenmagazine arbeiten, so
dass oft ganze Städte und Landstriche solche Zweige wie Schusterei u. s. w.
als Specialität ausüben, endlich im grössten Umfang durch s. g. Haus-
arbeiter, welche das auswärtige Departement der. Manufakturen,
Waarenmagazine und selbst der kleineren Meister bilden265). Die Masse
des Arbeitsstoffs, Rohstoffe, Halbfabrikate u. s. w. liefert die grosse In-
dustrie, die Masse des wohlfeilen Menschenmaterials (taillable à merci et
misericorde) die durch grosse Industrie und Agrikultur „Freigesetzten“.
Die Manufakturen dieser Sphäre verdankten ihren Ursprung hauptsächlich
dem Bedürfniss des Kapitalisten eine jeder Bewegung der Nachfrage ent-
sprechende schlagfertige Armee unter der Hand zu haben266). Diese
Manufakturen liessen jedoch neben sich den zerstreuten handwerksmässigen
und Hausbetrieb als breite Grundlage fortbestehn. Die grosse Produktion
von Mehrwerth in diesen Arbeitszweigen, zugleich mit der progressiven
Verwohlfeilerung ihrer Artikel, war und ist hauptsächlich geschuldet dem
Minimum des zu kümmerlicher Vegetation nöthigen Arbeitslohns, verbun-
den mit dem Maximum menschenmöglicher Arbeitszeit. Es war eben die
Wohlfeilheit des in Waare verwandelten Menschenschweisses und Menschen-
bluts, welche den Absatzmarkt beständig erweiterte und täglich erweitert,
für England namentlich auch den Kolonialmarkt, wo überdem englische
Gewohnheit und Geschmack vorherrschen. Endlich trat ein Knotenpunkt
ein. Die Grundlage der alten Methode, bloss brutale Ausbeutung des Ar-
beitermaterials, mehr oder minder begleitet von systematisch entwickelter
Arbeitstheilung, genügte dem wachsenden Markt und der noch rascher
wachsenden Konkurrenz der Kapitalisten nicht länger. Die Stunde der
Maschinerie schlug. Die entscheidend revolutionäre Maschine,
welche die sämmtlichen zahllosen Zweige dieser Produktionssphäre, wie
Putzmacherei, Schneiderei, Schusterei, Nätherei, Hutmacherei u. s. w.
gleichmässig ergreift, ist die — Nähmaschine.
Ihre unmittelbare Wirkung auf die Arbeiter ist ungefähr die aller
Maschinerie, welche in der Periode der grossen Industrie neue Geschäfts-
zweige erobert. Kinder im unreifsten Alter werden entfernt. Der Lohn
der Maschinenarbeiter steigt verhältnissmässig zu dem der Hausar-
beiter, wovon viele zu „den Aermsten der Armen“ („the poorest of the
poor“) gehören. Der Lohn der besser gestellten Handwerker, mit denen
die Maschine konkurrirt, sinkt. Die neuen Maschinenarbeiter sind aus-
schliesslich Mädchen und junge Frauen. Mit Hilfe der mechanischen
Kraft vernichten sie das Monopol der männlichen Arbeit in schwererem
Werk und verjagen aus leichterem Massen alter Weiber und unreifer
Kinder. Die übermächtige Konkurrenz erschlägt die schwächsten Hand-
arbeiter. Das gräuliche Wachsthum des Hungertods (death from
starvation) in London während des letzten Decenniums läuft parallel
mit der Ausdehnung der Maschinennäherei267). Die neuen Arbeiterinnen
an der Nähmaschine, welche von ihnen mit Hand und Fuss oder mit der
Hand allein, sitzend und stehend, je nach Schwere, Grösse und Specialität
der Maschine, bewegt wird, verausgaben grosse Arbeitskraft. Ihre Be-
schäftigung wird gesundheitswidrig durch die Dauer des Prozesses, ob-
gleich er meist kürzer als im alten System. Ueberall, wo die Nähma-
schine, wie beim Schuh-, Korsett-, Hutmachen u. s. w., ohnehin enge und
überfüllte Werkstätten heimsucht, vermehrt sie die gesundheitswidrigen
Einflüsse. „Die Wirkung,“ sagt Kommissär Lord, „beim Eintritt in
niedrig gestochne Arbeitslokale, wo 30 bis 40 Maschinenarbeiter zusam-
menwirken, ist unerträglich . . . . Die Hitze, theilweis den Gasöfen zur
Wärmung der Bügeleisen geschuldet, ist schrecklich . . . . Wenn selbst in
solchen Lokalen s. g. mässige Arbeitsstunden, d. h. von 8 Uhr Morgens
bis 6 Uhr Abends, vorherrschen, fallen dennoch jeden Tag 3 oder 4 Per-
sonen regelmässig in Ohnmacht“268).
Die Umwälzung der gesellschaftlichen Betriebsweise,
diess nothwendige Produkt der Umwandlung des Produktions-
mittels, vollzieht sich in einem bunten Wirrwarr von Uebergangsfor-
men. Sie wechseln mit dem Umfang, worin, und der Zeitlänge, während
welcher die Nähmaschine den einen oder andern Industriezweig bereits er-
griffen hat, mit der vorgefundnen Lage der Arbeiter, dem Uebergewicht des
Manufaktur-, Handwerks- oder Hausbetriebs, dem Miethpreis der Arbeitslo-
kale269) u. s. w. In der Putzmacherei z. B., wo die Arbeit meist schon
organisirt war, hauptsächlich durch einfache Cooperation, bildet die Nähma-
schine zunächst nur einen neuen Faktor des Manufakturbetriebs. In der
Schneiderei, Hemdenmacherei, Schusterei u. s. w. durchkreuzen sich alle For-
men. Hier eigentlicher Fabrikbetrieb. Dort erhalten Zwischenanwender das
Rohmaterial vom Kapitalisten en chef und gruppiren in „Kammern“ oder
„Dachstuben“ 10 bis 50 und mehr Lohnarbeiter um Nähmaschinen.
Endlich, wie bei aller Maschinerie, die kein gegliedertes System bildet, und
im Zwergformat anwendbar ist, benutzen Handwerker oder Hausarbeiter,
mit eigner Familie oder Zuziehung weniger fremder Arbeiter, auch ihnen
selbst gehörige Nähmaschinen270). Thatsächlich überwiegt jetzt in Eng-
land das System, dass der Kapitalist eine grössere Maschinenanzahl in
seinen Baulichkeiten koncentrirt und dann das Maschinenprodukt zur wei-
teren Verarbeitung unter die Armee der Hausarbeiter vertheilt271). Die
Buntheit der Uebergangsformen versteckt jedoch nicht die Tendenz zur
Verwandlung in eigentlichen Fabrikbetrieb. Diese Tendenz wird
genährt durch den Charakter der Nähmaschine selbst, deren mannigfaltige
Anwendbarkeit zur Vereinigung früher getrennter Geschäftszweige in der-
selben Baulichkeit und unter dem Kommando desselben Kapitals drängt;
durch den Umstand, dass vorläufiges Nadelwerk und einige andere Operatio-
nen am geeignetsten am Sitz der Maschine verrichtet werden; endlich durch
die unvermeidliche Expropriation der Handwerker und Hausarbei-
ter, die mit eignen Maschinen produciren. Diess Fatum hat sie zum Theil
schon jetzt erreicht. Die stets wachsende Masse des in Nähmaschinen
angelegten Kapitals272) spornt die Produktion und erzeugt Marktstockun-
gen, welche das Signal zum Verkauf der Nähmaschinen durch die Haus-
arbeiter läuten. Die Ueberproduktion von solchen Maschinen selbst zwingt
ihre absatzbedürftigen Producenten sie auf wöchentliche Miethe zu ver-
leihn und schafft damit eine für die kleinen Maschineneigner tödtliche Kon-
kurrenz273). Stets noch fortdauernde Konstruktionswechsel und Verwohl-
feilerung der Maschinen depreciiren eben so beständig ihre alten Exem-
plare und lassen sie nur noch massenhaft, zu Spottpreisen gekauft, in
der Hand grosser Kapitalisten, profitlich anwenden. Endlich giebt die
Substitution der Dampfmaschine für den Menschen, hier wie in allen
ähnlichen Umwälzungsprozessen, den Ausschlag. Die Anwendung der
Dampfkraft stösst im Anfang auf rein technische Hindernisse, wie Schütteln
der Maschinen, Schwierigkeit in der Beherrschung ihrer Geschwindigkeit,
raschen Verderb der leichteren Maschinen u. s. w., lauter Hindernisse,
welche die Erfahrung bald überwinden lehrt274). Wenn einerseits die
Koncentration vieler Arbeitsmaschinen in grösseren Manufakturen zur An-
wendung der Dampfkraft treibt, beschleunigt andrerseits die Konkurrenz
des Dampfes mit Menschenmuskeln Koncentration von Arbeitern und Ar-
beitsmaschinen in grossen Fabriken. So erlebt England gegenwärtig in
der kolossalen Produktionssphäre des „Wearing Apparel“, wie den mei-
sten übrigen Gewerken, die Umwälzung der Manufaktur, des Handwerks
und der Hausarbeit in Fabrikbetrieb, nachdem alle jene Formen, unter
dem Einfluss der grossen Industrie gänzlich verändert, zersetzt, ent-
stellt, bereits längst alle Ungeheuerlichkeiten des Fabriksystems ohne
seine positiven Entwicklungsmomente reproducirt und selbst übertrieben
hatten275).
Diese naturwüchsig vorgehende industrielle Revolution wird künstlich
beschleunigt durch die Ausdehnung der Fabrikgesetze auf alle Indu-
striezweige, worin Weiber, junge Personen und Kinder arbeiten. Die zwangs-
mässige Regulation des Arbeitstags nach Länge, Pausen, Anfangs- und
Endpunkt, das System der Ablösung für Kinder, der Ausschluss aller Kin-
der unter einem gewissen Alter u. s. w. ernöthigen einerseits vermehrte
Maschinerie276) und Ersatz von Muskeln durch Dampf als Trieb-
kraft277). Andrerseits, um im Raum zu gewinnen, was in der Zeit verloren geht,
findet Streckung der gemeinschaftlich vernutzten Produktionsmittel statt, der
Oefen, Baulichkeiten u. s. w., also in einem Wort grössere Koncentration der
Produktionsmittel und entsprechende grössere Konglomeration von Arbeitern.
Der leidenschaftlich wiederholte Haupteinwand jeder mit dem Fabrikgesetz
bedrohten Manufaktur ist in der That die Nothwendigkeit grösserer Kapital-
auslage, um das Geschäft in seinem alten Umfang fortzuführen. Was aber die
Zwischenformen zwischen Manufaktur und Hausarbeit und letztre selbst
betrifft, so versinkt ihr Boden mit der Schranke des Arbeitstags und der
Kinderarbeit. Schrankenlose Ausbeutung wohlfeiler Arbeitskräfte
bildet die einzige Grundlage ihrer Konkurrenzfähigkeit.
Wesentliche Bedingung des Fabrikbetriebs, namentlich sobald er der
Regulation des Arbeitstags unterliegt, ist normale Sicherheit des Re-
sultats, d. h. Produktion eines bestimmten Quantums Waare oder eines
bezweckten Nutzeffekts in gegebnem Zeitraum. Die gesetzlichen Pausen
des regulirten Arbeitstags unterstellen ferner plötzlichen und periodischen
Stillstand der Arbeit ohne Schaden für das im Produktionsprozess befind-
liche Machwerk. Diese Sicherheit des Resultats und Unterbrechungs-
fähigkeit der Arbeit sind natürlich in rein mechanischen Gewerken leichter
erzielbar als dort wo chemische und andere physische Prozesse eine Rolle
spielen, wie z. B. in Töpferei, Bleicherei, Färberei, Bäckerei, den meisten
Metallmanufakturen. Mit dem Schlendrian des unbeschränkten Arbeits-
tags, der Nachtarbeit, und freier Menschenverwüstung, gilt jedes natur-
wüchsige Hinderniss bald für eine ewige „Naturschranke“ der Pro-
duktion. Kein Gift vertilgt Ungeziefer sichrer als das Fabrikgesetz solche
„Naturschranken“. Niemand schrie lauter über „Unmöglichkeiten“ als
die Herren von der Töpferei. 1864 wurde ihnen das Fabrikgesetz
oktroyirt und alle Unmöglichkeiten waren schon 16 Monate später ver-
schwunden. „Die“ durch das Fabrikgesetz hervorgerufene „verbesserte
Methode Schliff durch Druck statt durch Ausdünstung zu machen, die neue
Konstruktion der Oefen zum Trocknen der frischen Waare u. s. w. sind
Ereignisse von grosser Wichtigkeit in der Kunst der Töpferei und bezeich-
nen einen Fortschritt derselben, wie ihn das letzte Jahrhundert nicht auf-
weisen kann … Die Temperatur der Oefen ist beträchtlich vermindert,
bei beträchtlicher Abnahme im Kohlenkonsum und rascherer Wirkung auf
die Waare“278). Trotz aller Prophezeiung stieg nicht der Kostpreis
des Erdenguts, wohl aber die Produktenmasse, so dass die Ausfuhr
der 12 Monate von December 1864 bis December 1865 einen Werth-
überschuss von 138,628 Pfd. St. über den Durchschnitt der drei vorigen
Jahre ergab. In der Fabrikation von Schwefelhölzern galt es als Natur-
gesetz, dass Jungen, selbst während der Herunterwürgung ihres Mittags-
mahls, die Hölzer in eine warme Phosphorkomposition tunkten, deren gifti-
ger Dampf ihnen in das Gesicht stieg. Mit der Nothwendigkeit Zeit zu
ökonomisiren, erzwang der Fabrikakt (1864) eine „dipping machine“
(Eintauchungsmaschine), deren Dämpfe den Arbeiter nicht erreichen kön-
nen279). So wird jetzt in den noch nicht dem Fabrikgesetz unterworfenen
Zweigen der Spitzenmanufaktur behauptet, die Mahlzeiten könnten nicht
regelmässig sein „wegen der verschiednen Zeitlängen, die verschiedne Spitzen-
materialien zur Trocknung brauchen, und die von 3 Minuten auf eine Stunde
und mehr variiren.“ Hierauf antworten die Kommissäre der „Children’s
Employment Comm.“: „Die Umstände sind genau dieselben wie in der
Tapetendruckerei. Einige der Hauptfabrikanten in diesem Zweig machten
lebhaft geltend, die Natur der verwandten Materialien und die Verschie-
denartigkeit der Prozesse, die sie durchlaufen, erlaubten ohne grossen
Verlust keine plötzliche Stillsetzung der Arbeit für Mahlzeiten. . . . Durch
die 6. Klausel der 6. Sektion des Factory Act’s Extension Act
(1864) ward ihnen eine achtzehnmonatliche Frist vom Erlassungsdatum
des Akts an eingeräumt, nach deren Ablauf sie sich den durch den Fabrik-
akt specificirten Erfrischungspausen fügen müssten280). Kaum hatte
das Gesetz parlamentarische Sanktion erhalten, als die Herren Fabrikanten
auch entdeckten: „Die Missstände, die wir von der Einführung des Fabrik-
gesetzes erwarteten, sind nicht eingetreten. Wir finden nicht, dass die
Produktion irgendwie gelähmt ist. In der That, wir produciren mehr in
derselben Zeit“281). Man sieht, das englische Parlament, dem sicher
Niemand Genialität vorwerfen wird, ist durch Erfahrung zur Einsicht ge-
langt, dass ein Zwangsgesetz alle s. g. Naturhindernisse der Pro-
duktion gegen Beschränkung und Reglung des Arbeitstags einfach weg-
diktiren kann. Bei Einführung des Fabrikakts in einen Industriezweig
wird daher ein Termin von 6 bis 18 Monaten gestellt, innerhalb dessen es
Sache der Fabrikanten ist die technischen Hindernisse wegzuräumen.
Mirabeau’s: „Impossible! Ne me nommez jamais cet imbécil de mot!“ gilt
namentlich für die moderne Technologie. Wenn aber das Fabrikgesetz so
die zur Verwandlung des Manufakturbetriebs in Fabrikbetrieb nothwendi-
gen materiellen Elemente treibhausmässig reift, beschleunigt es zugleich
durch die Nothwendigkeit vergrösserter Kapitalauslage den Untergang der
kleineren Meister und die Koncentration des Kapitals282).
Abgesehn von den rein technischen und technisch beseitbaren Hinder-
nissen stösst die Regulation des Arbeitstags auf unregelmässige Gewohnheiten
der Arbeiter selbst, namentlich wo Stücklohn vorherrscht und Verbumm-
lung der Zeit in einem Tages- oder Wochenabschnitt durch nachträgliche
Ueberarbeit oder Nachtarbeit aufgemacht werden kann, eine Methode, die
den erwachsnen Arbeiter brutalisirt, seine unreifen und weiblichen Genos-
sen ruinirt283). Obgleich diese Regellosigkeit in Verausgabung der Ar-
beitskraft eine naturwüchsig rohe Reaktion gegen die Langweile mono-
toner Arbeitsplackerei ist, entspringt sie jedoch in ungleich höherem Grad
aus der Anarchie der Produktion selbst, die ihrerseits wieder ungezügelte
Exploitation der Arbeitskraft durch das Kapital voraussetzt. Neben die
allgemeinen periodischen Wechselfälle des industriellen Cyklus und
die besondern Marktschwankungen in jedem Produktionszweig, treten
namentlich die s. g. Saison, beruhe sie nun auf Periodicität der Schiff-
fahrt günstiger Jahreszeiten oder auf der Mode, und die Plötzlichkeit grosser
und in kürzester Frist auszuführender Ordres. Die Gewohnheit der letz-
tern dehnte sich mit Eisenbahnen und Telegraphie aus. „Die Ausdeh-
nung des Eisenbahnsystems“, sagt z. B. ein Londoner Fabrikant, „durch
das ganze Land hat die Gewohnheit kurzer Ordres sehr gefördert. Käufer
kommen jetzt von Glasgow, Manchester und Edinburg einmal in 14 Tagen
oder so zu den City-Waarenhäusern für den Grossverkauf, denen wir die
Waaren liefern. Sie geben Ordres, die unmittelbar ausgeführt werden
müssen, statt vom Lager zu kaufen, wie es Gewohnheit war. In früheren
Jahren waren wir stets fähig während der schlaffen Zeit für die Nachfrage
der nächsten Saison vorauszuarbeiten, aber jetzt kann Niemand vorher-
sagen, was dann in Nachfrage sein wird“284).
In den noch nicht dem Fabrikgesetz unterworfenen Fabriken und
Manufakturen herrscht periodisch die furchtbarste Ueberarbeit während der
s. g. Saison, stossweis in Folge plötzlicher Ordres. Im auswärtigen De-
partement der Fabrik, der Manufaktur und des Waarenmagazins, in der
Sphäre der Hausarbeit, ohnehin durchaus unregelmässig, für ihr Rohma-
terial und ihre Ordres ganz abhängig von den Launen des Kapitalisten,
den hier keine Rücksicht auf Verwerthung von Baulichkeiten, Maschinen
u. s. w. bindet und der hier nichts riskirt als die Haut der Arbeiter selbst,
wird so systematisch eine stets disponible, industrielle Reservearmee gross-
gezüchtet, decimirt während eines Theils des Jahrs durch unmenschlich-
sten Arbeitszwang, während des andern Theils verlumpt durch Arbeits-
mangel. „Die Anwender“, sagt die „Child. Empl. Comm.“, „exploitiren
die gewohnheitsmässige Unregelmässigkeit der Hausarbeit, um sie in Zei-
ten, wo Extrawerk nöthig, bis 11, 12, 2 Uhr Nachts, in der That, wie
die stehende Phrase lautet, auf alle Stunden hinaufzuforciren, und
diess in Lokalen, „wo der Gestank hinreicht, euch niederzuschmettern
(„the stench is enough to knock you down“). Ihr geht vielleicht bis an
die Thüre und öffnet sie, aber schaudert zurück vor weiterem Vorgehn“285).
„Es sind komische Käuze, unsre Anwender“, sagt einer der verhörten
Zeugen, ein Schuster, „sie glauben, es thue einem Jungen keinen Harm,
wenn er während eines halben Jahrs todtgerackert und während der an-
dern Hälfte fast gezwungen wird herumzuludern“286).
Wie die technischen Hindernisse, so wurden und werden diese s. g.
„Geschäftsgewohnheiten“ („usages which have grown with the
growth of trade“) von interessirten Kapitalisten als „Naturschranken“
der Produktion behauptet, ein Lieblingsschrei diess der Baumwolllords zur
Zeit als das Fabrikgesetz sie zuerst bedrohte. Obgleich ihre Industrie mehr
als jede andre auf dem Weltmarkt und daher der Schifffahrt beruht, strafte
die Erfahrung sie Lügen. Seitdem wird jedes angebliche „Geschäftshin-
derniss“ von den englischen Fabrikinspektoren als hohle Flause behandelt287).
Die gründlich gewissenhaften Untersuchungen der „Child. Empl.
Comm.“ beweisen in der That, dass in einigen Industrieen die bereits an-
gewandte Arbeitsmasse nur gleichmässiger über das ganze Jahr vertheilt
würde durch die Regulation des Arbeitstags288), dass letztere der erste
rationelle Zügel für die menschenmörderischen, inhaltslosen und an sich
dem System der grossen Industrie unangemessnen Flatterlaunen der
Mode289), dass die Entwicklung der oceanischen Schifffahrt und der
Kommunikationsmittel überhaupt den eigentlich technischen Grund der
Saison-Arbeit aufgehoben hat290), dass alle andern angeblich unkontro-
lirbaren Umstände weggeräumt werden durch weitere Baulichkeiten, zu-
sätzliche Maschinerie, vermehrte Anzahl der gleichzeitig beschäftigten Ar-
beiter291) und von selbst folgenden Rückschlag auf das System des
Grosshandels292). Jedoch versteht sich das Kapital, wie es wiederholt
durch den Mund seiner Repräsentanten erklärt, zu solcher Umwälzung
„nur unter dem Druck eines allgemeinen Parlaments-
akts“293), der den Arbeitstag zwangsgesetzlich regulirt.
Die Fabrikgesetzgebung, diese erste bewusste und plan-
mässige Rückwirkung der Gesellschaft auf die naturwüchsige Gestalt
ihres Produktionsprozesses, ist, wie man gesehn, ebenso sehr ein nothwen-
diges Produkt der grossen Industrie, als Baumwollgarn, Selfactors und der
elektrische Telegraph. Bevor wir zu ihrer bevorstehenden Verallge-
meinerung in England übergehn, sind noch einige nicht auf die Stun-
denzahl des Arbeitstags bezügliche Klauseln des englischen Fabrikakts
kurz zu erwähnen.
Abgesehn von ihrer Redaktion, welche dem Kapitalisten ihre Um-
gehung erleichtert, sind die Gesundheitsklauseln äusserst mager,
in der That beschränkt auf Vorschriften für Weisswaschung und einige
sonstige Reinlichkeitsmassregeln, Ventilation, und Schutz gegen gefähr-
liche Maschinerie. Wir kommen im dritten Buch auf den fanatischen
Kampf der Fabrikanten gegen die Klausel zurück, die ihnen eine geringe
Ausgabe zum Schutz der Gliedmassen ihrer „Hände“ aufoktroyirt. Hier
bewährt sich wieder glänzend das Freihandelsdogma, dass in einer Gesell-
schaft antagonistischer Interessen Jeder das Gemeinwohl durch Verfolgung
seines Eigennutzes fördert. Ein Beispiel genügt. Man weiss, dass sich
während der letztverflossenen zwanzigjährigen Periode die Flachsindu-
strie und mit ihr die scutching mills (Fabriken zum Schlagen und
Brechen des Flachses) in Irland sehr vermehrt haben. Es gab dort 1864
an 1800 dieser mills. Periodisch im Herbst und Winter werden haupt-
sächlich junge Personen und Weiber, die Söhne, Töchter und Frauen der
benachbarten kleinen Pächter, lauter mit Maschinerie ganz unbekannte
Personen, von der Feldarbeit weggeholt, um die Walzwerke der scutch-
ing mills mit Flachs zu füttern. Die Unfälle sind nach Umfang und
Intensivität gänzlich beispiellos in der Geschichte der Maschinerie. Eine
einzige scutching mill zu Kildinan (bei Cork) zählte von 1852 bis 1856
sechs Todesfälle und 60 schwere Verstümmelungen, welchen allen durch die
einfachsten Anstalten, zur Kost von wenigen Schillingen, vorgebeugt wer-
den konnte. Dr. W. White, der certifying surgeon der Fabriken zu
Downpatrick, erklärt in einem officiellen Bericht vom 15. December 1865:
„Die Unfälle in scutching mills sind furchtbarster Art. In vielen Fällen
wird ein Viertheil des Körpers vom Rumpfe gerissen. Tod oder eine Zu-
kunft elenden Unvermögens und Leidens sind gewöhnliche Folgen der
Wunden. Die Zunahme der Fabriken in diesem Lande wird natürlich
diese schauderhaften Resultate ausdehnen. Ich bin überzeugt, dass durch
geeignete Staatsüberwachung der scutching mills grosse Opfer von
Leib und Leben zu vermeiden sind“294). Was könnte die kapitalistische
Produktionsweise besser charakterisiren als die Nothwendigkeit, ihr durch
Zwangsgesetz von Staatswegen die einfachsten Reinlichkeits- und Gesund-
heitsvorrichtungen aufzuherrschen? „Der Fabrikakt von 1864 hat in den
Töpfereien über 200 Werkstätten geweisst und gereinigt, nach zwan-
zigjähriger oder gänzlicher Enthaltung von jeder sol-
chen Operation (diess ist die „Abstinenz“ des Kapitals!), in
Plätzen, wo 27,800 Arbeiter beschäftigt sind, und bisher, während übermäs-
siger Tages-, oft Nacht-Arbeit, eine mephitische Atmosphäre einathmeten,
welche eine sonst vergleichungsweis harmlose Beschäftigung mit Krank-
heit und Tod schwängerte. Der Akt hat die Ventilationsmittel sehr ver-
mehrt“295). Zugleich zeigt dieser Zweig des Fabrikakts schlagend, wie
die kapitalistische Produktionsweise ihrem Wesen nach über einen gewissen
Punkt hinaus jede rationelle Verbesserung ausschliesst. Es ward wiederholt
bemerkt, dass die englischen Aerzte aus einem Munde 500 Kubikfuss Luft-
raum per Person für kaum genügen des Minimum bei fortgesetzter Arbeit erklä-
ren. Nun wohl! Wenn der Fabrikakt indirekt durch alle seine Zwangsmass-
regeln die Verwandlung kleinerer Werkstätten in Fabriken beschleunigt,
daher indirekt in das Eigenthumsrecht der kleineren Kapitalisten eingreift
und den grossen das Monopol sichert, so würde die gesetzliche Aufherr-
schung des nöthigen Luftraums für jeden Arbeiter in der Werkstätte Tau-
sende von kleinen Kapitalisten mit einem Schlag direkt expropriiren! Sie
würde die Wurzel der kapitalistischen Produktionsweise angreifen, d. h. die
Selbstverwerthung des Kapitals, ob gross oder klein, durch „freien“ An-
kauf und Konsum der Arbeitskraft. Vor diesen 500 Kubikfuss Luft geht
daher der Fabrikgesetzgebung der Athem aus. Der „Board of Health“,
die industriellen Untersuchungskommissionen, die Fabrikinspektoren wie-
derholen wieder und wieder die Nothwendigkeit der 500 Kubikfüsse und
die Unmöglichkeit, sie dem Kapital aufzuoktroyiren. Sie erklären so in
der That Schwindsucht und andre Lungenkrankheiten der Arbeit für eine
Lebensbedingung des Kapitals296).
Armselig wie die Erziehungsklauseln des Fabrikakts im Ganzen
erscheinen, proklamirten sie den Elementarunterricht als Zwangs-
bedingung der Arbeit297). Ihr Erfolg bewies zuerst die Möglichkeit
der Verbindung von Unterricht und Gymnastik298) mit Handarbeit, also
auch von Handarbeit mit Unterricht und Gymnastik. Die Fabrikinspektoren
entdeckten bald aus den Zeugenverhören der Schulmeister, dass die Fa-
brikkinder, obgleich sie nur halb so viel Unterricht geniessen als die
regelmässigen Tagesschüler, eben so viel und oft mehr lernen. „Die
Sache ist einfach. Diejenigen, die sich nur einen halben Tag in der
Schule aufhalten, sind stets frisch und fast immer fähig und willig Unter-
richt zu empfangen. Das System halber Arbeit und halber
Schule macht jede der beiden Beschäftigungen zur Ausruhung und
Erholung von der andern und folglich viel angemessner für das Kind als
die ununterbrochne Fortdauer einer von beiden. Ein Junge, der von Mor-
gens früh in der Schule sitzt, und nun gar bei heissem Wetter, kann un-
möglich mit einem andern wetteifern, der munter und aufgeweckt von
seiner Arbeit kommt“299). Weitere Belege findet man in Senior’s
Rede auf dem sociologischen Kongress zu Edinburg, 1863. Er zeigt hier
auch u. a. nach, wie der einseitige, unproduktive und verlängerte Schul-
tag der Kinder der höheren und mittleren Klassen die Arbeit der Lehrer
nutzlos vermehrt, „während er Zeit, Gesundheit und Energie der Kinder
nicht nur fruchtlos, sondern absolut schädlich verwüstet“300). Aus dem
Fabriksystem, wie man im Detail bei Robert Owen verfolgen
kann, entspross der Keim der Erziehung der Zukunft, welche für
alle Kinder über einem gewissen Alter produktive Arbeit mit
Unterricht und Gymnastik verbinden wird, nicht nur als eine Me-
thode zur Steigerung der gesellschaftlichen Produktion, sondern als die
einzige Methode zur Produktion vollseitig entwickelter Menschen.
Man hat gesehn, dass die grosse Industrie die manufakturmässige Thei-
lung der Arbeit mit ihrer lebenslänglichen Annexation eines ganzen Menschen
an eine Detailoperation technologisch aufhebt, während zugleich die kapi-
talistische Form der grossen Industrie jene Arbeitstheilung
noch monströser reproducirt, in der eigentlichen Fabrik durch Verwand-
lung des Arbeiters in den selbstbewussten Zubehör einer Theilmaschine,
überall sonst theils durch sporadischen Gebrauch der Maschinen und Ma-
schinenarbeit301), theils durch Einführung von Weiber-, Kinder- und un-
geschickter Arbeit als neuer Grundlage der Arbeitstheilung. Der Wider-
spruch zwischen der manufakturmässigen Theilung der Arbeit und dem
Wesen der grossen Industrie macht sich gewaltsam geltend. Er er-
scheint u. a. in der furchtbaren Thatsache, dass ein grosser Theil der in
den modernen Fabriken und Manufakturen beschäftigten Kinder, vom zar-
testen Alter festgeschmiedet an die einfachsten Manipulationen, Jahrelang
exploitirt wird, ohne Erlernung irgend einer Arbeit, die sie später auch
nur in derselben Manufaktur oder Fabrik brauchbar machte. In den
englischen Buchdruckereien z. B. fand früher ein dem System der alten
Manufaktur und des Handwerks entsprechender Uebergang der Lehrlinge
von leichteren zu inhaltsvolleren Arbeiten statt. Sie machten einen Lern-
gang durch, bis sie fertige Drucker waren. Lesen und schreiben zu
können war für alle ein Handwerkserforderniss. Alles das änderte sich
mit der Druckmaschine. Sie verwendet zwei Sorten von Arbeitern, einen
erwachsnen Arbeiter, den Maschinenaufseher, und Maschinenjungen, meist
von 11 bis 17 Jahren, deren Geschäft ausschliesslich darin besteht, einen
Bogen Papier der Maschine zu unterbreiten oder ihr den gedruckten Bogen
zu entziehen. Sie verrichten, in London namentlich, diese Plackerei
14, 15, 16 Stunden ununterbrochen während einiger Tage in der Woche
und oft 36 Stunden nach einander mit nur zwei Stunden Rast für Mahlzeit
und Schlaf302)! Ein grosser Theil von ihnen kann nicht lesen und sie
sind in der Regel ganz verwilderte, abnorme Geschöpfe. „Um sie zu ihrem
Werk zu befähigen, ist keine intellektuelle Ziehung irgend einer Art nöthig;
sie haben wenig Gelegenheit für Geschick und noch weniger für Urtheil;
ihr Lohn, obgleich gewissermassen hoch für Jungen, wächst nicht verhält-
mässig, wie sie selbst heranwachsen und die grosse Mehrzahl hat keine
Aussicht auf den einträglicheren und verantwortlicheren Posten des Ma-
schinenaufsehers, weil auf jede Maschine nur ein Aufseher und oft 4 Jungen
kommen“303). Sobald sie zu alt für ihre kindische Arbeit werden, also
wenigstens im 17. Jahr, entlässt man sie aus der Druckerei. Sie werden
zu Rekruten des Verbrechens. Einige Versuche ihnen anderswo Beschäf-
tigung zu verschaffen, scheiterten an ihrer Unwissenheit, Rohheit, körper-
lichen und geistigen Verkommenheit.
Was von der manufakturmässigen Theilung der Arbeit im
Innern der Werkstatt, gilt von der Theilung der Arbeit im Innern der
Gesellschaft. So lange Handwerk und Manufaktur die allgemeine Grund-
lage der gesellschaftlichen Produktion bilden, ist die Subsumtion des Produ-
centen unter einen ausschliesslichen Produktionszweig, die Zerreissung der
ursprünglichen Mannigfaltigkeit seiner Beschäftigungen304), ein nothwendiges
Entwicklungsmoment. Auf jener Grundlage findet jeder besondre Produk-
tionszweig empirisch die ihm entsprechende technologische Gestalt, vervoll-
kommnet sie langsam und krystallisirt sie rasch, sobald ein gewisser Reifegrad
erlangt ist. Was hier und da Wechsel hervorruft, ist ausser neuem Arbeits-
stoff, den der Handel liefert, die allmälige Aenderung des Arbeitsinstru-
ments. Die erfahrungsmässig entsprechende Form einmal gewonnen, ver-
knöchert auch es, wie sein oft jahrtausendlanger Uebergang aus der Hand einer
Generation in die der andern beweist. Es ist charakteristisch, dass bis ins
18. Jahrhundert hinein die besondern Gewerke mysteries (mystères)305)
hiessen, in deren Dunkel nur der empirisch und professionell Eingeweihte
eindringen konnte. Die grosse Industrie zerriss den Schleier, der den
Menschen ihren eignen gesellschaftlichen Produktionsprocess versteckte
und die verschiednen naturwüchsig besonderten Produktionszweige gegen
einander und sogar dem in jedem Zweig Eingeweihten zu Räthseln machte.
Ihr Princip, jeden Produktionsprozess an und für sich, und zunächst ohne alle
Rücksicht auf die menschliche Hand, in seine constituirenden Elemente auf-
zulösen, schuf die ganz moderne Wissenschaft der Technologie. Die bunt-
scheckigen, scheinbar zusammenhangslosen und verknöcherten Gestalten des
gesellschaftlichen Produktionsprozesses lösten sich auf in bewusst plan-
mässige und je nach dem bezweckten Nutzeffekt systematisch besonderte
Anwendungen der Naturwissenschaft. Die Technologie entdeckte ebenso
die wenigen grossen Grundformen der Bewegung, worin alles pro-
duktive Thun des menschlichen Körpers, trotz aller Mannigfaltigkeit der an-
gewandten Instrumente, nothwendig vorgeht, ganz so wie die Mechanik
durch die grösste Komplikation der Maschinerie sich über die beständige
Wiederholung der einfachen mechanischen Potenzen nicht täuschen lässt.
Die moderne Industrie betrachtet und behandelt die vorhandne Form eines
Produktionsprozesses nie als definitiv. Ihre technologische Basis ist daher
revolutionär, während die aller früheren Produktionsweisen wesentlich kon-
servativ war306). Durch Maschinen, chemische Prozesse und andre Me-
thoden wälzt sie beständig mit der technischen Grundlage der materiellen
Produktion die Funktionen der Arbeiter und die gesellschaftlichen Kombi-
nationen des Arbeitsprozesses um. Sie revolutionirt damit ebenso bestän-
dig die Theilung der Arbeit im Innern der Gesellschaft und schleudert un-
aufhörlich Kapitalmassen und Arbeitermassen aus einem Produktionszweig
in den andern. Die Natur der grossen Industrie bedingt daher Wechsel
der Arbeit, Fluss der Funktion, allseitige Beweglichkeit des Arbeiters.
Andrerseits reproducirt sie in ihrer kapitalistischen Form die
alte Theilung der Arbeit mit ihren knöchernen Partikularitäten. Man hat
gesehn, wie dieser absolute Widerspruch alle Ruhe, Festigkeit, Sicher-
heit der Lebenslage des Arbeiters aufhebt, ihm mit dem Arbeitsmittel bestän-
dig das Lebensmittel aus der Hand zu schlagen307) und mit seiner Theil-
funktion ihn selbst überflüssig zu machen droht, wie dieser Widerspruch
im ununterbrochnen Opferfest der Arbeiterklasse, masslosester Vergeudung
der Arbeitskräfte und den Verheerungen gesellschaftlicher Anarchie sich
austobt. Diess ist die negative Seite. Wenn aber der Wechsel der Arbeit
sich jetzt nur als überwältigendes Naturgesetz und mit der blind zerstö-
renden Wirkung eines Naturgesetzes durchsetzt, das überall auf Hinder-
nisse stösst308), macht die grosse Industrie durch ihre Katastrophen selbst
„You take my life
When you do take the means whereby I live.“ (Shakespeare.)
es zur Frage von Leben oder Tod, den Wechsel der Arbeiten und daher
möglichste Vielseitigkeit des Arbeiters als allgemeines gesellschaftliches
Gesetz der Produktion anzuerkennen, und die Verhältnisse seiner normalen
Verwirklichung gemäss umzugestalten. Sie macht es zu einer Frage von
Leben oder Tod, die Ungeheuerlichkeit einer elenden, für die wechselnden
Exploitationsbedürfnisse des Kapitals in Reserve gehaltenen, disponiblen
Arbeiterbevölkerung zu ersetzen durch die absolute Disponibilität des Men-
schen für wechselnde Arbeitserfordernisse; das Theilindividuum, welches
blosser Träger einer gesellschaftlichen Detailfunktion ist, durch das
total entwickelte Individuum, für welches die gesellschaftlichen Funktionen
eben so viele verschiedne Bethätigungsweisen sind. Ein auf Grundlage
der grossen Industrie naturwüchsig entwickeltes Moment dieses Umwäl-
zungsprozesses sind polytechnische und agronomische Schulen, ein anderes
sind die „écoles d’enseignement professionnel“, worin die
Kinder der Arbeiter einigen Unterricht in der Technologie und praktischen
Handhabe der verschiednen Produktionsinstrumente erhalten. Wenn die
Fabrikgesetzgebung als erste, dem Kapital nothdürftig abgerungene Kon-
cession nur Elementarunterricht mit fabrikmässiger Arbeit verbindet, unter-
liegt es keinem Zweifel, dass die unvermeidliche Eroberung der politischen
Gewalt durch die Arbeiterklasse auch dem technologischen Unterricht,
theoretisch und praktisch, seinen Platz in den Arbeiterschulen erobern
wird. Es unterliegt ebenso wenig einem Zweifel, dass die kapitalisti-
sche Form der Produktion und die ihr entsprechenden ökonomischen
Arbeiterverhältnisse im diametralsten Widerspruch stehn mit solchen Um-
wälzungsfermenten und ihrem Ziel, der Aufhebung der alten
Theilung der Arbeit. Die Entwicklung der Widersprüche einer
geschichtlichen Produktionsform ist jedoch der einzig geschichtliche Weg
ihrer Auflösung und Neugestaltung. „Ne sutor ultra crepidam“!, diess
nec plus ultra hand werksmässiger Weisheit, wurde zur furchtbaren Narr-
heit von dem Moment, wo der Uhrmacher Watt die Dampfmaschine, der
Barbier Arkwright den Kettenstuhl, der Juwelierarbeiter Fulton das
Dampfschiff erfunden hatte309).
Soweit die Fabrikgesetzgebung die Arbeit in Fabriken, Manufakturen
u. s. w. regulirt, erscheint diess zunächst nur als Einmischung in die Ex-
ploitationsrechte des Kapitals. Jede Regulation der s. g. Hausar-
beit310) stellt sich dagegen sofort als direkter Eingriff in die patria
Potestas dar, d. h. modern interpretirt, in die elterliche Auto-
rität, ein Schritt, wovor das zartfühlende englische Parlament lang zu-
rückzubeben affektirte. Die Gewalt der Thatsachen zwang jedoch endlich
anzuerkennen, dass die grosse Industrie mit der ökonomischen Grundlage
des alten Familienwesens und der ihr entsprechenden Familienarbeit auch
die alten Familienverhältnisse selbst auflöst. Das Recht der Kinder
musste proklamirt werden. „Unglücklicher Weise“, heisst es im Schluss-
bericht der „Child. Empl. Comm.“ von 1866, „leuchtet aus der Gesammt-
heit der Zeugenaussagen hervor, dass die Kinder beiderlei Geschlechts gegen
Niemand so sehr des Schutzes bedürfen als gegen ihre Eltern.“ Das System
der masslosen Exploitation der Kinderarbeit überhaupt und der Hausarbeit
im Besondern wird dadurch „erhalten, dass die Eltern über ihre jungen
und zarten Sprösslinge eine willkührliche und heillose Gewalt ohne Zügel
oder Kontrole ausüben … Eltern dürfen nicht die absolute Macht be-
sitzen, ihre Kinder zu reinen Maschinen zu machen, um so und so viel
wöchentlichen Lohn herauszuschlagen … Kinder und junge Personen
haben ein Recht auf den Schutz der Legislatur wider den Missbrauch der
elterlichen Gewalt, der ihre physische Kraft vorzeitig bricht und sie degra-
dirt auf der Staffel moralischer und intellektueller Wesen“311). Es ist
jedoch nicht der Missbrauch der elterlichen Gewalt, der die direkte oder
indirekte Exploitation unreifer Arbeitskräfte durch das Kapital schuf, son-
dern es ist umgekehrt die kapitalistische Exploitationsweise, welche die
elterliche Gewalt, durch Aufhebung der ihr entsprechenden ökonomischen
Grundlage, zu einem Missbrauch gemacht hat. So furchtbar und ekelhaft
nun die Auflösung des alten Familienwesens innerhalb des kapitalistischen
Systems erscheint, so schafft nichtsdestoweniger die grosse Industrie mit
der entscheidenden Rolle, die sie den Weibern, jungen Personen und Kin-
dern beiderlei Geschlechts in gesellschaftlich organisirten Produktionspro-
zessen jenseits der Sphäre des Hauswesens zuweist, die neue ökonomische
Grundlage für eine höhere Form der Familie und des Verhältnisses beider
Geschlechter. Es ist natürlich ebenso albern die christlich germanische
Form der Familie für absolut zu halten als die altrömische Form, oder die
altgriechische, oder die orientalische, die übrigens untereinander eine ge-
schichtliche Entwicklungsreihe bilden. Ebenso leuchtet ein, dass die Zu-
sammensetzung des kombinirten Arbeitspersonals aus Individuen beiderlei
Geschlechts und der verschiedensten Altersstufen, obgleich in ihrer naturwüch-
sig brutalen, kapitalistischen Form, wo der Arbeiter für den Produktions-
prozess, nicht der Produktionsprozess für den Arbeiter da ist, Pestquelle
des Verderbs und der Sklaverei, unter entsprechenden Verhältnissen um-
gekehrt zur Quelle humaner Entwicklung umschlagen muss312).
Die Nothwendigkeit, das Fabrikgesetz aus einem Ausnahmsgesetz
für Spinnereien und Webereien, diese ersten Gebilde des Maschinenbetriebs,
in ein Gesetz aller gesellschaftlichen Produktion zu verallgemeinern, ent-
springt, wie man sah, aus dem geschichtlichen Entwicklungsgang der
grossen Industrie, auf deren Hintergrund die überlieferte Gestalt von Manu-
faktur, Handwerk und Hausarbeit gänzlich umgewälzt wird, die Manufaktur
beständig in die Fabrik, das Handwerk beständig in die Manufaktur um-
schlägt, und endlich die Sphären des Handwerks und der Hausarbeit sich
in relativ wunderbar kurzer Zeit zu Jammerhöhlen gestalten, wo die tollsten
Ungeheuerlichkeiten der kapitalistischen Exploitation ihr freies Spiel trei-
ben. Es sind zwei Umstände, welche zuletzt den Ausschlag geben, erstens
die stets neu wiederholte Erfahrung, dass das Kapital, sobald es der
Staatskontrole nur auf einzelnen Punkten der gesellschaftlichen Peripherie
anheimfällt, sich um so massloser auf den andern Punkten entschädigt313),
zweitens der Schrei der Kapitalisten selbst nach Gleichheit der Kon-
kurrenzbedingungen, d. h. gleichen Schranken der Ar-
beitsexploitation314). Hören wir hierüber zwei Herzensstösse. Die
Herrn W. Cooksley (Nagel-, Ketten- u. s. w. Fabrikanten zu Bristol) führ-
ten die Fabrikregulation freiwillig in ihrem Geschäft ein. „Da das alte,
unregelmässige System in den benachbarten Werken fortdauert, sind sie
der Unbill ausgesetzt ihre Arbeitsjungen zur Fortsetzung der Arbeit an-
derswo nach 6 Uhr Abends verlockt (enticed) zu sehn. ‚Diess‘, sagen
sie natürlich, ‚ist eine Ungerechtigkeit gegen uns und ein Verlust, da es
einen Theil der Kraft der Jungen erschöpft, deren voller
Vortheil uns gebührt‘315). Herr J. Simpson (Paper-Box Bag maker,
London) erklärt den Kommissären der „Child. Empl. Comm.“: „Er wolle
jede Petition für Einführung der Fabrikakte unterzeichnen. Wie es sei,
fühle er sich stets rastlos des Nachts („he always felt restless at
night“), nach Schluss seiner Werkstatt, bei dem Gedanken, dass andre
länger arbeiten liessen und ihm Aufträge vor der Nase wegschnappten“316).
„Es wäre ein Unrecht,“ sagt die Child. Empl. Comm. zusammenfassend,
„gegen die grösseren Arbeitsanwender ihre Fabriken der Regulation zu unter-
werfen, während in ihrem eignen Geschäftszweig der Kleinbetrieb keiner
gesetzlichen Beschränkung der Arbeitszeit unterliegt. Zur Ungerechtigkeit
ungleicher Konkurrenzbedingungen in Bezug auf die Arbeitsstunden bei
Ausnahme kleinerer Werkstätten, käme noch der andere Nachtheil für die
grösseren Fabrikanten hinzu, dass ihre Zufuhr von jugendlicher und weib-
licher Arbeit abgelenkt würde nach den vom Gesetz verschonten Werk-
stätten. Endlich gäbe diess Anstoss zur Vermehrung der kleineren Werk-
stätten, die fast ausnahmslos die mindest günstigen für Gesundheit, Kom-
fort, Erziehung und allgemeine Verbesserung des Volks sind“317).
In ihrem Schlussbericht schlägt die „Children’s Employment“ Kommis-
sion vor, über 1,400,000 Kinder, junge Personen und Weiber, wovon unge-
fähr die Hälfte vom Kleinbetrieb und der Hausarbeit exploitirt wird, dem
Fabrikakt zu unterwerfen318). „Sollte,“ sagt sie, „das Parlament unsern
Vorschlag in seinem ganzen Umfang annehmen, so ist es zweifellos, dass
solche Gesetzgebung den wohlthätigsten Einfluss ausüben würde, nicht nur
auf die Jungen und Schwachen, mit denen sie sich zunächst beschäftigt,
sondern auf die noch grössere Masse von erwachsnen Arbeitern, die direkt
(die Weiber) und indirekt (die Männer) unter ihren Wirkungskreis fallen.
Sie würde ihnen regelmässige und ermässigte Arbeitsstunden aufzwingen;
sie würde einen gesunderen und reinlicheren Zustand der Arbeitslokale her-
beiführen; sie würde den Vorrath physischer Kraft, wovon ihr eignes
Wohlergehen und das des Landes so sehr abhängt, haushalten und häufen;
sie würde die aufsprossende Generation vor der Ueberanstrengung in frühem
Alter schützen, welche ihre Konstitution untergräbt und zu vorzeitigem
Verfall führt; sie würde schliesslich, wenigstens bis zum 13. Jahr die Ge-
legenheit des Elementarunterrichts bieten und damit der unglaublichen Un-
wissenheit ein Ende machen, die so treu in den Kommissionsberichten ge-
schildert ist und nur mit qualvollster Empfindung und dem tiefen Gefühl
nationaler Erniedrigung betrachtet werden kann“319). Das Toryministerium
kündigte in der Thronrede vom 5. Februar 1867 an, dass es die Vorschläge
der industriellen Untersuchungskommission in „Bills“ formulirt habe. Dazu
bedurfte es eines neuen zwanzigjährigen Experimentum in corpore vili.
Bereits im Jahr 1840 war eine parlamentarische Kommission zur Unter-
suchung über Kinderarbeit ernannt worden. Ihr Bericht von 1842 ent-
rollte in den Worten N. W. Senior’s „das furchtbarste Gemälde von
Habsucht, Selbstsucht und Grausamkeit der Kapitalisten und Eltern, von
Elend, Degradation und Zerstörung der Kinder und jungen Personen, das
jemals das Auge der Welt schlug … Man wähnt vielleicht, der Bericht
beschreibe die Greuel eines vergangenen Zeitalters … Diese Greuel dauern
fort, intensiver als jemals … Die 1842 denuncirten Missbräuche stehn
heut zu Tage (Oktober 1863) in voller Blüthe … Der Bericht von
1842 wurde ohne weitere Notiznahme zu den Akten gelegt und da lag er
zwanzig volle Jahre, während deren man den physisch, geistig und mora-
lisch niedergetretenen Kindern erlaubte, die Eltern der jetzigen Generation
zu werden“320). Die jetzige Untersuchungskommission schlägt ebenfalls
neue Reglung der Minenindustrie vor321). Endlich brachte Professor
Fawcett im Unterhaus (1867) ähnliche Resolutionen für die Agrikultur-
arbeiter ein, das Kabinet übernahm jedoch die Initiative.
Wenn die Verallgemeinerung der Fabrikgesetzgebung als physisches
und geistiges Schutzmittel der Arbeiterklasse unvermeidlich geworden ist,
verallgemeinert und beschleunigt sie andrerseits, wie bereits angedeutet,
die Verwandlung zerstreuter Arbeitsprozesse auf Zwergmassstab in kom-
binirte Arbeitsprozesse auf grosser, gesellschaftlicher Stufenleiter, die Kon-
centration des Kapitals und das Fabrikregime selbst. Sie zerstört alle
alterthümlichen und Uebergangsformen, wohinter sich die Herrschaft des
Kapitals noch theilweis versteckt, und ersetzt sie durch seine direkte, un-
verhüllte Herrschaft. Sie verallgemeinert damit auch den direkten Kampf
gegen diese Herrschaft. Während sie in den individuellen Werkstätten
Gleichförmigkeit, Regelmässigkeit, Ordnung und Oekonomie erzwingt,
vermehrt sie durch den ungeheuren Sporn, den Schranke und Regel des
Arbeitstags der Technik aufdrücken, die Anarchie und Katastrophen der
kapitalistischen Produktion im Grossen und Ganzen, die Intensivität der
Arbeit und die Konkurrenz der Maschinerie mit dem Arbeiter. Mit den
Sphären des Kleinbetriebs und der Hausarbeit vernichtet sie die letzten
Zufluchtsstätten der unaufhörlich „überzählig“ gemachten und damit
das bisherige Sicherheitsventil des ganzen Gesellschaftsmechanismus. Mit
den materiellen Bedingungen und der gesellschaftlichen Kombination des
Produktionsprozesses reift sie die Widersprüche und Antagonismen seiner
kapitalistischen Form, daher gleichzeitig die Bildungselemente
einer neuen und die Umwälzungsmomente der alten Ge-
sellschaft322).
Die Revolution, welche die grosse Industrie im Ackerbau und den
socialen Verhältnissen seiner Produktionsagenten hervorruft, kann erst
später dargestellt werden. Hier genügt kurze Andeutung einiger vorweg-
genommener Resultate. Wenn der Gebrauch der Maschinerie im Acker-
bau grossentheils frei ist von den physischen Nachtheilen, die sie dem
Fabrikarbeiter zufügt323), wirkt sie hier noch intensiver und ohne Gegen-
stoss auf die „Ueberzähligmachung“ der Arbeiter, wie man später im De-
tail sehn wird. In den Grafschaften von Cambridge und Suffolk z. B. hat
sich das Areal des bebauten Landes seit den letzten zwanzig Jahren sehr
ausgedehnt, während die Landbevölkerung in derselben Periode nicht nur
relativ, sondern absolut abnahm. In den Vereinigten Staaten von
Nordamerika ersetzen Agrikultur - Maschinen einstweilen nur virtuell
Arbeiter, d. h. sie erlauben dem Producenten Bebauung einer grösseren
Fläche, verjagen aber nicht wirklich beschäftigte Arbeiter. In England
und Wales betrug 1861 die Zahl der in der Fabrikation von Ackerbau-
Maschinen betheiligten Personen 1034, während die Zahl der an
Dampf- und Arbeitsmaschinen beschäftigten Agrikulturarbei-
ter nur 1205 betrug.
In der Sphäre der Agrikultur wirkt die grosse Industrie in sofern
am revolutionärsten, als sie das Bollwerk der alten Gesellschaft vernichtet,
den „Bauer“, und ihm den Lohnarbeiter unterschiebt. Die socialen
Umwälzungsbedürfnisse und Gegensätze des Landes werden so mit denen
der Stadt ausgeglichen. An die Stelle des gewohnheitsfaulsten und irra-
tionellsten Betriebs tritt bewusste, technologische Anwendung der Wissen-
schaft. Die Zerreissung des ursprünglichen Familienbandes von Agri-
kultur und Manufaktur, welches die kindlich unentwickelte Gestalt beider
umschlang, wird durch die kapitalistische Produktionsweise vollendet. Sie
schafft aber zugleich die materiellen Voraussetzungen einer neuen, höheren
Synthese, des Vereins von Agrikultur und Industrie, auf Grundlage ihrer
gegensätzlich ausgearbeiteten Gestalten. Mit dem stets wachsenden Ueber-
gewicht der städtischen Bevölkerung, die sie in grossen Centren zusammen-
häuft, häuft die kapitalistische Produktion einerseits die geschichtliche
Bewegungskraft der Gesellschaft, stört sie andrerseits den Stoffwechsel
zwischen Mensch und Erde, d. h. die Rückkehr der vom Menschen in der
Form von Nahrungs- und Kleidungsmitteln vernutzten Bodenbestandtheile
zum Boden, also die ewige Naturbedingung dauernder Bodenfruchtbarkeit.
Sie zerstört damit zugleich die physische Gesundheit der Stadtarbeiter und
das geistige Leben der Landarbeiter324). Aber sie zwingt zugleich durch
die Zerstörung der bloss naturwüchsig entstandenen Umstände jenes Stoff-
wechsels ihn systematisch als regelndes Gesetz der gesellschaftlichen Pro-
duktion und in einer der vollen menschlichen Entwicklung adäquaten Form
herzustellen. In der Agrikultur wie in der Manufaktur erscheint die kapi-
talistische Umwandlung des Produktionsprozesses zugleich als Martyrologie
der Producenten, das Arbeitsmittel als Unterjochungsmittel, Exploitationsmit-
tel und Verarmungsmittel des Arbeiters, die gesellschaftliche Kombina-
tion der Arbeitsprozesse als organisirte Unterdrückung seiner individu-
ellen Lebendigkeit, Freiheit und Selbstständigkeit. Die Zerstreuung der
Landarbeiter über grössere Flächen bricht zugleich ihre Widerstandskraft,
während Koncentration die der städtischen Arbeiter steigert. Wie in der
städtischen Industrie wird in der modernen Agrikultur die gesteigerte Pro-
duktivkraft und grössere Flüssigmachung der Arbeit erkauft durch Verwü-
stung und Versiechung der Arbeitskraft selbst. Und jeder Fortschritt der
kapitalistischen Agrikultur ist nicht nur ein Fortschritt in der Kunst den
Arbeiter, sondern zugleich in der Kunst den Boden zu berauben,
jeder Fortschritt in Steigerung seiner Fruchtbarkeit für eine gegebne Zeitfrist
zugleich ein Fortschritt im Ruin der dauernden Quellen dieser Fruchtbarkeit.
Je mehr ein Land, wie die Vereinigten Staaten von Nordamerika z. B.,
von der grossen Industrie als dem Hintergrund seiner Entwicklung ausgeht,
desto rascher dieser Zerstörungsprozess325). Die kapitalistische Produk-
tion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaft-
lichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen allen
Reichthums untergräbt: Die Erde und den Arbeiter.
Der Arbeitsprozess wurde (sieh drittes Kapitel) zunächst ab-
strakt betrachtet, unabhängig von seinen geschichtlichen Formen, als Pro-
zess zwischen Mensch und Natur. Soweit der Prozess rein individuell,
vereinigt derselbe Arbeiter alle Funktionen, die sich später trennen. In
der individuellen Aneignung von Naturgegenständen zu seinen Lebens-
zwecken kontrolirt er sich selbst. Später wird er kontrolirt. Der ein-
zelne Mensch kann nicht auf die Natur wirken ohne Bethätigung seiner
eignen Muskeln unter Kontrole seines eignen Hirns. Wie im Natursystem
Kopf und Hand zusammengehören, vereint der Arbeitsprozess Kopfarbeit
und Handarbeit. Später scheiden sie sich, bis zum feindlichen Gegensatz.
Das Produkt verwandelt sich überhaupt aus dem unmittelbaren Produkt
des individuellen Producenten in das gemeinsame Produkt eines kombinir-
ten Arbeitspersonals, dessen Glieder der Handhabung des Arbeitsgegen-
standes näher oder ferner stehn. Mit dem cooperativen Charakter des
Arbeitsprozesses selbst erweitert sich daher nothwendig der Begriff
der produktiven Arbeit und ihres Trägers, des produktiven
Arbeiters. Andrerseits verengt er sich. Die kapitalistische Produk-
tion ist nicht nur Produktion von Waare, sie ist wesentlich Pro-
duktion von Mehrwerth. Der Arbeiter producirt nicht für sich,
sondern für das Kapital. Es genügt daher nicht länger, dass er über-
haupt producirt. Er muss Mehrwerth produciren. Nur der Arbei-
ter ist produktiv, der Mehrwerth für den Kapitalisten
producirt oder zur Selbstverwerthung des Kapitals dient.
Steht es frei ein Beispiel ausserhalb der Sphäre der materiellen Produktion
zu wählen, so ist ein Schulmeister produktiver Arbeiter, wenn er nicht nur
Kinderköpfe bearbeitet, sondern sich selbst abarbeitet zur Bereicherung
des Unternehmers. Dass der sein Kapital in einer Lehrfabrik angelegt hat,
statt in einer Wurstfabrik, ändert nichts an dem Verhältniss. Der Be-
griff des produktiven Arbeiters schliesst daher keineswegs bloss ein Ver-
hältniss zwischen Thätigkeit und Nutzeffekt, zwischen Arbeiter und Arbeits-
produkt ein, sondern auch ein spezifisch gesellschaftliches Produktionsverhält-
niss, welches den Arbeiter zum unmittelbaren Verwerthungsmittel des Ka-
pitals stempelt. Produktiver Arbeiter zu sein, ist daher kein Glück, sondern
ein Pech. Im vierten Buch dieser Schrift, welches die Geschichte der
Theorie behandelt, wird man näher sehn, dass die klassische politische
Oekonomie von jeher die Produktion von Mehrwerth zum ent-
scheidenden Charakter des produktiven Arbeiters machte. Mit ihrer Auf-
fassung von der Natur des Mehrwerths wechselt daher ihre Definition
des produktiven Arbeiters.
Zunächst erschienen uns die Produktion von absolutem Mehrwerth
und die Produktion von relativem Mehrwerth als zwei verschiedne,
verschiednen Entwicklungsepochen des Kapitals angehörige, Produk-
tionsarten. Die Produktion des absoluten Mehrwerths
bedingt, dass die sachlichen Arbeitsbedingungen in Kapital und die Arbeiter
in Lohnarbeiter verwandelt sind, dass die Produkte als Waaren, d. h.
für den Verkauf producirt werden, dass der Produktionsprozess zu-
gleich Konsumtionsprozess der Arbeitskraft durch das Kapital und daher
der direkten Kontrole des Kapitalisten unterworfen ist, endlich, dass der
Arbeitsprozess, also der Arbeitstag, über den Punkt hinaus verlängert
wird, wo der Arbeiter nur ein Aequivalent für den Werth seiner Arbeits-
kraft producirt hätte. Die allgemeinen Bedingungen aller Pro-
duktion von Waaren vorausgesetzt, besteht die Produktion des abso-
luten Mehrwerths einfach in der Verlängerung des Arbeitstags
über die Grenze der zum Leben des Arbeiters selbst nothwendigen
Arbeitszeit, und in der Aneignung der Mehrarbeit durch das
Kapital. Dieser Prozess kann vorgehn und geht vor auf Grundlage von
Betriebsweisen, die ohne Zuthun des Kapitals historisch überliefert sind.
Es findet dann nur eine formelle Metamorphose statt, oder die kapitali-
stische Ausbeutungsweise unterscheidet sich von den früheren, wie Skla-
vensystem u. s. w., nur dadurch, dass die Mehrarbeit hier durch direkten
Zwang abgerungen, dort durch „freiwilligen“ Verkauf der Arbeitskraft
vermittelt wird. Die Produktion des absoluten Mehrwerths unterstellt
also nur formelle Subsumtion der Arbeit unter das Ka-
pital.
Die Produktion des relativen Mehrwerths setzt die Pro-
duktion des absoluten Mehrwerths voraus, also auch die entsprechende
allgemeine Form der kapitalistischen Produktion. Ihr Zweck ist Erhöhung
des Mehrwerths durch Verkürzung der nothwendigen Arbeitszeit, unabhängig
von den Grenzen des Arbeitstags. Das Ziel wird erreicht durch Ent-
wicklung der Produktivkräfte der Arbeit. Diess bedingt jedoch eine Re-
volution des Arbeitsprozesses selbst. Es genügt nicht mehr ihn zu ver-
längern, er muss neu gestaltet werden. Die Produktion des relativen
Mehrwerths unterstellt also eine specifisch kapitalistische
Produktionsweise, die mit ihren Methoden, Mitteln und Bedingungen
selbst erst auf Grundlage der formellen Subsumtion der Arbeit unter das
Kapital naturwüchsig entsteht und ausgebildet wird. An die Stelle der
formellen tritt die reelle Subsumtion der Arbeit unter das
Kapital.
Es genügt blosser Hinweis auf Zwitterformen, worin die
Mehrarbeit weder durch direkten Zwang dem Producenten ausgepumpt
wird, noch auch dessen formelle Unterordnung unter das Kapital ein-
getreten ist. Das Kapital hat sich hier noch nicht unmittelbar des Arbeits-
prozesses bemächtigt. Neben die selbstständigen Producenten,
die in überlieferter, urväterlicher Betriebsweise handwerkern oder acker-
bauen, tritt der Wucherer oder der Kaufmann, dasWucherkapital oder das
Handelskapital, das sie parasitenmässig aussaugt. Vorherrschaft dieser
Exploitationsform in einer Gesellschaft schliesst die kapitalistische
Produktionsweise aus, zu der sie andrerseits, wie im späteren Mittel-
alter, den Uebergang bilden kann. Endlich, wie das Beispiel der
modernen Hausarbeit gezeigt, werden gewisse Zwitterformen auf dem Hin-
tergrund der grossen Industrie stellenweis reproducirt, wenn auch mit
gänzlich veränderter Physiognomie.
Wenn zur Produktion des absoluten Mehrwerths die bloss formelle
Subsumtion der Arbeit unter das Kapital genügt, z. B. dass Handwerker,
die früher für sich selbst oder auch als Gesellen eines Zunftmeisters arbei-
teten, nun als Lohnarbeiter unter die direkte Kontrole des Kapitalisten
treten, zeigte sich andrerseits, wie die Methoden zur Produktion des rela-
tiven Mehrwerths zugleich Methoden zur Produktion des absoluten Mehr-
werths sind. Ja die masslose Verlängerung des Arbeitstags stellte sich
als eigenstes Produkt der grossen Industrie dar. Ueberhaupt hört die
spezifisch kapitalistische Produktionsweise auf blosses
Mittel zur Produktion des relativen Mehrwerths zu sein, sobald
sie sich eines ganzen Produktionszweigs und noch mehr, sobald sie sich
aller entscheidenden Produktionszweige bemächtigt hat. Sie wird jetzt
allgemeine, gesellschaftlich herrschende Form des Produktionsprozesses.
Als besondre Methode zur Produktion des relativen Mehr-
werths wirkt sie nur noch, erstens soweit sie dem Kapital bisher nur
formell untergeordnete Industrieen ergreift, also in ihrer Propaganda.
Zweitens, soweit in den ihr bereits anheimgefallenen Industrieen fort-
währende Revolution in der Anwendung der Maschinerie, der Natur-
kräfte und der Produktionsmethode überhaupt stattfindet.
Von gewissem Gesichtspunkt scheint der Unterschied zwischen abso-
lutem und relativem Mehrwerth überhaupt illusorisch. Der relative
Mehrwerth ist absolut, denn er bedingt absolute Verlängerung
des Arbeitstags über die zur Existenz des Arbeiters selbst nothwen-
dige Arbeitszeit. Der absolute Mehrwerth ist relativ, denn er bedingt
eine Entwicklung der Arbeitsproduktivität, welche erlaubt, die nothwendige
Arbeitszeit auf einen Theil des Arbeitstags zu beschränken. Fasst
man aber die Bewegung des Mehrwerths ins Auge, so verschwindet
dieser Schein der Einerleiheit. Die Produktivkraft der Arbeit und ihren
Normalgrad von Intensivität gegeben, ist die Rate des Mehrwerths nur
erhöhbar durch absolute Verlängerung des Arbeitstags.
Andrerseits ist die Rate des Mehrwerths nur erhöhbar, bei gegebner Grenze
des Arbeitstags, durch relativen Grössenwechsel seiner Be-
standtheile, der nothwendigen Arbeit und der Mehrarbeit, was sei-
nerseits, soll der Lohn nicht unter den Werth der Arbeitskraft sinken,
Wechsel in der Produktivität oder Intensivität der Arbeit voraussetzt.
Braucht der Arbeiter alle seine Zeit, um die zur Erhaltung seiner
selbst und seiner Race nöthigen Lebensmittel zu produciren, so bleibt ihm
keine Zeit, um unentgeldlich für dritte Personen zu arbeiten. Ohne einen
gewissen Produktivitätsgrad der Arbeit keine solche disponible Zeit des
Arbeiters, ohne solche überschüssige Zeit keine Mehrarbeit und daher
keine Kapitalistenklasse. Ein gewisser Höhepunkt der Arbeitsproduktivität
ist also überhaupt Existenzbedingung der kapitalistischen Produktion, wie
aller früheren Produktionsweisen, worin ein Theil der Gesellschaft nicht
nur für sich selbst, sondern auch für den andern arbeitet1).
So kann von einer Naturbasis des Mehrwerths gesprochen wer-
den, aber nur in dem ganz allgemeinen Sinn, dass kein absolutes Natur-
hinderniss den einen abhält die zu seiner eignen Existenz nöthige Arbeit
von sich selbst ab- und einem andern aufzuwälzen. Es sind durchaus nicht,
wie es hier und da geschehn, mystische Vorstellungen mit dieser natur-
wüchsigen Produktivität der Arbeit zu verbinden. Nur sobald
die Menschen sich aus ihren ersten Thierzuständen herausgearbeitet, ihre
Arbeit selbst also schon in gewissem Grad vergesellschaftet ist, treten
Verhältnisse ein, worin die Mehrarbeit des einen zur Existenzbedingung
des andern wird. In den Kulturanfängen sind die erworbnen Produktiv-
kräfte der Arbeit gering, aber so sind die Bedürfnisse, die sich mit und an
den Mitteln ihrer Befriedigung entwickeln. Ferner ist in jenen Anfängen die
Proportion der Gesellschaftstheile, die von fremder Arbeit leben, ver-
schwindend klein gegen die Masse der unmittelbaren Producenten. Mit
dem Fortschritt der gesellschaftlichen Produktivkraft der Arbeit wächst
diese Proportion absolut und relativ2). Das Kapitalverhältniss
entspringt übrigens auf einem ökonomischen Boden, der das Produkt einer
langen Reihe früherer Entwicklungsphasen ist. Die vorhandne Pro-
duktivität der Arbeit, wovon es als Grundlage ausgeht, ist nicht
Gabe der Natur, sondern der Geschichte.
Von der mehr oder minder entwickelten Gestalt des gesellschaftlichen
Produktionsprozesses abgesehn, bleibt die Produktivität der Arbeit an
Naturbedingungen gebunden, und wechselt der Grad ihrer Produk-
tivität mit dem Reichthum dieser Naturbedingungen. Sie sind alle rück-
führbar auf die Natur des Menschen selbst und die ihn umgebende Natur.
Der grössere oder geringere Reichthum der menschlichen Natur hängt ab
von Race, Boden und Klima. Die äussern Naturbedingungen zerfallen
ökonomisch in zwei grosse Klassen, natürlicher Reichthum an Lebens-
mitteln, also Bodenfruchtbarkeit, fischreiche Gewässer u. s. w., und
natürlicher Reichthum an Arbeitsmitteln, wie lebendige Wasserge-
fälle, schiffbare Flüsse, Holz, Metalle, Kohle u. s. w. In den Kulturan-
fängen giebt die erstere, auf höherer Entwicklungsstufe die zweite Art des
natürlichen Reichthums den Ausschlag. Man vergleiche z. B. England
mit Indien oder, in der antiken Welt, Athen und Korinth mit den Ufer-
ländern des schwarzen Meeres.
Je geringer die Zahl der absolut zu befriedigenden Naturbedürfnisse,
und je grösser die natürliche Bodenfruchtbarkeit und Gunst des Klimas, desto
geringer die zur Erhaltung und Reproduktion des Producenten nothwendige
Arbeitszeit. Desto grösser kann also der Ueberschuss seiner Arbeit für An-
dere über seine Arbeit für sich selbst sein. So bemerkt schon Diodor über die
alten Aegypter: „Es ist ganz unglaublich, wie wenig Mühe und Kosten die
Erziehung ihrer Kinder ihnen verursacht. Sie kochen ihnen die nächste
beste einfache Speise; auch geben sie ihnen von der Papierstaude den
unteren Theil zu essen, soweit man ihn im Feuer rösten kann, und die
Wurzel und Stengel der Sumpfgewächse, theils roh, theils gesotten und
gebraten. Die meisten Kinder gehn ohne Schuhe und unbekleidet, da die
Luft so mild ist. Daher kostet ein Kind seinen Aeltern, bis es erwachsen
ist, im Ganzen nicht über zwanzig Drachmen. Hieraus ist es hauptsäch-
lich zu erklären, dass in Aegypten die Bevölkerung so zahlreich ist und
darum so viel grosse Werke angelegt werden konnten“3).
Indess sind die grossen Bauwerke des alten Aegyptens dem Umfang seiner
Bevölkerung weniger geschuldet als der grossen Proportion, worin sie dis-
ponibel war. Wie der individuelle Arbeiter um so mehr Mehrarbeit liefern
kann, je geringer seine nothwendige Arbeitszeit, so, je geringer der zur
Produktion der nothwendigen Lebensmittel erheischte Theil der Arbeiter-
bevölkerung, desto grösser der für andres Werk disponible Theil.
Die kapitalistische Produktion einmal vorausgesetzt, wird, unter sonst
gleichbleibenden Umständen und bei gegebner Länge des Arbeitstags, die
Grösse der Mehrarbeit mit den Naturbedingungen der Arbeit, namentlich
auch der Bodenfruchtbarkeit, variiren. Es folgt aber keineswegs umge-
kehrt, dass der fruchtbarste Boden der geeignetste zum Wachsthum der
kapitalistischen Produktionsweise. Sie unterstellt Herrschaft des Men-
schen über die Natur. Eine zu verschwenderische Natur „hält ihn an ihrer
Hand wie ein Kind am Gängelband“. Sie macht seine eigne Entwicklung
nicht zu einer Naturnothwendigkeit4). Nicht das tropische Klima mit
seiner überwuchernden Vegetation, sondern die gemässigte Zone ist das
Mutterland des Kapitals. Es ist nicht die absolute Fruchtbarkeit des
Bodens, sondern seine Differenzirung, die Mannigfaltigkeit seiner natür-
lichen Produkte, welche die Naturgrundlage der gesellschaftlichen Theilung
der Arbeit bildet, und den Menschen durch den Wechsel der Naturum-
stände, innerhalb deren er haust, zur Vermannigfachung seiner eignen Be-
dürfnisse, Fähigkeiten, Arbeitsmittel und Arbeitsweisen spornt. Die Noth-
wendigkeit eine Naturkraft gesellschaftlich zu kontroliren, da-
mit Haus zu halten, sie durch Werke von Menschenhand auf grossem Mass-
stab erst anzueignen oder zu zähmen, spielt die entscheidendste Rolle in der
Geschichte der Industrie. So z. B. die Wasserreglung in Aegypten5),
Lombardei, Holland u. s. w. Oder in Indien, Persien u. s. w., wo die
Ueberrieselung durch künstliche Kanäle dem Boden nicht nur das unent-
behrliche Wasser, sondern mit dessen Geschlämme zugleich den Mineral-
dünger von den Bergen zuführt. Das Geheimniss der Industrieblüthe von
Spanien und Sicilien unter arabischer Herrschaft war die Kanalisation6).
Die Gunst der Naturbedingungen liefert immer nur die Möglich-
keit, niemals die Wirklichkeit der Mehrarbeit, also des Mehrwerths
oder des Surplusprodukts. Die verschiednen Naturbedingungen der Arbeit
bewirken, dass dieselbe Quantität Arbeit in verschiednen Ländern
verschiedne Bedürfnissmassen befriedigt7), dass also, unter sonst analogen
Umständen, die nothwendige Arbeitszeit verschieden ist. Auf
die Mehrarbeit wirken sie nur als Naturschranke, d. h. durch die Bestim-
mung des Punkts, wo die Arbeit für Andre beginnen kann. In dem-
selben Mass, worin die Industrie vortritt, weicht diese Naturschranke zu-
rück. Mitten in der westeuropäischen Gesellschaft, wo der Arbeiter die
Erlaubniss für seine eigne Existenz zu arbeiten nur durch Mehrarbeit er-
kauft, wird sich leicht eingebildet, es sei eine der menschlichen Arbeit
eingeborne Qualität, ein Surplusprodukt zu liefern8). Man nehme aber
z. B. den Einwohner der östlichen Inseln des asiatischen Archipelagus,
wo der Sago wild im Walde wächst. „Wenn die Bewohner, indem sie
ein Loch in den Baum bohren, sich davon überzeugt haben, dass das
Mark reif ist, so wird der Stamm umgeschlagen und in mehrere Stücke
getheilt, das Mark wird herausgekratzt, mit Wasser gemischt und geseiht,
es ist dann vollkommen brauchbares Sagomehl. Ein Baum giebt ge-
meiniglich 300 Pfund und kann 5 bis 600 Pfund geben. Man geht dort
also in den Wald und schneidet sich sein Brod, wie man bei uns sein Brenn-
holz schlägt“9). Gesetzt ein solcher ostasiatischer Brodschneider brauche
12 Arbeitsstunden in der Woche zur Befriedigung aller seiner Bedürfnisse.
Was ihm die Gunst der Natur unmittelbar giebt, ist viel Mussezeit.
Damit er diese produktiv für sich selbst verwende, ist eine ganze Reihe
geschichtlicher Umstände, damit er sie in Mehrarbeit für fremde Personen
verausgabe, ist äusserer Zwang erheischt. Würde kapitalistische Produk-
tion eingeführt, so müsste der Brave vielleicht 6 Tage in der Woche arbeiten,
um sich selbst das Produkt eines Arbeitstags anzueignen. Die Gunst der
Natur erklärt nicht, warum er jetzt 6 Tage in der Woche arbeitet oder warum
er 5 Tage Mehrarbeit liefert. Sie erklärt nur, warum seine nothwendige
Arbeitszeit auf einen Tag in der Woche beschränkt ist. In keinem Fall
aber entspränge sein Mehrprodukt aus einer der menschlichen Arbeit ein-
gebornen, occulten Qualität.
Wie die geschichtlich entwickelten, gesellschaftlichen, so er-
scheinen die naturbedingten Produktivkräfte der Arbeit
als Produktivkräfte des Kapitals, dem sie einverleibt wird.
In Kapitel III, 3. Abschnitt, analysirten wir die Rate des Mehr-
werths, aber nur vom Standpunkt der Produktion des absoluten Mehr-
werths. In Kapitel IV fanden wir zusätzliche Bestimmungen. Das
Wesentliche ist hier zu späterem Gebrauch kurz zusammenzufassen.
Der Werth der Arbeitskraft ist bestimmt durch den Werth der ge-
wohnheitsmässig nothwendigen Lebensmittel des Durchschnittsarbeiters.
Die Masse dieser Lebensmittel, obgleich ihre Form wechseln mag, ist
in einer bestimmten Epoche einer bestimmten Gesellschaft gegeben, und
daher als constante Grösse zu behandeln. Was wechselt, ist der Werth
dieser Masse. Zwei andre Faktoren gehn in die Werthbestimmung
der Arbeitskraft ein. Einerseits ihre Entwicklungskosten, die sich
mit der Produktionsweise ändern, andrerseits ihre Naturdifferenz,
ob sie männlich oder weiblich, reif oder unreif. Der Verbrauch dieser
differenten Arbeitskräfte, wieder bedingt durch die Produktionsweise,
macht grossen Unterschied in den Reproduktionskosten der Arbeiterfamilie
und dem Werth des erwachsnen männlichen Arbeiters. Beide Faktoren
bleiben jedoch bei der folgenden Untersuchung ausgeschlossen.
Wir unterstellen, 1) dass die Waaren zu ihrem Werth verkauft
werden, 2) dass der Preis der Arbeitskraft wohl gelegentlich über
ihren Werth steigt, aber nie unter ihn sinkt.
Diess einmal unterstellt, fand sich, dass die relativen Grössen von
Preis der Arbeitskraft und von Mehrwerth durch drei Umstände bedingt sind,
die Länge des Arbeitstags oder die extensive Grösse der
Arbeit, die normale Intensivität der Arbeit, oder ihre
intensive Grösse, so dass bestimmtes Arbeitsquantum in bestimmter
Zeit verausgabt wird, endlich die Produktivkraft der Arbeit,
so dass je nach dem Entwicklungsgrad der Produktionsbedingungen das-
selbe Quantum Arbeit in derselben Zeit ein grösseres oder kleineres Quan-
tum Produkt liefert. Sehr verschiedne Kombinationen sind offenbar
möglich, je nachdem einer der drei Faktoren constant und zwei variabel,
oder zwei Faktoren constant und einer variabel, oder endlich alle drei
gleichzeitig variabel sind. Diese Kombinationen werden noch dadurch
vermannigfacht, dass bei gleichzeitiger Variation verschiedner Faktoren die
Grösse und Richtung der Variation verschieden sein können. Im Folgen-
den sind nur die Hauptkombinationen dargestellt.
Unter dieser Voraussetzung sind Werth der Arbeitskraft und Mehr-
werth durch drei Gesetze bestimmt:
Erstens: Der Arbeitstag von gegebner Grösse stellt
sich stets in demselben Werthprodukt dar, wie auch die
Produktivität der Arbeit, mit ihr die Produktenmasse
und daher der Preis der einzelnen Waare wechsle.
Das Werthprodukt eines zwölfstündigen Arbeitstags ist 6 sh.
z. B., obgleich die Masse des producirten Gebrauchswerths mit der Pro-
duktivkraft der Arbeit wechselt, der Werth von 6 sh. sich also über mehr
oder weniger Waaren vertheilt.
Zweitens: Werth der Arbeitskraft und Mehrwerth
wechseln in umgekehrter Richtung zu einander und zum
Wechsel in der Produktivkraft der Arbeit.
Das Werthprodukt des zwölfstündigen Arbeitstags ist eine constante
Grösse, z. B. 6 sh. Diese constante Grösse ist gleich der Summe des
Mehrwerths plus dem Werth der Arbeitskraft, den der Ar-
beiter durch ein Aequivalent ersetzt. Es ist selbstverständlich, dass von
zwei Theilen einer constanten Grösse keiner zunehmen kann, ohne dass
der andre abnimmt und keiner abnehmen, ohne dass der andre zunimmt.
Der Werth der Arbeitskraft kann nicht von 3 sh. auf 4 steigen, ohne dass
der Mehrwerth von 3 sh. auf 2 fällt und der Mehrwerth kann nicht von
3 auf 4 sh. steigen, ohne dass der Werth der Arbeitskraft von 3 sh. auf
2 fällt. Unter diesen Umständen also ist kein Wechsel in der abso-
luten Grösse, sei es des Werths der Arbeitskraft, sei es des Mehr-
werths, möglich ohne einen Wechsel ihrer relativen oder verhält-
nissmässigen Grössen. Es ist unmöglich, dass sie gleich-
zeitig fallen oder steigen.
Der Werth der Arbeitskraft kann ferner nicht fallen, also der Mehr-
werth nicht steigen, ohne dass die Produktivkraft der Arbeit
steigt, z. B. im obigen Fall kann der Werth der Arbeitskraft nicht von
3 auf 2 sh. sinken, ohne dass erhöhte Produktivkraft der Arbeit erlaubt in
4 Stunden dieselbe Masse Lebensmittel zu produciren, die vorher 6 Stun-
den zu ihrer Produktion erheischten. Umgekehrt kann der Werth der Ar-
beitskraft nicht von 3 auf 4 sh. steigen, ohne dass die Produktivkraft der
Arbeit fällt, also 8 Stunden zur Produktion derselben Masse von Lebens-
mitteln erheischt sind, wozu früher 6 Stunden genügten. Dieselbe
Richtung im Wechsel der Produktivkraft der Arbeit, ihre Zunahme oder
Abnahme, wirkt in entgegengesetzter Richtung auf den gleichzei-
tigen Grössenwechsel von Werth der Arbeitskraft und Mehrwerth.
Bei Formulirung dieses Gesetzes übersah Ricardo einen Umstand:
Obgleich der Wechsel in der Grösse des Mehrwerths oder der Mehr-
arbeit einen umgekehrten Wechsel in der Grösse des Werths der Ar-
beitskraft oder der nothwendigen Arbeit bedingt, folgt keineswegs, dass
sie in demselben Verhältniss wechseln. Sie nehmen zu oder ab
um dieselbe Grösse. Das Verhältniss aber, worin jeder Theil
des Werthprodukts oder des Arbeitstags zu- oder abnimmt, hängt von der
ursprünglichen Theilung ab, die vor dem Wechsel in der Produktiv-
kraft der Arbeit stattfand. War der Weith der Arbeitskraft z. B. 4 sh.
oder die nothwendige Arbeitszeit gleich 8 Stunden, also der Mehrwerth
2 sh. oder die Mehrarbeit gleich 4 Stunden, und fällt, in Folge erhöhter
Produktivkraft der Arbeit, der Werth der Arbeitskraft auf 3 sh. oder die
nothwendige Arbeit auf 6 Stunden, so steigt der Mehrwerth auf 3 sh. oder
die Mehrarbeit auf 6 Stunden. Es ist dieselbe Grösse von zwei
Stunden oder 1 sh., die dort zugefügt, hier weggenommen wird. Aber
das Verhältniss des Grössenwechsels ist auf beiden Seiten
verschieden. Während der Werth der Arbeitskraft von 4 sh. auf 3,
also um ¼ oder 25 % sinkt, steigt der Mehrwerth von 2 sh. auf 3, also
um ½ oder 50 %. Es folgt daher, dass die proportionelle Zu- oder
Abnahme des Mehrwerths, in Folge eines gegebnen Wechsels in der Pro-
duktivkraft der Arbeit, um so grösser, je kleiner, und um so kleiner, je
grösser ursprünglich der Theil des Arbeitstags war, der sich in Mehrwerth
darstellt.
Drittens: Zu- oder Abnahme des Mehrwerths ist stets
Folge und nie Grund der entsprechenden Ab- oder Zu-
nahme des Werths der Arbeitskraft10).
Da der Arbeitstag von constanter Grösse ist, sich in einer constanten
Werthgrösse darstellt, jedem Grössenwechsel des Mehrwerths ein umge-
kehrter Grössenwechsel im Werth der Arbeitskraft entspricht und der Werth
der Arbeitskraft nur wechseln kann mit einem Wechsel in der Produktiv-
kraft der Arbeit, folgt unter diesen Bedingungen offenbar, dass jeder
Grössenwechsel des Mehrwerths aus einem Grössenwechsel im Werth der
Arbeitskraft entspringt. Wenn man daher gesehn, dass kein absoluter
Grössenwechsel im Werth der Arbeitskraft und des Mehrwerths
möglich ist ohne einen Wechsel ihrer relativen Grössen, so folgt jetzt,
dass kein Wechsel ihrer relativen Werthgrössen möglich ist
ohne einen Wechsel der absoluten Werthgrösse der Arbeits-
kraft.
Ricardo hat die eben aufgestellten drei Gesetze zuerst streng for-
mulirt. Die Mängel seiner Darstellung sind, 1) dass er die besondern
Bedingungen, innerhalb deren jene Gesetze gelten, als sich von selbst ver-
stehende allgemeine und ausschliessliche Bedingungen der kapi-
talistischen Produktion voraussetzt; 2), und diess verfälscht seine Analyse
in viel höherem Grad, dass er überhaupt den Mehrwerth nicht rein dar-
stellt, d. h. nicht unabhängig von seinen besondern Formen, wie Profit, Grund-
rente u. s. w. Er wirft daher die Gesetze über die Rate des
Mehrwerths unmittelbar zusammen mit den Gesetzen der Profit-
rate. Ich werde später, im 3. Buch dieser Schrift beweisen, dass die-
selbe Rate des Mehrwerths sich in den verschiedensten
Profitraten und verschiedne Raten des Mehrwerths, unter
bestimmten Umständen, sich in derselben Profitrate ausdrücken
können.
Nach dem dritten Gesetz unterstellt der Grössenwechsel des Mehr-
werths eine durch Wechsel in der Produktivkraft der Arbeit verursachte
Werthbewegung der Arbeitskraft. Die Grenze jenes Wechsels ist
durch die neue Werthgrenze der Arbeitskraft gegeben. Es
können aber, auch wenn die Umstände dem Gesetz zu wirken erlauben,
Zwischenbewegungen stattfinden. Fällt z. B. in Folge erhöhter Produk-
tivkraft der Arbeit der Werth der Arbeitskraft von 4 sh. auf 3, oder die
nothwendige Arbeitszeit von 8 Stunden auf 6, so könnte der Preis der
Arbeitskraft nur auf 3 sh. 8 d., 3 sh. 6 d., 3 sh. 2 d. u. s. w. fallen, der
Mehrwerth daher nur auf 3 sh. 4 d., 3 sh. 6 d., 3 sh. 10 d. u. s. w.
steigen. Der Grad des Falls, dessen Minimalgrenze 3 sh., hängt
von dem relativen Gewicht ab, das der Druck des Kapitals von der einen
Seite, der Widerstand der Arbeiter von der andern Seite in die Wag-
schale wirft.
Der Werth der Arbeitskraft ist bestimmt durch den Werth eines be-
stimmten Quantums von Lebensmitteln. Was mit der Produktivkraft der
Arbeit wechselt, ist der Werth dieser Lebensmittel, nicht ihre Masse.
Die Masse selbst kann, bei steigender Produktivkraft der Arbeit, für Ar-
beiter und Kapitalist gleichzeitig und in demselben Verhält-
niss wachsen, ohne irgend einen Grössenwechsel zwischen Preis der
Arbeitskraft und Mehrwerth. Ist z. B. der ursprüngliche Werth der Ar-
beitskraft gleich 3 sh. und beträgt die nothwendige Arbeitszeit 6 Stunden,
ist der Mehrwerth ebenfalls gleich 3 sh. oder beträgt die Mehrarbeit auch 6
Stunden, so würde eine Verdopplung in der Produktivkraft der Arbeit, bei
gleichbleibender Theilung des Arbeitstags, Preis der Arbeitskraft und Mehr-
werth unverändert lassen. Nur stellte sich jeder derselben in doppelt
so vielen, aber verhältnissmässig verwohlfeilerten Gebrauchswerthen dar. Ob-
gleich der Preis der Arbeitskraft unverändert, wäre er über ihren
Werth gestiegen. Fiele der Preis der Arbeitskraft, aber nicht zur
Minimalgrenze ihres neuen Werths von 1½ sh., sondern nur auf 2 sh.
10 d., 2 sh. 6 d. u. s. w., so repräsentirte dieser fallende Preis immer
noch eine wachsende Masse von Lebensmitteln. Der Preis der Arbeits-
kraft könnte so bei steigender Produktivkraft der Arbeit beständig fallen
mit gleichzeitigem, fortwährendem Wachsthum der Lebensmittelmasse des
Arbeiters. Relativ aber, d. h. verglichen mit dem Mehrwerth, sänke der
Werth der Arbeitskraft beständig, und erweiterte sich also die Kluft zwi-
schen den Lebenslagen von Arbeiter und Kapitalist11).
Wachsende Intensivität der Arbeit unterstellt vermehrte Ausgabe von
Arbeit in demselben Zeitraum. Der intensivere Arbeitstag verkörpert sich
daher in mehr Produkten als der minder intensive von gleicher Stunden-
zahl. Mit erhöhter Produktivkraft liefert zwar auch derselbe Arbeitstag
mehr Produkte. Aber im letztern Fall sinkt der Werth des einzelnen
Produkts, weil es weniger Arbeit als vorher kostet, im erstern Fall bleibt
er unverändert, weil das Produkt nach wie vor gleich viel Arbeit kostet.
Die Zahl der Produkte steigt hier ohne Fall ihres Preises. Mit ihrer An-
zahl wächst ihre Preissumme, während dort dieselbe Werthsumme sich
nur in vergrösserter Produktenmasse darstellt. Bei gleichbleibender
Stundenzahl verkörpert sich also der intensivere Arbeitstag in höherem
Werthprodukt, also, bei gleichbleibendem Werth des Geldes, in mehr Geld.
Sein Werthprodukt variirt mit den Abweichungen seiner Intensivität von
dem gesellschaftlichen Normalgrad. Derselbe Arbeitstag stellt sich also
nicht wie vorher in einem constanten, sondern in einem variablen
Werthprodukt dar, der intensivere, zwölfstündige Arbeitstag z. B. in
7 sh., 8 sh u. s. w. statt in 6 sh. wie der zwölfstündige Arbeitstag von
gewöhnlicher Intensivität. Es ist klar: Variirt das Werthprodukt
des Arbeitstags, etwa von 6 auf 8 sh., so können beide Theile
dieses Werthprodukts, Preis der Arbeitskraft und Mehrwerth,
gleichzeitig wachsen, sei es in gleichem oder ungleichem Grad. Preis
der Arbeitskraft und Mehrwerth können beide zur selben Zeit von 3 sh.
auf 4 wachsen, wenn das Werthprodukt von 6 auf 8 sh. steigt. Preis-
erhöhung der Arbeitskraft schliesst hier nicht nothwendig Steigerung ihres
Preises über ihren Werth ein. Sie kann umgekehrt von einem Fall
ihres Werths begleitet scin. Diess findet stets statt, wenn die Preiser-
höhung der Arbeitskraft ihren beschleunigten Versch’eiss nicht kom-
pensirt.
Man weiss, dass mit vorübergehenden, im vorigen Kapitel erklärten
Ausnahmen, veränderte Produktivität der Arbeit nur dann einen Grössen-
wechsel im Werth der Arbeitskraft und daher in der Grösse des Mehr-
werths bewirkt, wenn die Produkte der betroffenen Industriezweige in den
gewohnheitsmässigen Konsum des Arbeiters eingehen. Diese Schranke
fällt hier fort. Ob die Grösse der Arbeit extensiv oder intensiv wechsle,
ihrem Grössenwechsel entspricht ein Wechsel in der Grösse ihres Werth-
produkts, unabhängig von der Natur des Artikels, worin sich dieser
Werth darstellt.
Steigerte sich die Intensivität der Arbeit in allen Industriezweigen, so
würde der neue höhere Intensivitätsgrad nun seinerseits zum gewöhnlichen
gesellschaftlichen Normalgrad der Arbeit und hörte damit auf als extensive
Grösse zu zählen. Indess blieben selbst dann die durchschnittlichen Inten-
sivitätsgrade der Arbeit bei verschiednen Nationen verschieden und modi-
ficirten daher die Anwendung des Werthgesetzes auf unterschiedne Natio-
nalarbeitstage. Der intensivere Arbeitstag der einen Nation stellt sich in
höherem Geldausdruck dar als der minder intensive der andern12).
Der Arbeitstag kann nach zwei Richtungen variiren. Er kann ver-
kürzt oder verlängert werden.
Verkürzung des Arbeitstags unter den gegebnen Be-
dingungen, d. h. gleichbleibender Produktivkraft und Intensivität der Ar-
beit, lässt den Werth der Arbeitskraft und daher die nothwendige
Arbeitszeit unverändert. Sie verkürzt die Mehrarbeit und den Mehrwerth.
Mit der absoluten Grösse des letztern fällt auch seine relative Grösse, d. h.
seine Grösse im Verhältniss zur gleichbleibenden Werthgrösse der Arbeits-
kraft. Nur durch Herabdrückung ihres Preises unter ihren Werth könnte
der Kapitalist sich schadlos halten.
Alle hergebrachten Redensarten wider die Verkürzung des Arbeits-
tags unterstellen, dass das Phänomen sich unter den hier vorausgesetzten
Umständen ereignet, während in der Wirklichkeit umgekehrt Wechsel in
der Produktivität und Intensivität der Arbeit entweder der Verkürzung des
Arbeitstags vorhergehn oder ihr unmittelbar nachfolgen13).
Verlängerung des Arbeitstags. Die nothwendige Arbeits-
zeit sei gleich 6 Stunden oder der Werth der Arbeitskraft gleich 3 sh.,
ebenso Mehrarbeit gleich 6 Stunden und Mehrwerth gleich 3 sh. Der
Gesammtarbeitstag beträgt dann 12 Stunden und stellt sich in einem
Werthprodukt von 6 sh. dar. Wird der Arbeitstag um 2 Stunden ver-
längert und bleibt der Preis der Arbeitskraft unverändert, so wächst mit
der absoluten die relative Grösse des Mehrwerths. Obgleich die
Werthgrösse der Arbeitskraft absolut unverändert bleibt, fällt sie relativ.
Unter den Bedingungen von A) konnte die relative Werthgrösse der Ar-
beitskraft nicht wechseln ohne einen Wechsel ihrer absoluten Grösse. Hier,
im Gegentheil, ist der relative Grössenwechsel im Werth der Arbeitskraft
das Resultat eines absoluten Grössenwechsels des Mehrwerths.
Da das Werthprodukt, worin sich der Arbeitstag darstellt, mit seiner
eignen Verlängerung wächst, können Preis der Arbeitskraft und
Mehrwerth gleichzeitig wachsen, sei es um gleiches oder un-
gleiches Increment. Diess gleichzeitige Wachsthum ist also in zwei
Fällen möglich, bei absoluter Verlängerung des Arbeitstags, und bei
wachsender Intensivität der Arbeit ohne solche Verlängerung.
Mit verlängertem Arbeitstag kann der Preis der Arbeitskraft unter
ihren Werth fallen, obgleich er nominell unverändert bleibt oder
selbst steigt. Der Tageswerth der Arbeitskraft ist nämlich, wie man
sich erinnern wird, geschätzt auf ihre normale Durchschnittsdauer oder
die normale Lebensperiode des Arbeiters, und auf entsprechenden, normalen,
der Menschennatur angemessenen Umsatz von Lebenssubstanz in Bewe-
gung14). Bis zu einem gewissen Punkt kann der von Verlängerung des
Arbeitstags untrennbare grössere Verschleiss der Arbeitskraft durch grös-
seren Ersatz kompensirt werden. Ueber diesen Punkt hinaus wächst der
Verschleiss in geometrischer Progression und werden zugleich alle normalen
Reproduktions- und Bethätigungsbedingungen der Arbeitskraft zerstört.
Der Preis der Arbeitskraft und ihr Exploitationsgrad hören auf mit ein-
ander kommensurable Grössen zu sein.
Es ist hier offenbar eine grosse Anzahl Kombinationen möglich. Je
zwei Faktoren können variiren und einer constant bleiben, oder alle drei
können gleichzeitig variiren. Sie können in gleichem oder ungleichem
Grad variiren, in derselben oder entgegengesetzter Richtung, ihre Varia-
tionen sich daher theilweis oder ganz aufheben. Indess ist die Analyse
aller möglichen Fälle nach den unter A) B) und C) gegebnen Aufschlüssen
leicht. Man findet das Resultat jeder möglichen Kombination, indem man
der Reihe nach je einen Faktor als variabel und die andern zunächst als
constant behandelt. Wir nehmen hier daher nur noch kurze Notiz von
zwei wichtigen Fällen.
Abnehmende Produktivkraft der Arbeit mit gleich-
zeitiger Verlängerung des Arbeitstags.
Wenn wir hier von abnehmender Produktivkraft der Arbeit sprechen, so
handelt es sich von Arbeitszweigen, deren Produkte den Werth der Arbeitskraft
bestimmen, also z. B. von abnehmender Produktivkraft der Arbeit in Folge
zunehmender Unfruchtbarkeit des Bodens und entsprechender Vertheurung
der Bodenprodukte. Der Arbeitstag sei zwölfstündig, sein Werthprodukt
6 sh., wovon die Hälfte den Werth der Arbeitskraft ersetzt, die andre
Hälfte Mehrwerth bildet. Der Arbeitstag zerfällt also in 6 Stunden noth-
wendiger Arbeit und 6 Stunden Mehrarbeit. In Folge der Vertheurung
der Bodenprodukte steige der Werth der Arbeitskraft von 3 auf 4 sh.,
also die nothwendige Arbeitszeit von 6 auf 8 Stunden. Bleibt der Arbeits-
tag unverändert, so fällt die Mehrarbeit von 6 auf 4 Stunden, der Mehr-
werth von 3 auf 2 sh. Wird der Arbeitstag um 2 Stunden verlängert,
also von 12 auf 14 Stunden, so bleibt die Mehrarbeit 6 Stunden, der
Mehrwerth 3 sh., aber seine Grösse im Vergleich zum Werth der Arbeitskraft,
gemessen durch die nothwendige Arbeit, fällt. Wird der Arbeitstag um 4
Stunden verlängert, von 12 auf 16 Stunden, so bleiben die propor-
tionellen Grössen von Mehrwerth und Werth der Arbeitskraft, Mehr-
arbeit und nothwendiger Arbeit unverändert, aber die absolute
Grösse des Mehrwerths wächst von 3 auf 4 sh., die der Mehrarbeit von
6 auf 8 Arbeitsstunden, also um ⅓ oder 33⅓ %. Bei abnehmen-
der Produktivkraft der Arbeit und gleichzeitiger Ver-
längerung des Arbeitstags kann also die absolute Grösse des
Mehrwerths unverändert bleiben, während seine proportionelle Grösse fällt;
seine proportionelle Grösse kann unverändert bleiben, während seine abso-
lute Grösse wächst, und, je nach dem Grad der Verlängerung, können
beide wachsen. Diess ist eine der Ursachen, warum in England von
1799—1815, grade als West, Ricardo u. s. w. den nur in ihrer Phan-
tasie durch Vertheurung der Bodenprodukte bewirkten Fall der Rate des
Mehrwerths zum Ausgangspunkt wichtiger Analysen machten, der Mehr-
werth absolut und relativ stieg, und daher zugleich beschleunigtes Wachs-
thum des Kapitals und Verpauperung der Arbeiter stattfanden15). Es
war diess die Periode, worin die masslose Verlängerung des Arbeitstags
sich Bürgerrecht erwarb16).
Zunehmende Intensivität und Produktivkraft der
Arbeit mit gleichzeitiger Verkürzung des Arbeitstags.
Gesteigerte Produktivkraft der Arbeit und ihre wachsende Intensivi-
tät wirken nach einer Seite hin gleichförmig. Beide vermehren die Pro-
duktenmasse in gegebnem Zeitraum. Beide verkürzen also den Theil des
Arbeitstags, den der Arbeiter zur Produktion seiner Lebensmittel oder
ihres Aequivalents braucht. Die absolute Grenze des Arbeitstags
wird überhaupt gebildet durch diesen seinen nothwendigen, aber
kontraktilen Bestandtheil. Schrumpfte darauf der ganze Arbeits-
tag zusammen, so verschwände die Mehrarbeit, was unter dem Regime des
Kapitals unmöglich. Die Beseitigung der kapitalistischen Produktionsform
erlaubt den Arbeitstag durch die nothwendige Arbeit zu be-
schränken. Jedoch würde die letztere mit ihrem Begriff, unter sonst gleich-
bleibenden Umständen, auch ihren Raum ausdehnen. Einerseits weil die
Lebensbedingungen des Arbeiters reicher und seine Lebensansprüche
grösser. Andrerseits würde ein Theil der jetzigen Mehrarbeit zur noth-
wendigen Arbeit zählen, nämlich die zur Erzielung eines gesellschaftlichen
Reservefonds und Accumulationsfonds nöthige Arbeit.
Je mehr die Produktivkraft der Arbeit wächst, um so mehr kann der
Arbeitstag verkürzt werden, und je mehr der Arbeitstag verkürzt wird,
desto mehr kann die Intensivität der Arbeit wachsen. Die Produk-
tivkraft der Arbeit wächst, gesellschaftlich betrachtet, auch mit der
Oekonomie derselben. Diese schliesst nicht nur die Oekonomisi-
rung der Produktionsmittel ein, sondern die Vermeidung aller nutzlosen
Arbeit. Während die kapitalistische Produktionsweise in jedem indivi-
duellen Geschäft Oekonomie erzwingt, erzeugt ihr anarchisches System
der Konkurrenz die massloseste Verschwendung der gesellschaftlichen
Produktionsmittel und Arbeitskräfte, neben einer Unzahljetzt unentbehrlicher,
aber an und für sich überflüssiger Funktionen.
Intensivität und Produktivkraft der Arbeit gegeben, ist der zur
materiellen Produktion nothwendige Theil des gesell-
schaftlichen Arbeitstags um so kürzer, der für freie, geistige
und gesellschaftliche Bethätigung der Individuen eroberte Zeittheil also
um so grösser, je gleichmässiger die Arbeit unter alle werkfähigen
Glieder der Gesellschaft vertheilt ist, je weniger eine Gesellschaftsschichte
die Naturnothwendigkeit der Arbeit von sich selbst ab- und einer andern
Schichte zuwälzen kann. Die absolute Grenze für die Verkürzung des
Arbeitstags ist nach dieser Seite hin die Allgemeinheit der Arbeit.
In der kapitalistischen Gesellschaft wird freie Zeit für eine Klasse produ-
cirt durch Verwandlung aller Lebenszeit der Massen in Arbeitszeit.
Man hat gesehn, dass die Rate des Mehrwerths sich dar-
stellt in den Formeln:
I)
[Formel 1]
.
Die zwei ersten Formeln stellen als Verhältniss von Werthen dar, was die
dritte als Verhältniss der Zeiten, worin diese Werthe producirt werden.
Diese einander ersetzenden Formeln sind begrifflich streng. Man findet
sie daher wohl der Sache nach, aber nicht bewusst ausgearbeitet in der
klassischen politischen Oekonomie. Hier begegnen wir dagegen den fol-
genden abgeleiteten Formeln.
II)
[Formel 1]
. Eine und die-
selbe Proportion ist hier abwechselnd ausgedrückt in der Form der Arbeits-
zeiten, der Werthe, worin sie sich verkörpern, der Produkte, worin diese
Werthe existiren. Es wird natürlich unterstellt, dass unter Werth des
Produkts nur das Werthprodukt des Arbeitstags zu verstehn, der
constante Theil des Produktenwerths aber ausgeschlossen ist.
In allen diesen Formeln ist der wirkliche Exploitations-
grad der Arbeit oder die Rate des Mehrwerths falsch ausge-
drückt. Der Arbeitstag sei 12 Stunden. Mit den andern Annahmen unsres
früheren Beispiels stellt sich in diesem Fall der wirkliche Exploitations-
grad der Arbeit dar in den Proportionen:
[Formel 2]
[Formel 3]
. Nach den Formeln II) er-
halten wir dagegen:
[Formel 4]
= 50 %.
Diese abgeleiteten Formeln drücken in der That die Proportion
aus, worin der Arbeitstag oder sein Werthprodukt sich zwischen
Kapitalist und Arbeiter theilt. Gelten sie daher als unmittelbare Aus-
drücke des Selbstverwerthungsgrades des Kapitals, so gilt das falsche
Gesetz: die Mehrarbeit oder der Mehrwerth kann nie
100 % erreichen17). Da die Mehrarbeit stets nur einen aliquoten
Theil des Arbeitstags oder der Mehrwerth stets nur einen aliquoten Theil
des Werthprodukts bilden kann, ist die Mehrarbeit nothwendiger Weise
stets kleiner als der Arbeitstag oder der Mehrwerth stets kleiner als das
Werthprodukt. Um sich zu verhalten wie , müssten sie aber gleich
sein. Damit die Mehrarbeit den ganzen Arbeitstag absorbire (es handelt
sich hier um den Durchschnittstag der Arbeitswoche, des Arbeitsjahrs
u. s. w.), müsste die nothwendige Arbeit auf Null sinken. Verschwindet
aber die nothwendige Arbeit, so verschwindet auch die Mehrarbeit, da
letztre nur eine Funktion der erstern. Die Proportion =
kann also niemals die Grenze
erreichen und noch we-
niger auf steigen. Wohl aber die Rate des Mehrwerths oder
der wirkliche Exploitationsgrad der Arbeit. Nimm z. B. die Schätzung
des Herrn L. de Lavergne, wonach der englische Ackerbauarbeiter nur
¼, der Kapitalist (Pächter) dagegen ¾ des Produkts18) oder seines
Werths erhält, wie die Beute sich immer zwischen Kapitalist und Grund-
eigenthümer u. s. w. nachträglich weiter vertheile. Die Mehrarbeit des
englischen Landarbeiters verhält sich danach zu seiner nothwendigen Arbeit
= 3 : 1, ein Prozentsatz der Exploitation von 300 %.
Die Schulmethode, den Arbeitstag als constante Grösse zu be-
handeln, wurde durch Anwendung der Formeln II) befestigt, weil man hier
die Mehrarbeit stets mit einem Arbeitstag von gegebner Grösse vergleicht.
Ebenso, wenn die Theilung des Werthprodukts ausschliesslich
in’s Auge gefasst wird. Der Arbeitstag, der sich bereits in einem Werth-
produkt vergegenständlicht hat, ist stets ein Arbeitstag von gegebnen
Grenzen.
Die Darstellung von Mehrwerth und Werth der Arbeitskraft als
Bruchtheilen des Werthprodukts — eine Darstellungsweise, die übrigens
aus der kapitalistischen Produktionsweise selbst erwächst und deren Be-
deutung sich später erschliessen wird — versteckt den spezifischen
Charakter des Kapitalverhältnisses, nämlich den Austausch des variablen
Kapitals mit der lebendigen Arbeitskraft, und den entsprechenden
Ausschluss des Arbeiters vom Produkt. An die Stelle tritt der
falsche Schein eines Associationsverhältnisses, worin Arbeiter und Kapi-
talist das Produkt nach dem Verhältniss seiner verschiednen Bildungs-
faktoren theilen19).
Uebrigens sind die Formeln II stets in die Formeln I rückverwan-
delbar. Haben wir z. B. , so ist die noth-
wendige Arbeitszeit = Arbeitstag von zwölf Stunden
— Mehrarbeit von sechs Stunden, und so ergiebt sich: =
.
Eine dritte Formel, die ich gelegentlich schon anticipirt habe, ist:
III) =
=
.
Das Missverständniss, wozu die Formel verleiten
könnte, als zahle der Kapitalist die Arbeit und nicht die Arbeitskraft, fällt
nach der früher gegebnen Entwicklung fort. ist nur
populärer Ausdruck für . Der Kapitalist zahlt
den Werth, resp. davon abweichenden Preis der Arbeitskraft, und erhält im
Austausch die Verfügung über die lebendige Arbeitskraft selbst. Seine
Nutzniessung dieser Arbeitskraft zerfällt in zwei Perioden. Während der
einen Periode producirt der Arbeiter nur einen Werth = Werth seiner
Arbeitskraft, also nur ein Aequivalent. Für den vorgeschossnen Preis der
Arbeitskraft erhält der Kapitalist so ein Produkt vom selben Preis. Es ist
als ob er das Produkt fertig auf dem Markt gekauft hätte. In der Periode
der Mehrarbeit dagegen bildet die Nutzniessung der Arbeitskraft Werth für
den Kapitalisten, ohne ihm einen Werthersatz zu kosten20). Er hat diese
Flüssigmachung der Arbeitskraft umsonst. In diesem Sinn kann diese
Mehrarbeit unbezahlte Arbeit heissen.
Das Kapital ist also nicht nur Kommando über Arbeit, wie
A. Smith sagt. Es ist wesentlich Kommando über unbezahlte
Arbeit. Aller Mehrwerth, in welcher besondern Gestalt von Profit,
Zins, Rente u. s. w. er sich später krystallisire, ist seiner Substanz nach
Materiatur unbezahlter Arbeitszeit. Das Geheimniss von der
Selbstverwerthung des Kapitals löst sich auf in seine Ver-
fügung über ein bestimmtes Quantum unbezahlter frem-
der Arbeit.
Auf der Oberfläche der bürgerlichen Gesellschaft erscheint der
Lohn des Arbeiters als Lohn der Arbeit, ein bestimmtes Quantum
Geld, das für ein bestimmtes Quantum Arbeit gezahlt wird. Man spricht
hier von einem Werth der Arbeit und nennt den Geldausdruck dieses
Werths den nothwendigen oder natürlichen Preis der Ar-
beit. Man spricht andrerseits von Marktpreisen der Arbeit,
d. h. über oder unter ihrem nothwendigen Preis oscillirenden Preisen.
Aber was ist der Werth einer Waare? Die Vergegenständlichung
der zu ihrer Produktion gesellschaftlich nothwendigen Arbeit. Und wo-
durch messen wir die Grösse ihres Werths? Durch die Grösse der in
ihr enthaltenen Arbeitszeit. Wodurch wäre also der Werth z. B.
eines zwölfstündigen Arbeitstags bestimmt? Durch die in einem Arbeits-
tag von 12 Stunden enthaltenen 12 Arbeitsstunden, was eine abge-
schmackte Tautologie ist21).
Um als Waare auf dem Markt verkauft zu werden, müsste die Arbeit
jedenfalls existiren, bevor sie verkauft wird. Könnte der Arbeiter ihr
aber eine selbstständige Existenz geben, so würde er Waare verkaufen
und nicht Arbeit22).
Von diesen Widersprüchen abgesehn, würde ein direkter Austausch
von Geld, d. h. vergegenständlichter Arbeit, mit lebendiger Arbeit entweder
das Werthgesetz aufheben, welches sich grade erst auf Grundlage
der kapitalistischen Produktion frei entwickelt, oder die kapitalistische
Produktion selbst aufheben, welche grade auf der Lohnarbeit
beruht. Der Arbeitstag von 12 Stunden stellt sich z. B. in einem Geldwerth
von 6 sh. dar. Werden Aequivalente ausgetauscht, so erhält der Arbeiter
für zwölfstündige Arbeit 6 sh. Der Preis seiner Arbeit wäre gleich dem
Preis seines Produkts. In diesem Fall producirte er keinen Mehrwerth
für den Käufer seiner Arbeit, die 6 sh. verwandelten sich nicht in Kapital,
die Grundlage der kapitalistischen Produktion verschwände, aber grade
auf dieser Grundlage verkauft er seine Arbeit und ist seine Arbeit
wesentlich Lohnarbeit. Oder er erhält für 12 Stunden Arbeit weniger
als 6 sh., d. h. weniger als 12 Stunden Arbeit. Zwölf Stunden Arbeit
tauschen sich aus gegen 10, 6 u. s. w. Stunden Arbeit. Diese Gleichsetzung
ungleicher Grössen hebt nicht nur die Werthbestimmung auf. Ein
solcher sich selbst aufhebender Widerspruch kann überhaupt nicht als Ge-
setz auch nur ausgesprochen oder formulirt werden23).
Es nützt nichts den Austausch von mehr Arbeit gegen weniger Arbeit
aus dem Formunterschied der Arbeit herzuleiten, dass sie nämlich
das einemal vergegenständlicht, das andremal lebendig ist24).
Diess ist um so abgeschmackter als der Werth einer Waare nicht
durch das Quantum wirklich in ihr vergegenständlichter, sondern durch
das Quantum der zu ihrer Reproduktion nothwendigen lebendigen Arbeit
bestimmt wird. Eine Waare stelle z. B. 6 Arbeitsstunden dar. Werden
Erfindungen gemacht, wodurch sie in 3 Stunden producirt werden kann,
so sinkt der Werth auch der bereits producirten Waare um die Hälfte.
Sie stellt jetzt 3 statt früher 6 Stunden nothwendige gesellschaftliche
Arbeit dar. Es ist also das zu ihrer Produktion erheischte Quantum
Arbeit, nicht deren gegenständliche Form, wodurch ihre Werth-
grösse bestimmt wird.
Was dem Geldbesitzer auf dem Waarenmarkt direkt gegenübertritt,
ist in der That nicht die Arbeit, sondern der Arbeiter. Was
letztrer verkauft, ist seine Arbeitskraft. Sobald seine Arbeit wirk-
lich beginnt, hat sie bereits aufgehört ihm zu gehören, kann also nicht
mehr von ihm verkauft werden. Die Arbeit ist die Substanz und das im-
manente Mass der Werthe, aber sie selbst hat keinen Werth25).
Im Ausdruck: Werth der Arbeit ist der Werthbegriff nicht nur
völlig ausgelöscht, sondern in sein Gegentheil verkehrt. Es ist ein ima-
ginärer Ausdruck wie etwa Werth der Erde. Diese imaginären Aus-
drücke entspringen jedoch aus den Produktionsverhältnissen selbst. Sie
sind Kategorieen für Erscheinungsformen wesentlicher Werth-
verhältnisse. Dass in der Erscheinung die Dinge sich oft
verkehrt darstellen, ist ziemlich in allen Wissenschaften bekannt, ausser
in der politischen Oekonomie26).
Die klassische politische Oekonomie entlehnte dem Alltagsleben ohne
weitere Kritik die Kategorie Preis der Arbeit, um sich dann hinter-
her zu fragen, wie wird dieser Preis bestimmt? Sie erkannte bald, dass
der Wechsel im Verhältniss von Nachfrage und Zufuhr für den Preis der
Arbeit, gleich dem jeder andern Waare, nichts erklärt ausser dem Wech-
sel des Preises, die Oscillationen der Marktpreise unter oder über eine
gewisse Grösse. Decken sich Nachfrage und Zufuhr, so hört, unter sonst
gleichbleibenden Umständen, die Preisoscillation auf. Aber dann hören
auch Nachfrage und Zufuhr auf irgend etwas zu erklären. Der Preis der
Arbeit, wenn Nachfrage und Zufuhr sich decken, ist der vom Verhältniss der
Nachfrage und Zufuhr unabhängig bestimmte Preis der Arbeit, ihr natür-
licher Preis, der so als der eigentliche Gegenstand der Analyse gefunden
ward. Oder man nahm eine längere Periode der Oscillationen des Markt-
preises, z. B. ein Jahr, und fand dann, dass sich ihr Auf und Ab aus-
gleicht zu einer mittlern Durchschnittsgrösse, einer constanten Grösse.
Sie musste natürlich anders bestimmt werden als die sich kompensirenden
Abweichungen von ihr selbst. Dieser über die zufälligen Marktpreise der
Arbeit übergreifende und sie regulirende Preis, nothwendige Preis
(Physiokraten) oder „natürliche Preis der Arbeit“ (Adam
Smith) kann, wie bei andern Waaren, nur ihr in Geld ausgedrückter
Werth sein. In dieser Art glaubte die politische Oekonomie durch die
zufälligen Preise der Arbeit zu ihrem Werth vorzudringen. Wie bei
den andern Waaren wurde dieser Werth dann weiter durch die Produk-
tionskosten bestimmt. Aber was sind die Produktionskosten — des Ar-
beiters, d. h. die Kosten, um den Arbeiter selbst zu produciren
oder zu reproduciren? Diese Frage schob sich der politischen Oekonomie
bewusstlos für die ursprüngliche unter, da sie mit den Produk-
tionskosten der Arbeit als solcher sich im Kreise drehte und
nicht vom Flecke kam. Was sie also Werth der Arbeit (value of la-
bour) nennt, ist in der That der Werth der Arbeitskraft, die in
der Persönlichkeit des Arbeiters existirt, und von ihrer Funktion, der Ar-
beit, ebenso verschieden ist, wie eine Maschine von ihren Operationen.
Beschäftigt mit dem Unterschied zwischen den Marktpreisen der Arbeit
und ihrem s. g. Werth, mit dem Verhältniss dieses Werths zur Profitrate,
zu den vermittelst der Arbeit producirten Waarenwerthen u. s. w., ent-
deckte man niemals, dass der Gang der Analyse nicht nur von den Markt-
preisen der Arbeit zu ihrem Werth, sondern dahin geführt hatte, diesen
Werth der Arbeit selbst wieder aufzulösen in den Werth der Ar-
beitskraft. Die Bewusstlosigkeit über diess Resultat ihrer eignen
Analyse, die kritiklose Annahme der Kategorieen Werth der Arbeit,
natürlicher Preis der Arbeit u. s. w. als letzter adäquater Aus-
drücke des behandelten Werthverhältnisses, verwickelte, wie man später
sehn wird, die klassische politische Oekonomie in unauflösbare Wirren
und Widersprüche, während sie der Vulgärökonomie eine sichre Operations-
basis für ihre principiell nur dem Schein huldigende Flachheit bot.
Sehn wir nun zunächst, wie Werth und Preise der Arbeitskraft in
ihrer verwandelten Form als Arbeitslohn sich darstellen.
Man weiss, dass der Tageswerth der Arbeitskraft berechnet ist auf
eine gewisse Lebensdauer des Arbeiters, welcher eine gewisse Länge des
Arbeitstags entspricht. Nimm an, der gewohnheitsmässige Arbeitstag
betrage 12 Stunden und der Tageswerth der Arbeitskraft 3 sh., der
Geldausdruck eines Werths, worin sich 6 Arbeitsstunden darstellen.
Erhält der Arbeiter 3 sh., so erhält er den Werth seiner während
12 Stunden funktionirenden Arbeitskraft. Wird nun dieser Tages-
werth der Arbeitskraft als Werth der Tagesarbeit aus-
gedrückt, so ergiebt sich die Formel: Die zwölfstündige Arbeit hat
einen Werth von 3 sh. Der Werth der Arbeitskraft bestimmt so
den Werth der Arbeit oder, in Geld ausgedrückt, ihren nothwen-
digen Preis. Weicht dagegen der Preis der Arbeitskraft von ihrem
Werth ab, so ebenfalls der Preis der Arbeit von ihrem s. g. Werth.
Da der Werth der Arbeit nur ein irrationeller Ausdruck für den
Werth der Arbeitskraft, ergiebt sich von selbst, dass der Werth der
Arbeit stets kleiner sein muss als ihr Werthprodukt,
denn der Kapitalist lässt die Arbeitskraft stets länger funktioniren als zur
Reproduktion ihres eignen Werths nöthig ist. Im obigen Beispiel ist der
Werth der während 12 Stunden funktionirenden Arbeitskraft 3 sh., ein
Werth, zu dessen Reproduktion sie 6 Stunden braucht. Ihr Werthprodukt
ist dagegen 6 sh., weil sie in der That während 12 Stunden funktionirt,
und ihr Werthprodukt nicht von ihrem eignen Werthe, sondern von der
Zeitdauer ihrer Funktion abhängt. Man erhält so das auf den ersten
Blick abgeschmackte Resultat, dass Arbeit, die einen Werth von 6 sh.
schafft, einen Werth von 3 sh. besitzt27).
Man sieht ferner, dass der Werth von 3 sh., worin sich der
bezahlte Theil des Arbeitstags, d. h. sechsstündige
Arbeit darstellt, als Werth oder Preis des Gesammtarbeits-
tags von 12 Stunden, darunter 6 unbezahlte Stunden, er-
scheint. Die Form des Arbeitslohnes löscht also jede Spur
der Theilung des Arbeitstags in nothwendige Arbeit
und Mehrarbeit, in bezahlte und unbezahlte Arbeit völ-
lig aus. Alle Arbeit erscheint als bezahlte Arbeit. Bei der Frohn-
arbeit unterscheiden sich räumlich und zeitlich, handgreiflich sinnlich,
die Arbeit des Fröhners für sich selbst und die Zwangsarbeit für seinen
Grundherrn. Bei der Sklavenarbeit erscheint selbst der Theil des
Arbeitstags, worin der Sklave nur den Werth seiner eignen Lebensmittel
ersetzt, den er in der That also für sich selbst arbeitet, als Arbeit für
seinen Meister. Alle seine Arbeit erscheint als unbezahlte Arbeit28). Bei
der Lohnarbeit erscheint umgekehrt selbst die Mehrarbeit oder unbe-
zahlte Arbeit als bezahlt. Dort verbirgt das Eigenthumsverhältniss das
Fürsichselbst arbeiten des Sklaven, hier das Geldverhältniss
das Umsonstarbeiten des Lohnarbeiters.
Man begreift also, von welcher entscheidenden Wichtigkeit die Form-
verwandlung von Werth und Preis der Arbeitskraft in Arbeitslohn
oder in Werth und Preis der Arbeit selbst. Auf dieser Erscheinungs-
form, die das wirkliche Verhältniss unsichtbar macht und grade sein
Gegentheil zeigt, beruhn alle Rechtsvorstellungen des Arbeiters wie des
Kapitalisten, alle Mystifikationen der kapitalistischen Produktionsweise,
alle ihre Freiheitsillusionen, alle apologetischen Flausen der Vulgär-
ökonomie.
Braucht die Weltgeschichte viele Zeit, um hinter das Geheimniss
des Arbeitslohns zu kommen, so ist dagegen nichts leichter zu ver-
stehn als die Nothwendigkeit, die raisons d’être dieser Erscheinungs-
form.
Der Austausch zwischen Kapital und Arbeit stellt sich der Wahrneh-
mung zunächst ganz in derselben Art dar wie der Kauf und Verkauf aller
andern Waaren. Der Käufer giebt eine gewisse Geldsumme, der Verkäu-
fer einen von Geld verschiedenen Artikel. Das Rechtsbewusstsein erkennt
hier höchstens einen stofflichen Unterschied, der sich in den rechtlich äqui-
valenten Formeln: Do ut des, do ut facias, facio ut des und facio ut facias,
ausdrückt.
Aller Kauf und Verkauf von Waaren ist ferner von der Illusion be-
gleitet, dass das, was gezahlt wird, der Gebrauchswerth der Waare
ist, obgleich diese Illusion schon über die einfache Thatsache stolpert, dass
die verschiedensten Artikel denselben Preis und derselbe Artikel,
ohne dass sich sein Gebrauchswerth oder das Bedürfniss dafür ändert,
wechselnde Preise hat. Da aber Tauschwerth und Gebrauchswerth
an und für sich inkommensurable Grössen sind, so existirt
von diesem Standpunkt keine grössere Irrationalität in dem Ausdruck
„Werth der Arbeit“, „Preis der Arbeit“ als in dem Ausdruck „Werth der
Baumwolle“, „Preis der Baumwolle“. Das Missverständniss ist bei Kauf
und Verkauf der Arbeit noch unvermeidlicher als bei andern Waaren.
Erstens, weil das Geld im Kauf der Arbeit als Zahlungsmittel
funktionirt. Der Arbeiter wird gezahlt, nachdem er seine Arbeit geliefert
hat. Begrifflich aber enthält die Funktion des Geldes als Zahlungsmittel,
dass es den Werth oder Preis des gelieferten Artikels nachträglich
realisirt, also im gegebnen Fall den Werth oder Preis der gelieferten
Arbeit. Zweitens: Der Gebrauchswerth, den der Arbeiter dem
Kapitalisten liefert, ist in der That nicht seine Arbeitskraft, sondern ihre
besondre Funktion, Arbeit von besondrem Inhalt, Schneiderarbeit, Schuster-
arbeit, Spinnarbeit u. s. w. Dass dieselbe Arbeit nach einer andern
Seite hin allgemeines werthbildendes Element ist, eine Eigen-
schaft, wodurch sie sich von allen andern Waaren unterscheidet, fällt
ausserhalb des Bereichs des gewöhnlichen Bewusstseins.
Stellen wir uns auf den Standpunkt des Arbeiters, der für zwölfstün-
dige Arbeit z. B. das Werthprodukt sechsstündiger Arbeit erhält, sage
3 sh., so ist für ihn in der That seine zwölfstündige Arbeit das
Kaufmittel der 3 sh. Der Werth seiner Arbeitskraft mag variiren
mit dem Werth seiner gewohnheitsmässigen Lebensmittel von 3 auf 4 sh.
oder von 3 auf 2 sh., oder bei gleichbleibendem Werth seiner Arbeitskraft
mag ihr Preis, in Folge wechselnden Verhältnisses von Nachfrage und
Zufuhr, auf 4 sh. steigen oder auf 2 sh. fallen, er giebt stets 12 Ar-
beitsstunden. Jeder Wechsel in der Grösse des Aequivalents, das er
erhält, erscheint ihm daher nothwendig als Wechsel im Werth oder Preis
dieser 12 Arbeitsstunden. Dieser Umstand verleitete umgekehrt Adam
Smith, der den Arbeitstag als eine constante Grösse behandelt29),
zur Behauptung, der Werth der Arbeit sei constant, obgleich
der Werth der Lebensmittel wechsle und derselbe Arbeitstag sich daher in
mehr oder weniger Geld für den Arbeiter darstelle.
Nehmen wir andrerseits den Kapitalisten, so will er zwar möglichst
viel Arbeit für möglichst wenig Geld erhalten. Praktisch interessirt ihn
daher nur die Differenz zwischen dem Preis der Arbeitskraft und dem
Werth, den ihre Funktion schafft. Aber er sucht alle Waare möglichst
wohlfeil zu kaufen und erklärt sich überall seinen Profit aus der einfachen
Prellerei, dem Verkauf über dem Werth. Er kommt daher nicht zur
Einsicht, dass wenn so ein Ding wie Werth der Arbeit wirklich
existirte, und er diesen Werth wirklich zahlte, kein Kapital existiren, sein
Geld sich nicht in Kapital verwandeln würde.
Es kommt hinzu, dass die wirkliche Bewegung des Ar-
beitslohns Phänomene zeigt, die zu beweisen scheinen, dass nicht der
Werth der Arbeitskraft, sondern der Werth ihrer Funktion, der
Arbeitselbst, bezahlt wird. Diese Phänomene können wir auf zwei
grosse Klassen zurückführen. Erstens: Wechsel des Arbeitslohns mit
wechselnder Länge des Arbeitstags. Man könnte eben so wohl schliessen,
dass nicht der Werth der Maschine, sondern der ihrer Operation bezahlt wird,
weil es mehr kostet eine Maschine für eine Woche als für einen Tag zu
dingen. Zweitens: Der individuelle Unterschied in den Arbeitslöhnen
verschiedner Arbeiter, welche dieselbe Funktion verrichten. Diesen indi-
viduellen Unterschied findet man, aber ohne Anlass zu Illusionen, wieder
im System der Sklaverei, wo frank und frei, ohne Schnörkel, die Ar-
beitskraft selbst verkauft wird. Nur fällt der Vortheil einer Ar-
beitskraft, die über dem Durchschnitt, oder der Nachtheil einer Arbeits-
kraft, die unter dem Durchschnitt steht, im Sklavensystem dem Sklaven-
eigner zu, im System der Lohnarbeit dem Arbeiter selbst, weil seine Ar-
beitskraft in dem einen Fall von ihm selbst, in dem andern von einer dritten
Person verkauft wird.
Uebrigens gilt von der Erscheinungsform, „Werth und Preis
der Arbeit“ oder „Arbeitslohn“, im Unterschied zum wesentlichen
Verhältniss, welches erscheint, dem Werth und Preis der Arbeitskraft,
dasselbe, was von allen Erscheinungsformen und ihrem verborgnen
Hintergrund. Die ersteren reproduciren sich unmittelbar, spontan, als gang
und gäbe Denkformen, der andere muss durch die Wissenschaft erst
entdeckt werden. Die klassische politische Oekonomie stösst annähernd
auf den wahren Sachverhalt, ohne ihn jemals bewusst zu formuliren.
Sie kann das nicht, so lange sie in ihrer bürgerlichen Haut steckt.
Der Arbeitslohn nimmt selbst wieder sehr mannigfaltige
Formen an, ein Umstand, nicht erkennbar aus den ökonomischen Kom-
pendien, die in ihrer brutalen Interessirtheit für den Stoff jeden Formunter-
schied vernachlässigen. Eine Darstellung aller dieser Formen gehört je-
doch in die specielle Lehre von der Lohnarbeit, also nicht in diess Werk. Da-
gegen sind die zwei herrschenden Grundformen hier kurz zu entwickeln.
Der Verkauf der Arbeitskraft findet, wie man sich erinnert, stets
für bestimmte Zeitperiode statt. Die verwandelte Form, worin
der Tageswerth, Wochenwerth u. s. w. der Arbeitskraft unmittelbar er-
scheint, ist daher die des Zeitlohns, also Tageslohn, Wochenlohn u. s. w.
Es ist nun zunächst zu bemerken, dass die im 2. Abschnitt dieses
Kapitels dargestellten Gesetze über den Grössenwechsel von Preis der
Arbeitskraft und Mehrwerth sich durch einfache Formveränderung in Ge-
setze des Arbeitslohns verwandeln. Ebenso erscheint der Unterschied
zwischen dem Tauschwerth der Arbeitskraft und der Masse der
Lebensmittel, worin sich dieser Werth umsetzt, jetzt als Unterschied von
nominellem und reellem Arbeitslohn. Es wäre nutzlos in der Er-
scheinungsform zu wiederholen, was in der wesentlichen Form bereits ent-
wickelt. Wir beschränken uns daher auf wenige, den Zeitlohn charak-
terisirende Punkte.
Die Geldsumme30), die der Arbeiter für seine Tagesarbeit, Wochenar-
beit u. s. w. erhält, bildet den wirklichen Betrag seines nominellen oder
dem Werth nach geschätzten Arbeitslohns. Es ist aber klar, dass
je nach der Länge des Arbeitstags, also je nach der täglich von ihm gelie-
ferten Quantität Arbeit, derselbe Tageslohn, Wochenlohn u. s. w.
einen sehr verschiednen Preis der Arbeit d. h. sehr verschiedne Geld-
summen für dasselbe Quantum Arbeit darstellen kann31). Man
muss also bei dem Zeitlohn wieder unterscheiden zwischen dem Gesammt-
betrag des Arbeitslohns, Taglohns, Wochenlohns u. s. w. und
dem Preis der Arbeit. Wie nun den Preis der Arbeit finden, d. h.
den Geldwerth eines gegebnen Quantums Arbeit? Der
durchschnittliche Preis der Arbeit ergiebt sich, indem man den durch-
schnittlichen Tageswerth der Arbeitskraft durch die
Stundenzahl des durchschnittlichen Arbeitstags divi-
dirt. Ist z. B. der Tageswerth der Arbeitskraft 3 sh., das Werthprodukt
von 6 Arbeitsstunden, und ist der Arbeitstag zwölfstündig, so ist der Preis
einer Arbeitsstunde = = 3 d. Der so gefundne Preis der Ar-
beitsstunde dient als Einheitsmass für den Preis der
Arbeit.
Es folgt daher, dass der Taglohn, Wochenlohn u. s. w. derselbe
bleiben kann, obgleich der Preis der Arbeit fortwährend sinkt.
War z. B. der gewohnheitsmässige Arbeitstag 10 Stunden und der Tages-
werth der Arbeitskraft 3 sh., so betrug der Preis der Arbeitsstunde 3⅗d.;
er sinkt auf 3 d., sobald der Arbeitstag zu 12 Stunden, und auf 2⅖ d.,
sobald er zu 15 Stunden steigt. Tages- oder Wochenlohn bleiben trotz-
dem unverändert. Umgekehrt kann der Taglohn oder Wochenlohn stei-
gen, obgleich der Preis der Arbeit constant bleibt oder selbst sinkt.
War z. B. der Arbeitstag zehnstündig und ist der Tageswerth der Arbeits-
kraft 3 sh., so der Preis einer Arbeitsstunde 3⅗ d. Arbeitet der Arbeiter
in Folge zunehmender Beschäftigung und bei gleichbleibendem Preise der
Arbeit 12 Stunden, so steigt sein Tageslohn nun auf 3 sh. 7⅕d. ohne Varia-
tion im Preise der Arbeit. Dasselbe Resultat könnte herauskommen, wenn
statt der extensiven Grösse der Arbeit ihre intensive Grösse zunähme32).
Steigen des nominellen Tages- oder Wochenlohns mag daher begleitet sein
von gleichbleibendem oder sinkendem Preis der Arbeit. Dasselbe gilt von
der Einnahme der Arbeiterfamilie, sobald das vom Familienhaupt gelie-
ferte Arbeitsquantum durch die Arbeit der Familienglieder vermehrt wird.
Es giebt also von der Schmälerung des nominellen Tages- oder Wochen-
lohns unabhängige Methoden zur Herabsetzung des Preises der Ar-
beit33). Als allgemeines Gesetz aber folgt: Ist die Quantität der
Tages-, Wochenarbeit u. s. w. gegeben, so hängt der Tages-
oder Wochenlohn vom Preise der Arbeit ab, der selbst variirt,
entweder mit dem Werth der Arbeitskraft oder den Abweichungen ihres
Preises von ihrem Werthe. Ist dagegen der Preis der Arbeit gege-
ben, so hängt der Tages- oder Wochenlohn von der Quan-
tität der Tages- oder Wochenarbeit ab.
Die Masseinheit des Zeitlohns, der Preis der Arbeitsstunde, ist der
Quotient des Tageswerths der Arbeitskraft, dividirt durch die Stundenzahl
des gewohnheitsmässigen Arbeitstags. Gesetzt letztrer betrage 12 Stunden,
der Tageswerth der Arbeitskraft 3 sh., das Werthprodukt von 6 Arbeits-
stunden. Der Preis der Arbeitsstunde ist unter diesen Umständen 3 d.,
ihr Werthprodukt 6 d. Wird der Arbeiter nun weniger als 12 Stunden
täglich (oder weniger als 6 Tage in der Woche) beschäftigt, z. B. nur 6
oder 8 Stunden, so erhält er, bei diesem Preise der Arbeit, nur 2 oder
1½ sh. Taglohn34). Da er nach der Voraussetzung im Durchschnitt 6
Stunden täglich arbeiten muss, um nur einen dem Werth seiner Ar-
beitskraft entsprechenden Taglohn zu produciren, da er nach derselben
Voraussetzung von jeder Stunde nur ½ für sich selbst, ½ aber für den
Kapitalisten arbeitet, so ist es klar, dass er das Werthprodukt von 6
Stunden nicht herausschlagen kann, wenn er weniger als 12 Stun-
den beschäftigt wird. Sah man früher die zerstörenden Folgen der
Ueberarbeit, so entdeckt man hier die Quellen der Leiden, die für den Ar-
beiter aus seiner Unterbeschäftigung entspringen.
Wird der Stundenlohn in der Weise fixirt, dass der Kapitalist
sich nicht zur Zahlung eines Tages- oder Wochenlohns verpflichtet, son-
dern nur zur Zahlung der Arbeitsstunden, während deren es ihm beliebt,
den Arbeiter zu beschäftigen, so kann er ihn unter der Zeit beschäf-
tigen, die der Schätzung des Stundenlohns oder der Masseinheit für den
Preis der Arbeit ursprünglich zu Grunde liegt. Da diese Masseinheit be-
stimmt ist durch die Proportion
[Formel 1]
,
verliert sie natürlich allen Sinn, sobald der Arbeitstag aufhört, eine be-
stimmte Stundenzahl zu zählen. Der Zusammenhang zwischen der bezahl-
ten und unbezahlten Arbeitszeit ist aufgehoben. Der Kapitalist kann jetzt
ein bestimmtes Quantum Mehrarbeit aus dem Arbeiter herausschlagen, ohne
ihm die zu seiner Selbsterhaltung nothwendige Arbeitszeit einzuräumen.
Er kann jede Regelmässigkeit der Beschäftigung vernichten und ganz nach
Bequemlichkeit, Willkühr und augenblicklichem Interesse die ungeheuerste
Ueberarbeit mit relativer oder gänzlicher Arbeitslosigkeit abwechseln lassen.
Er kann, unter dem Vorwand, den „normalen Preis der Arbeit“ zu zahlen,
den Arbeitstag, ohne irgend entsprechende Kompensation für den Arbeiter,
anormal verlängern. Daher der durchaus rationelle Aufstand (1860) der
im Baufach beschäftigten Londoner Arbeiter gegen den Versuch der Kapi-
talisten diesen Stundenlohn aufzuherrschen. Die gesetzliche Be-
schränkung des Arbeitstags macht solchem Unfug ein Ende, ob-
gleich natürlich nicht der aus Konkurrenz der Maschinerie, Wechsel in der
Qualität der angewandten Arbeiter, partiellen und allgemeinen Krisen ent-
springenden Unterbeschäftigung.
Bei wachsendem Tages- oder Wochenlohn kann der Preis der Ar-
beit nominell constant bleiben und dennoch unter sein normales Niveau
sinken. Diess findet jedesmal statt, sobald mit constantem Preis der Ar-
beit, resp. der Arbeitsstunde, der Arbeitstag über seine gewohnheitsmässige
Dauer verlängert wird. Wenn in dem Bruch
[Formel 1]
der Nenner wächst, wächst der Zähler noch rascher. Der Werth der Ar-
beitskraft, weil ihr Verschleiss, wächst mit der Dauer ihrer Funktion, und
in rascherer Proportion als das Increment ihrer Funktionsdauer. In vie-
len Industriezweigen, wo Zeitlohn vorherrscht, ohne gesetzliche
Schranken der Arbeitszeit, hat sich daher naturwüchsig die Gewohnheit
herausgebildet, dass der Arbeitstag nur bis zu einem gewissen Punkt, z. B.
bis zum Ablauf der zehnten Stunde, als normal gilt („normal working day“,
„the day’s work“, „the regular hours of work“). Jenseits dieser Grenze bildet
die Arbeitszeit Ueberzeit (overtime) und wird, die Stunde als Masseinheit
genommen, besser bezahlt (extra pay), obgleich oft in lächerlich kleiner
Proportion35). Der normale Arbeitstag existirt hier als Bruchtheil des
wirklichen Arbeitstags und der letztere währt oft während des ganzen Jahres
länger als der erstere36). Das Wachsthum im Preis der Arbeit mit der
Verlängerung des Arbeitstags über eine gewisse Normalgrenze gestaltet
sich in verschiedenen britischen Industriezweigen so, dass der niedrige
Preis der Arbeit während der s. g. Normalzeit dem Arbeiter die besser
bezahlte Ueberzeit aufzwingt, will er überhaupt einen genügenden Arbeits-
lohn herausschlagen37). Gesetzliche Beschränkung des Arbeitstags macht
diesem Vergnügen ein Ende38).
Es ist allgemein bekannte Thatsache, dass je länger der Arbeitstag
in einem Industriezweig, um so niedriger der Arbeitslohn39). Fabrikin-
spektor A. Redgrave illustrirt diess durch eine vergleichende Uebersicht
der zwanzigjährigen Periode von 1839—1859, wonach der Arbeitslohn
in den dem Zehnstundengesetz unterworfenen Fabriken stieg, während er in
den Fabriken, wo 14 bis 15 Stunden täglich gearbeitet wird, fiel40).
Zunächst folgt aus dem Gesetz: „bei gegebnem Preis der Ar-
beit hängt der Tages- oder Wochenlohn von der Quantität der gelie-
ferten Arbeit ab“, dass je niedriger der Preis der Arbeit, desto grösser
das Arbeitsquantum sein muss oder desto länger der Arbeitstag, damit der
Arbeiter auch nur einen kümmerlichen Durchschnittslohn sichre. Die
Niedrigkeit des Arbeitspreises wirkt hier als Sporn zur Verlängerung der
Arbeitszeit41).
Umgekehrt aber producirt ihrerseits die Verlängerung der Arbeitszeit
einen Fall im Arbeitspreise und damit im Tages- oder Wochenlohn.
Die Bestimmung des Arbeitspreises durch
[Formel 1]
ergiebt, dass blosse Verlängerung des Arbeitstags den Arbeitspreis senkt,
wenn keine Kompensation eintritt. Aber dieselben Umstände, welche den
Kapitalisten befähigen, den Arbeitstag auf die Dauer zu verlängern, be-
fähigen ihn erst und zwingen ihn schliesslich, den Arbeitspreis auch nomi-
nell zu senken, bis der Gesammtpreis der vermehrten Stundenzahl sinkt,
also der Tages- oder Wochenlohn. Hinweis auf zwei Umstände genügt
hier. Verrichtet ein Mann das Werk von 1½ oder 2 Männern, so wächst
die Zufuhr der Arbeit, wenn auch die Zufuhr der auf dem Markt befind-
lichen Arbeitskräfte constant bleibt. Die so unter den Arbeitern erzeugte
Konkurrenz befähigt den Kapitalisten den Preis der Arbeit herabzudrücken,
während der fallende Preis der Arbeit ihn umgekehrt befähigt, die Arbeits-
zeit noch weiter heraufzuschrauben42). Bald jedoch wird diese Verfügung
über anormale, d. h. das gesellschaftliche Durchschnittsniveau über-
fliessende Quanta unbezahlter Arbeit zum Konkurrenzmit-
tel unter den Kapitalisten selbst. Ein Theil des Waaren-
preises besteht aus dem Preis der Arbeit. Der nicht gezahlte
Theil des Arbeitspreises braucht nicht im Waarenpreis zu rechnen. Er
kann dem Waarenkäufer geschenkt werden. Diess ist der erste Schritt,
wozu die Konkurrenz treibt. Der zweite Schritt, wozu sie zwingt, ist we-
nigstens einen Theil des durch die Verlängerung des Arbeitstags erzeug-
ten anormalen Mehrwerths ebenfalls aus dem Verkaufspreis
der Waare zu eliminiren. In dieser Weise bildet sich erst sporadisch
und fixirt sich nach und nach ein anormal niedriger Verkaufspreis der
Waare, der von nun an zur constanten Grundlage kümmerlichen Arbeits-
lohns bei übermässiger Arbeitszeit wird, wie er ursprünglich das Produkt
dieser Umstände war. Wir deuten diese Bewegung bloss an, da die Ana-
lyse der Konkurrenz nicht hierhin gehört. Doch mag für einen Augen-
blick der Kapitalist selbst sprechen. „In Birmingham ist so grosse
Konkurrenz unter den Meistern, dass mancher von uns gezwungen ist als
Arbeitsanwender zu thun, was er sich schämen würde sonst zu thun; und
dennoch wird nicht mehr Geld gemacht (and yet no more money is made),
sondern das Publikum allein hat den Vortheil davon“43). Man erinnert
sich der zwei Sorten Londoner Bäcker, wovon die eine Brod zum
vollen Preise (the „fullpriced“ bakers), die andre es unter seinem normalen
Preise verkauft („the underpriced“, „the undersellers“). Die „fullpri-
ced“ denunciren ihre Konkurrenten vor der parlamentarischen Unter-
suchungskommission: „Sie existiren nur, indem sie erstens das Publikum
betrügen (durch Fälschung der Waare) und zweitens 18 Arbeitsstunden
aus ihren Leuten für den Lohn zwölfstündiger Arbeit herausschinden. …
Die unbezahlte Arbeit (the unpaid labour) der Arbeiter ist
das Mittel, wodurch der Konkurrenzkampf geführt wird. … Die Kon-
kurrenz unter den Bäckermeistern ist die Ursache der Schwierigkeit in
Beseitigung der Nachtarbeit. Ein Unterverkäufer, der sein Brod unter
dem mit dem Mehlpreis wechselnden Kostpreis verkauft, hält sich schadlos,
indem er mehr Arbeit aus seinen Leuten herausschlägt. Wenn ich nur
12 Stunden Arbeit aus meinen Leuten herausschlage, mein Nachbar da-
gegen 18 oder 20, muss er mich im Verkaufspreis schlagen. Könnten
die Arbeiter auf Zahlung für Ueberzeit bestehn, so wäre es mit diesem
Manöver bald zu Ende. … Eine grosse Anzahl der von den Unterver-
käufern Beschäftigten sind Fremde, Jungen und Andre, die fast mit jedem
Arbeitslohn, den sie kriegen können, vorlieb zu nehmen gezwungen
sind“44).
Diese Jeremiade ist auch desswegen interessant, weil sie zeigt, wie
nur der Schein der Produktionsverhältnisse sich im Kapi-
talistenhirn widerspiegelt. Der Kapitalist weiss nicht, dass auch der
normale Preis der Arbeit ein bestimmtes Quantum unbezahlter
Arbeit einschliesst und eben diese unbezahlte Arbeit die normale Quelle
seines Gewinns ist. Die Kategorie der Mehrarbeitszeit existirt überhaupt
nicht für ihn, denn sie ist eingeschlossen im normalen Arbeitstag, den er
im Taglohn zu zahlen glaubt. Wohl aber existirt für ihn die Ueber-
zeit, die Verlängerung des Arbeitstags über die dem gewohnten Preis
der Arbeit entsprechende Schranke. Seinem unterverkaufenden
Konkurrenten gegenüber besteht er sogar auf Extrazahlung (extra pay)
für diese Ueberzeit. Er weiss wieder nicht, dass diese Extrazahlung eben-
sowohl unbezahlte Arbeit einschliesst, wie der Preis der gewöhn-
lichen Arbeitsstunde. Z. B. der Preis einer Stunde des zwölfstündigen
Arbeitstags ist 3 d., das Werthprodukt von ½ Arbeitsstunde, während der
Preis der überzeitigen Arbeitsstunde 4 d., das Werthprodukt von ⅔
Arbeitsstunde. Im ersten Fall eignet sich der Kapitalist von einer Ar-
beitsstunde die Hälfte, im andern ⅓ ohne Zahlung an.
Der Stücklohn ist nichts als eine verwandelte Form des
Zeitlohns, wie der Zeitlohn die verwandelte Form des Werthes oder
Preises der Arbeitskraft.
Beim Stücklohn sieht es auf den ersten Blick aus, als ob der vom
Arbeiter verkaufte Gebrauchswerth nicht die Funktion seiner Ar-
beitskraft sei, lebendige Arbeit, sondern bereits im Produkt
vergegenständlichte Arbeit, und als ob der Preis dieser Arbeit
nicht wie beim Zeitlohn durch die Bruchzahl
[Formel 1]
,
sondern durch die Leistungsfähigkeit des Producenten be-
stimmt werde45).
Zunächst müsste die Zuversicht, die an diesen Schein glaubt, bereits
stark erschüttert werden durch die Thatsache, dass beide Formen des
Arbeitslohns zur selben Zeit in denselben Geschäftszweigen neben einander
bestehen. Z. B. „Die Setzer von London arbeiten in der Regel nach
Stücklohn, während Zeitlohn bei ihnen die Ausnahme bildet. Umgekehrt
bei den Setzern in den Provinzen, wo der Zeitlohn die Regel und der
Stücklohn die Ausnahme. Die Schiffszimmerleute im Hafen von London
werden nach Stücklohn bezahlt, in allen andern englischen Häfen nach
Zeitlohn“46). In denselben Londoner Sattlerwerkstätten wird oft für die-
selbe Arbeit den Franzosen Stücklohn und den Engländern Zeitlohn ge-
zahlt. In den eigentlichen Fabriken, wo Stücklohn allgemein vorherrscht,
entziehn sich einzelne Arbeitsfunktionen aus technischen Gründen dieser
Messung und werden daher nach Zeitlohn gezahlt47). An und für sich ist
es jedoch klar, dass die Formverschieden heit in der Auszahlung
des Arbeitslohns an seinem Wesen nichts ändert, obgleich die eine
Form der Entwicklung der kapitalistischen Produktion günstiger sein mag
als die andre.
Der gewöhnliche Arbeitstag betrage 12 Stunden, wovon 6 bezahlt,
6 unbezahlt. Sein Werthprodukt sei 6 sh., das einer Arbeitsstunde da-
her 6 d. Es stelle sich erfahrungsmässig heraus, dass ein Arbeiter, der
mit dem Durchschnittsgrad von Intensivität und Geschick arbeitet, in der
That also nur die gesellschaftlich nothwendige Arbeits-
zeit zur Produktion eines Artikels verwendet, 24 Stücke, ob diskret,
oder messbare Theile eines kontinuirlichen Machwerks, in 12 Stunden
liefert. So ist der Werth dieser 24 Stücke, nach Abzug des in ihnen ent-
haltenen constanten Kapitaltheils, 6 sh. und der Werth des einzelnen
Stücks 3 d. Der Arbeiter erhält per Stück 1½ d. und verdient so in
12 Stunden 3 sh. Wie es beim Zeitlohn gleichgültig ist, ob man annimmt,
dass der Arbeiter 6 Stunden für sich und 6 für den Kapitalisten, oder von
jeder Stunde die eine Hälfte für sich und die andre für den Kapitalisten
arbeitet, so auch hier, ob man sagt, jedes einzelne Stück sei halb bezahlt
und halb unbezahlt, oder der Preis von 12 Stücken ersetze nur den Werth
der Arbeitskraft, während in den 12 andern sich der Mehrwerth ver-
körpere.
Die Form des Stücklohns ist ebenso irrationell als die des Zeit-
lohns. Während z. B. zwei Stück Waare, nach Abzug des Werths der
in ihnen aufgezehrten Produktionsmittel, als Produkt einer Arbeitsstunde
6 d. werth sind, erhält der Arbeiter für sie einen Preis von 3 d. Der
Stücklohn drückt unmittelbar in der That kein Werthverhält-
niss aus. Es handelt sich nicht darum den Werth des Stücks durch die
in ihm verkörperte Arbeitszeit zu messen, sondern umgekehrt die vom
Arbeiter verausgabte Arbeit durch die Zahl der von ihm producirten
Stücke. Beim Zeitlohn misst sich die Arbeit an ihrer unmittelbaren Zeit-
dauer, beim Stücklohn am Produktenquantum, worin Arbeit während be-
stimmter Zeitdauer verdichtet48). Der Preis der Arbeitszeit selbst ist
schliesslich bestimmt durch die Gleichung: Werth der Tagesarbeit
= Tageswerth der Arbeitskraft. Der Stücklohn ist also nur
eine modificirte Form des Zeitlohns.
Betrachten wir nun etwas näher die charakteristischen Eigenthüm-
lichkeiten des Stücklohns.
Die Qualität der Arbeit ist hier durch das Werk selbst kon-
trolirt, das die durchschnittliche Güte besitzen muss, soll der Stückpreis
voll bezahlt werden. Der Stücklohn wird nach dieser Seite hin zu frucht-
barster Quelle von Lohnabzügen und kapitalistischer Prellerei.
Er bietet dem Kapitalisten ein ganz bestimmtes Mass für die Inten-
sivität der Arbeit. Nur Arbeitszeit, die sich in einem vorher be-
stimmten und erfahrungsmässig festgesetzten Waarenquantum verkörpert,
gilt als gesellschaftlich nothwendige Arbeitszeit und wird
als solche bezahlt. In den grösseren Schneiderwerkstätten Londons heisst
daher ein gewisses Stück Arbeit, z. B. eine Weste u. s. w., Stunde, halbe
Stunde u. s. w., die Stunde zu 6 d. Aus der Praxis ist bekannt, wie viel
das Durchschnittsprodukt einer Stunde. Bei neuen Moden, Reparaturen
u. s. w. entsteht Streit zwischen Anwender und Arbeiter, ob ein bestimmtes
Arbeitsstück = einer Stunde u. s. w., bis auch hier die Erfahrung ent-
scheidet. Aehnlich in den Londoner Möbelschreinereien u. s. w. Besitzt
der Arbeiter nicht die durchschnittliche Leistungsfähigkeit, kann er daher
ein bestimmtes Minimum von Tagwerk nicht liefern, so entlässt man
ihn49).
Da Qualität und Intensivität der Arbeit hier durch die Form des
Arbeitslohns selbst kontrolirt werden, macht sie grossen Theil der Ar-
beitsaufsicht überflüssig. Sie bildet daher sowohl die Grundlage
der früher geschilderten modernen Hausarbeit als eines hierarchisch
gegliederten Systems der Exploitation und Unterdrückung. Das letztere be-
sitzt zwei Grundformen. Der Stücklohn erleichtert einerseits das Zwischen-
schieben von Parasiten zwischen Kapitalist und Lohnarbeiter, Unterver-
pachtung der Arbeit (subletting of labour). Der Gewinn der Zwi-
schenpersonen fliesst ausschliesslich aus der Differenz zwischen dem
Arbeitspreis, den der Kapitalist zahlt, und dem Theil dieses Preises, den
sie dem Arbeiter wirklich zukommen lassen50). Diess System heisst in
England charakteristisch das „Sweating System“ (Ausschweissungs-
system). Andrerseits erlaubt der Stücklohn dem Kapitalisten mit dem
Hauptarbeiter — in der Manufaktur mit dem Chef einer Gruppe, in den Mi-
nen mit dem Ausbrecher der Kohle u. s. w., in der Fabrik mit dem eigentlichen
Maschinenarbeiter — einen Kontrakt für so viel per Stück zu schliessen,
ein Preis, wofür der Hauptarbeiter selbst die Anwerbung und Zahlung
seiner Hilfsarbeiter übernimmt. Die Exploitation der Arbeiter durch das
Kapital verwirklicht sich hier vermittelst der Exploitation des Arbeiters
durch den Arbeiter51).
Den Stücklohn gegeben, ist es natürlich das persönliche Interesse des
Arbeiters, seine Arbeitskraft möglichst intensiv anzuspannen, was dem
Kapitalisten eine Erhöhung des Normalgrads der Intensivität
erleichtert51a). Es ist ebenso das persönliche Interesse des Arbeiters, den
Arbeitstag zu verlängern, weil damit sein Tages- oder Wochen-
lohn steigt52). Es tritt damit die beim Zeitlohn bereits geschilderte Re-
aktion ein, abgesehn davon, dass die Verlängerung des Arbeitstags, selbst
bei constant bleibendem Stücklohn, an und für sich eine Senkung im
Preise der Arbeit einschliesst.
Beim Zeitlohn herrscht mit wenigen Ausnahmen gleicher Arbeits-
lohn für dieselben Funktionen, während beim Stücklohn der Preis der
Arbeitszeit zwar durch ein bestimmtes Produktquantum gemessen ist, der
Tages- oder Wochenlohn dagegen wechselt mit der individuellen Ver-
schiedenheit der Arbeiter, wovon der Eine nur das Minimum des Produkts
in einer gegebnen Zeit liefert, der Andre den Durchschnitt, der Dritte
mehr als den Durchschnitt. In Bezug auf die wirkliche Einnahme treten
hier also grosse Differenzen ein je nach dem verschiednen Geschick, Kraft,
Energie, Ausdauer u. s. w. der individuellen Arbeiter53). Diess ändert
natürlich nichts an dem allgemeinen Verhältniss zwischen Kapital und
Lohnarbeit. Erstens gleichen sich diese individuellen Unterschiede für das
Gesammtatelier aus, so dass es in einer bestimmten Arbeitszeit das Durch-
schnittsprodukt liefert und der gezahlte Gesammtlohn der Durchschnitts-
lohn des Geschäftszweigs sein wird. Zweitens bleibt die Proportion zwi-
schen Arbeitslohn und Mehrwerth unverändert, da dem individuellen Lohn
des einzelnen Arbeiters die von ihm individuell gelieferte Masse von Mehr-
werth entspricht. Aber der grössere Spielraum, den der Stücklohn der
Individualität bietet, strebt einerseits dahin die Individualität und damit
Freiheitsgefühl, Selbstständigkeit und Selbstkontrole der Arbeiter zu ent-
wickeln, andrerseits ihre Konkurrenz unter und gegen einan-
der. Er hat daher eine Tendenz mit der Erhebung individueller Arbeits-
löhne über das Durchschnittsniveau diess Niveau selbst zu senken. Wo
aber bestimmter Stücklohn sich seit lange traditionell befestigt hatte und
seine Herabsetzung daher besondre Schwierigkeiten bot, flüchteten die
Meister ausnahmsweis auch zu seiner gewaltsamen Verwandlung in
Zeitlohn. Hiergegen z. B. 1860 grosser Strike unter den Bandwebern von
Coventry54). Der Stücklohn ist endlich eine Hauptstütze des früher ge-
schilderten Stundensystems55).
Aus der bisherigen Darstellung ergiebt sich, dass der Stücklohn
die der kapitalistischen Produktionsweise entsprechendste Form des Arbeits-
lohns ist. Obgleich keineswegs neu, — er figurirt neben dem Zeitlohn
officiell u. a. in den französischen und englischen Arbeiterstatuten des vier-
zehnten Jahrhunderts — gewinnt er doch erst grösseren Spielraum während
der eigentlichen Manufakturperiode. In der Sturm- und Drangperiode der
grossen Industrie, namentlich von 1797 bis 1815, dient er als Hebel zur
Verlängerung der Arbeitszeit und Herabsetzung des Arbeitslohns. Sehr
wichtiges Material für die Bewegung des Arbeitslohns während jener Pe-
riode findet man in den Blaubüchern: „Report and Evidence from
the select Committee on Petitions respecting the Corn
Laws“ (Parlamentssession 1813—14) und: „Reports from the
Lords’ Committee, on the state of Growth, Commerce,
and Consumption of Grain, and all Laws relating there-
to“. (Session 1814—15.) Man findet hier den dokumentarischen
Nachweis für die fortwährende Senkung des Arbeitspreises seit dem Be-
ginn des Antijakobinerkriegs. In der Weberei z. B. war der Stücklohn
so gefallen, dass trotz des sehr verlängerten Arbeitstags der Taglohn jetzt
niedriger stand als vorher. „Die reale Einnahme des Webers ist sehr
viel weniger als früher: seine Superiorität über den gewöhnlichen Arbeiter,
die erst sehr gross war, ist fast ganz verschwunden. In der That, der
Unterschied in den Löhnen geschickter und gewöhnlicher Arbeit ist jetzt
viel unbedeutender als während irgend einer früheren Periode“56). Wie
wenig die mit dem Stücklohn gesteigerte Intensivität und Ausdehnung der
Arbeit dem ländlichen Proletariat fruchteten, zeige folgende einer Partei-
schrift für Landlords und Pächter entlehnte Stelle: „Bei
weitem der grössere Theil der Agrikulturoperationen ist durch Leute ver-
richtet, die für den Tag oder auf Stückwerk gedungen werden. Ihr
Wochenlohn beträgt ungefähr 12 sh.; und obgleich man voraussetzen
mag, dass ein Mann bei Stücklohn, unter dem grösseren Arbeitssporn,
1 sh. oder vielleicht 2 sh. mehr verdient als beim Wochenlohn, so findet man
dennoch, bei Schätzung seiner Gesammteinnahme, dass sein Verlust an Be-
schäftigung im Lauf des Jahrs diesen Zuschuss aufwiegt. … Man wird ferner
im Allgemeinen finden, dass die Löhne dieser Männer ein gewisses Ver-
hältniss zum Preis der nothwendigen Lebensmittel haben; so dass ein
Mann mit zwei Kindern fähig ist seine Familie ohne Zu-
flucht zur Pfarreiunterstützung zu erhalten“57). Mal-
thus bemerkte damals mit Bezug auf die vom Parlament veröffentlichten
Thatsachen: „Ich gestehe, ich sehe mit Missvergnügen die grosse
Ausdehnung der Praxis des Stücklohns. Wirklich harte
Arbeit während 12 oder 14 Stunden des Tags, für irgend längere Zeit-
perioden, ist zu viel für ein menschliches Wesen“58).
In den dem Fabrikgesetz unterworfenen Werkstätten wird Stücklohn
allgemeine Regel, weil das Kapital dort den Arbeitstag nur noch intensiv
ausweiten kann59).
Mit der wechselnden Produktivität der Arbeit stellt dasselbe Pro-
duktenquantum wechselnde Arbeitszeit dar. Also wechselt auch der
Stücklohn, da er Preisausdruck einer bestimmten Arbeitszeit. In unsrem
obigen Beispiel wurden in 12 Stunden 24 Stück producirt, während das
Werthprodukt der 12 Stunden 6 sh. war, der Tageswerth der Arbeits-
kraft 3 sh., der Preis der Arbeitsstunde 3 d. und der Lohn für ein Stück
1½ d. In einem Stück war ½ Arbeitsstunde eingesaugt. Liefert der-
selbe Arbeitstag nun etwa in Folge verdoppelter Produktivität der Arbeit
48 Stück statt 24, und bleiben alle andern Umstände unverändert, so sinkt
der Stücklohn von 1½ d. auf ¾ d. oder 3 Farthing, da jedes Stück jetzt
nur noch ¼ statt ½ Arbeitsstunde darstellt. 24 × 1½ d. = 3 sh.
und ebenso 48 × ¾ d. = 3 sh. In andern Worten: Der Stücklohn
wird in demselben Verhältniss heruntergesetzt, worin die Zahl der während
derselben Zeit producirten Stücke wächst60), also die auf dasselbe Stück
verwandte Arbeitszeit abnimmt. Dieser Wechsel des Stücklohns, soweit rein
nominell, ruft beständige Kämpfe zwischen Kapitalist und Arbeiter
hervor. Entweder, weil der Kapitalist den Vorwand benutzt, um wirklich
den Preis der Arbeit herabzusetzen. Oder weil die gesteigerte Produktiv-
kraft der Arbeit von gesteigerter Intensivität derselben begleitet ist.
Oder, weil der Arbeiter den Schein des Stücklohns, als ob ihm sein
Produkt gezahlt werde und nicht seine Arbeitskraft, ernst nimmt und sich
daher gegen eine Lohnherabsetzung sträubt, welcher die Herabsetzung im
Verkaufspreis der Waare nicht entspricht. „Die Arbeiter überwachen sorg-
fältig den Preis des Rohmaterials und den Preis der fabricirten Güter und
sind so fähig die Profite ihrer Meister genau zu veranschlagen“61). Sol-
chen Anspruch fertigt das Kapital mit Recht als groben Irrthum über die
Natur der Lohnarbeit ab62). Es zetert über diese Anmassung Steuern
auf den Fortschritt der Industrie zu legen und erklärt rundweg, dass die
Produktivität der Arbeit den Arbeiter überhaupt nichts angeht63).
Im zweiten Abschnitt dieses Kapitels beschäftigten uns die mannig-
fachen Kombinationen, welche ein Wechsel in der absoluten oder relativen
(d. h. mit dem Mehrwerth verglichenen) Werthgrösse der Arbeitskraft her-
vorbringen kann, während andrerseits wieder das Quantum von Lebens-
mitteln, worin der Preis der Arbeitskraft realisirt wird, von dem
Wechsel dieses Preises unabhängige64) oder verschiedne Bewegungen durch-
laufen konnte. Wie bereits bemerkt, verwandeln sich durch einfache Ueber-
setzung des Werths, resp. Preises der Arbeitskraft in die exoteri-
sche Form des Arbeitslohns alle jene Gesetze in Gesetze der Bewe-
gung des Arbeitslohns. Was innerhalb dieser Bewegung als wechselnde
Kombination, kann für verschiedne Länder als gleichzeitige Ver-
schiedenheit nationaler Arbeitslöhne erscheinen. Beim Ver-
gleich nationaler Arbeitslöhne sind also alle den Grössenwechsel des
Werths der Arbeitskraft bestimmende Momente zu erwägen, Preis und Umfang
der natürlichen und historisch entwickelten ersten Lebensbedürfnisse, Erzie-
hungskosten des Arbeiters, Rolle der Weiber- und Kinderarbeit, Produk-
tivität der Arbeit, ihre extensive und intensive Grösse. Selbst die ober-
flächlichste Vergleichung erheischt, zunächst den Durchschnitts-Taglohn für
dieselben Gewerbe in verschiednen Ländern auf gleich grosse Arbeitstage
zu reduciren. Nach solcher Ausgleichung der Taglöhne, muss der Zeit-
lohn wieder in Stücklohn übersetzt werden, da nur der letztere ein Grad-
messer sowohl für die Produktivität als die intensive Grösse der Arbeit.
Es wird sich dann meist finden, dass der niedrigere Taglohn bei einer
Nation einen höheren Arbeitspreis und der höhere Taglohn bei einer an-
dern Nation einen niedrigeren Arbeitspreis ausdrückt, ganz wie die Be-
wegung des Taglohns überhaupt die Möglichkeit dieser Kombination
zeigte65).
Auf dem Weltmarkt zählt nicht nur der intensivere nationale Ar-
beitstag als Arbeitstag von grösserer Stundenzahl, als extensiv grösserer Ar-
beitstag, sondern der produktivere nationale Arbeitstag zählt als intensi-
ver, so oft die produktivere Nation nicht durch die Konkurrenz gezwungen
wird den Verkaufspreis der Waare auf ihren Werth zu senken. Der in-
tensivere und produktivere nationale Arbeitstag stellt sich also im Ganzen
auf dem Weltmarkt in höherem Geldausdruck dar als der minder in-
tensive oder produktive nationale Arbeitstag. Was von dem Arbeitstag,
gilt von jedem seiner aliquoten Theile. Der absolute Geldpreis
der Arbeit kann also bei einer Nation höher stehn als bei der andern,
obgleich der relative Arbeitslohn, d. h. der Arbeitslohn verglichen
mit dem vom Arbeiter producirten Mehrwerth, oder seinem ganzen Werth-
produkt, oder dem Preis der Nahrungsmittel, niedriger steht66).
In „Versuch über die Rate des Arbeitslohns“67), einer seiner frühsten
ökonomischen Schriften, sucht H. Carey nachzuweisen, dass die ver-
schiednen nationalen Arbeitslöhne sich direkt verhalten wie die Produk-
tivitätsgrade der nationalen Arbeitstage, um aus diesem internationalen
Verhältniss den Schluss zu ziehn, dass der Arbeitslohn überhaupt steigt
und fällt wie die Produktivität der Arbeit. Unsre ganze Analyse der Pro-
duktion des Mehrwerths beweist die Abgeschmacktheit dieser Schlussfolge-
rung, hätte Carey selbst seine Prämisse bewiesen, statt seiner Gewohn-
heit gemäss unkritisch und oberflächlich zusammengerafftes statistisches
Material kunterbunt durch einander zu würfeln. Das Beste ist, dass er
nicht behauptet, die Sache verhalte sich wirklich so, wie sie sich der
Theorie nach verhalten sollte. Die Staatseinmischung hat nämlich das
naturgemässe ökonomische Verhältniss verfälscht. Man muss
daher die nationalen Arbeitslöhne so berechnen, als ob der Theil derselben,
der dem Staat in der Form von Steuern zufällt, dem Arbeiter selbst zufiele.
Sollte Herr Carey nicht weiter darüber nachdenken, ob diese „Staats-
kosten“ nicht auch „naturgemässe“ Früchte der kapitalistischen Entwick-
lung sind? Das Raisonnement ist ganz des Mannes würdig, der die kapita-
listischen Produktionsverhältnisse erst für ewige Natur- und Vernunftge-
setze erklärte, deren frei harmonisches Spiel nur durch die Staatsein-
mischung gestört werde, um hinterher zu entdecken, dass Englands dia-
bolischer Einfluss auf den Weltmarkt, ein Einfluss, der, wie es scheint,
nicht den Naturgesetzen der kapitalistischen Produktion entspringt, die
Staatseinmischung nöthig macht, nämlich den Schutz jener Natur- und
Vernunftgesetze durch den Staat, alias das Protektionssystem. Er ent-
deckte ferner, dass die Theoreme Ricardo’s u. s. w., worin existirende gesell-
schaftliche Gegensätze und Widersprüche formulirt sind, nicht das ideale Pro-
dukt der wirklichen ökonomischen Bewegung, sondern dass umgekehrt die
wirklichen Gegensätze der kapitalistischen Produktion in England und
anderswo das Resultat der Ricardo’schen u. s. w. Theorie sind! Er ent-
deckte schliesslich, dass es in letzter Instanz der Handel ist, der die ein-
gebornen Schönheiten und Harmonieen der kapitalistischen Produktions-
weise vernichtet. Noch einen Schritt weiter, und er entdeckt vielleicht,
dass der einzige Missstand an der kapitalistischen Produktion das Kapi-
tal selbst ist. Nur ein Mann von so entsetzlicher Kritiklosigkeit und sol-
cher Gelehrsamkeit de faux aloi verdiente, trotz seiner protektionistischen
Ketzerei, die Geheimquelle der harmonischen Weisheit eines
Bastiat und aller andern freihändlerischen Optimisten der Gegenwart zu
werden68).
Man hat gesehn, wie das Kapital in der Form der Waare Mehr-
werth producirt. Nur durch den Verkauf der Waare wird der
in ihr steckende Mehrwerth zusammen mit dem in ihrer Produktion vorge-
schossenen Kapitalwerth realisirt. Der Accumulationsprozess
des Kapitals unterstellt daher seinen Cirkulationsprozess. Die
Betrachtung des letzteren bleibt aber dem folgenden Buch vorbehalten.
Die realen Bedingungen der Reproduktion, d. h. der kontinuir-
lichen Produktion, erscheinen theils erst innerhalb der Cirkula-
tion, theils können sie erst nach der Analyse des Cirkulationsprozesses
behandelt werden.
Das ist jedoch nicht alles. Der Kapitalist, der den Mehrwerth pro-
ducirt, d. h. unbezahlte Arbeit unmittelbar aus den Arbeitern auspumpt
und in Waaren fixirt, ist zwar der erste Aneigner, aber keineswegs der
letzte Eigenthümer dieses Mehrwerths. Er hat ihn hinterher zu theilen
mit Kapitalisten, die andre Funktionen im Grossen und Ganzen der gesell-
schaftlichen Produktion vollziehn, mit dem Grundeigenthümer u. s. w.
Der Mehrwerth spaltet sich daher in verschiedne Theile. Seine Bruchstücke
fallen verschiednen Kategorieen von Personen zu und krystallisiren zu
verschiednen, gegen einander selbstständigen Formen, wie Profit, Zins,
Handelsgewinn, Grundrente u. s. w. Diese verwandelten Formen
des Mehrwerths können erst im dritten Buch behandelt werden.
Wir unterstellen hier also einerseits, dass der Kapitalist, der die
Waare producirt, sie zu ihrem Werth verkauft, ohne bei seiner Rückkehr
zum Waarenmarkt weiter zu verweilen, weder bei den neuen Formen, die
dem Kapital anschiessen in der Cirkulationssphäre, noch den darin ein-
gehüllten konkreten Bedingungen der Reproduktion. Andrerseits gilt uns
der kapitalistische Producent als Eigenthümer des ganzen Mehrwerths
oder, wenn man will, als Repräsentant aller seiner Theilnehmer an der
Beute. Wir betrachten also zunächst die Accumulation abstrakt, d. h.
als blosses Moment des unmittelbaren Produktionsprozesses.
So weit übrigens Accumulation stattfindet, gelingt dem Kapitalisten
der Verkauf der producirten Waare und die Rückverwandlung des aus ihr
gelösten Geldes in Kapital. Ferner: Der Bruch des Mehrwerths in ver-
schiedne Stücke ändert nichts an seiner Natur, noch an den nothwendigen
Bedingungen, worin er zum Element der Accumulation wird. Welche
Proportion des Mehrwerths der kapitalistische Producent immer für sich
selbst festhalte oder an andere abtrete, er eignet ihn stets in erster Hand
an. Was also bei unsrer Darstellung der Accumulation unterstellt wird,
ist bei ihrem wirklichen Vorgang unterstellt. Andrerseits verdunkeln die
Zerspaltung des Mehrwerths und die vermittelnde Bewegung der Circulation
die einfache Grundform des Accumulationsprozesses. Seine reine
Analyse erheischt daher vorläufiges Wegsehn von allen Phänomenen,
welche das innere Spiel seines Mechanismus verstecken. Der Fortgang
der Darstellung führt später durch seine eigne Dialektik zu jenen konkre-
teren Formen.
Welches immer die gesellschaftliche Form des Produktionsprozesses,
er muss kontinuirlich sein oder periodisch stets von neuem dieselben Sta-
dien durchlaufen. So wenig eine Gesellschaft aufhören kann zu konsu-
miren, so wenig kann sie aufhören zu produciren. In seinem stetigen Zu-
sammenhang und dem beständigen Fluss seiner Erneuerung betrachtet, ist
jeder gesellschaftliche Produktionsprozess daher zugleich Reproduk-
tionsprozess.
Die Bedingungen der Produktion sind zugleich die Bedingungen der Re-
produktion. Keine Gesellschaft kann fortwährend produciren, d. h. repro-
duciren, ohne fortwährend einen Theil ihrer Produkte in Produktionsmittel
oder Elemente der Neuproduktion rückzuverwandeln. Unter sonst gleich-
bleib nden Umständen kann sie ihren Reichthum nur auf derselben Stufen-
leiter reproduciren oder erhalten, indem sie die während des Jahrs z. B.
verbrauchten Produktionsmittel, d. h. Arbeitsmittel, Rohmateriale und
Hilfsstoffe, in natura durch ein gleiches Quantum neuer Exemplare ersetzt,
welches von der jährlichen Produktenmasse abgeschieden und von neuem
dem Produktionsprozess anheimgegeben wird. Ein bestimmtes Quantum
des jährlichen Produkts gehört also der Produktion. Von Haus aus für
die produktive Konsumtion bestimmt, existirt es grossentheils in Natural-
formen, die von selbst die individuelle Konsumtion ausschliessen.
Hat die Produktion kapitalistische Form, so die Reproduktion. Wie
in der kapitalistischen Produktionsweise der Arbeitsprozess nur als ein
Mittel für den Verwerthungsprozess erscheint, so die Reproduktion nur als
ein Mittel den vorgeschossnen Werth als Kapital zu reproduciren, d. h.
als sich erhaltenden und verwerthenden Werth. Die ökonomische Charak-
termaske des Kapitalisten hängt nur dadurch an einem Menschen fest,
dass sein Geld fortwährend als Kapital funktionirt. Hat z. B. die
vorgeschossne Geldsumme von 100 Pfd. St. sich dieses Jahr in Kapital
verwandelt und einen Mehrwerth von 20 Pfd. St. producirt, so muss sie
das nächste Jahr u. s. f. dieselbe Operation wiederholen. Als periodi-
sches Increment des Kapitalwerths, oder periodische Frucht
des prozessirenden Kapitals, erhält der Mehrwerth die Form einer aus
dem Kapital entspringenden Revenue1).
Dient diese Revenue dem Kapitalisten nur als Konsumtionsfonds oder
wird sie ebenso periodisch von ihm verzehrt wie gewonnen, so findet, unter
sonst gleichbleibenden Umständen, einfache Reproduktion statt.
Obgleich letztere nun blosse Wiederholung des Produktions-
prozesses auf derselben Stufenleiter, drückt die blosse Wieder-
holung oder Kontinuität dem Prozesse gewisse neue Charaktere auf oder
löst vielmehr die Scheincharaktere seines nur vereinzelten Vorgangs auf.
Der Produktionsprozess wird eingeleitet mit dem Kauf der Arbeits-
kraft für eine bestimmte Zeit und diese Einleitung erneuert sich beständig,
sobald der Verkaufstermin der Arbeit fällig und damit eine bestimmte Pro-
duktionsperiode, Woche, Monat u. s. w. abgelaufen ist. Gezahlt wird
der Arbeiter aber erst, nachdem seine Arbeitskraft gewirkt und sowohl
ihren eignen Werth, als den Mehrwerth, in Waaren realisirt hat. Er hat
also wie den Mehrwerth, den wir einstweilen nur als Konsumtionsfonds
des Kapitalisten betrachten, so den Fonds seiner eignen Zahlung, das va-
riable Kapital, producirt, bevor es ihm in der Form des Arbeitslohns
zurückfliesst, und er wird nur so lang beschäftigt als er ihn beständig
reproducirt. Daher die im vorigen Kapitel erwähnte Formel der Oekono-
men, die das Salair als Antheil am Produkt selbst darstellt2). Es ist ein
Theil des vom Arbeiter selbst beständig reproducirten Produkts, das ihm
in der Form des Arbeitslohns beständig zurückfliesst. Der Kapitalist
zahlt ihm den Waarenwerth allerdings in Geld. Diess Geld ist aber nur
die verwandelte Form des Arbeitsprodukts oder vielmehr eines Theils des
Arbeitsprodukts. Während der Arbeiter einen Theil der Produktions-
mittel in Produkt verwandelt, rückverwandelt sich ein Theil seines früheren
Produkts in Geld. Es ist seine Arbeit von voriger Woche oder vom letz-
ten halben Jahr, womit seine Arbeit von heute oder vom nächsten halben
Jahr gezahlt wird. Die Illusion, welche die Geldform erzeugt, verschwin-
det sofort, sobald statt des einzelnen Kapitalisten und des einzelnen Ar-
beiters Kapitalistenklasse und Arbeiterklasse betrachtet werden. Die
Kapitalistenklasse giebt der Arbeiterklasse beständig in Geldform Anwei-
sungen auf einen Theil des von der letztern producirten und von der erstern
angeeigneten Produkts. Diese Anweisungen giebt der Arbeiter der Kapi-
talistenklasse ebenso beständig zurück und entzieht ihm damit den ihm
selbst zufallenden Theil seines eignen Produkts. Die Waarenform des
Produkts und die Geldform der Waare verkleiden die Transaktion.
Das variable Kapital ist also nur eine besondre histo-
rische Erscheinungsform des Fonds von Lebensmitteln oder des
Arbeitsfonds, den der Arbeiter zu seiner Selbsterhaltung und Repro-
duktion bedarf, und den er in allen Systemen der gesellschaftlichen
Produktion stets selbst produciren und reproduciren muss. Der Arbeits-
fonds fliesst ihm nur beständig in Form von Zahlungsmitteln sei-
ner Arbeit zu, weil sein eignes Produkt sich beständig in der Form des
Kapitals von ihm entfernt. Aber diese Erscheinungsform des
Arbeitsfonds ändert nichts daran, dass dem Arbeiter seine eigne
vergegenständlichte Arbeit vom Kapitalisten vorgeschossen
wird3). Nehmen wir einen Frohnbauer. Er arbeitet mit seinen eignen
Produktionsmitteln auf seinem eignen Acker z. B. 3 Tage in der Woche.
Die 3 andern Wochentage verrichtet er Frohnarbeit auf dem herrschaft-
lichen Gut. Er reproducirt seinen eignen Arbeitsfonds beständig und die-
ser nimmt ihm gegenüber nie die Form von einem Dritten für
seine Arbeit vorgeschossener Zahlungsmittel an. Im
Ersatz nimmt auch niemals seine unbezahlte Zwangsarbeit die
Form freiwilliger und bezahlter Arbeit an. Wenn morgen
der Gutsherr den Acker, das Zugvieh, die Samen, kurz die Produktions-
mittel des Frohnbauern sich selbst aneignet, so hat dieser von nun an seine
Arbeitskraft an den Frohnherrn zu verkaufen. Unter sonst gleichbleiben-
den Umständen wird er nach wie vor 6 Tage in der Woche arbeiten,
3 Tage für sich selbst, 3 für den Ex-Frohnherrn, der jetzt in einen Lohn-
herrn verwandelt ist. Er wird nach wie vor die Produktionsmittel als
Produktionsmittel vernützen und ihren Werth auf das Produkt übertragen.
Nach wie vor wird ein bestimmter Theil des Produkts in die Reproduk-
tion eingehn. Wie aber die Frohnarbeit die Form der Lohn-
arbeit, nimmt der vom Frohnbauer nach wie vor producirte und repro-
ducirte Arbeitsfonds die Form eines ihm vom Ex-Frohn-
herrn vorgeschossenen Kapitals an. Der bürgerliche Oeko-
nom, dessen beschränktes Hirn die Erscheinungsform von dem was darin
erscheint nicht trennen kann, schliesst die Augen vor der Thatsache, dass
selbst noch heutzutag der Arbeitsfonds nur ausnahmsweis auf dem Erdrund
in der Form von Kapital erscheint4).
Allerdings verliert das variable Kapital nur den Sinn eines aus
dem eignen Fonds des Kapitalisten vorgeschossenen Werthes, sobald wir den
kapitalistischen Produktionsprozess im beständigen Fluss seiner Erneue-
rung betrachten. Aber er muss doch irgendwo und irgendwann anfangen.
Von unsrem bisherigen Standpunkt ist es daher wahrscheinlich, dass der
Kapitalist irgend einmal durch irgend eine, von unbezahlter fremder Arbeit
unabhängige, ursprüngliche Accumulation Geldbesitzer ward, und
daher den Markt als Käufer von Arbeitskraft beschreiten konnte. Indess
bewirkt die blosse Kontinuität des kapitalistischen Produktionsprozesses,
oder die einfache Reproduktion, noch andre sonderbare Wechsel, die nicht
nur den variablen Kapitaltheil, sondern das Gesammtkapital er-
greifen.
Beträgt der mit einem Kapital von 1000 Pfd. St. periodisch, z. B.
jährlich, erzeugte Mehrwerth 200 Pfd. St. und wird dieser Mehrwerth
jährlich verzehrt, so ist klar, dass nach fünfjähriger Wiederholung dessel-
ben Prozesses die Summe des verzehrten Mehrwerths = 5 × 200 ist
oder gleich dem ursprünglich vorgeschossenen Kapital-
werth von 1000 Pfd. St. Würde der jährliche Mehrwerth nur theil-
weis verzehrt, z. B. nur zur Hälfte, so ergäbe sich dasselbe Resultat nach
zehnjähriger Wiederholung des Produktionsprozesses, denn 10 × 100 =
1000. Allgemein: Der vorgeschossene Kapitalwerth, divi-
dirt durch den jährlich verzehrten Mehrwerth, ergiebt
die Jahresanzahl, oder die Anzahl von Reproduktionsperioden,
nach deren Ablauf der ursprünglich vorgeschossene Kapi-
talwerth vom Kapitalisten aufgezehrt und daher verschwunden
ist. Die Vorstellung des Kapitalisten, dass er das Produkt der fremden
unbezahlten Arbeit, den Mehrwerth, verzehrt und den ursprünglichen
Kapitalwerth erhält, ändert absolut nichts an der Thatsache, dass nach
Abfluss einer gewissen Jahreszahl der von ihm geeignete Kapitalwerth
gleich der Summe des während derselben Jahreszahl ohne Aequivalent an-
geeigneten Mehrwerths, und die von ihm verzehrte Werthsumme gleich
dem ursprünglichen Kapitalwerth ist. Kein Werthatom seines
alten Kapitals existirt fort. Ganz abgesehn von aller Accu-
mulation verwandelt also die blosse Kontinuität des Produktionspro-
zesses, oder die einfache Reproduktion, nach kürzerer oder längerer Pe-
riode, jedes Kapital nothwendig in accumulirtes Kapital oder
kapitalisirten Mehrwerth. War es selbst bei seinem Eintritt in
den Produktionsprozess persönlich erarbeitetes Eigenthum seines Anwen-
ders, früher oder später wird es ohne Aequivalent angeeigneter
Werth oder Materiatur, ob in Geldform oder anders, unbezahlter
fremder Arbeit.
Die ursprüngliche Voraussetzung für die Verwandlung von Geld in
Kapital waren nicht nur Waarenproduktion und Waarencirkulation. Auf
dem Waarenmarkt mussten Besitzer von Werth oder Geld und Besitzer der
werthschaffenden Substanz, Besitzer von Produktions- und Lebensmitteln
und Besitzer der Arbeitskraft, einander als Käufer und Verkäufer gegen-
übertreten. Scheidung zwischen dem Arbeitsprodukt und der Arbeit
selbst, zwischen den objektiven Arbeitsbedingungen und der subjektiven
Arbeitskraft, war also die thatsächlich gegebne Grundlage des
kapitalistischen Produktionsprozesses. Seine blosse Kontinui-
tät, oder die einfache Reproduktion, reproducirt und verewigt diesen
seinen Ausgangspunkt als sein eignes Resultat. Der Produk-
tionsprozess verwandelt fortwährend das Geld in Kapital, die Produktions-
mittel in Verwerthungsmittel. Andrerseits kommt der Arbeiter beständig
aus dem Prozess heraus, wie er in ihn eintritt. Da seine eigne Arbeit
ihm selbst entfremdet, dem Kapitalisten angeeignet und dem Kapital
einverleibt ist, bevor er in den Prozess eintritt, vergegenständlicht
sie sich während des Prozesses beständig in fremdem Produkt. Da
der Produktionsprozess zugleich der Konsumtionsprozess der Arbeitskraft
durch den Kapitalisten, verwandelt sich das Produkt des Arbeiters
nicht nur fortwährend in Waare, sondern in Kapital, Werth, der die
werthschöpfende Kraft aussaugt, Lebensmittel, die Personen kaufen, Pro-
duktionsmittel, die den Producenten anwenden5). Der Arbeiter selbst
producirt daher beständig den objektiven Reichthum als Kapital, ihm
fremde, ihn beherrschende und ausbeutende Macht, und der Kapitalist produ-
cirt ebenso beständig die Arbeitskraft als subjektive, von ihren eignen
Vergegenständlichungs- und Verwirklichungsmitteln getrennte, abstrakte,
in der blossen Leiblichkeit des Arbeiters existirende Reichthumsquelle,
kurz den Arbeiter als Lohnarbeiter6). Diese beständige Re-
produktion oder Verewigung des Arbeiters als Lohnar-
beiter ist das sine qua der kapitalistischen Produktion.
Man weiss, die Transaktion zwischen Kapitalist und Arbeiter ist fol-
gende: Einen Theil seines Kapitals, das variable Kapital, tauscht der Ka-
pitalist aus gegen Arbeitskraft, die er als lebendige Verwerthungskraft
seinen todten Produktionsmitteln einverleibt. Eben dadurch
wird der Arbeitsprozess zugleich kapitalistischer Verwerthungsprozess.
Andrerseits verausgabt der Arbeiter das für seine Arbeitskraft einge-
tauschte Geld in Lebensmitteln, durch die er sich erhält und re-
producirt. Es ist diess seine individuelle Konsumtion. Der
Arbeitsprozess, worin er die Produktionsmittel konsumirt und dadurch in
Produkte verwandelt, bildet seine produktive Konsumtion und zu-
gleich Konsumtion seiner Arbeitskraft durch den Kapitalisten.
Beide Konsumtionen sind wesentlich verschieden. In der einen gehört
der Arbeiter als Arbeitskraft dem Kapital an und ist dem Produktionspro-
zess einverleibt; in der andern gehört er sich selbst und verrichtet indivi-
duelle Lebensakte ausserhalb des Produktionsprozesses.
Bei Betrachtung des „Arbeitstags“ u. s. w. zeigte sich gelegentlich,
dass der Arbeiter oft gezwungen ist, seine individuelle Konsumtion zu
einem blossen Incident des Produktionsprozesses zu machen. In diesem
Fall setzt er sich Lebensmittel zu, um seine Arbeitskraft im Gang zu hal-
ten, wie der Dampfmaschine Kohle und Wasser, dem Rad Oel zugesetzt
wird. Seine Konsumtionsmittel sind dann bloss Konsumtionsmittel eines Pro-
duktionsmittels, seine individuelle Konsumtion direkt produktive Konsum-
tion. Diess erscheint jedoch als ein dem kapitalistischen Produktions-
prozess unwesentlicher Missbrauch7).
Betrachtet man aber nicht den vereinzelten Produktionsprozess der
Waare, sondern den kapitalistischen Produktionsprozess in seinem zu-
sammenhängenden Fluss und in seinem gesellschaftlichen Umfang, so
bleibt auch die individuelle Konsumtion des Arbeiters ein
Moment der Produktion und Reproduktion des Kapitals, ob sie innerhalb
oder ausserhalb der Werkstatt, Fabrik u. s. w., innerhalb oder ausserhalb
des Arbeitsprozesses vorgeht, ganz wie die Reinigung der Maschine, ob sie
während des Arbeitsprozesses oder bestimmter Pausen desselben geschieht.
Es thut nichts zur Sache, dass der Arbeiter diese Konsumtion sich selbst
und nicht dem Kapitalisten zu lieb vollzieht. So bleibt der Konsum des
Lastviehs nicht minder ein nothwendiges Moment des Produktionsprozesses,
weil das Vieh selbst geniesst, was es frisst. Die beständige Erhaltung
und Reproduktion der Arbeiterklasse bleibt beständige Bedingung für die
Reproduktion des Kapitals. Der Kapitalist kann ihre Erfüllung getrost
dem Selbsterhaltungs- und Fortpflanzungstrieb der Arbeiter überlassen.
Er sorgt nur dafür ihre individuelle Konsumtion so viel als möglich auf
das Nothwendige einzuschränken und ist himmelweit entfernt von jener
südamerikanischen Rohheit, die den Arbeiter zwingt substantiellere statt
weniger substantieller Nahrungsmittel einzunehmen8).
Durch den Umsatz eines Kapitaltheils in Arbeitskraft schlägt der
Kapitalist zwei Fliegen mit einer Klappe. Er verwandelt dadurch einen
Theil seines Kapitals in variables Kapital und verwerthet so sein Gesammt-
kapital. Er einverleibt die Arbeitskraft seinen Produktionsmitteln. Er
verzehrt die Arbeitskraft produktiv, indem er den Arbeiter die Produktions-
mittel durch seine Arbeit produktiv verzehren lässt. Andrerseits verwandeln
sich die Lebensmittel oder der an den Arbeiter veräusserte Theil des Kapitals
in Muskel, Nerven, Knochen, Hirn u.s.w. von Arbeitern. Innerhalb ih-
rer nothwendigen Grenzen ist daher die individuelle Konsumtion der
Arbeiterklasse Rückverwandlung der vom Kapital gegen Arbeitskraft ver-
äusserten Lebensmittel in die vom Kapital neu exploitirbare Arbeitskraft,
Produktion und Reproduktion seines nothwendigsten
Produktionsmittels, des Arbeiters selbst. Die indivi-
duelle Konsumtion des Arbeiters bildet daher ein Moment des Repro-
duktionsprozesses des Kapitals im Grossen und Ganzen.
Daher betrachtet auch der Kapitalist und sein Ideolog, der politische
Oekonom, nur den Theil der individuellen Konsumtion des Arbeiters als
produktiv, der zur Verewigung der Arbeiterklasse erheischt ist, also
in der That verzehrt werden muss, damit das Kapital die Arbeitskraft ver-
zehre; was der Arbeiter ausserdem zu seinem Vergnügen verzehren mag,
ist unproduktive Konsumtion9). Würde die Accumulation des
Kapitals eine Erhöhung des Arbeitslohns und daher Vermehrung der Kon-
sumtionsmittel des Arbeiters verursachen ohne Konsum von mehr Arbeits-
kraft durch das Kapital, so wäre das zuschüssige Kapital unproduktiv
konsumirt10). In der That: die individuelle Konsumtion des Arbei-
ters ist für ihn selbst unproduktiv, denn sie reproducirt nur das
bedürftige Individuum: sie ist produktiv für den Kapita-
listen und den Staat, denn sie ist Produktion der den fremden
Reichthum producirenden Kraft11).
Von gesellschaftlichem Standpunkt ist also die Arbeiterklasse, auch
ausserhalb des unmittelbaren Arbeitsprozesses, ebenso sehr Zubehör des
Kapitals als die todten Arbeitsinstrumente. Ihre individuelle Konsumtion
selbst ist innerhalb gewisser Grenzen nur ein Moment des Reproduktions-
prozesses des Kapitals. Der Prozess aber sorgt dafür, dass diese selbst-
bewussten Produktionsinstrumente nicht weglaufen, indem er beständig ihr
Produkt von ihrem Pol zum Gegenpol des Kapitals entfernt. Die indi-
viduelle Konsumtion sorgt für ihre eigne Erhaltung und Reproduktion, an-
drerseits, durch Vernichtung der Lebensmittel, für ihr beständiges Wieder-
erscheinen auf dem Arbeitsmarkt. Der römische Sklave war durch Ketten,
der Lohnarbeiter ist durch unsichtbare Fäden an seinen Eigenthümer ge-
bunden. Der Schein seiner Unabhängigkeit wird durch den bestän-
digen Wechsel der individuellen Lohnherrn und die fictio juris des Kon-
trakts aufrecht erhalten.
Früher machte das Kapital, wo es ihm nöthig schien, sein Eigen-
thumsrecht auf den freien Arbeiter durch Zwangsgesetz gel-
tend. So war z. B. die Emigration der Maschinenarbeiter in England bis
1815 bei schwerer Strafe verboten.
Die Reproduktion der Arbeiterklasse schliesst zugleich die Ueberliefe-
rung und Häufung des Geschicks von einer Generation zur andern ein12). Wie
sehr der Kapitalist das Dasein einer solchen geschickten Arbeiterklasse unter
die ihm angehörigen Produktionsbedingungen zählt,
sie in der That als die reale Existenz seines variablen Kapitals ansieht,
zeigt sich, sobald eine Krise deren Verlust androht. In Folge des ameri-
kanischen Bürgerkriegs und der ihn begleitenden Baumwollnoth wurde be-
kanntlich die Mehrzahl der Baumwollarbeiter in Lancashire u. s. w aufs
Pflaster geworfen. Aus dem Schoss der Arbeiterklasse selbst, wie andrer
Gesellschaftsschichten, schrie man nach Staatsunterstützung oder frei-
williger Nationalkollekte, um die Emigration der „Ueberflüssigen“ in eng-
lische Kolonien oder die Vereinigten Staaten zu ermöglichen. Damals
veröffentlichte die Times (24. März 1863) einen Brief von Edmund
Potter, früher Präsident der Manchester Handelskammer. Sein Brief
ward mit Recht im Unterhaus als „das Manifest der Fabrikan-
ten“ bezeichnet13). Wir geben hier einige charakteristische Stellen,
worin der Eigenthumstitel des Kapitals auf die Arbeits-
kraft unverblümt ausgesprochen wird.
„Den Baumwollarbeitern mag gesagt werden, dass ihre Zufuhr zu
gross ist. . . . sie müsse vielleicht um ein Drittheil reducirt werden, und
dann würde eine gesunde Nachfrage für die übrigen zwei Drittheile ein-
treten. . . . Die öffentliche Meinung dringt auf Emigration. . . . Der
Meister (d. h. der Baumwollfabrikant) kann nicht willig seine Arbeitszu-
fuhr entfernt sehn; er mag denken, dass das ebenso ungerecht als unrich-
tig ist.… Wenn die Emigration aus öffentlichen Fonds unterstützt wird, hat er
ein Recht Gehör zu verlangen und vielleicht zu protestiren.“ Selbiger Pot-
ter setzt dann weiter aus einander, wie nützlich die Baumwollindustrie, wie
„sie unzweifelhaft die Uebervölkerung aus Irland und den englischen Agri-
kulturdistrikten wegdrainirt hat“, wie ungeheuer ihr Umfang, wie sie im
Jahr 1860 des ganzen englischen Exporthandels lieferte, wie sie nach
wenigen Jahren sich wieder ausdehnen werde durch Erweiterung des
Markts, besonders Indiens, und durch Erzwingung hinreichender „Baum-
wollzufuhr, zu 6 d. das Pfund“. Er fährt dann fort: „Zeit — eins, zwei,
drei Jahre vielleicht — wird die nöthige Quantität produciren . . . . Ich
möchte dann die Frage stellen, ist diese Industrie werth sie festzuhalten, ist
es der Mühe werth die Maschinerie (nämlich die lebendigen
Arbeitsmaschinen) in Ordnung zu halten, und ist es nicht die
grösste Narrheit, daran zu denken, sie aufzugeben! Ich
glaube so. Ich will zugeben, dass die Arbeiter nicht Eigen-
thum sind („I allow that the workers are not a property“), nicht das
Eigenthum Lancashire’s und der Meister; aber sie sind die
Stärke beider; sie sind die geistige und geschulte Kraft, die in einer Ge-
neration nicht ersetzt werden kann; die andere Maschinerie dagegen,
woran sie arbeiten („the mere machinery which they work“), könnte zum
grossen Theil mit Vortheil ersetzt und verbessert werden in
zwölf Monaten14). Ermuntert oder erlaubt (!) die Emi-
gration der Arbeitskraft und was wird aus dem Kapitalisten?
(„Encourage or allow the working power to emigrate, and what of the
capitalist?“ Dieser Herzensstoss erinnert an Hofmarschall Kalb.) … Nimm
den Rahm der Arbeiter weg, und das fixe Kapital wird in hohem Grad
entwerthet und das cirkulirende Kapital wird sich nicht dem Kampf mit
schmaler Zufuhr einer niedrigeren Sorte von Arbeit aussetzen. . . . Man
sagt uns, die Arbeiter selbst wünschen die Emigration. Es
ist sehr natürlich, dass sie das thun. . . . Reducire, komprimire das
Baumwollgeschäft durch Wegnahme seiner Arbeitskraft (by
taking away its working power), durch Verminderung ihrer Lohnveraus-
gabung sage um ⅓ oder 5 Millionen, und was wird dann aus der nächsten
Klasse über ihnen, den Kleinkrämern? Was aus den Grundrenten, was
aus der Miethe der cottages? … was aus dem kleinen Pächter, dem
besseren Hausbesitzer und dem Grundeigenthümer? Und sagt nun, ob
irgend ein Plan für alle Klassen des Landes selbstmörderischer sein kann
als dieser, dieN ation zu schwächen durch den Export ihrer besten
Fabrikarbeiter und die Entwerthung eines Theils ihres produktiv-
sten Kapitals und Reichthums?“ „Ich rathe zu einer Anleihe von 5 bis
6 Millionen, über 2 oder 3 Jahre vertheilt, administrirt durch Spezial-
kommissäre, beigeordnet den Armenverwaltungen in den Baumwolldistrik-
ten, unter speziellen gesetzlichen Regulationen, mit gewisser Zwangs-
arbeit, um die moralische Valuta der Almosenempfänger aufrecht zu
erhalten. . . . Kann es irgend etwas Schlimmeres geben für
Grundeigenthümer oder Meister („can anything be worse for
landowners or masters“) als ihre besten Arbeiter aufzugeben und die
übrigbleibenden zu demoralisiren und zu verstimmen
durch eine ausgedehnte entleerende Emigration und Entleerung von Werth
und Kapital in einer ganzen Provinz?“
Potter, das auserwählte Organ der Baumwollfabrikanten, unterscheidet
doppelte „Maschinerie“, deren jede dem Kapitalisten gehört, und
wovon die eine in seiner Fabrik steht, die andre des Nachts und Sonntags
auswärtig in cottages haust. Die eine ist todt, die andre lebendig. Die
todte Maschinerie verschlechtert und entwerthet sich nicht nur jeden
Tag, sondern von ihrer existirenden Masse ist ein grosser Theil durch den
beständigen technologischen Fortschritt beständig so sehr antiquirt, dass sie
vortheilhaft und in wenigen Monaten durch neuere Maschinerie ersetzbar.
Die lebendige Maschinerie verbessert sich umgekehrt, je länger sie währt,
je mehr sie das Geschick von Generationen in sich aufhäuft. Die Times
antwortete dem Fabrikmagnaten u. a.:
„Herr E. Potter ist so impressionirt mit der ausserordentlichen und
absoluten Wichtigkeit der Baumwollmeister, dass er, um diese Klasse
zu erhalten und ihr Metier zu verewigen, eine halbe Million der Arbeiter-
klasse wider ihren Willen in ein grosses moralisches Workhouse ein-
sperren will. Ist diese Industrie werth sie festzuhalten? fragt Herr Pot-
ter. Sicher, durch alle ehrbaren Mittel! antworten wir. Ist es der Mühe
werth die Maschinerie in Ordnung zu halten? fragt wieder Herr Potter.
Hier stutzen wir. Unter der Maschinerie versteht Herr Potter die
menschliche Maschinerie, denn er betheuert, dass er sie nicht
als absolutes Eigenthum zu behandeln vorhat. Wir müssen
gestehn, wir halten es nicht ‚der Mühe werth‘ oder selbst für möglich, die
menschliche Maschinerie in Ordnung zu halten, d. h. einzusperren und
einzuölen bis ihrer bedurft wird. Menschliche Maschinerie hat die
Eigenschaft während der Unthätigkeit zu verrosten, ihr mögt noch soviel
dran ölen oder reiben. Zudem ist menschliche Maschinerie, wie der
Augenschein uns eben lehrt, im Stand von eignen Stücken den Dampf an-
zulassen und zu platzen oder einen Veitstanz in unsren grossen Städten zu
tollen. Es mag, wie Herr Potter sagt, längere Zeit zur Repro-
duktion der Arbeiter erheischt sein, aber mit Maschinisten
und Geld zur Hand werden wir stets betriebsame, harte, industrielle Män-
ner finden, um daraus mehr Fabrikmeister zu fabriciren als
wir je verbrauchen können. . . . Herr Potter plaudert von einer
Wiederbelebung der Industrie in 1, 2, 3 Jahren und verlangt von uns die
Emigration der Arbeitskraft nicht zu ermuntern oder nicht zu
erlauben! Er sagt, es sei natürlich, dass die Arbeiter zu emigriren wün-
schen, aber er meint, dass die Nation diese halbe Million Arbeiter mit den
700,000, die an ihnen hängen, ihrem Verlangen zum Trotz in die
Baumwolldistrikte einsperren und, eine nothwendige Konsequenz, ihr Miss-
vergnügen durch Gewalt niederschlagen und sie selbst durch Almosen
fristen muss, alles das auf die Chance hin, dass die Baumwollmeister
ihrer an einem beliebigen Tag wieder bedürfen mögen. . . . Die Zeit ist
gekommen, wo die grosse öffentliche Meinung dieser Eilande etwas thun
muss, um ‚diese Arbeitskraft‘ vor denen zu retten, die sie behan-
deln wollen, wie sie Kohle, Eisen und Baumwolle behandeln.“ („to save
this ‘working power’ from those who would deal with it as they deal with
iron, coal and cotton.“)15)
Der Times-Artikel war nur ein jeu d’esprit. Die „grosse öffent-
liche Meinung“ war in der That der Meinung des Herrn Potter, dass die
Fabrikarbeiter Mobiliarzubehör der Fabriken. Ihre Emigration wurde
verhindert16). Man sperrte sie in das „moralische Workhouse“ der Baum-
wolldistrikte, und sie bilden nach wie vor „die Stärke (the strength) der
Baumwollmeister von Lancashire.“
Der kapitalistische Produktionsprozess reproducirt also durch seinen
eignen Vorgang die Scheidung zwischen Arbeitskraft und Arbeitsbe-
dingungen. Er reproducirt und verewigt damit die Exploitationsbe-
dingungen des Arbeiters. Er zwingt beständig den Arbeiter zum Verkauf
seiner Arbeitskraft, um zu leben, und befähigt beständig den Kapitalisten
zu ihrem Kauf, um sich zu bereichern17). Es ist nicht mehr der Zufall,
welcher Kapitalist und Arbeiter als Käufer und Verkäufer auf dem Waaren-
markt gegenüberstellt. Es ist die Zwickmühle des Prozesses selbst, die
den Einen stets als Verkäufer seiner Arbeitskraft auf den Waarenmarkt
zurückschleudert und sein eignes Produkt stets in das Kaufmittel des An-
dern verwandelt. In der That gehört der Arbeiter dem Kapital, bevor er
sich dem Kapitalisten verkauft. Seine ökonomische Hörigkeit18) ist zu-
gleich vermittelt und zugleich versteckt durch die periodische Erneurung
seines Selbstverkaufs, den Wechsel seiner individuellen Lohnherrn und die
Oscillation im Marktpreise der Arbeit19).
Der kapitalistische Produktionsprozess, im Zusammenhang betrachtet,
oder als Reproduktionsprozess, producirt also nicht nur Waare, nicht nur
Mehrwerth, er producirt und reproducirt das Kapitalverhältniss
selbst, auf der einen Seite den Kapitalisten, auf der andern den
Lohnarbeiter20).
Früher hatten wir zu betrachten, wie der Mehrwerth aus dem Kapital,
jetzt wie das Kapital aus dem Mehrwerth entspringt. Anwendung
von Mehrwerth als Kapital oder Rückverwandlung von
Mehrwerth in Kapital heisst Accumulation des Kapitals21).
Ein Kapital betrage 10,000 Pfd. St., sein variabler Bestandtheil
2000 Pfd. St. Bei einer Rate des Mehrwerths von 100 % producirt es
in einer gewissen Periode, jährlich z. B., einen Mehrwerth von 2000
Pfd. St. Werden diese 2000 Pfd. St. wieder als Kapital vorgeschossen,
so wächst das ursprüngliche Kapital von 10,000 auf 12,000 Pfd. St. oder
es hat accumulirt. Es ist zunächst gleichgiltig, ob das Zuschusskapital
zum alten geschlagen oder selbstständig verwerthet wird.
Eine Werthsumme von 2000 Pfd. St. ist eine Werthsumme von
2000 Pfd. St. Man riecht und sieht diesem Geld nicht an, dass es
Mehrwerth ist. Der Charakter eines Werths als Mehrwerth zeigt,
wie er zu seinem Eigner kam, ändert aber nichts an der Natur des Werths
oder des Geldes. Die Verwandlung der zuschüssigen 2000 Pfd. St. in
Kapital geht also in derselben Weise vor, wie die Verwandlung der ur-
sprünglichen 10,000 Pfd. St. Die Bedingungen der Metamorphose blei-
ben dieselben. Ein Theil der 2000 Pfd. St. muss in constantes, der
andre in variables Kapital verwandelt werden, der eine in die objektiven
Faktoren des Arbeitsprozesses, Arbeitsmaterial und Arbeitsmittel, der
andre in seinen subjektiven Faktor, Arbeitskraft. Der Kapitalist muss
also diese Elemente auf dem Waarenmarkt vorfinden. So stellt sich der Vor-
gang dar vom Standpunkt des individuellen Kapitalisten, der die Geld-
summe von 10,000 Pfd. St. in einen Waarenwerth von 12,000 Pfd. St. ver-
wandelt, diesen Waarenwerth in Geld zum Belauf von 12,000 Pfd. St. rück-
verwandelt, und nun neben dem ursprünglichen Werth von 10,000 Pfd. St.
auch den zuschüssigen Werth von 2000 Pfd. St. als sein Kapital funktio-
niren lässt. Betrachten wir aber die 10,000 Pfd. St. als das gesell-
schaftliche Kapital oder als das Gesammtkapital der Ka-
pitalistenklasse, und die 2000 Pfd. St. als ihren während des Jahrs
z. B. producirten Mehrwerth! Der Mehrwerth ist verkörpert in einem
zuschüssigen Produkt oder Mehrprodukt. Ein Theil dieses Mehrpro-
dukts geht in den Konsumtionsfonds der Kapitalisten ein oder wird
von ihnen als Revenue verzehrt. Abgesehn von diesem Theil, ebenso vom
internationalen Handel, der inländische durch ausländische Waarensorten
ersetzt, besteht das Mehrprodukt, in seiner Naturalform, nur aus
Produktionsmitteln, Rohstoffen, Hilfsstoffen, Arbeitsmitteln, und
aus nothwendigen Lebensmitteln, also aus den stofflichen
Elementen des constanten und variablen Kapitals. Diese finden sich
also nicht zufällig auf dem Markt vor, sondern sind bereits vorhandne
Existenzweisen des producirten Mehrwerths selbst. Was aber die er-
heischte zuschüssige Arbeit angeht, so können bis zu einem gewissen Grad
die bereits funktionirenden Arbeitskräfte voller beschäftigt, extensiv oder
intensiv höher angespannt werden. Andrerseits hat der kapitalistische
Produktionsprozess mit den sachlichen Elementen des zuschüssigen Kapi-
tals auch bereits zuschüssige Arbeitskräfte geliefert. Da nämlich die Ar-
beiterklasse aus dem Prozess herauskömmt, wie sie in ihn eintrat, müssen
verschiedne Altersklassen ihrer Kinder, deren Existenz der Durchschnitts-
lohn sichert, beständig neben sie auf den Arbeitsmarkt treten. Konkret
betrachtet ist die Accumulation also kapitalistischer Reproduk-
tionsprozess auf erweiterter Stufenleiter.
Den in Zuschusskapital verwandelten Mehrwerth von 2000 Pfd. St.
wollen wir Surpluskapital Nr. I nennen. Der Vereinfachung wegen
vorausgesetzt, seine Theilung in constanten und variablen Bestandtheil
bleibe dieselbe wie beim ursprünglichen Kapital, ebenso die Rate des Mehr-
werths von 100 %, und wir kennen die Methode, worin diess Kapital von
2000 Pfd. St. einen Mehrwerth von 400 Pfd. St. producirt. Dieser Mehr-
werth werde wieder in Kapital verwandelt. So erhalten wir Surplus-
kapital Nr. II von 400 Pfd. St. u. s. w.
Was hat sich nun geändert? Die 10,000 Pfd. St., die sich ur-
sprünglich in Kapital verwandelten, waren das Eigenthum ihres Besitzers.
Er warf sie auf den Waaren- und Arbeitsmarkt. Wo hat er sie her? Wir
wissen es nicht. Das Gesetz des Waarenaustausches, wonach sich im
Durchschnitt Aequivalente austauschen und jeder nur mit Waare Waare
kauft, begünstigt die Annahme, dass die 10,000 Pfd. St. nur die Geld-
form seiner eignen Produkte und daher seiner eignen Arbeit sind, oder
der Arbeit von Personen, als deren rechtmässiger Stellvertreter er funk-
tionirt.
Den Entstehungsprozess des Surpluskapitals Nr. I kennen wir dagegen
ganz genau. Es ist nur die verwandelte Form von Mehrwerth,
also von Mehrarbeit, unbezahlter fremder Arbeit. Es ist kein Werth-
atomdarin, wofür sein Besitzer ein Aequivalent gezahlt hätte. Allerdings
kauft der Kapitalist, wie vorher mit einem Theil des ursprünglichen, so jetzt
mit einem Theil des Surplus-Kapitals von neuem Arbeitskraft, woraus er von
neuem Mehrarbeit pumpt und daher von neuem Mehrwerth producirt. Aber
er kauft den Arbeiter jetzt mit dessen eignem, ihm vorher ohne
Aequivalent weggenommenen Produkt oder Produktenwerth,
ganz wie er ihn mit Produktionsmitteln beschäftigt, die in natura
oder deren Werth ohne Aequivalent weggenommenes Produkt
des Arbeiters sind. Es ändert durchaus nichts an der Sache, ob die-
selben individuellen Arbeiter, die das Surpluskapital producirt haben, auch
damit beschäftigt werden, oder ob mit der in Geld verwandelten unbezahl-
ten Arbeit des Arbeiters A der Arbeiter B geworben wird. Diess ändert
nur die Erscheinung, ohne sie zu verschönern. Da das Verhältniss
des individuellen Kapitalisten und des individuellen Arbeiters das von ein-
ander unabhängiger Waarenbesitzer ist, von denen der eine Arbeitskraft
kauft, der andre verkauft, ist ihr Zusammenhang zufällig. Der Kapi-
talist verwandelt vielleicht das Surpluskapital in eine Maschine, die den
Producenten des Surpluskapitals aufs Pflaster wirft und durch ein paar
Kinder ersetzt.
In dem Surpluskapital Nr. I sind alle Bestandtheile Produkt unbezahlter
fremder Arbeit, kapitalisirter Mehrwerth. Es verschwindet der Schein
der ersten Darstellung des Produktionsprozesses oder des ersten Akts der
Kapitalbildung, als ob der Kapitalist irgend welche Werthe aus seinem
eignen Fonds in die Cirkulation würfe. Erst entführt die unsichtbare
Magie des Prozesses das Mehrprodukt des Arbeiters von seinem Pol zum
Gegenpol des Kapitalisten. Dann verwandelt der Kapitalist diesen Reich-
thum, der für ihn eine Schöpfung aus Nichts ist, in Kapital, in ein Mittel
zur Anwendung, Beherrschung und Exploitation zuschüssiger Arbeits-
kraft22).
Im kapitalistischen Produktionsprozess wird ursprünglich
nur eine dem Geldbesitzer, wir wissen nicht auf welche Titel hin, gehörige
Werthsumme in Kapital und daher Quelle von Mehrwerth ver-
wandelt. Es geht eine Veränderung mit dieser Werthsumme vor, aber sie
selbst ist nicht das Resultat des Prozesses, sondern vielmehr seine
von ihm unabhängige Voraussetzung. Im einfachen Repro-
duktionsprozess, oder dem kontinuirlichen Produktionsprozess, ist es
ein Theil vom Produkt des Arbeiters, der ihm stets von neuem als varia-
bles Kapital gegenübertritt, aber sein Produkt nimmt stets von neuem
diese Form an, weil er ursprünglich seine Arbeitskraft für das
Geld des Kapitalisten verkaufte. Endlich verwandelt sich im
Verlauf der Reproduktion aller vom Kapitalisten vorgeschossene Kapi-
talwerth in kapitalisirten Mehrwerth, aber diese Verwandlung
selbst unterstellt, dass der Fonds ursprünglich aus seinen eignen Mitteln
herstammt. Anders im Accumulationsprozess oder dem Repro-
duktionsprozess auf erweiterter Stufenleiter. Das Geld, oder stofflich aus-
gedrückt, die Produktions- und Lebensmittel, die Substanz des neuen
Kapitals, ist selbst das Produkt des Prozesses, der fremde unbezahlte Ar-
beit auspumpt. Das Kapital hat Kapital producirt.
Eine dem Kapitalisten gehörige Werthsumme von 10,000 Pfd. St.
war die Voraussetzung für Bildung des Surpluskapitals
Nr. I von 2000 Pfd. St. Die Voraussetzung des Surpluskapi-
tals Nr. II von 400 Pfd. St. ist nichts anders als die Existenz des
Surpluskapitals Nr. I. Eigenthum an vergangner unbezahlter
Arbeit erscheint jetzt als die einzige Bedingung für gegenwärtige An-
eignung unbezahlter lebendiger Arbeit in stets wachsendem Umfang.
Insofern der Mehrwerth, woraus Surpluskapital Nr. I besteht, das Re-
sultat des Ankaufs der Arbeitskraft durch einen Theil des Originalkapitals
war, ein Kauf, der den Gesetzen des Waarenaustausches entsprach, und,
juristisch betrachtet, nichts voraussetzt als freie Verfügung, auf Seiten des
Arbeiters über seine eignen Fähigkeiten, auf Seiten des Geld- oder Waaren-
besitzers über ihm gehörige Werthe; sofern Surpluskapital Nr. II u. s. w.
bloss Resultat von Surpluskapital Nr. I, also Konsequenz jenes ersten Ver-
hältnisses; sofern jede einzelne Transaktion fortwährend dem Gesetz des
Waarenaustausches entspricht, der Kapitalist stets die Arbeitskraft kauft,
der Arbeiter sie stets verkauft, und wir wollen annehmen selbst zu ihrem
wirklichen Werth, schlägt offenbar das auf Waarenproduktion und
Waarencirkulation beruhende Gesetz der Aneignung oder
Gesetz des Privateigenthums durch seine eigne, innere,
unvermeidliche Dialektik in sein direktes Gegentheil
um23). Der Austausch von Aequivalenten, der als die ursprüngliche
Operation erschien, hat sich so gedreht, dass nur zum Schein ausge-
tauscht wird, indem erstens der gegen Arbeitskraft ausgetauschte Kapital-
theil selbst nur ein Theil des ohne Aequivalent angeeigneten
fremden Arbeitsproduktes ist, und zweitens von seinem Producenten,
dem Arbeiter, nicht nur ersetzt, sondern mit neuem Surplus ersetzt wer-
den muss. Das Verhältniss des Austausches zwischen Ka-
pitalist und Arbeiter wird also nur dem Cirkulationspro-
zess angehöriger Schein, blosse Form, die dem Inhalt selbst
fremd ist und ihn nur mystificirt. Der beständige Kauf und Verkauf der
Arbeitskraft ist die Form. Der Inhalt ist, dass der Kapitalist einen Theil
der bereits vergegenständlichten fremden Arbeit, die er sich unauf hörlich
ohne Aequivalent aneignet, stets wieder gegen grösseres Quantum leben-
diger fremder Arbeit umsetzt. Ursprünglich erschien uns das Eigenthums-
recht gegründet auf eigne Arbeit. Wenigstens musste diese Annahme gel-
ten, da sich nur gleichberechtigte Waarenbesitzer gegenüberstehn, das Mit-
tel zur Aneignung fremder Waare aber nur die Veräusserung der eignen
Waare, und letztere nur durch Arbeit herstellbar ist. Eigenthum erscheint
jetzt, auf Seite des Kapitalisten, als das Recht fremde unbezahlte
Arbeit oder ihr Produkt, auf Seite des Arbeiters, als Unmöglichkeit, sich
sein eignes Produkt anzueignen. Die Scheidung zwischen Eigen-
thum und Arbeit wird zur nothwendigen Konsequenz eines Gesetzes,
das scheinbar von ihrer Identität ausging24). Man sah, dass selbst
bei einfacher Reproduktion alles vorgeschossene Kapital, wie immer ur-
sprünglich erworben, sich in accumulirtes Kapital oder kapitalisirten Mehr-
werth verwandelt. Aber im Strom der Produktion wird überhaupt alles
ursprünglich vorgeschossene Kapital eine verschwindende Grösse (magni-
tudo evanescens im mathematischen Sinn) verglichen mit dem direkt accu-
mulirten Kapital, d. h. in Kapital rückverwandelten Mehrwerth oder Mehr-
produkt, ob nun funktionirend in der Hand, die accumulirt hat, oder in
fremder Hand. Die politische Oekonomie stellt das Kapital daher über-
haupt als „accumulirten Reichthum (verwandelten Mehrwerth oder
Revenue) dar, der von neuem zur Produktion von Mehrwerth verwandt
wird“25), oder auch den Kapitalisten als „Besitzer des Mehrprodukts“26).
Dieselbe Anschauungsweise besitzt nur andre Form in dem Ausdruck, dass
alles vorhandne Kapital accumulirter oder kapitalisirter Zins sei, denn
der Zins ist ein blosses Bruchstück des Mehrwerths27).
Bevor wir nun auf einige nähere Bestimmungen der Accumula-
tion oder der Rückverwandlung von Mehrwerth in Kapital eingehn, ist
eine von der klassischen Oekonomie ausgeheckte Zweideutigkeit zu be-
seitigen.
So wenig die Waaren, die der Kapitalist mit einem Theil des
Mehrwerths für seine eigne Konsumtion kauft, ihm als Produktions- und
Verwerthungsmittel dienen, so wenig ist die Arbeit, die er zur Befriedi-
gung seiner natürlichen und socialen Bedürfnisse kauft, produktive
Arbeit. Statt durch den Kauf jener Waaren und Arbeit den Mehrwerth
in Kapital zu verwandeln, verzehrt oder verausgabt er ihn umgekehrt
als Revenue. Gegenüber der altadlichen Gesinnung, die, wie Hegel richtig
sagt, „im Verzehren des Vorhandenen besteht“ und namentlich auch im
Luxus persönlicher Dienste sich breit macht, war es entscheidend wichtig
für die bürgerliche Oekonomie hervorzuheben, dass das Evangelium der
neuen Gesellschaft, nämlich Accumulation von Kapital, die Auslage von
Mehrwerth im Ankauf produktiver Arbeiter als conditio sine qua
predigt. Andrerseits hatte man gegen das Volksvorurtheil zu polemisiren,
welches die kapitalistische Produktion mit der Schatzbildung verwechselt28)
und daher wähnt, accumulirter Reichthum sei dem Verbrauch, also der
Zerstörung in seiner vorhandnen Naturalform, entzogner oder auch vor der
Cirkulation geretteter Reichthum. Verschluss des Geldes gegen die Cir-
kulation wäre grade das Gegentheil seiner Verwerthung als Kapital, und
Waarenaccumulation im schatzbildnerischen Sinn reine Narrheit. Accumu-
lation von Waaren in grossen Massen ist Resultat einer Cirkulationsstockung
oder der Ueberproduktion29). Allerdings läuft in der Volksvorstellung
das Bild der im Konsumtionsfonds der Reichen gehäuften, lang-
sam sich verzehrenden Güter unter. Andrerseits die Vorrathbildung,
ein Phänomen, das allen Produktionsweisen angehört und wobei wir einen
Augenblick in der Analyse des Cirkulationsprozesses verweilen werden.
Soweit also ist die klassische Oekonomie im Recht, wenn sie den Verzehr von
Surplusprodukt durch produktive Arbeiter statt durch unproduktive
als charakteristisches Phänomen des Accumulationsprozesses
betont. Aber hier beginnt auch ihr Irrthum. A. Smith hat es zur
Mode gemacht, die Accumulation als Konsumtion des Mehr-
produkts durch produktive Arbeiter oder die Kapitalisi-
rung des Mehrwerths als dessen blossen Umsatz in Ar-
beitskraft darzustellen. Hören wir z. B. Ricardo: „Man muss
verstehn, dass alle Produkte eines Landes konsumirt werden; aber es
macht den grössten Unterschied, den man denken kann, ob sie konsumirt
werden durch solche, die einen andern Werth reproduciren oder durch
solche, die ihn nicht reproduciren. Wenn wir sagen, dass Revenue erspart
und zum Kapital geschlagen wird, so meinen wir, dass der Theil der
Revenue, von dem es heisst, er sei zum Kapital geschla-
gen, durch produktive statt durch unproduktive Arbei-
ter verzehrt wird“30). Es giebt keinen grösseren Irrthum als der
dem A. Smith von Ricardo und allen Späteren nachgeplauderte, dass „der
Theil der Revenue, von dem es heisst, er sei zum Kapital geschlagen,
von produktiven Arbeitern verzehrt wird.“ Nach dieser
Vorstellung würde aller Mehrwerth, der in Kapital verwandelt wird, zu
variablem Kapital. Er theilt sich vielmehr, wie der ursprünglich
vorgeschossene Werth, in constantes Kapital und variables
Kapital, in Produktionsmittel und Arbeitskraft. Arbeitskraft ist die
Form, worin das variable Kapital innerhalb des Produktionsprozesses
existirt. In diesem Prozess wird sie selbst vom Kapitalisten verzehrt. Sie
verzehrt durch ihre Funktion — die Arbeit — Produktionsmittel. Zugleich
verwandelt sich das im Ankauf der Arbeitskraft gezahlte Geld in
Lebensmittel, die nicht von der „produktiven Arbeit“, sondern vom
„produktiven Arbeiter“ verzehrt werden. A. Smith gelangt durch
eine grundverkehrte Analyse zu dem abgeschmackten Resultat, dass wenn
auch jedes individuelle Kapital sich in constanten und variablen
Bestandtheil theilt, das gesellschaftliche Kapital sich in nur varia-
bles Kapital auflöst oder nur in Zahlung von Arbeitslohn verausgabt wird.
Z. B. ein Tuchfabrikant verwandle 2000 Pfd. St. in Kapital. Er legt
einen Theil des Geldes im Ankauf von Webern aus, den andern Theil
in Wollengarn, Wollenmaschinerie u. s. w. Aber die Leute, von
denen er das Garn und die Maschinerie kauft, zahlen wieder mit einem
Theil davon Arbeit u. s. w., bis die ganzen 2000 Pfd. St. in Zahlung
von Arbeitslohn verausgabt sind, oder das ganze durch die 2000 Pfd. St.
repräsentirte Produkt durch produktive Arbeiter verzehrt ist. Man
sieht: die ganze Wucht dieses Arguments liegt in dem Wort „u. s. w.“,
das uns von Pontius zu Pilatus schickt. In der That, A. Smith
bricht die Untersuchung grade da ab, wo ihre Schwierigkeit beginnt31).
Im dritten Kapitel des zweiten Buchs werde ich die Analyse
des wirklichen Zusammenhangs geben. Es wird sich dort zeigen, dass
A. Smith’s auf alle seine Nachfolger vererbtes Dogma die politische Oeko-
nomie verhindert hat auch nur den Elementarmechanismus des gesellschaft-
lichen Reproduktionsprozesses zu begreifen32).
Im ersten Abschnitt dieses Kapitels betrachteten wir den ganzen
Mehrwerth, resp. das Mehrprodukt, nur als individuellen Konsumtions-
fonds des Kapitalisten, in diesem Abschnitt bisher nur als seinen
Accumulationsfonds. Er ist aber weder nur das eine, noch das
andre, sondern beides zugleich. Ein Theil des Mehrwerths wird vom
Kapitalisten als Revenue verzehrt33), ein andrer Theil als Kapital
angewandt oder accumulirt.
Die Masse des Mehrwerths gegeben, hängt die Grösse der
Accumulation offenbar ab von der Theilung des Mehrwerths in
Accumulationsfonds und Konsumtionsfonds, in Kapital
und Revenue. Je grösser der eine Theil, desto kleiner der andre. Die
Masse des Mehrwerths oder des Mehrprodukts, daher des disponiblen Reich-
thums eines Landes, die in Kapital verwandelt werden kann, ist daher stets
grösser als der wirklich in Kapital verwandelte Theil des Mehr-
werths. Je entwickelter die kapitalistische Produktion in einem Lande, je
rascher und massenhafter die Accumulation, je reicher das Land, je kolossaler
daher Luxus und Verschwendung, desto grösser diese Differenz. Vom
jährlichen Zuwachs des Reichthums abgesehn, besitzt der im Konsumtions-
fonds der Kapitalisten befindliche, nur allmälig zerstörbare Reichthum zum
Theil Naturalformen, worin er unmittelbar als Kapital funktioniren
könnte. Zu den vorhandnen Elementen des Reichthums, die im Produk-
tionsprozess funktioniren könnten, zählen alle Arbeitskräfte, die gar
nicht oder zu rein konventionell persönlichen, oft infamen, Dienstleistungen
verbraucht werden. Die Proportion, worin der Mehrwerth in Kapi-
tal und Revenue getheilt wird, wechselt unaufhörlich und ist durch Um-
stände beherrscht, die hier nicht weiter zu entwickeln sind. Das in einem
Land angewandte Kapital ist daher keine fixe, sondern
eine fluktuirende Grösse, ein stets variabler und elasti-
scher Bruchtheil des vorhandnen Reichthums, der als
Kapital funktioniren kann.
Da die beständige Aneignung des vom Arbeiter producirten Mehrwerths
oder Mehrprodukts für den Kapitalisten als periodische Fruchttragung seines
Kapitals erscheint, oder das fremde Arbeitsprodukt, welches er ohne Aequiva-
lent irgend einer Art usurpirt, einen periodischen Zuwachs seines Privat-
vermögens bildet, ist natürlich auch die Theilung dieses Mehrwerths
oder Mehrprodukts in Zuschusskapital und Konsumtionsfonds durch einen
Willensakt seinerseits vermittelt.
Nur soweit der Kapitalist personificirtes Kapital ist, hat
er einen historischen Werth und jenes historische Existenzrecht, das,
wie der geistreiche Lichnowsky sagt, keinen Datum nicht hat. Nur soweit
steckt seine eigne transitorische Nothwendigkeit in der transitorischen
Nothwendigkeit der kapitalistischen Produktionsweise.
Aber soweit sind auch nicht Gebrauchswerth und Genuss, sondern Tausch-
werth und dessen Vermehrung sein treibendes Motiv. Als Fanatiker der Ver-
werthung des Werths zwingt er rücksichtslos die Menschheit zur Produk-
tion um der Produktion willen, daher zu einer Entwicklung der ge-
sellschaftlichen Produktivkräfte und zur Schöpfung von materiel-
len Produktionsbedingungen, welche allein die reale Basis einer
höheren Gesellschaftsform bilden können, deren Grundprincip die volle und
freie Entwicklung jedes Individuums ist. Nur als Personifikation des Kapi-
tals ist der Kapitalist respektabel. Als solche theilt er mit dem Schatzbild-
ner den absoluten Bereicherungstrieb. Ausserdem zwingen ihn die immanen-
ten Gesetze der kapitalistischen Produktionsweise, welche die Konkurrenz
jedem individuellen Kapitalisten als äussere Zwangsgesetze oktroyirt,
sein Kapital fortwährend auszudehnen, um es zu erhalten. Soweit daher
sein Thun und Lassen nur Funktion des in ihm mit Willen und Bewusst-
sein begabten Kapitals, gilt ihm sein eigner Privatkonsum als ein Raub
an der Accumulation seines Kapitals, wie in der italienischen Buchhal-
tung Privatausgaben auf der Debetseite des Kapitalisten gegen das Ka-
pital figuriren. Die Accumulation ist Eroberung der Welt des gesellschaft-
lichen Reichthums. Sie dehnt mit der Masse des exploitirten Menschen-
materials zugleich die direkte und indirekte Herrschaft des Kapita-
listen aus34).
Aber die Erbsünde wirkt überall. Mit der Entwicklung der kapi-
talistischen Produktionsweise, der Accumulation, und des Reichthums, hört
der Kapitalist auf, blosse Inkarnation des Kapitals zu sein. Er fühlt ein
„menschliches Rühren“ für seinen eignen Adam und wird so gebildet, die
Schwärmerei für Ascese als Vorurtheil des altmodischen Schatzbildners zu
belächeln. Während der klassische Kapitalist den individuellen Konsum
als Sünde gegen seine Funktion und „Enthaltung“ von der Accumulation
brandmarkt, ist der modernisirte Kapitalist im Stande, die Accumulation
als „Entsagung“ seines Genusstriebs aufzufassen. „Zwei Seelen wohnen
Ach! in seiner Brust, die eine will sich von der andern trennen!“
In den historischen Anfängen der kapitalistischen Produktionsweise
— und jeder kapitalistische Parvenü macht diess historische Stadium in-
dividuell durch — herrschen Bereicherungstrieb und Geiz als absolute
Leidenschaften vor. Aber der Fortschritt der kapitalistischen Produk-
tion schafft nicht nur eine Welt von Genüssen. Er öffnet mit der Speku-
lation und dem Kreditwesen tausend Quellen plötzlicher Bereicherung.
Auf einer gewissen Entwicklungshöhe wird ein konventioneller Grad von
Verschwendung, die zugleich Schaustellung des Reichthums und daher
Kreditmittel ist, sogar zu einer Geschäftsnothwendigkeit des „unglück-
lichen“ Kapitalisten. Der Luxus geht in die Repräsentationskosten des Ka-
pitals ein. Ohnehin bereichert sich der Kapitalist nicht, gleich dem Schatz-
bildner, im Verhältniss seiner persönlichen Arbeit und seines persönlichen
Nichtkonsums, sondern im Mass, worin er fremde Arbeitskraft aussaugt
und dem Arbeiter Entsagung aller Lebensgenüsse aufzwingt. Obgleich
daher die Verschwendung des Kapitalisten nie den bona fide. Charakter
der Verschwendung des flotten Feudalherrn besitzt, in ihrem Hin-
tergrund vielmehr stets schmutzigster Geiz und ängstlichste Berechnung
lauern, wächst dennoch seine Verschwendung mit seiner Accumulation,
ohne dass die eine die andre zu beabbruchen braucht. Damit entwickelt
sich gleichzeitig in der Hochbrust des Kapitalindividuums ein faustischer
Konflikt zwischen Accumulations- und Genusstrieb.
„Die Industrie von Manchester“, heisst es in einer Schrift, die Dr.
Aikin 1795 veröffentlichte, „kann in vier Perioden getheilt werden.
In der ersten waren die Fabrikanten gezwungen, hart für ihren Lebens-
unterhalt zu arbeiten.“ Sie bereicherten sich besonders durch Bestehlung
der Eltern, die ihnen Jungen als apprentices (Lehrlinge) zuwiesen und da-
für schwer blechen mussten, während die Lehrlinge ausgehungert wurden.
Andrerseits waren die Durchschnittsprofite niedrig und die Accumulation
verlangte grosse Sparsamkeit. Sie lebten wie Schatzbildner und verzehr-
ten bei weitem nicht einmal die Zinsen ihres Kapitals. „In der zweiten
Periode hatten sie begonnen, kleine Vermögen zu erwerben, arbeiteten
aber ebenso hart als zuvor,“ denn die unmittelbare Exploitation der
Arbeit kostet Arbeit, wie jeder Sklaventreiber weiss, „und lebten nach
wie vor in demselben frugalen Styl. … In der dritten Periode begann der
Luxus und das Geschäft wurde ausgedehnt durch Aussendung von Reitern
(berittenen Commis Voyageurs) für Ordres in jeder Marktstadt des König-
reichs. Es ist wahrscheinlich, dass wenige oder keine Kapitalien von
3000 bis 4000 Pfd. St., in der Industrie erworben, vor 1690 existirten.
Um diese Zeit jedoch oder etwas später hatten die Industriellen schon Geld
accumulirt und begannen steinerne Häuser statt der von Holz und Mörtel
aufzuführen. … Noch in den ersten Decennien des 18. Jahrhunderts
setzte sich ein Manchester Fabrikant, der eine Pint fremden Weins seinen
Gästen vorsetzte, den Glossen und dem Kopfschütteln aller seiner Nach-
barn aus.“ Vor dem Aufkommen der Maschinerie betrug der abendliche
Konsum der Fabrikanten in den Kneipen, wo sie zusammenkamen, nie mehr
als 6 d. für ein Glas Punsch und 1 d. für eine Rolle Taback. Erst 1758,
und diess macht Epoche, sah man „eine im Geschäft wirklich engagirte
Person mit eigner Equipage!“ „Die vierte Periode“, das letzte Drittheil
des 18. Jahrhunderts, „ist die von grossem Luxus und Verschwendung,
unterstützt durch die Ausdehnung des Geschäfts“35). Was würde der
gute Dr. Aikin sagen, wenn er heutzutag in Manchester auferstände!
Accumulirt, accumulirt! Das ist Moses und die Propheten! „Die
Industrie liefert das Material, welches die Sparsamkeit accumulirt“36).
Also spart, spart, d. h. rückverwandelt möglichst grossen Theil des Mehr-
werths oder Mehrprodukts in Kapital! Accumulation um der Accumula-
tion, Produktion um der Produktion willen, in dieser Formel sprach die
klassische Oekonomie den historischen Beruf der Bourgeoisperiode aus.
Sie täuschte sich keinen Augenblick über die Geburtswehn des Reich-
thums37), aber was nützt der Jammer über historische Nothwendigkeit?
Wenn der klassischen Oekonomie der Proletarier nur als Maschine zur
Produktion von Mehrwerth, gilt ihr aber auch der Kapitalist nur als Ma-
schine zur Verwandlung dieses Mehrwerths in Mehrkapital. Sie nimmt
seine historische Funktion in bitterm Ernst. Um seinen Busen vor dem
unheilvollen Konflikt zwischen Genusstrieb und Bereicherungstrieb zu feien,
vertheidigte Malthus, im Anfang der zwanziger Jahre dieses Jahrhun-
derts, eine Theilung der Arbeit, welche dem wirklich in der Produktion
begriffenen Kapitalisten das Geschäft der Accumulation, den andern Theil-
nehmern am Mehrwerth, der Landaristokratie, Staats-, Kirchenpfründnern
u. s. w. das Geschäft der Verschwendung zuweist. Es ist von der höch-
sten Wichtigkeit, sagt er, „die Leidenschaft für Ausgabe und die Leiden-
schaft für Accumulation („the passion for expenditure and the passion for
accumulation“) getrennt zu halten“38). Die Herrn Kapitalisten, seit lange
in Lebe- und Weltmänner verwandelt, schrieen auf. Was, rief einer ihrer
Wortführer, ein Ricardianer, Herr Malthus predigt hohe Grundrenten, hohe
Steuern u. s. w., um dem Industriellen einen fortwährenden Stachel durch
unproduktive Konsumenten aufzudrücken! Allerdings Produktion, Pro-
duktion auf stets erweiterter Stufenleiter, lautet das Schiboleth, aber „Pro-
duktion wird durch einen solchen Prozess weit mehr gehemmt als geför-
dert. Auch ist es nicht ganz billig (nor is it quite fair) eine
Anzahl Personen so im Müssiggang zu erhalten, nur um andre zu kneipen,
aus deren Charakter man schliessen darf, („who are likely, from their
characters“), dass wenn ihr sie zu funktioniren zwingen könnt, sie mit
Erfolg funktioniren“39). So unbillig er es findet den industriellen Kapi-
talisten zur Accumulation zu stacheln, indem man ihm das Fett von der
Suppe wegschöpft, so nothwendig dünkt ihm den Arbeiter möglichst auf
den Minimallohn zu beschränken, „um ihn arbeitsam zu erhalten“. Auch
verheimlicht er keinen Augenblick, dass Aneignung unbezahlter Arbeit das
Geheimniss der Plusmacherei ist. „Vermehrte Nachfrage von Seite der
Arbeiter meint durchaus nichts als ihre Geneigtheit weniger von ihrem
eignen Produkt für sich selbst zu nehmen und einen grössren
Theil davon ihren Anwendern zu überlassen; und wenn man sagt,
dass diess, durch Verminderung der Konsumtion (auf Seiten der Arbeiter)
glut (Marktüberfüllung, Ueberproduktion) erzeugt, so kann ich nur ant-
worten, dass glut synonym mit hohem Profit ist“40).
Der gelehrte Zank, wie die dem Arbeiter ausgepumpte Beute för-
derlichst für die Accumulation zu vertheilen sei zwischen industriellem Kapi-
talist und müssigem Grundeigenthümer u. s. w., verstummte vor der Juli-
revolution. Kurz nachher läutete das städtische Proletariat die Sturm-
glocke zu Lyon und liess das Landproletariat den rothen Hahn in England
fliegen. Diesseits des Kanals grassirte der Owenismus, jenseits St. Simo-
nismus und Fourierismus. Die Stunde der Vulgärökonomie hatte ge-
schlagen. Grade ein Jahr, bevor Nassau W. Senior zu Manchester
ausfand, dass der Profit (incl. Zins) des Kapitals das Produkt der un-
bezahlten „letzten zwölften Arbeitsstunde“ ist, hatte er der
Welt eine andere Entdeckung angekündigt. „Ich“, sagte er feierlich, „ich
ersetze das Wort Kapital, als Produktionsinstrument betrachtet,
durch das Wort Abstinenz (Enthaltung)“41). Ein unübertroffenes
Muster diess von den „Entdeckungen“ der Vulgärökonomie! Sie ersetzt
eine ökonomische Kategorie durch eine sykophantische Phrase. Voilà
tout. „Wenn der Wilde“, docirt Senior, „Bogen fabricirt, so übt er
eine Industrie aus, aber er prakticirt nicht die Absti-
nenz.“ Diess erklärt uns, wie und warum in früheren Gesellschaftszu-
ständen „ohne die Abstinenz“ des Kapitalisten Arbeitsmittel fabricirt
wurden. „Je mehr die Gesellschaft fortschreitet, um so mehr Abstinenz
erfordert sie“42), nämlich von denen, welche die Industrie ausüben, sich
die fremde Industrie und ihr Produkt anzueignen. Alle Bedingun-
gen des Arbeitsprozesses verwandeln sich von nun in
ebenso viele Abstinenzpraktiken des Kapitalisten.
Dass Korn nicht nur gegessen, sondern auch ausgesät wird,
Abstinenz des Kapitalisten! Dass der Wein die Zeit erhält auszu-
gähren, Abstinenz des Kapitalisten!43) Der Kapitalist beraubt seinen
eignen Adam, wenn er die „Produktionsinstrumente dem Arbeiter
leiht“ (!), alias sie durch Einverleibung der Arbeitskraft als Kapi-
tal verwerthet, statt Dampfmaschinen, Baumwolle, Eisenbahnen, Dünger,
Zugpferde u. s. f. aufzuessen oder, wie der Vulgärökonom sich das
kindlich vorstellt, „ihren Werth“ in Luxus- und andren Konsum-
tionsmitteln zu verprassen44). Wie die Kapitalistenklasse das
anstellen soll, ist ein von der Vulgärökonomie bisher hartnäckig bewahrtes
Geheimniss. Genug, die Welt lebt nur noch von der Selbstkasteiung
dieses modernen Büssers des Wischnu, des Kapitalisten. Nicht nur die
Accumulation, die einfache „Erhaltung eines Kapitals erheischt beständige
Kraftanstrengung, um der Versuchung zu widerstehn, es aufzuessen“45).
Die einfache Humanität gebeut also offenbar den Kapitalisten von Martyr-
thum und Versuchung zu erlösen, in derselben Weise wie der georgische
Sklavenhalter jüngst durch Abschaffung der Sklaverei von dem schmerz-
lichen Dilemma erlöst ward, ob das dem Negersklaven ausgepeitschte
Mehrprodukt ganz in Champagner zu verjubeln oder auch theilweis in
mehr Neger und mehr Land rückzuverwandeln.
In den verschiedensten ökonomischen Gesellschaftsformationen findet
nicht nur einfache Reproduktion, sondern, obgleich auf verschiednem Mass-
stab, Reproduktion auf erweiterter Stufenleiter statt. Es
wird progressiv mehr producirt und mehr konsumirt, also auch mehr Pro-
dukt in Produktionsmittel verwandelt. Dieser Prozess erscheint aber
nicht als Accumulation von Kapital und daher auch nicht als
Funktion des Kapitalisten, so lange dem Arbeiter seine Produk-
tionsmittel, daher auch sein Produkt und seine Lebensmittel, noch nicht
in der Form von Kapital gegenüberstehn46). Der vor eini-
gen Jahren verstorbene Richard Jones, Nachfolger von Malthus auf
dem Lehrstuhl der politischen Oekonomie zu Herford, erörtert diess gut an
zwei grossen Thatsachen. Da der zahlreichste Theil des indischen Volks
selbstwirthschaftende Bauern, existirt ihr Produkt, ihre Arbeits- und
Lebensmittel, auch nie „in der Form („in the shape“) eines Fonds, der
aus fremder Revenue erspart wird („saved from revenue“) und
daher einen vorläufigen Prozess der Accumulation („a previous
process of accumulation“) durchlaufen hat“47). Andrerseits werden die
nicht-agrikolen Arbeiter in den Provinzen, wo die englische Herrschaft das alte
System am wenigsten aufgelöst hat, direkt von den Grossen beschäftigt,
denen eine Portion des ländlichen Mehrprodukts als Tribut oder Grund-
rente zufliesst. Ein Theil dieses Produkts wird in Naturalform von den
Grossen verzehrt, ein andrer Theil für sie von den Arbeitern in Luxus-
und sonstige Konsumtionsmittel verwandelt, während der Rest den Lohn
der Arbeiter bildet, die Eigenthümer ihrer Arbeitsinstrumente sind. Pro-
duktion und Reproduktion auf erweiterter Stufenleiter gehn hier ihren
Gang ohne alle Dazwischenkunft jenes wunderlichen Heiligen, jenes Rit-
ters von der traurigen Gestalt, des „entsagenden“ Kapitalisten.
Wir betrachteten bisher die Masse des Mehrwerths als ge-
gebne Grösse. In diesem Fall bestimmte seine proportionelle
Theilung in Revenue und Surpluskapital den Umfang der
Accumulation. Aber letztere wechselt unabhängig von jener Theilung
mit dem Wechsel in der Grösse des Mehrwerths selbst.
Die Umstände, welche die Grösse des Mehrwerths regeln, sind in den Ka-
piteln über seine Produktion ausführlich entwickelt worden. Sie reguliren,
unter sonst gleichbleibenden Verhältnissen, die Bewegung der Accumula-
tion. Wir kehren hier nur so weit zu ihnen zurück, als sie mit Bezug
auf die Accumulation neue Gesichtspunkte bieten.
Man erinnert sich, welche Rolle der Exploitationsgrad der
Arbeit in der Produktion des Mehrwerths spielt. Die politische Oeko-
nomie würdigt diese Rolle so sehr, dass sie gelegentlich die Beschleunigung
der Accumulation durch erhöhte Produktivkraft der Arbeit
mit ihrer Beschleunigung durch erhöhte Exploitation des Arbei-
ters identificirt48). In den Abschnitten über die Produktion des Mehr-
werths ward beständig unterstellt, dass der Arbeitslohn wenigstens gleich
dem Werth der Arbeitskraft ist. Es ward ferner gezeigt, dass der Ar-
beitslohn, sei es seinem Werth nach, sei es nach der Masse von Lebensmitteln,
die er repräsentirt, bei wachsendem Exploitationsgrad des Arbeiters
wachsen kann. In der praktischen Bewegung des Kapitals jedoch wird
auch Mehrwerth producirt durch gewaltsame Herabsetzung des Ar-
beitslohns unter den Werth der Arbeitskraft. Faktisch wird
so ein Theil des nothwendigen Konsumtionsfonds des
Arbeiters in einen Accumulationsfonds von Kapital ver-
wandelt.
„Arbeitslöhne“, sagt J. St. Mill, „haben keine Produktivkraft; sie
sind der Preis einer Produktivkraft. Arbeitslöhne tragen nicht, neben der
Arbeit selbst, zur Waarenproduktion bei, sowenig als der Preis der Ma-
schinerie neben der Maschinerie selbst. Könnte Arbeit ohne Kauf
gehabt werden, so wären Arbeitslöhne überflüssig“49). Wenn
aber die Arbeiter von der Luft leben könnten, so wären sie auch um
keinen Preis zu kaufen. Ihr Nichtskosten ist also eine Grenze
im mathematischen Sinn, stets unerreichbar, obgleich stets annäher-
bar. Es ist die beständige Tendenz des Kapitals sie auf diesen
nihilistischen Standpunkt herabzudrücken. Ein oft von mir citir-
ter Schriftsteller des 18. Jahrhunderts, der Verfasser des „Essay
on Trade and Commerce“, verräth nur das innerste Seelenge-
heimniss des englischen Kapitals, wenn er es für die historische
Lebensaufgabe Englands erklärt, den englischen Arbeitslohn auf
das französische und holländische Niveau herabzudrücken50). Er sagt
u. a. naiv: „Wenn aber unsre Armen (Kunstausdruck für Arbeiter)
luxuriös leben wollen … muss ihre Arbeit natürlich theuer sein.
… Man betrachte nur die haarsträubende Masse von Ueber-
flüssigkeiten („heap of superfluities“), die unsre Manufakturarbeiter
verzehren, als da sind Branntwein, Gin, Thee, Zucker, fremde Früchte,
starkes Bier, gedruckte Leinwand, Schnupf- und Rauchtabak u. s. w.“51).
Er citirt die Schrift eines Fabrikanten von Northamptonshire, der mit him-
melwärts schielendem Blick jammert: „Arbeitist ein ganzes Drit-
theil wohlfeiler in Frankreich als in England: denn die franzö-
sischen Armen arbeiten hart und fahren hart an Nahrung und Kleidung
und ihr Hauptkonsum sind Brod, Früchte, Kräuter, Wurzeln und getrock-
neter Fisch; denn sie essen sehr selten Fleisch, und wenn der Weizen
theuer ist, sehr wenig Brod“52). „Wozu,“ fährt der Essay man fort,
„wozu noch kömmt, dass ihr Getränk aus Wasser besteht oder ähn-
lichen schwachen Likören, so dass sie in der That erstaunlich
wenig Geld ausgeben. . . . Ein derartiger Zustand der Dinge ist sicher-
lich schwer herbeizuführen, aber er ist nicht unerreichbar, wie seine
Existenz sowohl in Frankreich als Holland schlagend beweist“53). Zwei
Jahrzehnte später verfolgte ein amerikanischer Humbug, der baronisirte
Yankee Benjamin Thomson (alias Graf Rumford), dieselbe Philan-
thropielinie mit grossem Wohlgefallen vor Gott und den Menschen. Seine
„Essays“ sind ein Kochbuch mit Recepten aller Art um Surrogate an
die Stelle der theuren Normalspeisen des Arbeiters zu setzen. Ein be-
sonders gelungenes Recept dieses wunderlichen „Philosophen“ ist folgen-
des: „Fünf Pfund Gerste, fünf Pfund Mais, für 3 d. Häringe, 1 d. Salz,
1 d. Essig, 2 d. Pfeffer und Kräuter — Summa von 20¾ d. giebt eine
Suppe für 64 Menschen, ja mit den Durchschnittspreisen von Korn kann
die Kost auf ¼ d. per Kopf (noch nicht 3 Pfennige) herabgedrückt
werden“54). Mit dem Fortschritt der kapitalistischen Produktion hat
die Waarenfälschung Thomson’s Ideale überflüssig gemacht55).
Ende des 18. und während der ersten Decennien des 19. Jahrhunderts
erzwangen die englischen Pächter und Landlords das absolute Minimal-
salair, indem sie den Ackerbautaglöhnern weniger als das Minimum in der
Form des Arbeitslohns, den Rest aber in der Form von Pfarreiunter-
stützung auszahlten. Ein Beispiel der Possenreisserei, womit die eng-
lischen Dogberries in ihrer „legalen“ Festsetzung des Lohntarifs ver-
fuhren: „Als die Squires die Arbeitslöhne für Speenhamland 1795 fest-
setzten, hatten sie zu Mittag gespeist, dachten aber offenbar, dass die
Arbeiter nicht desgleichen nöthig hätten. … Sie entschieden, der Wochen-
lohn solle 3 sh. per Mann sein, wenn das Laib Brod von 8 Pfund 11
Unzen auf 1 sh. stünde, und er solle regelmässig wachsen, bis das Laib
1 sh. 5 d. koste. Sobald es über diesen Preis stiege, sollte der Lohn pro-
portionell abnehmen, bis der Preis des Laibes 2 sh. erreicht hätte: und
dann sollte die Nahrung des Mannes ⅕ weniger als vorher sein“56). Vor
dem Untersuchungscomité des House of Lords, 1814, wird ein ge-
wisser A. Bennett, grosser Pächter, Magistrat, Armenhausverwalter und
Lohnregulator, gefragt: „Wird irgend eine Proportion zwischen dem Werth
der Tagesarbeit und der Pfarreiunterstützung der Arbeiter beobachtet?“
Antwort: „Ja. Das wöchentliche Einkommen jeder Familie wird über
ihren Nominallohn hinaus vollgemacht bis zum Gallonlaib Brod (8 Pfd.
11 Unzen) und 3 d. per Kopf. . . . Wir unterstellen das Gallonlaib hin-
reichend für die Erhaltung jeder Person in der Familie während der
Woche; und die 3 d. sind für Kleider; und wenn es der Pfairei beliebt,
die Kleider selbst zu stellen, werden die 3 d. abgezogen. Diese Praxis
herrscht nicht nur im ganzen Westen von Wiltshire, sondern, wie ich
glaube, im ganzen Land“57). So, ruft ein Burgeoisschriftsteller jener
Zeit, „haben die Pächter Jahre lang eine respektable Klasse ihrer Lands-
leute degradirt, indem sie dieselben zwangen zum Workhouse ihre Zu-
flucht zu nehmen … Der Pächter hat seine eignen Gewinne ver-
mehrt, indem er selbst die Accumulation des unentbehr-
lichsten Konsumtionsfonds auf Seite der Arbeiter ver-
hinderte“58). Welche Rolle heutzutag der direkte Raub am noth-
wendigen Konsumtionsfonds des Arbeiters in der Bildung des Mehrwerths
und daher des Accumulationsfonds des Kapitals spielt, hat
beispielweis die s. g. Hausarbeit gezeigt. Weitere Thatsachen im Ver-
lauf dieses Kapitels.
Die Elasticität der Arbeitskraft oder ihre Fähigkeit grösserer inten-
siver oder extensiver Spannung bildet, innerhalb gewisser Grenzen, eine
vom gegebnen Umfang der bereits funktionirenden und producirten Produk-
tionsmittel, oder der stofflichen Elemente des constanten
Kapitals, unabhängige Quelle der Schöpfung zusätzlichen Reichthums
und daher des Accumulationsfonds. In der extraktiven Industrie,
der Minenindustrie z. B., ist der Arbeitsgegenstand von Natur vorhan-
den. Die nothwendigen Arbeitsmittel selbst also gegeben, — und die ex-
traktive Industrie liefert grossentheils selbst wieder das Rohmaterial dieser
Arbeitsinstrumente, Metalle, Holz u. s. w., und die Hilfsmittel, wie Kohle,
— ist das Produkt keineswegs durch den Umfang dieser
Arbeitsmittel beschränkt. Sie werden durch die grössere Ver-
ausgabung der Arbeitskraft nur rascher vernutzt, also nur ihre Reproduk-
tionsperiode abgekürzt. Die Produktenmasse selbst, wie Kohle,
Eisen, wächst dagegen, unter sonst gleichbleibenden Umständen, im Ver-
hältniss zu der auf den Naturgegenstand verausgabten Arbeit. Wie am
ersten Tag der Produktion gehn hier die ursprünglichen Produktbildner,
daher auch die Bildner der stofflichen Elemente des Kapitals, Mensch und
Natur, zusammen. In der eigentlichen Agrikultur spielen zwar Samen
und Dünger dieselbe Rolle, wie das Rohmaterial in der Manufaktur, und
man kann nicht mehr Land besäen, ohne vorher mehr Samen zu haben.
Aber diess Rohmaterial und die Arbeitsinstrumente gegeben, ist bekannt,
welche wunderthätige Wirkung selbst die rein mechanische Bearbeitung
des Bodens, deren Intensivität von der Spannung der Arbeitskraft abhängt,
auf die Massenhaftigkeit des Produkts ausübt. Es ist wieder direkte Wir-
kung des Menschen auf den Naturgegenstand, welche zur unmittelbaren Quelle
des Reichthums wird. Extraktive Industrie und Agrikultur liefern andrer-
seits der Manufaktur das Rohmaterial und die Hilfsstoffe, also die stofflichen
Elemente, welche hier jeder grösseren Arbeitsausgabe vorausgesetzt sind,
während die eigentlichen Arbeitsmittel auch in dieser Sphäre durch exten-
sivere oder intensivere Spannung der Arbeitskraft nur ihre Reproduktions-
periode verkürzen. Indem das Kapital sich also die beiden Urbildner des
Reichthums, Arbeitskraft und Erde, einverleibt, erwirbt es in ihnen von
seinem eignen stofflichen Umfang unabhängige und
dehnbare Faktoren der Reproduktion auf erweiterter Stufenleiter
und daher der Accumulation.
Abgesehn vom Exploitationsgrad der Arbeit wird die Pro-
duktion des Mehrwerths, also die Accumulation des Kapitals,
deren Bildungselement der Mehrwerth, wesentlich bestimmt durch die
Produktivkraft der Arbeit.
Mit der Produktivkraft der Arbeit wächst die Produktenmasse,
worin sich ein bestimmter Werth, also auch Mehrwerth von gegebner
Grösse darstellt. Bei gleichbleibender und selbst bei fallender Rate des
Mehrwerths, sofern sie nur langsamer fällt als die Produktivkraft der Arbeit
steigt, wächst die Masse des Mehrprodukts. Bei gleichbleibender Theilung
desselben in Revenue und Surpluskapital kann daher die Konsumtion des
Kapitalisten wachsen ohne Abnahme des Accumulationsfonds. Die propor-
tionelle Grösse des Accumulationsfonds kann selbst auf Kosten des Kon-
sumtionsfonds wachsen, während die Verwohlfeilerung der Waaren dem
Kapitalisten eben so viele oder mehr Genussmittel als vorher zur Verfügung
stellt. Aber mit der wachsenden Produktivität der Arbeit geht, wie man
gesehn, die Verwohlfeilerung des Arbeiters, also wachsende Rate des Mehr-
werths, Hand in Hand, selbst wenn der reelle Arbeitslohn steigt. Er
steigt nie verhältnissmässig mit der Produktivität der Arbeit. Derselbe
variable Kapitalwerth setzt also mehr Arbeitskraft und daher mehr
Arbeit in Bewegung. Derselbe constante Kapitalwerth stellt sich
in mehr Produktionsmitteln, d. h. mehr Arbeitsmitteln, Arbeitsmaterial und
Hilfsstoffen dar, liefert also sowohl mehr Produktbildner als Werthbildner,
oder Arbeitseinsauger. Bei gleichbleibendem und selbst abnehmendem
Werth des Surpluskapitals findet daher beschleunigte Accumulation statt.
Nicht nur erweitert sich die Stufenleiter der Reproduktion stofflich, son-
dern die Produktion des Mehrwerths wächst schneller als der Werth des
Surpluskapitals.
Die Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit reagirt auch auf
das Originalkapital oder das bereits im Produktionspro-
zess befindliche Kapital. Ein Theil des funktionirenden constan-
ten Kapitals besteht aus Arbeitsmitteln, wie Maschinerie u. s. w., die nur
in längeren Perioden konsumirt und daher reproducirt oder durch neue
Exemplare derselben Art ersetzt werden. Aber ein Theil dieser Arbeits-
mittel stirbt jedes Jahr ab, oder erreicht das Endziel seiner produktiven Funk-
tion. Er befindet sich daher jedes Jahr im Stadium seiner periodischen Repro-
duktion oder seines Ersatzes durch neue Exemplare derselben Art. Hat die
Produktivkraft der Arbeit sich in der Geburtsstätte dieser Arbeitsmittel
erweitert, und sie entwickelt sich fortwährend mit dem ununterbrochenen
Fluss der Wissenschaft und der Technologie, so tritt wirkungsvollere und,
ihren Leistungsumfang betrachtet, wohlfeilere Maschine, Werkzeug, Ap-
parat u. s. w. an die Stelle der alten. Das alte Kapital wird in
einer produktiveren Form reproducirt, abgesehn von der fort-
währenden Detailveränderung an den vorhandnen Arbeitsmitteln. Der
andere Theil des constanten Kapitals, Rohmaterial und Hilfsstoffe, wird
fortwährend innerhalb des Jahrs, der der Agrikultur entstammende meist
jährlich reproducirt. Jede Einführung bessrer Methoden u. s. w. wirkt
hier also fast gleichzeitig auf Zuschusskapital und bereits in Funktion
begriffenes Kapital. Jeder Fortschritt der Chemie vermannigfacht nicht nur
die Nutzanwendungen desselben Materials und dehnt daher mit dem
Wachsthum des Kapitals seine Anlagesphären aus. Er lehrt zugleich die
Excremente des Produktions- und Konsumtionsprozesses in den Kreislauf
des Reproduktionsprozesses zurückschleudern, schafft also ohne vorherige
Kapitalauslage neuen Kapitalstoff. Gleich vermehrter Ausbeutung des
Naturreichthums durch bloss höhere Spannung der Arbeitskraft, bildet
die Wissenschaft eine von der gegebnen Grösse des funktionirenden
Kapitals unabhängige Potenz seiner Expansion. Sie reagirt zugleich
auf den in sein Erneurungsstadium eingetretenen Theil des Originalkapitals.
In seine neue Form einverleibt es gratis den hinter dem Rücken seiner
alten Form vollzogenen gesellschaftlichen Fortschritt. Allerdings ist diese
Entwicklung der Produktivkraft zugleich begleitet von theilweiser Depre-
ciation funktionirender Kapitale. Soweit diese Depreciation sich durch
die Konkurrenz akut fühlbar macht, fällt die Hauptwucht auf den Arbeiter,
in dessen gesteigerter Exploitation der Kapitalist Schadenersatz sucht.
Es zeigte sich bei Analyse des relativen Mehrwerths, wie die Ent-
wicklung der gesellschaftlichen Produktivkraft der Arbeit eine stets wach-
sende Masse des von derselben Arbeitskraft in Bewegung gesetzten con-
stanten Kapitals bedingt. Mit dem Reichthum oder der Fülle und Wirk-
samkeit der in Maschinerie u. s. w. vergegenständlichten Arbeit, wovon der
Arbeiter als bereits producirter Bedingung des Produktionsprozesses aus-
geht, wächst die Masse des alten Kapitalwerths, der durch
blossen Zusatz neuer Arbeit, also neue Werthproduktion, erhalten und
in diesem Sinn reproducirt wird. Man vergleiche z. B. einen eng-
lischen Spinner mit einem indischen. Man unterstelle der Vereinfachung
halber gleiche Extension und Intensivität des englischen und indischen Ar-
beitstags. Der englische Spinner verwandelt in einem Tag viel hundert-
mal grössere Massen von Baumwolle, Spinninstrumenten u. s. w. in Garn.
Er erhält also auch vielhundertmal grösseren Kapitalwerth in seinem Pro-
dukt. Wäre selbst das Werthprodukt seiner Tagesarbeit, d. h. der
durch dieselbe den Produktionsmitteln neu zugesetzte Werth, nur gleich
dem des Indiers, dennoch resultirt seine Tagesarbeit nicht nur in grösserem
Produktenquantum, sondern in unendlich grösserem Produkten-
werth, altem Werth, den er auf das neue Produkt überträgt, und der
von neuem als Kapital funktioniren kann. „1782“, belehrt uns F. Engels,
„lag die ganze Wollerndte der vorhergehenden drei Jahre (in England) aus
Mangel an Arbeitern noch unverarbeitet da, und hätte liegen bleiben müssen,
wenn nicht die neu erfundne Maschinerie zu Hilfe gekommen wäre und sie ver-
sponnen hätte“59). Die in der Form von Maschinerie vergegenständlichte
Arbeit stampfte natürlich unmittelbar keinen Menschen aus dem Boden, aber
sie erlaubte einer geringen Arbeiteranzahl durch Zusatz von relativ wenig
lebendiger Arbeit nicht nur die Wolle produktiv zu konsumiren, und ihr
Neuwerth zuzusetzen, sondern in der Form von Garn u. s. w. ihren
alten Werth zu erhalten. Sie lieferte damit zugleich Mittel und Sporn
zur erweiterten Reproduktion von Wolle. Es ist die Naturgabe der leben-
digen Arbeit alten Werth zu erhalten, während sie Neuwerth schafft.
Mit dem Wachsthum von Wirksamkeit, Umfang und Werth ihrer Produk-
tionsmittel, also mit der die Entwicklung ihrer Produktivkraft begleitenden
Accumulation erhält und verewigt die Arbeit daher in stets neuer
Form einen stets schwellenden Kapitalwerth60). Diese Naturkraft der
Arbeit erscheint als Selbsterhaltungskraft des Kapitals, dem sie
einverleibt ist, ganz wie ihre gesellschaftlichen Produktivkräfte als
seine Eigenschaften und wie die beständige Aneignung der Mehrarbeit
durch den Kapitalisten als beständige Selbstverwerthung des Ka-
pitals. Alle Kräfte der Arbeit projektiren sich als Kräfte des Kapitals,
wie alle Werthformen der Waare als Formen des Geldes.
Unter sonst gleichbleibenden Umständen ist die Grösse des produ-
cirten Mehrwerths und daher die Accumulation endlich bestimmt durch die
Grösse des vorgeschossenen Kapitals. Mit dem Gesammtka-
pital wächst auch sein variabler Bestandtheil, wenn auch nicht in demsel-
ben Verhältniss. Auf je grösserer Stufenleiter der individuelle Kapitalist
producirt, desto grösser die Arbeiteranzahl, die er gleichzeitig exploitirt,
oder die Masse der unbezahlten Arbeit, die er aneignet61). Je mehr
also das individuelle Kapital wächst, desto grösser der Fonds, der
sich in Konsumtionsfonds und Accumulationsfonds spaltet. Der Kapita-
list kann daher flotter leben und zugleich mehr „entsagen“.
Mit dem Wachsthum des Kapitals wächst die Differenz zwi-
schen angewandtem und konsumirtem Kapital. In andern
Worten: Es wächst die Werth- und Stoffmasse der Arbeitsmittel, wie
Baulichkeiten, Maschinerie, Drainirungsröhren, Arbeitsvieh, Apparate
jeder Art, die stets ihrem ganzen Umfang nach, während längerer oder
kürzerer Periode, in beständig wiederholten Produktionsprozessen, funktio-
niren, oder zur Erzielung bestimmter Nutzeffekte dienen, während sie nur
allmälig verschleissen, daher ihren Werth nur stückweis verlieren,
also auch nur stückweis auf das Produkt übertragen. Im Verhältniss,
worin diese Arbeitsmittel als Produktbildner dienen, ohne dem Produkt
Werth zuzusetzen, also ganz angewandt, aber nur theilweis konsumirt wer-
den, leisten sie, wie früher erwähnt, denselben Gratisdienst wie Natur-
kräfte, Wasser, Dampf, Luft, Elektricität u. s. w. Dieser Gratisdienst
der vergangnen Arbeit, wenn ergriffen und beseelt von der lebendigen Ar-
beit, accumulirt mit der wachsenden Stufenleiter der Accumulation.
Da die vergangne Arbeit sich stets in Kapital verkleidet, d. h. das
Passivum der Arbeit von A, B, C u. s. w. im Aktivum des Nichtarbeiters X
figurirt, sind Bürger und politische Oekonomen voll des Lobes für die Ver-
dienste der vergangnen Arbeit, welche nach dem schottischen Genie
Mac Culloch sogar einen eignen Sold beziehn muss62). Das stets wach-
sende Gewicht der unter der Form von Produktionsmitteln im lebendigen
Arbeitsprozess mitwirkenden vergangnen Arbeit wird also ihrer dem Ar-
beiter selbst, dessen vergangne und unbezahlte Arbeit sie ist, entfrem-
deten Gestalt, ihrer Kapitalgestalt vindicirt. Die praktischen
Agenten der kapitalistischen Produktion und ihre ideologischen Zungen-
drescher sind ebenso unfähig das Produktionsmittel von seiner an-
tagonistischen gesellschaftlichen Charaktermaske, die ihm heutzutag an-
klebt, getrennt zu denken, als ein Sklavenhalter den Arbeiter selbst
von seinem Charakter als Sklave.
Man hat im Verlauf dieses Abschnitts gesehn, dass das Kapital keine
fixe Grösse ist, sondern ein elastischer und mit der Theilung des Mehr-
werths in Revenue und Surpluskapital beständig fluktuirender Theil des
gesellschaftlichen Reichthums. Man hat ferner gesehn, dass selbst die
Grösse des funktionirenden Kapitals gegeben, die ihm einverleibte Arbeits-
kraft, Wissenschaft und Erde (worunter ökonomisch alle ohne Zuthat
des Menschen von Natur vorhandnen Arbeitsgegenstände zu verstehn
sind) elastische Potenzen desselben bilden, die ihm innerhalb gewisser Gren-
zen einen von seiner eignen Grösse unabhängigen Spielraum
gestatten. Es wurde dabei von allen Verhältnissen des Cirkulationspro-
zesses abgesehn, die sehr verschiedne Wirkungsgrade derselben Kapital-
masse verursachen. Es wurde, da wir die Schranken der kapitalistischen Pro-
duktion voraussetzen, also eine rein naturwüchsige Gestalt des gesellschaft-
lichen Produktionsprozesses, abgesehn von jeder mit den vorhandnen Pro-
duktionsmitteln und Arbeitskräften unmittelbar und planmässig bewirk-
baren rationelleren Kombination. Die klassische Oekonomie liebte es von
jeher das gesellschaftliche Kapital als eine fixe Grösse von fixem Wir-
kungsgrad aufzufassen. Aber das Vorurtheil ward erst zum Dogma be-
festigt durch den Urphilister Jeremias Bentham, diess nüchtern pe-
dantische, schwatzlederne Orakel des gemeinen Bürgerverstandes des
19. Jahrhunderts63). Bentham ist unter den Philosophen, was Martin
Tupper unter den Dichtern. Beide waren nur in England fabricirbar64).
Mit seinem Dogma werden die gewöhnlichsten Erscheinungen des Produk-
tionsprozesses, wie z. B. dessen plötzliche Expansionen und Kontrak-
tionen, ja die Accumulation, völlig unbegreifbar65). Das Dogma wurde
sowohl von Bentham selbst als von Malthus, James Mill, MacCulloch u. s. w.
zu apologetischen Zwecken vernutzt, namentlich um einen Theil des
Kapitals, das variable oder in Arbeitskraft umsetzbare
Kapital als eine fixe Grösse darzustellen. Die stoffliche Existenz
des variablen Kapitals, d. h. die Masse der Lebensmittel, die es für den
Arbeiter repräsentirt, oder der s. g. Arbeitsfonds, wurde in einen
durch Naturketten abgeringten und unüberschreitbaren Sondertheil des
gesellschaftlichen Reichthums verfabelt. Um den Theil des gesellschaft-
lichen Reichthums, der als constantes Kapital oder, stofflich ausge-
drückt, als Produktionsmittel funktioniren soll, in Bewegung zu setzen, ist
eine bestimmte Masse lebendiger Arbeit erheischt. Diese ist
technologisch gegeben. Aber weder ist die Anzahl der Arbeiter gegeben,
erheischt um diese Arbeitsmasse flüssig zu machen, denn das wechselt mit
dem Exploitationsgrad der individuellen Arbeitskraft, noch der Preis dieser
Arbeitskraft, sondern nur seine zudem sehr elastische Minimalschranke.
Die Thatsachen, die dem Dogma zu Grund liegen, sind die. Einerseits
hat der Arbeiter nicht mitzusprechen bei der Theilung des gesell-
schaftlichen Reichthums in Genussmittel der Nichtarbeiter und in Produk-
tionsmittel. Andrerseits kann er nur in günstigen Ausnahmsfällen den s. g.
„Arbeitsfonds“ auf Kosten der „Revenue“ des Reichen erwei-
tern66). Zu welch abgeschmackter Tautologie es führt, die kapita-
listische Schranke des Arbeitsfonds in seine gesell-
schaftliche Naturschranke umzudichten, zeige u. a. Professor
Fawcett: „Das cirkulirende Kapital67) eines Landes,“ sagt er,
„ist sein Arbeitsfonds. Um daher den durchschnittlichen Geldlohn, den
jeder Arbeiter erhält, zu berechnen, haben wir nur einfach diess Kapital
durch die Anzahl der Arbeiterbevölkerung zu dividiren“68). D. h. also,
erst rechnen wir die wirklich gezahlten individuellen Arbeitslöhne in eine
Summe zusammen, dann behaupten wir, dass diese Addition die Werth-
summe des von Gott und Natur oktroyirten „Arbeitsfonds“ bildet. End-
lich dividiren wir die so erhaltne Summe durch die Kopfzahl der Arbeiter,
um hinwiederum zu entdecken, wie viel jedem Arbeiter individuell im
Durchschnitt zufallen kann. Eine ungemein pfiffige Procedur diess. Sie
verhindert Herrn Fawcett nicht im selben Athemzug zu sagen: „Der in
England jährlich accumulirte Gesammtreichthum wird in zwei Theile ge-
theilt. Ein Theil wird in England zur Erhaltung unsrer eignen Industrie
verwandt. Ein andrer Theil wird in andere Länder exportirt … Der
in unsrer Industrie angewandte Theil bildet keine bedeutende
Portion des jährlich in diesem Land accumulirten Reich-
thums“69). Der grössere Theil des jährlich zuwachsenden Mehrpro-
dukts, dem englischen Arbeiter ohne Aequivalent entwandt, wird also
nicht in England, sondern in fremden Ländern verkapitalisirt. Aber mit
dem so exportirten Surpluskapital wird ja auch ein Theil des von Gott und
Bentham erfundnen „Arbeitsfonds“ exportirt70).
Wachsthum des Kapitals schliesst Wachsthum seines vari-
ablen oder in Arbeitskraft umgesetzten Bestandtheils ein. Ein Theil des in
Surpluskapital verwandelten Mehrwerths muss stets rückverwandelt werden
in variables Kapital oder zuschüssigen Arbeitsfonds. Unterstellen wir, dass,
nebst sonst gleichbleibenden Umständen, die technologische Zusammensetzung
des Kapitals unverändert bleibt, d. h. eine bestimmte Masse von Produk-
tionsmitteln oder constantem Kapital stets von gleich viel lebendiger Arbeit
in Bewegung gesetzt wird, so wächst die Nachfrage nach Arbeit und der
Subsistenzfonds der Arbeiter verhältnissmässig mit dem Kapital und um so
rascher, je rascher das Kapital wächst. Da der Mehrwerth ein jährliches
Produkt des Kapitals ist, da er dem Originalkapital jährlich ein Increment
zusetzt, da diess Increment selbst jährlich wächst mit dem jährlich zuneh-
menden Umfang des bereits in Funktion begriffenen Kapitals, und da endlich,
unter besonderem Sporn des Bereicherungstriebs, wie z. B. Oeffnung neuer
Märkte, neuer Sphären der Kapitalanlage in Folge neu entwickelter gesell-
schaftlicher Bedürfnisse u. s. w., die Stufenleiter der Accumulation
plötzlich ausdehnbar ist durch bloss veränderte Theilung des Mehr-
werths oder Mehrprodukts in Kapital und Revenue, so treten hier
Knotenpunkte ein, wo das Wachsthum der Arbeitskraft oder der Arbeiter-
anzahl überflügelt wird von den Accumulationsbedürfnissen des Kapitals, und
daher der Preis der Arbeit steigt. Klage hierüber ertönt in England wäh-
rend der ganzen ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts. Die mehr
oder minder günstigen Umstände, worunter sich die Lohnarbeiter repro-
duciren und vermehren, ändern jedoch nichts an dem Verhältniss selbst.
Wie die einfache Reproduktion fortwährend das Kapitalver-
hältniss selbst reproducirt, Kapitalisten auf der einen Seite, Lohn-
arbeiter auf der andern, so reproducirt die Reproduktion auf er-
weiterter Stufenleiter oder die Accumulation das Kapi-
talverhältniss auf erweiterter Stufenleiter, mehr Kapita-
listen oder grössere Kapitalisten auf diesem Pol, mehr Lohnarbeiter auf
jenem. Man sah früher bereits: Die Reproduktion der Arbeitskraft, die
sich dem Kapital unaufhörlich als Verwerthungsmittel einverleiben muss,
nicht von ihm loskommen kann, und deren Hörigkeit zum Kapital nur ver-
steckt wird durch den Wechsel der individuellen Kapitalisten, woran sie
sich verkauft, bildet in der That ein Moment der Reproduktion des Kapi-
tals selbst. Accumulation des Kapitals ist also Vermeh-
rung des Proletariats71).
Die klassische Oekonomie begriff diesen Satz so wohl, dass A. Smith,
Ricardo u. s. w., wie früher erwähnt, die Accumulation sogar fälschlich
identificiren mit Konsum des ganzen kapitalisirten Theils des Mehrpro-
dukts durch produktive Arbeiter, oder mit seiner Verwandlung in zuschüs-
sige Lohnarbeiter. Schon 1696 sagt John Bellers: „Wenn Jemand
100,000 Acres hätte und eben so viele Pfunde Geld und eben so viel Vieh,
was wäre der reiche Mann ohne den Arbeiter ausser selbst ein
Arbeiter? Und wie die Arbeiter Leute reich machen, so desto
mehr Arbeiter, desto mehr Reiche … Die Arbeit des Armen ist
die Mine des Reichen“72). So Bertrand de Mandeville im Anfang
des 18. Jahrhunderts: „Wo das Eigenthum hinreichend geschützt ist,
wäre es leichter ohne Geld zu leben als ohne Arme, denn wer würde
die Arbeit thun? … Wie die Arbeiter vor Aushungerung zu bewahren
sind, so sollten sie nichts erhalten, was der Ersparung werth ist. Wenn hier
und da Einer aus der untersten Klasse durch ungewöhnlichen Fleiss und
Bauchkneipen sich über die Lage erhebt, worin er aufgebracht war, so muss
ihn keiner daran hindern: ja es ist unläugbar der weiseste Plan für jede
Privatperson, für jede Privatfamilie in der Gesellschaft frugal zu sein, aber
es ist das Interesse aller reichen Nationen, dass der grösste
Theil der Armen nie unthätig sei und sie dennoch stets verausgaben, was
sie einnehmen … Diejenigen, die ihr Leben durch ihre tägliche Arbeit
gewinnen, haben nichts, was sie anstachelt dienstlich zu sein ausser ihren
Bedürfnissen, welche es Klugheit ist zu lindern, aber Narrheit wäre zu
kuriren. Das einzige Ding, das den arbeitenden Mann fleissig machen
kann, ist ein mässiger Arbeitslohn. Ein zu geringer macht ihn je nach
seinem Temperament kleinmüthig oder verzweifelt, ein zu grosser insolent
und faul … Aus dem bisher Entwickelten folgt, dass in einer freien
Nation, wo Sklaven nicht erlaubt sind, der sicherste Reich-
thum aus einer Menge arbeitsamer Armen besteht. Aus-
serdem dass sie die nie versagende Zufuhrquelle für Flotte und Armee, gäbe
es ohne sie keinen Genuss und wäre das Produkt keines Landes verwerth-
bar. Um die Gesellschaft (die natürlich aus den Nichtarbeitern be-
steht) glücklich und das Volk selbst in kümmerlichen Zuständen zu-
frieden zu machen, ist es nöthig, dass die grosse Majorität
sowohl unwissend als arm bleibt. Kenntniss erweitert und ver-
vielfacht unsere Wünsche, und je weniger ein Mann wünscht, desto leich-
ter können seine Nothwendigkeiten befriedigt werden“73). Was Mande-
ville, ein ehrlicher Mann und heller Kopf, noch nicht begreift, ist, dass der
Mechanismus des Accumulationsprozesses selbst mit dem Kapital die
Masse der „arbeitsamen Armen“ vermehrt, d. h. der Lohnarbeiter,
die ihre Arbeitskraft in wachsende Verwerthungskraft des wachsenden
Kapitals verwandeln und eben dadurch ihr Abhängigkeitsverhält-
niss von ihrem eignen, im Kapitalisten personificirten Produkt verewigen
müssen. Mit Bezug auf diess Abhängigkeitsverhältniss bemerkt Sir
F. M. Eden in seiner „Lage der Armen, oder Geschichte der arbeiten-
den Klasse Englands“: „Unsere Zone erfordert Arbeit zur Befriedigung
der Bedärfnisse, und desshalb muss wenigstens ein Theil der Ge-
sellschaft unermüdet arbeiten … Einige, die nicht arbeiten,
haben dennoch die Produkte des Fleisses zu ihrer Verfügung. Das ver-
danken diese Eigenthümer aber nur der Civilisation und Ordnung,
sie sind reine Kreatur der Civilinstitutionen74). Denn diese
haben es anerkannt, dass man die Früchte der Arbeit auch an-
ders als durch Arbeit sich aneignen kann. Die Leute von
unabhängigem Vermögen verdanken ihr Vermögen fast ganz der Ar-
beit Andrer, nicht ihrer eignen Fähigkeit, die durchaus nicht besser
ist als die der Andern; es ist nicht der Besitz von Land und
Geld, sondern das Kommando über Arbeit („the command of la-
bour“), das die Reichen von den Armen unterscheidet … Was dem
Armen zusagt, ist nicht eine verworfene oder servile Lage, sondern ein
bequemes und liberales Abhängigkeitsverhältniss („a
state of easy and liberal dependance“), und für die Leute von Eigenthum
hinreichender Einfluss und Autorität über die, die für sie arbeiten …
Ein solches Abhängigkeitsverhältniss ist, wie jeder Kenner der mensch-
lichen Natur weiss, nothwendig für den Komfort der Arbeiter
selbst“75). Sir F. M. Eden, beiläufig bemerkt, ist der einzige
Schüler Adam Smith’s, der während des achtzehnten Jahrhunderts
etwas Bedeutendes geleistet hat76).
Unter den bisher unterstellten, den Arbeitern günstigsten Accumula-
tionsbedingungen kleidet sich ihr Abhängigkeitsverhältniss vom
Kapital in erträgliche oder, wie Eden sagt, „bequeme und liberale For-
men“. Statt intensiver zu werden mit dem Wachsthum des Kapitals, wird
es nur extensiver, d. h. die Exploitations- und Herrschaftssphäre des Kapi-
tals dehnt sich nur aus mit seiner eignen Dimension und der Anzahl seiner
Lohnarbeiter. Von ihrem eignen anschwellenden und schwellend in
Surpluskapital verwandelten Mehrprodukt strömt ihnen ein reichlicherer Theil
in der Form von Zahlungsmitteln zurück, so dass sie den Kreis ihrer Genüsse
erweitern, ihren Konsumtionsfonds von Kleidern, Möbeln u. s. w. besser aus-
statten und kleine Reservefonds von Geld bilden können. So wenig aber bessere
Kleidung, Nahrung, Behandlung und ein grösseres Peculium das Abhängig-
keitsverhältniss und die Exploitation des Sklaven aufheben, so wenig die
des Lohnarbeiters. Steigender Preis der Arbeit in Folge der Accumula-
tion des Kapitals besagt in der That nur, dass der Umfang und die Wucht
der goldnen Kette, die der Lohnarbeiter sich selbst bereits geschmiedet
hat, ihre losere Spannung erlauben. In den Kontroversen über diesen
Gegenstand hat man meist die Hauptsache übersehn, nämlich die differentia
specifica der kapitalistischen Produktion. Arbeitskraft wird hier gekauft,
nicht um durch ihren Dienst oder ihr Produkt die persönlichen Bedürf-
nisse des Käufers zu befriedigen. Sein Zweck ist Verwerthung
seines Kapitals, Produktion von Waaren, die mehr Arbeit enthalten als er
zahlt, also einen Werththeil enthalten, der ihm nichts kostet und den-
noch durch den Waarenverkauf realisirt wird. Produktion von
Mehrwerth oder Plusmacherei ist das absolute Gesetz dieser Produktionsweise.
Nur soweit sie die Produktionsmittel als Kapital erhält, ihren eignen Werth
als Kapital reproducirt und in unbezahlter Arbeit eine Quelle von Surplus-
kapital liefert, ist die Arbeitskraft verkaufbar. Die Bedingungen ihres Ver-
kaufs, ob mehr oder minder günstig für den Arbeiter, schliessen also die
Nothwendigkeit ihres steten Wiederverkaufs und die stets erweiterte Repro-
duktion des Reichthums als Kapital ein. Der Arbeitslohn, wie man
gesehn, bedingt seiner Natur nach, stets Lieferung eines bestimmten Quan-
tums unbezahlter Arbeit auf Seiten des Arbeiters. Ganz abgesehn vom Stei-
gen des Arbeitslohns mit sinkendem Preis der Arbeit u. s. w.,
besagt seine Zunahme im besten Fall nur quantitative Abnahme der
unbezahlten Arbeit, die der Arbeiter leisten muss. Diese Abnahme kann
nie bis zu einem Punkt fortgehn, wo sie den kapitalistischen Charakter des
Produktionsprozesses ernsthaft gefährden würde und die Reproduktion
seiner eignen Bedingungen, auf der einen Seite der Produktions- und
Lebensmittel als Kapital, auf der andern der Arbeitskraft als Waare, auf
dem einen Pol des Kapitalisten, auf dem andern des Lohnarbeiters. Abge-
sehn von gewaltsamen Konflikten über die Rate des Arbeitslohns, und
Adam Smith hat bereits gezeigt, dass im Grossen und Ganzen in solchem
Konflikt der Meister stets Meister bleibt, unterstellt ein aus Accumulation
des Kapitals entspringendes Steigen des Arbeitspreises folgende Alter-
native. Entweder der steigende oder gestiegne Preis der Arbeit ist be-
gleitet von gleich grossem oder grösserem absoluten Wachsthum der Accu-
mulation. Man weiss, dass selbst unter sonst gleichbleibenden Umstän-
den, wie Produktivgrad der Arbeit u. s. w., mit der wachsenden Grösse
des vorgeschossenen Kapitals sein absoluter Zuwachs
gleichförmig bleiben oder selbst beschleunigt werden kann, obgleich die Rate
der Accumulation abnimmt, wie man Kapitel III, Abschnitt 5 sah,
dass die Masse des Mehrwerths trotz dessen abnehmender Rate mit
Vermehrung der gleichzeitig exploitirten Arbeiterzahl gleichbleiben und
selbst wachsen kann. In diesem Fall ist es blosse Tautologie zu sagen,
dass der verminderte Exploitationsgrad der Arbeitskraft die Ausdehnung
der Kapitalherrschaft nicht beeinträchtigt. Oder, das ist die andre
Seite der Alternative, die Accumulation erschlafft in Folge des steigenden
Arbeitspreises, weil der Stachel grossen Gewinns abstumpft. Die
Accumulation nimmt ab. Aber mit ihrer Abnahme verschwindet die Ur-
sache ihrer Abnahme, nämlich die Disproportion zwischen Kapital und
exploitabler Arbeitskraft. Der Arbeitspreis sinkt also wieder zu einem
den Verwerthungsbedürfnissen des Kapitals entsprechen-
den Niveau. Es folgt daher keineswegs, dass der Arbeitslohn auf
sein Minimalniveau fällt, oder auch nur auf das Niveau, worauf er vor
der Preiserhöhung der Arbeit stand. Der Mechanismus des kapitalisti-
schen Produktionsprozesses beseitigt selbst die Hindernisse, die er vorüber-
gehend schafft. Man sieht: Im ersten Fall ist es keine Abnahme im
absoluten oder proportionellen Wachsthum der Arbeitskraft oder Arbeits-
bevölkerung, welche das Kapital überschüssig, sondern umgekehrt die
Zunahme des Kapitals, welche die exploitable Arbeitskraft unzureichend
macht. Im zweiten Fall ist es keine Zunahme im absoluten oder propor-
tionellen Wachsthum der Arbeitskraft oder der Arbeiterbevölkerung, welche
das Kapital unzureichend, sondern umgekehrt die Abnahme des Kapitals,
welche die exploitable Arbeitskraft, oder vielmehr ihren Preis, überschüssig
macht. Es sind diese absoluten Bewegungen in der Accumula-
tion des Kapitals, welche sich als relative Bewegungen in der
Masse der exploitablen Arbeitskraft wiederspiegeln und daher der
eignen Bewegung der letztern geschuldet scheinen. So drückt
sich in der Krisenphase des industriellen Cyklus der allgemeine Fall der Waa-
renpreise als Steigen des relativen Geldwerths, und in der Pros-
peritätsphase das allgemeine Steigen der Waarenpreise als Fall des rela-
tiven Geldwerths aus. Die s. g. Currency-Schule schliesst
daher, dass das einemal zu wenig, das andremal zu viel Geld cirkulirt.
Ihre Ignoranz und völlige Verkennung der Thatsachen77) finden würdige
Parallele in den Oekonomen, welche jene Phänomene der Accumulation
dahin deuten, dass das einemal zu wenig und das andremal zu viel Lohn-
arbeiter existiren. Das so in ein Naturgesetz mystificirte Gesetz der kapi-
talistischen Accumulation drückt in der That nur aus, dass ihre Natur
jede solche Abnahme im Exploitationsgrad der Arbeit oder jede solche
Steigerung des Arbeitspreises ausschliesst, welche die stetige Reproduktion
des Kapitalverhältnisses und seine Reproduktion auf stets erweiterter
Stufenleiter ernsthaft gefährden könnte. Es kann nicht anders sein in
einer Produktionsweise, worin der Arbeiter für die Verwerthungsbe-
dürfnisse vorhandner Werthe, statt umgekehrt der gegenständliche Reich-
thum für die Entwicklungsbedürfnisse des Arbeiters da ist. Wie der
Mensch in der Religion vom Machwerk seines eignen Kopfes, so wird er in
der kapitalistischen Produktion vom Machwerk seiner eignen Hand be-
herrscht.
Das bisher Entwickelte gilt unter der Voraussetzung, dass im Fort-
gang der Accumulation das Verhältniss zwischen der Masse
der Produktionsmittel und der Masse der sie bewegen-
den Arbeitskraft gleichbleibt, also die Nachfrage nach
Arbeit mit dem Wachsthum des Kapitals verhältnissmässig
wächst. Diese Voraussetzung figurirt in Adam Smith’s Analyse der
Accumulation als selbstverständliches Axiom. In gewissem Grad bleibt sie
immer richtig, denn wie auch die technologischen Bedingungen des Pro-
duktionsprozesses umgewälzt werden mögen, während kürzerer oder
längerer Zeitfrist findet bald in dieser, bald in jener Produktions-
sphäre Accumulation des Kapitals oder Erweiterung der Produktionsleiter
auf der einmal gegebnen technologischen Basis statt. Inner-
halb dieser Schranken wächst also die Nachfrage nach Arbeit mit der
Accumulation. Aber die vorhandne Basis wird selbst fortwährend umge-
wälzt. Im Fortgang der Accumulation geht eine grosse Revolution vor
im Verhältniss von Masse der Produktionsmittel und Masse der sie
bewegenden Arbeitskraft. Diese Revolution spiegelt sich wieder in der
wechselnden Zusammensetzung des Kapitalwerths aus
constantem und variablem Bestandtheil, oder im wechseln-
den Verhältniss seiner in Produktionsmittel und Arbeitskraft umgesetzten
Werththeile. Ich nenne diese Zusammensetzung die organische
Zusammensetzung des Kapitals.
Abgesehn vom Produktivgrad der Arbeit, soweit er ausschliesslich
durch den Naturreichthum, wie Fruchtbarkeit des Bodens u. s. w., bedingt
ist, oder durch das Geschick unabhängiger und isolirt arbeitender Produ-
centen, das sich jedoch mehr qualitativ in der Güte des Machwerks als
quantitativ in seiner Masse bewährt, drückt sich der gesellschaft-
liche Produktivgrad der Arbeit aus im relativen Grössen-
umfang der Produktionsmittel, welche ein Arbeiter, während
gegebner Zeit, mit derselben Anspannung von Arbeitskraft, in Produkt
verwandelt. Die Masse der Produktionsmittel, womit er funktionirt,
wächst mit der Produktivität seiner Arbeit. Diese Produktionsmittel spie-
len dabei eine doppelte Rolle. Das Wachsthum der einen ist Folge,
das der andern Bedingung der wachsenden Produktivität der Arbeit.
Z. B. mit der manufakturmässigen Theilung der Arbeit und der Anwen-
dung von Maschinerie wird in derselben Zeit mehr Rohmaterial verarbeitet,
tritt also grössere Masse von Rohmaterial und Hilfsstoffen in den Arbeits-
prozess ein. Das ist Folge der wachsenden Produktivität der Arbeit.
Andrerseits ist die Masse der angewandten Maschinerie, Arbeitsviehs, mi-
neralischen Düngers, Drainirungsröhren u. s. w. Bedingung der wach-
senden Produktivität der Arbeit. Ebenso die Masse der in Baulichkeiten,
Riesenöfen, Transportmitteln u. s. w. koncentrirten Produktionsmittel, welche
trotz erweitertem Umfang in Folge ihres gemeinsamen Verbrauchs weniger
Werth an jeden aliquoten Theil des Gesammtprodukts abgeben oder ökonomi-
schere Verwendung erláuben als die in Diminutivformat zersplitterten Arbeits-
mittel derselben Art. Ob aber Bedingung oder Folge, der wachsende
Grössenumfang der Produktionsmittel im Vergleich zu der ihnen einverleib-
ten Arbeitskraft drückt die wachsende Produktivität der Arbeit aus.
Die Zunahme der letzteren erscheint also in der Abnahme der Arbeits-
masse verhältnissmässig zu der von ihr bewegten Masse von
Produktionsmitteln, oder in der Grössenabnahme des subjektiven Fak-
tors des Arbeitsprozesses verglichen mit seinen objektiven Faktoren.
Das Wachsthum in der Masse der Produktionsmittel, ver-
glichen mit der Masse der sie belebenden Arbeitskraft, spiegelt
sich wieder in der Zunahme des constanten Bestandtheils
des Kapital werths auf Kosten seines variablen Bestand-
theils. Es werden z. B. von einem Kapital, prozentweis berechnet ursprüng-
lich je 50 Pfd. St. in Produktionsmitteln und je 50 Pfd. St. in Arbeitskraft,
später, mit der Entwicklung des Produktivgrads der Arbeit, je 80 Pfd. St. in
Produktionsmitteln und je 20 Pfd. St. in Arbeitskraft ausgelegt u. s. w. Wir
sagen „spiegelt sich wieder“, weil die Abnahme des variablen Kapitaltheils
gegenüber dem constanten, oder die veränderte Zusammensetzung
des Kapitalwerths, nur annähernd den Wechsel in der Zusam-
mensetzung seiner stofflichen Bestandtheile anzeigt. Wenn z. B.
heute der in der Spinnerei angelegte Kapitalwerth zu ⅞ constant und ⅛ vari-
abel ist, während er Anfang des 18. Jahrhunderts ½ constant und ½ variabel
war, so ist dagegen die Masse von Rohstoff, Arbeitsmitteln u. s. w., die ein
bestimmtes Quantum Spinnarbeit heute produktiv konsumirt, viel hundertmal
grösser als im Anfang des 18. Jahrhunderts. Der Grund ist einfach der, dass
mit der wachsenden Produktivität der Arbeit nicht nur der Umfang der von
ihr vernutzten Produktionsmittel steigt, sondern deren Werth, verglichen
mit ihrem Umfang, fällt. Ihr Werth steigt also absolut, aber nicht propor-
tionell mit ihrem Umfang. Das Wachsthum der Differenz zwischen
constantem und variablem Kapitaltheil ist daher viel kleiner als
das der Differenz zwischen der Masse der Produktionsmittel, worin das con-
stante, und der Masse Arbeitskraft, worin das variable Kapital umgesetzt wird.
Die erstere Differenz nimmt zu mit der letzteren, aber in viel geringerem
Grad. Es giebt andre Umstände, welche das Verhältniss zwischen
Werth der Produktionsmittel und Werth der sie bewegenden Arbeits-
kraft von dem technologischen Verhältniss ihrer Massen abweichen
machen. Diese modificirenden Umstände können wir erst im Dritten Buch
betrachten. Die Rücksichtnahme darauf ist hier aber auch überflüssig,
da die Abnahme des variablen Kapitaltheils gegen den constanten im
Grossen und Ganzen, wenn auch nur andeutungsweise, die Zunahme der
von derselben Masse Arbeitskraft in Bewegung gesetzten oder produktiv
konsumirten Masse von Produktionsmitteln ausdrückt.
Im vierten Kapitel wurde gezeigt, wie die Entwicklung der gesell-
schaftlichen Produktivkraft der Arbeit Cooperation auf grosser Stufenleiter
voraussetzt, wie nur unter dieser Voraussetzung Theilung und Kombina-
tion der Arbeit organisirt, Produktionsmittel durch massenhafte Koncen-
tration ökonomisirt, schon stofflich nur gemeinsam anwendbare Arbeits-
mittel, z. B. System der Maschinerie u. s. w., ins Leben gerufen, unge-
heure Naturkräfte in den Dienst der Produktion gepresst und die Ver-
wandlung des Produktionsprozesses in technologische Anwendung der Wis-
senschaft vollzogen werden können. Auf Grundlage der Waaren-
produktion, wo die Produktionsmittel Eigenthum von Privatpersonen
sind, wo der Handarbeiter daher entweder isolirt und selbstständig Waaren
producirt oder seine Arbeitskraft als Waare verkauft, weil ihm die Mittel
zum Selbstbetrieb fehlen, realisirt sich jene Voraussetzung nur durch das
Wachsthum der individuellen Kapitale, oder im Masse, wor-
in die gesellschaftlichen Produktions- und Lebensmittel
in das Privateigenthum individueller Kapitalisten ver-
wandelt werden. Der Boden der Waarenproduktion kann die Pro-
duktion auf grosser Stufenleiter nur in kapitalistischer Form tra-
gen. Eine gewisse Accumulation von Kapital in den Händen in-
dividueller Waarenproducenten bildet die Voraussetzung der speci-
fisch kapitalistischen Produktionsweise. Wir mussten sie
daher unterstellen bei dem Uebergang aus dem Handwerk in den kapi-
talistischen Betrieb. Sie mag die ursprüngliche Accumulation heis-
sen, weil sie statt historisches Resultat historische Grundlage der speci-
fisch kapitalistischen Produktion. Wie sie selbst entspringt, brauchen
wir hier nicht zu untersuchen. Genug, sie bildet den Ausgangspunkt.
Aber alle Methoden zur Steigerung der gesellschaftlichen Produktivkraft
der Arbeit, die auf dieser Grundlage erwachsen, sind zugleich Methoden
zur Produktion des Mehrwerths oder Mehrprodukts, welches seinerseits das
Bildungselement der Accumulation. Sie sind also zugleich Methoden der Pro-
duktion von Kapital durch Kapital oder Methoden seiner beschleunigten Ac-
cumulation ist. Die kontinuirliche Rückverwandlung von Mehrwerth in Kapital
stellt sich dar als wachsende Grösse des in den Produktions-
prozess eingehenden Kapitals. Diese wird ihrerseits Grundlage
einer erweiterten Stufenleiter der Produktion, der sie be-
gleitenden Methoden zur Steigerung der Produktivkraft der Arbeit, und
beschleunigter Produktion von Mehrwerth. Wenn also ein gewisser Grad
der Kapitalaccumulation als Bedingung der specifisch kapitalistischen Pro-
duktionsweise erscheint, verursacht die letztere rückschlagend eine beschleu-
nigte Accumulation des Kapitals. Mit der Accumulation des Ka-
pitals entwickelt sich daher die specifisch kapitalisti-
sche Produktionsweise und mit der specifisch kapitali-
stischen Produktionsweise die Accumulation des Kapitals.
Jedes individuelle Kapital ist eine grössere oder kleinere Koncen-
tration von Produktionsmitteln mit entsprechendem Kommando
über eine grössere oder kleinere Arbeiterarmee. Jede Accumulation wird das
Mittel neuer Accumulation. Sie erweitert mit der vermehrten Masse
des als Kapital funktionirenden Reichthums seine Koncentration in
den Händen individueller Kapitalisten, daher die Grundlage der Pro-
duktion auf grosser Stufenleiter und der specifisch kapitalistischen Pro-
duktionsmethoden. Das Wachsthum des gesellschaftlichen Kapitals voll-
zieht sich im Wachsthum vieler individuellen Kapitale. Alle andern Um-
stände als gleichbleibend vorausgesetzt, wächst jedes dieser individuellen
Kapitale, und die in ihm gegebne Koncentration der Produktionsmittel,
im Verhältniss worin es einen aliquoten Theil des gesellschaftlichen Ge-
sammtkapitals bildet. Zugleich reissen sich Ableger von den Original-
kapitalen los und funktioniren als neue selbstständige Kapitale. Eine
grosse Rolle spielt dabei nothwendig die Theilung des Vermögens in Ka-
pitalistenfamilien. Mit der Accumulation des Kapitals wächst daher auch
mehr oder minder die Anzahl der Kapitalisten. Zwei Punkte charakteri-
siren diese Art Koncentration, welche unmittelbar auf der Accumu-
lation beruht oder vielmehr mit ihr identisch ist. Erstens: Die wach-
sende Koncentration der gesellschaftlichen Produktionsmittel in den Händen
individueller Kapitalisten ist, unter sonst gleichbleibenden Umständen, be-
schränkt durch den Wachsthumgrad des gesellschaftlichen
Reichthums. Zweitens: Der in jeder besondern Produktions-
sphäre ansässige Theil des gesellschaftlichen Kapitals ist ver-
theilt unter viele Kapitalisten, welche einander als unabhängige und
mit einander konkurrirende Waarenproducenten gegenüberstehn. Die Ac-
cumulation und die sie begleitende Koncentration sind also nicht nur auf viele
Punkte zersplittert, sondern das Wachsthum der funktionirenden Kapitale ist
durchkreuzt durch die Bildung neuer und die Spaltung alter Kapitale, Stellt
sich die Accumulation daher einerseits dar als wachsende Koncentration
der Produktionsmittel und des Kommando’s über Arbeit, so andrerseits als
Repulsion vieler individueller Kapitale von einander.
Dieser Zersplitterung des gesellschaftlichen Gesammtkapitals in viele
individuelle Kapitale oder der Repulsion seiner Bruchtheile von einander
wirkt entgegen ihre Attraktion. Es ist diess nicht mehr einfache,
mit der Accumulation identische Koncentration von Produktionsmitteln und
Kommando über Arbeit. Es ist Koncentration bereits gebil-
deter Kapitale, Aufhebung ihrer individuellen Selbstständigkeit, Ex-
propriation von Kapitalist durch Kapitalist, Verwandlung vieler kleinerer
in weniger grössere Kapitale. Dieser Prozess unterscheidet sich von dem
ersten dadurch, dass er nur veränderte Vertheilung der bereits
vorhandnen und funktionirenden Kapitale voraussetzt,
sein Spielraum also durch dasabsolute Wachsthum des gesell-
schaftlichen Reichthums oder die absoluten Grenzen der
Accumulation nicht beschränktist. Das Kapital schwillt hier in
einer Hand zu grossen Massen, weil es dort in vielen Händen verloren geht. Es
ist die eigentliche Koncentration im Unterschied zur Accumulation.
Die Gesetze dieser Koncentration der Kapitale oder der Attraktion
von Kapital durch Kapital können hier nicht entwickelt werden. Kurze
thatsächliche Andeutung genügt. Der Konkurrenzkampf wird durch Ver-
wohlfeilerung der Waaren geführt. Die Wohlfeilheit der Waaren hängt,
caeteris paribus, von der Produktivität der Arbeit, diese aber von der
Stufenleiter der Produktion ab. Die grösseren Kapitale schlagen daher
die kleineren. Man erinnert sich ferner, dass mit der Entwicklung der
kapitalistischen Produktionsweise der Minimalumfang des indivi-
duellen Kapitals wächst, der erheischt ist, um ein Geschäft unter sei-
nen normalen Bedingungen zu betreiben. Die kleineren Kapitale drängen
sich daher in Produktionssphären, deren sich die grosse Industrie nur noch
sporadisch oder unvollkommen bemächtigt hat. Die Konkurrenz rast
hier im direkten Verhältniss zur Anzahl und im umgekehrten Verhältniss
zur Grösse der rivalisirenden Kapitale. Sie endet stets mit Untergang
vieler kleiner Kapitalisten und Uebergang ihrer Kapitale in die Hand des
Siegers. Abgesehn hiervon bildet sich mit der kapitalistischen Produktion
eine ganz neue Macht, das Kreditwesen. Es wird nicht nur selbst
zu einer neuen gewaltigen Waffe im Konkurrenzkampfe. Durch unsichtbare
Fäden zieht es die über die Oberfläche der Gesellschaft in grösseren oder
kleineren Massen zersplitterten Geldmittel in die Hände individueller Ka-
pitalisten. Es ist die specifische Maschine zur Koncentration der Kapitale.
Die Koncentration der Kapitale, oder der Prozess ihrer Attraktion, wird
intensiver im Verhältniss, worin sich mit der Accumulation die specifisch kapi-
talistische Produktionsweise entwickelt. Ihrerseits wird die Koncentration
einer der grossen Hebel jener Entwicklung. Sie verkürzt und beschleu-
nigt die Verwandlung zersplitterter Produktionsprozesse in ge-
sellschaftlich kombinirte und auf grosser Stufenleiter
ausgeführte.
Der wachsende Umfang der individuellen Kapitalmassen wird zur mate-
riellen Basis einer beständigen Umwälzung der Produktionsweise
selbst. Fortwährend erobert die kapitalistische Produktionsweise ihr noch gar
nicht, oder nur sporadisch, oder nur formell unterworfene Arbeitszweige. Da-
neben erwachsen auf ihrem Boden neue, ihr von vorn herein angehörige
Arbeitszweige. Endlich wird in den bereits kapitalistisch betriebenen Arbeits-
zweigen die Produktivkraft der Arbeit treibhausmässig gereift. In allen
diesen Fällen sinkt die Arbeiterzahl verhältnissmässig zur Masse der von ihr
verarbeiteten Produktionsmittel. Ein stets grösserer Theil des Kapitals
wird in Produktionsmittel umgesetzt, ein stets kleinerer in Arbeitskraft. Mit
dem Umfang, der Koncentration und der technischen Wirksamkeit der
Produktionsmittel vermindert sich progressiv der Grad, worin sie
Beschäftigungs mittel der Arbeiter sind. Ein Dampfpflug ist ein
ungleich wirksameres Produktionsmittel als der gewöhnliche Pflug,
aber der in ihm ausgelegte Kapitalwerth ist ein ungleich geringeres Be-
schäftigungsmittel, als wenn er in gewöhnlichen Pflügen realisirt wäre.
Zunächst ist es grade die Zufügung von neuem Kapital zum alten, welche
die gegenständlichen Bedingungen des Produktionsprozesses auszuweiten
und technologisch umzuwälzen erlaubt. Bald aber ergreift die veränderte
Zusammensetzung und technologische Umgestaltung mehr oder minder
alles alte Kapital, das seinen Reproduktionstermin er-
reicht hat und daher neu ersetzt wird. Diese Metamorphose
des alten Kapitals ist vom absoluten Wachsthum des gesell-
schaftlichen Kapitals zu gewissem Grad unabhängig, wie es die Koncentra-
tion ist. Letztre aber, welche vorhandnes gesellschaftliches Kapital nur
anders vertheilt und viele alte Kapitale in eins verschmilzt, wirkt wieder
als mächtiges Agens in dieser Metamorphose des alten Kapitals.
Einerseits attrahirt also das im Fortgang der Accumulation gebildete
Zuschusskapital, verhältnissmässig zu seiner Grösse, weniger und weniger
Arbeiter. Andrerseits repellirt das in neuer Zusammensetzung reprodu-
cirte alte Kapital mehr und mehr früher von ihm beschäftigte Arbeiter.
Die Accumulation des Kapitals, welche ursprünglich nur als seine
quantitative Erweiterung erscheint, vollzieht sich also in fortwährendem
qualitativen Wechsel seiner Zusammensetzung, in bestän-
diger Zunahme seines constanten auf Kosten seines variablen Bestandtheils.
Die specifisch kapitalistische Produktionsweise, die ihr entsprechende
Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit, der dadurch verursachte Wechsel
in der organischen Zusammensetzung des Kapitals halten nicht nur Schritt
mit dem Fortschritt der Accumulation oder dem Wachsthum des gesell-
schaftlichen Reichthums. Sie schreiten ungleich schneller, weil
die einfache Accumulation oder die absolute Ausdehnung des Gesammt-
kapitals von der Koncentration seiner individuellen Elemente, und die tech-
nologische Umwälzung des Surpluskapitals von technologischer Umwälzung
des Originalkapitals begleitet sind. Mit dem Fortgang der Accumulation
wandelt sich also das Verhältniss von constantem zu variablem Kapital-
theil, wenn ursprünglich 1 : 1, in 2 : 1, 3 : 1, 4 : 1, 5 : 1, 7 : 1 u. s. w., so
dass, wie das Kapital wächst, statt ½ seines Gesammtwerths progressiv
nur ⅓, ¼, ⅕, ⅙, ⅛ u. s. w. in Arbeitskraft, dagegen ⅔, ¾, ⅘, ⅚,
⅞ u. s. w. in Produktionsmittel umgesetzt wird. Da die Nachfrage
nach Arbeit nicht durch den Umfang des Gesammtkapitals, sondern durch
den seines variablen Bestandtheils bestimmt ist, fällt sie also progressiv
mit dem Wachsthum des Gesammtkapitals, statt, wie vorhin unter-
stellt, verhältnissmässig mit ihm zu wachsen. Sie fällt relativ zur Grösse
des Gesammtkapitals und in beschleunigter Progression mit dem Wachsthum
dieser Grösse. Mit dem Wachsthum des Gesammtkapitals wächst zwar auch
sein variabler Bestandtheil, oder die ihm einverleibte Arbeitskraft, aber in
beständig abnehmender Proportion. Die Zwischenpausen, worin
die Accumulation als blosse Erweiterung der Produktion auf gegebner
technologischer Grundlage wirkt, verkürzen sich. Nicht nur wird eine in
wachsender Progression beschleunigte Accumulation des Gesammt-
kapitals erheischt, um eine additionelle Arbeiterzahl von gegebner Grösse zu
absorbiren oder selbst, wegen der beständigen Metamorphose des alten Ka-
pitals, die bereits funktionirende zu beschäftigen. Ihrerseits schlägt diese
wachsende Accumulation und Koncentration selbst wieder um in
eine Quelle neuer Wechsel der Zusammensetzung des Kapitals oder aber-
malig beschleunigter Abnahme seines variablen gegen seinen constanten
Bestandtheil. Diese mit dem Wachsthum des Gesammtkapitals be-
schleunigte und rascher denn sein eignes Wachsthum beschleunigte relative
Abnahme seines variablen Bestandtheils scheint auf der andern
Seite umgekehrt stets rascheres absolutes Wachsthum der
Arbeiterbevölkerung als das des variablen Kapitals oder
ihrer Beschäftigungsmittel. Die kapitalistische Accu-
mulation producirt vielmehr, und zwar im Verhältniss zu ihrer Energie
und ihrem Umfang, beständig eine relative, d. h. für die mittleren
Verwerthungsbedürfnisse des Kapitals überschüssige,
daher überflüssige oder Surplus-Arbeiterbevölkerung.
Das gesellschaftliche Gesammtkapital betrachtet, ruft die Be wegung
seiner Accumulation bald periodischen Wechsel hervor, bald verthei-
len sich ihre Momente gleichzeitig über die verschiednen Produktions-
sphären. In einigen Sphären findet Wechsel in der Zusammensetzung des Ka-
pitals statt ohne Wachsthum seiner absoluten Grösse, in Folge blosser Kon-
centration; in andern ist das absolute Wachsthum des Kapitals mit abso-
luter Abnahme seines variablen Bestandtheils oder der von ihm absor-
birten Arbeitskraft verbunden; in andern wächst das Kapital bald auf sei-
ner gegebnen technischen Grundlage fort, und attrahirt zuschüssige Arbeits-
kraft im Verhältniss seines Wachsthums, bald tritt organischer Wechsel
ein und kontrahirt sich sein variabler Bestandtheil; in allen Sphären ist
das Wachsthum des variablen Kapitaltheils und daher der beschäftigten
Arbeiterzahl stets verbunden mit heftigen Fluktuationen und vorüber-
gehender Produktion von Surpluspopulation, ob diese nun die auffallendere
Form von Repulsion bereits beschäftigter Arbeiter annimmt oder die mehr
unscheinbare, aber nicht minder wirksame, erschwerter Absorption der zu-
schüssigen Arbeiterbevölkerung in ihre gewohnten Abzugskanäle78). Mit
der Grösse des bereits funktionirenden Gesellschaftskapitals und dem Grad
seines Wachsthums, mit der Ausdehnung der Produktionsleiter und der
Masse der in Bewegung gesetzten Arbeiter, mit der Entwicklung der Produk-
tivkraft ihrer Arbeit, mit dem breiteren und volleren Strom aller Springquel-
len des Reichthums dehnt sich auch die Stufenleiter, worin
grössere Attraktion der Arbeiter durch das Kapital mit grösserer Repul-
sion derselben verbunden ist, nimmt die Raschheit der Wechsel in der
organischen Zusammensetzung des Kapitals und seiner technischen Form
zu, und schwillt der Umkreis der Produktionssphären, die bald gleichzeitig,
bald abwechselnd davon ergriffen werden. Mit der von ihnen producirten Accu-
mulation des Kapitals producirt die Arbeiterbevölkerung also in wachsen-
dem Umfang die Mittel ihrer eignen relativen Ueberzählig-
machung79). Es ist diess ein der kapitalistischen Produk-
tionsweise eigenthümliches Populationsgesetz, wie in der That
jede besondre historische Produktionsweise ihre besondern, historisch gül-
tigen Populationsgesetze hat. Ein abstraktes Populationsgesetz existirt nur
für Pflanze und Thier.
Wenn aber eine Surplusarbeiterpopulation nothwendiges Produkt der
Accumulation oder der Entwicklung des Reichthums auf kapitalistischer
Grundlage ist, wird diese Surpluspopulation umgekehrt zum Hebel der kapita-
listischen Accumulation, ja zu einer Existenzbedingung der kapita-
listischen Produktionsweise. Sie bildet eine disponible indu-
strielle Reservearmee, die dem Kapital ganz so absolut gehört,
als ob es sie auf seine eignen Kosten grossgezüchtet hätte. Sie schafft
für seine wechselnden Verwerthungsbedürfnisse das stets bereite exploi-
table Menschenmaterial, unabhängig von den Schranken der wirklichen
Bevölkerungszunahme. Mit der Accumulation und der sie begleitenden
Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit wächst die plötzliche Expan-
sionskraft des Kapitals, nicht nur, weil die Elasticität des funk-
tionirenden Kapitals wächst, und der absolute Reichthum, wovon das
Kapital nur einen elastischen Theil bildet, nicht nur, weil der Kredit, unter
jedem besondern Reiz, im Umsehn ungewöhnlichen Theil dieses Reich-
thums der Produktion als Surpluskapital zur Verfügung stellt. Der tech-
nologische Charakter des Produktionsprozesses selbst, Maschinerie, Trans-
portmittel u. s. w. ermöglichen die rascheste Verwandlung von Surplus-
produkt auf grösster Stufenleiter in zuschüssige Produktionsmittel. Die
mit dem Fortschritt der Accumulation überschwellende und in Surplus-
kapital verwandelbare Masse des gesellschaftlichen Reichthums drängt
sich mit Frenesie in alte Produktionszweige, deren Markt sich plötzlich
erweitert, oder in neu eröffnete, wie Eisenbahnen u. s. w., deren Bedürf-
niss aus der Entwicklung der alten entspringt. In allen solchen Fällen
müssen grosse Menschenmassen plötzlich und ohne Abbruch der Produk-
tionsleiter in andern Sphären auf die entscheidenden Punkte werfbar sein.
Die Surpluspopulation liefert sie. Der charakteristische Lebenslauf der
modernen Industrie, die Form eines durch kleinere Schwankungen unter-
brochnen zehnjährigen Cyklus von Perioden mittlerer Lebendigkeit, Pro-
duktion unter Hochdruck, Krise und Stagnation, beruht auf der bestän-
digen Bildung, grösseren oder geringeren Absorption, und Wiederbildung
der industriellen Reservearmee oder Surpluspopulation. Ihrerseits rekru-
tiren die Wechselfälle des industriellen Cyklus die Surpluspopulation und
werden zu einem ihrer energischsten Reproduktionsagentien. Dieser
eigenthümliche Lebenslauf der modernen Industrie, der uns in keinem
früheren Zeitalter der Menschheit begegnet, war auch in der Kindheits-
periode der kapitalistischen Produktion unmöglich. Die Zusammensetzung
des Kapitals veränderte sich nur sehr allmälig. Seiner Accumulation ent-
sprach also im Ganzen verhältnissmässiges Wachsthum der Arbeitsnach-
frage. Langsam wie der Fortschritt seiner Accumulation, verglichen mit
der modernen Epoche, stiess er auf Naturschranken der exploitablen Arbei-
terbevölkerung, welche nur durch später zu erwähnende Gewaltmittel weg-
räumbar war. Die plötzliche und ruckweise Expansion der Produktionsleiter
ist die Voraussetzung ihrer plötzlichen Kontraktion; letztere ruft wieder
die erstere hervor, aber die erstere ist unmöglich ohne disponibles Men-
schenmaterial, ohne eine vom absoluten Wachsthum der Bevölkerung unab-
hängige Vermehrung von Arbeitern. Sie wird geschaffen durch
den einfachen Prozess, der einen Theil der Arbeiter beständig „freisetzt“,
durch Methoden, welche die Anzahl der beschäftigten Arbeiter im Verhält-
niss zur vermehrten Produktion vermindern. Die ganze Bewegungsform
der modernen Industrie erwächst also aus der beständigen Verwandlung
eines Theils der Arbeiterbevölkerung in unbeschäftigte oder halbbeschäf-
tigte Hände. Die Oberflächlichkeit der politischen Oekonomie zeigt sich
u. a. darin, dass sie die Expansion und Kontraktion des Kredits, das
blosse Symptom der Wechselperioden des industriellen Cyklus, zu deren
Ursache macht. Ganz wie die Himmelskörper, sobald sie durch ersten
Stoss in eine bestimmte Bewegung geschleudert sind, dieselbe Bewegung
stets reproduciren, so die gesellschaftliche Produktion, sobald sie einmal
in jene Bewegung wechselnder Expansion und Kontraktion geworfen ist.
Wirkungen werden ihrerseits zu Ursachen und die Wechselfälle des ganzen
Prozesses, der seine eignen Bedingungen stets reproducirt, nehmen die
Form der Periodicität an. Ist letztere einmal konsolidirt, so begreift
selbst die politische Oekonomie die Produktion einer relativen, d. h. für
das mittlere Verwerthungsbedürfniss des Kapitals relativen Surpluspopu-
lation, als Lebensbedingung der modernen Industrie.
„Gesetzt“, sagt H. Merivale, früher Professor der politischen
Oekonomie zu Oxford, später Beamter des englischen Kolonialministe-
riums, „gesetzt, bei Gelegenheit einer Krise raffe die Nation sich zu einer
Kraftanstrengung auf, um durch Emigration einiger 100,000 überflüssiger
Arme los zu werden, was würde die Folge sein? Dass bei der ersten
Wiederkehr der Arbeitsnachfrage ein Mangel vorhanden wäre. Wie rasch
immer die Reproduktion von Menschen sein mag, sie braucht jedenfalls
den Zwischenraum einer Generation zum Ersatz erwachsner Arbeiter.
Nun hängen die Profite unsrer Fabrikanten hauptsächlich von der Macht
ab, den günstigen Moment lebhafter Nachfrage zu exploitiren und sich so
für die Periode der Erlahmung schadlos zu halten. Diese Macht ist
ihnen nur gesichert durch Kommando über Maschinerie
und Handarbeit. Sie müssen disponible Hände vorfin-
den; sie müssen fähig sein die Aktivität ihrer Operationen, wenn nöthig,
höher zu spannen oder abzuspannen, je nach dem Stand des Markts, oder
sie können platterdings nicht in der Hetzjagd der Konkurrenz das Ueber-
gewicht behaupten, worauf der Reichthum dieses Landes ge-
gründet ist“80). Selbst Malthus erkennt in der Surpluspopulation, die er,
nach seiner bornirten Weise, aus absolutem Ueberwachs der Arbeiterbevölke-
rung, nicht aus ihrer relativen Ueberzähligmachung deutet, eine Nothwen-
digkeit der modernen Industrie. Er sagt: „Weise Gewohnheiten
in Bezug auf die Ehe, wenn zu einer gewissen Höhe getrieben unter der
Arbeiterklasse eines Landes, das hauptsächlich von Manufaktur und Han-
del abhängt, würden ihm schädlich sein … Der Natur der Bevölkerung
gemäss, kann ein Zuwachs von Arbeitern nicht zu Markt geliefert werden,
in Folge besondrer Nachfrage, bis nach Verlauf von 16 oder 18 Jahren,
und die Verwandlung von Revenue in Kapital durch Ersparung kann sehr
viel rascher platzgreifen; ein Land ist stets dem ausgesetzt, dass sein
Arbeitsfonds rascher wächst als die Bevölkerung“81). Nachdem die politische
Oekonomie so die beständige Produktion einer relativen Sur-
pluspopulation von Arbeitern für eine Nothwendigkeit der
kapitalistischen Accumulation erklärt hat, legt sie, und zwar
adäquat in der Figur einer alten Jungfer, dem „beau ideal“ ihres Kapitalisten
folgende Worte an die durch ihre eigne Schöpfung von Surpluskapital aufs
Pflaster geworfenen „Ueberzähligen“ in den Mund: „Wir Fabrikanten thun
was wir können für euch, indem wir das Kapital vermehren, von
dem ihr subsistiren müsst; und ihr müsst das übrige thun, indem ihr eure
Zahlen den Subsistenzmitteln proportionirt“82).
Die kapitalistische Produktion schliesst die Schranken disponibler
Arbeitskraft durch bloss natürlichen Zuwachs der Bevölkerung aus. Sie
bedarf zu ihrem freien Spiel einer von dieser Schranke unabhän-
gigen industriellen Reservearmee.
Bisher wurde unterstellt, dass der Zu- oder Abnahme des vari-
ablen Kapitals genau die Zu- oder Abnahme der beschäftigten
Arbeiterzahl entspricht. Die Abweichungen des Grössenwechsels des
variablen Kapitals vom Grössenwechsel der Arbeiterzahl, worin es sich um-
setzt, werden im Dritten Buch weiter erörtert. Hier interessiren sie uns
nur, soweit sie das allgemeine Gesetz der Accumulation betreffen.
Bei gleichbleibender oder selbst verminderter Zahl der von ihm kom-
mandirten Arbeiter wächst das variable Kapital, wenn der individuelle Ar-
beiter mehr Arbeit liefert und daher sein Arbeitslohn wächst, obgleich
der Arbeitspreis gleich bleibt, oder selbst sinkt, nur langsamer als die
Arbeitsmasse steigt. Der Zuwachs des variablen Kapitals wird dann In-
dex von mehr Arbeit, aber nicht von mehr beschäftigten Arbeitern. Jeder
Kapitalist hat das absolute Interesse, ein bestimmtes Arbeitsquantum aus
kleinerer, statt eben so wohlfeil oder selbst wohlfeiler aus grösserer
Arbeiterzahl auszupressen. In dem letzten Fall wächst die Auslage von
constantem Kapital verhältnissmässig zur Masse der in Fluss gesetzten Ar-
beit, im ersten Fall viel langsamer. Je grösser die Stufenleiter der Pro-
duktion, desto entscheidender diess Motiv. Seine Wucht wächst mit der
Accumulation des Kapitals.
Man hat gesehn, dass die Entwicklung der kapitalistischen Produk-
tionsweise und Produktivkraft der Arbeit — zugleich Ursache und Wirkung
der Accumulation — den Kapitalisten befähigt, mit derselben Aus-
lage von variablem Kapital mehr Arbeit durch grössere extensive
oder intensive Exploitation der individuellen Arbeitskräfte flüssig zu
machen. Man hat ferner gesehn, dass er mit demselben Kapital-
werth mehr Arbeitskräfte kauft, indem er progressiv geschicktere
Arbeiter durch ungeschicktere, reife durch unreife, männliche durch weib-
liche, erwachsne Arbeitskraft durch jugendliche oder kindliche verdrängt.
Einerseits macht also, im Fortgang der Accumulation, grösseres
variables Kapital mehr Arbeit flüssig, ohne mehr Arbeiter zu werben,
andrerseits macht variables Kapital von derselben Grösse mehr
Arbeit mit derselben Masse Arbeitskraft flüssig und endlich mehr niedere
Arbeitskräfte durch Verdrängung höherer.
Die Produktion einer relativen Surpluspopulation oder
die Freisetzung von Arbeitern geht daher noch rascher voran als die
ohnehin mit dem Fortschritt der Accumulation beschleunigte
technologische Umwälzung des Produktionsprozesses und die entsprechende
proportionelle Abnahme des variablen Kapitaltheils gegen den constanten.
Wenn die Produktionsmittel, wie sie an Umfang und Wirkungskraft zu-
nehmen, in geringerem Grad Beschäftigungsmittel der Arbeiter wer-
den, wird diess Verhältniss selbst wieder dadurch modificirt, dass im Mass wie
die Produktivkraft der Arbeit wächst, das Kapital seine Zufuhr von Ar-
beit rascher steigert als seine Nachfrage nach Arbeitern. Die Ueber-
arbeit des beschäftigten Theils der Arbeiterklasse schwellt die Reihen ihrer Re-
serve, während umgekehrt der vermehrte Druck, den die letztere durch ihre
Konkurrenz auf die erstere ausübt, diese zur Ueberarbeit und Unterwerfung
unter die Diktate des Kapitals zwingt. Die Verdammung eines Theils
der Arbeiterklasse zu erzwungnem Müssiggang durch Ueberarbeit des andern
Theils, und vice versa, wird Bereicherungsmittel des einzelnen Kapitalisten83)
und beschleunigt zugleich die Produktion der industriel-
len Reservearmee auf einem dem Fortschritt der gesell-
schaftlichen Accumulation entsprechenden Massstab. Wie
wichtig diess Moment in der Bildung der relativen Surpluspopulation, beweist
z. B. England. Seine technischen Mittel zur „Ersparung“ von Arbeit sind ko-
lossal. Dennoch, würde morgen allgemein die Arbeit auf ein rationelles
Mass beschränkt, und für die verschiednen Schichten der Arbeiterklasse wie-
der entsprechend nach Alter und Geschlecht abgestuft, so wäre die vorhandne
Arbeiterpopulation absolut unzureichend zur Fortführung der nationalen
Produktion auf ihrer jetzigen Stufenleiter. Die grosse Mehrheit der jetzt
„unproduktiven“ Arbeiter müsste in „produktive“ verwandelt werden.
Im Grossen und Ganzen sind die allgemeinen Bewegungen des Ar-
beitslohns ausschliesslich regulirt durch die Expansion und Kontraktion
der industriellen Reservearmee, welche dem Periodenwechsel
des industriellen Cyklus entsprechen. Sie sind also nicht bestimmt
durch die Bewegung der absoluten Anzahl der Arbeiterbevöl-
kerung, sondern durch das wechselnde Verhältniss, worin die Arbei-
terklasse in aktive Armee und Reservearmee zerfällt, durch die Zunahme und
Abnahme des relativen Umfangs der Surpluspopulation, durch den Grad, wor-
in sie bald absorbirt, bald wieder freigesetzt wird. Für die moderne Industrie
mit ihrem zehnjährigen Cyklus und seinem regelmässigen Periodenwechsel,
der ausserdem im Fortgang der Accumulation durch stets rascher auf ein-
ander folgende unregelmässige Oscillationen durchkreuzt wird, wäre es in der
That ein schönes Gesetz, welches die Nachfrage und Zufuhr von Arbeit nicht
durch die Expansion und Kontraktion des Kapitals, also nach sei-
nen jedesmaligen Verwerthungsbedürfnissen regelte, so dass der
Arbeitsmarkt bald relativ untervoll erscheint, weil das Kapital sich expandirt,
bald wieder übervoll, weil es sich kontrahirt, sondern umgekehrt die Bewegung
des Kapitals von der absoluten Bewegung der Populationsmenge
abhängig machte. Diess jedoch ist das ökonomische Dogma. Nach demselben
steigt in Folge der Kapitalaccumulation der Arbeitslohn. Der erhöhte
Arbeitslohn spornt zur rascheren Vermehrung der Arbeiterbevölkerung und
diese dauert fort, bis der Arbeitsmarkt überfüllt, also das Kapital relativ
zur Arbeiterzufuhr unzureichend geworden ist. Der Arbeitslohn sinkt, und
nun die Kehrseite der Medaille. Durch den fallenden Arbeitslohn wird
die Arbeiterbevölkerung nach und nach decimirt, so dass ihr gegenüber
das Kapital wieder überschüssig wird, oder auch, wie Andre es erklären,
der fallende Arbeitslohn und die entsprechende erhöhte Exploitation des
Arbeiters beschleunigt wieder die Accumulation, während gleichzeitig der
niedere Lohn das Wachsthum der Arbeiterklasse in Schach hält. So tritt
wieder das Verhältniss ein, worin die Arbeitszufuhr niedriger als die Ar-
beitsnachfrage, der Lohn steigt u. s. w. Eine schöne Bewegungsmethode
diess für die entwickelte kapitalistische Produktion! Bevor in Folge der
Lohnerhöhung irgend ein positives Wachsthum der wirklich arbeitsfähigen
Bevölkerung eintreten könnte, wäre die Frist aber und abermal abgelaufen,
worin der industrielle Feldzug geführt, die Schlacht geschlagen und ent-
schieden sein muss.
Zwischen 1849 und 1859 trat, zugleich mit fallenden Getreidepreisen,
eine praktisch betrachtet nur nominelle Lohnerhöhung in den englischen
Agrikulturdistrikten ein, z. B. in Wiltshire stieg der Wochenlohn von 7
auf 8 sh., in Dorsetshire von 7 oder 8 auf 9 sh. u. s. w. Es war diess
Folge des übergewöhnlichen Abflusses der agrikolen Surpluspopu-
lation, verursacht durch Kriegsnachfrage, massenhafte Ausdehnung der
Eisenbahnbauten, Fabriken, Bergwerke u. s. w. Je niedriger der Arbeitslohn,
desto höher drückt sich jedes noch so unbedeutende Steigen desselben
in Procentzahlen aus. Ist der Wochenlohn z. B. 20 sh. und steigt
er auf 22, so um 10 %; ist er dagegen nur 7 sh. und steigt auf 9, so um
28 %, was sehr erklecklich klingt. Jedenfalls heulten die Pächter und
schwatzte sogar der „London Economist“ ganz ernsthaft von „a
general and substantial advance“84) mit Bezug auf diese Hungerlöhne.
Was thaten nun die Pächter? Warteten sie, bis die Landarbeiter sich in
Folge dieser brillanten Zahlung so vermehrt hatten, dass ihr Lohn wieder fal-
len musste, wie die Sache sich im dogmatisch ökonomischen Hirn zuträgt?
Sie führten mehr Maschinerie ein, und im Umsehn waren die Arbeiter wieder
„überzählig“ in einem selbst den Pächtern genügenden Verhältniss. Es
war jetzt „mehr Kapital“ in der Agrikultur angelegt als vorher und in
einer produktiveren Form. Damit fiel die Nachfrage nach Arbeit nicht
nur relativ, sondern absolut.
Jene ökonomische Fiktion verwechselt die Gesetze, welche die all-
gemeine Bewegung des Arbeitslohns oder das Verhältniss zwi-
schen Arbeiterklasse und gesellschaftlichem Gesammtkapital regeln, mit den
Gesetzen, welche die Arbeiterbevölkerung unter die beson-
dern Produktionssphären vertheilen. Wenn z. B. in Folge
günstiger Konjunktur die Accumulation in einer bestimmten Produktionssphäre
besonders lebhaft, die Profite hier grösser als die Durchschnittsprofite, Zu-
schusskapital dahin drängt, so steigt natürlich Arbeitsnachfrage und Arbeits-
lohn. Der höhere Arbeitslohn zieht einen grösseren Theil der Arbeiterbevölke-
rung in die begünstigte Sphäre, bis sie mit Arbeitskraft gesättigt ist, und der
Lohn auf die Dauer wieder auf sein früheres Durchschnittsniveau oder unter
dasselbe fällt, falls der Zudrang zu gross war. Hier sieht der politische
Oekonom „wo und wie“, mit Zunahme des Lohns eine absolute Zunahme
von Arbeitern, und mit der absoluten Zunahme der Arbeiter eine Abnahme
des Lohns, aber er sieht in der That nur die lokale Oscillation des
Arbeitsmarkts einer besondern Produktionssphäre, er sieht nur Phä-
nomene der Vertheilung der Arbeiterbevöl kerung in die
verschiednen Anlagesphären des Kapitals, je nach seinen wechselnden
Bedürfnissen.
Die industrielle Reservearmee oder relative Surpluspopulation drückt
während der Perioden der Stagnation und mittleren Prosperität auf die aktive
Arbeiterarmee und hält ihre Ansprüche während der Periode der Ueberpro-
duktion und des Paroxysmus im Zaum. Die relative Surpluspopula-
tion ist also der Hintergrund, worauf das Gesetz der Nach-
frage und Zufuhr von Arbeit sich bewegt. Sie zwängt den Spiel-
raum dieses Gesetzes in die der Exploitationsgier und Herrsch-
sucht des Kapitals abso lut zusagenden Schranken ein. Es ist hier
der Ort auf eine der Grossthaten der ökonomischen Apologetik zurückzukom-
men. Man erinnert sich, dass wenn durch Einführung neuer oder Ausdehnung
alter Maschinerie ein Stück variables Kapital in constantes verwandelt wird,
der ökonomische Apologet diese Operation, welche Kapital „bindet“ und eben
dadurch Arbeiter „freisetzt“, umgekehrt so deutet, das sie Kapital für den
Arbeiter freisetzt. Erst jetzt kann man die Unverschämtheit des Apologeten
vollständig würdigen. Was freigesetzt wird, sind nicht nur die unmittelbar
durch die Maschine verdrängten Arbeiter, sondern ebenso ihre Ersatzmann-
schaft und das, bei gewohnter Ausdehnung des Geschäfts auf seiner alten
Basis, regelmässig absorbirte Zuschusskontingent. Es ist nicht altes Kapital
für Arbeiter freigesetzt, aber es sind Arbeiter für etwa „zuschüssiges“ Ka-
pital freigesetzt. D. h. also, der Mechanismus der kapitalistischen Produk-
tion sorgt dafür, dass der absolute Zuwachs von Kapital von keiner
entsprechenden Steigerung der allgemeinen Arbeitsnachfrage
begleitet ist. Und diess nennt der Apologet eine Kompensation für das
Elend, die Leiden und den möglichen Untergang der deplacirten Arbeiter wäh-
rend der Uebergangsperiode, welche sie in die industrielle Reservearmee
bannt! Die Nachfrage nach Arbeit ist nicht identisch mit Wachsthum des
Kapitals, die Zufuhr der Arbeiter nicht mit dem Wachsthum der Arbeiter-
klasse, so dass zwei von einander unabhängige Potenzen auf einander
einwirkten. Les dés sont pipés. Das Kapital agirt auf beiden Seiten
zugleich. Wenn seine Accumulation einerseits die Nachfrage nach Arbeit
vermehrt, vermehrt sie andrerseits die Zufuhr von Arbeitern durch deren
„Freisetzung“, während zugleich der Druck der Unbeschäftigten die Be-
schäftigten zur Flüssigmachung von mehr Arbeit zwingt, also in gewissem
Grad die Arbeitszufuhr von der Zufuhr von Arbeitern unabhän-
gig macht. Die Bewegung des Gesetzes der Nachfrage und Zu-
fuhr von Arbeit auf dieser Basis vollendet die Despotie des Ka-
pitals. Sobald daher die Arbeiter hinter das Geheimniss kommen, wie es zu-
geht, dass im selben Mass, wie sie mehr arbeiten, mehr fremden Reichthum
produciren, und die Produktivkraft ihrer Arbeit wächst, sogar ihre Funktion als
Verwerthungsmittel des Kapitals immer prekärer für sie wird; sobald sie ent-
decken, dass der Intensivitätsgrad der Konkurrenz unter ihnen selbst ganz und
gar von dem Druck der relativen Surpluspopulation abhängt; sobald sie daher
durch Trade’s Unions u. s. w. eine planmässige Zusammenwirkung zwischen
den Beschäftigten und Unbeschäftigten zu organisiren suchen, um die ruini-
renden Folgen jenes Naturgesetzes der kapitalistischen Produk-
tion auf ihre Klasse zu brechen oder zu schwächen, zetert das Kapital, und sein
Sykophant, der politische Oekonom, über Verletzung des „ewigen“ und so zu
sagen „heiligen“ Gesetzes der Nachfrage und Zufuhr. Jeder Zusammenhalt
zwischen den Beschäftigten und Unbeschäftigten stört nämlich das „reine“
Spiel jenes Gesetzes. Sobald andrerseits, in den Kolonieen z. B., widrige
Umstände die Schöpfung der industriellen Reservearmee,
und mit ihr die absolute Abhängigkeit der Arbeiterklasse von der Ka-
pitalistenklasse, verhindern, rebellirt das Kapital, sammt seinem gemein-
plätzlichen Sancho Pansa, gegen das „heilige“ Gesetz der Nachfrage und Zu-
fuhr, und sucht ihm durch Zwangsmittel unter die Arme zu greifen.
Die relative Surpluspopulation existirt in allen möglichen Schattirungen.
Jeder Arbeiter gehört dazu während der Zeit, wo er halb oder gar nicht be-
schäftigt ist. Ohne hier auf Details einzugehn, genügen einige allgemeine
Andeutungen. Abgesehn von den periodischen Formverschiedenheiten
der Surpluspopulation in dem Phasenwechsel des industriellen
Cyklus, wo sie bald akut in den Krisen erscheint, bald chronisch in
der Periode der Stagnation, besitzt sie fortwährend drei Formen, die
flüssige, die latente und die stagnante.
Man hat gesehn, wie die Fabrikarbeiter bald repellirt, bald in
grösserem Umfang wieder attrahirt werden, so dass im Grossen und Ganzen
die Zahl der beschäftigten Arbeiter zunimmt, wenn auch in stets abnehmendem
Verhältniss zur Produktionsleiter. Die Surpluspopulation existirt hier in
fliessender Form. Wir machen nur auf zwei Umstände aufmerksam. So-
wohl in den eigentlichen Fabriken, wie in allen grossen Werkstätten, wo-
rin die Maschinerie als Faktor eingeht oder auch nur die moderne Thei-
lung der Arbeit durchgeführt ist, werden männliche Arbeiter bis zur Zu-
rücklegung des Jugendalters in Massen verbraucht, wovon später nur sehr
geringe Proportion in demselben Zweig verwendbar bleibt, daher beständig
grosse Anzahl herausgeworfen wird. Sie bilden ein Element der fliessen-
den Surpluspopulation, das mit dem Umfang der Industrie wächst. Ein Theil
davon emigrirt und reist in der That nur dem emigrirenden Kapital nach.
Eine der Folgen ist, dass die weibliche Bevölkerung rascher wächst als
die männliche, teste England. Der Widerspruch, dass der natürliche Zu-
wachs der Arbeiterbevölkerung den Accumulationsbedürfnissen des Kapitals
nicht genügt, und andrerseits zu gross für seine Absorption ist, ist
ein Widerspruch seiner Bewegung selbst. Es braucht grössere Massen
davon im früheren Alter, weniger im männlichen. Der Widerspruch ist
nicht grösser als der andre, dass während Arbeiter zu vielen Tausenden
auf dem Pflaster liegen, weil die Theilung der Arbeit sie an einen be-
stimmten Geschäftszweig kettet, gleichzeitig über Mangel an Händen
geklagt wird85). Bei dem raschen Konsum der Arbeitskraft durch das Kapi-
tal ist der Arbeiter von mittlerem Alter meist schon überlebt. Er fällt in die
Reihen der Surpluspopulation oder rückt von einer höhern Staffel auf eine
niedrigere, während das Kapital seinen Platz durch frischere Arbeitskraft er-
setzt. Das absolute Wachsthum der Arbeiterklasse erheischt so eine
Form, welche ihre Zahl schwellt, obgleich ihre Elemente sich rasch abnutzen.
Es ist daher rasche Ablösung der Arbeitergenerationen nöthig.
(Dasselbe Gesetz gilt nicht für die übrigen Klassen der Bevölkerung.)
Diess wird erreicht durch frühe Ehen, nothwendige Folge der Verhältnisse,
worin die Arbeiter der grossen Industrie leben, und durch die Prämie,
welche die Exploitation der Arbeiterkinder auf ihre Produktion setzt.
Sobald sich die kapitalistische Produktion der Agrikultur oder im
Grad, worin sie sich derselben bemächtigt hat, nimmt mit der Accumula-
tion des hier funktionirenden Kapitals die Nachfrage für
die ländliche Arbeiterbevölkerung absolut ab, ohne dass
ihre Repulsion, wie in der nicht agrikolen Industrie, durch grössere Attraktion
ergänzt wäre. Ein Theil der Landbevölkerung befindet sich daher fortwährend
im Uebergang zur Metamorphose in städtische oder Manu-
fakturbevölkerung. (Manufaktur hier im Sinn aller nicht-agrikolen In-
dustrie86).) Diese Quelle der relativen Surpluspopulation fliesst also
beständig. Aber ihr beständiger Fluss setzt auf dem Lande selbst
eine fortwährend latente Surpluspopulation voraus, deren Umfang nur
sichtbar wird, sobald sich die Abzugskanäle ausnahmsweise weit öffnen.
Der Landarbeiter wird daher auf das Minimum des Salairs herabgedrückt
und steht mit einem Fuss stets im Sumpf des Pauperismus.
Die stagnante Surpluspopulation bildet einen Theil der aktiven
Arbeiterarmee, aber mit durchaus unregelmässiger Beschäftigung, so dass
das Kapital hier stets eine ausserordentliche Masse latenter Arbeitskraft
zur Verfügung hat. Ihre Lebenslage sinkt unter das durchschnittliche
Normalniveau der arbeitenden Klasse und grade diess macht sie zur breiten
Grundlage eigner Exploitationszweige des Kapitals. Maximum der Arbeitszeit
und Minimum des Salairs charakterisiren sie. Wir haben unter der Rubrik
der Hausarbeit ihre Hauptgestalt bereits kennen gelernt. Sie rekrutirt
sich fortwährend aus den Ueberzähligen der grossen Industrie und Agri-
kultur, und namentlich auch in untergehenden Industriezweigen, wo der
Handwerksbetrieb dem Manufakturbetrieb, letztrer dem Maschinenbetrieb
erliegt. Ihr Umfang dehnt sich, wie mit Umfang und Energie der Accu-
mulation die „Ueberzähligmachung“ fortschreitet. Aber sie bildet zu-
gleich ein sich selbst reproducirendes und verewigendes Element der Ar-
beiterklasse, das verhältnissmässig grösseren Antheil am Gesammtwachs-
thum derselben nimmt als die übrigen Elemente. In der That steht
nicht nur die Masse der Geburten und Todesfälle, sondern
die absolute Grösse der Familien in umgekehrtem Verhält-
niss zur Höhe des Arbeitslohns, also zur Masse der Lebens-
mittel, worüber die verschiednen Arbeiterkategorieen verfü-
gen. Diess Gesetz der kapitalistischen Gesellschaft klänge unsinnig
unter Wilden, oder selbst civilisirten Kolonisten. Es erinnert an die massenhafte
Reproduktion individuell schwacher und vielgehetzter Thierarten87).
Der tiefste Niederschlag der relativen Surpluspopulation endlich bil-
det die Sphäre des Pauperismus. Sie besteht — wir sehn hier ab von
Vagabunden, Verbrechern, Prostituirten, kurz dem eigentlichen Lumpen-
proletariat — aus drei Kategorieen: erstens, Arbeitsfähige.
Man braucht die Statistik des englischen Pauperismus nur oberflächlich an-
zusehn und man findet, dass seine Masse mit jeder Krise schwillt und mit
jeder Wiederbelebung des Geschäfts abnimmt. Zweitens: Waisen-
und Pauperkinder. Sie sind Kandidaten der industriellen Reservearmee
und werden in Zeiten grosser Prosperität, wie 1860 z. B., rasch und mas-
senhaft in die aktive Arbeiterarmee einrollirt. Drittens: Verkommene,
Verlumpte, Arbeitsunfähige. Es sind namentlich Arbeiter, die an ihrer
durch die Theilung der Arbeit verursachten Unbeweglichkeit untergehn,
solche, die über das Normalalter eines Arbeiters hinausleben, endlich die
Opfer der Industrie, deren Zahl mit gefährlicher Maschinerie, Bergwerks-
bau, chemischen Fabriken u. s. w. wächst, Verstümmelte, Verkrankte,
Wittwen u. s. w. Der Pauperismus bildet das Invalidenhaus der aktiven
Arbeiterarmee und das todte Gewicht der industriellen Reservearmee. Seine
Produktion ist eingeschlossen in der Produktion der Surpluspopulation,
seine Nothwendigkeit in ihrer Nothwendigkeit, mit ihr bildet er eine Ex-
istenzbedingung der kapitalistischen Produktion und Entwicklung des Reich-
thums. Er gehört zu den faux frais der kapitalistischen Produktion, die
das Kapital jedoch grossentheils von sich selbst ab auf die Schultern der
Arbeiterklasse und der kleinen Mittelklasse zu wälzen weiss.
Je grösser der gesellschaftliche Reichthum, das funktionirende
Kapital, Umfang und Energie seines Wachsthums, also auch die absolute
Grösse der Arbeiterbevölkerung und die Produktivkraft ihrer
Arbeit, desto grösser die relative Surpluspopulation oder industrielle Reserve-
armee. Die disponible Arbeitskraft wird durch dieselben Ursa-
chen entwickelt, wie die Expansivkraft des Kapitals. Die verhält-
nissmässige Grösse der industriellen Reservearmee wächst also mit den Poten-
zen des Reichthums. Je grösser aber diese Reservearmee im Verhältniss zur
aktiven Arbeiterarmee, desto massenhafter die konsolidirte Surpluspopu-
lation oder die Arbeiterschichten, deren Elend im umgekehrten Verhältniss
zu ihrer Arbeitsqual steht. Je grösser endlich die Lazarusschichte der
Arbeiterklasse und die industrielle Reservearmee, desto grösser der offi-
cielle Pauperismus. Diess ist das absolute, allgemeine Gesetz
der kapitalistischen Accumulation. Es wird gleich allen all-
gemeinen Gesetzen in seiner Verwirklichung durch mannigfache Umstände
modificirt, deren Analyse nicht hierher gehört.
Man begreift die Narrheit der ökonomischen Weisheit, die den Arbeitern
predigt, ihre Zahl den Verwerthungsbedürfnissen des Kapitals
anzupassen. Der Mechanismus der kapitalistischen Produktion und Ac-
cumulation passt sie beständig diesen Verwerthungsbedürfnissen an. Erstes
Wort dieser Anpassung ist die Schöpfung einer relativen Surpluspopulation
oder industriellen Reservearmee, letztes Wort das Elend stets wachsender
Schichten der aktiven Arbeiterarmee und das todte Gewicht des Pauperismus.
Das Gesetz, dass die Entwicklung der gesellschaftlichen Produktiv-
kraft der Arbeit die Masse der zu verausgabenden Arbeitskraft im Verhält-
niss zur Wirkung und Masse ihrer Produktionsmittel progressiv senkt,
drückt sich auf kapitalistischer Grundlage, wo nicht der Arbeiter
die Arbeitsmittel, sondern die Arbeitsmittel den Arbeiter anwenden, darin
aus, dass je höher die Produktivkraft der Arbeit, desto grös-
ser der Druck der Arbeiter auf ihre Beschäftigungsmittel
und desto prekärer die Existenzbedingung des Lohnarbeiters, Verkauf
seiner Arbeitskraft zur Vermehrung des fremden Reichthums oder
Selbstverwerthung des Kapitals. Rascheres Wachsthum der Pro-
duktionsmittel und der Produktivkraft der Arbeit als der
produktiven Bevölkerung drücktsich kapitalistisch um-
gekehrt darin aus, dass die Arbeiterbevölkerung stets rascher
wächst als das Verwerthungsbedürfniss des Kapitals.
Es zeigte sich im vierten Kapitel bei Analyse der Produktion des
relativen Mehrwerths, dass alle Methoden zur Steigerung der gesellschaft-
lichen Produktivkraft der Arbeit in der kapitalistischen Form sich auf
Kosten des individuellen Arbeiters entwickeln, dass alle Mittel zur Berei-
cherung der Produktion in Beherrschungs- und Exploitationsmittel des
Producenten umschlagen, dass sie den Arbeiter in einen Theilmenschen
verstümmeln, ihn zum Anhängsel der Maschine entwürdigen, mit der Qual
der Arbeit ihren Inhalt vernichten, ihm die geistigen Potenzen des Arbeits-
prozesses entfremden, im selben Masse, worin derselbe sich die Wissen-
schaft als selbstständige Potenz einverleibt, die Bedingungen, innerhalb
deren er arbeitet, beständig anormaler machen, ihn während des Arbeits-
prozesses der kleinlichst gehässigen Despotie unterwerfen, seine Lebens-
zeit in Arbeitszeit verwandeln, sein Weib und Kind unter das Juggernaut-
rad des Kapitals schleudern. Aber alle Methoden zur Produktion des Mehr-
werths sind zugleich Methoden der Accumulation und jede Ausdehnung der Ac-
cumulation wird umgekehrt Mittel zur Entwicklung jener Methoden. Es folgt
daher, dass im Masse wie Kapital accumulirt, die Lage des Arbeiters, wel-
ches immer seine Zahlung, sich verschlechtert. Das Gesetz endlich,
welches die relativeSurpluspopulation oder industrielle Re-
servearmee stets mit Umfang und Energie der Accumu-
lation in Gleichgewicht hält, schmiedet den Arbeiter fester an
das Kapital als den Prometheus die Keile des Hephästos an den Felsen.
Es bedingt eine der Accumulation von Kapital entsprechende Ac-
cumulation von Elend. Die Accumulation von Reichthum auf dem
einen Pol ist also zugleich Accumulation von Elend, Arbeitsqual, Skla-
verei, Unwissenheit, Brutalisirung und moralischer Degradation auf dem
Gegenpol, d. h. auf Seite der Klasse, die ihr eignes Produkt als
Kapital producirt.
Dieser antagonistische Charakter der kapitalisti-
schen Accumulation88) ist in verschiedenen Formen von politischen
Oekonomen ausgesprochen, obgleich sie zum Theil zwar analoge, aber
dennoch wesentlich verschiedene Erscheinungen vorkapitalistischer
Produktionsweisen damit zusammenwerfen.
Der venetianische Mönch Ortes, einer der grossen ökonomischen
Schriftsteller des 18. Jahrhunderts, fasst den Antagonismus der kapi-
talistischen Produktion als allgemeines Naturgesetz des
gesellschaftlichen Reichthums. „Das Ökonomisch Gute und ökono-
misch Böse halten sich in einer Nation stets das Gleichgewicht („il bene
ed il male economico in una nazione sempre all’ istessa misura“), die Fülle
der Güter für Einige ist immer gleich dem Mangel derselben für Andre
(„la copia dei beni in alcuni sempre equale alla mancanza di esse in altri“).
Grosser Reichthum in Einigen ist stets begleitet von absoluter Beraubung
des Nothwendigen in viel mehr andern“89). Der Reichthum einer Nation
entspricht ihrer Bevölkerung und ihr Elend entspricht ihrem Reichthum.
Die Arbeitsamkeit in Einigen erzwingt den Müssiggang in Andern.
Die Armen und Müssigen sind eine nothwendige Frucht der Reichen
und Thätigen u. s. w. In ganz grober Weise verherrlichte ungefähr
10 Jahre nach Ortes der hochkirchliche protestantische Pfaffe Town-
send die Armuth als nothwendige Bedingung des Reichthums. „Ge-
setzlicher Zwang zur Arbeit ist verbunden mit zu viel
Mühe, Gewaltsamkeit und Geräusch, während der Hunger nicht nur
ein friedlicher, schweigsamer, unaufhörlicher Druck, sondern als natürlich-
stes Motiv zur Industrie und Arbeit die machtvollste Anstrengung hervor-
ruft.“ Alles kömmt also darauf an, den Hunger unter der Arbeiterklasse
permanent zu machen, und dafür sorgt, nach Townsend, das Bevölkerungs-
princip, das besonders unter den Armen thätig ist. „Es scheint ein
Naturgesetz, dass die Armen zu einem gewissen Grad leichtsinnig
(improvident) sind (nämlich so leichtsinnig auf die Welt zu kommen ohne
goldne Löffel im Mund), so dass stets welche da sind („that there al-
ways may be some“) zur Erfüllung der servilsten, schmutzigsten und ge-
meinsten Funktionen des Gemeinwesens. Der Fonds von menschlichem
Glück („the fonds of human happiness“) wird dadurch sehr vermehrt, die
Delikateren („the more delicate“) sind von der Plackerei befreit und kön-
nen höherem Beruf u. s. w. ungestört nachgehn … Das Armengesetz hat
die Tendenz, die Harmonie und Schönheit, die Symmetrie und Ordnung die-
ses Systems, welches Gott und die Natur in der Welt errichtet
haben, zu zerstören“90). „Der Fortschritt des gesellschaft-
lichen Reichthums“, sagt Storch, „erzeugt jene nützliche
Klasse der Gesellschaft … welche die langweiligsten, gemeinsten
und ekelhaftesten Beschäftigungen ausübt, in einem Wort alles, was das
Leben unangenehmes und knechtendes hat, auf ihre Schultern nimmt und
eben dadurch den andern Klassen die Zeit, die Heiterkeit des Geistes
und die konventionelle (c’est bon!) Charakterwürde ver-
schafft etc.“91). Storch fragt sich, welches denn eigentlich der Vorzug
dieser kapitalistischen Civilisation mit ihrem Elend und ihrer Degradation der
Massen vor der Barbarei? Er findet nur eine Antwort — die Sicher-
heit! „Durch den Fortschritt der Industrie und Wissenschaft,“ sagt
Sismondi, „kann jeder Arbeiter jeden Tag viel mehr produciren als er
zu seinem Konsum braucht. Aber zu gleicher Zeit, während seine Arbeit
den Reichthum producirt, würde der Reichthum, wäre er berufen ihn selbst
zu konsumiren, ihn wenig geeignet zur Arbeit machen“92). „Die armen
Nationen,“ sagt Destutt de Tracy, „sind die, wo das Volk gut dran
ist, und die reichen Nationen sind die, wo es gewöhnlich arm ist“93).
Keine Periode der modernen Gesellschaft ist so günstig für das Stu-
dium der kapitalistischen Accumulation als die Periode der letztver-
flossenen 20 Jahre. Es ist als ob sie den Fortunatussäckel gefunden
hätte. Von allen Ländern aber bietet England wieder das klassische Bei-
spiel, weil es den ersten Rang auf dem Weltmarkt behauptet, die kapita-
listische Produktionsweise hier allein völlig entwickelt ist, und endlich die
Einführung des tausendjährigen Reichs des Freihandels seit 1846 der
Vulgärökonomie den letzten Schlupfwinkel abgeschnitten hat. Der tita-
nische Fortschritt der Produktion, so dass die letzte Hälfte der zwanzig-
jährigen Periode die erste wieder weit überflügelt, ward bereits im vierten
Kapitel hinreichend angedeutet.
Obgleich das absolute Wachsthum der englischen Bevölkerung im
letzten halben Jahrhundert sehr gross war, fiel das verhältnissmäs-
sige Wachsthum oder die Rate des Zuwachses fortwäh-
rend, wie folgende dem officiellen Census entlehnte Tabelle zeigt:
Jährlicher procentmässiger Zuwachs der Bevölkerung
von England und Wales in Decimalzahlen.
Betrachten wir nun andrerseits das Wachsthum des Reichthums.
Den sichersten Anhaltspunkt bietet hier die Bewegung der der Einkommen-
steuer unterworfenen Profite, Grundrenten u. s. w. Der Zuwachs der steuer-
pflichtigen Profite (Pächter und einige andre Rubriken nicht eingeschlos-
sen) betrug für Grossbritanien von 1853—1864 50.47 % (oder 4.58 % im
jährlichen Durchschnitt)94), der der Bevölkerung während der-
selben Periode ungefähr 12 %. Die Zunahme der besteuerbaren Ren-
ten von Land (Häuser, Eisenbahnen, Minen, Fischereien u. s. w. einge-
schlossen) betrug von 1853—1864 38 %, oder 3 % jährlich, woran fol-
gende Rubriken den stärksten Antheil nahmen:
Vergleicht man je vier Jahre der Periode von 1853—1864, so
wächst der Zunahmegrad der Einkommen fortwährend. Er ist z. B.
für die aus Profit stammenden von 1853—1857 jährlich 1.73 %,
1857—1861 jährlich 2.74 %, und 9.30 % jährlich für 1861—1864.
Die Gesammtsumme der der Einkommensteuer unterworfenen Einkommen
des Vereinigten Königreichs betrug 1856: 307,068,898 Pfd. St., 1859:
328,127,416 Pfd. St., 1862: 351,745,241 Pfd. St., 1863: 359,142,897
Pfd. St., 1864: 362,462,279 Pfd. St., 1865: 385,530,020 Pfd. St.96).
Die Accumulation des Kapitals war zugleich von seiner Kon-
centration begleitet. Obgleich keine officielle Agrikulturstatistik für Eng-
land (wohl aber für Irland) existirt, wurde sie von 10 Grafschaften freiwillig
geliefert. Sie ergab hier das Resultat, dass von 1851 bis 1861 die
Pachten unter 100 Acres von 31,583 auf 26,567 vermindert, also 5,016
mit grösseren Pachten zusammengeschlagen waren97). Von 1815 bis
1825 fiel kein Mobiliarvermögen über 1 Million Pfd. St. unter die Erb-
schaftssteuer, von 1825 bis 1855 dagegen 8, von 1856 bis Juni 1859,
d. h. in 4½ Jahren, 498). Die Koncentration wird man jedoch am besten
ersehn aus einer kurzen Analyse der Einkommensteuer für Rubrik D
(Profite mit Ausschluss von Pächtern u. s. w.) in den Jahren 1864 und
1865. Ich bemerke vorher, dass Einkommen aus dieser Quelle bis zu
60 Pfd. St. hinab Income Taxe zahlen. Diese steuerpflichtigen Ein-
kommen betrugen in England, Wales und Schottland 1864: 95,844,222
Pfd. St. und 1865: 105,435,579 Pfd. St.99), die Zahl der Be-
steuerten 1864 : 308,416 Personen auf eine Gesammtbevölkerung von
23,891,009, 1865 : 332,431 Personen auf Gesammtbevölkerung von
24,127,003. Ueber die Vertheilung dieser Einkommen in beiden Jahren
folgende Tabelle:
Es wurden im Vereinigten Königreich 1855 producirt 61,453,079
Tonnen Kohlen zum Werth von 16,113,267 Pfd. St., 1864 :
92,787,873 Tonnen zum Werth von 23,197,968 Pfd. St., 1855 :
3,218,154 Tonnen Roheisen zum Werth von 8,045,385 Pfd. St.,
1864: 4,767,951 Tonnen zum Werth von 11,919,877 Pfd. St.
1854 betrug die Länge der im Vereinigten Königreich eröffneten Eisen-
bahnen 8054 Meilen, mit aufgezahltem Kapital von 286,068,794 Pfd. St.,
1864 die Meilenlänge 12,789 mit aufgezahltem Kapital von 425,719,613
Pfd. St. 1854 betrug Gesammtexport und Import des Vereinigten
Königreichs 268,210,145 Pfd. St., 1865: 489,923,285. Folgende
Tabelle zeigt die Bewegung des Exports:
Man begreift, nach diesen wenigen Angaben, den Triumphschrei des
Generalregistrators des brit. Volks: „Rasch wie die Bevölkerung
anwuchs, hat sie nicht Schritt gehalten mit dem Fortschritt der
Industrie und des Reichthums“101). Wenden wir uns jetzt zu den
unmittelbaren Agenten dieser Industrie oder den Producenten dieses Reich-
thums, zur Arbeiterklasse. „Es ist einer der melancholischsten Charak-
terzüge im socialen Zustand des Landes“, sagt Gladstone, „dass mit einer
Abnahme in der Konsumtionsmacht des Volks und einer Zunahme in den
Entbehrungen und dem Elend der arbeitenden Klasse, gleichzeitig eine
beständige Accumulation von Reichthum in den höheren Klassen und ein
beständiger Anwachs von Kapital stattfinden“102). Der berühmte Mini-
ster erklärte diess dem Hause der Gemeinen am 14. Februar 1843. Am
16. April 1863, zwanzig Jahre später, in der Rede, worin er sein Budget
vorlegt: „Von 1842 bis 1852 wuchs das besteuerbare Einkommen dieses
Landes um 6 % … In den 8 Jahren von 1853 bis 1861 wuchs es, wenn
wir von der Basis von 1853 ausgehn, um 20 %. Die Thatsache ist so
erstaunlich, dass sie beinahe unglaublich ist … Diese berauschende
Vermehrung von Reichthum und Macht ist ganz und gar auf
die Klassen des Eigenthums beschränkt, aber … aber, sie
muss von indirektem Vortheil für die Arbeiterbevölkerung sein,
weil sie die Artikel der allgemeinen Konsumtion verwohlfeilert —
während die Reichen reicher, sind die Armen jedenfalls weniger arm ge-
worden. Dass die Extreme der Armuth sich verändert
haben, wage ich nicht zu sagen“103). Welch lahmer Antiklimax!
Wenn die Arbeiterklasse „arm“ geblieben ist, nur „weniger arm“ im Ver-
haltniss, worin sie eine „berauschende Vermehrung von Reichthum und
Macht“ für die Klasse des Eigenthums producirte, so ist sie relativ gleich
arm geblieben. Wenn die Extreme der Armuth sich nicht vermin-
dert haben, haben sie sich vermehrt, weil die Extreme des Reichthums.
Was die Verwohlfeilerung der Lebensmittel betrifft, so zeigt die
officielle Statistik, z. B. die Angaben des London Orphan Asylum,
eine Vertheurung von 20 % für den Durchschnitt der drei Jahre von
1860—1862, verglichen mit 1851—1853. In den folgenden 3 Jahren
1863—1865 progressive Vertheurung von Fleisch, Butter, Milch, Zucker,
Salz, Kohlen und einer Masse andrer nothwendiger Lebensmittel104).
Gladstone’s folgende Budgetrede, vom 7. April 1864, ist ein pindarischer
Dithyrambus auf den Fortschritt der Plusmacherei und das durch „Ar-
muth“ gemässigte Glück des Volks. Er spricht von Massen „am Rand
des Pauperismus“, von den Geschäftszweigen, „worin der Lohn nicht
gestiegen“, und fasst schliesslich das Glück der Arbeiterklasse zusammen
in den Worten: „das menschliche Leben ist in neun Fällen von 10 ein
blosser Kampf um die Existenz“105). Professor Fawcett, nicht wie
Gladstone durch officielle Rücksicht gebunden, erklärt rund heraus: „Ich
läugne natürlich nicht, dass der Geldlohn mit dieser Vermehrung des Ka-
pitals (in den letzten Decennien) gestiegen ist, aber dieser scheinbare Vor-
theil geht in grossem Umfang wieder verloren, weil viele Lebensnothwen-
digkeiten beständig theurer werden (er glaubt, wegen Werthfall der edlen
Metalle) … Die Reichen werden rasch reicher („the rich grow rapidly
richer“), während keine Zunahme im Komfort der arbeitenden Klassen
wahrnehmbar ist … Die Arbeiter werden fast Sklaven der Krämer,
deren Schuldner sie sind“106).
Der Leser hat in den Abschnitten über den „Arbeitstag“ und die „Ma-
schinerie“ die Bedingungen kennen gelernt, unter welchen die britische
Arbeiterklasse während der letzten Decennien die „berauschende Ver-
mehrung von Reichthum und Macht“ für die Klassen des Eigenthums pro-
„Voilà l’homme en effet. Il va du blanc au noir.
Il condamne au matin ses sentimens du soir.
Importun à tout autre, à soi même incommode,
Il change à tous momens d’esprit comme de mode.“
(„The Theory of Exchanges etc. Lond. 1864“, p. 135.)
ducirt hat. Jedoch beschäftigte uns damals vorzugsweise der Arbeiter
innerhalb des Produktionsprozesses selbst. Zur gründlichen Einsicht
in das Gesetz der kapitalistischen Accumulation ist es nöthig einen Augen-
blick bei der Lage des Arbeiters ausserhalb jenes Prozesses, bei seinen
Nahrungs- und Wohnungszuständen zu verweilen. Die Grenze dieses
Buchs gebietet mir hier namentlich den schlechtbezahlten Theil der
industriellen Arbeiter und den Agrikulturarbeiter ins Auge zu fassen,
welche zusammen die Majorität der Arbeiterklasse bilden107).
Vorher noch ein Wort über den officiellen Pauperismus,
d. h. den Theil der Arbeiterklasse, der seine Existenzbedingung, Verkauf
der Arbeitskraft, eingebüsst hat und von öffentlichem Almosen vegetirt.
Die officielle Pauperliste zählte in England108) 1855: 851,369 Per-
sonen, 1856: 877,767, 1865: 971,433. In Folge der Baumwoll-
noth schwoll sie in den Jahren 1863 und 1864 zu 1,079,382 und
1,014,978. Die Krise von 1866, die London am schwersten traf, schuf
in diesem Sitz des Weltmarkts, einwohnerreicher als das Königreich Schott-
land, für 1866 einen Pauperzuwachs um 19.5 %, verglichen mit 1865,
und um 24.4 %, verglichen mit 1864, einen noch grössern Zu-
wachs für die ersten Monate von 1867, verglichen mit 1866. Bei
Analyse der Pauperstatistik sind zwei Punkte hervorzuheben. Einerseits
spiegelt die Bewegung im Ab und Zu der Paupermasse die Perioden-
wechsel des industriellen Cyklus wieder. Andrerseits wird die offi-
cielle Pauperstatistik ein mehr und mehr trüglicher Index des wirk-
lichen Pauperismus im Grad, worin mit der Accumulation des Kapitals der
Klassenkampf und daher das Selbstgefühl der Arbeiter sich entwickeln.
Z. B. die Barbarei in der Behandlung der Paupers, worüber die englische
Presse (Times, Pall Mall Gazette u. s. w.) während der letzten
zwei Jahre so laut schrie, ist alten Datums. F. Engels konstatirt
1844 ganz dieselben Greuel und ganz dasselbe vorübergehende, zur „Sen-
sationliteratur“ gehörige Geschrei. Aber die furchtbare Zunahme des
Hungertods („deaths of starvation“) in London, während des letzten De-
cenniums, beweist unbedingt den zunehmenden Abscheu der Arbeiter vor
der Sklaverei des Workhouse, dieser Strafanstalt des Elends.
Wenden wir uns jetzt zu den schlechtbezahlten Schichten der indu-
striellen Arbeiterklasse. Während der Baumwollnoth, 1862, wurde
Dr. Smith vom Privy Council mit einer Untersuchung über den
Nahrungsstand der verkümmernden Baumwollarbeiter in Lancashire und
Cheshire beauftragt. Langjährige frühere Beobachtung hatte ihn zum
Resultat geführt, dass „um Hungerkrankheiten („starvation
diseases“) zu vermeiden“, die tägliche Nahrung eines Durchschnitts-
Frauenzimmers mindestens 3,900 Gran Kohlenstoff mit 180 Gran Stick-
stoff enthalten müsse, die tägliche Nahrung eines Durchschnitts-Mannes
mindestens 4,300 Gran Kohlenstoff mit 200 Gran Stickstoff, für die
Frauenzimmer ungefähr so viel Nahrungsstoff als in zwei Pfund gutem Wei-
zenbrod enthalten ist, für Männer ⅑ mehr, für den Wochendurchschnitt
von weiblichen und männlichen Erwachsnen, mindestens 28,600 Gran
Kohlenstoff und 1330 Gran Stickstoff. Seine Berechnung ward in über-
raschender Weise praktisch dadurch bestätigt, dass sie im Ganzen über-
einstimmte mit der kümmerlichen Nahrungsmenge, worauf der Nothstand
die Konsumtion der Baumwollarbeiter herabgedrückt hatte. Sie erhielten
im December 1862: 29,211 Gran Kohlenstoff und 1295 Gran Stickstoff
wöchentlich.
Im Jahre 1863 verordnete der Privy Council eine Untersuchung
über den Nothstand des schlechtgenährtesten Theils der englischen Arbei-
terklasse. Dr. Simon, der ärztliche Beamte des Privy Council, er-
kieste zu dieser Arbeit den obenerwähnten Dr. Smith. Seine Unter-
suchung erstreckt sich auf die Agrikulturarbeiter einerseits, andrerseits
auf Seidenweber, Nätherinnen, Lederhandschuhmacher, Strumpfwirker,
Handschuhweber und Schuster. Die letzteren Kategorieen sind, mit Aus-
nahme der Strumpfwirker, ausschliesslich städtisch. Es wurde zur Regel der
Untersuchung gemacht, die gesundesten und relativ bestgestellten Familien
in jeder Kategorie auszuwählen.
Als allgemeines Resultat ergab sich, dass „nur in einer der unter-
suchten Klassen der städtischen Arbeiter die Zufuhr von Stickstoff das
absolute Minimalmass, unter welchem Hungerkrankheiten eintreten,
ein wenig überschritt, dass in zwei Klassen Mangel, und zwar in der
einen sehr grosser Mangel, sowohl an der Zufuhr von stickstoff- als
kohlenstoffhaltiger Nahrung stattfand, dass von den untersuchten Acker-
baufamilien mehr als ein Fünftheil weniger als die unentbehrliche Zufuhr
von kohlenstoffhaltiger Nahrung erhielt, mehr als ⅓ weniger als die un-
entbehrliche Zufuhr stickstoffhaltiger Nahrung, und dass in drei Grafschaf-
ten (Berkshire, Oxfordshire und Somersetshire) Mangel an dem Minimum
der stickstoffhaltigen Nahrung durchschnittlich herrschte“109). Unter den
Agrikulturarbeitern waren die von England, dem reichsten Theile des Ver-
einigten Königreichs, die schlechtest genährten110). Die Unternahrung
fiel unter den Landarbeitern überhaupt hauptsächlich auf Frau und Kin-
der, denn „der Mann muss essen, um sein Werk zu verrichten“. Noch
grösserer Mangel wüthete unter den untersuchten städtischen Arbeiter-
kategorieen. „Sie sind so schlecht genährt, dass viele Fälle grausamer
und gesundheitsruinirender Entbehrung („Entsagung“ des Kapita-
listen alles diess! nämlich Entsagung auf Zahlung der zur blossen
Vegetation seiner Hände unentbehrlichen Lebensmittel!) vorkommen
müssen“111).
Folgende Tabelle zeigt das Verhältniss des Nahrungsstandes der oben
erwähnten rein städtischen Arbeiterkategorieen zu dem von Dr. Smith
angenommenen Minimalmass und zum Nahrungsmass der Baumwollarbeiter
während der Zeit ihrer grössten Noth:
Eine Hälfte, , der untersuchten industriellen Arbeiterkategorieen
erhielt absolut kein Bier, 28 % keine Milch. Der Wochendurchschnitt
der flüssigen Nahrungsmittel in den Familien schwankte von 7 Unzen bei
den Nätherinnen auf 24¾ Unzen bei den Strumpfwirkern. Die Mehrzahl
derer, die keine Milch erhielten, bestand aus den Nätherinnen von
London. Die Quantität der wöchentlich konsumirten Brodstoffe wechselte
von 7¾ Pfund bei den Nätherinnen zu 11¼ Pfund bei den Schustern
und ergab einen Totaldurchschnitt von 9.9 Pfund wöchentlich auf den Er-
wachsenen. Zucker (Syrup u. s. w.) wechselte von 4 Unzen wöchentlich
für die Lederhandschuhmacher auf 11 Unzen für Strumpfwirker; der Total-
durchschnitt per Woche für alle Kategorieen, per Erwachsenen, 8 Unzen.
Gesammter Wochendurchschnitt von Butter (Fett u. s. w.) 5 Unzen per
Erwachsenen. Der Wochendurchschnitt von Fleisch (Speck u. s. w.)
schwankte, per Erwachsenen, von 7¼ Unzen bei den Seidenwebern auf 18¼
Unzen bei den Lederhandschuhmachern; Gesammtdurchschnitt für die
verschiedenen Kategorieen 13.6 Unzen. Die wöchentliche Kost
für Nahrung per Erwachsenen ergab folgende allgemeine Durch-
schnittszahlen: Seidenweber 2 sh. 2½ d., Nätherinnen 2 sh.
7 d., Lederhandschuhmacher 2 sh. 9½ d., Schuster 2 sh.
7¾ d., Strumpfwirker 2 sh. 6¼ d. Für die Seidenweber von
Macclesfield betrug der Wochendurchschnitt nur 1 sh. 8½ d. Die
schlecht genährtesten Kategorieen waren die Nätherinnen, die Seidenweber
und die Lederhandschuhmacher113).
Dr. Simon sagt in seinem allgemeinen Gesundheitsbericht über
diesen Nahrungszustand: „Dass die Fälle zahllos sind, worin Nah-
rungsmangel Krankheiten erzeugt oder erschwert, wird Jeder bestä-
tigen, der mit medizinischer Armenpraxis oder mit den Patienten der
Spitäler, seien sie Insassen oder ausserhalb wohnend, vertraut ist …
Jedoch kommen hier vom sanitären Standpunkt noch andre, sehr entschei-
dende Umstände hinzu … Man muss sich erinnern, dass Beraubung an
Nahrungsmitteln nur sehr widerstrebsam ertragen wird, und dass in der
Regel grosse Dürftigkeit der Diät nur im Gefolge andrer, vorhergegangner
Entbehrungen nachhinkt. Lange bevor der Nahrungsmangel hygienisch
ins Gewicht fällt, lange bevor der Physiolog daran denkt, die Grane Stick-
stoff und Kohlenstoff zu zählen, zwischen denen Leben und Hungertod
schwebt, wird der Haushalt von allem materiellen Komfort ganz und gar
entblösst sein. Kleidung und Heizung werden noch dürftiger gewesen
sein als die Speise. Kein hinreichender Schutz wider die Härte des Wet-
ters; Abknappung des Wohnraums zu einem Grad, der Krankheiten er-
zeugt oder erschwert; kaum eine Spur von Hausgeräth oder Möbeln; die
Reinlichkeit selbst wird kostspielig oder schwierig geworden sein. Werden
noch aus Selbstachtung Versuche gemacht, sie aufrecht zu erhalten, so
repräsentirt jeder solcher Versuch zuschüssige Hungerpein. Die Häus-
lichkeit wird dort sein, wo Obdach am wohlfeilsten kaufbar; in Quartieren,
wo die Gesundheitspolizei die geringste Frucht trägt, das jämmerlichste
Gerinne, wenigster Verkehr, der meiste öffentliche Unrath, kümmerlichste
oder schlechteste Wasserzufuhr, und, in Städten, grösster Mangel an Licht
und Luft. Diess sind die Gesundheitsgefahren, denen die Armuth unver-
meidlich ausgesetzt ist, wenn diese Armuth Nahrungsmangel einschliesst.
Wenn die Summe dieser Uebel von furchtbarer Grösse für das Leben ist,
so ist der blosse Nahrungsmangel an sich selbst entsetzlich … Diess sind
qualvolle Gedanken, namentlich wenn man sich erinnert, dass die Armuth,
wovon es sich handelt, nicht die selbstverschuldete Armuth des Müssig-
gangs ist. Es ist die Armuth von Arbeitern. Ja, mit Bezug auf die
städtischen Arbeiter, ist die Arbeit, wodurch der knappe Bissen Nahrung
erkauft wird, meist über alles Mass verlängert. Und dennoch kann man
nur in sehr bedingtem Sinn sagen, dass diese Arbeit selbsterhaltend ist.
… Auf sehr grossem Massstab kann der nominelle Selbsterhalt nur ein
kürzerer oder längerer Umweg zum Pauperismus sein“114).
Das innere Band zwischen Hungerpein der fleissigsten Arbeiter-
schichten und kapitalistischer Accumulation, nebst dem sie begleitenden
groben oder raffinirten Ueberkonsum der Reichen, diess Band, sage ich,
sieht nur der Kenner der ökonomischen Gesetze. Anders mit dem Woh-
nungszustand. Jeder unbefangne Beobachter sieht, dass je mas-
senhafter die Koncentration der Produktionsmittel, desto grösser die
entsprechende Agglomeration von Arbeitern auf geringem Raum,
dass daher je rascher die kapitalistische Accumulation, desto elender der
Wohnungszustand der Arbeiter. Jeder sieht, dass die das Wachsthum
des Reichthums begleitenden Verbesserungen der Städte (improve-
ments) durch Niederreissung der schlechtgebauten Viertel, Errichtung von
Palästen für Banken, Waarenhäuser u. s. w., Dehnung der Strassen für
Geschäftsverkehr und Luxuskarossen, Einführung städtischer Eisenbahnen
u. s. w. mit Verjagung der Armen in stets schlechtere und dichter gefüllte
Schlupfwinkel verknüpft sind. Andrerseits weiss jeder, dass die Theuer-
keit der Wohnungen im umgekehrten Verhältniss zu ihrer Güte steht und
dass die Minen des Elends von Spekulanten mit mehr Profit und weniger
Kosten ausgebeutet werden als jemals die Minen von Potosi. Der antago-
nistische Charakter der kapitalistischen Accumulation und daher der ka-
pitalistischen Eigenthumsverhältnisse überhaupt115) wird
hier so handgreifbar, dass selbst die officiellen englischen Berichte über
diesen Gegenstand voll heterodoxer Ausfälle auf das „Eigenthum und
seine Rechte sind“. Das Uebel hielt solchen Schritt mit der Entwicklung der
Industrie, der Accumulation des Kapitals, dem Wachsthum und der „Ver-
schönerung“ der Städte, dass die blosse Furcht vor ansteckenden Krank-
heiten, welche auch der „Ehrbarkeit“ nicht schonen, von 1847 bis 1864
nicht weniger als 10 gesundheitspolizeiliche Parlamentsakte ins Leben
rief, und dass die erschreckte Bürgerschaft in einigen Städten wie Liver-
pool, Glasgow u. s. w. durch ihre Municipalitäten eingriff. Dennoch, ruft
Dr. Simon in seinem Bericht von 1865: „Allgemein zu sprechen, sind
die Uebelstände in England unkontrolirt.“ Auf Befehl des Privy Coun-
cil fand 1864 Untersuchung über die Wohnungsverhältnisse der Land-
arbeiter, 1865 über die der ärmeren Klassen in den Städten statt. Die
meisterhaften Arbeiten des Dr. Julian Hunter findet man im sie-
benten (1865) und achten (1866) Bericht über „Public Health“. Auf
die Landarbeiter komme ich später. Ueber den städtischen Wohnungs-
zustand schicke ich eine allgemeine Bemerkung des Dr. Simon voraus:
„Obgleich mein officieller Gesichtspunkt“, sagt er, „ausschliesslich
physisch ist, erlaubt die gewöhnlichste Humanität nicht die andre Seite
dieses Uebels zu ignoriren. In seinem höheren Grad bedingt es fast noth-
wendig eine solche Negation aller Delikatesse, so schmutzige Konfusion
von Körpern und körperlichen Verrichtungen, solche Blossstellung ge-
schlechtlicher Nacktheit, die bestial, nicht menschlich sind. Diesen Ein-
flüssen unterworfen zu sein ist eine Degradation, die sich vertieft, je länger
sie fortwirkt. Für die Kinder, die unter diesem Fluch geboren sind, ist er
Taufe in Infamie („baptism into infamy“). Und über alles
Mass hoffnungslos ist der Wunsch, dass unter solche Umstände gestellte
Personen in andern Rücksichten nach jener Atmosphäre der Civilisation
aufstreben sollten, die ihr Wesen in physischer und moralischer Reinheit
besitzt“116).
Den ersten Rang in überfüllten oder auch für menschliche Behausung
absolut unmöglichen Wohnlichkeiten nimmt London ein. „Zwei Punkte“,
sagt Dr. Hunter, „sind sicher; erstens, dass es ungefähr 20 grosse
Kolonieen in London giebt, jede ungefähr 10,000 Personen stark, deren
elende Lage alles übersteigt, was jemals anderswo in England gesehn
worden ist, und sie ist fast ganz das Resultat ihrer schlechten Hausaccom-
modation; und zweitens, dass der überfüllte und verfallene Zustand der
Häuser dieser Kolonieen viel schlechter ist als 20 Jahre zu-
vor“117). „Es ist nicht zu viel zu sagen, dass das Leben in vielen
Theilen von London und Newcastle infernal ist“118).
Auch der besser gestellte Theil der Arbeiterklasse, zusammt
Kleinkrämern und andern Elementen der kleinen Mittelklasse, fällt in
London mehr und mehr unter den Fluch dieser nichtswürdigen Behausungsver-
hältnisse, im Masse, wie die „Verbesserungen“ und mit ihnen die Niederreis-
sung alter Strassen und Häuser fortschreiten, wie Fabriken und Menschenzu-
strom in der Metropole wachsen, endlich die Hausmiethen mit der städtischen
Grundrente steigen. „Die Hausmiethen sind so übermässig geworden, dass
wenige Arbeiter mehr als ein Zimmer zahlen können“119). Es giebt fast kein
Londoner Hauseigenthum, das nicht mit einer Unzahl von „middlemen“ be-
lastet wäre. Der Preis des Bodens in London steht nämlich stets sehr
hoch im Vergleich zu seinen jährlichen Einkünften, indem jeder Käufer
darauf spekulirt früher oder später zu einem Jury Price (durch Geschworne
festgesetzte Taxe bei Expropriationen) wieder loszuschlagen oder durch
Nähe irgend eines grossen Unternehmens ausserordentliche Wertherhöhung
zu erschwindeln. Folge davon ist ein regelmässiger Handel im Ankauf
von Miethkontrakten, die ihrem Verfall nahen. „Von den Gentlemen in
diesem Geschäft kann man erwarten, dass sie handeln, wie sie handeln,
so viel wie möglich aus den Hausbewohnern herausschlagen, und das Haus
selbst in so schlechtem Zustand wie möglich ihren Nachfolgern über-
lassen“120). Die Miethen sind wöchentlich und die Herren laufen kein
Risico. In Folge der Eisenbahnbauten innerhalb der Stadt „sah man kürz-
lich im Osten Londons eine Anzahl aus ihren alten Wohnungen verjagter
Familien umherwandern eines Samstags Abends mit ihren wenigen welt-
lichen Habseligkeiten auf dem Rücken, ohne irgend einen Haltplatz ausser
dem Workhouse“121). Die Workhouses sind bereits überfüllt und die vom
Parlament bereits bewilligten „improvements“ sind erst im Beginn ihrer
Ausführung. Werden die Arbeiter verjagt durch Zerstörung ihrer alten
Häuser, so verlassen sie nicht ihr Kirchspiel, oder siedeln sich höchstens an
seiner Grenze, im nächsten fest. „Sie suchen natürlich möglichst in der
Nähe ihrer Arbeitslokale zu hausen. Folge, dass an die Stelle von zwei Zim-
mern, eins die Familie aufnehmen muss. Selbst zu erhöhter Miethe
wird die Wohnlichkeit schlechter als die schlechte, woraus man sie ver-
jagt. Die Hälfte der Arbeiter im Strand braucht bereits zwei Meilen
Reise zum Arbeitslokal.“ Dieser Strand, dessen Hauptstrasse auf den Frem-
den einen imposanten Eindruck vom Reichthum Londons macht, kann als
Beispiel der Londoner Menschenverpackung dienen. In einer Pfarrei des-
selben zählte der Gesundheitsbeamte 581 Personen auf den Acre, obgleich
die Hälfte der Themse mit eingemessen war. Es versteht sich von selbst,
dass jede gesundheitspolizeiliche Massregel, die, wie das bisher in London
der Fall, durch Niederschleifen untauglicher Häuser die Arbeiter aus einem
Viertel verjagt, nur dazu dient sie in ein andres desto dichter zusammen
zu drängen. „Entweder“, sagt Dr. Hunter, „muss die ganze Proce-
dur als eine Abgeschmacktheit nothwendig zum Stillstand kommen, oder
die öffentliche Sympathie(!) muss erwachen für das, was man jetzt ohne
Uebertreibung eine nationale Pflicht nennen kann, nämlich Obdach
für Leute zu verschaffen, welche aus Mangel an Kapital sich selbst
keins verschaffen können, obgleich sie durch periodische Zahlung die Ver-
miether belohnen können“122). Man bewundre die kapitalistische Justiz!
Der Grundeigenthümer, Hauseigner, Geschäftsmann, wenn expropriirt durch
„improvements“, wie Eisenbahnen, Neubau der Strassen u. s. w., erhält
nicht nur volle Entschädigung. Er muss für seine erzwungne „Ent-
sagung“ von Gott und Rechtswegen obendrein noch durch einen erklecklichen
Profit getröstet werden. Der Arbeiter wird mit Frau und Kind und Habe
aufs Pflaster geworfen und — wenn er zu massenhaft nach Stadtvierteln
drängt, wo die Municipalität auf Anstand hält, gesundheitspolizei-
lich verfolgt!
Ausser London gab es Anfang des 19. Jahrhunderts keine einzige
Stadt in England, die 100,000 Einwohner zählte. Nur 5 zählten mehr
als 50,000. Jetzt existiren 28 Städte mit mehr als 50,000 Einwohnern.
„Das Resultat dieses Wechsels war nicht nur enormer Zuwachs der städti-
schen Bevölkerung, sondern die alten dichtgepackten kleinen Städte sind
nun Centra, die von allen Seiten umbaut sind, nirgendwo mit freiem Luft-
zutritt. Da sie für die Reichen nicht länger angenehm sind, werden sie von
ihnen für die amüsanteren Vorstädte verlassen. Die Nachfolger dieser Rei-
chen beziehn die grösseren Häuser, eine Familie, oft noch mit Untermiethern,
für jedes Zimmer. So ward eine Bevölkerung gedrängt in Häuser,
nicht für sie bestimmt, und wofür sie durchaus unpassend, mit einer Um-
gebung, die wahrhaft erniedrigend für die Erwachsnen und ruinirend für die
Kinder ist“123). Je rascher das Kapital in einer industriellen oder com-
merciellen Stadt accumulirt, um so rascher der Zustrom des exploitablen
Menschenmaterials, um so elender die improvisirten Wohnlichkeiten der
Arbeiter. Newcastle-upon-Tyne, als Centrum eines fortwährend
ergiebigeren Kohlen- und Bergwerksbaudistrikts, behauptet daher nach
London die zweite Stelle in dem Wohnungsinferno. Nicht minder als
34,000 Menschen hausen dort in Einzelkammern. In Folge absoluter
Gemeinschädlichkeit sind kürzlich in Newcastle und Gateshead Häuser in
bedeutender Anzahl von Polizei wegen zerstört worden. Der Bau der neuen
Häuser geht sehr langsam voran, das Geschäft sehr rasch. Die Stadt war
daher 1865 überfüllter als je zuvor. Kaum eine einzelne Kammer war
zu vermiethen. Dr. Embleton vom Newcastle Fieberhospital sagt:
„Ohne allen Zweifel liegt die Ursache der Fortdauer und Verbreitung des
Typhus in der Ueberhäufung menschlicher Wesen und der Unreinlichkeit
ihrer Wohnungen. Die Häuser, worin die Arbeiter häufig leben, liegen
in abgeschlossnen Winkelgassen und-Höfen. Sie sind mit Bezug auf Licht,
Luft, Raum und Reinlichkeit wahre Muster von Mangelhaftigkeit und Un-
gesundheit, eine Schmach für jedes civilisirte Land. Dort liegen Männer,
Weiber und Kinder des Nachts zusammengehudelt. Was die Männer an-
geht, folgt die Nachtreihe der Tagesreihe in ununterbrochenem Strom, so
dass die Betten kaum Zeit zur Abkühlung finden. Die Häuser sind
schlecht mit Wasser versehn und schlechter mit Abtritten, unfläthig, un-
ventilirt, pestilenzialisch“124). Der Wochenpreis solcher Löcher steigt
von 8 d. zu 3 sh. „Newcastle-upon-Tyne“, sagt Dr. Hunter, „bietet das
Beispiel eines der schönsten Stämme unsrer Landsleute, der durch die
äussern Umstände von Behausung und Strasse oft in eine beinah wilde
Degradation versunken ist“125).
In Folge des Hin- und Herwogens von Kapital und Arbeit mag der
Wohnungszustand einer industriellen Stadt heute erträglich sein, morgen
ist er abominabel. Oder die städtische Aedilität mag endlich sich aufge-
rafft haben zur Beseitigung der ärgsten Missstände. Morgen wandert
ein Heuschreckenschwarm von verlumpten Irländern oder verkommenen
englischen Agrikulturarbeitern ein. Man steckt sie weg in Keller und
Speicher oder verwandelt das früher respektable Arbeiterhaus in ein Logis,
worin das Personal so rasch wechselt wie die Einquartirung während des
dreissigjährigen Kriegs. Beispiel: Bradford. Dort war der Municipal-
philister eben mit Stadtreform beschäftigt. Zudem gab es daselbst 1861
noch 1751 unbewohnte Häuser. Aber nun das gute Geschäft, worüber der
sanft liberale Herr Forster, der Negerfreund, jüngst so artig gekräht hat.
Mit dem guten Geschäft natürlich Ueberfluthung von den Wellen der stets
wogenden „Reservearmee“ oder „relativen Surpluspopulation“. Die scheuss-
lichen Kellerwohnungen und Kammern, in der Note beschrieben126) durch
eine dem Dr. Hunter vom Agenten einer Assekuranzgesellschaft ausgefer-
tigte Liste, waren meist von gutbezahlten Arbeitern bewohnt. Sie er-
klärten, sie würden gern bessere Wohnungen zahlen, wenn sie zu haben
wären. Unterdess verlumpen und verkranken sie mit Mann und Maus,
während der sanftliberale Forster, M P., Thränen vergiesst über die
Segnungen des Freihandels und die Profite der eminenten Bradforder
Köpfe, die in Worsted machen. Im Bericht vom 5. September 1865
erklärt Dr. Bell, einer der Armenärzte von Bradford, die furchtbare
Sterblichkeit der Fieberkranken seines Bezirks aus ihren Wohnungsver-
hältnissen: „In einem Keller von 1500 Kubikfuss wohnen 10 Perso-
nen … Die Vincentstrasse, Green Air Place und the Leys bergen 223
Häuser mit 1450 Einwohnern, 435 Betten und 36 Abtritten … Die
Betten, und darunter verstehe ich jede Rolle von schmutzigen Lumpen oder
Handvoll von Hobelspänen, halten jedes per Durchschnitt 3.3 Personen,
manches 4 und 6 Personen. Viele schlafen ohne Bett auf nacktem Boden
in ihren Kleidern, junge Männer und Weiber, verheirathet und unverhei-
rathet, alles kunterbunt durch einander. Ist es nöthig hinzuzufügen, dass
diese Hausungen meist dunkle, feuchte, schmutzige Stinkhöhlen sind, ganz
und gar unpassend für menschliche Wohnung? Es sind die Centra,
wovon Krankheit und Tod ausgehn und ihre Opfer auch unter den
Gutgestellten („of good circumstances“) packen, welche diesen Pest-
beulen erlaubt haben in unsrer Mitte zu eitern“127).
Bristol behauptet den dritten Rang nach London im Wohnungs-
elend. „Hier, in einer der reichsten Städte Europa’s, grösster Ueberfluss
an baarster Armuth („blank poverty“) und häuslicher Misère“128).
Wir wenden uns nun zu einer Wandervölkerung, deren Quelle
ländlich, deren Beschäftigung grossentheils industriell ist. Es ist die leichte
Infanterie des Kapitals, je nach seinem Bedürfniss bald auf diesen
Punkt geworfen, bald auf jenen. Wenn nicht auf dem Marsch, „campirt“
sie. Die Wanderarbeit wird verbraucht für verschiedne Bau- und Draini-
rungsoperationen, Backsteinmachen, Kalkbrennen, Eisenbahnen u. s. w.
Eine wandelnde Säule der Pestilenz importirt sie in die Orte, in deren
Nachbarschaft sie ihr Lager aufschlägt, Pocken, Typhus, Cholera, Schar-
lachfieber u. s. w.129). In Unternehmen von bedeutender Kapitalauslage,
wie Eisenbahnbau u. s. w., liefert meist der Unternehmer selbst seiner
Armee Holzhütten oder dgl., improvisirte Dörfer ohne alle Gesundheits-
vorkehrung, jenseits der Kontrole der Lokalbehörden, sehr profitlich für
den Herrn Contractor, der die Arbeiter doppelt ausbeutet, als Industrie-
soldaten und als Miether. Je nachdem die Holzhütte 1, 2 oder 3 Löcher
enthält, hat ihr Insasse, Erdarbeiter u. s. w., 1, 3, 4 sh. wöchentlich zu
zahlen130). Ein Beispiel genüge. Im September 1864, berichtet
Dr. Simon, ging dem Minister des Innern, Sir George Grey, folgende
Denunciation Seitens des Vorstehers des Nuisance Removal Com-
mittee der Pfarrei von Sevenoaks zu: „Pocken waren dieser Pfarrei fast
ganz unbekannt bis etwa vor 12 Monaten. Kurz vor dieser Zeit wurden Ar-
beiten für eine Eisenbahn von Lewisham nach Tunbridge eröffnet. Aus-
serdem dass die Hauptarbeiten in der unmittelbaren Nachbarschaft dieser
Stadt ausgeführt wurden, ward hier auch das Hauptdepot des ganzen Werks
errichtet. Grosse Personenzahl daher hier beschäftigt. Da es unmöglich
war sie alle in Cottages unterzubringen, liess der Contractor, Herr Jay,
längst der Linie der Bahn auf verschiednen Punkten Hütten aufschlagen
zur Behausung der Arbeiter. Diese Hütten besassen weder Ventilation
noch Abzugsgerinne und waren ausserdem nothwendig überfüllt, weil jeder
Miether andre Logirer aufnehmen musste, wie zahlreich immer seine eigne
Familie, und obgleich jede Hütte nur zweizimmerig. Nach dem ärzt-
lichen Bericht, den wir erhielten, war die Folge, dass diese armen Leute
zur Nachtzeit alle Qualen der Erstickung zu erdulden hatten, zur Vermei-
dung der pestilenzialischen Dünste von dem schmutzigen stehenden Wasser
und den Abtritten dicht unter den Fenstern. Endlich wurden unsrem
Comité Klagen eingehändigt von einem Arzte, der Gelegenheit hatte
diese Hütten zu besuchen. Er sprach über den Zustand dieser s. g.
Wohnlichkeiten in den bittersten Ausdrücken und befürchtete sehr ernst-
hafte Folgen, falls nicht einige Gesundheitsvorkehrungen getroffen wür-
den. Ungefähr vor einem Jahr verpflichtete sich p. p. Jay ein Haus ein-
zurichten, wohin die von ihm beschäftigten Personen, beim Ausbruch an-
steckender Krankheiten, sofort entfernt werden sollten. Er wiederholte
diess Versprechen Ende letzten Juli’s, that aber nie den geringsten Schritt
zur Ausführung, obgleich seit diesem Datum verschiedne Fälle von Pocken
und in Folge davon zwei Todesfälle vorkamen. Am 9. September be-
richtete mir Surgeon Kelson weitere Pockenfälle in denselben Hütten und
beschrieb ihren Zustand als entsetzlich. Zu Ihrer (des Ministers) Infor-
mation muss ich hinzufügen, dass unsre Pfarrei ein isolirtes Haus besitzt,
das s. g. Pesthaus, wo die Pfarreigenossen, die von ansteckenden Krank-
heiten leiden, verpflegt werden. Diess Haus ist jetzt seit Monaten fort-
während mit Patienten überfüllt. In einer Familie starben fünf Kinder an
Pocken und Fieber. Vom 1. April bis 1. September dieses Jahres kamen
nicht weniger als 10 Todesfälle an Pocken vor, 4 in den besagten Hütten,
den Pestquellen. Es ist unmöglich die Zahl der Krankheitsfälle
anzugeben, da die heimgesuchten Familien sie so geheim als möglich
halten“131).
Kohlen- und andre Bergwerksarbeiter gehören zu den best-
bezahlten Kategorieen der britischen Arbeiterklasse. Zu welchem Preis sie
ihren Lohn erkaufen, wurde an einer früheren Stelle gezeigt132). Ich werfe
hier einen raschen Blick auf ihre Wohnlichkeitsverhältnisse. In der Regel
errichtet der Exploiteur des Bergwerks, ob Eigenthümer oder Miether des-
selben, eine Anzahl Cottages für seine Hände. Sie erhalten Cottages und
Kohlen zur Feurung „umsonst“, d. h. letztre bilden einen in natura ge-
lieferten Theil des Lohns. Die nicht in dieser Art Unterbringbaren er-
halten zum Ersatz 4 Pfd. St. per Jahr. Die Bergwerksdistrikte ziehn
rasch eine grosse Bevölkerung an, zusammengesetzt aus der Minenbevöl-
kerung selbst und den Handwerkern, Krämern u. s. w., die sich um sie
gruppiren. Wie überall, wo die Bevölkerung dicht, ist die Bodenrente
hier hoch. Der Bergbauunternehmer sucht daher auf möglichst engem
Bauplatz am Mund der Minen so viel Cottages aufzuwerfen als grade nöthig
sind um seine Hände und ihre Familien zusammenzupacken. Werden
neue Minen in der Nähe eröffnet oder alte wieder in Angriff genommen, so
wächst das Gedränge. Bei der Konstruktion der Cottages waltet nur ein
Gesichtspunkt, „Entsagung“ des Kapitalisten auf alle nicht absolut
unvermeidliche Ausgaben von Baarem. „Die Wohnungen der Gruben-
und andrer Arbeiter, die mit den Bergwerken von Northumberland und
Durham verknüpft sind,“ sagt Dr. Julian Hunter, „sind vielleicht
im Durchschnitt das Schlechteste und Theuerste, was England auf grosser
Stufenleiter in dieser Art bietet, mit Ausnahme jedoch ähnlicher Distrikte
in Monmouthshire. Die extreme Schlechtigkeit liegt in der hohen Men-
schenzahl, die ein Zimmer füllen, in der Enge des Bauplatzes, worauf eine
grosse Häusermasse geworfen wird, im Wassermangel und Abwesenheit
von Abtritten, in der häufig angewandten Methode ein Haus über ein an-
dres zu stellen oder sie in flats (so dass die verschiednen Cottages hori-
zontal über einander liegende Stockwerke bilden) zu vertheilen … Der
Unternehmer behandelt die ganze Kolonie, als ob sie nur campire, nicht
residire“133). „In Ausführung meiner Instruktionen,“ sagt Dr. Stevens,
„habe ich die meisten grossen Bergwerksdörfer der Durham Union be-
sucht … Mit sehr wenigen Ausnahmen gilt von allen, dass jedes Mittel
zur Sicherung der Gesundheit der Einwohner vernachlässigt wird … Alle
Grubenarbeiter sind an den Pächter („lessee“) oder Eigenthümer des Berg-
werks für 12 Monate gebunden („bound“, Ausdruck, der wie bondage aus der
Zeit der Leibeigenschaft stammt). Wenn sie ihrer Unzufriedenheit
Luft machen oder in irgend einer Art den Aufseher („viewer“) belästigen, so
setzt er eine Marke oder ein Memorandum hinter ihre Namen in seinem Auf-
sichtsbuch, und entlässt sie bei der jährlichen Neu-Bindung … Es scheint
mir, dass kein Theil des Trucksystems schlechter sein kann als das in
diesen dichtbevölkerten Distrikten herrschende. Der Arbeiter ist gezwun-
gen als Theil seines Lohns ein mit pestilenzialischen Einflüssen umgebnes
Haus zu empfangen. Er kann sich nicht selbst helfen. Erist in jeder
Rücksicht ein Leibeigner („he is to all intents and pur-
posesaserf“). Es scheint fraglich, ob jemand sonst ihm helfen kann
ausser seinem Eigenthümer und dieser Eigenthümer zieht vor allem sein
Bilanzkonto zu Rath, und das Resultat ist ziemlich unfehlbar. Der
Arbeiter erhält von dem Eigenthümer auch seine Zufuhr an Wasser. Es sei
gut oder schlecht, es werde geliefert oder zurückgehalten, er muss dafür
zahlen oder sich vielmehr einen Lohnabzug gefallen lassen“134).
Im Konflikt mit der „öffentlichen Meinung“ oder auch der Gesundheits-
polizei genirt sich das Kapital durchaus nicht, die theils gefährlichen,
theils entwürdigenden Bedingungen, worin es Funktion und Häuslichkeit des
Arbeiters bannt, damit zu „rechtfertigen“, das sei nöthig, um ihn
profitlicher auszubeuten. So, wenn es entsagt auf Vorrichtungen
zum Schutz gegen gefährliche Maschinerie in der Fabrik, auf Ventilations-
und Sicherheitsmittel in den Minen u. s. w. So hier mit der Behausung der
Minenarbeiter. „Als Entschuldigung“, sagt Dr. Simon, der ärztliche
Beamte des Privy Council, in seinem officiellen Bericht, „als Entschuldi-
gung für die nichtswürdige Hauseinrichtung wird angeführt, dass Mi-
nen gewöhnlich pachtweise exploitirt werden, dass die Dauer des Pachtkon-
trakts (in Kohlenwerken meist 21 Jahre) zu kurz ist, damit der Minen-
pächter es der Mühe werth halte, gute Hausaccommodation für das Arbeits-
volk und die Gewerbsleute u. s. w. zu liefern, welche die Unternehmung
anzieht; hätte er selbst die Absicht, nach dieser Seite hin liberal
zu verfahren, so würde sie vereitelt werden durch den Grundeigenthümer.
Der habe nämlich die Tendenz, sofort exorbitante Zuschussrente zu ver-
langen für das Privilegium, ein anständiges und komfortables Dorf auf
der Grundoberfläche zu errichten zur Behausung der Bearbeiter des unter-
irdischen Eigenthums. Dieser prohibitorische Preis, wenn nicht direkte
Prohibition, schrecke ebenfalls andre ab, welche sonst wohl bauen möch-
ten … Ich will den Werth dieser Apologie nicht weiter untersuchen,
auch nicht, auf wen denn in letzter Hand die zuschüssige Ausgabe für
anständige Wohnlichkeit fallen würde, auf den Grundherrn, den Minen-
pächter, die Arbeiter oder das Publikum … Aber Angesichts solcher
schmählichen Thatsachen, wie die beigefügten Berichte (des Dr. Hunter,
Stevens u. s. w.) sie enthüllen, muss ein Heilmittel angewandt werden …
Grundeigenthumstitel werden so gebraucht um ein grosses öffentliches
Unrecht zu begehn. In seiner Eigenschaft als Mineneigner ladet der
Grundherr eine industrielle Kolonie zur Arbeit auf seiner Domaine ein,
und macht dann, in seiner Eigenschaft als Eigenthümer der Grund-
oberfläche, den von ihm versammelten Arbeitern unmöglich die zu
ihrem Leben unentbehrliche, geeignete Wohnlichkeit zu finden. Der Minen-
pächter (der kapitalistische Exploiteur) hat kein Geldinteresse dieser
Theilung des Handels zu widerstehn, da er wohl weiss, dass wenn die letztern
Ansprüche exorbitant sind, die Folgen nicht auf ihn fallen, und dass
die Arbeiter, auf die sie fallen, zu unerzogen sind, um ihre Gesundheits-
rechte zu kennen, dass weder obscönste Wohnlichkeit noch faulstes
Trinkwasser besondre Anlässe zu einem Strike liefern“135).
Bevor ich zu den eigentlichen Agrikulturarbeitern übergehe,
soll an einem Beispiel noch gezeigt werden, wie die Krisen selbst auf den
bestbezahlten Theil der Arbeiterklasse, auf ihre Aristokratie, wirken. Man
erinnert sich: das Jahr 1857 brachte eine der grossen Krisen, womit der
industrielle Cyklus jedesmal abschliesst. Der nächste Termin wurde
1866 fällig. Bereits diskontirt in den eigentlichen Fabrikdistrikten
durch die Baumwollnoth, welche viel Kapital aus der gewohnten Anlagesphäre
zu den grossen Centralsitzen des Geldmarkts jagte, nahm die Krise diess-
mal einen vorwiegend finanziellen Charakter an. Ihr Ausbruch im Mai 1866
wurde signalisirt durch den Fall einer Londoner Riesenbank, dem der Zusam-
mensturz zahlloser finanzieller Schwindelgesellschaften auf dem Fuss nach-
folgte. Einer der grossen Londoner Geschäftszweige, welche die Kata-
strophe traf, war der eiserne Schiffsbau. Die Magnaten dieses Fachs
hatten während der Schwindelzeit nicht nur masslos überprodueirt, son-
dern zudem enorme Lieferungskontrakte übernommen, auf die Spekulation
hin, dass die Kreditquelle gleich reichlich fort fliessen werde. Jetzt trat
eine furchtbare Reaktion ein, die auch in andern Londoner Industrien136)
bis zur Stunde, Ende März 1867, fortdauert. Zur Charakteristik der
Lage der Arbeiter folgende Stelle aus dem ausführlichen Bericht eines
Korrespondenten des Morning Star, welcher Anfang Januar 1867
die Hauptsitze des Leidens besuchte. „Im Osten von London, den Distrik-
ten von Poplar, Millwall, Greenwich, Deptford, Limehouse und Canning
Town befinden sich mindestens 15,000 Arbeiter sammt Familien in
einem Zustand äusserster Noth, darunter über 3000 geschickte Mecha-
niker. Ihre Reservefonds sind erschöpft in Folge sechs- oder achtmonat-
licher Arbeitslosigkeit … Ich hatte grosse Mühe zum Thor des Work-
house (von Poplar) vorzudringen, denn es war belagert von einem ausge-
hungerten Haufen. Er wartete auf Brodbillets, aber die Zeit zur Ver-
theilung war noch nicht gekommen. Der Hof bildet ein grosses Quadrat
mit einem Pultdach, das rings um seine Mauern läuft. Dichte Schnee-
haufen bedeckten die Pflastersteine in der Mitte des Hofes. Hier waren
gewisse kleine Plätze mit Weidengeflecht abgeschlossen, gleich Schaf-
hürden, worin die Männer bei besserem Wetter arbeiten. Am Tage meines
Besuchs waren die Hürden so verschneit, dass Niemand in ihnen sitzen
konnte. Die Männer waren jedoch unter dem Schutz der Dachvorsprünge
mit Macadamisirung von Pflastersteinen beschäftigt. Jeder hatte einen
dicken Pflasterstein zum Sitz und klopfte mit schwerem Hammer auf den
frostbedeckten Granit, bis er 5 Bushel davon abgehauen hatte. Dann
war sein Tagewerk verrichtet und erhielt er 3 d. (1 Silbergroschen, 8
Pfennige) und ein Billet für Brod. In einem andern Theil des Hofes
stand ein rhachitisches kleines Holzhaus. Beim Oeffnen der Thüre fanden
wir es gefüllt mit Männern, Schulter an Schulter gedrängt, um einander
warm zu halten. Sie zupften Schiffstau und stritten mit einander, wer
von ihnen mit einem Minimum von Nahrung am längsten arbeiten könne,
denn Ausdauer war der point d’honneur. In diesem einen Workhouse
allein erhielten 7000 Unterstützung, darunter viele Hunderte, die 6
oder 8 Monate zuvor die höchsten Löhne geschickter Arbeit in
diesem Land verdienten. Ihre Zahl wäre doppelt so gross gewesen,
gäbe es nicht so viele, welche nach Erschöpfung ihrer ganzen Geldreserve
dennoch vor Zuflucht zur Pfarrei zurückbeben, so lange sie noch irgend
etwas zu versetzen haben … Das Workhouse verlassend, machte ich
einen Gang durch die Strassen von meist einstöckigen Häusern, die in
Poplar so zahlreich. Mein Führer war Mitglied des Comités für die
Arbeitslosen. Das erste Haus, worin wir eintraten, war das eines Eisen-
arbeiters, seit 27 Wochen ausser Beschäftigung. Ich fand den Mann mit
seiner ganzen Familie in einem Hinterzimmer sitzend. Das Zimmer war
noch nicht ganz von Möbeln entblösst und es war Feuer darin. Diess
war nöthig, um die nackten Füsse der jungen Kinder vor Frost zu
schützen, denn es war ein grimmig kalter Tag. Auf einem Teller gegen-
über dem Feuer lag ein Quantum Werg, welches Frau und Kinder zupften
in Erstattung des Brods vom Workhouse. Der Mann arbeitete in einem
der oben beschriebenen Höfe für ein Brodbillet und 3 d. per Tag. Er
kam jetzt nach Haus zum Mittagsessen, sehr hungrig, wie er uns mit
einem bittern Lächeln sagte, und sein Mittagsessen bestand aus einigen
Brodschnitten mit Schmalz und einer Tasse milchlosen Thees … Die
nächste Thüre, an der wir anklopften, wurde geöffnet durch ein Frauen-
zimmer mittleren Alters, die, ohne ein Wort zu sagen, uns in ein kleines
Hinterzimmer führte, wo ihre ganze Familie sass, schweigend, die Augen
auf ein rasch ersterbendes Feuer geheftet. Solche Verödung, solche Hoff-
nungslosigkeit hing um diese Leute und ihr kleines Zimmer, dass ich nicht
wünsche je eine ähnliche Scene wieder zu sehn. „Nichts haben sie ver-
dient, mein Herr“, sagte die Frau, auf ihre Jungen zeigend, „nichts für
26 Wochen, und all unser Geld ist hingegangen, alles Geld, das ich und
der Vater in den bessern Zeiten zurücklegten, in dem Wahn eine Reserve
während schlechten Geschäfts zu sichern. Sehn Sie es“, schrie sie fast wild, in-
dem sie ein Bankbuch hervorholte mit allen seinen regelmässigen Nachweisen
über eingezahltes und rückerhaltnes Geld, so dass wir sehn konnten, wie das
kleine Vermögen begonnen hatte mit dem ersten Deposit von 5 Shilling, wie
es nach und nach zu 20 Pfd. St. aufwuchs, und dann wieder zusammen-
schmolz, von Pfunden zu Shillingen, bis der letzte Eintrag das Buch so
werthlos machte, wie ein blankes Stück Papier. Diese Familie erhielt
ein nothdürftiges Mahl täglich vom Workhouse … Unsre folgende Visite
war zur Frau eines Irländers, der an den Schiffswerften gearbeitet hatte.
Wir fanden sie krank von Nahrungsmangel, in ihren Kleidern auf eine
Matratze gestreckt, knapp bedeckt mit einem Stück Teppich, denn alles
Bettzeug war im Pfandhaus. Die elenden Kinder warteten sie und sahen
aus als bedürften sie umgekehrt der mütterlichen Pflege. Neunzehn
Wochen erzwungnen Müssiggangs hatten sie so weit heruntergebracht,
und während sie die Geschichte der bitteren Vergangenheit erzählte,
stöhnte sie als ob alle Hoffnung auf eine bessere Zukunft verloren wäre
… Beim Austritt aus dem Hause rannte ein junger Mann auf uns zu und
bat uns in sein Haus zu gehn und zu sehn, ob irgend etwas für ihn ge-
schehn könne. Ein junges Weib, zwei hübsche Kinder, ein Kluster von
Pfandzetteln und ein ganz kahles Zimmer war alles, was er zu zeigen
hatte“137).
| Der Vater | 300 Tage | zu | 1 fc. 56 c. | per Jahr | 468 fcs. |
| Die Mutter | 〃 | „ | 0 fc. 89 c. | 〃 | 267 fcs. |
| Der älteste Junge | 〃 | 〃 | 0 fc. 56 c. | 〃 | 168 fcs. |
| Die älteste Tochter | 〃 | 〃 | 0 fc. 55 c. | 〃 | 165 fcs. |
| 1,068 fcs. |
| Des Seesoldaten, | auf | 1828 fcs. | Deficit: | 760 fcs. |
| Des Soldaten, | 〃 | 1473 fcs. | 〃 | 405 fcs. |
| Des Gefangnen, | 〃 | 1112 fcs. | 〃 | 44 fcs. |
Der antagonistische Charakter der kapitalistischen Produktion und
Accumulation bewährt sich nirgendwo brutaler als in dem Fortschritt
des englischen Landbaus (Viehzucht eingeschlossen) und dem Rück-
schritt des englischen Landarbeiters. Bevor ich zu seiner gegen-
wärtigen Lage übergehe, ein rascher Rückblick. Die moderne Agri-
kultur datirt in England von der Mitte des 18. Jahrhunderts, obgleich die
Umwälzung der Grundeigenthumsverhältnisse, wovon die veränderte Pro-
duktionsweise als Grundlage ausgeht, viel früheren Datums.
Nehmen wir die Angaben Arthur Young’s, eines genauen Be-
obachters, obgleich elenden Denkers, über den Landarbeiter von 1771, so
spieltletztrer eine sehr elende Rolle, verglichen mit seinem Vorgänger Ende
des 14. Jahrhunderts, „wo er in Fülle leben und Reichthum
accumuliren konnte“138), gar nicht zu sprechen vom 15. Jahrhun-
dert, „dem goldnen Zeitalter der englischen Arbeiter in Stadt und
Land“. Wir brauchen jedoch nicht so weit zurückzugehn. In einer sehr
gehaltreichen Schrift von 1777 liest man: „Der grosse Pächter hat sich
beinahe erhoben zum Niveau des Gentleman, während der arme Land-
arbeiter fast zu Boden gedrückt ist … Seine unglückliche Lage zeigt
sich klar durch eine vergleichende Uebersicht seiner Verhältnisse von
heute und von 40 Jahr früher … Grundeigenthümer und Pächter wirken
Hand in Hand zur Unterdrückung des Arbeiters“139). Es wird dann im
Detail nachgewiesen, dass der reelle Arbeitslohn auf dem Lande von 1737
bis 1777 um beinahe ¼ oder 25 % gefallen ist. „Die moderne Politik“,
sagt Dr. Richard Pricc zur selben Zeit, „begünstigt die höheren
Volksklassen; die Folge wird sein, dass früher oder später das ganze
Königreich nur aus Gentlemen und Bettlern, aus Grandees und Sklaven
besteht“140).
Dennoch ist die Lage des englischen Landarbeiters von 1770 1780,
sowohl was seine Nahrungs- und Wohnlichkeitszustände, als sein Selbst-
gefühl, Belustigungen u. s. w. betrifft, ein später nie wieder erreichtes
Ideal. In Pints Weizen ausgedrückt betrug sein Durchschnittslohn
1770—1771 90 Pints, zu Eden’s Zeit (1797) nur noch 65, 1808
aber 60141).
Der Zustand der Landarbeiter Ende des Antijakobinerkriegs,
während dessen sich Grundaristokratie, Pächter, Fabrikanten, Kaufleute,
Banquiers, Börsenritter, Armeelieferanten u. s. w. so ausserordentlich be-
reichert hatten, ist bereits früher angedeutet worden. Der nominelle
Arbeitslohn stieg natürlich in Folge theils der Depreciation des Geldes theils
eines von dieser Depreciation unabhängigen Steigens im Preis der noth-
wendigsten Lebensmittel. Die wirkliche Bewegung des Arbeitslohns ist
aber auf sehr einfache Art zu konstatiren, ohne Zuflucht zu hier unzu-
lässigen Details. Das Armengesetz und seine Administration waren 1795
und 1814 dieselben. Man erinnert sich: diess Gesetz wurde auf dem
Land in der Art gehandhabt, dass die Differenz zwischen dem dem
Arbeiter gezahlten Arbeitslohn und der Minimalsumme, die zu
seiner blossen Vegetation erheischt ist, von der Pfarrei in der Form der
Armenunterstützung ergänzt wurde. Das Verhältniss zwischen dem vom
Pächter gezahlten Arbeitslohn und dem von der Pfarrei gutge-
machten Deficit dieses Arbeitslohns zeigt uns zweierlei, erstens
die Senkung des Arbeitslohns unter sein Minimum, zweitens den Grad,
worin der Landarbeiter aus Lohnarbeiter und Pauper zusammengesetzt
war, oder den Grad, worin er in einen Leibeignen seiner Pfarrei verwan-
delt ward. Wir nehmen eine Grafschaft, die das Durchschnittsverhältniss
in allen andern Grafschaften repräsentirt. 1795 betrug der durch-
schnittliche Wochenlohn in Northampton 7 sh. 6d., die jährliche Total-
ausgabe einer Familie von 6 Personen 36 Pfd. St. 12 sh. 5 d., ihre
Totaleinnahme 29 Pfd. St. 18 sh., das von der Pfarrei gutgemachte
Deficit: 6 Pfd. St. 14 sh. 5 d. In derselben Grafschaft betrug 1814
der Wochenlohn 12 sh. 2 d., die jährliche Totalausgabe einer Fa-
milie von 5 Personen 54 Pfd. St. 18 sh. 4 d., ihre Totaleinnahme
36 Pfd. St. 2 sh., das von der Pfarrei gutgemachte Deficit: 18 Pfd.
St. 6 sh. 4 d.142). 1795 betrug das Deficit weniger als ¼ des Ar-
beitslohns, 1814 mehr als die Hälfte. Dass unter diesen Umständen die
geringen Komforts, die bei Eden noch in der Cottage des Landarbei-
ters figuriren, 1814 verschwunden waren, versteht sich von selbst143).
Unter allen Thieren, die der Pächter hält, blieb von nun an der Arbeiter,
das instrumentum vocale, das meist geplackte, schlechtest gefütterte und
am brutalsten behandelte.
Derselbe Zustand der Dinge dauerte ruhig fort, bis „die swing Auf-
stände 1830 uns (d. h. den herrschenden Klassen) beim Lichtflammen der
Kornschober enthüllten, dass Elend und dunkle aufrührerische Unzufrieden-
heit ebenso wild unter der Oberfläche des agrikolen als des industriellen
Englands lodre“144). Sadler taufte damals im Unterhaus die Land-
arbeiter „weisse Sklaven“ („white slaves“), ein Bischof hallte das Epithet
im Oberhaus wieder. Der bedeutendste politische Oekonom jener Pe-
riode, E. G. Wakefield, sagt: „der Landarbeiter Südenglands ist
kein Sklave, er ist kein freier Mann, er ist ein Pauper“145).
Die Zeit unmittelbar vor der Aufhebung der Kornge-
setze warf neues Licht auf die Lage der Landarbeiter. Einerseits lag
es natürlich im Interesse der bürgerlichen Anticornlawagitatoren nachzu-
weisen, wie wenig jene Schutzgesetze den wirklichen Kornproducen-
ten beschützten. Andrerseits schäumte die industrielle Bourgeoisie auf von
Ingrimm über die Denunciation der Fabrikzustände seitens der Grund-
aristokraten, über die affektirte Sympathie dieser grundverdorbnen, herz-
losen und vornehmen Müssiggänger mit den Leiden des Fabrikarbeiters,
und ihren „diplomatischen“ Eifer für Fabrikgesetzgebung. Es ist ein
altes englisches Sprichwort, dass wenn zwei Diebe sich in die Haare fallen,
immer etwas Nützliches geschieht. Und in der That, der geräuschvolle,
leidenschaftliche Zank zwischen den zwei Fraktionen der herrschenden
Klasse, welche von beiden den Arbeiter am schamlosesten ausbeute und
das meiste Produkt fremder Arbeit als Privateigenthum
des Nichtarbeiters usurpire, dieser Zank wurde rechts und links
Geburtshelfer der Wahrheit. Graf Shaftesbury, alias Lord Ashley,
war Vorkämpfer im aristokratischen Fabrikphilanthropiefeldzug. Er bildet
daher 1844—1845 ein Lieblingsthema in den Enthüllungen des Mor-
ning Chronicle über die Zustände der Agrikulturarbeiter. Jenes
Blatt, damals das bedeutendste liberale Organ, entsandte eigne Kommis-
säre in die Agrikulturdistrikte, welche sich keineswegs mit allgemeiner
Schilderung und Statistik begnügten, sondern die Namen sowohl der
untersuchten Arbeiterfamilien als ihrer Landlords veröffentlichten. Die
folgende Liste giebt Löhne, gezahlt auf drei Dörfern, in der Nachbarschaft
von Blandford, Wimbourne und Poole. Die Dörfer sind Eigenthum des Mr.
G. Bankes und des Grafen von Shaftesbury. Man wird bemerken,
dass dieser Pabst der „low church“, diess Haupt der englischen Pietisten,
und p. p. Bankes von den Hundelöhnen ihrer Arbeiter wieder einen bedeu-
tenden Theil unter dem Vorwand von Hausrente einstecken.
(Siehe nebenstehende Tabelle.)
Der Widerruf der Korngesetze gab dem englischen Landbau einen
ungeheuren Ruck. Drainirung auf der grössten Stufenleiter147), neues
System der Stallfütterung und des Anbaus der künstlichen Futterkräuter,
Einführung mechanischer Düngapparate, neue Behandlung der Thonerde,
gesteigerter Gebrauch mineralischer Düngmittel, Anwendung der Dampf-
maschine und aller Art neuer Maschinerie u. s. w., intensivere Kultur
der östlichen Grafschaften, welche aus Kaninchengeheg und armer Vieh-
weide in üppige Kornfelder umgezaubert wurden. Man weiss bereits,
dass gleichzeitig die Gesammtzahl der in der Agrikultur betheiligten
Personen abnahm. Was die eigentlichen Ackerbauer, bei-
derlei Geschlechts und aller Altersstufen, betrifft, so sank ihre Zahl von
1,241,269 im Jahr 1851 auf 1,163,227 im Jahr 1861149). Wenn der
englische Generalregistrator daher mit Recht bemerkt: „Der Zuwachs von
Pächtern und Landarbeitern seit 1801 steht in gar keinem Verhältniss
zum Zuwachs des agrikolen Produkts“150), so gilt diess Missverhältniss
noch viel mehr von der letzten Periode, wo positive Abnahme der
ländlichen Arbeiterbevölkerung Hand in Hand ging mit Aus-
dehnung des bebauten Areals, intensiverer Kultur, unerhörter Accumula-
tion des dem Boden einverleibten und des seiner Bearbeitung gewidmeten
Kapitals, Steigerung des Bodenprodukts ohne Parallele in der Geschichte
der englischen Agronomie, strotzenden Rentrollen der Grundeigenthümer
und schwellendem Reichthum der kapitalistischen Pächter. Nimmt man
diess zusammen mit der ununterbrochen raschen Erweiterung des städtischen
Absatzmarkts und der Herrschaft des Freihandels, so war der Landar-
beiter post tot discrimina rerum endlich in Verhältnisse gestellt, die ihn,
secundum artem, glückstoll machen mussten.
Professor Rogers gelangt dagegen zum Resultat, dass der englische
Landarbeiter heutigen Tags, gar nicht zu sprechen von seinem Vorgänger
in der letzten Hälfte des 14. Jahrhunderts und im 15. Jahrhundert, sondern
nur verglichen mit seinem Vorgänger aus der Periode 1770—1780, seine
Lage ausserordentlich verschlechtert hat, dass „er wieder ein Leibeigner
geworden ist“ und zwar schlecht gefütterter und behauster Leibeigner151).
Dr. Julian Hunter, in seinem epochemachenden Bericht über die
Wohnlichkeit der Landarbeiter, sagt: „Die Existenzkost des hind (der
Zeit der Leibeigenschaft angehöriger Name für den Landarbeiter) ist fixirt
zu dem möglichst niedrigen Betrag, womit er leben kann … seine Zufuhr
von Lohn und Obdach ist nicht berechnet auf den aus ihm herauszu-
schlagenden Profit. Er ist der Nullpunkt in den Berechnungen des Päch-
ters“152). „Seine Subsistenzmittel werden stets als eine fixe Quantität be-
handelt“153). „Was irgend eine weitere Reduktion seines Einkommens
angeht, so kann er sagen: nihil habeo, nihil curo. Er hat keine Furcht
für die Zukunft, weil er über nichts verfügt ausser dem, was zu seiner
Existenz absolut unentbehrlich ist. Er hat den Gefrierpunkt erreicht,
von dem die Berechnungen des Pächters als Datum ausgehn. Komme was
wolle, er hat keinen Antheil an Glück oder Unglück“154).
Im Jahr 1863 fand eine officielle Untersuchung über die Verpflegungs-
und Beschäftigungszustände der zu Transportation und öffentlicher Zwangs-
arbeit verurtheilten Verbrecher statt. Die Resultate sind in zwei dickleibigen
Blaubüchern niedergelegt. „Eine sorgfältige Vergleichung,“ heisst es
unter anderem, „zwischen der Diät der Verbrecher in den Gefängnissen von
England und der der Paupers in Workhouses und der freien Landarbeiter
desselben Landes zeigt unstreitig, dass die erstern viel besser genährt sind
als irgend eine der beiden andern Klassen“155), während „die Arbeitsmasse,
die von einem zu öffentlicher Zwangsarbeit Verurtheilten verlangt wird,
ungefähr die Hälfte der vom gewöhnlichen Landarbeiter verrichteten be-
trägt“156). Einige wenige charakteristische Zeugenaussagen: John Smith,
Direktor des Gefängnisses von Edinburg, verhört. Nr. 5056: „Die Diät
in den englischen Gefängnissen ist viel besser als die der gewöhnlichen
Landarbeiter.“ Nr. 5075: „Es ist Thatsache, dass die gewöhnlichen
Agrikulturarbeiter Schottlands sehr selten irgend welches Fleisch erhal-
ten.“ Nr. 3047: „Kennen Sie irgend einen Grund für die Nothwendig-
keit, die Verbrecher viel besser (much better) zu nähren als gewöhnliche
Landarbeiter? — Sicher nicht.“ Nr. 3048: „Halten Sie es für ange-
messen weitere Experimente zu machen, um die Diät zu öffentlichen
Zwangsarbeiten verurtheilter Gefangenen der Diät freier Landarbeiter
nahe zu bringen?“157) „Der Landarbeiter,“ heisst es, „könnte sagen:
Ich arbeite hart und habe nicht genug zu essen. Als ich im Gefängniss
war, arbeitete ich nicht so hart und hatte Essen in Fülle, und darum ist
es besser für mich im Gefängniss als im Freien zu sein“158). Aus den
dem ersten Band des Berichts angehängten Tabellen ist folgende verglei-
chende Uebersicht zusammengestellt:
Wöchentlicher Nahrungsbetrag.
Das allgemeine Resultat der ärztlichen Untersuchungskommission von
1863 über den Nahrungszustand der schlechter genährten Volksklassen
ist dem Leser bereits bekannt. Er erinnert sich, dass die Diät eines
grossen Theils der Landarbeiterfamilien unter dem Minimalmass „zur
Abwehr von Hungerkrankheiten“ steht. Es ist diess namentlich der Fall
in allen rein agrikolen Distrikten von Cornwall, Devon, Somerset, Dorset,
Wilts, Stafford, Oxford, Berks und Herts. „Die Nahrung, die der Land-
arbeiter erhält,“ sagt Dr. Simon, „ist grösser als das Durchschnitts-
quantum anzeigt, da er selbst einen viel grösseren, für seine Arbeit unentbehr-
lichen, Theil der Lebensmittel erhält als seine übrigen Familienglieder, in den
ärmeren Distrikten fast alles Fleisch oder Speck. Das Quantum Nahrung, das
der Frau zufällt, und ebenso den Kindern in ihrer Periode raschen Wachsthums,
ist in vielen Fällen, und zwar in fast allen Grafschaften, mangelhaft,
hauptsächlich an Stickstoff“159). Die bei den Pächtern selbst wohnenden
Knechte und Mägde werden reichlich genährt. Ihre Zahl fiel von 288,277
im Jahr 1851 auf 204,962 im Jahr 1861. „Die Arbeit der Weiber auf
freiem Feld,“ sagt Dr. Smith, „von welchen sonstigen Nachtheilen auch
immer begleitet, ist unter gegenwärtigen Umständen von grossem Vortheil
für die Familie, denn sie liefert derselben Mittel für Beschuhung, Kleidung,
Zahlung der Hausrente, und befähigt sie so besser zu essen“160). Eins
der merkwürdigsten Resultate dieser Untersuchung war, dass der Landar-
beiter in England bei weitem schlechter genährt ist als in den andern
Theilen des Vereinigten Königreichs („is considerably the worst fed“),
wie die folgende Tabelle zeigt:
Wöchentlicher Konsum von Kohle und Stickstoff durch den ländlichen Durch-
schnittsarbeiter.
„Jede Seite von Dr. Hunters Bericht“, sagt Dr. Simon in seinem
officiellen Gesundheitsbericht, „giebt Zeugniss von der unzureichenden
Quantität und miserablen Qualität der Wohnlichkeit unsres Land-
arbeiters. Und progressiv seit vielen Jahren hat sich sein Zustand in
dieser Hinsicht verschlechtert. Es ist jetzt viel schwerer für ihn, Haus-
raum zu finden, und, wenn gefunden, ist er seinen Bedürfnissen viel weni-
ger entsprechend, als vielleicht seit Jahrhunderten der Fall war.
Besonders innerhalb der letzten 30 oder 20 Jahre ist das
Uebel in raschem Wachsthum begriffen, und die Wohnlichkeitsverhältnisse
des Landmanns sind jetzt im höchsten Grad kläglich. Ausser
soweit diejenigen, die seine Arbeit bereichert, es der Mühe werth
halten ihn mit einer Art von mitleidiger Nachsicht zu behandeln, ist er
ganz hilflos in der Sache. Ob er Behausung findet auf dem Land, wel-
ches er bebaut, ob sie menschlich oder schweinisch ist, ob mit kleinem
Garten, der den Druck der Armuth so sehr erleichtert, alles das hängt
nicht von seiner Bereitheit oder Fähigkeit zur Zahlung einer angemessnen
Miethe ab, sondern von dem Gebrauch, den Andre von ‚dem Recht mit
ihrem Eigenthum zu thun was sie wollen‘ zu machen belieben. Eine
Pacht mag noch so gross sein, es existirt kein Gesetz, dass auf ihr eine
bestimmte Anzahl von Arbeiterwohnungen, und nun gar anständigen,
stehen muss; noch behält das Gesetz dem Arbeiter auch nur das kleinste
Recht auf den Boden vor, für welchen seine Arbeit so nothwendig ist wie
Regen und Sonnenschein … Ein notorischer Umstand wirft noch ein
schweres Gewicht in die Wagschale gegen ihn …, der Einfluss des Ar-
mengesetzes mit seinen Bestimmungen über Niederlassung und Belastung
zur Armentaxe162). Unter seinem Einfluss hat jede Pfarrei ein Geldinter-
esse die Zahl ihrer residirenden Landarbeiter auf ein Mini-
mum zu beschränken; denn, unglücklicher Weise, die Land-
arbeit, statt sichre und permanente Unabhängigkeit des hartschanzenden
Arbeiters und seiner Familie zu verbürgen, involvirt meist nur einen
längern oder kürzern Umweg zu eventuellem Pauperismus,
ein Pauperismus, der während des ganzen Wegs so nahe ist, dass jede
Krankheit oder irgend ein vorübergehender Mangel an Beschäftigung unmit-
telbar die Zuflucht zur Pfarreihilfe ernöthigt; und daher ist alle Resi-
denz einer Ackerbaubevölkerung in einer Pfarrei augenschein-
lich ein Zuschuss zu ihrer Armensteuer … Grosse Grund-
eigenthümer163) haben nur zu beschliessen, dass keine Arbeiterwohnungen
auf ihren Gütern stehn sollen, und sie befreien sich sofort von der Hälfte
ihrer Verantwortlichkeit für die Armen. Wie weit die englische Konsti-
tution und das Gesetz diese Art unbedingtes Grundeigenthum beabsichtig-
ten, welches einen Landlord, der „mit seinem Eignen thut was er will“,
befähigt, die Bebauer des Bodens wie Fremde zu behandeln und sie von
seinem Territorium zu verjagen, ist eine Frage, deren Diskussion nicht in
meinen Bereich fällt … Diese Macht der Eviktion ist keine blosse
Theorie. Sie wird praktisch auf der grössten Stufenleiter geltend ge-
macht. Sie ist einer der Umstände, welche die Wohnlichkeitsverhältnisse
des Landarbeiters beherrschen … Den Umfang des Uebels mag man aus
dem letzten Census beurtheilen, wonach die Zerstörung von Häu-
sern, trotz vermehrter lokaler Nachfrage für dieselben,
während der letzten 10 Jahre, in 821 verschiednen Distrikten von Eng-
land fortschritt, so dass, abgesehn von den Personen, die gezwungen wur-
den Nichtresidirende (nämlich in dem Kirchspiel, worin sie arbei-
ten) zu werden, 1861 verglichen mit 1851 eine um 5⅓ % grössere Be-
völkerung in einen um 4½ % kleineren Hausraum gedrängt wurde …
Sobald der Entvölkerungsprozess sein Ziel erreicht hat, ist das Resultat,
sagt Dr. Hunter, ein Schaudorf (show-village), wo die Cottages auf
wenige reducirt sind und wo niemand leben darf ausser Schafhirten,
Gärtnern und Wildhütern, reguläre Bediente, welche die ihrer Klasse ge-
wohnte gute Behandlung von der gnädigen Herrschaft erhalten164). Aber
das Land bedarf der Bebauung, und man wird finden, dass die darauf
beschäftigten Arbeiter keine Haussassen des Grundeigenthümers sind, son-
dern von einem offnen Dorf herkommen, vielleicht 3 Meilen weit ent-
fernt, wo eine zahlreiche kleine Hauseigenthümerschaft sie aufnahm, nach
Zerstörung ihrer Cottages in den geschlossnen Dörfern. Wo die Dinge
diesem Resultat zustreben, bezeugen die Cottages meist durch ihr elendes
Aussehn das Schicksal, zu dem sie verdammt sind. Man findet sie auf
den verschiednen Stufen natürlichen Verfalls. So lange das Obdach zu-
sammenhält, wird dem Arbeiter erlaubt, Rente dafür zu zahlen, und er ist
oft sehr froh diess thun zu dürfen, selbst wenn er den Preis einer guten
Wohnung zu zahlen hat. Aber keine Reparatur, keine Ausbesserung,
ausser die der pfenniglose Inhaber leisten kann. Wird es endlich zuletzt
ganz unbewohnbar, so ist es nur eine zerstörte Cottage mehr und so viel
künftige Armensteuer weniger. Während die grossen Eigenthümer die
Armentaxe so von sich abwälzen durch Entvölkerung des von ihnen kon-
trolirten Grund und Bodens, nimmt das nächste Landstädtchen oder offne
Ortschaft die hinausgeworfnen Arbeiter auf; die nächste, sage ich; aber
diess „nächste“ mag 3 oder 4 Meilen vom Pachthof entfernt sein, wo der
Arbeiter sich täglich abzuplacken hat. So wird seinem Tages-
werk, als ob es gar nichts sei, die Nothwendigkeit eines
täglichen Marsches von 6 oder 8 Meilen zur Verdienung seines
täglichen Brodes hinzugefügt. Alle von seiner Frau und seinen Kindern
verrichtete Landarbeit geht jetzt unter denselben erschwerenden Umstän-
den vor. Und diess ist nicht das ganze Uebel, welches ihm die Entfer-
nung verursacht. In der offnen Ortschaft kaufen Bauspekulanten Boden-
fetzen, welche sie so dicht wie möglich mit den wohlfeilsten aller mög-
lichen Spelunken besäen. Und in diesen elenden Wohnlichkeiten, die
sogar, wenn sie auf das offne Land münden, die ungeheuerlichsten
Charakterzüge der schlechtesten Stadtwohnungen theilen,
hocken die Agrikulturarbeiter Englands165) … Andrerseits muss man
sich nur nicht einbilden, dass selbst der auf dem Grund und Boden, den er
bebaut, behauste Arbeiter eine Wohnlichkeit findet, wie sie sein Leben
produktiver Industrie verdient. Selbst auf den fürstlichsten Gütern ist seine
Cottage oft von der allerjämmerlichsten Art. Es giebt Landlords, die
einen Stall gut genug für ihre Arbeiter und deren Familien glauben, und
die es dennoch nicht verschmähn aus ihrer Miethe so viel Baares als
möglich herauszuschlagen166). Es mag nur eine verfallende Hütte mit
einer Schlafstube sein, ohne Feuerherd, ohne Abtritt, ohne öffenbare
Fenster, ohne Wasserzufuhr ausser dem Graben, ohne Garten, der Arbeiter
ist hilflos gegen die Unbill. Und unsere gesundheitspolizeilichen Gesetze
(„The Nuisances Removal Acts“) sind ein todter Buchstabe. Ihre Aus-
führung ist ja grade den Eigenthümern anvertraut, welche solche Löcher
vermiethen … Man muss sich durch ausnahmsweise lichtvollere Scenen
nicht blenden lassen über das erdrückende Uebergewicht der Thatsachen,
die ein Schandfleck der englischen Civilisation sind. Schauderhaft muss
in der That die Lage der Dinge sein, wenn, trotz der augenfälligen Unge-
heuerlichkeit der gegenwärtigen Behausung, kompetente Beobachter ein-
stimmig zu dem Schlussresultat gelangen, dass selbst die allgemeine
Nichtswürdigkeit der Wohnungen noch ein unendlich minder drückendes
Uebel ist als ihr bloss numerischer Mangel. Seit Jahren war die Ueber-
stopfung der Wohnungen der Landarbeiter ein Gegenstand tiefen Kum-
mers nicht nur für Personen, die auf Gesundheit, sondern für alle, die auf
anständiges und moralisches Leben halten. Denn, wieder und wieder, in
Phrasen so gleichförmig, dass sie stereotypirt zu sein scheinen, denunciren
die Berichterstatter über die Verbreitung epidemischer Krankheiten in den
Ruraldistrikten Haus-Ueberfüllung als einen Einfluss, der jeden Versuch,
den Fortschritt einer einmal eingeführten Epidemie aufzuhalten, durchaus
vereitelt. Und wieder und wieder ward nachgewiesen, dass den vielen
gesundheitlichen Einflüssen des Landlebens zum Trotz die Agglomeration,
welche das Umsichgreifen ansteckender Krankheiten so sehr beschleunigt,
auch die Entstehung nicht ansteckender Krankheiten fördert. Und die
Personen, welche diesen Zustand denuncirt haben, verschwiegen weiteres
Unheil nicht. Selbst wo ihr ursprüngliches Thema nur die Gesundheits-
pflege betraf, waren sie beinahe gezwungen auf die andern Seiten des
Gegenstandes einzugehn. Indem sie nachwiesen, wie häufig es sich er-
eignet, dass erwachsne Personen beiderlei Geschlechts, verheirathet und
unverheirathet, zusammengehudelt („huddled“) werden in engen Schlaf-
stuben, mussten ihre Berichte die Ueberzeugung hervorrufen, dass unter
den beschriebenen Umständen Scham- und Anstandsgefühl aufs gröbste
verletzt und alle Moralität fast nothwendig ruinirt wird167).
… Z. B. im Appendix meines letzten Berichts erwähnt Dr. Ord, in sei-
nem Bericht über den Fieberausbruch zu Wing in Buckinghamshire, wie
ein junger Mann von Wingrave mit Fieber dorthin kam. In den ersten
Tagen seiner Krankheit schlief er mit 9 andern Personen in einem Gemach
zusammen. In zwei Wochen wurden verschiedne dieser Personen ange-
griffen, im Verlauf weniger Wochen verfielen 5 von den 9 Personen dem
Fieber und eine starb! Gleichzeitig berichtete mir Dr. Harvey vom St. Geor-
ge’s Spital, der Wing während der Epidemiezeit in Angelegenheiten seiner
Privatpraxis besuchte, in demselben Sinne: „Ein junges, fieberkrankes
Frauenzimmer schlief Nachts in derselben Stube mit Vater, Mutter, ihrem
Bastardkind, zwei jungen Männern, ihren Brüdern, und ihren zwei Schwe-
stern, jede mit einem Bastard, in allem 10 Personen. Wenige Wochen
vorher schliefen 13 Kinder in demselben Raume“168).
Dr. Hunter untersuchte 5375 Landarbeiter-Cottages, nicht nur
in den reinen Agrikulturdistrikten, sondern in allen Grafschaften Englands.
Unter diesen 5375 hatten 2195 nur eine Schlafstube (oft zugleich Wohn-
stube), 2930 nur 2 und 250 mehr als 2. Ich will für ein Dutzend Graf-
schaften eine kurze Blüthenlese geben.
1) Bedfordshire.
Wrestlingworth: Schlafzimmer ungefähr 12 Fuss lang und
10 breit, obgleich viele kleiner sind. Die kleine einstöckige Hütte wird
oft durch Bretter in zwei Schlafstuben getheilt, oft ein Bett in einer Küche
5 Fuss 6 Zoll hoch. Miethe 3 Pfd. St. Die Miether haben ihre eignen
Abtritte zu bauen, der Hauseigenthümer liefert nur ein Loch. So oft einer
einen Abtritt baut, wird letzterer von der ganzen Nachbarschaft benutzt. Ein
Haus Namens Richardson von unerreichbarer Schöne. Seine Mörtelwände
bauschten aus wie ein Damenkleid beim Knix. Ein Giebelende war kon-
vex, das andre konkav, und auf dem letztern stand unglücklicher Weise
der Schornstein, ein krummes Rohr von Lehm und Holz gleich einem
Elephantenrüssel. Ein langer Stock diente als Stütze, um den Fall des
Schornsteins zu verhindern, Thüre und Fenster rautenförmig. Von 17 be-
suchten Häusern nur 4 mit mehr als 1 Schlafzimmer und diese 4 über-
stopft. Die einschläfrigen Cots bargen 3 Erwachsne mit 3 Kindern, ein
verheirathetes Paar mit 6 Kindern u. s. w.
Dunton: Hohe Haus-Renten, von 4 bis 5 Pfd. St., Wochenlohn der
Männer 10 sh. Sie hoffen durch Strohflechten der Familie die Miethe
herauszuschlagen. Je höher die Hausmiethe, desto grösser die Zahl, die
sich zusammenthun muss, um sie zu zahlen. Sechs Erwachsne, die mit
4 Kindern in einer Schlafstube, zahlen dafür 3 Pfd. St. 10 sh. Das
wohlfeilste Haus in Dunton, von der Aussenseite 15 Fuss lang, 10 breit,
vermiethet für 3 Pfd. St. Nur eins von den 14 untersuchten Häusern
hatte zwei Schlafstuben. Etwas vor dem Dorf ein Haus, von den Insas-
sen bekothet vor seinen Aussenwänden, die untern 5 Zoll der Thüre ver-
schwunden durch reinen Verfaulungsprozess, einige Ziegelsteine von innen
sinnreich des Abends beim Zuschliessen vorgeschoben und mit etwas Matte
verhangen. Ein halbes Fenster, sammt Glas und Rahmen, war ganz den
Weg allen Fleisches gegangen. Hier, ohne Möbel, hudelten 3 Erwachsne
und 5 Kinder zusammen. Dunton ist nicht schlimmer als der Rest der
Biggleswude Union.
2) Berkshire.
Beenham: Juni 1864 lebte ein Mann, Frau, 4 Kinder in einem
Cot (einstöckigen Cottage). Eine Tochter kam heim aus dem Dienst mit
Scharlachfieber. Sie starb. Ein Kind erkrankte und starb. Die Mutter
und ein Kind litten an Typhus, als Dr. Hunter gerufen wurde. Der
Vater und ein Kind schliefen auswärts, aber die Schwierigkeit Isolirung
zu sichern, zeigte sich hier, denn im vollgepfropften Markt des elenden
Dorfs lag das Leinen des fiebergeschlagnen Hauses, auf Wäsche wartend.
— Die Miethe von H.’s Haus 1 sh. wöchentlich; das eine Schlafzimmer
für 1 Paar und 6 Kinder. Ein Haus vermiethet zu 8 d. (wöchentlich),
14 Fuss 6 Zoll lang, 7 Fuss breit, Küche 6 Fuss hoch; das Schlafzimmer
ohne Fenster, Feuerplatz, Thüre, noch Oeffnung, ausser nach dem Gang
zu, kein Garten. Ein Mann lebte hier vor kurzem mit zwei erwachsnen
Töchtern und einem aufwachsenden Sohn; Vater und Sohn schliefen auf
dem Bett, die Mädchen auf dem Hausgang. Jede hatte ein Kind, so lange
die Familie hier lebte, aber eine ging zum Workhouse für ihre Entbindung
und kehrte dann heim.
3) Buckinghamshire.
30 Cottages — auf 1000 Acres Land — enthalten hier ungefähr
130—140 Personen. Die Pfarrei von Bradenham umfasst 1000 Acres;
sie hatte 1851 36 Häuser und eine Bevölkerung von 84 Manns- und 54
Weibspersonen. Diese geschlechtliche Ungleichheit geheilt 1861, wo sie
98 männlichen und 87 weiblichen Geschlechts zählte, Zuwachs in 10 Jah-
ren von 14 Männern und 33 Weibern. Unterdess hatte die Häuserzahl
um 1 abgenommen.
Winslow: Grosser Theil davon neu gebaut in gutem Styl; Nach-
frage nach Häusern scheint bedeutend, weil sehr armselige Cots vermie-
thet zu 1 sh. und 1 sh. 3 d. per Woche.
Water Eaton: Hier haben die Eigenthümer im Angesicht wach-
sender Bevölkerung ungefähr 20 % der existirenden Häuser zerstört.
Ein armer Arbeiter, der ungefähr 4 Meilen zu seinem Werk zu gehn hatte,
antwortete auf die Frage, ob er kein Cot näher finden könnte: „Nein, sie
werden sich verdammt hüten, einen Mann mit meiner grossen Familie auf-
zunehmen.“
Tinker’s End, bei Winslow: Eine Schlafstube, worin 4 Er-
wachsne und 4 Kinder, 11 Fuss lang, 9 Fuss breit, 6 Fuss 5 Zoll hoch
am höchsten Punkt; ein andres 11 Fuss 3 Zoll lang, 9 Fuss breit, 5 Fuss
10 Zoll hoch, beherbergte 6 Personen. Jede dieser Familien hatte weni-
ger Raum als nöthig für einen Galeerensträfling. Kein Haus hatte mehr
als ein Schlafzimmer, keins eine Hinterthür, Wasser sehr selten, Wochen-
miethe von 1 sh. 4 d. zu 2 sh. In 16 untersuchten Häusern nur ein ein-
ziger Mann, der 10 sh. wöchentlich verdiente. Das Luftreservoir, jeder
Person in dem erwähnten Falle gegönnt, entspricht dem, das ihr zu gut
käme, wenn des Nachts eingeschlossen in eine Schachtel von 4 Kubikfuss.
Allerdings bieten die alten Hütten eine Masse naturwüchsiger Ventilation.
4) Cambridgeshire.
Gamblingay gehört verschiednen Eigenthümern. Es enthält die
lumpigsten Cots, die man irgendwo finden kann. Viel Strohflechterei. Eine
tödtliche Mattheit, eine hoffnungslose Ergebung in Schmutz beherrscht Gam-
blingay. Die Vernachlässigung in seinem Centrum wird zur Tortur an den Ex-
tremitäten, Nord und Süd, wo die Häuser stückweis abfaulen. Die abwesenden
Landlords lassen dem armen Nest frei zur Ader. Die Miethen sind sehr
hoch, 8 bis 9 Personen gepackt in ein einschläfriges Zimmer, in zwei
Fällen 6 Erwachsne mit je 1 und 2 Kindern in einer kleinen Schlafstube.
5) Essex: In dieser Grafschaft gehn in vielen Pfarreien Abnahme von
Personen und Cottages Hand in Hand. In nicht weniger als 22 Pfarreien
hat jedoch die Häuserzerstörung den Bevölkerungsanwachs nicht aufgehalten,
oder nicht die Expulsion bewirkt, welche unter dem Namen: „Wanderung
nach den Städten“ überall vorgeht. In Fingringhoe, einer Pfarrei
von 3443 Acres, standen 1851 145 Häuser, 1861 nur noch 110, aber
das Volk wollte nicht fort und brachte es fertig selbst unter dieser Be-
handlung zuzunehmen. Zu Ramsden Crays bewohnten 1851 252
Personen 61 Häuser, aber 1861 waren 262 Personen in 49 Häuser ge-
quetscht. In Basilden lebten 1851 auf 1827 Acres 157 Personen in
35 Häusern, am Ende des Decenniums 180 Personen in 27 Häusern. In
den Pfarreien von Fingringhoe, South Fambridge, Widford, Basilden und
Ramsden Crays lebten 1851 auf 8449 Acres 1392 Personen in 316
Häusern, 1861 auf demselben Areal 1473 Personen in 249 Häusern.
6) Herefordshire: Diese kleine Grafschaft hat mehr gelitten vom
„Evictionsgeist“ als irgend eine andre in England. Zu Madby gehören
die überstopften Cottages, meist mit 2 Schlafzimmern, grossentheils den
Pächtern. Sie vermiethen selbe leicht zu 3 oder 4 Pfd. St. per Jahr und
zahlen Wochenlohn von 9 sh.!
7) Huntingdonshire.
Hartford hatte 1851 87 Häuser, kurz nachher 19 Cottages zer-
stört in dieser kleinen Pfarrei von 1720 Acres; Einwohnerschaft
1831 : 452 Personen, 1852: 832 und 1861: 341. Vierzehn ein-
schläfrige Cots untersucht. In einem 1 verheirathetes Paar, 3 erwachsne
söhne, 1 erwachsnes Mädchen, 4 Kinder, zusammen 10; in einem andern
3 Erwachsne, 6 Kinder. Eine dieser Stuben, worin 8 Personen schlie-
fen, mass 12 Fuss, 10 Zoll in der Länge, 12 Fuss, 2 Zoll breit, 6 Fuss,
9 Zoll hoch; Durchschnittsmass, ohne Abzug der Vorsprünge, ergab unge-
fähr 130 Kubikfuss per Kopf. In den 14 Schlafstuben 34 Erwachsne
und 33 Kinder. Diese Cottages selten mit Gärtchen versehn, aber viele
der Insassen konnten kleine Fetzen Land, 10 oder 12 sh. per rood (etwa
17 Fuss) pachten. Diese allotments sind entfernt von den abtrittlosen
Häusern. Die Familie muss entweder zu ihrer Parcelle gehn, um ihre
Exkremente abzulagern, oder, wie es, mit Respekt zu melden, hier ge-
schieht, die Schublade eines Schranks damit füllen. Sobald er voll, wird
er ausgezogen und dort entleert, wo sein Inhalt nöthig ist. In Japan
geht der Cirkellauf der Lebensbedingungen reinlicher von statten.
8) Lincolnshire.
Langtofft: Ein Mann wohnt hier in Wright’s Haus mit seiner Frau,
ihrer Mutter, und 5 Kindern; das Haus hat Vorderküche, Spülkammer,
Schlafzimmer über der Vorderküche; Vorderküche und Schlafstube 12 Fuss
2 Zoll lang, 9 Fuss 5 Zoll breit, die ganze Grundfläche 21 Fuss 3 Zoll
lang, 9 Fuss 5 Zoll breit. Die Schlafstube ist ein Dachraum, die Wände
laufen zuckerhutig an der Decke zusammen, und ein Kappfenster öffnet
sich in der Front. Warum lebte er hier? Garten? Ausserordentlich win-
zig. Miethe? Hoch, 1 sh. 3 d. per Woche. Nah seiner Arbeit? Nein,
6 Meilen entfernt, so dass er täglich 12 Meilen hin und her vermarschirt.
Er lebte da, weil es ein vermiethbares Cot war und weil er ein Cot für
sich allein haben wollte, irgendwo, zu irgend einem Preis, in irgend einem
Zustand. Folgendes ist die Statistik von 12 Häusern in Langtofft mit 12
Schlafstuben, 38 Erwachsnen und 36 Kindern:
12 Häuser in Langtofft.
9) Kent.
Kennington, höchst traurig überfüllt 1859, als die Diphtherie
erschien und der Surgeon des Kirchspiels eine amtliche Untersuchung über
die Lage der ärmeren Volksklasse veranstaltete. Er fand, dass in dieser
Ortschaft, wo viel Arbeit nöthig, verschiedne Cots zerstört und keine neuen
erbaut worden waren. In einem Bezirk standen 4 Häuser, birdcages
(Vogelkäfige) benamst; jedes hatte 4 Zimmer mit den folgenden Dimen-
sionen in Fuss und Zoll:
10) Northamptonshire.
Brinworth, Pickford und Floore: In diesen Dörfern lun-
gern im Winter 20—30 Mann aus Arbeitsmangel auf den Strassen herum.
Die Pächter bestellen nicht immer hinreichend das Korn- und Wurzelland,
und der Landlord hat es passend gefunden alle seine Pachten in 2 oder 3
zusammenzuwerfen. Daher Mangel an Beschäftigung. Während von der
einen Seite des Grabens das Feld nach Arbeit schreit, werfen die geprell-
ten Arbeiter von der anderen Seite sehnsüchtige Blicke danach. Fieber-
haft überarbeitet im Sommer und halbverhungert im Winter, ist es kein
Wunder, wenn sie in ihrem eignen Patois sagen, dass „the parson and
gentlefolks seem frit to death at them.“
Zu Floore Beispiele von Paaren mit 4, 5, 6 Kindern in einer Schlaf-
stube kleinster Ausgabe, ditto 3 Erwachsne mit 5 Kindern, ditto ein Paar
mit Grossvater und 6 scharlachkranken Kindern u. s. w.; in 2 Häusern
mit 2 Schlafstuben 2 Familien von je 8 und 9 Erwachsnen.
11) Wiltshire.
Stratton: 31 Häuser besucht, 8 mit nur einer Schlafstube; Pen-
till in derselben Pfarrei. Ein Cot vermiethet zu 1 sh. 3 d. wöchentlich
an 4 Erwachsne und 4 Kinder, hatte ausser guten Wänden nichts Gutes
an sich, vom Estrich aus rauhgehaunen Steinen bis zum faulen Stroh-
dach.
12) Worcestershire. Hauszerstörung hier nicht ganz so arg;
doch von 1851—1861 vermehrte sich das Personal per Haus von 4.2 zu
4.6 Individuen.
Badsey. Viele Cots und Gärtchen hier. Einige Pächter erklären
die Cots „a great nuisance here, because they bring the poor“. (Die
Cots grosser Missstand, weil sie die Armen herbringen.) Auf die Aeusse-
rung eines Gentleman: „Die Armen sind desswegen um nichts besser
dran, wenn man 500 Cots baut, gehn sie wie die Wecken ab, in der That
je mehr man davon baut, desto mehr sind nöthig“ — die Häuser bringen
nach ihm die Einwohner hervor, die naturgesetzlich auf „die Mittel der
Behausung“ drücken —, bemerkt Dr. Hunter: „Nun diese Armen müssen
irgendwoher kommen, und da keine besondre Attraktion, wie milde Gaben,
in Badsey existirt, muss Repulsion von einem noch unbequemeren Platz
existiren, der sie hierhin treibt. Könnte jeder ein Cot und ein Stückchen
Land in der Nähe seines Arbeitsplatzes finden, so würde er solche sicher
Badsey vorziehn, wo er für seine Handvoll Boden zweimal soviel zahlt als
der Pächter für den seinen.“
Die beständige Emigration nach den Städten, die beständige
„Ueberzähligmachung“ auf dem Land durch Koncentration, Ver-
wandlung von Acker in Weide, Maschinerie u. s. w., und die bestän-
dige Eviktion der Landbevölkerung durch Zerstörung der Cotta-
ges gehn Hand in Hand. Je menschenleerer der Distrikt, desto grösser seine
„relative Uebervölkerung“, desto grösser ihr Druck auf die Beschäftigungsmit-
tel, desto grösser der absolute Ueberschuss des Landvolks über seine Behau-
sungsmittel, desto grösser also in den Dörfern die lokale Ueberpopulation
und die pestilenzialischste Menschenzusammenpackung. Die Verdichtung des
Menschenknäuels in zerstreuten kleinen Dörfern und Marktflecken entspricht
der gewaltsamen Menschenentleerung auf der Oberfläche des Landes. Die
ununterbrochene „Ueberzähligmachung“ der Landarbeiter trotz ihrer ab-
nehmenden Anzahl und mit der wachsenden Masse ihres Produkts, ist die
Wiege ihres Pauperismus. Ihr eventueller Pauperismus ist ein Motiv ihrer
Eviktion und die Hauptquelle ihrer Wohnlichkeitsmisère, welche die letzte
Widerstandsfähigkeit bricht und sie zu reinen Sklaven der Landlords169)
und Pächter macht, so dass das Minimum des Arbeitslohns sich zum Natur-
gesetz für sie befestigt. Andrerseits ist das Land trotz seiner bestän-
digen „relativen Uebervölkerung“ zugleich untervölkert. Diess zeigt
sich nicht nur lokal auf solchen Punkten, wo der Menschenabfluss nach
den Städten, Minen, Eisenbahnbauten u. s. w. zu rasch vorgeht, es zeigt
sich überall sowohl zur Herbstzeit als im Frühling und Sommer während
der zahlreichen Momente, wo die sehr sorgfältige und intensive englische
Agrikultur Extrahände braucht. Es sind der Landarbeiter stets zu viel
für die mittleren und stets zu wenig für die ausnahmsweisen oder
temporären Bedürfnisse des Landbaus170). Daher findet man in den
officiellen Dokumenten die widerspruchsvolle Klage derselben Orte
über gleichzeitigen Arbeitsmangel und Arbeitsüberfluss registrirt. Der
temporäre oder lokale Arbeitsmangel bewirkt keine Erhöhung des Arbeits-
lohns, sondern Pressung von Weibern und Kindern in den Feldbau und
Herabsteigen zu stets niedrigeren Altersstufen. Sobald die Weiber- und
Kinderausbeutung grösseren Spielraum gewinnt, wird sie ihrerseits ein
neues Mittel zur Ueberzähligmachung des männlichen Landarbeiters und
Niederhaltung seines Lohns. Im Osten Englands blüht eine schöne
Frucht dieses cercle vicieux — das s. g. Gangsystem (Gang- oder
Bandensystem), worauf ich hier kurz zurückkomme171).
Das Gangsystem haust fast ausschliesslich in Lincolnshire, Hunting-
donshire, Cambridgeshire, Norfolk, Suffolk und Nottinghamshire, sporadisch
in den benachbarten Grafschaften von Northampton, Bedford und Rutland.
Als Beispiel diene hier Lincolnshire. Ein grosser Theil dieser Graf-
schaft ist neu, früherer Moor oder auch, wie in andern der genannten öst-
lichen Grafschaften, der See erst abgewonnenes Land. Die Dampf-
maschine hat für die Entwässerung Wunder gewirkt. Früherer Morast
und Sandboden trägt jetzt ein üppiges Kornmeer und die höchsten Grund-
renten. Dasselbe gilt von dem künstlich gewonnenen Alluvialland, wie in
der Insel von Axholme und den andren Pfarreien am Ufer des Trent. Im
Mass wie die neuen Pachten entstanden, wurden nicht nur keine neuen
Cottages gebaut, sondern alte niedergerissen, die Arbeitszufuhr aber ver-
schafft aus den meilenweit entfernten offnen Dörfern längst den Land-
strassen, die an Hügelrücken vorbeischlängeln. Dort hatte die Bevöl-
kerung früher allein Schutz vor den langanhaltenden Winterüberschwem-
mungen gefunden. Auf den Pachten von 400 bis 1000 Acres ansässige
Arbeiter (sie heissen hier „confined labourers“) dienen ausschliesslich zur
permanenten schweren und mit Pferden verrichteten Landarbeit. Auf je
100 Acres (1 Acre = 1.584 preussische Morgen) kommt im Durch-
schnitt kaum eine Cottage. Ein Fenlandpächter z. B. sagt aus vor der
Untersuchungskommission: „Meine Pacht erstreckt sich über 320 Acres,
alles Kornland. Sie hat keine Cottage. Ein Arbeiter wohnt jetzt bei
mir. Ich habe vier Pferdemänner in der Umgegend logirend. Das leichte
Werk, wozu zahlreiche Hände nöthig, wird durch Gänge vollbracht“172).
Der Boden erheischt viel leichtes Feldwerk wie Ausjäten des Unkrauts,
Behackung, gewisse Düngeroperationen, Auflesen der Steine u. s. w.
Es wird verrichtet durch die Gänge oder organisirten Banden, deren
Wohnsitz in den offenen Ortschaften.
Der Gang besteht aus 10 bis 40 oder 50 Personen, nämlich Wei-
bern, jungen Personen beiderlei Geschlechts (13—18 Jahr), obgleich Jun-
gen meist mit dem 13. Jahr ausscheiden, endlich Kindern beiderlei
Geschlechts (6—13. Jahr). An der Spitze steht der Gangmaster
(Gangmeister), immer ein gewöhnlicher Landarbeiter, meist ein s. g.
schlechter Kerl, Liederjahn, unstät, versoffen, aber mit einem ge-
wissen Unternehmungsgeist und savoir faire. Er wirbt den Gang,
der unter ihm arbeitet, nicht unter dem Pächter. Mit letztrem
akkordirt er meist auf Stückwerk, und sein Einkommen, das im Durch-
schnitt nicht sehr hoch über das eines gewöhnlichen Landarbeiters
steigt173), hängt fast ganz ab vom Geschick, womit er in kürzester Zeit
möglichst viel Arbeit aus seiner Bande flüssig zu machen weiss. Die
Pächter haben entdeckt, dass Frauenzimmer nur unter männlicher Dikta-
tur ordentlich arbeiten, dass aber Frauenzimmer und Kinder, wenn einmal
im Zug, mit wahrem Ungestüm, was schon Fourier wusste, ihre Lebens-
kraft verausgaben, während der erwachsne männliche Arbeiter so heim-
tückisch ist damit, soviel er kann, hauszuhalten. Der Gangmeister zieht von
einem Gut zum andern und beschäftigt so seine Bande 6—8 Monate im Jahr.
Er ist daher ein viel einträglicherer und sicherer Kunde für die Arbeiterfa-
milien als der einzelne Pächter, welcher die Kinder nur gelegentlich beschäf-
tigt. Dieser Umstand befestigt seinen Einfluss so sehr in den offnen Ort-
schaften, dass in vielen die Kinder nur durch seine Dazwischenkunft hab-
bar sind. Das individuelle Verpumpen derselben, ausserhalb des Gangs,
an die Pächter, bildet sein Nebengeschäft.
Die „Schattenseiten“ des Systems sind die Ueberarbeit der Kinder
und jungen Personen, die ungeheuren Märsche, die sie täglich zu und von
den 5, 6 und manchmal 7 Meilen entfernten Gütern zu machen haben, end-
lich die Demoralisation des „Gangs“. Obgleich der Gangmeister, der in
einigen Gegenden „the driver“ (Treiber) heisst, mit einem langen Stabe
ausgerüstet ist, wendet er solchen jedoch nur selten an, und Klage über
brutale Behandlung ist Ausnahme. Er ist ein demokratischer Kaiser
oder eine Art Rattenfänger von Hameln. Er bedarf also der Popularität
unter seinen Unterthanen und fesselt sie an sich durch das unter seinen
Auspicien blühende Zigeunerthum. Rohe Ungebundenheit, lustige Ausge-
lassenheit und obscönste Frechheit leihen dem Gang Flügel. Meist zahlt
der Gangmeister in einer Kneipe aus und kehrt dann wohl wankend,
rechts und links gestützt auf ein stämmiges Frauenmensch, an der Spitze
des Zugs heim, die Kinder und jungen Personen hinterher tollend, Spott-
und Zotenlieder singend. Auf dem Rückweg ist das, was Fourier ‚Phane-
rogamie‘ nennt, an der Tagesordnung. Die Schwängerung dreizehn- und
vierzehnjähriger Mädchen durch ihre männlichen Altersgenossen ist häufig.
Die offenen Dörfer, welche das Kontingent des Gangs stellen, werden
Sodoms und Gomorrhas174) und liefern doppelt so viel unehliche Geburten
als der Rest des Königreichs. Was in dieser Schule gezüchtete Mädchen
als verheirathete Frauen in der Moralität leisten, ward schon früher ange-
deutet. Ihre Kinder, soweit sie selbe nicht durch Opium u. s. w. besei-
tigen, sind geborne Rekruten des Gangs.
Der Gang in seiner eben beschriebenen klassischen Form heisst
öffentlicher, gemeiner oder Wandergang (public, common or tramping
gang). Es giebt nämlich auch Privatgänge (private gangs). Sie
sind zusammengesetzt wie der Gemeingang, zählen aber weniger Köpfe
und arbeiten, statt unter dem Gangmeister, unter einem alten Bauern-
knecht, den der Pächter nicht besser zu verwenden weiss. Der Zigeuner-
humor verschwindet hier, aber nach allen Zeugenaussagen verschlechtern
sich Zahlung und Behandlung der Kinder.
Das Gangsystem, das sich seit den letzten Jahren beständig aus-
dehnt175), existirt offenbar nicht dem Gangmeister zu lieb. Es existirt zur
Bereicherung der grossen Pächter176), resp. Landlords177). Für den Päch-
ter giebt’s keine sinnreichere Methode, sein Arbeiterpersonal tief unter dem
normalen Niveau zu halten und dennoch für alles Extrawerk stets die
Extrahand bereit zu haben, mit möglichst wenig Geld möglichst viel
Arbeit herauszuschlagen178) und den erwachsnen männlichen Arbeiter
„überzählig“ zu machen. Nach der frühern Auseinandersetzung versteht
man, wenn einerseits die grössere oder geringere Beschäftigungslosigkeit
des Landmanns zugestanden, andrerseits zugleich das Gangsystem wegen
Mangels an männlicher Arbeit und ihrer Wanderung nach den Städten für
„nothwendig“ erklärt wird179). Das unkrautreine Feld und das
Menschenunkraut von Lincolnshire u. s. w. sind Pol und Gegenpol der
kapitalistischen Produktion180).
Zum Schluss dieses Abschnitts müssen wir noch einen Augenblick
nach Irland wandern. Zunächst die Thatsachen, worauf es hier
ankommt.
Irlands Bevölkerung war 1841 auf 8,222,664 Personen ange-
wachsen, 1851 auf 6,623,982 zusammengeschmolzen, 1861 auf
5,850,309, 1866 auf 5½ Mill., ungefähr auf ihr Niveau von 1801.
Die Abnahme begann mit dem Hungerjahr 1846, so dass Irland in
weniger als 20 Jahren mehr als seiner Volksmenge verlor181). Seine
Gesammtemigration von Mai 1851 bis Juli 1865 zählte 1,591,487 Per-
sonen, die Emigration während der letzten 5 Jahre 1861—1865 mehr
als eine halbe Million. Die Zahl der bewohnten Häuser verminderte
sich von 1851—1861 um 52,990. Von 1851—1861 wuchs die Zahl
der Pachthöfe von 15—30 Acres um 61,000, die der Pachthöfe über
30 Acres um 109,000, während die Gesammtzahl aller Pach-
ten um 120,000 abnahm, eine Abnahme, die also ausschliesslich der
Vernichtung von Pachten unter 15 Acres, alias ihrer Koncen-
tration geschuldet ist.
Die Abnahme der Volksmenge war natürlich im Grossen und Ganzen
von einer Abnahme der Produktenmasse begleitet. Für unsren Zweck
genügt es, die 5 Jahre 1861—1865 zu betrachten, während deren über
½ Million emigrirte und die absolute Volkszahl um mehr als ⅓
Million sank.
Tabelle A.
Viehstand.
Aus der vorhergehenden Tabelle ergiebt sich:
Wenden wir uns jetzt zum Ackerbau, der die Lebensmittel für Vieh
und Mensch liefert. In der folgenden Tabelle ist Ab- oder Zunahme für das
Jahr 1861 auf das Jahr 1860 berechnet, kurz für jedes einzelne Jahr
mit Bezug auf das unmittelbar vorhergehende. Die Kornfrucht um-
fasst Weizen, Hafer, Gerste, Bere, Roggen, Bohnen und Erbsen, die
Grünfrucht Kartoffeln, Turnips, Mangel- und Runkelrübe, Kohl, gelbe
Rüben, Parsnips, Wicke u. s. w.
Tabelle B.
Zu- oder Abnahme des zum Fruchtbau und als Wiese (resp. Weide) benutzten
Bodenareals in Acres.
Im Jahr 1865 kamen unter der Rubrik „Grasland“ 127,470 Acres
hinzu, hauptsächlich weil das Areal unter der Rubrik „unbenutztes
wüstes Land und Bog (Sumpfland)“ um 101,543 Acres abnahm. Ver-
gleichen wir 1865 mit 1864, so Abnahme in Kornfrucht
246,667 Qrs., wovon 48,999 Weizen, 166,605 Hafer, 29,892 Gerste
u. s. w., Abnahme von Kartoffelertrag, obgleich das Areal
ihrer Bebauung 1865 wuchs, 446,398 Tonnen u. s. w.
Tabelle C.
Zu- oder Abnahme in dem Areal des bebauten Bodens, dem Produkt per Acre, und dem Gesammtprodukt,
1865 verglichen mit 1864.
Von der Bewegung der Bevölkerung und Bodenproduktion Irlands
gehn wir über zur Bewegung in der Börse seiner Landlords,
grösseren Pächter und industriellen Kapitalisten. Sie reflektirt sich im
Ab und Zu der der Einkommensteuer unterworfenen jährlichen Ein-
kommen. Zum Verständniss der folgenden Tabelle bemerken wir, dass Ru-
brik D (Profite mit Ausnahme der Pächterprofite) auch s. g. „profes-
sionelle“ Profite einbegreift, d. h. die Einkommen von Advokaten, Aerzten
u. s. w., die nicht besonders aufgezählten Rubriken C und E aber die
Einnahmen von Beamten, Officieren, Staatssynekuristen, Staatsgläu-
bigern u. s. w.
Tabelle D.
Der Einkommensteuer unterliegende Einkommen in Pfd. St.
Unter Rubrik D betrug die Zunahme des Einkommens im Jahres-
durchschnitt von 1853—1864 nur 0.93, während sie in derselben Pe-
riode in Grossbritanien 4.58 betrug. Die folgende Tabelle zeigt die
Vertheilung der Profite (mit Ausschluss der Pächterprofite)
für die Jahre 1864 und 1865:
Siehe nebenstehende Tabelle E.
England, ein Land entwickelter kapitalistischer Produktion und vor-
zugsweis industriell, wäre verblutet an einem Volksaderlass, gleich dem
irischen. Aber Irland ist gegenwärtig nur ein durch einen breiten Was-
sergraben abgezäunter Agrikulturdistrikt Englands, dem es Korn, Wolle,
Vieh, industrielle und militärische Rekruten liefert.
Die Entvölkerung hat viel Land ausser Bebauung geworfen, das
Tabelle E.
Rubrik D. Einkommen aus Profiten (über 60 Pfd. St.) in Irland.
Zersplitterte Produktionsmittel, die den Producenten selbst als Be-
schäftigungs- und Subsistenzmittel dienen, ohne sich durch Einverleibung
fremder Arbeit zu verwerthen, sind eben so wenig Kapital als das von
seinem eignen Producenten verzehrte Produkt Waare ist. Wenn also
auch mit der Volksmasse die Masse der in der Agrikultur angewandten
Produktionsmittel sich verminderte, vermehrte sich die Masse des
in ihr angewandten Kapitals, weil ein Theil jener vorher zersplitterten
Produktionsmittel in Kapital verwandelt ward.
Das ausserhalb der Agrikultur, in Industrie und Handel angelegte
Gesammtkapital Irlands accumulirte langsam während der letzten zwei
Decennien und unter beständiger grosser Fluktuation. Andrerseits ent-
wickelte sich um so rascher die Koncentration seiner individuellen Bestand-
theile. Endlich, wie langsam immerhin das Kapital absolut wuchs, rela-
tiv, im Verhältniss zur zusammengeschmolzenen Volkszahl, war es ausser-
ordentlich angeschwollen.
Hier entrollt sich also, unter unsern Augen, auf grosser Stufenleiter,
ein Prozess wie die orthodoxe Oekonomie ihn nicht schöner wünschen
konnte zur Bewähr ihres Dogma’s, welches das Elend aus absoluter Ueber-
völkerung erklärt und das Gleichgewicht durch Entvölkerung wieder her-
stellt. Es ist diess ein ganz anders wichtiges Experiment als die von den
Malthusianern so sehr verherrlichte Pest in der Mitte des vierzehnten Jahr-
hunderts. Nebenbei bemerkt. War es an sich schulmeisterlich naiv, den
Produktions- und entsprechenden Bevölkerungsverhältnissen des 19. Jahr-
hunderts den Massstab des 14. Jahrhunderts anzulegen, so übersah diese
Naivetät noch obendrein, dass wenn jener Pest und der sie begleitenden
Decimation, diesseits des Kanals, in England, Befreiung und Bereicherung
des Landvolks, ihr jenseits, in Frankreich, grössere Knechtung und er-
höhtes Elend auf dem Fuss nachfolgten.
Die Hungersnoth erschlug 1846 in Irland über eine Menschenmillion,
aber nur arme Teufel, ohne den geringsten Abbruch am Reichthum des Lan-
des. Der nachfolgende zwanzigjährige und stets noch anschwellende
Exodus decimirte nicht, wie etwa der dreissigjährige Krieg, mit den Men-
schen zugleich ihre Produktionsmittel. Das irische Genie erfand eine ganz
neue Methode, ein armes Volk Tausende von Meilen vom Schauplatz sei-
nes Elends wegzuhexen. Die in die Vereinigten Staaten übergesiedelten
Auswanderer schicken jährlich Geldsummen nach Haus, die Reisemittel
der Zurückgebliebenen. Jeder Trupp, der dieses Jahr auswandert, zieht
nächstes Jahr einen andern Trupp nach. Statt Irland zu kosten, bildet
die Auswanderung so einen der einträglichsten Zweige seines Exportge-
schäfts. Endlich ist diess ein systematischer Prozess, der nicht etwa ein
vorübergehendes Loch in die Volksmasse bohrt, sondern jährlich mehr
Menschen aus ihr auspumpt als der Nachwuchs ersetzt, so dass das ab-
solute Bevölkerungsniveau von Jahr zu Jahr sinkt.
Welches waren die Folgen für die zurückbleibende, von der „Sur-
pluspopulation“ befreite Arbeiterbevölkerung Irlands? Dass die rela-
tive Uebervölkerung heute so gross ist wie vor 1846, dass der Arbeits-
lohn eben so niedrig steht und die Arbeitsplackerei zugenommen hat,
dass die Misère auf dem Land wieder zu einer neuen Krise drängt. Die
Ursachen sind einfach. Die Revolution in der Agrikultur hielt Schritt mit der
Emigration. Die Produktion der relativen Uebervölkerung hielt mehr
als Schritt mit der absoluten Entvölkerung. Ein Blick auf Tabelle C
zeigt, wie die Verwandlung von Ackerbau in Viehweide in Irland noch
akuter wirken muss als in England. Hier wächst mit der Viehzucht der
Bau von Grünfrucht, dort nimmt er ab. Während grosse Massen früher
bestellter Aecker brachgelegt oder in permanentes Grasland verwandelt
werden, wird ein grosser Theil des früher unbenutzten wüsten Landes und
Bog’s zur Ausdehnung der Viehzucht benutzt. Die kleineren und mittle-
ren Pächter — ich rechne dazu alle, die nicht über 100 Acres bebauen
— haben immer noch ungefähr des irischen Bodens inne. Sie wer-
den progressiv in ganz anderem Grad als zuvor von der Konkurrenz des
kapitalistisch betriebenen Ackerbaus erdrückt und liefern daher der eigent-
lichen Arbeiterklasse beständig neue Rekruten. Die einzige grosse In-
dustrie Irlands, die Leinenfabrikation, braucht verhältnissmässig wenig er-
wachsne männliche Arbeiter und beschäftigt überhaupt, trotz ihrer Expan-
sion seit der Vertheurung der Baumwolle, nur einen verhältnissmässig un-
bedeutenden Theil der Arbeitermasse. Gleich jeder andern grossen In-
dustrie producirt sie durch die beständigen Schwankungen in ihrer eignen
Sphäre beständig eine relative Uebervölkerung, selbst bei absolutem Wachs-
thum der von ihr absorbirten Arbeiterzahl. Die Misère des Landvolks
bildet das Piedestal riesenhafter Hemdenfabriken u. s. w., deren Arbeiter-
armee zum grössten Theil über das flache Land zerstreut ist. Wir finden
hier das früher geschilderte System der Hausarbeit wieder, welches in
Unterzahlung und Ueberarbeit seine methodischen Mittel der „Ueberzäh-
ligmachung“ besitzt. Endlich, obschon die Entvölkerung nicht so zer-
störende Folgen hat, wie in einem Land entwickelter kapitalistischer Pro-
duktion, vollzieht sie sich nicht ohne beständigen Rückschlag. Die Emi-
gration lässt nicht nur leere Häuser zurück, sondern auch ruinirte Haus-
vermiether. Klein wie der Konsum jedes ihrer individuellen Bestandtheile,
producirt ihr Gesammtausfall eine beständige Lücke im innern Markt, der
namentlich Kleinkrämer, Handwerker und kleine Gewerbsleute überhaupt
trifft. Jeder neue Exodus schleudert einen Theil der kleinen Mittelklasse ins
Proletariat. Sieh Tabelle E die Abnahme der Einkommen unter 100 Pfd. St.
Der Wochenlohn des Ackerbauers in der Umgegend von Dublin —
der Maximallohn des irischen Ackerbauers — steht in diesem Augenblick,
bei hohem Preis der ersten Lebensmittel, auf 7 sh. Man kann daraus
auf seinen Stand in den rein agrikolen und entlegenen Distrikten zurück-
schliessen. Zur Schilderung der Lage selbst des geschickten irischen
industriellen Arbeiters genügt ein Beispiel.
„Bei meiner neulichen Inspektion des Nordens von Irland“, sagt der
englische Fabrikinspektor Robert Baker, „frappirte mich die Bemü-
hung eines geschickten irischen Arbeiters aus den allerdürftigsten Mitteln
seinen Kindern Erziehung zu verschaffen. Ich gebe seine Aussage ver-
batim, wie ich sie aus seinem Mund erhielt. Dass er eine geschickte
Fabrikhand, weiss man, wenn ich sage, dass man ihn zu Artikeln für den Man-
chester Markt verwandte. Johnson: Ich bin ein beetler, und arbeite von
6 Uhr Morgens bis 11 in die Nacht, von Montag bis Freitag; Samstags endigen
wir um 6 Uhr Abends und haben 3 Stunden für Mahlzeit und Erholung.
Ich habe 5 Kinder. Für diese Arbeit erhalte ich 10 sh. 6 d. wöchent-
lich; meine Frau arbeitet auch und verdient 5 sh. die Woche. Das älteste
Mädchen, zwölfjährig, wartet das Haus. Sie ist unser Koch und einziger
Gehülfe. Sie macht die jüngeren zur Schule fertig. Meine Frau steht
mit mir auf und geht mit mir fort. Ein Mädchen, die unser Haus entlang
geht, weckt mich um halb 6 Uhr Morgens. Wir essen nichts, bevor wir
zur Arbeit gehn. Das zwölfjährige Kind sorgt für die Kleineren des Tags
über. Wir frühstücken um 8 und gehn dazu nach Hause. Wir haben Thee ein-
mal die Woche; sonst haben wir einen Brei (stirabout), manchmal von Hafer-
mehl, manchmal von indischem Mehl, je nachdem wir fähig sind es zu verschaf-
fen. Im Winter haben wir ein wenig Zucker und Wasser zu unserm indischen
Mehl. Im Sommer erndten wir einige Kartoffeln, womit wir selbst ein Boden-
fetzchen bepflanzen, und wenn sie zu Ende sind, kehren wir zum Brei zu-
rück. So geht’s Tag aus Tag ein, Sonntag und Werkeltag, das ganze
Jahr durch. Ich bin stets sehr müde des Abends nach vollbrachtem Tag-
werk. Einen Bissen Fleisch sehn wir ausnahmsweis, aber sehr selten.
Drei unsrer Kinder besuchen Schule, wofür wir 1 d. per Kopf wöchentlich
zahlen. Unsere Hausmiethe ist 9 d. die Woche, Torf für Feuerung kostet
mindestens 1 sh. 6 d. vierzehntägig“187). Das sind irische Löhne, das
ist irisches Leben!
In der That, das Elend Irlands ist wieder Tagesthema in England.
Ende 1866 und Anfang 1867 machte sich in der Times einer der
irischen Landmagnaten, Lord Dufferin, an die Lösung. „Wie mensch-
lich von solch’ grossem Herrn!“
Aus Tabelle E sah man, dass während 1864 von 4,368,610 Pfd.
St. Gesammtprofit 3 Plusmacher nur 262,610, dieselben 3 Virtuosen der
„Entsagung“ 1865 von 4,669,979 Pfd. St. Gesammtprofit dagegen
274,448 Pfd. St. einsteckten, 1864: 26 Plusmacher 646,377 Pfd. St.,
1865 : 28 Plusmacher 736,448 Pfd. St., 1864 : 121 Plusmacher
1,066,912 Pfd. St., 1865 : 186 Plusmacher 1,320,996 Pfd. St., 1864 :
1131 Plusmacher 2,150,818 Pfd. St., beinahe die Hälfte des jährlichen
Gesammtprofits, 1865 : 1194 Plusmacher 2,418,933 Pfd. St., mehr als
die Hälfte des jährlichen Gesammtprofits. Der Löwenantheil aber, welchen
eine verschwindend kleine Anzahl Landmagnaten in England, Schottland
und Irland vom jährlichen Nationalrental verschlingt, ist so monströs,
dass die englische Staatsweisheit es angemessen findet, für die Vertheilung
der Grundrente nicht dasselbe statistische Material zu liefern wie für die
Vertheilung des Profits. Lord Dufferin ist einer dieser Landmag-
naten. Dass Rentrollen und Profite jemals „überzählig“ sein können, oder
dass ihre Plethora mit der Plethora des Volkselends irgendwie zusammen-
hängt, ist natürlich eine ebenso „irrespektable“ als „ungesunde“ (unsound)
Vorstellung. Er hält sich an Thatsachen. Die Thatsache ist, dass wie
die irische Volkszahl abnimmt, die irischen Rentrollen schwellen, dass die
Entvölkerung dem Grundeigenthümer „wohlthut“, also auch dem Grund,
also auch dem Volk, das nur ein Accessorium des Bodens ist. Er erklärt also,
Irland sei immer noch übervölkert und der Strom der Emigration fliesse
stets noch zu träg. Um vollständig glücklich zu sein, müsse Irland wenig-
stens noch ⅓ Million Arbeitsmenschen ablassen. Man wähne nicht, die-
ser obendrein noch poetische Lord sei ein Arzt aus der Schule Sangrado’s,
der, so oft er seinen Kranken nicht besser fand, Aderlass verordnete, neuen
Aderlass, bis der Patient mit seinem Blut auch seine Krankheit verlor.
Lord Dufferin verlangt einen neuen Aderlass von nur ⅓ Million, statt von
ungefähr 2 Millionen, ohne deren Ablass in der That das Millennium in
Erin nicht herstellbar ist. Der Beweis ist leicht geliefert.
Anzahl und Umfang der Pachten in Irland 1864.
Die Koncentration hat von 1851 bis 1861 hauptsächlich Pachten
der ersten 3 Kategorieen, unter 1 und nicht über 15 Acres, vernichtet. Sie
müssen vor allem verschwinden. Diess giebt 307,058 „überzählige“
Pächter, und die Familie zum niedrigen Durchschnitt von 4 Köpfen ge-
rechnet, 1,228,232 Personen. Unter der extravaganten Unterstellung,
dass ¼ davon nach vollbrachter agrikoler Revolution wieder absorbirbar,
bleiben auszuwandern: 921,174 Personen. Die Kategorieen 4, 5, 6,
von über 15 und nicht über 100 Acres, sind, wie man längst in England
weiss, für den kapitalistischen Kornbau zu klein, für Schafzucht aber fast
verschwindende Grössen. Unter denselben Unterstellungen wie vorher
sind also fernere 788,761 Personen auszuwandern, Summe: 1,709,532.
Und, comme l’appétit vient en mangeant, werden die Augen der Rentrolle
bald entdecken, dass Irland mit 3½ Millionen immer noch elend, und
elend, weil übervölkert ist, also seine Entvölkerung noch viel weiter
gehen muss, damit es seinen wahren Beruf erfülle, den einer englischen
Schaftrift und Viehweide.
Diese einbringliche Methode hat wie alles Gute in dieser Welt ihren
Missstand. Mit der Accumulation der Grundrente in Irland hält Schritt
die Accumulation der Irländer in Amerika. Der durch Schaf und Ochs
beseitigte Ire ersteht auf der andern Seite des Oceans als Fenian. Und
gegenüber der alten Seekönigin erhebt sich drohend und drohender die
junge Riesenrepublik.
Acerba fata Romanos agunt
Scelusque fraternae necis.
Man hat gesehn, wie Geld in Kapital verwandelt, mit dem Kapital
Mehrwerth und aus dem Mehrwerth mehr Kapital gemacht wird. Indess
setzt die Accumulation des Kapitals den Mehrwerth, der Mehrwerth die
kapitalistische Produktion, diese aber das Vorhandensein grösserer Kapi-
talmassen in den Händen von Waarenproducenten voraus. Der ganze Pro-
zess scheint also eine der kapitalistischen Accumulation vor-
ausgehende „ursprüngliche“ Accumulation („previous accumu-
lation“ bei Adam Smith) zu unterstellen, eine Accumulation, welche
nicht das Resultat der kapitalistischen Produktionsweise ist, sondern
ihr Ausgangspunkt.
Diese ursprüngliche Accumulation spielt in der politischen
Oekonomie ungefähr dieselbe Rolle wie der Sündenfall in der Theologie.
Adam biss in den Apfel und damit kam über das Menschengeschlecht die
Sünde. Ihr Ursprung wird erklärt, indem er als Anekdote der Ver-
gangenheit erzählt wird. In einer längst verflossenen Zeit gab es auf der
einen Seite eine fleissige Elite und auf der andern faulenzende Lumpen.
So kam es, dass die ersten Reichthum accumulirten und die letz-
teren schliesslich nichts zu verkaufen hatten als ihre eigne Haut. Und von
diesem Sündenfall datirt die Armuth der grossen Masse, die immer noch,
aller Arbeit zum Trotz, nichts zu verkaufen hat als sich selbst, und der
Reichthum der Wenigen, der fortwährend wächst, obgleich sie längst
aufgehört haben zu arbeiten. Solche fade Kinderei kaut Herr Thiers
z. B. noch mit staatsfeierlichem Ernst, zur Vertheidigung der propriété,
den einst so geistreichen Franzosen vor. Aber sobald die Eigenthums-
frage ins Spiel kommt, wird es heilige Pflicht, den Standpunkt der Kinder-
fibel als den allen Altersklassen und Entwicklungsstufen allein gerechten
festzuhalten. In der wirklichen Geschichte spielen bekanntlich Erobe-
rung, Unterjochung, Raubmord, kurz Gewalt die grosse Rolle. In der
sanften politischen Oekonomie herrschte von jeher die Idylle. Recht und
„Arbeit“ waren von jeher die einzigen Bereicherungsmittel, natürlich mit
jedesmaliger Ausnahme von „diesem Jahr“. In der That sind
die Methoden der ursprünglichen Accumulation alles andre, nur nicht
idyllisch.
Geld und Waare sind nicht von vornherein Kapital, so wenig wie
Produktions- und Lebensmittel. Sie bedürfen der Verwandlung in
Kapital. Dieser Verwandlungsprozess selbst kann aber nur unter be-
stimmten Umständen vorgehn. Sie spitzen sich dahin zusammen: Zweier-
lei sehr verschiedne Sorten von Waarenbesitzern müssen sich gegenüber und
in Kontakt treten, einerseits Eigner von Geld, Produktions- und Le-
bensmitteln, welche die von ihnen geeignete Werthsumme verwerthen
wollen durch Ankauf fremder Arbeitskraft; andrerseits freie Arbeiter,
Verkäufer der eignen Arbeitskraft und daher Verkäufer von Arbeit.
Freie Arbeiter in dem Doppelsinn, dass sie weder selbst unmit-
telbar zu den Produktionsbedingungen gehören, wie Sklaven, Leibeigne
u. s. w., noch auch die Produktionsbedingungen ihnen gehören, wie beim
selbstwirthschaftenden Bauer u. s. w., sie davon vielmehr frei, los und le-
dig sind. Mit dieser Polarisation des Waarenmarkts sind die
Grundbedingungen der kapitalistischen Produktion gegeben. Das Kapi-
talverhältniss setzt die Scheidung zwischen den Arbeitern und
dem Eigenthum an den Verwirklichungsbedingungen der
Arbeit voraus. Sobald die kapitalistische Produktion einmal auf eignen
Füssen steht, erhält sie nicht nur jene Scheidung, sondern reproducirt sie
auf stets wachsender Stufenleiter. Der Prozess, der das Kapitalverhält-
niss schafft, kann also nichts anders sein als der Scheidungsprozess
des Arbeiters von den Arbeitsbedingungen, ein Prozess, der
einerseits die gesellschaftlichen Lebens- und Produktionsmittel in Kapi-
tal verwandelt, andrerseits die unmittelbaren Producenten in Lohnar-
beiter. Die s. g. ursprüngliche Accumulation ist also nichts
als der historische Scheidungsprozess von Producent und
Produktionsmittel. Er erscheint als „ursprünglich“, weil er die
Vorgeschichte des Kapitals und der ihm entsprechenden Produk-
tionsweise bildet.
Man sieht auf den ersten Blick, dass dieser Scheidungsprozess eine
ganze Reihe historischer Prozesse einschliesst, und eine doppelseitige Reihe,
einerseits Auflösung der Verhältnisse, die den Arbeiter selbst zum Eigen
thum dritter Personen machten und zu einem selbst angeeigneten Produk-
tionsmittel, andrerseits Auflösung des Eigenthums der unmittelbaren Pro-
ducenten an ihren Produktionsmitteln. Der Scheidungsprozess umfasst
also in der That die ganze Entwicklungsgeschichte der modernen bürger-
lichen Gesellschaft, eine Geschichte, welche gar keine Schwierigkeiten
böte, hätten die bürgerlichen Geschichtschreiber die Auflösung der feuda-
len Produktionsweise nicht ausschliesslich unter dem clair obscur der Eman-
cipation des Arbeiters dargestellt, statt zugleich als Verwandlung der
feudalen in die kapitalistische Exploitationsweise. Der
Ausgangspunkt der Entwicklung war die Knechtschaft des Arbei-
ters. Ihr Fortgang bestand in einem Formwechsel dieser
Knechtung. Jedoch erheischt unser Zweck keineswegs Analyse der
mittelaltrigen Bewegung. Obgleich die kapitalistische Produktion schon
im 14. und 15. Jahrhundert sporadisch ihren Sitz in den Ländern am
Mittelmeer aufschlug, datirt die kapitalistische Aera erst vom
16. Jahrhundert. Dort, wo sie aufblüht, ist die Aufhebung der Leib-
eigenschaft längst vollbracht und das mittelaltrige Städtewesen bereits
in das Stadium seines Verfalls getreten.
Historisch epochemachend in der Geschichte des Scheidungsprozesses
sind die Momente, worin grosse Menschenmassen plötzlich und gewaltsam von
ihren Subsistenz- und Produktionsmitteln geschieden und als vogelfreie
Proletarier auf den Arbeitsmarkt geschleudert werden. Die Expropri-
ation der Arbeiter von Grund und Boden bildet die Grund-
lage des ganzen Prozesses. Wir haben sie also zuerst zu betrachten. Ihre
Geschichte nimmt in verschiednen Ländern verschiedne Färbung an und
durchläuft die verschiedenen Phasen in verschiedner Reihenfolge. Nur in
England, das wir daher als Beispiel nehmen, besitzt sie klassische
Form189).
In England war die Leibeigenschaft im letzten Theil des 14. Jahr-
hunderts faktisch verschwunden. Die ungeheure Mehrzahl der Bevölke-
rung190) bestand damals und noch mehr im 15. Jahrhundert aus freien, selbst-
wirthschaftenden Bauern, durch welch feudales Aushängeschild ihr Eigen-
thum immer versteckt sein mochte. Auf den grösseren herrschaftlichen
Gütern war der früher selbst leibeigne bailiff (Vogt) durch den freien
Pächter verdrängt. Die Lohnarbeiter der Agrikultur bestanden theils aus
Bauern, die ihre Mussezeit durch Arbeit bei grossen Grundeigenthümern
verwertheten, theils aus einer selbstständigen, relativ und absolut wenig
zahlreichen Klasse eigentlicher Lohnarbeiter. Auch letztre waren faktisch
zugleich selbstwirthschaftende Bauern, indem sie ausser ihrem Lohn Acker-
land zum Belauf von 4 und mehr Acres nebst Cottages angewiesen er-
hielten. Sie genossen zudem mit den eigentlichen Bauern die Nutznies-
sung des Gemeindelandes, worauf ihr Vieh weidete und das ihnen
zugleich die Mittel der Feuerung, Holz, Torf u. s. w. bot191). In allen
Ländern Europa’s ist die feudale Produktion durch Theilung des Bodens
unter möglichst viele Untersassen charakterisirt. Die Macht des Feudal-
herrn, wie die jeden Souverains, beruhte nicht auf der Länge seiner Rent-
rolle, sondern auf der Zahl seiner Unterthanen, und letztere hing von der
Zahl selbstwirthschaftender Bauern ab192). Obgleich der englische Boden
daher nach der normännischen Eroberung in riesenhafte Baronien vertheilt
ward, wovon eine einzige oft 900 alte angelsächsische Lordschaften ein-
schloss, war er besät von kleinen Bauernwirthschaften, nur hier und da
durchbrochen von grösseren herrschaftlichen Gütern. Solche Verhältnisse,
bei gleichzeitiger Blüthe des Städtewesens, wie sie das 15. Jahrhundert
auszeichnet, erlaubten jenen Volksreichthum, den der Staatskanzler
Fortescue so beredt in seinen „Laudibus Legum Angliae“
schildert, aber sie schlossen den Kapitalreichthum aus.
Das Vorspiel der Umwälzung, welche die Grundlage der kapitalisti-
schen Produktionsweise schuf, ereignet sich im letzten Drittheil des 15.
und den ersten Decennien des 16. Jahrhunderts. Eine Masse vogel-
freier Proletarier ward auf den Arbeitsmarkt geschleudert durch
die Auflösung der feudalen Gefolgschaften, die, wie Sir James
Steuart richtig bemerkt, „überall nutzlos Haus und Hof füllten.“ Obgleich
die königliche Macht, selbst ein Produkt der bürgerlichen Entwicklung, in
ihrem Streben nach absoluter Souverainität die Auflösung dieser Gefolg-
schaften gewaltsam beschleunigte, war sie keineswegs deren einzige Ursache.
Vielmehr im trotzigsten Gegensatz zu Königthum und Parlament, schuf der
grosse Feudalherr ein ungleich grösseres Proletariat durch ge-
waltsame Verjagung der Bauernschaft von dem Grund und Boden, worauf
sie denselben feudalen Rechtstitel besass wie er selbst, und durch Usurpa-
tion ihres Gemeindelandes. Den unmittelbaren Anstoss dazu gab in Eng-
land namentlich das Aufblühn der flandrischen Wollmanufaktur, und
das entsprechende Steigen der Wollpreise. Den alten Feudaladel hatten
die grossen Feudalkriege verschlungen, der neue war ein Kind seiner Zeit,
für welche Geld die Macht aller Mächte. Verwandlung von Ackerland in
Schafweide ward also sein Losungswort. Harrison, in seiner „De-
scription of England. Prefixed to Holinshed’s Chronicles“,
beschreibt, wie die Expropriation der kleinen Bauern das Land ruinirt.
„What care our great incroachers!“ (Was fragen unsre grossen Usurpa-
toren danach?) Die Wohnungen der Bauern und die Cottages der Arbeiter
wurden gewaltsam niedergerissen oder dem Verfall geweiht. „Wenn
man“, sagt Harrison, „die älteren Inventarien jeden Ritterguts vergleichen
will, so wird man finden, dass unzählige Häuser und kleine Bauernwirth-
schaften verschwunden sind, dass das Land viel weniger Leute nährt, dass
viele Städte verfallen sind, obgleich einige neue aufblühn . . . . Von Städten
und Dörfern, die man für Schaftriften zerstört hat, und worin nur noch
die Herrschaftshäuser stehn, könnte ich etwas erzählen.“ Die Klagen
jener alten Chroniken sind immer übertrieben, aber sie zeichnen genau den
Eindruck der Revolution in den Produktionsverhältnissen auf die Zeitge-
nossen selbst. Ein Vergleich zwischen den Schriften der Schatzkanzler For-
tescue und Thomas Morus veranschaulicht die Kluft zwischen dem
15. und 16. Jahrhundert. Aus ihrem goldnen Zeitalter, wie Thornton
richtig sagt, stürzte die englische Arbeiterklasse ohne alle Zwischenüber-
gänge in das eiserne.
Die Gesetzgebung erschrak vor dieser Umwälzung. Sie stand noch
nicht auf der Civilisationshöhe, wo „Wealth of the Nation“,
d. h. Kapitalbildung und rücksichtslose Exploitation und Verarmung der
Volksmasse als ultima Thule aller Staatsweisheit gelten. In seiner „Ge-
schichte Heinrich’s VII.“ sagt Baco: „Um diese Zeit (1489)
mehrten sich die Klagen über Verwandlung von Ackerland in Weide (zur
Schaftrift u. s. w.), leicht zu versehn durch wenige Hände. Diess brachte
einen Verfall des Volks hervor … König und Parlament ergriffen Mass-
regeln wider diese entvölkernde Usurpation der Gemeindeländereien (depo-
pulating inclosures) und die ihr auf dem Fuss folgende entvölkernde Weide-
wirthschaft (depopulating pasture).“ Ein Akt Heinrich des VII., 1489,
c. 19, verbot die Zerstörung aller Bauernhäuser, wozu wenigstens 20
Acres Land gehörten. In einem Akt 25, Heinrich VIII., wird dasselbe
Gesetz erneuert. Es heisst darin u. a., dass „viele Pachten und grosse
Viehmassen, besonders Schafe, sich in wenigen Händen aufhäufen, wo-
durch die Grundrenten sehr gewachsen und der Ackerbau (tillage) sehr
verfallen, Kirchen und Häuser niedergerissen, wunderbare Volksmassen
verunfähigt seien, sich selbst und Familien zu erhalten.“ Das Gesetz
verordnet daher den Wiederbau der verfallnen Pachthäuser, bestimmt den
Kornbau im Verhältniss zur Schafweide u. s. w. Ein Akt von 1533
klagt, dass manche Eigenthümer 24,000 Schafe besitzen und beschränkt
deren Zahl auf 2000. Die Volksklage193) und die seit Heinrich dem VII.
an 150 Jahre fortdauernde Gesetzgebung wider die Expropriation der
kleinen Pächter und Bauern waren gleich fruchtlos. Das Geheimniss ihrer
Erfolglosigkeit verräth uns Baco wider Wissen. „Der Akt Hein-
rich’s VII.,“ sagt er in seinen „Essays, civil and moral“ Sect. 20,
„war tief und bewunderungswürdig, indem er Landwirthschaften und
Ackerbauhäuser von bestimmtem Normalmass schuf, d. h. eine Proportion
von Land für sie erhielt, die sie befähigte Unterthanen von genügendem
Reichthum und ohne servile Lage auf die Welt zu setzen und den Pflug
in der Hand von Eigenthümern, nicht von Miethlingen zu
halten“ („to keep the plough in the hand of the owners and not hire-
lings“). Was die kapitalistische Produktion erheischte, war umge-
kehrt servile Lage der Volksmasse, ihre eigne Verwandlung in Miethlinge, und
Verwandlung ihrer Arbeitsmittel in Kapital. Jene ältere Gesetzgebung
sucht auch die 4 Acres Land bei der Cottage des ländlichen Lohnar-
beiters zu erhalten, wie sie ihm die Aufnahme von Miethsleuten in seine
Cottage verbot. Noch 1627, unter Jakob I., wurde Roger Crocker von
Frontmill verurtheilt wegen Bau’s einer Cottage im Manor von Frontmill
ohne 4 Acres Land als beständiges Annex an dieselbe; noch 1638, unter
Karl I., wurde eine königliche Kommission ernannt, um die alten Gesetze,
namentlich auch über die 4 Acres Land, zu erzwingen; noch Cromwell ver-
bot Erbauung eines Hauses in 4 Meilen weitem Umkreis von London ohne Aus-
stattung desselben mit 4 Acres Land. Noch in der ersten Hälfte des 18.
Jahrhunderts wird geklagt, wenn die Cottage des Landarbeiters kein Zu-
behör von 1 bis 2 Acres hat. Heutzutag ist er glücklich, wenn sie mit
einem Gärtchen ausgestattet ist, oder wenn er weitab von ihr ein Paar
Ruthen Land miethen kann. „Landlords und Pächter“, sagt Dr. Hunter,
„handeln hier Hand in Hand. Wenige Acres zur Cottage würden den Ar-
beiter zu unabhängig machen“194).
Einen neuen furchtbaren Anstoss erhielt der gewaltsame Expro-
priationsprozess der Volksmasse im 16. Jahrh. durch die Refor-
mation und, in ihrem Gefolge, den kolossalen Diebstahl der Kirchen-
güter. Die katholische Kirche war zur Zeit der Reformation Feudal-
eigenthümer eines grossen Theils des englischen Grund und Bodens. Die
Unterdrückung der Klöster u. s. w. schleuderte deren Einwohner ins Prole-
tariat. Die Kirchengüter selbst wurden grossentheils an raubsüchtige
königliche Günstlinge verschenkt oder zu einem Spottpreis an spekulirende
Pächter und Stadtbürger verkauft, welche die alten erblichen Untersassen
massenhaft verjagten und ihre Wirthschaften zusammenwarfen. Das ge-
setzlich garantirte Eigenthum verarmter Landleute an einem Theil der
Kirchenzehnten ward stillschweigend konfiscirt195). „Pauper ubique
jacet“, rief Königin Elisabeth nach einer Rundreise durch England. Im
43. Jahre ihrer Regierung war man endlich gezwungen, den Pauperis-
mus officiell anzuerkennen durch Einführung der Armensteuer. „Die
Urheber dieses Gesetzes schämten sich seine Gründe auszusprechen und
schickten es daher, wider alles Herkommen, ohne irgend ein pre-
amble (Eingangsworte) in die Welt“196). Durch 16. Carolus I., 4
wurde es perpetuell erklärt und erhielt in der That erst 1834 eine neue
härtere Form197). Diese unmittelbaren Wirkungen der Reformation
waren nicht ihre nachhaltigsten. Das Kircheneigenthum bildete
das religiöse Bollwerk der alterthümlichen Grundeigenthums-
verhältnisse. Mit seinem Fall waren sie nicht länger vertheidigbar198).
Noch in den letzten Decennien des 17. Jahrhunderts war die Yeomanry,
eine unabhängige Bauernschaft, zahlreicher als die Klasse der Pächter.
Sie hatte die Hauptstärke Cromwell’s gebildet und stand, selbst nach Ma-
caulay’s Geständniss, in vortheilhaftem Gegensatz zu den versoffenen Mist-
junkern und ihren Bedienten, den Landpfaffen, welche die herrschaftliche
„Lieblingsmagd“ unter die Haube bringen mussten. Noch waren selbst
die ländlichen Lohnarbeiter Miteigenthümer am Gemeindeeigenthum.
1750 ungefähr war die Yeomanry verschwunden199), und in den letzten De-
cennien des 18. Jahrhunderts die letzte Spur vom Gemeindeeigenthum der
Ackerbauer. Wir sehn hier ab von den rein ökonomischen Agen-
tien der Agrikulturrevolution. Wir fragen nach ihren gewalt-
samen Hebeln.
Unter der Restauration der Stuarts setzten die Grundeigen-
thümer eine Usurpation gesetzlich durch, die sich überall auf dem Kon-
tinent auch ohne gesetzliche Weitläufigkeit vollzog. Sie hoben die Feudal-
verfassung des Bodens auf, d. h. sie schüttelten seine Leistungspflich-
ten an den Staat ab, „entschädigten“ den Staat durch Steuern auf die
Bauernschaft und übrige Volksmasse, vindicirten modernes Privateigenthum
an Gütern, worauf sie nur Feudaltitel besassen, und oktroyirten schliesslich
jene Niederlassungsgesetze (laws of settlement), die, mutatis mu-
tandis, auf die englischen Ackerbauer wirkten, wie des Tartaren Boris Go
dunof Edikt auf die russische Bauernschaft.
Die „glorious Revolution“ (glorreiche Revolution) brachte
mit dem Oranier Wilhelm III.200) die grundeigenthümlichen und kapi-
talistischen Plusmacher zur Herrschaft. Sie weihten die neue Aera ein,
indem sie den bisher nur bescheiden betriebenen Diebstahl an den
Staatsdomänen auf kolossaler Stufenleiter ausübten. Diese Län-
dereien wurden verschenkt, zu Spottpreisen verkauft, oder auch durch
direkte Usurpation an Privatgüter annexirt201). Alles das geschah ohne
die geringste Beobachtung gesetzlicher Etiquette. Das so fraudulent an-
geeignete Staatsgut sammt dem Kirchenplunder, so weit er während der
republikanischen Revolution nicht abhanden kam, bildet die Grundlage der
heutigen fürstlichen Domänen der englischen Oligarchie202). Die bürger-
lichen Kapitalisten begünstigten die Operation, u. a. um den Grund und
Boden in einen reinen Handelsartikel zu verwandeln, um ihre Zufuhr vogel-
freier Proletarier vom Land zu vermehren u. s. w. Sie handelten für ihr Inter-
esse ganz so richtig als die schwedischen Stadtbürger, deren ökono-
misches Bollwerk die Bauernschaft war, wesshalb sie Hand in Hand
mit derselben die Könige in der gewaltsamen Resumption der Kronlän-
dereien von der Oligarchie (seit 1604, später unter Karl X. und
Karl XI.) unterstützten.
Gemeindeeigenthum war eine altgermanische Einrichtung,
die unter der Decke der Feudalität fortlebte. Man hat gesehn, wie die
gewaltsame Usurpation desselben, meist begleitet von Verwandlung des
Ackerlands in Viehweide, Ende des 15. Jahrhunderts beginnt und im
16. Jahrhundert fortdauert. Aber damals vollzog sich der Prozess als
individuelle Gewaltthat, wogegen die Gesetzgebung 150 Jahre
durch vergeblich ankämpft. Der Fortschritt des 18. Jahrh. offenbart sich
darin, dass das Gesetz selbst jetzt zum Vehikel des Raubs am
Volksland wird, obgleich die grossen Pächter nebenbei auch ihre kleinen
unabhängigen Privatmethoden anwenden203). Die parlamentarische Form
des Raubs ist die der „Bills for Inclosures of Commons“ (Bills
für Einschluss der Gemeindeländereien), in andern Worten Dekrete, wo-
durch die Landlords Volkseigenthum sich selbst als Privateigenthum schen-
ken, Dekrete der Volksexpropriation. Sir F. M. Eden widerlegt sein
pfiffiges Advokatenplaidoyer, worin er das Gemeindeeigenthum als Privat-
eigenthum der an die Stelle der Feudalen getretenen Landlords darzustellen
sucht, indem er selbst einen „allgemeinen Parlamentsakt für die
inclosure der Gemeindeländerei“ verlangt, also zugiebt, dass ein parla-
mentarischer Staatsstreich zu ihrer Verwandlung in Privat-
eigenthum nöthig ist, andrerseits aber von der Legislatur „Schaden-
ersatz“ für die exproprürten Armen fordert204).
Während an die Stelle der unabhängigen Yeomen tenants-atwill
traten, kleinere Pächter auf einjährige Kündigung, eine servile und von
der Willkühr der Landlords abhängige Rotte, half, neben dem Raub der
Staatsdomänen, namentlich der systematisch betriebne Diebstahl des Ge-
meindeeigenthums jene grossen Pachten anschwellen, die man im 18. Jahr-
hundert Kapital-Pachten205) oder Kaufmanns-Pachten206)
nannte, und das Landvolk als Proletariat für die Industrie „freisetzen“.
Das 18. Jahrh. begriff jedoch noch nicht in demselben Mass wie das
19. die Identität zwischen Nationalreichthum und Volks-
armuth. Daher heftigste Polemik in der ökonomischen Literatur jener
Zeit über die „inclosure of commons“. Ich gebe aus dem massen-
haften Material, das mir vorliegt, einige wenige Stellen, weil dadurch leb-
haft die Zustände veranschaulicht werden.
„In vielen Pfarreien von Hertfordshire“, schreibt eine entrüstete
Feder, „sind 24 Pachten von 50 bis 150 Acres auf 3 zusammenge-
schmolzen“207). „In Northamptonshire und Lincolnshire hat der Ein-
schluss der Gemeindeländereien sehr vorgeherrscht und die meisten aus
den enclosures entsprungenen neuen Lordschaften sind in Weideland ver-
wandelt; in Folge davon haben viele Lordschaften jetzt nicht 50 Acres
unter dem Pflug, wo früher 1500 gepflügt wurden … Ruinen früherer
Wohnhäuser, Scheunen, Ställe u. s. w. sind die einzigen Spuren der früheren
Einwohner. Hunderte von Häusern und Familien sind an manchen Plätzen
zusammengeschrumpft auf 8 oder 10. Der Grundeigenthümer in den
meisten Pfarreien, wo der Einschluss erst seit 15 oder 20 Jahren vor-
ging, sind sehr wenige in Vergleich zu den Zahlen, von denen das Land im
offnen Feldzustand bebaut wurde. Es ist nichts Ungewöhnliches, 4 oder
5 reiche Viehmäster grosse, jüngst eingeschlossene Lordschaften usurpiren
zu sehn, die sich früher in der Hand von 20—30 Pächtern und vielen
kleineren Eigenthümern und Insassen befanden. Alle diese sind mit
ihren Familien aus ihrem Besitzthum herausgeworfen
worden, nebst vielen andren Familien, die durch sie beschäftigt und er-
halten wurden“208). Es war nicht nur brachliegendes, sondern oft, unter
bestimmter Zahlung an die Gemeinde, oder gemeinschaftlich bebautes
Land, das unter dem Vorwand der „enclosure“ vom angränzenden Landlord
annexirt wurde. „Ich spreche hier vom Einschluss offner Felder und Lände-
reien, die bereits bébaut sind. Selbst die Schriftsteller, welche die Inclosures
vertheidigen, geben zu, dass sie in diesem Fall den Feldbau vermindern, die
Preise der Lebensmittel erhöhen und Entvölkerung produciren … und
selbst die inclosure wüster Ländereien, wie jetzt betrieben, raubt dem
Armen einen Theil seiner Subsistenzmittel und schwellt
Pachten auf, die bereits zu gross sind“209). „Wenn“, sagt Dr. Price,
„das Land in die Hände einiger weniger grossen Pächter geräth, werden
die kleinen Pächter (früher von ihm bezeichnet als „eine Menge kleiner
Eigenthümer und Pächter, die sich selbst und Familien erhalten durch das
Produkt des von ihnen bestellten Landes, durch Schafe, Geflügel, Schweine
u. s. w., die sie auf das Gemeindeland schicken, so dass sie wenig Ge-
legenheit zum Kauf von Subsistenzmitteln haben“) verwandelt in
Leute, die ihre Subsistenz durch Arbeit für Andre gewinnen müssen
und gezwungen sind, für alles, was sie brauchen, zu Markt zu gehn
… Es wird vielleicht mehr Arbeit verrichtet, weil mehr Zwang
dazu herrscht … Städte und Manufakturen werden wachsen, weil mehr
Leute zu ihnen verjagt werden, welche Beschäftigung suchen.
Diess ist der Weg, worin die Koncentration der Pachten naturgemäss
wirkt und worin sie, seit vielen Jahren, in diesem Königreich thatsächlich
gewirkt hat“210). Er fasst die Gesammtwirkung der inclosures so zu-
sammen: „Im Ganzen hat sich die Lage der niederen Volksklassen fast in
ieder Hinsicht verschlechtert, die kleineren Grundbesitzer und Pächter sind
herabgedrückt auf den Stand von Taglöhnern und Miethlingen; und zur sel-
ben Zeit ist der Lebensgewinn in diesem Zustand schwieriger ge-
worden“211). In der That wirkten Usurpation des Gemeindelands und die
sie begleitende Revolution der Agrikultur so akut auf die Ackerbauar-
beiter, dass, nach Eden selbst, zwischen 1765 und 1780 ihr Lohn anfing
unter das Minimum zu fallen und durch officielle Armenunterstützung
ergänzt zu werden. Ihr Arbeitslohn, sagt er, „genügte nicht mehr für die
absoluten Lebensbedürfnisse.“
Hören wir noch einen Augenblick einen Vertheidiger der enclosures
und Gegner des Dr. Price. „Es ist ein durchaus falscher Schluss, dass
Entvölkerung vorhanden, weil man Leute nicht länger ihre Arbeit im
offnen Feld verwüsten sieht. Sind ihrer jetzt weniger auf dem Land,
so sind ihrer desto mehr in den Städten … Wenn nach Verwandlung
kleiner Bauern in Leute, die für andere arbeiten müssen, mehr
Arbeit flüssig gemacht wird, so ist das ja ein Vortheil, den die
Nation (wozu die Verwandelten natürlich nicht gehören) wünschen
muss … Das Produkt wird grösser sein, wenn ihre kombinirte Arbeit
auf einer Pacht angewandt wird: so wird Surplusprodukt für die Manu-
fakturen gebildet, und dadurch werden Manufakturen, eine der Minen die-
ser Nation, im Verhältniss zum producirten Kornquantum vermehrt“212).
Die stoische Seelenruhe, womit der politische Oekonom frechste Schän
dung des „heiligen Rechts des Eigenthums“ und gröbste Gewaltthat wider Per-
sonen betrachtet, soweit sie erheischt sind, um die Grundlage der kapita-
listischen Produktionsweise herzustellen, zeigt uns u.a. der über-
dem noch torystisch gefärbte und „philanthropische“ Sir F. M. Eden. Die
ganze Reihe von Raubthaten, Greueln und Volkselend, welche die gewaltsame
Volksexpropriation vom letzten Drittel des 15. bis zum Ende des 18. Jahrh.
begleiten, treibt ihn nur zur „comfortablen“ Schlussreflexion: „Die rich-
tige (due) Proportion zwischen Acker- und Viehland musste
hergestellt werden. Noch im ganzen 14. und grössten Theil des 15.
Jahrh. kam 1 Acre Viehweide auf 2, 3, und selbst 4 Acres Ackerland. In der
Mitte des 16 Jahrhunderts verwandelte sich die Proportion in 3 Acres
Viehland auf 2, später von 2 Acres Viehweide auf 1 Acre Ackerland, bis
endlich die richtige Proportion von 3 Acres Viehland auf
1 Acre Ackerland herauskam.“
Im 19. Jahrhundert verlor sich natürlich selbst die Erinnerung des
Zusammenhangs zwischen Ackerbauer und Gemeindeeigenthum. Von
späterer Zeit gar nicht zu reden, welchen Farthing Ersatz erhielt das
Landvolk jemals für die 3,511,770 Acres Gemeinland, die ihm zwischen
1801 und 1831 geraubt und parlamentarisch den Landlords von den
Landlords geschenkt wurden?
Der letzte grosse Expropriationsprozess der Ackerbauer
von Grund und Boden endlich ist das s. g. „Clearing of Estates“
(Lichten der Güter, in der That Wegfegung der Menschen von den-
selben). Alle bisher betrachteten englischen Methoden kulminirten im
„Lichten“. Wie man bei der Schilderung des modernen Zustands im vori-
gen Abschnitt sah, geht es jetzt, wo unabhängige Bauern nicht mehr weg-
zufegen sind, bis zum „Lichten“ der Cottages fort, so dass die Acker-
bauarbeiter auf dem Boden, den sie bestellen, selbst nicht mehr den nöthigen
Raum zur eignen Behausung finden. Indess unterscheidet sich das eigent-
liche „Clearing of Estates“ durch den mehr systematischen Charak-
ter, die Grösse der Stufenleiter, worauf die Operation auf einmal ausgeführt
wird (in Schottland auf Arealen so gross, wie deutsche Fürstenthümer), und
durch die eigenthümliche Form des Grundeigenthums, welches so gewaltsam
in modernes Privateigenthum verwandelt wird. Diess Eigenthum war Eigen-
thum des Clans, der Chef oder „grosse Mann“ nur Titulareigenthümer
als Repräsentant des Clans, wie die Königin von England Titulareigenthü-
merin des englischen Grund und Bodens ist213). Diese Revolution, welche
in Schottland nach der letzten Schilderhebung des Prätendenten begann,
kann man in ihren ersten Phasen verfolgen bei Sir James Steuart214) und
James Anderson215). Im 18. Jahrh. wurde zugleich den vom Land verjag-
ten Gaelen die Auswanderung verboten, um sie gewaltsam nach Glasgow
und anderen Fabrikstädten zu treiben216). Als Beispiel der im 19. Jahrh.
herrschenden Methode217) genügen hier die „Lichtungen“ der Gräfin
von Sutherland. Diese ökonomisch geschulte Person beschloss gleich
bei ihrem Regierungsantritt eine ökonomische Radikalkur vorzunehmen und
die ganze Grafschaft, deren Einwohnerschaft durch frühere, ähnliche Pro-
zesse bereits auf 15,000 zusammengeschmolzen war, in Schaftriften zu
verwandeln. Von 1814 bis 1820 wurden diese 15,000 Einwohner, un-
gefähr 3000 Familien, systematisch verjagt und ausgerottet. Alle ihre
Dörfer wurden zerstört und niedergebrannt, alle ihre Felder in Weide ver-
wandelt. Britische Soldaten wurden zur Execution kommandirt und kamen
zu Schlägen mit den Eingebornen. Eine alte Frau verbrannte in den
Flammen der Hütte, die sie zu verlassen sich weigerte. So eignete sich diese
Madame 794,000 Acres Land an, das seit undenklicher Zeit dem
Clan gehörte. Den vertriebenen Eingebornen wies sie am Seegestad un-
gefähr 6000 Acres zu, 2 Acres per Familie. Die 6000 Acres hatten bis-
her wüst gelegen und den Eigenthümern kein Einkommen abgeworfen.
Die Gräfin ging in ihrem Nobelgefühl so weit den Acre zu 2 sh. 6 d. Rente
im Durchschnitt den Clanleuten zu verpachten, die seit Jahrhunderten ihr
Blut für die Familie vergossen hatten. Das ganze geraubte Clanland theilte
sie in 29 grosse Schafpachten, jede bewohnt von einer einzigen Familie,
meist englische Pachtknechte. Im Jahr 1825 waren die 15,000 Gaelen
bereits ersetzt durch 131,000 Schafe. Der an das Seegestad geworfne
Theil der Aborigines suchte vom Fischfang zu leben. Sie wurden Amphi-
bien, und lebten, wie ein englischer Schriftsteller sagt, halb auf dem
Land und halb auf dem Wasser und lebten mit alledem nur halb von
beiden218).
Aber die braven Gaelen sollten noch schwerer ihre bergromantische
Idolatrie für die „grossen Männer“ des Clans abbüssen. Der Fischge-
ruch stieg den grossen Männern in die Nase. Sie witterten etwas Profit-
liches dahinter und verpachteten das Seegestade den grossen Fischhänd-
lern von London. Die Gaelen wurden zum zweitenmal verjagt219).
Endlich aber wird ein Theil der Schaftriften rückverwandelt in
Jagdrevier. Man weiss, dass es keine ernsthaften Wälder in Eng-
land giebt. Das Wild in den Parks der Grossen ist konstitutionelles Haus-
vieh, fett wie Londoner Aldermen. Schottland ist daher das letzte Asyl
der „noblen Passion“. „In den Hochlanden,“ sagt Somers, 1848,
„sind die Waldungen sehr ausgedehnt worden. Hier auf der einen Seite
von Gaick habt ihr den neuen Wald von Glenfeshie, und dort, auf der
andern Seite, den neuen Wald von Ardverikie. In derselben Linie habt
ihr den Bleak-Mount, eine ungeheure Wüste, neulich errichtet. Von Ost zu
West, von der Nachbarschaft von Aberdeen bis zu den Klippen von Obon,
habt ihr jetzt eine fortlaufende Waldlinie, während sich in andern Theilen
der Hochlande die neuen Wälder von Loch Archaig, Glengarry, Glen-
moriston u. s. w. befinden … Die Verwandlung ihres Landes in Schaf-
weide trieb die Gaelen auf unfruchtbareren Boden. Jetzt fängt Rothwild
an das Schaf zu ersetzen und treibt jene in noch zermalmenderes Elend …
Die Wildwaldungen und das Volk können nicht neben einander existiren.
Eins oder das andre muss jedenfalls den Platz räumen. Lasst die
Jagden in Zahl und Umfang im nächsten Vierteljahrhundert wachsen wie
im vergangenen, und ihr werdet keinen Gaelen mehr auf seiner heimischen
Erde finden. Diese Bewegung unter den Hochlands-Eigenthümern ist
theils der Mode geschuldet, aristokratischem Kitzel, Jagdliebhaberei u. s. w.,
theils aber betreiben sie den Wildhandel ausschliesslich mit einem
Auge auf den Profit. Denn es ist Thatsache, dass ein Stück Berg-
land, in Jagdung angelegt, in vielen Fällen ungleich profitabler ist denn
als Schaftrift … Der Liebhaber, der ein Jagdrevier sucht, beschränkt
sein Angebot nur durch die Weite seiner Börse … Leiden sind über die
Hochlande verhängt worden nicht minder grausam als die Politik normän-
nischer Könige sie über England verhing. Rothwild hat freieren Spiel-
raum erhalten, während die Menschen in engen und engeren Zirkel ge-
hetzt wurden … Eine Freiheit des Volks nach der andern ward ihm
geraubt … Und die Unterdrückung wächst noch täglich. Die Lichtung
und Vertreibung des Volks werden von den Eigenthümern als festes Princip
verfolgt, als eine agrikole Nothwendigkeit, ganz wie Bäume und Gesträuch
in den Wildnissen Amerika’s und Australiens weggefegt werden, und die
Operation geht ihren ruhigen, geschäftsmässigen Gang“220).
Der Raub der Kirchengüter, die fraudulente Veräusserung der Staats-
domänen, der Diebstahl des Gemeindeeigenthums, die usurpatorische und
mit rücksichtslosem Terrorismus vollzogne Verwandlung von feudalem und
Claneigenthum in modernes Privateigenthum, es waren ebenso viele idylli-
sche Methoden der ursprünglichen Accumulation. Durch
sie ward das Feld für die kapitalistische Agrikultur erobert, der Grund
und Boden dem Kapital einverleibt, der städtischen Industrie die nöthige
Zufuhr von vogelfreiem Proletariat geschaffen.
Die durch Auflösung der feudalen Gefolgschaften und durch stoss-
weise, gewaltsame Expropriation von Grund und Boden Verjagten,
diess vogelfreie Proletariat konnte unmöglich eben so rasch von der auf-
kommenden Manufaktur absorbirt werden als es auf die Welt gesetzt
ward. Andrerseits konnten die plötzlich aus ihrer gewohnten Lebensbahn
Herausgeschleuderten sich nicht eben so plötzlich in die Disciplin des neuen
Zustandes finden. Sie verwandelten sich massenhaft in Bettler, Räuber, Va-
gabunden, zum Theil aus Neigung, in den meisten Fällen durch den Zwang
der Umstände. Ende des 15. und während des ganzen 16. Jahrh. daher
in ganz Westeuropa eine Blutgesetzgebung wider Vagabun-
dage. Die Väter der jetzigen Arbeiterklasse wurden zunächst für die ihnen
angethane Verwandlung in Vagabunden und Paupers gezüchtigt. Die
Gesetzgebung behandelte sie als „freiwillige“ Verbrecher und unter-
stellte, dass es von ihrem guten Willen abhänge, in den nicht
mehr existirenden alten Verhältnissen fortzuarbeiten.
In England begann jene Gesetzgebung unter Heinrich VII.
Heinrich VIII., 1530: Alte und arbeitsunfähige Bettler erhal-
ten eine Bettellicenz. Dagegen Auspeitschung und Einsperrung für hand-
feste Vagabunden. Sie sollen an einen Karren hinten angebunden und
gegeisselt werden, bis das Blut von ihrem Körper strömt, dann einen Eid
schwören, zu ihrem Geburtsplatz, oder dorthin, wo sie die letzten drei
Jahre gewohnt, zurückzukehren und „sich an die Arbeit zu setzen“ (to
put himself to labour). Welche grausame Ironie! 27 Heinrich VIII.
wird das vorige Statut wiederholt, aber durch neue Zusätze verschärft.
Bei zweiter Ertappung auf Vagabundage soll die Auspeitschung wieder-
holt und das halbe Ohr abgeschnitten, bei dritter Recidive aber der Be-
troffene als schwerer Verbrecher und Feind des Gemeinwesens hingerichtet
werden.
Edward VI.: Ein Statut aus seinem ersten Regierungsjahr, 1547,
verordnet, dass wenn Jemand zu arbeiten weigert, soll er als Sklave der
Person zugeurtheilt werden, die ihn als Müssiggänger denuncirt hat. Der
Meister soll seinen Sklaven mit Brod und Wasser nähren, schwachem Ge-
tränk und solchen Fleischabfällen, die er passend dünkt. Er hat das
Recht, ihn zu jeder auch noch so eklen Arbeit durch Auspeitschung und
Ankettung zu treiben. Wenn sich der Sklave für 14 Tage entfernt, ist
er zur Sklaverei auf Lebenszeit verurtheilt und soll auf Stirn oder Backen
mit dem Buchstaben S gebrandmarkt, wenn er zum drittenmal fortläuft,
als Staatsverräther hingerichtet werden. Der Meister kann ihn verkaufen,
vermachen, als Sklaven ausdingen, ganz wie anderes bewegliches Gut und
Vieh. Unternehmen die Sklaven etwas gegen die Herrschaft, so sollen sie
ebenfalls hingerichtet werden. Friedensrichter sollen auf Information den
Kerls nachspüren. Findet sich, dass ein Herumstreicher drei Tage gelun-
gert hat, so soll er nach seinem Geburtsort gebracht, mit rothglühendem
Eisen auf die Brust mit dem Zeichen V gebrandmarkt, und dort in Ketten
auf der Strasse oder zu sonstigen Diensten verwandt werden. Giebt der
Vagabund einen falschen Geburtsort an, so soll er zur Strafe der lebens-
längliche Sklave dieses Orts, der Einwohner oder Korporation sein und
mit S gebrandmarkt werden. Alle Personen haben das Recht, den Vaga-
bunden ihre Kinder wegzunehmen und als Lehrlinge, Jungen bis zum
24. Jahr, Mädchen bis zum 20. Jahr, zu halten. Laufen sie weg, so sol-
len sie bis zu diesem Alter die Sklaven der Lehrmeister sein, die sie in
Ketten legen, geisseln u. s. w. können, wie sie wollen. Jeder Meister
darf einen eisernen Ring um Hals, Arme oder Beine seines Sklaven legen,
damit er ihn besser kennt und seiner sichrer ist221). Der letzte Theil
dieses Statuts sieht vor, dass gewisse Arme von dem Ort oder den Individuen
beschäftigt werden sollen, die ihnen zu essen und zu trinken geben und
Arbeit für sie finden wollen. Diese Sorte Pfarreisklaven hat sich bis tief
ins 19. Jahrhundert in England erhalten unter dem Namen roundsmen
(Umgeher).
Elisabeth, 1572: Bettler ohne Licenz und über 14 Jahre alt
sollen hart gepeitscht und am linken Ohrlappen gebrandmarkt werden,
falls sie keiner für zwei Jahre in Dienst nehmen will; im
Wiederholungsfall, wenn über 18 Jahre alt, sollen sie — hingerichtet wer-
den, falls sie Niemand für zwei Jahre in Dienst nehmen
will, bei dritter Recidive aber ohne Gnade als Staatsverräther hingerich-
tet werden. Aehnliche Statute: 18 Elisabeth c. 13 und 1597.
Jakob I.: Eine herumwandernde und bettelnde Person wird für
einen Landstreicher und Vagabunden erklärt. Die Friedensrichter in den Petty
Sessions sind bevollmächtigt, sie öffentlich auspeitschen zu lassen und bei
erster Ertappung 6 Monate, bei zweiter 2 Jahre ins Gefängniss zu sperren.
Während des Gefängnisses soll sie so oft und so viel gepeitscht werden,
als die Friedensrichter für gut halten … Die unverbesserlichen und ge-
fährlichen Landstreicher sollen auf der linken Schulter mit R gebrandmarkt
und zur Zwangsarbeit gesetzt, und wenn man sie wieder auf dem Bettel
ertappt, ohne Gnade und ohne geistlichen Beistand hingerichtet werden.
Diese Anordnungen, gesetzg ültig bis in die erste Zeit des 18. Jahrhun-
derts, wurden erst aufgehoben durch 12 Anna 23.
Aehnliche Gesetze in Frankreich, wo sich Mitte des 17. Jahrhunderts
ein Vagabundenkönigreich (truands) zu Paris etablirt hatte. Noch in der
ersten Zeit Ludwig’s XVI. (Ordonnanz vom 13. Juli 1777) sollte jeder ge-
sund gebaute Mensch vom 16. bis 60. Jahr, wenn ohne Existenzmittel und
Ausübung einer Profession, auf die Galeeren geschickt werden. Aehnlich
das Statut Karl’s V. für die Niederlande vom Oktober 1537, das erste
Edikt der Staaten und Städte von Holland vom 19. März 1614, das Pla-
kat der Vereinigten Provinzen vom 25. Juni 1649 u. s. w.
So wurde das von Grund und Boden gewaltsam expropriirte, ver-
jagte und zum grossen Vagabunden gemachte Landvolk durch gro-
tesk-terroristische Gesetze in eine dem System der Lohnarbeit
nothwendige Disciplin hineingepeitscht, gebrandmarkt, gefoltert.
Es ist nicht genug, dass die Arbeitsbedingungen auf den einen Pol als
Kapital treten und auf den andern Pol Menschen, welche nichts zu verkau-
fen haben als ihre Arbeitskraft. Es genügt auch nicht sie zu zwingen,
sich freiwillig zu verkaufen. Im Fortgang der kapitalistischen Produktion
entwickelt sich eine Arbeiterklasse, die aus Erziehung, Tradition, Gewohn-
heit die Anforderungen jener Produktionsweise als selbstverständliche Na-
turgesetze anerkennt. Die Organisation des ausgebildeten kapitalisti-
schen Produktionsprozesses bricht jeden Widerstand, die beständige Erzeu-
gung einer relativen Uebervölkerung hält das Gesetz der Zufuhr von und
Nachfrage nach Arbeit, und daher den Arbeitslohn, in einem den Verwer-
thungsbedürfnissen des Kapitals entsprechenden Gleise, der stumme Zwang
der ökonomischen Verhältnisse besiegelt die Herrschaft des Kapitalisten
über den Arbeiter. Ausserökonomische, unmittelbare Gewalt wird daher
nur ausnahmsweise angewandt. Für den gewöhnlichen Gang der Dinge
kann der Arbeiter den „Naturgesetzen der Produktion“ über-
lassen werden, d. h. seiner aus den Produktionsbedingungen selbst ent-
springenden, durch sie garantirten und verewigten Abhängigkeit vom Ka-
pital. Anders während der historischen Genesis der kapitalistischen Pro-
duktion. Die aufkommende Bourgeoisie braucht und verwendet die
Staatsgewalt, um den Arbeitslohn zu „reguliren“, d. h. in-
nerhalb der Plusmacherei zusagender Schranken zu zwängen, um den Ar-
beitstag zu verlängern, und den Arbeiter selbst im normalen Abhän-
gigkeitsgrad zu erhalten. Es ist diess ein wesentliches Moment der
s. g. ursprünglichen Accumulation.
Die Klasse der Lohnarbeiter, die in der letzten Hälfte des 14. Jahrh.
entstand, bildete damals und im folgenden Jahrhundert nur einen sehr ge-
ringen Volksbestandtheil, der in seiner Stellung stark beschützt war durch
die selbstständige Bauernwirthschaft auf dem Land und die Zunftorganisa-
tion der städtischen Industrie. In Land und Stadt standen sich Meister
und Arbeiter social nahe. Die Subsumtion der Arbeit unter das Kapital
war nur formell, d. h. die Produktionsweise selbst besass noch keinen
specifisch kapitalistischen Charakter. Das variable Element des Kapitals
wog sehr vor über sein constantes. Die Nachfrage nach Lohnarbeit wuchs
daher rasch mit jeder Accumulation des Kapitals, während die Zufuhr von
Lohnarbeit nur langsam nachfolgte. Ein grosser Theil des nationalen Pro-
dukts, später in Accumulationsfonds des Kapitals verwandelt,
ging damals noch in den Konsumtionsfonds des Arbeiters ein.
Die Gesetzgebung über die Lohnarbeit, von Haus aus auf Exploita-
tion des Arbeiters gemünzt und ihm in ihrem Fortgang stets gleich feind-
lich222), wird in England eröffnet durch das Statute of Labourers
Edward’s III., 1349. Ihm entspricht in Frankreich die Ordonnanz
von 1350, erlassen im Namen des Königs Jean. Die englische und die
französische Gesetzgebung laufen parallel und sind dem Inhalt nach iden-
tisch. Soweit die Arbeitsstatuten Verlängerung des Arbeitstags
zu erzwingen suchen, komme ich nicht auf sie zurück, da dieser Punkt
früher (III. Kapitel, 4. Abschnitt) erörtert.
Das Statute of Labourers wurde erlassen auf dringende Klage
des Hauses der Gemeinen. „Früher“, sagt naiv ein Tory, „verlangten
die Armen so hohen Arbeitslohn, dass sie Industrie und Reichthum bedroh-
ten. Jetzt ist ihr Lohn so niedrig, dass er ebenfalls Industrie und Reich-
thum bedroht und vielleicht gefährlicher als damals“223). Ein gesetz-
licher Lohntarif ward festgesetzt für Stadt und Land, für Stückwerk und
Tagwerk. Die ländlichen Arbeiter sollen sich aufs Jahr, die städtischen
„auf offnem Markt“ verdingen. Es wird bei Gefängnissstrafe untersagt,
höheren als den statutarischen Lohn zu zahlen, aber der Empfang höheren
Lohns wird stärker bestraft als seine Zahlung. So wird auch noch in
Sect. 18 und 19 des Lehrlingsstatuts von Elisabeth zehntägige Gefäng-
nissstrafe über den verhängt, der höheren Lohn zahlt, dagegen einund-
zwanzigtägige Gefängnissstrafe über den, der ihn nimmt. Das Statut von
1360 verschärft die Strafen und ermächtigt den Meister sogar, durch
körperlichen Zwang Arbeit zum gesetzlichen Lohntarif zu erpressen.
Alle Kombination, Verträge, Eide u. s. w., wodurch sich Maurer und Zim-
merleute wechselseitig banden, werden für null und nichtig erklärt. Arbei-
terkoalition wird als schweres Verbrechen behandelt vom 14. Jahrhun-
dert bis 1825, dem Jahr der Abschaffung der Antikoalitionsgesetze. Der
Geist des Arbeiterstatuts von 1349 und seiner Nachgeburten leuchtet hell
daraus hervor, dass zwar ein Maximum des Arbeitslohns von
Staatswegen diktirt wird, aber bei Leibe kein Minimum.
Im 16. Jahrhundert hatte sich, wie man weiss, die Lage der Arbei-
ter sehr verschlechtert. Der Geldlohn stieg, aber nicht im Verhältniss
zur Depreciation des Geldes und dem entsprechenden Steigen der Waaren-
preise. Der Lohn fiel also in der That. Dennoch dauerten die Gesetze
zum Behuf seiner Herabdrückung fort zugleich mit dem Ohrenabschneiden und
Brandmarken derjenigen, „die Niemand in Dienst nehmen wollte“.
Durch das Lehrlingsstatut 5 Elisabeth 3 wurden die Friedensrichter
ermächtigt, gewisse Löhne festzusetzen und nach Jahreszeiten und Waaren-
preisen zu modificiren. Jakob I. dehnte diese Arbeitsregulation auch auf
Weber, Spinner und alle möglichen Arbeiterkategorieen aus224), Georg II.
die Gesetze gegen Arbeiterkoalition auf alle Manufakturen. In der eigent-
lichen Manufakturperiode war die kapitalistische Produktionsweise hin-
reichend erstarkt, um alle gesetzliche Regulation des Arbeitslohns eben so
unausführbar als überflüssig zu machen, aber man liebte für den Nothfall
das alte Arsenal offen zu halten. Noch 8 George II. verbot für Schnei-
dergesellen in London und Umgegend mehr als 2 sh. 7½ d. Taglohn,
ausser in Fällen allgemeiner Trauer, noch 13 George III. c. 68 überwies
die Reglung des Arbeitslohns der Seidenwirker den Friedensrichtern, noch
1796 bedurfte es zweier Urtheile der höheren Gerichtshöfe zur Entschei-
dung, ob friedensrichterliche Befehle über Arbeitslohn auch für Nicht-
Agrikulturarbeiter gültig seien, noch 1799 bestätigte ein Parlamentsakt,
dass der Lohn der Grubenarbeiter von Schottland durch ein Statut der
Elisabeth und zwei schottische Akte von 1661 und 1671 regulirt sei.
Wie sehr unterdess die Verhältnisse revolutionirt waren, bewies ein im
englischen Unterhaus unerhörter Vorfall. Hier, wo man seit mehr als
400 Jahren ausschliesslich Gesetze fabricirt hatte über das Maxi-
mum, welches der Arbeitslohn platterdings nicht übersteigen dürfe, schlug
Whitbread 1796 ein gesetzliches Lohnminimum für Agrikul-
turarbeiter vor … Obgleich Pitt sich widersetzte, gab er zu, dass die
„Lage der Armen grausam (cruel) sei“. Endlich, 1813, wurden die Gesetze
über Lohnregulation abgeschafft. Sie waren eine lächerliche Ano-
malie, seitdem der Kapitalist durch seine Privatgesetzgebung die
Fabrik regulirte und durch die Armensteuer den Lohn des Landarbei-
ters zum unentbehrlichen Minimum ergänzen liess. Die Bestimmungen
der Arbeiterstatute über Kontrakte zwischen Meister und Lohnarbeiter,
über Terminkündigung u. dergl., welche nur eine Civilklage gegen den
kontraktbrüchigen Meister, aber Kriminalklage gegen den kontrakt-
brüchigen Arbeiter erlauben, stehn bis zur Stunde in voller Blüthe.
Die grausamen Gesetze gegen Koalition fielen 1825 vor der drohenden
Haltung des Proletariats. Das Parlament gab sie nur widerwillig auf225),
dasselbe Parlament, welches Jahrhunderte durch mit der cynischsten Unver-
schämtheit als permanente Koalition der Kapitalisten gegen
die Arbeiter funktionirt hatte.
Gleich im Beginn des Revolutionssturms wagte die französische Bour-
geoisie das eben erst eroberte Associationsrecht den Arbeitern wieder zu
entziehn. Durch Dekret vom 14. Juni 1791 erklärte sie alle Arbeiter-
koalition für ein „Attentat auf die Freiheit und die Er-
klärung der Menschenrechte“, strafbar mit 500 Livres nebst
einjähriger Entziehung der aktiven Bürgerrechte226). Diess Gesetz,
welches den Konkurrenzkampf zwischen Kapital und Arbeit staatspolizei-
lich innerhalb der dem Kapital bequemen Schranken einzwängt, überlebte
Revolutionen und Dynastiewechsel. Selbst die Schreckensregierung liess
es unangetastet. Es ward erst ganz neulich aus dem Code Pénal ge-
strichen. Nichts charakteristischer als der Vorwand dieses bürgerlichen
Staatsstreichs. „Obgleich“, sagt Chapelier, der Berichterstatter,
„es wünschenswerth, dass der Arbeitslohn höher steige als er jetzt steht,
damit der, der ihn empfängt, ausserhalb der absoluten Abhängig-
keit sei, welche die Entbehrung der nothwendigen Lebensmittel produ-
cirt, und welche fast die Abhängigkeit der Sklaverei ist“,
dürfen dennoch die Arbeiter sich nicht über ihre Interessen verständigen,
gemeinsam handeln und dadurch ihre „absolute Abhängigkeit, welche fast
Sklaverei ist“, mässigen, weil sie eben dadurch „die Freiheit ihrer
ci-devant maîtres, der jetzigen Unternehmer“, verletzen (die Frei-
heit, die Arbeiter in der Sklaverei zu erhalten!), und weil eine Koali-
tion gegen die Despotie der ehemaligen Meister der Cor-
porationen — man rathe! — eine Herstellung der durch die
französische Konstitution abgeschafften Corporationen ist!227)
Nachdem wir die gewaltsame Schöpfung vogelfreier Proletarier betrach-
tet, die blutige Disciplin, welche sie in Lohnarbeiter verwandelt, die schmutzige
Haupt- und Staatsaktion, die mit dem Exploitationsgrad der Arbeit die Ac-
cumulation des Kapitals polizeilich steigert, fragt sich, wo kommen die Kapi-
talisten ursprünglich her? Denn die Expropriation des Landvolks schafft
unmittelbar nur grosse Grundeigenthümer. Was die Genesis
des Pächters betrifft, so können wir sie so zu sagen mit der Hand be-
tappen, weil sie ein langsamer, über viele Jahrhunderte sich fortwälzen-
der Prozess ist. Die Leibeignen selbst, woneben auch freie kleine Land-
eigner, befanden sich in sehr verschiednen Besitzverhältnissen und wurden
daher auch unter sehr verschiednen ökonomischen Bedingungen emancipirt.
In England ist die erste Form des Pächters der selbst leibeigne Bailiff.
Seine Stellung ist ähnlich der des altrömischen Villicus, nur in engerer
Wirkungssphäre. Während der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts wird
er ersetzt durch einen freien Pächter, den der Landlord mit Samen, Vieh
und Ackerwerkzeug versieht. Seine Lage ist nicht sehr verschieden von
der des Bauern. Nur beutet er mehr Lohnarbeit aus. Er wird bald Metair,
Halbpächter. Er stellt einen Theil des Ackerbaukapitals, der Landlord
den andern. Beide theilen das Gesammtprodukt in kontraktlich be-
stimmter Proportion. Diese Form verschwindet in England rasch, um
der des eigentlichen Pächters Platz zu machen, welcher sein eignes Ka-
pital durch Anwendung von Lohnarbeitern verwerthet und einen Theil des
Surplusprodukts, in Geld oder in natura, dem Landlord als Grundrente
zahlt. So lange, während des 15. Jahrhunderts, der unabhängige Bauer
und der neben dem Lohndienst zugleich selbstwirthschaftende Ackerknecht
sich selbst durch ihre Arbeit bereichern, bleiben die Umstände des Päch-
ters und sein Produktionsfeld gleich mittelmässig. Die Agrikulturrevolu-
tion im letzten Drittheil des 15. Jahrhunderts, die fast während des
ganzen 16. Jahrhunderts (jedoch mit Ausnahme seiner letzten Decennien)
fortwährt, bereichert ihn eben so rasch als sie das Landvolk verarmt228).
Die Usurpation von Gemeindeweiden u. s. w. erlaubt ihm grosse Vermeh-
rung seines Viehstands fast ohne Kosten, während ihm das Vieh reich-
lichere Düngungsmittel zur Bestellung des Bodens liefert. Im 16. Jahrh.
kommt ein entscheidend wichtiges Moment hinzu. Damals waren die Pacht-
kontrakte lang, oft für 99 Jahre laufend. Die kontinuirliche Depreciation
der edlen Metalle und daher des Geldes trug dem Pächter goldne Früchte.
Von allen andren, früher erörterten Umständen abgesehn, senkte sie den
Arbeitslohn. Ein Bruchstück desselben wurde dem Pacht-
profit annexirt. Das fortwährende Steigen der Preise von Korn,
Wolle, Fleisch, kurz sämmtlicher Agrikulturprodukte, schwellte das Geld-
kapital des Pächters ohne sein Zuthun, während die Grundrente, die er zu
zahlen hatte, im veralteten Geldwerth kontrahirt war. So berei-
cherte er sich gleichzeitig auf Kosten seiner Lohnarbeiter und seines Land-
lords. Kein Wunder also, wenn England Ende des 16. Jahrhunderts eine
Klasse für die damaligen Verhältnisse reicher „Kapitalpächter“ besass229).
Die stossweise und stets erneuerte Expropriation und Verjagung des
Landvolks lieferte, wie man sah, der städtischen Industrie wieder und
wieder Massen ganz ausserhalb der Zunftverhältnisse stehender Proletarier,
ein weiser Umstand, der den alten Anderson (nicht zu verwechseln mit
James Anderson) in seiner Handelsgeschichte an direkte Intervention der
Vorsehung glauben lässt. Wir müssen noch einen Augenblick bei diesem
Element der ursprünglichen Accumulation verweilen. Der Ver-
dünnung des unabhängigen, selbstwirthschaftenden Landvolks entsprach
nicht nur die Verdichtung des industriellen Proletariats, wie Geoffroy
Saint-Hilaire die Verdichtung der Weltmaterie hier durch ihre Verdünnung
dort erklärt230). Trotz der verminderten Zahl seiner Bebauer trug der
Boden nach wie vor gleich viel oder mehr Produkt, weil die Revolution in
den Grundeigenthumsverhältnissen von verbesserten Methoden der Kultur,
grösserer Cooperation, Koncentration der Produktionsmittel u. s. w. be-
gleitet war, und weil die ländlichen Lohnarbeiter nicht nur intensiver ange-
spannt wurden231), sondern auch das Produktionsfeld, worauf sie für sich
selbst arbeiteten, mehr und mehr zusammenschmolz. Mit dem freigesetzten
Theil des Landvolks werden also auch seine früheren Nahrungsmit-
tel freigesetzt. Sie verwandeln sich jetzt in stoffliches Element des
variablen Kapitals. Der an die Luft gesetzte Bauer muss ihren Werth
von seinem neuen Herrn, dem industriellen Kapitalisten, in der Form des
Arbeitslohns erkaufen. Wie mit den Lebensmitteln, verhielt es sich mit
dem heimischen agrikolen Rohmaterial der Industrie. Es ver-
wandelte sich in ein Element des constanten Kapitals. Man unter-
stelle z. B. einen Theil der westphälischen Bauern, die zu Friedrich’s II.
Zeit alle Flachs, wenn auch keine Seide spannen, gewaltsam expropriirt und
von Grund und Boden verjagt, den andern zurückbleibenden Theil aber
in Taglöhner grosser Pächter verwandelt. Gleichzeitig erheben sich
grosse Flachsspinnereien und Webereien, worin die „Freigesetzten“ nun
lohnarbeiten. Der Flachs sieht grad aus wie vorher. Keine Fiber an
ihm ist verändert, aber eine neue sociale Seele ist ihm in den Leib ge-
fahren. Er bildet jetzt einen Theil des constanten Kapitals der
Manufakturherrn. Früher vertheilt unter eine Unmasse kleiner Producen-
ten, die ihn selbst bauten und in kleinen Portionen mit ihren Familien ver-
spannen, ist er jetzt koncentrirt in der Hand eines Kapitalisten, der andre für
sich spinnen und weben lässt. Die in der Flachsspinnerei verausgabte Extra-
arbeit realisirte sich früher in Extraeinkommen zahlloser Bauernfamilien
oder auch, zu Friedrich’s II. Zeit, in Steuern pour le roi de Prusse. Sie
realisirt sich jetzt im Profit weniger Kapitalisten. Die Spindeln und
Webstühle, früher vertheilt über das flache Land, sind jetzt in wenigen
grossen Arbeitskasernen zusammengerückt, wie die Arbeiter, wie das Roh-
material. Und Spindeln und Webstühle und Rohmaterial sind aus Mitteln
unabhängiger Existenz für Spinner und Weber selbst verwandelt in Mit-
tel sie zu kommandiren232) und ihnen unbezahlte Arbeit auszusaugen.
Den grossen Manufakturen sieht man es nicht an, wie den grossen Pach-
ten, dass sie aus vielen kleinen Produktionsstätten zusammenge-
schlagen und durch die Expropriation vieler kleiner unabhängiger
Producenten gebildet sind. Jedoch lässt sich die unbefangne Anschauung
nicht beirren. Zur Zeit Mirabeau’s, des Revolutionslöwen, hiessen die
grossen Manufakturen noch manufactures réunies, zusammenge-
schlagene Werkstätten, wie wir von zusammengeschlagenen Aeckern
sprechen. „Man sieht nur“, sagt Mirabeau, „die grossen Manufak-
turen, wo Hunderte von Menschen unter einem Direktor arbeiten,
und die man gewöhnlich vereinigte Manufakturen (manufactures
réunies) nennt. Diejenigen dagegen, wo eine sehr grosse Anzahl Arbei-
ter zersplittert und jeder für seine eigne Rechnung arbeitet, werden kaum
eines Blicks gewürdigt. Man stellt sie ganz in den Hintergrund. Diess
ist ein sehr grosser Irrthum, denn sie allein bilden einen wirklich wich-
tigen Bestandtheil des Volksreichthums … Die vereinigte Fabrik (fabrique
réunie) wird einen oder zwei Unternehmer wunderbar bereichern, aber die
Arbeiter sind nur besser oder schlechter bezahlte Taglöhner und nehmen
in Nichts am Wohlsein des Unternehmers Theil. In der getrennten
Fabrik (fabrique séparée) dagegen wird Niemand reich, aber eine Menge
Arbeiter befindet sich im Wohlstand … Die Zahl der fleissigen und wirth-
schaftlichen Arbeiter wird wachsen, weil sie in weiser Lebensart, in Thätig-
keit ein Mittel erblicken, ihre Lage wesentlich zu verbessern, statt eine kleine
Lohnerhöhung zu gewinnen, die niemals ein wichtiger Gegenstand für die
Zukunft sein kann, sondern die Leute höchstens befähigt etwas besser von der
Hand in den Mund zu leben. Die getrennten individuellen Manufak-
turen, meist mit kleiner Landwirthschaft verbunden, sind die freien“233).
Die Expropriation und Verjagung eines Theils des Landvolks setzt mit
den Arbeitern nicht nur ihre Lebensmittel und ihr Arbeitsma-
terial für das industrielle Kapital frei, sie schafft den inneren
Markt234). Der Pächter verkauft nun als Waare und massenhaft Lebens-
mittel und Rohmaterial, die früher grossentheils von ihren ländlichen Produ-
centen und Verarbeitern als unmittelbare Subsistenzmittel verzehrt
wurden. Die Manufakturen liefern ihm den Markt. Andrerseits koncen-
triren sich nicht nur die vielen zerstreuten Kunden, die von den vielen kleinen
Producenten ihre lokale Detailzufuhr bezogen, in einen grossen Markt
für das industrielle Kapital; ein grosser Theil der früher auf dem
Land selbst producirten Artikel wird in Manufakturartikel verwan-
delt, und das Land selbst in einen Markt für ihren Verkauf. Hand
in Hand mit der Expropriation und Losscheidung früher selbstwirthschaf-
tender Bauern von ihren Produktionsmitteln geht so die Vernichtung der
ländlichen Nebenindustrie, der Scheidungsprocess von
Manufaktur und Agrikultur. Jedoch bringt es die eigentliche Manu-
fakturperiode zu keiner radikalen Umgestaltung. Man erinnert sich, dass sie
sich der nationalen Produktion nur sehr stückweis bemächtigt und immer auf
städtischem Handwerk und häuslich-ländlicher Nebenindustrie als
breitem Hintergrund ruht. Wenn sie letztere unter einer Form, in besondern
Geschäftszweigen, auf gewissen Punkten vernichtet, ruft sie dieselbe auf an-
dern wieder hervor, weil sie derselben zur Bearbeitung des Rohmaterials
bis zu einem bestimmten Grad hedarf. Sie producirt daher eine neue
Klasse kleiner Landleute, welche die Bodenbestellung als Neben-
zweig und die industrielle Arbeit zum Verkauf des Produkts an die Manu-
faktur, direkt, oder auf dem Umweg des Kaufmanns, als Hauptgeschäft
treiben. Diess ist ein Grund, wenn auch nicht der Hauptgrund, eines
Phänomens, welches den Forscher der englischen Geschichte zunächst
verwirrt. Vom letzten Drittheil des 15. Jahrhunderts an findet er fort-
laufende, nur in gewissen Intervallen unterbrochne Klage über die zu-
nehmende Kapitalwirthschaft auf dem Land und die progressive Vernich-
tung der Bauernschaft. Andrerseits findet er sie stets wieder von neuem
vor, wenn auch in verminderter Zahl und unter stets verschlechterter
Form235). Der Hauptgrund ist: England ist vorzugsweise bald Korn-
bauer, bald Viehzüchter, in Wechselperioden, und mit diesen Schwan-
kungen, die bald nach mehr als halben Jahrhunderten zählen, bald nach
wenigen Decennien, schwankt der Umfang des bäuerlichen Betriebs. Erst
die grosse Industrie liefert der kapitalistischen Agri-
kultur mit der Maschinerie die constante Grundlage,
expropriirt radikal die ungeheure Mehrzahl des Land-
volks und vollendet die Scheidung des Ackerbaus von
der häuslich ländlichen Industrie, deren Wurzel sie aus-
reisst — Spinnerei und Weberei236). Sie erobert daher auch erst
dem industriellen Kapital den ganzen inneren Markt237).
Die Genesis des industriellen238) Kapitalisten ging nicht in
derselben allmählichen Weise vor wie die des Pächters. Zweifelsohne
verwandelten sich manche kleine Zunftmeister und noch mehr selbstständige
kleine Handwerker oder auch Lohnarbeiter in kleine Kapitalisten und durch
allmählich ausgedehntere Exploitation von Lohnarbeit und entsprechende
Accumulation in Kapitalisten sans phrase. In der Kindheitsperiode der
kapitalistischen Produktion ging’s vielfach zu wie in der Kindheitsperiode
des mittelaltrigen Städtewesens, wo die Frage, wer von den entlaufenen
Leibeigenen soll Meister sein und wer Diener, grossentheils durch das
frühere oder spätere Datum ihrer Flucht entschieden wurde. Indess ent-
sprach der Schneckengang dieser Methode in keiner Weise den Handelsbe-
dürfnissen des neuen Weltmarkts, welchen die grossen Entdeckungen Ende
des 15. Jahrh. geschaffen hatten. Aber das Mittelalter hatte zwei
verschiedne Formen des Kapitals überliefert, die in den verschie-
densten ökonomischen Gesellschaftsformationen reifen und, vor der Aera der
kapitalistischen Produktionsweise, als Kapital quand même gelten —
das Wucherkapital239) und das Kaufmannskapital. Das durch
Wucher und Handel gebildete Geldkapital wurde durch die Feudal-
verfassung auf dem Land, durch die Zunftverfassung in den Städten an
seiner Verwandlung in industrielles Kapital behindert240).
Diese Schranken fielen mit der Auflösung der feudalen Gefolgschaften, mit der
Expropriation und theilweisen Verjagung des Landvolks. Die neue Manu-
faktur ward in See-Exporthäfen errichtet oder auf Punkten des flachen Lan-
des, ausserhalb der Kontrole des alten Städtewesens und seiner Zunftverfas-
sung. In England daher erbitterter Kampf der incorporated towns
gegen diese neuen industriellen Pflanzschulen.
Die Entdeckung der Gold- und Silberländer in Amerika, die Ausrot-
tung, Versklavung, und Vergrabung der eingebornen Bevölkerung in die
Bergwerke, die Eroberung und Ausplünderung von Ostindien, die Ver-
wandlung von Afrika in ein Geheg zur Handelsjagd auf Schwarzhäute,
bezeichnen die Morgenröthe der kapitalistischen Produktionsära. Diese
idyllischen Prozesse sind Hauptmomente der ursprünglichen Accu-
mulation. Auf dem Fuss folgt der Handelskrieg der europäischen Na-
tionen, mit dem Erdrund als Schauplatz. Er beginnt mit dem Abfall der
Niederlande von Spanien, nimmt Riesendimensionen an in Englands Anti-
jakobinerkrieg, spielt noch fort in den Opiumkriegen gegen China u. s. w.
Diese Methoden der ursprünglichen Accumulation vertheilen
sich mehr oder minder, in zeitlicher Reihenfolge, namentlich auf Spanien,
Portugal, Holland, Frankreich und England. In England werden sie Ende
des 17. Jahrh. systematisch zusammengefasst im Kolonialsystem,
Staatsschuldensystem, modernen Steuersystem und Pro-
tektionssystem. Diese Methoden beruhn zum Theil auf brutalster
Gewalt, wie das Kolonialsystem. Alle aber benutzen die Staatsmacht,
die koncentrirte und organisirte Gewalt der Gesellschaft, um den Verwand-
lungsprozess der feudalen in die kapitalistische Produktionsweise treibhaus-
mässig zu beschleunigen und die Uebergänge abzukürzen. Die Gewalt
ist der Geburtshelfer jeder alten Gesellschaft, die mit einer
neuen schwanger geht. Sie ist selbst eine ökonomische Potenz.
Von dem christlichen Kolonialsystem sagt ein Mann, der aus dem
Christenthum eine Specialität macht, W. Howitt: „Die Barbareien und
ruchlosen Greuelthaten der s. g. christlichen Racen, in jeder Region der
Welt und gegen jedes Volk, das sie unterjochen konnten, finden keine
Parallele in irgend einer Aera der Weltgeschichte, bei irgend einer Race,
ob noch so wild, ungebildet, mitleidslos und schamlos“241). Die Ge-
schichte der holländischen Kolonialwirthschaft — und Holland war die
kapitalistische Musternation des 17. Jahrhunderts — „entrollt ein unüber-
treffbares Gemälde von Verrath, Bestechung, Meuchelmord und Nieder-
tracht“242). Nichts charakteristischer als ihr System des Menschendieb-
stahls in Celebes, um Sklaven für Java zu erhalten. Die Menschenstehler
wurden zu diesem Zweck abgerichtet. Der Dieb, der Dolmetscher und
der Verkäufer waren die Hauptagenten in diesem Handel, eingeborne Prin-
zen die Hauptverkäufer. Die weggestohlne Jugend wurde in den Geheimge-
fängnissen von Celebes versteckt, bis reif zur Verschickung auf die Sklaven-
schiffe. Ein officieller Bericht sagt: „Diese eine Stadt von Makassar z. B.
ist voll von geheimen Gefängnissen, eins schauderhafter als das andre, ge-
pfropft mit Elenden, Opfern der Habsucht und Tyrannei, in Ketten gefes-
selt, ihren Familien gewaltsam entrissen.“ Um sich Malacca’s zu bemäch-
tigen, bestachen die Holländer den portugiesischen Gouverneur. Er liess
sie 1641 in die Stadt ein. Sie eilten sofort zu seinem Hause und meuchel-
mordeten ihn, um auf die Zahlung der Bestechungssumme von 21,875 Pfd. St.
zu „entsagen“. Wo sie die Füsse hinsetzten, folgte Verödung und
Entvölkerung. Die Population einer Provinz von Java, Baniyuawngy,
zählte 1750 über 80,000 Einwohner, 1811 nur noch 8000. Das ist der
doux commerce!
Die englisch-ostindische Kompagnie erhielt bekanntlich,
ausser der politischen Herrschaft in Ostindien, das exklusive Monopol des
Theehandels, wie des chinesischen Handels überhaupt und des Gütertransports
von und zu Europa. Aber die Küstenschifffahrt von Indien und zwischen
den Inseln, wie der Handel im Innern Indiens wurden Monopol der höhern
Beamten der Kompagnie. Die Monopole von Salz, Opium, Betel und
andern Waaren waren unerschöpfliche Minen des Reichthums. Die Beamten
selbst setzten die Preise fest und schindeten nach Belieben den unglück-
lichen Hindu. Der Generalgouverneur nahm Theil an diesem Privathan-
del. Seine Günstlinge erhielten Kontrakte unter Bedingungen, wodurch sie,
klüger als die Alchymisten, aus Nichts Gold machten. Grosse Vermö-
gen sprangen wie die Pilze an einem Tage auf, die ursprüngliche
Accumulation ging von Statten ohne Vorschuss eines Schillings. Die
gerichtliche Verfolgung des Warren Hastings wimmelt von solchen Bei-
spielen. Hier ein Fall. Ein Opiumkontrakt wird einem gewissen Sullivan
zugetheilt, obgleich er in öffentlichem Auftrag zu einem von den Opium-
distrikten ganz entlegenen Theil Indiens reiste. Sullivan verkauft seinen
Kontrakt für 40,000 Pfd. St. an einen gewissen Binn, Binn verkauft ihn
seinerseits denselben Tag für 60,000 Pfd. St., und der schliessliche Käufer
und Ausführer des Kontrakts erklärt, dass er hinterher noch einen unge-
heuren Gewinn herausschlug. Nach einer dem Parlament vorgelegten
Liste liessen sich die Kompagnie und ihre Beamten von 1757—1766 von
den Indiern 6 Millionen Pfd. St. schenken! Zwischen 1769 und 1770
fabricirten die Engländer eine Hungersnoth durch den Aufkauf von allem Reis
und durch Weigerung des Wiederverkaufs ausser zu fabelhaften Preisen243).
Die Behandlung der Eingeborenen war natürlich am tollsten in den
nur zum Exporthandel bestimmten Pflanzungen, wie Westindien, und in
den dem Raubmord preisgegebnen reichen und dichtbevölkerten Ländern,
wie Mexico und Ostindien. Jedoch auch in den eigentlichen Kolonien verläug-
nete sich der christliche Charakter der ursprünglichen Accumula-
tion nicht. Jene nüchternen Virtuosen des Protestantismus, die Puritaner,
setzten durch Beschlüsse ihrer Assembly 1703 eine Prämie von 40
Pfd. St. auf jedes indianische Scalp und jede gefangne Rothhaut, 1720
Prämie von 100 Pfd. St. auf jedes Scalp, 1744, nachdem Massachussets-
Bay einen gewissen Tribus zum Rebellen erklärt hatte, folgende Preise:
für männliches Scalp, 12 Jahre und drüber, 100 Pfd. St. neuer Währung,
für männliche Gefangene 105 Pfd. St., für gefangene Weiber und Kinder
55 Pfd. St., für Scalps von Weibern und Kindern 50 Pfd. St.!
Einige Decennien später rächte sich das Kolonialsystem an der unterdess
aufrührisch gewordenen Nachkommenschaft der frommen pilgrim fathers.
Unter englischem Antrieb und Sold wurden sie tomahawked. Das
britische Parlament erklärte Bluthunde und Scalpiren für „Mittel, welche
Gott und die Natur in seine Hand gegeben.“
Das Kolonialsystem reifte treibhausmässig Handel und Schifffahrt.
Die „Gesellschaften Monopolia“ (Luther) waren gewaltige Hebel der Ka-
pital-Koncentration. Den aufschiessenden Manufakturen sicherte die Kolonie
Absatzmarkt und eine durch das Marktmonopol potenzirte Accumulation.
Der ausserhalb Europa direkt erplünderte, herausgesklavte und herausge-
mordete Schatz floss ins Mutterland zurück und verwandelte sich hier in
Kapital. Holland, welches das Kolonialsystem zuerst völlig entwickelte,
stand schon 1648 im Brennpunkt seiner Handelsgrösse. Es war „in fast
ausschliesslichem Besitz des ostindischen Handels und des Verkehrs zwi-
schen dem europäischen Südwesten und Nordosten. Seine Fischereien,
Seewesen, Manufakturen übertrafen die eines jeden anderen Landes. Die
Kapitalien der Republik waren vielleicht bedeutender als die des übrigen
Europa insgesammt.“ Jülich vergisst hinzuzusetzen: Hollands Volks-
masse war schon 1648 mehr überarbeitet, verarmter und brutaler unter-
drückt als die des übrigen Europa’s insgesammt. Das Kolonialsystem
warf mit einem Schub und Bautz alle alten Götzen über Haufen. Es pro-
klamirte die Plusmacherei als letzten und einzigen Zweck der Menschheit.
Es war die Geburtsstätte des modernen Staatsschulden- und Kre-
ditsystems.
Die auffallende Rolle des Staatsschulden- und modernen Steuer-
systems bei der Verwandlung des gesellschaftlichen Reich-
thums in Kapital, der Expropriation selbstständiger Arbeiter, und der
Herunterdrückung der Lohnarbeiter, hat manche Schriftsteller, wie W. Cob-
bett, Doubleday u. s. w. verleitet dort den Grund alles modernen Volkselends zu
suchen. Mit den Staatsschulden entsprang zugleich ein internationales Kredit-
wesen, welches oft die Quelle der ursprünglichen Accumulation
in einem bestimmten Land versteckt. Die Gemeinheiten des venetianischen
Raubsystems z. B. bilden eine verborgne Grundlage des Kapitalreichthums
von Holland, dem das verfallende Venedig grosse Geldsummen lieh.
Ebenso verhält es sich zwischen Holland und England. Schon im Anfang
des 18. Jahrhunderts sind die Manufakturen Hollands weit überflügelt und
hat es aufgehört, herrschende Industrie- und Handelsnation zu sein. Eins
seiner Hauptgeschäfte von 1701—1776 wird daher das Ausleihn unge-
heurer Kapitalien, speziell an seinen übermächtigen Konkurrenten Eng-
land. Aehnliches gilt jetzt von England und den Vereinigten Staaten.
Manch Kapital, das heute in den Vereinigten Staaten ohne Geburtsschein
auftritt, ist erst gestern in England kapitalisirtes Kinderblut.
Das Protektions system war ein Kunstmittel Fabrikanten zu
fabriciren, unabhängige Arbeiter zu expropriiren, die nationa-
len Produktions- und Lebensmittel zu kapitalisiren, den Ueber-
gangaus der alterthümlichen in die moderne Produktionsweise
gewaltsam abzukürzen. Die europäischen Staaten rissen sich um das
Patent dieser Erfindung, und einmal in den Dienst der Plusmacher eingetreten,
brandschatzten sie zu jenem Behuf nicht nur das eigne Volk, indirekt durch
Schutzzölle, direkt durch Exportprämien u. s. w. In den abhängigen Neben-
landen wurde alle Industrie gewaltsam ausgerodet, wie z. B. die irische Woll-
manufaktur von England. Auf dem europäischen Kontinent ward nach Col-
bert’s Vorgang der Prozess noch sehr vereinfacht. Das ursprüngliche
Kapital des Industriellen fliesst hier zum Theil direkt aus dem
Staatsschatz. „Warum,“ ruft Mirabeau, „so weit die Ursache des Ma-
nufakturglanzes Sachsens vor dem siebenjährigen Krieg suchen gehn? 180
Millionen Staatsschulden“244)!
Kolonialsystem, Staatsschulden, Steuerwucht, Protektion, Handels-
kriege u. s. w., diese Sprösslinge der eigentlichen Manufakturperiode,
schwellen riesenhaft während der Kinderperiode der grossen Industrie.
Die Geburt der letzteren wird gefeiert durch den grossen herodischen Kin-
derraub. So blasirt Sir F. M. Eden ist über die Greuel der Expropria-
tion des Landvolks von Grund und Boden seit dem letzten Drittel des
15. Jahrhunderts bis zu seiner Zeit, dem Ende des 18. Jahrhunderts; so
selbstgefällig er gratulirt zu diesem Prozess, „nothwendig“, um die kapi-
talistische Agrikultur und „das wahre Verhältniss von Ackerland und Vieh-
weide herzustellen“, beweist er dagegen nicht dieselbe ökonomische Einsicht
in die Nothwendigkeit des Kinderraubs und der Kindersklaverei
für die Verwandlung des Manufakturbetriebs in den Fabrikbetrieb und die
Herstellung des wahren Verhältnisses von Kapital und Arbeits-
kraft. Er sagt: „Es mag vielleicht der Erwägung des Publikums werth sein,
ob irgend eine Manufaktur, die zu ihrer erfolgreichen Ausführung Cottages
und Workhouses von armen Kindern ausplündern muss, damit sie, truppweis
sich ablösend, den grössten Theil der Nacht durch abgerackert und der Ruhe
beraubt werden, eine Manufaktur, die ausserdem Haufen beiderlei Geschlechts,
von verschiednen Altersstufen und Neigungen, so zusammenhudelt, dass
die Ansteckung des Beispiels zu Verworfenheit und Liederlichkeit führen
muss, ob solch eine Manufaktur die Summe des nationalen und indivi-
duellen Glücks vermehren kann“245)? „In Derbyshire, Nottinghamshire
und besonders Lancashire,“ sagt Fielden, „wurde die jüngst erfundne
Maschinerie angewandt in grossen Fabriken, dicht bei Strömen fähig das
Wasserrad zu drehn. Tausende von Händen waren plötzlich erheischt an
diesen Plätzen, fern von den Städten; und Lancashire namentlich, bis zu
jener Zeit vergleichungsweis dünn bevölkert und unfruchtbar, bedurfte jetzt
vor allem einer Population. Die kleinen und flinken Finger waren vor
allen in Requisition. Sofort sprang die Gewohnheit auf, Lehrlinge(!)
aus den verschiedenen Pfarrei-Workhouses von London, Birmingham und
sonstwo zu beziehn. Tausende dieser kleinen hilflosen Kreaturen wurden
so nach dem Norden spedirt, vom 7. — 13. oder 14. Jahr. Es war die
Gewohnheit für den Meister (d. h. den Kinderdieb), seine Lehrlinge zu
kleiden, nähren und logiren in einem Lehrlingshaus nah bei der Fabrik.
Aufseher wurden bestellt um ihre Arbeit zu überwachen. Es war das In-
teresse dieser Sklaventreiber die Kinder aufs Aeusserste abzuarbeiten, denn
ihre Zahlung stand im Verhältniss zur Quantität Produkt, die aus dem Kind
erpresst werden konnte. Grausamkeit war natürliche Folge . . . . In
vielen Fabrikdistrikten, besonders Lancashire’s, wurden die herzzerreis-
sendsten Torturen prakticirt an diesen harmlosen und freundlosen Krea-
turen, die den Fabrikherrn consignirt waren. Sie wurden zu Tod gehetzt
durch Arbeitsexcesse; sie wurden gepeitscht, gekettet und gefoltert mit
dem ausgesuchtesten Raffinement von Grausamkeit; sie wurden in vielen
Fällen bis zu den Knochen ausgehungert, während die Peitsche sie an der
Arbeit hielt. Ja in einigen Fällen wurden sie zum Selbstmord getrieben! …
Die schönen und romantischen Thäler von Derbyshire, Nottinghamshire
und Lancashire, abgeschlossen vom öffentlichen Auge, wurden grause Ein-
öden von Tortur und — oft von Mord! … Die Profite der Fabrikanten
waren enorm. Das wetzte nur ihren Wehrwolfsheisshunger. Sie began-
nen die Praxis der Nachtarbeit, d. h. nachdem sie eine Gruppe Hände
durch das Tagwerk gelähmt, hatten sie eine andre Gruppe für das Nacht-
werk zur Hand; die Tagesgruppe wanderte in die Betten, welche die
Nachtgruppe grade verlassen hatte und vice versa. Es ist Volksüberliefe-
rung in Lancashire, dass die Betten nie abkühlten“246).
Mit der Entwicklung der kapitalistischen Produktion während der Manu-
fakturperiode hatte die öffentliche Meinung von Europa den letzten Rest von
Schamgefühl und Gewissen eingebüsst. Die Nationen renommirten cynisch
mit jeder Infamie, die Mittel zu Kapitalaccumulation. Man
lese z. B. die naiven Handelsannalen des Biedermanns Anderson.
Hier wird es als Triumph englischer Staatsweisheit ausposaunt, dass Eng-
land im Frieden von Utrecht den Spaniern durch den Asientovertrag das
Privilegium abzwang, den Negerhandel, den es bisher nur zwischen Afrika
und dem englischen Westindien betrieb, nun auch zwischen Afrika und dem
spanischen Amerika betreiben zu dürfen. England erhielt das Recht, das
spanische Amerika bis 1743 jährlich mit 4800 Negern zu versorgen. Diess
gewährte zugleich einen officiellen Deckmantel für den britischen Schmug-
gel. Liverpool wuchs gross auf der Basis des Sklavenhandels. Er bildet
seine Methode der ursprünglichen Accumulation. Und bis
heutzutag blieb die Liverpooler „Ehrbarkeit“ Pindar des Sklavenhandels,
welcher — vgl. die citirte Schrift des Dr. Aikin von 1795 — „den
commerciellen Unternehmungsgeist bis zur Leidenschaft steigere, famose
Seeleute bilde, und enormes Geld einbringe.“ Liverpool beschäftigte
1730 im Sklavenhandel 15 Schiffe, 1751: 53, 1760: 74, 1770: 96
und 1792: 132.
Während sie die Kindersklaverei in England einführte, gab die Baum-
wollindustrie zugleich den Anstoss zur Verwandlung der früher mehr oder
minder patriarchalischen Sklavenwirthschaft der Vereinigten Staaten in
ein commercielles Exploitationssystem. Ueberhaupt bedurfte die verhüllte
Sklaverei der Lohnarbeiter in Europa zum Piedestal die Sklaverei sans
phrase in der neuen Welt247).
Tantae molis erat, die „ewigen Naturgesetze“ der kapita-
listischen Produktionsweise zu entbinden, den Scheidungsprozess zwischen Ar-
beitern und Arbeitsbedingungen zu vollziehn, auf dem einen Pol die gesell-
schaftlichen Produktions- und Lebensmittel in Kapital zu verwandeln, auf
dem Gegenpol die Volksmasse in Lohnarbeiter, in freie „arbeitende
Arme“, diess Kunstprodukt der modernen Geschichte248). Wenn
das Geld, nach Augier, „mit natürlichen Blutflecken auf einer Backe
zur Welt kömmt“249), so das Kapital von Kopf bis Zeh, aus allen
Poren, blut- und schmutztriefend250).
Worauf kömmt die ursprüngliche Accumulation des Ka-
pitals, d. h. seine historische Genesis, hinaus? Soweit sie nicht un-
mittelbare Verwandlung von Sklaven und Leibeigenen in Lohnarbeiter, also
blosser Formwechsel ist, bedeutet sie nur die Expropria-
tion der unmittelbaren Producenten, d. h. die Auflösung
des auf eigner Arbeit beruhenden Privateigenthums. Das
Privateigenthum des Arbeiters an seinen Produktionsmitteln ist die Grund-
lage des Kleinbetriebs, der Kleinbetrieb eine nothwendige Bedingung für die
Entwicklung der gesellschaftlichen Produktion und der freien Individuali-
tät des Arbeiters selbst. Allerdings existirt diese Produktionsweise auch
innerhalb der Sklaverei, Leibeigenschaft und anderer Abhängigkeitsver-
hältnisse. Aber sie blüht nur, schnellt nur ihre ganze Energie, erobert nur
die adäquate klassische Form, wo der Arbeiter freier Privateigen-
thümer seiner von ihm selbst gehandhabten Arbeitsbe-
dingungen ist, der Bauer des Ackers, den er bestellt, der Handwer-
ker des Instruments, womit er als Virtuose spielt. Diese Produktionsweise
unterstellt Zersplitterung des Bodens und der übrigen Produktions-
mittel. Mit der Koncentration der letztern schliesst sie die Cooperation,
Theilung der Arbeit innerhalb derselben Produktionsprozesse, gesellschaft-
liche Beherrschung und Reglung der Natur, Entwicklung gesellschaft-
licher Produktivkraft aus. Sie ist nur verträglich mit engen natur-
wüchsigen Schranken der Produktion und der Gesellschaft. Auf einem
gewissen Höhegrad bringt sie die materiellen Mittel ihrer eignen Vernich-
tung zur Welt. Von diesem Augenblick regen sich Kräfte und Leiden-
schaften im Gesellschaftsschoose, welche sich von ihr gefesselt fühlen. Sie muss
vernichtet werden, sie wird vernichtet. Ihre Vernichtung, die Verwand-
lung der individuellen und zersplitterten Produktions-
mittel in gesellschaftlich concentrirte, daher des zwerg-
haften Eigenthums Vieler in das massenhafte Eigenthum Weniger, daher
die Expropriation der grossen Volksmasse von Grund und
Boden und Lebensmitteln und Arbeitsinstrumenten, diese
furchtbare und schwierige Expropriation der Volksmasse bildet
die Vorgeschichte des Kapitals. Sie umfasst eine Reihe gewaltsamer
Methoden, wovon wir nur die epochemachenden als Methoden derur-
sprünglichen Accumulation des Kapitals Revue passiren
liessen. Die Expropriation der unmittelbaren Producenten wird mit
schonungslosestem Vandalismus und unter dem Trieb der infamsten,
schmutzigsten, kleinlichst gehässigsten Leidenschaften vollbracht. Das
selbst erarbeitete, sozusagen auf Verwachsung des isolirten, unab-
hängigen Arbeitsindividuums mit seinen Arbeitsbedin-
gungen beruhende Privateigenthum wird verdrängt durch das
kapitalistische Privateigenthum, welches auf Exploitation
fremder, aber formell freier Arbeit beruht251). Sobald dieser Umwand-
lungsprozess nach Tiefe und Umfang die alte Gesellschaft hinreichend
zersetzt hat, sobald die Arbeiter in Proletarier, ihre Arbeitsbeding ungen
in Kapital verwandelt sind, sobald die kapitalistische Produktionsweise
auf eignen Füssen steht, gewinnt die weitere Vergesellschaftung der Ar-
beit und weitere Verwandlung der Erde und andrer Produktionsmittel in
gesellschaftlich ausgebeutete, also gemeinschaftliche Produk-
tionsmittel, daher die weitere Expropriation der Privateigen-
thümer, eine neue Form. Was jetzt zu expropriiren ist, ist nicht
länger der selbstwirthschaftende Arbeiter, sondern der viele Arbeiter ex-
ploitirende Kapitalist. Diese Expropriation vollzieht sich durch das
Spiel der immanenten Gesetze der kapitalistischen Produktion
selbst, durch die Koncentration der Kapitalien. Je ein Ka-
pitalist schlägt viele todt. Hand in Hand mit dieser Koncentration oder
der Expropriation vieler Kapitalisten durch Wenige ent-
wickelt sich die cooperative Form des Arbeitsprozesses auf stets wachsen-
der Stufenleiter, die bewusste technologische Anwendung der Wissenschaft,
die planmässig gemeinsame Ausbeutung der Erde, die Verwandlung der
Arbeitsmittel in nur gemeinsam verwendbare Arbeitsmittel, und die Oeko-
nomisirung aller Produktionsmittel durch ihren Gebrauch als gemeinsame
Produktionsmittel kombinirter, gesellschaftlicher Arbeit. Mit der bestän-
dig abnehmenden Zahl der Kapitalmagnaten, welche alle Vortheile dieses
Umwandlungsprozesses usurpiren und monopolisiren, wächst die Masse
des Elends, des Drucks, der Knechtung, der Degradation, der Ausbeutung,
aber auch die Empörung der stets anschwellenden und durch den Mecha-
nismus des kapitalistischen Produktionsprozesses selbst geschulten, verein-
ten und organisirten Arbeiterklasse. Das Kapitalmonopol wird
zur Fessel der Produktionsweise, die mit und unter ihm aufge-
blüht ist. Die Koncentration der Produktionsmittel und die Vergesellschaf-
tung der Arbeit erreichen einen Punkt, wo sie unverträglich werden mit
ihrer kapitalistischen Hülle. Sie wird gesprengt. Die Stunde des
kapitalistischen Privateigenthums schlägt. Die Expro-
priateurs werden expropriirt.
Die kapitalistische Produktions- und Aneignungsweise, daher das kapi-
talistische Privateigenthum, ist die erste Negation des
individuellen, aufeigne Arbeit gegründeten Privateigen-
thums. Die Negation der kapitalistischen Produktion wird durch
sie selbst, mit der Nothwendigkeit eines Naturprozesses, producirt. Es ist
Negation der Negation. Diese stellt das individuelle Eigen-
thum wieder her, aber auf Grundlage der Errungenschaft der kapi-
talistischen Aera, der Cooperation freier Arbeiter und ihrem
Gemeineigenthum an der Erde und den durch die Arbeit
selbst producirten Produktionsmitteln.
Die Verwandlung des zersplitterten, auf eigner Arbeit der Indivi-
duen beruhenden Privateigenthums in kapitalistisches ist natürlich
ein ungleich mehr langwieriger, harter und schwieriger Prozess als die
Verwandlung des faktisch bereits auf gesellschaftlicher Exploitation der
Produktionsmittel beruhenden kapitalistischen Privateigenthums in ge-
sellschaftliches Eigenthum. Dort handelte es sich um die
Expropriation der Volksmasse durch wenige Usurpatoren, hier handelt es
sich um die Expropriation weniger Usurpatoren durch die Volksmasse252).
Die politische Oekonomie sucht principiell die angenehmste Verwechs-
lung aufrecht zu erhalten zwischen dem auf eigner Arbeit be-
ruhenden Privateigenthum und dem diametral entgegenge-
setzten, auf Vernichtung dieser Art Eigenthums beruhenden kapita-
listischen Privateigenthum. Im Westen von Europa, dem Hei-
mathsland der politischen Oekonomie, ist der Prozess der ursprünglichen
Accumulation vollbracht. Die kapitalistische Produktionsweise hat hier
entweder die ganze nationale Produktion direkt unterworfen, oder, wo die
Verhältnisse minder entwickelt sind, kontrolirt sie indirekt die noch neben
ihr fortexistirenden, verkommenden, der veralteten Produktionsweise an-
gehörigen Gesellschaftsschichten. Auf diese fertige Welt des Kapitals
wendet der politische Oekonom mit desto ängstlicherem Eifer und desto
grösserer Salbung die Rechts- und Eigenthumsvorstellungen der vorkapita-
listischen Welt an, je lauter die Thatsachen seiner Ideologie ins Gesicht
schreien. Anders in den Kolonien. Die kapitalistische Produktions-
und Aneignungsweise stösst hier überall auf das Hinderniss des selbst-
erarbeiteten Eigenthums, des Producenten, der als Privateigenthümer seiner
eignen Arbeitsbedingungen durch seine Arbeit sich selbst statt den Kapi-
talisten bereichert. Der Widerspruch dieser zwei diametral
entgegengesetzten Produktions- und Aneignungs wei-
sen existirt hier praktisch. Wo der Kapitalist die Macht des
Mutterlandes im Rücken hat, sucht er die auf eigner Arbeit be-
ruhende Produktions- und Aneignungsweise gewaltsam aus
dem Weg zu räumen. Dasselbe Interesse, welches den Sykophanten des
Kapitals, den politischen Oekonomen, im Mutterland bestimmt, die kapi-
talistische Produktionsweise theoretisch für ihr eignes Gegen-
theil zu erklären, dasselbe Interesse treibt ihn hier „to make a clear breast
of it“ und den Gegensatz beider Produktionsweisen zu pro-
klamiren. Zu diesem Behuf weist er nach, wie die Entwicklung der
gesellschaftlichen Produktivkraft der Arbeit, Cooperation, Arbeitstheilung,
Anwendung der Maschinerie im Grossen u. s. w. unmöglich sind ohne
die Expropriation der Arbeiter und entsprechende Verwand-
lung ihrer Produktionsmittel in Kapital. Im Interesse des
s. g. Nationalreichthums sucht er nach Kunstmitteln zur Herstel-
lung der Volksarmuth. Sein apologetischer Panzer zerbröckelt hier
Stück für Stück wie mürber Zunder. Es ist das grosse Verdienst E. G. Wake-
field’s, nicht irgend etwas neues über die Kolonien254), aber in den
Kolonien die Wahrheit über die kapitalistischen Verhältnisse des Mutter-
lands entdeckt zu haben. Wie das Protektionssystem in seinen Ursprün-
gen255) die Fabrikation von Kapitalisten im Mutter-
land, so erstrebt Wakefield’s Kolonisationstheorie, welche England eine
Zeit lang gesetzlich ins Werk zu setzen suchte, die Fabrikation
von Lohnarbeitern in den Kolonien. Das nennt er „syste-
matic colonization“ (systematische Kolonisation).
Zunächst entdeckte Wakefield in den Kolonien, dass das Eigen-
thum an Geld, Lebensmitteln, Maschinen und andern Produktionsmitteln einen
Menschen noch nicht zum Kapitalisten stempelt, wenn die Ergänzung fehlt,
der Lohnarbeiter, der andre Mensch, der sich selbst freiwillig zu ver-
kaufen gezwungen ist. Er entdeckte, dass das Kapital nicht eine Sache
ist, sondern ein durch Sachen vermitteltes gesellschaftliches Verhält-
niss zwischen Personen256). Herr Peel, jammert er uns vor, nahm Lebens-
mittel und Produktionsmittel zum Belauf von 50,000 Pfd. St. aus Eng-
land nach dem Swan River, Neuholland, mit. Herr Peel war so vorsich-
tig, ausserdem 3000 Personen der arbeitenden Klasse, Männer, Weiber
und Kinder mitzubringen. Einmal am Bestimmungsplatz angelangt,
„blieb Herr Peel ohne einen Diener sein Bett zu machen oder ihm Wasser
aus dem Fluss zu schöpfen“257). Unglücklicher Herr Peel, der alles
vorsah, nur nicht den Export der englischen Produktionsverhältnisse nach
dem Swan River!
Zum Verständniss der folgenden Entdeckungen Wakefield’s zwei Vor-
bemerkungen. Man weiss: Produktions- und Lebensmittel als
Eigenthum des unmittelbaren Producenten, des Arbeiters selbst, sind kein
Kapital. Sie werden Kapital nur unter Bedingungen, worin sie zu-
gleich als Exploitations- und Beherrschungsmittel des
Arbeiters dienen. Diese ihre kapitalistische Seele ist aber im Kopfe
des politischen Oekonomen so innig mit ihrer stofflichen Substanz ver-
mählt, dass er sie unter allen Umständen Kapital tauft, auch wo sie das
grade Gegentheil sind. So bei Wakefield. Ferner: die Zersplitterung
der Produktionsmittel als individuelles Eigenthum vieler von einander
unabhängiger, selbstwirthschaftender Arbeiter nennt er gleiche Thei-
lung des Kapitals. Es geht dem politischen Oekonomen, wie dem
feudalen Juristen. Letzterer klebte auch auf reine Geldverhältnisse seine
feudalen Rechtsetiquetten.
„Wäre“, sagt Wakefield, „das Kapital unter alle Mitglieder der Ge-
sellschaft in gleiche Portionen getheilt, so hätte kein Mensch ein
Interesse mehr Kapital zu accumuliren als er mit seinen
eignen Händen anwenden kann. Diess ist in gewissem Grad
der Fall in neuen amerikanischen Kolonien, wo die Leidenschaft
für Grundeigenthum die Existenz einer Klasse von Lohn-
arbeitern verhindert“258). So lange also der Arbeiter für sich
selbst accumuliren kann, und das kann er, so lange er Eigenthümer seiner
Produktionsmittel bleibt, ist die kapitalistische Accumulation
und die kapitalistische Produktionsweise unmöglich. Die
dazu unentbehrliche Klasse der Lohnarbeiter fehlt. Wie wurde
nun im alten Europa die Expropriation des Arbeiters von
seinen Arbeitsbedingungen, daher Kapital und Lohnarbeit, her-
gestellt? Durch einen contrat social ganz origineller Art. „Die Mensch-
heit adoptirte eine einfache Methode zur Förderung der Accumula-
tion des Kapitals“, die ihr natürlich seit Adams Zeiten als letzter und
einziger Zweck ihres Daseins vorschwebte; „sie theilte sich in
Eigner von Kapital und Eigner von Arbeit … diese Thei-
lung war das Resultat freiwilliger Verständigung und
Kombination“259). Mit einem Wort: die Masse der Menschheit
expropriirte sich selbst zu Ehren der „Accumulation des Kapi-
tals“. Nun sollte man glauben, der Instinkt dieses selbstentsagenden
Fanatismus müsse sich namentlich in Kolonien den Zügel frei schiessen
lassen, wo allein Menschen und Umstände existiren, welche einen contrat
social aus dem Traumreich in das der Wirklichkeit übersetzen könnten.
Aber wozu dann überhaupt die „systematische Kolonisation“
im Gegensatz zur naturwüchsigen Kolonisation? Aber, aber
„in den nördlichen Staaten der amerikanischen Union ist es zweifelhaft,
ob ein Zehntel der Bevölkerung der Kategorie der Lohnarbeiter ange-
hört … In England besteht die grosse Volksmasse aus Lohnarbeitern“260).
Ja der Selbstexpropriationstrieb der arbeitenden Menschheit zu Ehren des
Kapitals existirt so wenig, dass nach Wakefield selbst Sklaverei die
einzige naturwüchsige Grundlage des Kolonialreichthums ist. Seine
systematische Kolonisation ist ein blosses pis aller, da er nun einmal
mit Freien, statt mit Sklaven zu operiren hat. „Ohne Sklaverei
wäre das Kapital in den spanischen Niederlassungen kaput gegangen
oder wenigstens auf die kleinen Massen zusammengeschrumpft, worin jedes
Individuum es mit seinen eignen Händen anwenden kann. Diess fand
wirklich statt in der letzten von den Engländern gegründeten Kolonie, wo
ein grosses Kapital in Samen, Vieh und Instrumenten unterging am Man-
gel von Lohnarbeitern und wo kein Ansiedler viel mehr Kapital besitzt als
er mit seinen eignen Händen anwenden kann“261).
Man sah: die Expropriation der Volksmasse von Grund
und Boden bildet die Grundlage der kapitalistischen
Produktionsweise. Das Wesen einer freien Kolonie besteht um-
gekehrt darin, dass die Masse des Bodens noch Volkseigenthum ist und
jeder Ansiedler daher einen Theil davon in sein Privateigenthum und in-
dividuelles Produktionsmittel verwandeln kann, ohne den spätern Ansiedler
an derselben Operation zu verhindern262). Diess ist das Geheimniss, so-
wohl der Blüthe der Kolonien, als ihres Krebswurms — ihres Widerstands
wider die Ansiedlung des Kapitals. „Wo Land sehr wohl-
feil ist und alle Menschen frei sind, wo jeder nach Wunsch ein
Stück Land für sich selbst erhalten kann, ist Arbeit nicht nur sehr theuer,
was den Antheil des Arbeiters an seinem Produkt angeht, sondern die
Schwierigkeit ist, kombinirte Arbeit zu irgend einem
Preis zu erhalten“263).
Da in den Kolonien die Scheidung des Arbeiters von den Ar-
beitsbedingungen und ihrer Wurzel, dem Grund und Boden, noch nicht existirt,
oder nur sporadisch, oder auf zu beschränktem Spielraum, existirt auch noch
nicht die Losscheidung der Agrikultur von der Industrie, noch
nicht die Vernichtung der ländlich häuslichen Industrie,
und wo soll da der innere Markt für das Kapital herkommen? „Kein
Theil der Bevölkerung Amerikas ist ausschliesslich agrikol, mit
Ausnahme der Sklaven und ihrer Anwender, die Kapital und Arbeit für
grosse Werke kombiniren. Freie Amerikaner, die den Boden selbst bauen,
treiben zugleich viele andre Beschäftigungen. Ein Theil der von ihnen
gebrauchten Möbel und Werkzeuge wird gewöhnlich von ihnen selbst ge-
macht. Sie bauen häufig ihre eignen Häuser und bringen das Produkt
ihrer eignen Industrie zu noch so fernem Markt. Sie sind Spinner und
Weber, sie fabriciren Seife und Kerzen, Schuhe und Kleider für ihren
eignen Gebrauch. In Amerika bildet der Landbau oft das Nebenge-
schäft eines Grobschmidts, Müllers oder Krämers“264). Wo bleibt unter
solchen Käuzen das „Entsagungsfeld“ für den Kapitalisten?
Die grosse Schönheit der kapitalistischen Produktion besteht darin,
dass sie den Lohnarbeiter nicht nur als Lohnarbeiter beständig
reproducirt, sondern im Verhältniss zur Accumulation des
Kapitals stets eine relative Uebervölkerung von Lohnar-
beitern producirt. So wird das Gesetz von Arbeits nach frage
und Zufuhr im richtigen Gleis gehalten, die Lohnschwankung innerhalb
der kapitalistischen Exploitation konvenabler Schranken gebannt, und end-
lich die so unentbehrliche sociale Abhängigkeit des Arbeiters
vom Kapitalisten garantirt, ein absolutes Abhängigkeits-
verhältniss, das der politische Oekonom zu Haus, im Mutterland, brei-
mäulig in ein freies Kontraktverhältniss von Käufer und
Verkäufer, von gleich unabhängigen Waaren besitzern,
Besitzern der Waare Kapital und der Waare Arbeit, nach Belieben um-
lügen kann. Aber in den Kolonien reisst der schöne Wahn entzwei.
Die absolute Arbeiterbevölkerung wächst hier viel rascher als im Mutter-
land, indem viele Arbeiter erwachsen auf die Welt kommen, und dennoch
ist der Arbeitsmarkt stets untervoll. Das Gesetz der Arbeitsnachfrage
und Zufuhr geräth in die Brüche, wie Taylor’s Formel in einem Fall des
Differentialkalkuls. Einerseits wirft die alte Welt fortwährend exploita-
tionslustiges, entsagungsbedürftiges Kapital ein; andrerseits stösst die
regelmässige Reproduktion des Lohnarbeiters als Lohn-
arbeiter und daher noch mehr die Produktion einer Surplus-
Arbeiterbevölkerung im Verhältniss zur Accumulation des Kapitals
auf die unartigsten und theilweis unüberwindlichen Hindernisse. Der Lohn-
arbeiter von heute wird morgen unabhängiger, selbst wirthschaftender Bauer
oder Handwerker. Er verschwindet vom Arbeitsmarkt, aber nicht ins —
Workhouse. Diese beständige Verwandlung der Lohnarbeiter in
unabhängige Producenten, die statt für das Kapital, für sich selbst
arbeiten, und statt den Herrn Kapitalisten sich selbst bereichern, wirkt ihrer-
seits durchaus schadhaft auf die Zustände des Lohnarbeitsmarkts
zurück. Nicht nur bleibt der Exploitationsgrad des Lohnarbeiters unan-
ständig niedrig. Der letztre verliert mit dem Abhängigkeitsverhältniss
auch das Abhängigkeitsgefühl vom entsagenden Kapitalisten. Daher alle
die Missstände, die unser E. G. Wakefield so brav, so beredt und so
rührend schildert.
Die Zufuhr des Lohnarbeitsmarkts, klagt er, ist weder beständig,
noch regelmässig, noch genügend. „Sie ist stets nicht nur zu klein, son-
dern unsicher“265). „Obgleich das zwischen Arbeiter und Kapitalist zu
theilende Produkt gross ist, nimmt der Arbeiter einen so
grossen Theil, dasser rasch ein Kapitalist wird … Dage-
gen können Wenige, selbst wenn sie ungewöhnlich lang leben, grosse Reich-
thummassen accumuliren“266). Die Arbeiter erlauben dem Kapitalisten
platterdings nicht auf Zahlung des grössten Theils ihrer Arbeit zu
entsagen. Es hilft ihm nichts, wenn er so schlau ist, mit seinem
eignen Kapital auch seine eignen Lohnarbeiter aus Europa zu importiren.
„Sie hören bald auf Lohnarbeiter zu sein, sie verwandeln sich bald in
unabhängige Bauern oder gar in Konkurrenten ihrer alten Meister auf dem
Lohnarbeitsmarkt selbst“267). Man begreife den Greuel! Der brave Kapi-
talist hat seine eignen leibhaftigen Konkurrenten selbst aus Europa für
sein eignes gutes Geld importirt! Da hört denn doch alles auf! Kein
Wunder, wenn Wakefield klagt über mangelndes Abhängigkeits-
verhältniss und -Gefühl der Lohnarbeiter in den Kolonien.
„Wegen der hohen Löhne“, sagt sein Schüler Merivale, „existirt in
den Kolonien der leidenschaftliche Drang nach wohlfeilerer und
unterwürfigerer Arbeit, nach einer Klasse, welcher der
Kapitalist die Bedingungen diktiren kann, statt sie von
ihr diktirt zu erhalten … In altcivilisirten Ländern ist der Ar-
beiter, obgleich frei, naturgesetzlich abhängig vom Ka-
pitalisten, in Kolonien muss diese Abhängigkeit durch
künstliche Mittel geschaffen werden“268).
Was ist nun das Resultat des in den Kolonien herrschenden
Systems des auf eigner Arbeit, statt auf der Exploita-
tion fremder Arbeit beruhenden Privateigenthums? Ein
„barbarisirendes System der Zerstreuung der Producenten und des
Nationalvermögens“269). Die Zerstreuung der Produktionsmittel unter unzäh-
lige, sie eignende und mit ihnen selbst arbeitende Producenten vernichtet mit
der kapitalistischen Koncentration die kapitalistische Grund-
lage aller kombinirten Arbeit. Alle langathmigen Kapitalunter-
nehmungen, die sich über Jahre ausdehnen und Anlage von viel fixem
Kapital erheischen, werden problematisch. In Europa zögert das Kapital
keinen Augenblick, denn die Arbeiterklasse bildet seinen stets überfliessenden,
disponiblen, lebendigen Zubehör. Aber in den Kolonialländern! Wake-
field erzählt eine äusserst schmerzensreiche Anekdote. Er unterhielt sich
mit einigen Kapitalisten von Kanada und dem Staat New-York, wo zudem
die Einwanderungswogen oft stagniren und einen Bodensatz „überzäh-
liger“ Arbeiter niederschlagen. „Unser Kapital,“ seufzt eine der Per-
sonen des Melodramas, „unser Kapital lag bereit für viele Operationen,
die eine beträchtliche Zeitperiode zu ihrer Vollendung brauchen; aber
konnten wir solche Operationen beginnen mit einer Arbeit, welche, wir
wussten es, uns bald den Rücken wenden würde? Wären wir sicher ge-
wesen die Arbeit solcher Einwandrer festhalten zu können, wir hätten
sie mit Freude sofort engagirt und zu hohem Preis. Trotz der Sicherheit
ihres Verlustes würden wir sie dennoch engagirt haben, wären wir einer
frischen Zufuhr je nach unsrem Bedürfniss sicher gewesen“270).
Nachdem Wakefield die englische kapitalistische Agrikultur und ihre
„kombinirte“ Arbeit prunkvoll kontrastirt hat mit der zerstrenten ameri-
kanischen Bauernwirthschaft, entschlüpft ihm auch die Kehrseite der
Medaille. Er schildert die amerikanische Volksmasse als wohlhabend, unab-
hängig, unternehmend, und relativ gebildet, während „der englische Agrikul-
turarbeiter ein elender Lump (a miserable wretch) ist, ein Pauper … In
welchem Land ausser Nordamerika und einigen neuen Kolonien über-
steigen die Löhne der auf dem Land angewandten freien Arbeit nennens-
werth die unentbehrlichsten Subsistenzmittel des Arbeiters? … Zweifels-
ohne, Ackerpferde in England, da sie ein werthvolles Eigenthum sind,
werden viel besser genährt als der englische Landbebauer“271). Aber,
never mind, Nationalreichthum ist nun einmal von Natur iden-
tisch mit Volkselend.
Wie nun den antikapitalistischen Krebsschaden der Kolonien kuriren?
Wollte man allen Grund und Boden mit einem Schlag aus Volkseigenthum
in Privateigenthum verwandeln, so zerstörte man zwar die Wurzel des
Uebels, aber auch — die Kolonie. Die Kunst ist zwei Fliegen mit
einer Klappe zu schlagen. Man gebe von Regierungswegen der jungfräu-
lichen Erde einen vom Gesetz der Nachfrage und Zufuhr un-
abhängigen, einen künstlichen Preis, welcher den Einwanderer
zwingt längere Zeit zu lohnarbeiten, bevor er genug Geld verdient hat,
um Grund und Boden zu kaufen272) und sich in einen unabhängigen
Bauern zu verwandeln. Den Fonds, der aus diesem Verkauf der Lände-
reien zu einem für den Lohnarbeiter relativ prohibitorischen Preis
fliesst, also diesen aus dem Arbeitslohn durch Verletzung des heiligen
Gesetzes von Nachfrage und Zufuhr erpressten Geldfonds verwende die
Regierung andrerseits, um im selben Mass, wie er wächst, Habenichtse
aus Europa in die Kolonien zu importiren und so dem Herrn Kapitalisten
seinen Lohnarbeitsmarkt vollzuhalten. Unter diesen Umständen
„tout sera pour le mieux dans le meilleur des mondes possibles.“ Diess
ist das grosse Geheimniss der „systematischen Kolonisation“.
„Nach diesem Plan,“ ruft Wakefield triumphirend aus, „muss die Zu-
fuhr von Arbeit constant und regelmässig sein; denn
erstens, da kein Arbeiter fähig ist sich Land zu verschaffen, bevor er für
Geld gearbeitet hat, würden alle einwandernden Arbeiter dadurch, dass
sie für Lohn kombinirt arbeiten, ihrem Anwender Kapital zur An-
wendung von mehr Arbeit produciren; zweitens jeder, der die
Lohnarbeit an den Nagel hinge und Grundeigner würde, würde grade
durch den Ankauf des Landes einen Fonds zur Herüber-
bringung frischer Arbeit nach den Kolonien sichern“273).
Der von Staatswegen oktroyirte Bodenpreis muss natürlich „genügend“
(sufficient price) sein, d. h. so hoch, „dass er die Arbeiter verhindert, un-
abhängige Bauern zu werden, bis andre da sind, um ihren Platz auf dem
Lohnarbeitsmarkt einzunehmen“274). Dieser genügende „Boden-
preis“ ist nichts als eine euphemistische Umschreibung des Lösegelds,
welches der Arbeiter dem Kapitalisten zahlt für die Erlaubniss, sich vom
Lohnarbeitsmarkt auf’s Land zurückzuziehn. Erst muss er dem Herrn Kapi-
talisten „Kapital“ produciren, damit der mehr Arbeiter exploi-
tiren könne, und dann auf dem Arbeitsmarkt einen „Ersatzmann“
stellen, den die Regierung auf seine Kosten seinem ehemaligen Herrn Ka-
pitalisten über die See spedirt.
Es ist höchst charakteristisch, dass die englische Regierung diese
von Herrn Wakefield eigens zum Gebrauch in Kolonialländern verschrie-
bene Methode der „ursprünglichen Accumulation“ Jahre lang
ausgeführt hat. Das Fiasko war natürlich ebenso schmählich als das des
Peelschen Bankakts. Der Emigrationsstrom wurde nur von den englischen
Kolonien nach den Vereinigten Staaten abgelenkt. Unterdess hat der Fort-
schritt der kapitalistischen Produktion in Europa zusammen mit dem wach-
senden Regierungsdruck Wakefield’s Recept überflüssig gemacht. Der
ungeheure und continuirliche Menschenstrom, Jahr aus Jahr ein nach Ame-
rika getrieben, lässt theils stagnirende Niederschläge im Osten der Vereinig-
ten Staaten zurück, theils wirft die Emigrationswelle von Europa die Men-
schen rascher auf den Arbeitsmarkt als die Emigrationswelle nach dem
far West sie abspülen kann. Die kapitalistische Produktion gedeiht da-
her in den Oststaaten, obgleich Lohntiefe und Abhängigkeit des Lohnar-
beiters noch lange nicht auf das europäische Normalniveau gefallen sind.
Die von Wakefield selbst so laut denuncirte, schamlose Verschleuderung
des unbebauten Kolonialbodens an Aristokraten und Kapitalisten Seitens der
englischen Regierung hat namentlich in Australien275), zusammen mit
dem Menschenstrom, den die Diggings hinziehn, und der Konkurrenz,
welche der Import englischer Waaren selbst dem kleinsten Handwerker
macht, eine hinreichende „relative Arbeiterübervölkerung“ erzeugt, so
dass fast jedes Postdampfschiff die Hiobspost eines „glut of the Australian
labour-market“ bringt, und die Prostitution dort stellenweis so üppig ge-
deiht wie auf dem Haymarket von London.
Jedoch beschäftigt uns hier nicht der Zustand der Kolonien. Was
uns allein interessirt, ist das in der neuen Welt von der politischen Oeko-
nomie der alten Welt entdeckte und laut proklamirte Geheimniss, dass die
kapitalistische Produktions- und Accumulationsweise,
also auch das kapitalistische Privateigenthum die Vernich-
tung des auf eigner Arbeit beruhenden Privateigenthums,
d. h. die Expropriation des Arbeiters voraussetzt.
Zum Schluss müssen wir noch einen Augenblick den Faden wieder
da aufnehmen, wo wir ihn beim Uebergang zur Betrachtung der Accumu-
lation fallen liessen. Gesetzt der Kapitalist habe 5000 Pfd. St. vorge-
schossen und im Produktionsprozess aufgezehrt, 4000 Pfd. St. in Produk-
tionsmitteln, 1000 Pfd. St. in Arbeitskraft, mit einem Exploitationsgrad
der Arbeit von 100 %. So beträgt der Werth des Produkts, von x Ton-
nen Eisen z. B. 6000 Pfd. St. Verkauft der Kapitalist das Eisen zu
seinem Werth, so realisirt er einen Mehrwerth von 1000
Pfd. St., d. h. die im Eisenwerth materialisirte unbezahlte Arbeit. Aber das
Eisen muss verkauft werden. Das unmittelbare Resultat der kapitalisti-
schen Produktion ist Waare, wenn auch mit Mehrwerth geschwängerte
Waare. Wir sind also zu unserm Ausgangspunkt, der Waare, zurückge-
schleudert und mit ihr zur Sphäre der Cirkulation. Was wir jedoch im
folgenden Buch zu betrachten haben, ist nicht mehr die einfache Waa-
rencirkulation, sondern der Cirkulationsprozess des Ka-
pitals.
I) ad Kapitel III, n. 86. In einem der unterdrücktesten Agri-
kulturdistrikte Englands, in Buckinghamshire haben die Lohnar-
beiter, März 1867, einen grossen Strike zur Erhöhung des Wochen-
lohns von 9—10 auf 12 sh. gemacht.
II) ad Kapitel III, n. 87. Durch einen Strike erzwangen die
Heizer, Lokomotivenführer u. s. w. der Brighton Eisenbahn, Ende März
1867, die Beschränkung des Normalarbeitstags auf 10 Stunden, nebst an-
deren Koncessionen. Dieselbe Bewegung hat in diesem Augenblicke
(6. April 1867) fast alle anderen englischen Eisenbahnen ergriffen.
III) ad Kapitel IV, n. 175. Die Gesetze zum Schutz gegen ge-
fährliche Maschinerie haben wohlthätig gewirkt. „Aber … es existiren
jetzt neue Quellen von Unglücksfällen, die vor 20 Jahren nicht existirt
haben, namentlich die vermehrte Geschwindigkeit der Maschinerie. Räder,
Walzen, Spindeln und Webstühle werden jetzt mit vermehrter und
stets noch wachsender Gewalt getrieben; die Finger müssen rascher und
kühner den gebrochnen Faden anpacken, denn, wenn mit Zaudern oder
Unvorsicht angelegt, sind sie geopfert … Eine grosse Anzahl Unglücks-
fälle wird verursacht durch den Eifer der Arbeiter ihr Werk rasch auszu-
führen. Man muss sich erinnern, dass es für die Fabrikanten von der
höchsten Wichtigkeit ist ihre Maschinerie ununterbrochen in Bewegung zu
halten, d. h. Garn und Geweb zu produciren. Jeder Stillstand von einer
Minute ist nicht nur ein Verlust an Triebkraft, sondern an Produktion.
Die Arbeiter werden daher durch Arbeitsaufseher, interessirt in der Quanti-
tät des Machwerks, dazu gehetzt, die Maschinerie in Bewegung zu halten;
und es ist diess nicht minder wichtig für Arbeiter, die nach Gewicht oder
Stück gezahlt werden. Obgleich es daher in den meisten Fabriken formell
verboten ist, Maschinerie während ihrer Bewegung zu reinigen, ist diese
Praxis allgemein. Diese Ursache allein hat während der letzten 6 Monate
906 Unglücksfälle producirt … Obgleich das Reinigungsgeschäft Tag
aus Tag ein vorgeht, ist der Sonnabend jedoch meist der für gründliche
Reinigung der Maschinerie festgesetzte Tag, und sie wird grossentheils
verrichtet während der Bewegung der Maschinerie … Es ist eine unbe-
zahlte Operation, und die Arbeiter suchen daher so rasch als möglich
damit fertig zu werden. Daher ist die Anzahl der Unglücksfälle
Freitags und ganz besonders Samstags viel grösser als an den übrigen
Wochentagen. Freitags beträgt der Ueberschuss über die Durchschnitts-
zahl der ersten 4 Wochentage ungefähr 12 %, Sonnabends der Ueber-
schuss von Unglücksfällen über den Durchschnitt der vorhergehenden 5
Tage 25 %, oder, wenn man in Rechnung zieht, dass der Fabriktag Sam-
stags nur 7½ Stunden, an den übrigen Wochentagen 10½ Stunden zählt
— schwillt der Ueberschuss über 65 %.“ („Reports of Insp. of
Factories for etc. 31st October 1866. London 1867“,
p. 9, 15, 16, 17.)
IV) ad Kapitel IV, n. 184. „Die self-acting mules sind vielleicht
eine so gefährliche Maschinerie als irgend eine andere. Die meisten Un-
glücksfälle begegnen kleinen Kindern und zwar in Folge ihres Kriechens
unter den Mules, um den Boden zu fegen, während die Mules in Bewegung
sind. Verschiedne „minders“ (Arbeiter an der Mule) wurden (von den
Fabrikinspektoren) gerichtlich verfolgt und zu Geldstrafen verurtheilt
wegen dieses Vergehns, aber ohne irgend welchen allgemeinen Vortheil.
Wenn Maschinenmacher nur einen Selbstfeger erfinden wollten, durch
dessen Gebrauch die Nothwendigkeit für diese kleinen Kinder unter die
Maschinerie zu kriechen, wegfiele, so wäre das ein glücklicher Beitrag zu
unseren Protektionsmassregeln.“ („Reports of Insp. of Factories
for 31st October 1866“, p. 63.)
V) ad Kapitel IV, n. 234. Auf Antrieb des Herrn Glad-
stone verordnete das Haus der Gemeinen am 17. Februar 1867
eine Statistik über alle von 1831—1866 in das Vereinigte Königreich
eingeführte und ausgeführte Kornfrucht, Getreide und Mehl aller Art.
Ich gebe nachstehend das zusammenfassende Resultat. Das Mehl ist auf
Quarters Korn reducirt.
Fünfjährige Perioden und Jahr 1866.
VI) ad Kapitel IV, n. 319. Der Factory Acts Exten-
sion Act ging durch 12. August 1867. Er regulirt alle Metall-
giessereien, -Schmieden und -Manufakturen, mit Einschluss der Maschi-
nenfabriken, ferner Glas-, Papier-, Guttapercha-, Indiarubber-, Tabak-
manufakturen, Buchdruckereien, Buchbindereien, endlich alle Werk-
stätten, worin mehr als 50 Personen beschäftigt sind. — Der
Hours of Labour Regulation Act, passirt 17. August 1867,
regulirt die kleineren Werkstätten und die s. g. Hausarbeit.
VII) ad Kapitel V, n. 66. Der englische Fabrikinspektor
Alexander Redgrave weist im vorletzten Fabrikbericht (nominell bis
zum 31. Oktober 1866, in der That aber bis 31. December 1866 gehend)
durch vergleichende Statistik mit den Kontinentalstaaten nach, dass trotz
niedrigerem Lohn und viel längerer Arbeitszeit die kontinentale Arbeit,
verhältnissmässig zum Produkt, theurer ist als die englische. „Ein eng-
lischer Direktor (manager) in einer Baumwollfabrik in Oldenburg er-
klärt, dass dort die Arbeitszeit von 5.30 Morgens bis 8 Uhr Abends, Sams-
tage eingeschlossen, und dass die dortigen Arbeiter, wenn unter englischen
Arbeitsaufsehern, während dieser Zeit fast so viel Produkt liefern wie
Engländer in 10 Stunden, unter deutschen Arbeitsaufsehern aber noch
viel weniger. Der Lohn stehe viel tiefer als in England, in vielen Fällen
um 50 %, aber die Zahl der Hände im Verhältniss zur Maschinerie sei
viel grösser, in verschiedenen Departements im Verhältniss von 5 : 3.“
Herr Redgrave giebt sehr genaue Details über die russischen Baum-
wollfabriken. Die Data sind ihm geliefert durch einen dort noch
kürzlich beschäftigten englischen manager. Auf diesem russischen
Boden, an allen Infamien so überfruchtbar, stehn auch die alten Greuel
aus der Kindheitsperiode der englischen factories in vollster Blüthe.
Die Dirigenten sind natürlich Engländer, da der eingeborne
russische Kapitalist zu dumm für das Fabrikgeschäft ist. Trotz aller
Ueberarbeit, fortlaufender Tag- und Nachtarbeit, und schmählichster
Unterzahlung der Arbeiter, vegetirt das russische Fabrikat nur durch Pro-
hibition des ausländischen. — Ich gebe schliesslich noch eine vergleichende
Uebersicht des Herrn Redgrave über die Durchschnitts-Spindelzahl per Fa-
brik und per Spinner in verschiedenen Ländern Europas. Herr Redgrave
bemerkt selbst, dass er diese Zahlen vor einigen Jahren gesammelt
hat, und dass seit der Zeit die Grösse der Fabriken und die Spindelzahl
per Arbeiter in England gewachsen seien. Er unterstellt aber verhältniss-
mässig gleich grossen Fortschritt in den aufgezählten Kontinentalländern,
so dass die Zahlenangaben ihren komparativen Werth behalten
hätten.
Durchschnittsanzahl von Spindeln per Fabrik.
Durchschnittsanzahl von Spindeln per Kopf.
„Diese Vergleichung,“ sagt Herr Redgrave, „ist, ausser anderen Grün-
den, besonders auch desswegen für Grossbritanien ungünstig, weil dort
eine sehr grosse Zahl Fabriken existirt, worin die Maschinenweberei mit
der Spinnerei verbunden ist, während die Rechnung keinen Kopf für die
Webstühle abzieht. Die auswärtigen Fabriken sind dagegen meist blosse
Spinnereien. Könnten wir genau Gleiches mit Gleichem vergleichen, so
könnte ich viele Baumwollspinnereien in meinem Distrikt aufzählen, worin
Mules mit 2200 Spindeln von einem einzigen Mann (minder) und zwei
Handlangerinnen überwacht und täglich 220 Pfund Garn, 400 (englische)
Meilen in Länge, fabricirt werden.“ („Reports of Insp. of Fact.
31st Oct. 1866, p. 31—37 passim.)
VIII) ad Kapitel VI, n. 137. Ueber die noch fortdauernden
Nachwehen der Krise von 1866 folgender Auszug aus einer ministe-
riellen (torystischen) Zeitung. Man muss nicht vergessen, dass der
Osttheil Londons, um den es sich hier handelt, nicht nur Sitz der im
Text des Kapitels erwähnten eisernen Schiffsbauer, sondern auch einer stets
unter dem Minimum bezahlten s. g. „Hausarbeit“ ist. „Ein
entsetzliches Schauspiel entrollte sich gestern in einem Theil der Metro-
pole. Obgleich die arbeitslosen Tausende des Ostendes mit schwarzen
Trauerflaggen nicht in Masse paradirten, war der Menschenstrom impo-
sant genug. Erinnern wir uns, was diese Bevölkerung leidet. Sie stirbt
vor Hunger. Das ist die einfache und furchtbare Thatsache. Es
sind ihrer 40,000 . . . . In unserer Gegenwart, in einem Viertel dieser
wundervollen Metropole, dicht neben der enormsten Accumulation von
Reichthum, welche die Welt je sah, dicht dabei 40,000 hilflos verhungernd!
Diese Tausende brechen jetzt ein in die andern Viertel; sie, in allen Zeiten
halbverhungert, schreien uns ihr Weh ins Ohr, sie schreien es zum
Himmel, sie erzählen uns von ihren elendgeschlagenen Wohnungen, dass
es unmöglich für sie ist Arbeit zu finden und nutzlos zu betteln. Die
lokalen Armensteuerpflichtigen sind durch die Forderungen der Pfarreien
selbst an den Rand des Pauperismus getrieben.“ Standard,
5. April, 1867.
IX) Schlussnote zum ersten Abschnitt des VI. Kapi-
tels. Die englischen Malthusianer zeigen auf Frankreich als das „glück-
liche“ Land, wo die Bevölkerung sich principiell „untervoll“ halte. Sie
sind natürlich eben so unwissend über französische Zustände, wie die in
Deutschland fauchenden Freihandelshausirburschen über englische Zu-
stände. Aus der letzten officiellen enquête agricole kann man sehn,
woran das französische „Prolétariat foncier“, und aus dem letzten
Werk des Herrn Pierre Vinçard, woran das französische Industrie-
proletariat ist. In den Zustand der französischen Volksmasse über-
haupt gewährt der Bericht des Generals Allard über die beabsichtigte
Armeereform eigne Lichtblicke. Von den jungen Franzosen, die das
Alter zum Looseziehn bei der Konskription erreicht haben, sind nur
198,000 fähig im 21. Jahr zu heirathen. Diese 198,000 Franzosen,
denen es von Polizei wegen erlaubt ist eine Familie zu gründen, bestehn
aus folgenden Elementen: 12,000 Dispensirte, 20,000 Entlastete oder
Remplacirte, und 166,000 Ausgenommene. Von den letztern sind mehr
als 100,000 ausgenommen wegen mangelnder Grösse und andern Schwä-
chen, die sie mit keiner sonderlichen Specialität für die Ehe ausrüsten.
Mehr als die Hälfte dieser jungen Leute zählt zur Kategorie der Verkrüp-
pelten und Rhachitischen, welche die Lacedämonier vom Taygetus gestürzt
hätten. Die andre Hälfte besteht zu einem guten Viertel aus älteren Söh-
nen von Wittwen, welchen ihre Familienverhältnisse die Ehe beinahe
untersagen, zu einem andern Viertel aus Entlasteten, d. h. Mitgliedern der
reichen Klassen. Ueber diese Kategorie heisst es in der „Liberté“,
dem Organ Emil Girardin’s, vom 18. März, 1867: „Die reiche Klasse ist
die schlechteste mit Bezug auf die Reproduktion der Race. In der That,
die Statistik beweist, dass die Aristokratien von selbst erlöschen, und dass
nach Verlauf weniger Jahrhunderte die königlichen Racen selbst oft beim
Kretinismus und erblicher Narrheit anlangen.“ Wenn auf dem Kontinent
von Europa der Einfluss der kapitalistischen Produktion, welche die Men-
schenrace unterwühlt durch Ueberarbeit, Theilung der Arbeit, Unterjochung
unter die Maschine, Verkrüpplung des unreifen und weiblichen Körpers,
schlechtes Leben u. s. w., sich, wie bisher, Hand in Hand entwickelt mit
der Konkurrenz in Grösse der nationalen Soldateska, Staatsschulden, Steuern,
eleganter Kriegsführung u. s. w., möchte die vom Halbrussen und gan-
zen Moskowiter Herzen (dieser Belletrist hat nebenbei bemerkt seine
Entdeckungen über den „russischen“ Kommunismus nicht in Russland ge-
macht, sondern in dem Werke des preussischen Regierungsraths Haxt-
hausen) so ernst prophezeite Verjüngung Europa’s durch die Knute
und obligate Infusion von Kalmückenblut schliesslich doch unvermeidlich
werden.
Die Analyse der Waare hat gezeigt, dass sie ein Doppeltes ist, Gebrauchs-
werth und Werth. Damit ein Ding daher Waarenform besitze, muss es
Doppelform besitzen, die Form eines Gebrauchswerths und die Form des
Werths. Die Form des Gebrauchswerths ist die Form des Waarenkör-
pers selbst, Eisen, Leinwand u. s. w., seine handgreiflich sinnliche Daseinsform.
Es ist diess die Naturalform der Waare. Die Werthform der Waare ist da-
gegen ihre gesellschaftliche Form.
Wie wird der Werth einer Waare nun ausgedrückt? Wie gewinnt er
also eigne Erscheinungsform? Durch das Verhältniss verschiedner
Waaren. Um die in solchem Verhältniss enthaltene Form richtig zu analy-
siren, müssen wir von ihrer einfachsten, unentwickeltsten Gestalt ausgehn.
Das einfachste Verhältniss einer Waare ist offenbar ihr Verhältniss zu
einer einzigen, andren Waare, gleichgültig welcher. Das Verhält-
niss zweier Waaren liefert daher den einfachsten Werthausdruck
für eine Waare.
20 Ellen Leinwand = 1 Rock oder: 20 Ellen Leinwand sind 1 Rock
werth.
Das Geheimniss aller Werthform muss in dieser einfachen Werthform
stecken. Ihre Analyse bietet daher die eigentliche Schwierigkeit.
§. 1. Die beiden Pole des Werthausdrucks: Relative Werth-
form und Aequivalentform.
In dem einfachen Werthausdruck spielen die zwei Waarenarten Leinwand und
Rock offenbar zwei verschiedne Rollen. Die Leinwand ist die Waare,
welcheihren Werth in einem von ihrverschiedenartigen Waaren-
körper, dem Rock, ausdrückt. Andrerseits dient die Waarenart Rock als
das Material, worin Werth ausgedrückt wird. Die eine Waare spielt
eine aktive, die andre eine passive Rolle. Von der Waare nun, welche ihren
Werth in einer andren Waare ausdrückt, sagen wir: Ihr Werth ist
als relativer Werth dargestellt, oder sie befindet sich in relativer Werth-
form. Von der andern Waare dagegen, hier dem Rock, die zum Material
des Werthausdrucks dient, sagen wir: Sie funktionirt als Aequiva-
lent der ersten Waare, oder befindet sich in der Aequivalentform.
Ohne nun noch tiefer zu analysiren, sind von vorn herein folgende Punkte
klar:
a) Die Unzertrennlich keit der beiden Formen.
Relative Werthform und Aequivalentform sind zu einander gehörige, sich
wechselseitig bedingende, unzertrennliche Momente desselben Werthaus-
drucks.
b) Die Polarität der beiden Formen.
Andrerseits sind diese beiden Formen einander ausschliessende oder
entgegengesetzte Extreme, d. h. Pole, desselben Werthausdrucks. Sie
vertheilen sich stets auf die verschiedenen Waaren, die der Werthaus-
druck auf einander bezieht. Ich kann z. B. den Werth der Leinwand nicht in
Leinwand ausdrücken. 20 Ellen Leinwand = 20 Ellen Leinwand ist
kein Werthausdruck, sondern drückt nur ein bestimmtes Quantum des Ge-
brauchsgegenstands Leinwand aus. Der Werth der Leinwand kann also
nur in andrer Waare, d. h. nur relativ ausgedrückt werden. Die relative
Werthform der Leinwand unterstellt also, dass irgend eine andre Waare
sich ihr gegenüber in der Aequivalentform befindet. Andrerseits, diese
andre Waare, hier der Rock, die als Aequivalent der Leinwand figurirt,
sich also in Aequivalentform befindet, kann sich nicht gleichzeitig in
relativer Werthform befinden. Nicht sie drückt ihren Werth aus.
Sie liefert nur dem Werthausdruck andrer Waare das Material.
Allerdings schliesst der Ausdruck: 20 Ellen Leinwand = 1 Rock oder:
20 Ellen Leinwand sind 1 Rock werth, auch die Rückbeziehung ein:
1 Rock = 20 Ellen Leinwand oder: 1 Rock ist 20 Ellen Leinwand
werth. Aber so muss ich doch die Gleichung umkehren, um den Werth des
Rocks relativ auszudrücken, und sobald ich das thue, wird die Leinwand
Aequivalent statt des Rockes. Dieselbe Waare kann also in demselben
Werthausdruck nicht gleichzeitig in beiden Formen auftreten.
Diese schliessen sich vielmehr polarisch aus.
Denken wir uns Tauschhandel zwischen Leinwandproducent A und Rockpro-
ducent B. Bevor sie Handels einig werden, sagt A: 20 Ellen Leinwand
sind 2 Röcke werth (20 Ellen Leinwand = 2 Röcke), B dagegen:
1 Rock ist 22 Ellen Leinwand werth (1 Rock = 22 Ellen Leinwand).
Endlich, nachdem sie lang gemarktet, stimmen sie überein. A sagt: 20 Ellen
Leinwand sind 1 Rock werth, und B sagt: 1 Rock ist 20 Ellen Lein-
wand werth. Hier befinden sich beide, Leinwand und Rock, gleichzeitig
in relativer Werthform und in Aequivalentform. Aber, notabene, für zwei
verschiedene Personen und in zwei verschiedenen Werthaus-
drücken, welche nur gleichzeitig ins Leben treten. Für A befindet sich
seine Leinwand, — denn für ihn geht die Initiative von seiner Waare aus
— in relativer Werthform, die Waare des Andren, der Rock dagegen, in
Aequivalentform. Umgekehrt vom Standpunkt des B. Dieselbe Waare
besitzt also niemals, auch nicht in diesem Fall, die beiden Formen
gleichzeitig in demselben Werthausdruck.
c) Relativer Werth und Aequivalent sind nur Formen des
Werths.
Relativer Werth und Aequivalent sind beide nur Formen des Waaren-
werths. Ob eine Waare sich nun in der einen Form befindet oder in der po-
larisch entgegengesetzten, hängt ausschliesslich von ihrer Stelle im Werth-
ausdruck ab. Diess tritt schlagend hervor in der von uns hier zunächst be-
trachteten einfachen Werthform. Dem Inhalt nach sind die beiden
Ausdrücke:
1) 20 Ellen Leinwand = 1 Rock oder: 20 Ellen Leinwand
sind 1 Rock werth,
2) 1 Rock = 20 Ellen Leinwand oder: 1 Rock ist 20 Ellen
Leinwand werth, durchaus nicht verschieden. Der Form nach sind
sie nicht nur verschieden, sondern entgegengesetzt. In dem Ausdruck 1)
wird der Werth der Leinwand relativ ausgedrückt. Sie befindet sich daher
in der relativen Werthform, während gleichzeitig der Werth des Rocks
als Aequivalent ausgedrückt ist. Er befindet sich daher in der Aequivalent-
form. Drehe ich nun den Ausdruck 1) um, so erhalte ich den Ausdruck 2). Die
Waaren wechseln die Stellen, und sofort befindet sich der Rock in rela-
tiver Werthform, die Leinwand dagegen in Aequivalentform. Weil
sie die respektiven Stellen in demselben Werthausdruck ge-
wechselt, haben sie die Werthform gewechselt.
§. 2. Die relative Werthform.
a) Gleichheitsverhältniss.
Da es die Leinwand ist, welche ihren Werth ausdrücken soll, geht
von ihr die Initiative aus. Sie tritt in ein Verhältniss zum Rock, d. h. zu
irgend einer andren, von ihr selbst verschiedenartigen Waare. Diess
Verhältniss ist Verhältniss der Gleichsetzung. Die Basis des Aus-
drucks: 20 Ellen Leinwand = 1 Rock ist in der That: Leinwand =
Rock, was in Worten ausgedrückt nur heisst: die Waarenart Rock ist
gleicher Natur, gleicher Substanz mit der von ihr verschiedenen
Waarenart Leinwand. Man übersieht das meist, weil die Aufmerksamkeit
durch das quantitative Verhältniss absorbirt wird, d. h. durch die be-
stimmte Proportion, worin die eine Waarenart der andern gleichgesetzt ist.
Man vergisst, dass die Grössen verschiedner Dinge erst quantitativ
vergleichbar sind nach ihrer Reduktion auf dieselbe Einheit.
Nur als Ausdrücke derselben Einheit sind sie gleichnamige, daher
kommensurable Grössen. In obigem Ausdruck verhält sich also die
Leinwand zum Rock als Ihresgleichen, oder der Rock wird auf die Leinwand
bezogen als Ding von derselben Substanz, Wesensgleiches. Er
wird ihr also qualitativ gleichgesetzt.
b) Werthverhältniss.
Der Rock ist nur dasselbe wie die Leinwand, soweit beide Werthe sind.
Dass also die Leinwand sich zum Rock als ihresgleichen verhält, oder
dass der Rock als Ding von derselben Substanz der Leinwand gleich-
gesetzt wird, drückt aus, dass der Rock in diesem Verhältniss als
Werth gilt. Er wird der Leinwand gleichgesetzt, sofern sie ebenfalls
Werth ist. Das Gleichheitsverhältniss ist also Werthverhältniss,
das Werthverhältniss aber vor allem Ausdruck des Werths oder des
Werthseins der Waare, welche ihren Werth ausdrückt. Als Ge-
brauchswerth oder Waarenkörper unterscheidet sich die Leinwand vom
Rock. Ihr Werthsein kommt dagegen zum Vorschein, drückt sich
aus in einem Verhältniss, worin eine andre Waarenart, der Rock, ihr
gleichgesetzt wird oder als ihr Wesensgleiches gilt.
c) Qualitativer Gehalt der im Werthverhältniss enthaltenen
relativen Werthform.
Werth ist der Rock nur, so weit er dinglicher Ausdruck der in
seiner Produktion verausgabten menschlichen Arbeitskraft ist,
also Gallerte abstrakter menschlicher Arbeit — abstrakter Ar-
beit, weil von dem bestimmten, nützlichen, konkreten Charakter der in ihm ent-
haltenen Arbeit abstrahirt wird, menschlicher Arbeit, weil die Arbeit
hier nur als Verausgabung menschlicher Arbeitskraft überhaupt
zählt. Die Leinwand kann sich also nicht zum Rock als einem Werthding
verhalten oder nicht auf den Rock als Werth bezogen werden,
ohne auf ihn als einen Körper bezogen zu werden, dessen einziger Stoff
aus menschlicher Arbeit besteht. Aber als Werth ist die Leinwand
Gallerte derselben menschlichen Arbeit. Innerhalb dieses Verhält-
nisses repräsentirt also der Körper Rock die der Leinwand mit ihm ge-
meinschaftliche Werthsubstanz, d. h. menschliche Arbeit. In-
nerhalb dieses Verhältnisses gilt also der Rock nur als Gestalt von
Werth, daher auch als Werthgestalt der Leinwand, als sinnliche
Erscheinungsform des Leinwandwerths. So wird, vermittelst des
Werthverhältnisses, der Werth einer Waare im Gebrauchswerth
einer andern Waare ausgedrückt, d. h. in einem andern, von ihm
selbst verschiedenartigen Waarenkörper.
d) Quantitative Bestimmtheit der im Werthverhältniss ent-
haltenen relativen Werthform.
Die 20 Ellen Leinwand sind jedoch nicht nur Werth überhaupt,
d. h. Gallerte menschlicher Arbeit, sondern sie sind Werth von bestimmter
Grösse, d. h. in ihnen ist ein bestimmtes Quantum menschlicher
Arbeit vergegenständlicht. Im Werthverhältniss der Leinwand zum Rock
wird daher die Waarenart Rock nicht nur als Werthkörper überhaupt, d. h.
als Verkörperung menschlicher Arbeit, der Leinwand qualitativ gleichge-
setzt, sondern ein bestimmtes Quantum dieses Werthkörpers,
1 Rock, nicht 1 Dutzend u. s. w., soweit in 1 Rock grade so viel Werthsubstanz
oder menschliche Arbeit steckt als in 20 Ellen Leinwand.
e) Das Ganze der relativen Werthform.
Durch den relativen Werthausdruck erhält also erstens der Werth
der Waare eine von ihrem eignen Gebrauchswerth unterschiedne
Form. Die Gebrauchsform dieser Waare ist z. B. Leinwand. Ihre Werth-
form besitzt sie dagegen in ihrem Gleichheitsverhältniss zum Rock.
Durch diess Verhältniss der Gleichheit wird ein andrer sinnlich von ihr unter-
schiedner Waarenkörper zum Spiegel ihres eignen Werthseins, zu ihrer eignen
Werthgestalt. So gewinnt sie eine von ihrer Naturalform unterschie-
dene, unabhängige und selbstständige Werthform. Zweitens aber,
als Werth von bestimmter Grösse, als bestimmte Werthgrösse, ist sie
quantitativ gemessen durch das quantitativ bestimmte Verhältniss oder die
Proportion, worin ihr der andre Waarenkörper gleichgesetzt ist.
§. 3. Die Aequivalentform.
a) Die Form der unmittelbaren Austauschbarkeit.
Als Werthe sind alle Waaren gleichgeltende, durch einander
ersetzbare oder vertauschbare Ausdrücke derselben Einheit, der
menschlichen Arbeit. Eine Waare ist daher überhaupt mit andrer Waare aus-
tauschbar, sofern sie eine Form besitzt, worin sie als Werth erscheint.
Ein Waarenkörper ist unmittelbar austauschbar mit andrer Waare, soweit
seine unmittelbare Form, d. h. seine eigne Körper- oder Naturalform
andrer Waare gegenüber Werth vorstellt oder als Werthgestalt gilt.
Diese Eigenschaft besitzt der Rock im Werthverhältniss der Leinwand zu ihm. Der
Werth der Leinwand wäre sonst nicht ausdrückbar in dem Ding Rock.
Dass eine Waare also überhaupt Aequivalentform hat, heisst nur: durch
ihren Platz im Werthausdruck gilt ihre eigne Naturalform als Werth-
form für andre Waare oder besitzt sie die Form unmittelbarer Aus-
tauschbarkeit mit andrer Waare. Sie braucht also nicht erst eine von
ihrer unmittelbaren Naturalform unterschiedne Form anzu-
nehmen, um andrer Waare als Werth zu erscheinen, als Werth zu
gelten und aufsie als Werth zu wirken.
b) Quantitative Bestimmtheit ist nicht enthalten in der
Aequivalentform.
Dass ein Ding, welches die Form Rock hat, unmittelbar austausch-
bar mit Leinwand, oder ein Ding, welches die Form Gold hat, unmittelbar
austauschbar mit allen andren Waaren ist, — diese Aequivalentform
eines Dings enthält durchaus keine quantitative Bestimmtheit. Die
entgegengesetzte irrige Ansicht entspringt aus folgenden Ursachen:
Erstens: Die Waare Rock z. B., welche zum Material für den Werthaus-
druck der Leinwand dient, ist innerhalb eines solchen Ausdrucks auch stets
quantitativ bestimmt, wie 1 Rock, nicht 12 Röcke u. s. w. Aber warum?
Weil die 20 Ellen Leinwand in ihrem relativen Werthausdruck nicht nur als
Werth überhaupt ausgedrückt, sondern zugleich als bestimmtes Werth-
quantum gemessen sind. Dass aber 1 Rock, nicht 12 Röcke, so viel Arbeit
enthält als 20 Ellen Leinwand, daher den 20 Ellen Leinwand gleichgesetzt wird,
hat durchaus nichts zu schaffen mit der charakteristischen Eigenschaft
der Waarenart Rock unmittelbar austauschbar mit der Waarenart Lein-
wand zu sein.
Zweitens: Wenn 20 Ellen Leinwand als Werth von bestimmter Grösse
in 1 Rock ausgedrückt sind, ist rückbezüglich auch die Werthgrösse von
1 Rock in 20 Ellen Leinwand ausgedrückt, also ebenfalls quantitativ
gemessen, aber nur indirekt, durch Umkehrung des Ausdrucks, nicht
soweit der Rock die Rolle des Aequivalents spielt, sondern vielmehr seinen
eignen Werth relativ in der Leinwand darstellt.
Drittens: Wir können die Formel: 20 Ellen Leinwand = 1 Rock
oder: 20 Ellen Leinwand sind 1 Rock werth auch so ausdrücken: 20
Ellen Leinwand und 1 Rock sind Aequivalente oder beide sind gleich-
grosse Werthe. Hier drücken wir nicht den Werth irgend einer der beiden
Waaren in dem Gebrauchswerth der andern aus. Keine der beiden
Waaren wird daher in Aequivalentform gesetzt. Aequivalent bedeutet
hier nur Grössengleiches, nachdem beide Dinge vorher in unsrem Kopf
stillschweigend auf die Abstraktion Werth reducirt worden sind.
c) Die Eigenthümlichkeiten der Aequivalentform.
α) Erste Eigenthümlichkeit der Aequivalentform: Ge-
brauchswerth wird zur Erscheinungsform seines Gegentheils,
des Werths.
Die Naturalform der Waare wird zur Werthform. Aber, notabene,
diess quid pro quo ereignet sich für eine Waare B (Rock oder Weizen
oder Eisen u. s. w.) nur innerhalb des Werthverhältnisses,
worin eine beliebige andre Waare A (Leinwand etc.) zu ihr tritt, nur inner-
halb dieser Beziehung. Für sich, isolirt betrachtet, ist z. B. der Rock nur
nützliches Ding, Gebrauchswerth, ganz wie die Leinwand, seine Rockform daher
nur Form von Gebrauchswerth oder Naturalform einer bestimmten Waaren-
art. Da aber keine Waare sich auf sich selbst als Aequivalent be-
ziehn, also auch nichtihre eigne Naturalhautzum Ausdruck ihres
eignen Werths machen kann, muss sie sich auf andre Waare als
Aequivalent beziehn oder die Naturalhaut eines andren Waarenkörpers zu
ihrer eignen Werthform machen.
Diess veranschauliche uns das Beispiel eines Masses, welches den Waarenkör-
pern als Waarenkörpern zukommt, d. h. als Gebrauchswerthen. Ein Zucker-
hut, weil Körper, ist schwer, und hat daher Gewicht, aber man kann keinem
Zuckerhut seine Schwere ansehn oder anfühlen. Wir nehmen nun verschiedne
Stücke Eisen, deren Gewicht vorher bestimmt ist. Die Körperform des Eisens,
für sich betrachtet, ist eben so wenig Erscheinungsform der Schwere als die
des Zuckerhuts. Dennoch, um den Zuckerhut als Schwere oder Gewicht
auszudrücken, setzen wir ihn in ein Gewichtsverhältniss zum Eisen.
In diesem Verhältniss gilt das Eisen als ein Körper, der nichts darstellt
ausser Schwere oder Gewicht. Eisenquanta dienen daher zum Gewicht-
mass des Zuckers und repräsentiren dem Zuckerkörper gegenüber blosse
Schweregestalt, Erscheinungsform von Schwere. Diese Rolle
spielt das Eisen nur innerhalb des Verhältnisses, worin der Zucker, oder irgend
ein andrer Körper, dessen Gewicht gefunden werden soll, zu ihm tritt. Wären
beide Dinge nichtschwer, so könnten sie nicht in diess Verhältniss treten
und das Eine daher nicht zum Ausdruck der Schwere des Andren
dienen. Werfen wir beide auf die Wagschale, so sehn wir in der That, dass
sie als Schwere dasselbe und daher in bestimmter Proportion auch
von demselben Gewicht sind. Wie hier der Eisenkörper dem Zuckerhut
gegenüber nur Schwere, so vertritt in unsrem Werthausdruck der Rock-
körper der Leinwand gegenüber nur Werth.
β) Zweite Eigenthümlichkeit der Aequivalentform: Kon-
krete Arbeit wird zur Erscheinungsform ihres Gegentheils, ab-
strakt menschlicher Arbeit.
Der Rock gilt im Werthausdruck der Leinwand als Werthkörper, seine
Körper- oder Naturalform daher als Werthform, d. h. also als Verkör-
perung unterschiedsloser menschlicher Arbeit, menschlicher Arbeit
schlechthin. Die Arbeit aber, wodurch das nützliche Ding Rock gemacht wird
und seine bestimmte Form erhält, ist nicht abstrakt menschliche Arbeit,
menschliche Arbeit schlechthin, sondern eine bestimmte, nützliche, kon-
krete Arbeitsart — Schneiderarbeit. Die einfache relative Werthform
erheischt, dass der Werth einer Waare, der Leinwand z. B., nur in einer ein-
zigen andern Waarenart ausgedrückt werde. Welches die andre
Waarenart ist, ist aber für die einfache Werthform durchaus gleichgültig. Statt
in der Waarenart Rock, hätte der Leinwandwerth in der Waarenart Weizen,
oder statt in der Waarenart Weizen, in der Waarenart Eisen u. s. w. ausgedrückt
werden können. Ob aber Rock, Weizen oder Eisen, stets gälte das Aequivalent
der Leinwand ihr als Werthkörper, daher als Verkörperung mensch-
licher Arbeit schlechthin. Und stets bliebe die bestimmte Körperform
des Aequivalents, ob Rock oder Weizen oder Eisen, nicht Verkörperung
abstrakt menschlicher Arbeit, sondern einer bestimmten, kon-
kreten, nützlichen Arbeitsart, sei es der Schneiderarbeit oder der Bauern-
arbeit oder der Minenarbeit. Die bestimmte, konkrete, nützliche Ar-
beit, die den Waaren körper des Aequivalents producirt, muss also im
Werthausdruck stets nothwendig als bestimmte Verwirklichungs-
form oder Erscheinungsform menschlicher Arbeit schlechthin,
d. h. abstrakt menschlicher Arbeit gelten. Der Rock z. B. kann nur
als Werthkörper, daher als Verkörperung menschlicher Ar-
beit schlechthin gelten, soweit Schneiderarbeit als bestimmte Form
gilt, worin menschliche Arbeitskraft verausgabt wird oder worin abstrakt mensch-
liche Arbeit sich verwirklicht.
Innerhalb des Werthverhältnisses und des darin einbegriffenen Werthausdrucks
gilt das abstrakt Allgemeine nicht als Eigenschaft des Konkreten, Sinnlich-Wirk-
lichen, sondern umgekehrt das Sinnlich - Konkrete als blosse Erscheinungs- oder
bestimmte Verwirklichungsform des Abstrakt-Allgemeinen. Die Schneiderar-
beit, die z. B. in dem Aequivalent Rock steckt, besitzt, innerhalb des Werth-
ausdrucks der Leinwand, nicht die allgemeine Eigenschaft, auch mensch-
liche Arbeit zu sein. Umgekehrt. Menschliche Arbeit zu sein gilt als ihr
Wesen, Schneiderarbeit zu sein nur als Erscheinungsform oder be-
stimmte Verwirklichungsform dieses ihres Wesens. Diess quid
pro quo ist unvermeidlich, weil die in dem Arbeitsprodukte dargestellte Arbeit
nur werthbildend ist, soweit sie unterschiedslose menschliche Arbeit ist, so
dass die in dem Werth eines Produkts vergegenständlichte Arbeit sich durchaus
nicht unterscheidet von der im Werth eines verschiedenartigen Produkts
vergegenständlichten Arbeit.
Diese Verkehrung, wodurch das Sinnlich-Konkrete nur als Erscheinungs-
form des Abstrakt-Allgemeinen, nicht das Abstrakt-Allgemeine umgekehrt als
Eigenschaft des Konkreten gilt, charakterisirt den Werthausdruck. Sie macht zu-
gleich sein Verständniss schwierig. Sage ich: Römisches Recht und deutsches
Recht sind beide Rechte, so ist das selbstverständlich. Sage ich dagegen: Das
Recht, dieses Abstraktum, verwirklicht sich im römischen Recht und im
deutschen Recht, diesen konkreten Rechten, so wird der Zusammenhang
mystisch.
γ) Dritte Eigenthümlichkeit der Aequivalentform: Privat-
arbeit wird zur Form ihres Gegentheils, zu Arbeit in unmittel-
bar gesellschaftlicher Form.
Arbeitsprodukte würden nicht zu Waaren, wären sie nicht Produkte
unabhängig von einander betriebener, selbstständiger Privatarbeiten. Der ge-
sellschaftliche Zusammenhang dieser Privatarbeiten existirt stofflich,
soweit sie Glieder einer naturwüchsigen, gesellschaftlichen Thei-
lung der Arbeit sind, und daher durch ihre Produkte die verschieden-
artigen Bedürfnisse befriedigen, aus deren Gesammtheit das ebenfalls na-
turwüchsige System der gesellschaftlichen Bedürfnisse besteht.
Dieser stoffliche gesellschaftliche Zusammenhang der von einander unabhängig
betriebenen Privatarbeiten wird aber nur vermittelt, verwirklicht sich da-
her nur durch den Austausch ihrer Produkte. Das Produkt der Privatarbeit
hat daher nur gesellschaftliche Form, soweit es Werthform und daher
die Form der Austauschbarkeit mit andren Arbeitsprodukten hat. Un-
mittelbar gesellschaftliche Form hat es, soweit seine eigne Körper-
oder aturalform zugleich die Form seiner Austauschbarkeit mit andrer Waare
ist, oder andrer Waare als Werthform gilt. Diess findet jedoch, wie wir
gesehn, nur dann für ein Arbeitsprodukt statt, wenn es, durch das Werthver-
hältniss andrer Waare zuihm, sich in Aequivalentform befindet oder
andrer Waare gegenüber die Rolle des Aequivalents spielt.
Das Aequivalent hat unmittelbar gesellschaftliche Form, so-
fern es die Form unmittelbarer Austauschbarkeit mit andrer
Waare hat, und es hat diese Form unmittelbarer Austauschbarkeit, sofern es für
andre Waare als Werthkörper gilt, daher als Gleiches. Also gilt auch
die in ihm enthaltene bestimmte nützliche Arbeit als Arbeit in unmittel-
bar gesellschaftlicher Form, d. h. als Arbeit, welche die Form der
Gleichheit mit der in andrer Waare enthaltenen Arbeit besitzt. Eine be-
stimmte, konkrete Arbeit, wie Schneiderarbeit, kann nur die Form der
Gleichheit mit der in verschiedenartigen Waare, z. B. der Leinwand, ent-
haltenen verschiedenartigen Arbeit besitzen, soweitihre bestimmte Form
als Ausdruck von Etwas gilt, was wirklich die Gleichheit der verschie-
denartigen Arbeiten oder das Gleiche in denselben bildet. Gleich sind
sie aber nur, soweit sie menschliche Arbeit überhaupt, abstrakt mensch-
liche Arbeit sind, d. h. Verausgabung menschlicher Arbeitskraft.
Weil also, wie bereits gezeigt, die im Aequivalent enthaltene bestimmte
konkrete Arbeit als bestimmte Verwirklichungsform oder Er-
scheinungsform abstrakt menschlicher Arbeit gilt, besitzt sie die
Form der Gleichheit mit andrer Arbeit, und ist daher, obgleich Pri-
vatarbeit, wie alle andre, Waaren producirende Arbeit, dennoch Arbeit in
unmittelbar gesellschaftlicher Form. Eben desshalb stellt sie sich
dar in einem Produkt, das unmittelbar austauschbar mit andrer
Waare ist.
Die beiden zuletzt entwickelten Eigenthümlichkeiten der Aequivalent-
form werden noch fassbarer, wenn wir zu dem grossen Forscher zurückgehn, der
die Werthform, wie so viele Denkformen, Gesellschaftsformen und Naturfor-
men zuerst analysirt hat, und meist glücklicher als seine modernen Nachfolger.
Es ist diess Aristoteles.
Zunächst spricht Aristoteles klar aus, dass die Geldform der Waare
nur die weiter entwickelte Gestalt der einfachen Werthform ist,
d. h. des Ausdrucks des Werths einer Waare in irgend einer beliebigen andern
Waare, denn er sagt:
„5 Polster = 1 Haus“ („Κλίναι πέντε ἀντὶ οἰϰίας“)
„unterscheidet sich nicht“ von:
„5 Polster = so und so viel Geld“
(„Κλίναι πέντε ἀντὶ… ὅσου αἱ πέντε ϰλίναι“).
Er sieht ferner ein, dass das Werthverhältniss, worin dieser Werth-
ausdruck steckt, seinerseits bedingt, dass das Haus dem Polster qualitativ
gleichgesetzt wird, und dass diese sinnlich verschiednen Dinge ohnesolche
Wesensgleichheit nicht als kommensurable Grössen auf einander
beziehbar wären. „Der Austausch“, sagt er, „kann nicht sein ohne die
Gleichheit, die Gleichheit aber nicht ohne die Kommensurabilität“
(„οὔτ᾽ ἰσότης μὴ οὔσης συμμετϱίας“). Hier aber stutzt er und giebt die weitere
Analyse der Werthform auf. „Es ist aber in Wahrheit unmöglich („τῇ μὲν
οἶν ἀληδείᾳ ἀδυνατον“), dass so verschiedenartige Dinge kommensurabel“,
d. h. qualitativ gleich seien. Diese Gleichsetzung kann nur etwas der wahren
Natur der Dinge Fremdes sein, also nur „Nothbehelf für das praktische Be-
dürfniss.“
Aristoteles sagt uns also selbst, woran seine weitere Analyse scheitert, näm-
lich am Mangel des Werthbegriffs. Was ist das Gleiche, d. h. die ge-
meinschaftliche Substanz, die das Haus für den Polster im Werthausdruck des
Polsters vorstellt? So etwas kann „in Wahrheit nicht existiren“,
sagt Aristoteles. Warum? Das Haus stellt dem Polster gegenüber ein Glei-
ches vor, soweit es das in Beiden, dem Polster und dem Haus, wirklich Gleiche
vorstellt. Und das ist — menschliche Arbeit.
Dass aber in der Form der Waarenwerthe alle Arbeiten als gleiche
menschliche Arbeit und daher als gleichgeltend ausgedrückt sind,
konnte Aristoteles nicht aus der Werthform der Waaren herauslesen, weil die
griechische Gesellschaft auf der Sklavenarbeit beruhte, daher die Un-
gleichheit der Menschen und ihrer Arbeiten zur Naturbasis hatte.
Das Geheimniss des Werthausdrucks, die Gleichheit und gleiche Gültig-
keit aller Arbeiten, weil und insofern sie menschliche Arbeit über-
haupt sind, kann nur entziffert werden, sobald der Begriff der mensch-
lichen Gleichheit bereits die Festigkeit eines Volksvorurtheils besitzt. Das
ist aber erst möglich in einer Gesellschaft, worin die Waarenform die allge-
meine Form des Arbeitsprodukts ist, also auch das Verhältniss der Menschen zu
einander als Waarenbesitzer das herrschende gesellschaftliche Verhältniss
ist. Das Genie des Aristoteles glänzt grade darin, dass er im Werthausdruck
der Waaren ein Gleichheitsverhältniss entdeckt. Nur die historische
Schranke der Gesellschaft, worin er lebte, verhindert ihn herauszufinden, worin
denn „in Wahrheit“ diess Gleichheitsverhältniss besteht.
δ) Vierte Eigenthümlichkeit der Aequivalentform: Der Fe-
tischismus der Waarenform ist frappanter in der Aequivalent-
form als in der relativen Werthform.
Dass Arbeitsprodukte, solche nützlichen Dinge wie Rock, Leinwand, Weizen,
Eisen u. s. w., Werthe, bestimmte Werthgrössen und überhaupt
Waaren sind, sind Eigenschaften, die ihnen natürlich nur in unsrem Ver-
kehr zukommen, nicht von Natur, wie etwa die Eigenschaft schwer zu sein oder
warm zu halten oder zu nähren. Aber innerhalb unsres Verkehrs verhalten
sich diese Dinge als Waaren zu einander. Sie sind Werthe, sie sind mess-
bar als Werthgrössen und ihre gemeinsame Wertheigenschaft setzt sie
in ein Werthverhältniss zu einander. Dass nun z. B. 20 Ellen Leinwand
= 1 Rock oder 20 Ellen Leinwand 1 Rock werth sind, drückt nur aus,
dass 1) die verschiedenartigen zur Produktion dieser Dinge nöthigen Arbei-
ten als menschliche Arbeit gleichgelten; 2) dass das in ihrer Produk-
tion verausgabte Quantum Arbeit nach bestimmten gesellschaftlichen Gesetzen
gemessen wird, und 3) dass Schneider und Weber in ein bestimmtes gesell-
schaftliches Produktionsverhältniss treten. Es ist eine bestimmte
gesellschaftliche Beziehung der Producenten, worin sie ihre ver-
schiedenen nützlichen Arbeitsarten als menschliche Arbeit gleichsetzen.
Es ist nicht minder eine bestimmte gesellschaftliche Beziehung der
Producenten, worin sie die Grösse ihrer Arbeiten durch die Zeitdauer
der Verausgabung menschlicher Arbeitskraft messen. Aber in-
nerhalb unsres Verkehrs erscheinen ihnen diese gesellschaft-
lichen Charaktere ihrer eignen Arbeiten als gesellschaftliche Na-
tureigenschaften, als gegenständliche Bestimmungen der Arbeits-
produkte selbst, die Gleichheit dermenschlichen Arbeiten als Wertheigen-
schaft der Arbeitsprodukte, das Mass der Arbeit durch die gesellschaftlich
nothwendige Arbeitszeit als Werthgrösse der Arbeitsprodukte, endlich die gesell-
schaftliche Beziehung der Producenten durch ihre Arbeiten als Werthverhältniss
oder gesellschaftliches Verhältniss dieser Dinge, der Arbeitspro-
dukte. Eben desshalb erscheinen ihnen die Arbeitsprodukte als Waaren,
sinnlich übersinnliche oder gesellschaftliche Dinge. So stellt sich der
Lichteindruck eines Dings auf den Sehnerv nicht als subjektiver Reiz des Seh-
nervs selbst, sondern als gegenständliche Form eines Dings ausserhalb des
Auges dar. Aber beim Sehn wird wirklich Licht von einem Ding, dem äusseren
Gegenstand, auf ein andres Ding, das Auge, geworfen. Es ist ein physisches Ver-
hältniss zwischen physischen Dingen. Dagegen hat die Waarenform und das
Werthverhältniss der Arbeitsprodukte mit ihrer physischen Natur und den
daraus entspringenden dinglichen Beziehungen absolut nichts zu schaffen. Es
ist nur das bestimmte gesellschaftliche Verhältniss der Menschen
selbst, welches hier für sie die phantasmagorische Form eines Verhältnisses
von Dingen annimmt. Um daher eine Analogie zu finden, müssen wir in die
Nebelregion der religiösen Welt flüchten. Hier erscheinen die Pro-
dukte des menschlichen Kopfes als mit eignem Leben begabte, unter ein-
ander und mit den Menschen in Verhältniss stehende selbstständige Ge-
stalten. So in der Waarenwelt die Produkte der menschlichen
Hand. Diess nenne ich den Fetischismus, der sich an die Arbeitsprodukte
anklebt, sobald sie als Waaren producirt werden, der also von der Waaren-
produktion unzertrennlich ist.
Dieser Fetischcharakter nun tritt schlagender an der Aequivalentform
als an der relativen Werthform hervor. Die relative Werthform
einer Waare ist vermittelt, nämlich durch ihr Verhältniss zu andrer
Waare. Durch diese Werthform ist der Werth der Waare als etwas von ihrem
eignen sinnlichen Dasein durchaus Unterschiednes ausgedrückt. Es
liegt darin zugleich, dass das Werthsein eine dem Ding selbst fremde Be-
ziehung, sein Werthverhältniss zu einem andern Ding daher nur die Er-
scheinungsform eines dahinter versteckten gesellschaftlichen Ver-
hältnisses sein kann. Umgekehrt mit der Aequivalentform. Sie besteht
grade darin, dass die Körper- oder Naturalform einer Waare unmittelbar
als gesellschaftliche Form gilt, als Werthform für andre Waare.
Innerhalb unseres Verkehrs erscheint es also als gesellschaftliche
Natureigenschaft eines Dings, als eine ihm von Natur zukommende Eigen-
schaft, Aequivalentform zu besitzen, daher so wie es sinnlich da ist, un-
mittelbar austauschbar mit andern Dingen zu sein. Weil aber inner-
halb des Werthausdrucks der Waare A die Aequivalentform von Natur
der Waare B zukommt, scheint sie letztrer auch ausserhalb dieses Ver-
hältnisses von Natur anzugehören. Daher z. B. das Räthselhafte des Gol-
des, das neben seinen andren Natureigenschaften, seiner Lichtfarbe, seinem spe-
cifischen Gewicht, seiner Nicht- Oxydirbarkeit an der Luft u. s. w., auch die
Aequivalentform von Natur zu besitzen scheint oder die gesellschaftliche Qualität
mit allen andern Waaren unmittelbar austauschbar zu sein.
§. 4. Sobald der Werth selbstständig erscheint, hat er die
Form von Tauschwerth.
Der Werthausdruck hat zwei Pole, relative Werthform und Aequiva-
lentform. Was zunächst die als Aequivalent funktionirende Waare betrifft,
so gilt sie für andre Waare als Werthgestalt, Körper in unmittelbar aus-
tauschbarer Form — Tauschwerth. Die Waare aber, deren Werth rela-
tiv ausgedrückt ist, besitzt die Form von Tauschwerth, indem 1) ihr Werth-
sein durch die Austanschbarkeit eines andern Waarenkörpers mit ihr offen-
bart wird, 2) ihre Werthgrösse ausgedrückt wird durch die Proportion,
worin die andre Waare mit ihr austauschbar ist. — Der Tauschwerth ist
daher überhaupt die selbstständige Erscheinungsform des Waaren-
werths.
§. 5. Die einfache Werthform der Waare ist die einfache Er-
scheinungsform der in ihr enthaltenen Gegensätze von Ge-
brauchswerth und Tauschwerth.
In dem Werthverhältniss der Leinwand zum Rock gilt die Naturalform
der Leinwand nur als Gestalt von Gebrauchswerth, die Naturalform des
Rocks nur als Werthform oder Gestalt von Tauschwerth. Der in der
Waare enthaltene innere Gegensatz von Gebrauchswerth und Werth wird
also dargestellt durch einen äussern Gegensatz, d. h. das Verhält-
niss zweier Waaren, wovon die eine unmittelbar nur als Gebrauchswerth,
die andere unmittelbar nur als Tauschwerth gilt, oder worin die beiden gegensätz-
lichen Bestimmungen von Gebrauchswerth und Tauschwerth polarisch unter
die Waaren vertheilt sind. — Wenn ich sage: Als Waare ist die Leinwand
Gebrauchswerth und Tauschwerth, so ist das mein durch Analyse gewonnenes
Urtheil über die Natur der Waare. Dagegen im Ausdruck: 20 Ellen Lein-
wand = 1 Rock oder: 20 Ellen Leinwand sind 1 Rock werth, sagt die
Leinwand selbst, dass sie 1) Gebrauchswerth (Leinwand), 2) davon unter-
schiedner Tauschwerth (Rock-Gleiches) und 3) Einheit dieser beiden
Unterschiede, also Waare ist.
§. 6. Die einfache Werthform der Waare ist die einfache
Waarenform des Arbeitsprodukts.
Die Form eines Gebrauchswerths bringt das Arbeitsprodukt in seiner
Naturalform mit auf die Welt. Es bedarf also nur noch der Werthform, damit
es die Waarenform besitze, d. h. damit es erscheine als Einheit der
Gegensätze Gebrauchswerth und Tauschwerth. Die Entwicklung der
Werthform ist daher identisch mit der Entwicklung der Waarenform.
§. 7. Verhältniss von Waarenform und Geldform.
Setzt man an die Stelle von:
20 Ellen Leinwand = 1 Rock oder 20 Ellen Leinwand sind 1 Rock
werth, die Form:
20 Ellen Leinwand = 2 Pfd. St. oder 20 Ellen Leinwand sind 2 Pfd.
St. werth, so zeigt der erste Blick, dass die Geldform durchaus nichts ist
als die weiter entwickelte Gestalt der einfachen Werthform der
Waare, also der einfachen Waarenform des Arbeitsprodukts.
Weil die Geldform nur die entwickelte Waarenform, entspringt sie
offenbar aus der einfachen Waarenform. Sobald letztre daher begriffen ist,
bleibt nur noch die Reihe der Metamorphosen zu betrachten, welche die
einfache Waarenform: 20 Ellen Leinwand = 1 Rock durchlaufen muss, um
die Gestalt: 20 Ellen Leinwand = 2 Pfd. St. anzunehmen.
§. 8. Einfache relative Werthform und Einzelne Aequiva-
lentform.
Der Werthausdruck im Rock giebt der Leinwand eine Werthform, wo-
durch sie nur als Werth von sich selbst als Gebrauchswerth unter-
schieden wird. Diese Form setzt sie auch nur in Verhältniss zum Rock,
d. h. zu irgend einer einzelnen, von ihr selbst verschiedenen Waarenart.
Aber als Werth ist sie dasselbe wie alle andren Waaren. Ihre Werth-
form muss daher auch eine Form sein, welche sie in ein Verhältniss qualita-
tiver Gleichheit und quantitativer Proportionalität zu allen andren
Waaren setzt. — Der einfachen relativen Werthform einer Waare ent-
spricht die einzelne Aequivalentform einer andren Waare. Oder die
Waare, worin Werth ausgedrückt wird, funktionirt hier nur als einzelnes
Aequivalent. So besitzt der Rock, im relativen Werthausdruck der Leinwand,
nur Aequivalentform oder Form unmittelbarer Austauschbar-
keit mit Bezug auf diese einzelne Waarenart Leinwand.
§. 9. Uebergang aus der einfachen Werthform in die entfal-
tete Werthform.
Die einfache Werthform bedingt, dass der Werth einer Waare in nur einer,
aber gleichgültig welcher, Waare von andrer Art ausgedrückt werde. Es ist
also ebensowohl einfacher relativer Werthausdruck der Leinwand,
wenn ihr Werth in Eisen oder in Weizen u. s. w., als wenn er in der Waarenart
Rock ausgedrückt wird. Je nachdem sie also mit dieser oder jener andern
Waarenart in ein Werthverhältniss tritt, entstehn verschiedne ein-
fache relative Werthausdrücke der Leinwand. Der Möglichkeit
nach hat sie eben so viele verschiedne einfache Werthausdrücke
als von ihr verschiedenartige Waaren existiren. In der That besteht also ihr
vollständiger relativer Werthausdruck nicht in einem vereinzel-
ten einfachen relativen Werthausdruck, sondern in der Summe ihrer einfachen
relativen Werthausdrücke. So erhalten wir:
20 Ellen Leinwand = 1 Rock oder = 10 Pfd. Thee oder = 40 Pfd.
Kaffee oder = 1 Quarter Weizen oder = 2 Unzen Gold oder =
½ Tonne Eisen oder = u. s. w.
§. 1. Endlosigkeit der Reihe.
Diese Reihe einfacher relativer Werthausdrücke ist ihrer Natur
nach stets verlängerbar oder schliesst nie ab. Denn es treten stets neue Waaren-
arten auf, und jede neue Waarenart bildet das Material eines neuen Werthaus-
drucks.
§. 2. Die entfaltete relative Werthform.
Der Werth einer Waare, der Leinwand z. B., ist jetzt dargestellt in allen
andren Elementen der Waarenwelt. Jeder andre Waarenkörper wird zum Spiegel
des Leinwandwerths. So erscheint dieser Werth selbst erst wahrhaft als
Gallerte unterschiedsloser menschlicher Arbeit. Denn die den
Leinwandwerth bildende Arbeit ist nun ausdrücklich als Arbeit dargestellt,
der jede andre menschliche Arbeit, welche Naturalform sie immer be-
sitze, und ob sie sich daher in Rock oder Weizen oder Eisen oder Gold u. s. w.
vergegenständliche, gleichgilt. Durch ihre Werthform steht die Leinwand
daher jetzt auch in gesellschaftlichem Verhältniss nicht mehr zu nur
einer einzelnen andren Waarenart, sondern zur Waarenwelt. Als Waare
ist sie Bürger dieser Welt. Zugleich liegt in der endlosen Reihe seiner Ausdrücke,
dass der Waarenwerth gleichgültig ist gegen jede besondre Form des Ge-
brauchswerths, worin er erscheint.
§. 3. Die besondre Aequivalentform.
Jede Waare, Rock, Thee, Weizen, Eisen u. s. w. gilt im Werthausdruck der
Leinwand als Aequivalent und daher als Werthkörper. Die bestimmte
Naturalform jeder dieser Waaren ist jetzt eine besondre Aequivalent-
form neben vielen andern. Ebenso gelten die mannigfaltigen in den ver-
schiedenen Waarenkörpern enthaltenen bestimmten, konkreten, nütz-
lichen Arbeitsarten jetzt als eben so viele besondre Verwirklichungs-
oder Erscheinungsformen menschlicher Arbeit schlechthin.
§. 4. Mängel der entfalteten oder totalen Werthform.
Erstens ist der relative Werthausdruck der Leinwand unfertig, weil
seine Darstellungsreihe nie abschliesst. Zweitens besteht er aus einer bunten
Mosaik auseinanderfallender und verschiedenartiger Werthausdrücke. Wird end-
lich, wie diess geschehn muss, der relative Werth jeder Waare in dieser
entfalteten Form ausgedrückt, so ist die relative Werthform jeder Waare eine von
der relativen Werthform jeder andren Waaren verschiedne endlose Reihe von
Werthausdrücken. — Die Mängel der entfalteten relativen Werthform
reflektiren sich in der ihr entsprechenden Aequivalentform. Da die Natu-
ralform jeder einzelnen Waarenart hier eine besondre Aequivalentform neben
unzähligen andren besondren Aequivalentformen ist, existiren überhaupt nur
beschränkte Aequivalentformen, von denen jede die andre aus-
schliesst. Ebenso ist die in jedem besondern Waarenäquivalent enthaltene
bestimmte, konkrete, nützliche Arbeitsart nur besondre, also
nicht erschöpfende Erscheinungsform der menschlichen Arbeit.
Diese besitzt ihre vollständige oder totale Erscheinungsform zwar in dem Ge-
sammtumkreis jener besondren Erscheinungsformen. Aber so besitzt sie
keine einheitliche Erscheinungsform.
§. 5. Uebergang aus der totalen Werthform in die allgemeine
Werthform.
Die totale oder entfaltete relative Werthform besteht jedoch nur
aus einer Summe einfacher relativer Werthausdrücke oder Gleichungen der
ersten Form, wie:
20 Ellen Leinwand = 1 Rock
20 Ellen Leinwand = 10 Pfd. Thee u. s. w.
Jede dieser Gleichungen enthält aber rückbezüglich auch die identische
Gleichung:
1 Rock = 20 Ellen Leinwand
10 Pfd. Thee = 20 Ellen Leinwand u. s. w.
In der That: Tauscht der Besitzer der Leinwand seine Waare mit vielen
andren Waaren aus und drückt daher den Werth seiner Waare in einer
Reihe von andren Waaren aus, so müssen nothwendig auch die vielen andren
Waarenbesitzer ihre Waaren mit Leinwand austauschen und daher die Werthe
ihrer verschiedenen Waaren in derselben dritten Waare, der Leinwand,
ausdrücken. — Kehren wir also die Reihe: 20 Ellen Leinwand = 1 Rock
oder = 10 Pfd. Thee oder = u. s. w. um, d. h. drücken wir die an sich,
implicite, schon in der Reihe enthaltene Rückbeziehung aus, so erhalten wir:
§. 1. Veränderte Gestalt der relativen Werthform.
Die relative Werthform besitzt jetzt eine ganz veränderte Gestalt. Alle
Waaren drücken ihren Werth 1) einfach aus, nämlich in einem einzigen
andren Waarenkörper, 2) einheitlich, d. h. in demselben andren
Waarenkörper. Ihre Werthform ist einfach und gemeinschaftlich, d. h. allge-
mein. Allen verschiedenartigen Waarenkörpern gilt jetzt die Leinwand als ihre
gemeinschaftliche und allgemeine Werthgestalt. Die Werthform einer Waare,
d. h. der Ausdruck ihres Werths in Leinwand, unterscheidet sie jetzt nicht
nur als Werth von ihrem eignen Dasein als Gebrauchsgegen-
stand, d. h. von ihrer eignen Naturalform, sondern bezieht sie zu-
gleich als Werth auf alle andren Waaren, auf alle Waaren als Ihres-
gleichen. Sie besitzt daher in dieser Werthform allgemein gesellschaft-
liche Form.
Erst durch ihren allgemeinen Charakter entspricht die Werthform dem
Werthbegriff. Die Werthform musste eine Form sein, worin die Waaren als
blosse Gallerte unterschiedsloser, gleichartiger, menschlicher
Arbeit, d. h. als dingliche Ausdrücke derselben Arbeitssubstanz
für einander erscheinen. Diess ist jetzt erreicht. Denn sie alle sind ausge-
drückt als Materiatur derselben Arbeit, der in der Leinwand enthaltenen
Arbeit, oder als dieselbe Materiatur der Arbeit, nämlich als Leinwand.
So sind sie qualitativ gleichgesetzt.
Zugleich sind sie quantitativ verglichen oder als bestimmte
Werthgrössen für einander dargestellt. Z. B. 10 Pfd. Thee = 20
Ellen Leinwand, und 40 Pfd. Kaffee = 20 Ellen Leinwand. Also:
10 Pfd. Thee = 40 Pfd. Kaffee. Oder in 1 Pfd. Kaffee steckt nur ¼ so viel
Werthsubstanz, Arbeit, als in 1 Pfd. Thee.
§. 2. Veränderte Gestalt der Aequivalentform.
Die besondere Aequivalentform ist jetzt fortentwickelt zur allge-
meinen Aequivalentform. Oder die in Aequivalentform befindliche Waare
ist jetzt — allgemeines Aequivalent. — Indem die Naturalform des
Waarenkörpers Leinwand als Werthgestalt aller andren Waaren gilt, ist sie
die Form ihrer Gleichgültigkeit oder unmittelbaren Austausch-
barkeit mit allen Elementen der Waarenwelt. Ihre Naturalform
ist also zugleich ihre allgemeine gesellschaftliche Form.
Für alle andren Waaren, obgleich sie die Produkte der verschiedenartigsten
Arbeiten sind, gilt die Leinwand als Erscheinungsform der in ihnen
selbst enthaltenen Arbeiten, daher als Verkörperung gleich-
artiger, unterschiedsloser, menschlicher Arbeit. Die Weberei,
diese besondre konkrete Arbeitsart, gilt also jetzt, durch das Werthver-
hältniss der Waarenwelt zur Leinwand, als allgemeine und unmittelbar
erschöpfende Verwirklichungsform abstrakt menschlicher Ar-
beit, d. h. der Verausgabung menschlicher Arbeitskraft überhaupt.
Die in der Leinwand enthaltene Privatarbeit gilt eben desshalb auch als
Arbeit, welche sich unmittelbar in allgemein gesellschaftlicher
Form oder der Form der Gleichheit mit allen andren Arbeiten befindet.
Wenn eine Waare also die allgemeine Aequivalentform besitzt oder
als allgemeines Aequivalent funktionirt, gilt ihre Natural- oder
Körperform als die sichtbare Inkarnation, die allgemeine ge-
sellschaftliche Verpuppung aller menschlichen Arbeit.
§. 3. Gleichmässiges Entwicklungsverhältniss von relativer
Werthform und Aequivalentform.
Dem Entwicklungsgrad der relativen Werthform entspricht der Entwicklungs-
grad der Aequivalentform. Aber, und diess ist wohl zu merken, die Entwick-
lung der Aequivalentform ist nur Ausdruck und Resultat der Ent-
wicklung der relativen Werthform. Von der letzteren geht die Initiative
aus.
Die einfache relative Werthform drückt den Werth einer Waare nur
in einer einzigen andren Waarenart aus, gleichgültig in welcher.
Die Waare erhält so nur Werthform im Unterschied zu ihrer eignen
Gebrauchswerths- oder Naturalform. Ihr Aequivalent erhält auch nur
die einzelne Aequivalentform. Die entfaltete relative Werthform
drückt den Werth einer Waare in allen andren Waaren aus. Letztre erhalten
daher die Form vieler besondren Acquivalente oder besondre Aequi-
valentform. Endlich giebt sich die Waarenwelt eine einheitliche,
allgemeine, relative Werthform, indem sie eine einzige Waaren-
art von sich ausschliesst, worin alle andren Waaren ihren Werth ge-
meinschaftlich ausdrücken. Dadurch wird die ausgeschlossene Waare
allgemeines Aequivalent oder wird die Aequivalentform zur allgemei-
ne Aequivalentform.
§. 4. Entwicklung der Polarität von relativer Werthform und
Aequivalentform.
Der polarische Gegensatz, oder die unzertrennliche Zusammengehörig-
keit und ebenso beständige Ausschliessung von relativer Werthform und Aequi-
valentform, so dass 1) eine Waare sich nicht in der einen Form befinden kann,
ohne dass andre Waare sich in der entgegengesetzten Form befindet, und
2) dass sobald eine Waare sich in der einen Form befindet, sie sich nicht gleich-
zeitig innerhalb desselben Werthausdrucks in der andren Form befinden kann, —
dieser polarische Gegensatz beider Momente des Werthausdrucks ent-
wickelt und verhärtet sich in demselben Masse, worin sich die Werth-
form überhaupt entwickelt oder ausgebildet wird.
In der Form I schliessen sich schon die beiden Formen aus, aber nur
formell. Je nachdem dieselbe Gleichung vorwärts oder rückwärts gelesen wird,
befindet sich jedes der beiden Waarenextreme, wie Leinwand und Rock, gleichmässig
bald in der relativen Werthform, bald in der Aequivalentform. Es kostet hier
noch Mühe, den polarischen Gegensatz festzuhalten.
In der Form II kann immer nur je eine Waarenart ihren relativen
Werth total entfalten oder besitzt sie selbst nur entfaltete relative
Werthform, weil und sofern alle andren Waaren sich ihr gegenüber in
der Aequivalentform befinden.
In der Form III endlich besitzt die Waarenwelt nur allgemein-ge-
sellschaftliche relative Werthform, weil und sofern alle ihr angehörigen
Waaren von der Aequivalentform oder der Form unmittelbarer Aus-
tauschbarkeit ausgeschlossen sind. Umgekehrt ist die Waare, die sich
in der allgemeinen Aequivalentform befindet oder als allgemeines
Aequivalent figurirt, von der einheitlichen und daher allgemeinen
relativen Werthform der Waarenwelt ausgeschlossen. Sollte die
Leinwand, d. h. irgend eine in allgemeiner Aequivalentform befindliche Waare,
auch zugleich an der allgemeinen relativen Werthform theilnehmen,
so müsste sie auf sich selbst als Aequivalent bezogen werden. Wir
erhalten dann: 20 Ellen Leinwand = 20 Ellen Leinwand, eine Tauto-
logie, worin weder Werth, noch Werthgrösse ausgedrückt ist. Um den rela-
tiven Werth des allgemeinen Aequivalents auszudrücken, müssen
wir die Form III umkehren. Es besitzt keine mit den andren Waaren gemein-
schaftliche relative Werthform, sondern sein Werth drückt sich relativ aus
in der endlosen Reihe aller andren Waarenkörper. So erscheint
jetzt die entfaltete relative Werthform oder Form II als die speci-
fische relative Werthform der Waare, welche die Rolle des allgemei-
nen Aequivalents spielt.
§. 5. Uebergang aus der allgemeinen Werthform zur Geld-
form.
Die allgemeine Aequivalentform ist eine Form des Werths über-
haupt. Sie kann also jeder Waare zukommen, aber stets nur im Ausschluss von
allen andren Waaren.
Indess zeigt schon der blosse Formunterschied zwischen Form II und
Form III etwas Eigenthümliches, was die Formen I und II nicht unterschei-
det. Nämlich in der entfalteten Werthform (Form II) schliesst eine
Waare alle andren aus, um in ihnen den eignen Werth auszudrücken. Diese
Ausschliessung kann ein rein subjektiver Prozess sein, z. B. ein
Prozess des Leinwandbesitzers, der den Werth seiner eignen Waare in vielen
andren Waaren schätzt. Dagegen befindet sich eine Waare nur in allgemeiner
Aequivalentform (Form III), weil und sofern sie selbst durch alle andren
Waaren als Aequivalent ausgeschlossen wird. Die Ausschlies-
sung ist hier ein von der ausgeschlossenen Waare unabhängiger, objektiver
Prozess. In der historischen Entwicklung der Waarenform mag daher die allge-
meine Aequivalentform bald dieser, bald jener Waare abwechselnd zukommen. Aber
eine Waare funktionirt nie wirklich als allgemeines Aequivalent, ausser sofern
ihre Ausschliessung und daher ihre Aequivalentform das Resultat eines objekti-
ven gesellschaftlichen Prozessesist
Die allgemeine Werthform ist die entwickelte Werthform und daher
die entwickelte Waarenform. Die stofflich ganz verschiedenen Arbeits-
produkte können nicht fertige Waarenform besitzen und daher auch nicht
im Austauschprozess als Waare funktioniren, ohne als dingliche Aus-
drücke derselben gleichen menschlichen Arbeit dargestellt zu sein.
Das heisst, um fertige Waarenform zu erhalten, müssen sie einheitliche, all-
gemeine relative Werthform erhalten. Aber diese einheitliche relative
Werthform können sie nur dadurch erwerben, dass sie eine bestimmte Waaren-
art als allgemeines Aequivalent aus ihrer eignen Reihe ausschliessen.
Und erst von dem Augenblicke, wo diese Ausschliessung sich endgültig auf
eine specifische Waarenart beschränkt, hat die einheitliche relative
Werthform objektive Festigkeit und allgemein gesellschaftliche
Gültigkeit gewonnen.
Die specifische Waarenart nun, mit deren Naturalform die Aequiva-
lentform gesellschaftlich verwächst, wird zur Geldwaare oder funktionirt
als Geld. Es wird ihre specifisch gesellschaftliche Funktion, und da-
her ihr gesellschaftliches Monopol, die Rolle des allgemeinen Aequivalents
innerhalb der Waaren welt zu spielen. Diesen bevorzugten Platz hat unter
den Waaren, welche in Form II als besondre Aequivalente der Leinwand
figuriren, und in Form III ihren relativen Werth gemeinsam in Leinwand
ausdrücken, eine bestimmte Waare historisch erobert, das Gold. Setzen wir daher
in Form III die Waare Gold an die Stelle der Waare Leinwand, so erhalten wir:
§. 1. Verschiedenheit des Uebergangs der allgemeinen
Werthform zur Geldform von den früheren Entwicklungs-
übergängen.
Es finden wesentliche Veränderungen statt beim Uebergang von
Form I zu Form II, von Form II zu Form III. Dagegen unterscheidet Form IV
sich durch nichts von Form III, ausser dass jetzt statt Leinwand Gold die allge-
meine Aequivalentform besitzt. Gold bleibt in Form IV, was die Leinwand in
Form III war — allgemeines Aequivalent. Der Fortschritt besteht nur
darin, dass die Form unmittelbarer allgemeiner Austauschbarkeit
oder die allgemeine Aequivalentform jetzt durch gesellschaftliche Ge-
wohnheit endgültig mit der specifischen Naturalform des Waaren-
körpers Gold verwachsen ist.
Gold tritt den andren Waaren nur als Geld gegenüber, weil es ihnen bereits
zuvor als Waare gegenüberstand. Gleich allen andren Waaren funktionirte es
auch als Aequivalent, sei es als einzelnes Aequivalent in vereinzelten
Austauschakten, sei es als besondres Aequivalent neben andren Waaren-
äquivalenten. Nach und nach funktionirte es in engeren oder weiteren Kreisen
als allgemeines Aequivalent. Sobald es das Monopol dieser Stelle im
Werthausdruck der Waarenwelt erobert hat, wird es Geldwaare, und
erst von dem Augenblick, woes bereits Geldwaare geworden ist, unter-
scheidet sich Form IV von Form III, oder ist die allgemeine Werthform
verwandelt in die Geldform.
§. 2. Verwandlung der allgemeinen relativen Werthform in
Preisform.
Der einfache relative Werthausdruck einer Waare, z. B. der
Leinwand, in der bereits als Geldwaare funktionirenden Waare, z. B. dem
Gold, ist Preisform. Die Preisform der Leinwand daher:
20 Ellen Leinwand = 2 Unzen Gold,
oder, wenn 2 Pfd. St. der Münzname von 2 Unzen Gold,
20 Ellen Leinwand = 2 Pfd. St.
§. 3. Die einfache Waarenform ist das Geheimniss der Geld-
form.
Man sieht, die eigentliche Geldform bietet an sich gar keine Schwierigkeit.
Sobald einmal die allgemeine Aequivalentform durchschaut ist, macht
es nicht das geringste Kopfbrechen zu begreifen, dass sich diese Aequivalentform
an eine specifische Waarenart wie Gold festhaftet, um so weniger als die
allgemeine Aequivalentform von Natur die gesellschaftliche Ausschliessung
einer bestimmten Waarenart durch alle andren Waaren bedingt.
Es handelt sich nur noch darum, dass diese Ausschliessung objektiv gesell-
schaftliche Konsistenz und allgemeine Gültigkeit gewinnt, daher weder
abwechselnd verschiedne Waaren trifft, noch eine bloss lokale Tragweite
in nur besondern Kreisen der Waarenwelt besitzt. Die Schwierigkeit im Begriff
der Geldform beschränkt sich auf das Begreifen der allgemeinen Aequivalentform,
also der allgemeinen Werthform überhaupt, der Form III. Form III löst
sich aber rückbezüglich auf in Form II, und das konstituirende Element
der Form II ist Form I: 20 Ellen Leinwand = 1 Rock oder x Waare A
= y Waare B. Weiss man nun, was Gebrauchswerth und Tauschwerth sind,
so findet man, dass diese Form I die einfachste, unentwickeltste Manier ist, ein be-
liebiges Arbeitsprodukt, wie die Leinwand z. B., als Waare darzustellen, d. h.
als Einheit der Gegensätze Gebrauchswerth und Tauschwerth.
Man findet dann zugleich leicht die Metamorphosenreihe, welche die
einfache Waarenform: 20 Ellen Leinwand = 1 Rock durchlaufen
muss, um ihre fertige Gestalt: 20 Ellen Leinwand = 2 Pfd. St., d. h.
die Geldform zu gewinnen.
(Fortzufahren p. 35 im Text des Buchs.)
Druck von Otto Wigand in Leipzig.